SALZBURGER FESTSPIELE 1961

6. Jahrgang, Heft 8/9

 

Salzburg im Abstieg

Noch selten hat sich mit solcher Unabwendbarkeit ein deutlich vorgezeichnetes Geschick vollzogen, wie in Salzburg nach dem vorjährigen Regimewechsel. Man braucht nur nachzulesen, was wir im Vorjahr an dieser Stelle vermerkt haben und wird zugeben, daß wir leider wieder einmal Recht gehabt haben. Salzburg lebte heuer auf dem Musiksektor von den Überbleibseln der Ära Karajan: Don Giovanni, Der Rosenkavalier und Così fan tutte. Das Paumgartner'sche Zusatzfestspiel mit Idomeneo, Das Bergwerk zu Falun und Die Entführung aus dem Serail war teilweise unnötig und teilweise so fehlerhaft programmiert, daß man nur den Kopf schütteln kann. Und manche italienische Repertoireoper haben wir in Wien schon besser gesungen gehört, als Simone Boccanegra in der Felsenreitschule. Es ist ein glücklicher Zufall, denn von Planung war ja überhaupt heuer keine Rede, daß durch Initiative des Burgtheaterdirektors Häussermann auf dem Gebiete des Schauspiels viel getan wurde, was zum Teil auf Widerspruch (die deutschen Kritiken über Faust I mit Will Quadflig, Boy Gobert und Aglaja Schmid) stieß, aber immerhin dazu führte, daß man über die Aufführungen wenigstens reden konnte, während beim Jedermann des Vorjahres ein Totschweigen besser am Platz gewesen wäre. Ob es aber allerdings auf die Dauer künstlerisch wertvoll und lukrativ ist, in einer so musikalischen Stadt wie Salzburg Festspiele lediglich auf dem Namen eines gewiß bedeutenden Regisseurs wie Reinhart, der aber doch auch sehr in seiner Zeit befangen war und sicher auch oft danebengehauen hat, aufzubauen, werden wir ja sehen. Wenn Salzburg sich von dutzenden von anderen Festspielstädten unterscheiden soll, dann bedarf es dazu zweifellos der Führung einer Persönlichkeit von Rang, die Publikum und Mitwirkende in ihren Bann schlägt. Daß Bernhard Paumgartner solch eine Persönlichkeit nicht ist, dürfte sich bereits herumgesprochen haben. Und den Salzburgern wird es noch leid tun, einen Könner für einen Kenner eingetauscht zu haben.

Immerhin mögen aber die Herren an der Salzach nicht den ganzen Winter verdösen, bevor sie das Programm (sofern man es so nennen kann-) zusammengebastelt haben, denn daß sie dann die Schuld für mangelnden Vorverkauf dem amerikanischen Präsidenten Kennedy in die Schuhe schieben,  macht doch die Hühner lachen. Vielleicht ist man aber schon dahinter gekommen, daß der Sozialtourismus nicht mit dem Arrangement warten kann, bis die Leitung der Salzburger Festspielstadt im April geruht, Prospekte herauszubringen. Also bitte: Wenn schon provinziell, dann wenigstens mit genügend Betriebsamkeit!

 

IDOMENEO am 10. August im Neuen Festspielhaus

Im Vergleich mit anderen Salzburger Aufführungen war der Idomeneo ziemlich schwach. Was daran schuld war? Erst einmal das Stück an sich und dann noch Paul Hagers Regie. Mozarts Musik ist wunderschön, aber in den Proportionen einer Oper nicht gerade ideal. Zu viele langsame Stellen finden keinen Ausgleich in den sehr spärlichen bewegten Musiknummern. Die Regie tut nichts dazu, um die zwar schönen, aber langatmigen Ariosi und Arien wenigstens szenisch aufzulockern. Von einer Solistenregie ist kaum etwas zu merken. Und wenn man sie ahnt, so hat sie dreißigjähriges Pathos. Bei den Massenszenen wird sinnlos hin- und hergerannt und mit den Händen gerungen. Ein typisches Zeichen dafür, daß Paul Hager mit den Erfordernissen der Bühne des neuen Festspielhauses nicht zu Rande kam. Auch das Ballett machte nicht immer der Musik adäquate Bewegungen (z.B. im Finale, wo zu einer endlich bewegten Musik feierlich langsame Schreitbewegungen gemacht wurden).

Außerdem wurde unsauber getanzt, und nur ein einziges Mal gelang eine tatsächlich eindrucksvolle Leistung: bei der Huldigung für Idomeneo im Tanz der drei Paare. Als weiterer Mangel wäre zu bemerken, daß auf der Vorderbühne die Ballettschuhe schauerlich störend quietschten und daß man die Inspizientenklingel bis weit in den Zuschauerraum hinein hörte.

Es bleibt als einziges wirkliches Positivum die musikalische Leistung. Die Wiener Philharmoniker unter Ferenc Fricsay musizierten sehr schön, der Staatsopernchor sang exakt und klangvoll und die Solisten  mit Ausnahme des Idamantes gefielen samt und sonders sehr gut. Leider war Elisabeth Grümmer  als Elektra (nach dem knapp vorher gelegenen Meistersinger-Evchen in Bayreuth) in dieser Aufführung so stark indisponiert, daß sie nur in den Ensembles mitsang und sämtliche Arien und Soloszenen gestrichen wurden. Wir können Frau Grümmer daher nur danken, daß sie die Aufführung überhaupt ermöglichte. (In der im Rundfunk übertragenen Eröffnungsvorstellung war Frau Grümmer zweifellos das Ereignis der Aufführung!).

Hervorragend war diesmal Pilar Lorengar als Ilia. Sie verfügt über eine wunderschöne Stimme, technisch hervorragend geschult und hochmusikalisch eingesetzt. Die Sängerin machte außerdem durch ihre Intensität aus einer doch noch sehr im Schema „liebenden“ Königstochter verhafteten Figur einen lebenden Menschen, dem der Hörer seine Teilnahme schenkt. Ganz wunderschön sang sie die „Zefiretti lusinghieri“.

Waldemar Kmentt, vor Jahren noch der Idamantes, sang diesmal den Idomeneo. Die Partie, die ja nicht unbedingt lyrisch zu nennen ist, liegt ihm stimmlich sehr gut, und er bot eine prächtige Leistung. Das teilweise schauspielerische Pathos geht (wir kennen doch Kmentt!) sicher zu Lasten des Regisseurs.

Hätte Kmentt doch auch den Idamantes gesungen! Das, was Ernst Haefliger bot, war mehr als schlecht. Die Stimme klingt derb, hat viele technische Mängel und ist keines Ausdrucks fähig. Schauspielerische Ungeschicklichkeiten gab es am laufenden Band, und das Gehen über Stiegen macht Haefliger ziemliche Schwierigkeiten.

Die kleineren Partien waren mit Renato Capecchi (Arbaces), Eberhard Wächter (Oberpriester) und Georg Litassy (Stimme des Orakels) gut besetzt. Die Bühnenbilder Stefan Hlawas waren gut in die große Bühne gebaut (allerdings hätten die Säulen ohne weiteres der Bauchbinden entbehren können). Die  Ausleuchtung war ausgezeichnet und stimmungsvoll. Fazit der Aufführung: trotz ansprechender Einzelleistungen ein Abend, der keinen tieferen Eindruck hinterließ!

 

DON GIOVANNI am 11. August im Alten Festspielhaus

Gegenüber dem Vorjahr hat sich Don Giovanni in Einzelheiten verändert und dadurch in der Schlußszene sehr gewonnen. Leider funktioniert die Beleuchtung nicht mehr ganz korrekt, so mancher Lichteffekt kommt zu spät, und einige Szenen sind zu scharf ausgeleuchtet. Nach wie vor prächtig ist die Ballszene. Von Regie ist nicht mehr viel zu merken, aber die Sänger sind durchwegs so musikalisch, daß sie genau wissen, was Musik und Text verlangte.

Herbert von Karajan dirigierte vom ersten Takt der Ouvertüre an einen sehr dramatischen, dunklen Giovanni, vom Anfang an schon auf die Komturworte der Friedhofszene ausgerichtet und nur in den Zerlina-Szenen freundlich aufgehellt. Durch diese Auffassung ist eine Änderung der Charaktere unumgänglich: Leporello verläßt das Buffofach gänzlich, er reizt nicht mehr zum Lachen, sein Zwischenruf in die Szene mit dem Komtur ist nicht mehr Geblödel. Hier schreit die blanke Angst um das armselige Leben. Don Ottavio verliert seine allzu große Passivität und bekommt männlichere Züge. Zerlina, bedingt dadurch, daß sie ja auch zu den vorführten Frauen gehört, ist schon viel mehr bei den Figuren der Opera seria. Typisch weiblich hat sie sich auch in ihren Bewegungen einiges von den vornehmen „Donne“ abgesehen. Die prächtig spielenden Wiener Philharmoniker und das Sängerensemble halfen mit, Karajans musikalisches Konzept herrlich zu realisieren.

Für unser altbewährtes Wiener Don Giovanni-Leporello-Paar gibt es nur Worte das Lobes. Beide waren prächtig bei Stimme und ausgezeichnet im Spiel. Eberhard Wächter hat seinen unbeschwerten Giovanni abgelegt, spielt sehr hart, männlich und zeigt den Frauen gegenüber nun schon jenen Zynismus, der dieser Figur zusteht. Sehr gut ausgespielt war das „la ci darem“, die Ungeduld in Stimme und Miene beim Zögern Zerlinas. Walter Berry geht überhaupt nicht mehr auf Publikumswirksamkeit aus. Er spielt ein richtiges Galgengesicht, boshaft wie ein Teufel, dabei feig und voll Angst. Die kraftvolle Stimme paßt weit besser dazu, als zu einem komischen Kammerdiener. Leontyne Price sang die Donna Anna sehr dramatisch und mit prächtiger Stimme. Graziella Sciutti als zerlina war einfach entzückend, ein bißchen vornehm, aber mit gesundem Empfinden dafür, wie sie ihren Masetto an Bändel halten muß. Das ist aber auch ein drolliger Bursch, dieser Masetto von Rolando Panerai! Cholerisch, tolpatschig, langsam von Begriff, polternd vor Eifersucht und im nächsten Augenblick seiner Zerlina wieder rettungslos verfallen. Eines ist gefährlich bei Panerai: sein Spiel ist gerade an der Grenze, wo ein klein wenig Mehr schon unerträglich, weil maniriert wirkt. (Aber das merkt man erst, wenn man ihn zum zweiten Mal sieht und hört.) Nicola Zaccarias Komtur war richtig gesungen, hatte aber keine scharfe Profilierung, wie sie diese Rolle haben müßte. Neu im diesjährigen Festspielensemble waren Don Ottavio und Donna Elvira. Wilma Lipp hatte es nicht leicht, gegen den Schatten Elisabeth Schwarzkopf anzukämpfen. Ihre Leistung war ausgezeichnet, nur paßte die sehr dramatische, fast aggressive Rollenauffassung (warum diese Änderung gegenüber dem Vorjahr?) nicht ganz zu ihrem Stimmtimbre und zu ihrem weichen, lieblichen Gesicht. Eine sanft leidende Elvira hätte diesen Bruch zwischen Rollenauffassung und Persönlichkeit nicht aufkommen lassen. Der Don Ottavio Nicolai Geddas war eine Wohltat. Die beiden Arien wurden mit einmaliger Perfektion gesungen, dabei aber nie kalt, sondern mit viel Ausdrucksintensität. Sehr lebendige Rezitative und ein angenehmes, aktives Spiel waren weitere Positiva gegenüber dem Vorjahr.

Für diese wirklich festliche Opernaufführung spendete das Publikum begeisterten Beifall.

DER ROSENKAVALIER, am 12. August im Neuen Festspielhaus

Die vorjährige Eröffnungspremiere wurde auch heuer wieder zu einem Höhepunkt der Festspiele an der Salzach. Ein Fest für Augen und Ohren ist diese zweifellos schönste Aufführung des wienerischen Strausswerkes, die man derzeit auf einer Opernbühne sehen kann. Den Rahmen dazu bilden die prachtvollen Bühnenbilder Teo Ottos und die herrlichen Kostüme Erni Knieperts. Die Regie Rudolf Hartmanns scheint heuer noch ausgefeilter. Karl Böhm, ein profunder Kenner der Strauss’schen Werke, bot an der Spitze der prachtvoll disponierten Wiener Philharmoniker (lediglich Konzertmeister Fritz Sedlak fiel wieder aus dem Rahmen) eine faszinierende Leistung.

Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin ist der Glanzpunkt dieser Aufführung, ihre Fürstin Werdenberg ist ein Idealfall, und die Künstlerin hat mit dieser Partie einen Maßstab aufgestellt, den andere Sängerinnen derzeit nicht zu erreichen vermögen, während Frau Schwarzkopf selbst noch immer mehr in diese Partie hineinwächst. Es ist fast nicht zu glauben,  aber dennoch konnte man heuer erstaunt feststellen, daß, begünstigt durch die einmalige Akustik des Neuen Festspielhauses, jede kleinste Nuance noch vollendeter gebracht wurde. Auch in der Darstellung gewinnt sie der Partie immer wieder neue Seiten ab und alleine die Schlußszene des ersten Aktes ist jedes Mal anders und immer vollendet dargestellt. Man vermeint immer, eben jetzt habe man den schönsten und ergreifendsten Aktschluß gesehen.

Christa Ludwig ist ein gesanglich vollendeter Oktavian, ihr herrlicher samtener Mezzo kontrastiert bestens mit Frau Schwarzkopfs Silberstimme. Darstellerisch gibt sie den jungen Herren aus großem Haus sehr stürmisch und draufgängerisch. Das Mariandl ist nun auch wohltuend dezent, sodaß sie für diese Partie ebenfalls eine Idealbesetzung darstellt.

Neben diesen beiden prachtvollen, sich verströmenden Stimmen hatte es Anneliese Rothenberger nicht leicht zu bestehen. Ihr glockenreiner Sopran überzeugte jedoch in der Rosenüberreichung und besonders im Schluß-Terzett und -Duett des dritten Aktes vollends.

Otto Edelmann, ein Lerchenauer von echtem Schrot und Korn, war in guter stimmlicher Verfassung. Man merkte bei ihm deutlich die Probenarbeit, denn er gefiel uns auch heuer wieder in Salzburg wesentlich besser als im Wiener Opernalltag.

Als Faninal hörte man heuer Otto Wiener, der einen seiner Wohlhabenheit sehr bewußten Neureichen überzeugend auf die Bühne stellte und gesanglich großartig war. Diese prächtige Gesangsleistung stempelt ihn zum heute wohl besten Vertreter dieser Rolle.

Ein Ereignis für sich war Nicolai Gedda als Sänger. Im Verlaufe von zwanzig Jahren haben wir viele ausgezeichnete (und noch mehr schlechte) Sänger von Peter Anders bis Giuseppe Zampieri gehört, sie alle hat Herr Gedda übertroffen. Unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit er die immensen Schwierigkeiten dieser kurzen Partie überwindet.

Die Nebenrollen waren unterschiedlich. Schwächer als im Vorjahr das Intrigantenpaar Sieglinde Wagner und abermals Renato Ercolani, schrill Judith Hellwig, fast gesprochen der Notar von Josef Knapp, Rudolf Granzer vom Salzburger Landestheater zog sich als Polizeikommissar gut aus der Affäre, und von den beiden Haushofmeistern gefiel der bei der Feldmarschallin, Glade Peterson, weitaus besser.

Befremdend wirkte, daß der Mohr dieses Jahr sehr in die Höhe geschossen war. Man hat anscheinend wegen das Salzburger Arbeitsinspektorates, das wegen der Beschäftigung von Kindern bei den Festspielen Krach machte, diese Partie mit dem Mohren der Wiener Erstaufführung im Jahre 1911 besetzt. Es sah trotz der trippelnden Schritte danach aus.

Die Prachtaufführung wurde vom Publikum stürmisch akklamiert, und besonders beim Erscheinen von Frau Schwarzkopf, Karl Böhm und Frau Ludwig schwoll der Beifall zum Orkan an. Wie schön wäre es, diese Aufführung auch im kommenden Jahr (statt der unnötigen Paumgartner-Bearbeitung des Idomeneo) in möglichst gleicher Besetzung beizubehalten, denn ein solcher Idealfall einer Rosenkavalier-Aufführung wird sich selten wiederholen.

 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 13. August im Residenzhof

Bei arktischen Temperaturen (arme Sänger!) wurde diese Mozartoper im Hofe der Residenz gegeben. Das Bühnenbild von H.U. Schmückle war gut in den Hof eingepaßt, hatte aber als Spielfläche nur Nachteile zu bieten, da die Sänger ständig über  Stiegen steigen müssen. Aber da liegt die Schuld hierfür nicht allein beim Bühnenbildner. Es wäre bestimmt besser gewesen, die Entführung mit ordentlichen Dekorationen im Alten Festspielhaus zu spielen. Da hätte man aber das leitende Team nicht mit Herren aus der Provinz besetzen dürfen. Der Regisseur Hartleb gibt zwar hochtrabende Interviews, von einer Spielleitung war aber keine Spur zu bemerken. Im Orchesterraum saß noch dazu das Mozarteum-Orchester mit einem bemühten, aber natürlich inkompetenten Herrn Istvan Kertesz an der Spitze. So blieben die Sänger sich selbst überlassen, noch dazu in grauenhaft unkleidsamen Gewändern. (Das gewiß teure Osmin-Kostüm bestand beispielsweise aus zimt- und trerrakottafarbigem Samt mit zinnoberroter Paspolierung, dazu trug er blau-karminrot gestreifte Pumphosen - so etwas Häßliches ist nicht einmal Caspar Neher eingefallen.)

Das Sich-selbst-Überlassensein schien nur Fritz Wunderlich nichts auszumachen, der mit prächtigem Timbre stilvoll und  elegant sang, sich sogar die sonst immer gestrichene, ungemein schwierige koloraturgespickte Arie am Beginn des zweiten Aktes aufmachen ließ und sich in seiner Spielfreude auch durch die winzige Bühne nicht gehemmt fühlte. Ihm zunächst ist Renate Holm als blitzsauber singendes und wohltuend resch spielendes Blondchen zu nenne, aus der ein Regisseur von Rang wahrscheinlich noch mehr herausholen könnte. Ruth-Margareth Pütz sang die schwierigen Arien der Konstanze prächtig. Ihr typisch weißer Koloratursopran ist allerdings in den lyrischen Szenen nicht ganz so ergiebig. Ihr Spiel blieb konventionell. Ein frischer Buffo war Erwin Wohlfahrt. Der Osmin Georg Litassys war gänzlich humorlos und steif. Die Mittellage klingt angenehm, Tiefe hat er keine, dafür fehlt ihm die Höhe. Der ungarische Akzent trägt das Seinige zur Unsicherheit bei. Andreas Wolf gab wieder den Selim Bassa, von dem man Neues erfuhr: Blondchen sagt von ihm er sei gar kein echter Türke, sondern erst vor kurzem zum mohammedanischen Glauben übergetreten. Aha.

Was sich wohl die Verantwortlichen bei dieser Aufführung gedacht haben? Das werden wir wohl nie erfahren.

 

COSÌ FAN TUTTE am 14. August im Alten Festspielhaus

Man erholte sich am nächsten Tag bei dieser grandiosen Inszenierung Günther Rennerts, die die Übersiedlung dorthin nicht nur klaglos überstanden hat, sondern auch den Aberglauben widerlegt, man müsse Mozart an Einheitsschauplätzen womöglich von Badezimmergröße spielen. Nur das Publikum auf den schlechten Sitzen, die in diesem Hause ja sehr zahlreich sind, dürfte sich ins Landestheater zurückgewünscht haben! Hoffentlich setzt Paumgartner diese Inszenierung ab, damit wir sie in Wien am Ring spielen können! Es ist traumhaft, wie hier Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ineinandergreifen, wie herzhaft und ungeniert Oper gespielt und zugleich ein klein wenig persifliert wird. Hier stehen Typen auf den Brettern, die zugleich Menschen sind. Auf der Bühne, von den zart hingehauchten Dekorationen von Leni Bauer-Ecsy mehr enthüllt als verstellt, rollt ein Feuerwerk von Geist und Witz ab. Soweit das Regiekonzept. Wir haben noch hinzuzufügen, daß trotz einer in sich geschlossenen Ensembleleistung die Herren dem idealen Damentrio, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig und Graziella Sciutti, nicht gefährlich werden konnten, abgesehen von Hermann Prey, der  genug Persönlichkeit hat, um zu dem großartigen Regiekonzept auch noch selbst sehr viel an Witz und Charme beitragen zu können. Waldemar Kmentt und Karl Dönch gelang das nichtsie spielten sehr gut, was sie geprobt hatten und was ihnen sicherlich auch selbst viel Freude machte. Aber es fehlt halt doch die Eigeninitiative, und das merkt man bei mehrmaligem Sehen.

Diese Damen! Nicht genug, daß sie optisch und vom Typ her die idealen Vertreterinnen ihrer Rollen in der subtilen Abstufung Dame-Weibchen-Kätzchen darstellten, hatten sie derart viel humorvolle Neuerungen eingebaut, daß man aus dem Lachen nicht herauskam. Etwa: wann Guglielmo Fiordiligi beim Abschied einfach richtiggehend ‘anlehnt’, was sie gar nicht zu bemerken scheint und sich auf Zehenspitzen davonschleicht, wenn Dorabella ihren heftigen Schmerzensausbruch mit dramatischen Gesten abreagiert, während Fiordiligi eine zitternden Hand nach dem Riechfläschchen ausstreckt. Die Witwengewandung der beiden Damen, wobei sie gemeinsam ein schwarzes Taschentuch benützen, um ihre Tränen zu trocknen, die unbeschreibliche Miene der Schwarzkopf etwa bei dar gequälten Konversation im Garten, man könnte seitenlang aufzählen!

Das in bester Stimmung befindliche philharmonische Orchester (Horn!) war der Bühne ein gleichwertiger Partner und hüllte unter Karl Böhms liebevoller Leitung die kostbaren Stimmen in subtile Klänge. Unübertrefflich war das Zusammenwachsen von Frau Schwarzkopfs schlanker, edler Stimme und Christa Ludwigs sinnlichem Mezzo. Die Technik der beiden Damen zu rühmen, hieße Regenwasser nach Salzburg tragen. Graziella Sciutti servierte ihre Pointen stimmlich und darstellerisch in gleich rühmenswerter Weise und Hermann Prey ließ seine herrliche Stimme frei und schön strömen. Waldemar Kmentt hatte einen guten Abend. Sogar „Un aura amoroso“ gelang diesmal zufriedenstellend. Karl Dönch blieb in jeder Hinsicht angenehm dezent.

 

SIMONE BOCCANEGRA am 15. August in der Felsenreitschule

Schon beim Eintritt bemerkte man mit Erstaunen, daß George Wakhevitch die ganze Bühne mit Säulen, Arkaden und Bogen verbaut hatte. Die Funktion der Felsenreitschule schien also von vornherein in Frage gestellt, denn man hätte den ganzen Palazzo füglich auch auf die Bühne das Neuen Festspielhauses stellen können. Durch Regengetrommen wurde dann auch noch die Aufführung gestört, sodaß ganze Phrasen unhörbar waren. Auf dieser Bühne also führte Herbert Graf eine wenig originelle Regie, die sich darauf beschränkte, Statisten auf- und wieder abgehen zu lassen. Auf die Rollengestaltung der Sänger schien er wenig Einfluß genommen zu haben. Die Verwendung gleicher Türen für verschiedene Zwecke trug dazu bei, den immerhin Macht des Schicksals und Troubadour gewohnten Hörer ziemlich zu verwirren.

Die Musik des Werkes ist ein merkwürdiger Vorgriff auf die durchkomponierte Linie des Othello, ohne daß Verdi in jüngeren Jahren schon die Kraft gehabt hätte, Melos dramatisch zu machen. Eine einzige knallige mta-ta-Stelle am Ende des Vorspiels begrüßt man direkt mit Jubel.

Die langen, lyrischen Phrasen. der eigentlichen Oper waren zweifellos am besten bei Giuseppe Zampieri aufgehoben, der blühend und schön sang und dem der Gabriele Adorno auch als Typ ausgezeichnet liegt. Giorgio Tozzi erwies sich als ausgezeichneter Baß mit klangvoller Mittellage und profunder Tiefe. Die Höhe ist weniger ergiebig, und die Persönlichkeit nicht allzu stark. (Die von ihm berichteten Wunderdinge waren also übertrieben.)

Tito Gobbi in der Titelrolle war natürliche als unruhiger Korsar, liebender Vater und weiser alter Doge  darstellerisch gleich interessant, stimmlich jedoch nicht gut. Es erweist sich (nach dem Amonasro) jetzt schon zum anderen Male, daß er es mit Belcantorollen und breiten Phrasen nicht leicht hat. Die Stimme ist so hell und gerade, fast steif, daß man immer zusammenzuckt, weil man im Moment annimmt, er habe falsch intoniert. Doch erweist es sich meist als Mangel an natürlicher Schwingung. Er müßte sich schon mehr auf das reine Charakterfach  konzentrieren. Überdies war er einmal – in der Erkennungsszene – sehr ungünstig angezogen, er wirkte wie Sir John persönlich. Die übrigen Kostüme waren wieder eine Augenweide, obzwar sie düsteres Rot und Schwarz bevorzugten. Rolando Panerai ist ein so auf Anhieb sympathisch wirkender Sänger, daß man ihm den bösen Intriganten Paolo Albiani nicht recht glaubt und direkt Mitleid verspürt, wenn er im Büßerhemd zum Tode „bereitet“ wird. Leyla Gencer schließlich ist mit ihren drei verschiedenen Stimmen unserer Meinung nach nicht einmal fürs Repertoire geschweige denn für eine Festspielaufführung geeignet.

Gianandrea Gavazzeni hatte den gut studierten Chor sicher in der Hand, das Orchester weniger sicher, aber er musizierte kräftig und schwungvoll.

 

DAS BERGWERK ZU FALUN am 16. August

Die alljährliche Uraufführung bescherte uns diesmal Rudolf v. Wagner-Regonys Bergwerk zu Falun, anscheinend aus zwei Gründen ausgewählt:

1.) Weil der Text von Salzburgs Hausdichter Hugo von Hofmannsthal stammt,

2.) weil der mystische, versponnene Inhalt eine gewisse geistige Sauberkeit versprach. Der Held des Werkes hat einiges gemeinsam mit dem Holländer, dem Ahasver, auch mit dem Tannhäuser, ewig ist er der Suchende, ewig unstet, auf der Erde findet er keine Ruhe, die Tiefen der Berge tun sich für ihn auf. Man müßte glauben, daß dies wohl ein wirkungsvolles Werk abgeben müßte, und daß ein Meister da wohl auch die richtige Musik dazu finden würde. Nichts da! Inmitten einer Dutzendmusik, die weder die persönliche Handschrift eines Komponisten trägt, noch in irgend einer Beziehung zu den Figuren, zu der Sprache steht, die nur eben in einer jetzt gebräuchlichen Manier (Reihentechnik) geschrieben ist, plätschert das Geschehen hin, und man findet keine Teilnahme am Schicksal der Bühnenwelt. Aus lauter kleinem Stückwerk ist diese Musik zusammengesetzt. Man merkt zwar die Nähte nicht, aber sie bilden auch kein Ganzes. Nicht einmal die überaus zahlreich vorgenommenen Striche hinterlassen eine musikalische Lücke. Durch die Striche aber verliert aber das Werk seinen Sinn. Die Charaktere büßen ihre Geistlichkeit ein, die Mystik ist verloren, und zurück bleibt eine simple Kalendergeschichte vom untreuen Bräutigam, der die Braut am Hochzeitsmorgen verläßt. So wurde sie auch inszeniert: spießbürgerlich, realistisch und voll Sinnwidrigkeiten. Die Erscheinung der Bergkönigin war durch allzu große Intimität ihres Zaubers beraubt. Elis Fröböm, der Seemann, den es in die Tiefen das Berges zieht, kommt in allzu handgreifliche Berührung mit der Erscheinung, die sich zu ihm an den Tisch setzt. Das hätte ihm, dem Menschen, bestimmt nicht gut getan. Auch muß er zu einem Zeitpunkt über ihre Hände erschrecken, wo sie ihm schon lange damit vor dem Gesicht herumfuchtelt. Das Mädchen Ilsebill erklärt wegzugehen und setzt sich im gleichen Augenblick zu Tisch nieder. Die alte Großmutter, eine vom Dichter gütig und liebevoll gezeichnete Figur, wird von der Regie zu einer dämonischen Hexe gemacht. Dabei hat Paul Hager eine Bühnenbildnerin, die ganz zauberhaft jene irrlichternde Stimmungen, die der Regie vollständig fehlen, im Bild eingefangen hat: Leni Bauer-Ecsy. Ihre Bilder haben eigentlich nur zwei schwache Punkte: Die Verwandlung zur Halle der Bergkönigin - die Realität des Fischerdorfes bleibt leider bestehen - aber darin ist vielleicht auch die Technik des alten Hauses schuld. Und auch nicht ganz gelungen wirkt der Stollen im Berg, der zu weit geraten ist, fast wie eine Halle, und auch etwas zu hell. Alle übrigen Bilder sind ausnehmend gut gelungen und sind nicht nur Spiel- sondern auch Seelenschauplatz. Herrlich die Stube bei Dahlsjö, die eine Wand nackter Fels, mit Holz gestutzt, wie der Eingang eines Bergwerkes - es ist die Richtung, in die Elis gehen muß, wenn er erstmals in die Haus tritt.

Die musikalische Leitung Heinz Wallbergs war makellos, die Wiener Philharmoniker gaben unter seiner intensiven Leitung ihr Bestes - und das ist viel. Wallberg, der sich nun schon zwei Jahre mit Novitäten quälen muß, hätte  sich eigentlich den Figaro für nächstes Jahr damit verdient! Die Sänger bemühen sich unendlich, dem Stück wenigstens sprachlich und im Ausdruck das zu geben, was der Musik fehlt. Hermann Uhde war Elis Fröbom schon von Typ her, mit dem scharf geschnittenen Gesicht, den tief liegenden Augen,  der schlanken Figur ideal für diesen Grübler mit dem zweiten Gesicht, für diesen Träumer, der „Seine Hände ansieht und sich den fremden Mann denkt, dem sie wohl gehören“. Er konnte stimmlich und schauspielerisch überzeugen, obwohl er, sonst ein Meister im Unterspielen, breitspurig dahergehen mußte und alle Augenblicke halb oder ganz in Ohnmacht zu fallen hatte. Die Frauen um ihn waren Sieglinde Kahmann als rührend scheue Ilsebill mit hübscher Stimme, Sona Cerwena als Bergkönigin, zu dunkel im Timbre und mit scharfer Höhe, in ein gräßliches Kostüm gesteckt und zu einem uralten Venuspathos verurteilt, und Elisabeth Schwarzenberg (und nicht, wie der Kritiker Franz Endler in der Kronenzeitung schrieb, Elisabeth Schwarzkopf!) als Anna, die ergiebigste der Frauenrollen, schön gesungen und gut gespielt. Alle anderen waren eigentlich nur Stichwortbringer, so Mino Yahia, dessen schön timbrierte Stimme uns auffiel, Hilde Konetzni, Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff. Sieglinde Wagner sang scharf und steif. Max Lorenz tat einem richtig leid. Ihn haben wir doch noch als Siegfried, Florestan, Tannhäuser und Othello gehört, und nun dieses erschütternde Quälen von Wort zu Wort!

Da der Regisseur Paul Hager auf die Mithilfe seiner Familie nicht verzichten kann, mußte diesmal auch seine Tochter mit dabei sein. Es wird das völlig untalentierte Kind unglücklich machen, wenn er es durch so ermöglichte Bühnenauftritte eventuell für eine Theaterkarriere begeistert.

Als die Oper, die keinen Schluß hat, sondern einfach aufhört, vorbei war, gab es matten Anstandsapplaus.

 

DAS LETZTE WORT HAT DAS PUBLIKUM

Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 8/9

Von den sommerlichen Auslandsbesuchen heimgekehrt, betritt der erfahrene Stammbesucher stets mit Freude sein geliebtes Haus am Ring. Das Gesehene und Gehörte gibt ihm Anlaß zu Vergleichen. Und ohne uns selbst schmeicheln zu wollen, stellen wir einfach fest, daß wir trotz berechtigter Beschwerden stolz sein können auf unsere Direktion, stolz sein müssen auf unsere Künstler und stolz sein dürfen auf uns selbst. Wien hat nicht nur den größten Dirigenten unserer Zeit als Direktor, es beherbergt nicht nur alle Größen unserer Sängergeneration (Auf die bisher nicht verpflichteten, die wir so gerne hören möchten: Astrid Varnay, Joan Sutherland, Hermann Prey und Cesare Siepi warten wir weiterhin mit der uns eigenen Beharrlichkeit.), sondern auch ein Publikum, das an Begeisterung, Sachkenntnis und Liebe zur Musik kaum zu überbieten ist. Wir waren im Sommer Zeugen, wie das Auditorium an den Festspielorten gleichgültig oder selbstzufrieden in einen uniformen Einheitsapplaus ausbrach, obwohl zwischen den Darbietungen der einzelnen Künstler ganze Welten lagen. Selbstverständlich ist auch das hiesige Stammpublikum selten einer Meinung. Wo aber gibt es die Toleranz der Meinung des anderen Stammbesuchers gegenüber in dem Maße wie in Wien?

Wir waren wieder einmal tief erschrocken über den tierischen Ernst, mit dem einzelne Interessengruppen ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen suchten, ja man fürchtete sich vor handgreiflichen Auseinandersetzungen. Dabei ging es für Wiener Begriffe um diverse kleinere Probleme, die so leicht auf ruhige Weise diskutiert werden könnten. Wir sind richtig stolz auf die Wiener Opernbesucher geworden, die das Haus am Ring zu ihrem zweiten Dasein erkoren haben. Um dieses Publikum kann uns die ganze Welt beneiden, was zahlreiche große Persönlichkeiten des heutigen Theaterlebens immer und immer wieder betonen.

Das heutige Theater braucht drei Komponenten mit drei großen Machtbereichen, um stets lebendig zu bleiben: nämlich den starken Mann an der Spitze, das künstlerische Personal und das gute Publikum Die Leitung ist für die Planung, Auswahl der Werke und Engagements der Künstler verantwortlich; jene für die individuelle Interpretation und das Publikum für die Aufnahme derselben und den Widerhall, den die gebotenen Leistungen verdienen. Es ist kein Geheimnis, daß dem Künstler auf der Bühne der Beifall und damit die Würdigung seiner Leistung manchmal ebenso wichtig ist wie die Gage. In anderen Ländern bedient man sich der Claque, die bei uns hier einfach keine Daseinsberechtigung hat. Dazu ist der Österreicher zu sehr persönlich mit der Wiener Oper verbunden, als daß er sich durch Bezahlung von einem Liebhaber der Kunst zu einem händeklatschenden Handwerker degradiert.

Wiens Stammpublikum ist sich aber über seine Bedeutung und seinen Einfluß offenbar noch immer nicht ganz im Klaren. In seiner Bescheidenheit oder der aus echt Wiener Schlamperei resultierenden Lässigkeit versäumt es oft, tatkräftig selbst am Geschehen mitzuwirken. Diverse Glanzaufführungen machten es sehr verwöhnt. Wie die Hochkonjunktur die Leute nicht wegen des Geldes, sondern nur wegen der Freizeit von ihrem Rechte, einen Streik zu inszenieren, Gebrauch mache läßt, entzieht sich das Stammpublikum vor dem in jedem Opernhaus vorkommenden Repertoirealtag der Aussage, indem es einfach fernbleibt. Das ist verständlich. Aber nicht verständlich ist es, daß die breite Masse des Stammpublikums bei Gastspielen, die eventuell zu einem ständigen Engagement führen könnten, von dem Rechte ihrer Meinungsäußerung, sei es Beifalls- oder Mißfallenskundgebung nicht Gebrauch macht. Hier müßte es bereit sein mitzuarbeiten. Wer kann es einem Künstler verübeln, daß er nach dem angebotenen und angenommenen Engagement seine Pensionsberechtigung erreichen will? Ist es nicht auch unsere Schuld, daß zahlreiche Fehlengagements in den letzten Jahren zustande kamen? Hätten wir sofort bei den diversen Entdeckungen der dafür Verantwortlichen gehandelt, dann wäre uns und der Staatsoper Wien manches erspart geblieben.

Wir sehen ein, daß verdienstvolle Künstler vergangener Jahre auf den Zauber der Bühne und auf die Magie des Applauses nicht verzichten wollen, aber wir können es nicht verstehen, daß sie bis zum letzten Atemzuge schließlich einen großen Namen aufs Spiel setzen. Haben nicht selbst bei uns manche große Leistungen der Vergangenheit in der Erinnerung einen Glorienschein bekommen, der aber bei nüchterner Betrachtung auch der jetzigen Künstlergeneration gebührt?  Die Gegenwart hat wirklich auch sehr viel zu bieten!

Ist es nicht besser für das Publikum von 1961, sich mit den gegebenen Tatsachen auseinanderzusetzen und hier mit echter Begeisterung mitzubestimmen, wer die Ehre haben soll, in das Ensemble unserer Staatsoper aufgenommen zu werden? Sollte uns jemand das Recht hierfür absprechen und für vermessen halten, so können wir nur entgegnen, daß es für den einzelnen Künstler nichts Schrecklicheres geben kann, als nur vor jenen zu singen, die selbst die Kunst des Gesanges ausüben. Jeder dieser gesanglich Geschulten schwört auf seine eigene Gesangsmethode. Dem Publikum sind die gesangstechnischen Probleme der Sänger - sofern sie den akustischen Eindruck nicht gewaltig stören - nicht ausschlaggebend. Es legt das Hauptgewicht auf die künstlerische Aussage. Schließlich bringt das Publikum außer seiner Begeisterung, Erfahrung und Urteilsfähigkeit auch noch sein gutes Geld mit in die Aufführung, im Gegensatz zum Kritiker. Daher hat das Publikum das gleiche Recht, an dem Geschicke seines Hauses mitzuarbeiten wie viele sogenannte Fachleute, die das Resultat ihrer lobenden Kritiken oder übereilten Engagements dann im Opernalltag nicht miterleben.

 

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