DER SEPTEMBER 1963

8. Jahrgang, Heft 10

 

ITALIENISCHER SEPTEMBER

Die Saison begann ziemlich „klein“, mit Opern, die keine große Orchesterbesetzung erfordern, das heißt also: die Saison begann eigentlich gar nicht, sondern sie fing irgendwie an – wie immer. Es wird wohl ewig ein unerfüllbarer Wunschtraum der Wiener Musikfreunde bleiben, daß die Spielzeit der Wiener Staatsoper so wie die der Scala oder der Met mit einer pompösen Gala-Vorstellung beginnt (es muß ja keine Neuinszenierung sein wie in Milano, die Met bringt auch oft nur Auffrischungen!). Man könnte sich das Wiener Opernhaus so schön in einem Zehntel des Blumenschmuckes vorstellen, den der Opernball benötigt, mit einem Aufgebot von Brillanten, Chinchillas und Dinner-Jackets, der vielleicht nicht gerade dem österreichischen Wirtschaftswunder entspräche, aber immerhin der Position der Wiener Oper im Musikleben der Welt…aber halt! Dann erschienen die Wiener Kritiker, die an der Aufmachung des Publikums immer etwas auszusetzen haben, vielleicht im weinroten Schnürlsamtsakko, und der Effekt wäre im Eimer… Doch, um das Kapitel Kleidung bis auf weiteres zu beenden: organisatorisch müßte sich eine „Festliche Eröffnung“ ganz leicht dadurch schaffen lassen, daß Salzburg entweder um einige Tage früher schließt oder in den letzten Tagen hauptsächlich die Schauspiele oder die Mozart-Opern mit den ganz kleinen Besetzungen gibt, um den Philharmonikern ihre kurze Herbsttournee zu ermöglichen. (Daß sie in den ersten Septembertagen gern nach Griechenland fuhren, kann ihnen ja wirklich niemand übel nehmen.) Die zweite Möglichkeit wäre, daß Wien eben um ein paar Tage später zu spielen beginnt. Seit das Theater an der Wien als Sommerbühne zur Verfügung steht, ist ja der Sommer ohnehin nicht mehr die „theaterlose, schreckliche Zeit“ und wenn dortselbst statt flauer Operetten einige gut geprobte Opern mit Staatsopernnachwuchs, Wiener Symphonikern und Akademie-Kammerchor gegeben würden, könnte auch der Fremdenverkehr eine Verschiebung des Eröffnungstermines der Oper um eine oder zwei Wochen aushalten. Heuer begann es also recht bürgerlich, doch nach der ersten Woche trat eine deutliche Steigerung ein, allerdings fast nur im italienischen Fach, das von gut bis grandios reichte. Welch ein Glück, daß sich verschiedene Italiener nicht dadurch vom Singen von Mozartrollen abhalten lassen, daß der Mozartstil angeblich hier erfunden worden ist. (Wenn man Cesare Siepi oder Graziella Sciutti Mozart singen hört, hat man ohnedies den Eindruck, die Rollen seien genau für solche Stimmen und Persönlichkeiten geschrieben worden!). So profitierte auch Mozart, während Wagner und Strauss weniger mit Sängerpersönlichkeiten bedacht wurden. Zumal eine Walküre, wie die diesmal erduldete, hätte statt der verlangten Preise III höchstens die Preise der Kategorie minus eins (d. h. der Besucher muß noch eine Bonifikation bekommen!) erbringen dürfen. Die Einstufung der Vorstellungen in die neu geschaffenen Preiskategorien I – IV ist für den chronischen Opernbesucher überhaupt reichlich komisch. Die beiden Macht des Schicksals-Vorstellungen im September hatten Preise IV (die höchsten), gut. Nun folgt aber am 5. Oktober eine weitere Aufführung der Macht bei Preisen III, in der die Millionenbesetzung Stella-Cossotto-Corelli-Bastianini-Siepi und Corena angesetzt ist. Im September sangen zwar Stella-Simionato-Siepi, aber dafür einmal der sehr störende Dönch, während in der zweiten Aufführung Zampieri sang, der wahrscheinlich im Monat nicht viel mehr bezahlt bekommt, als Bergonzi für einen Abend. (Daß man die gleichen Maßstäbe anlegt, ist wieder eine andere Sache.) Wo bleibt also die Logik?

 

DIE VERKAUFTE BRAUT am 1. September

Der Vorhang hob sich nach zweimonatiger Sommerpause wieder – ein neues Opernjahr begann. Man spielte Smetanas Verkaufte Braut und verzichtete scheinbar bewußt auf eine Starbesetzung. Repertoire-Theater alten Schlages wurde dargeboten. Um es gleich vorwegzunehmen: Wenn alle Beteiligten immer mit einem derartigen Feuereifer bei der Sache sind, haben wir nichts dagegen einzuwenden. Auch das Orchester schien sich auf seinen Ruf zu besinnen und spielte so, wie wir es von ihm wohl erwarten dürfen. Miltiades Caridis brauchte eine gewisse Zeit zum Kontaktfinden. Die Ouvertüre – zuerst motorisch angetrieben – entbehrte der slawischen Fröhlichkeit. Doch bald darauf ließ der begabte Dirigent die Holzbläser die Weisen des Böhmerwaldes liebevoll wiedergeben, der Chor ging mit Freude mit und die Solisten wirkten auch in den Ensemble-Szenen mit großem Eifer. Gerda Scheyrer trat ungemein natürlich auf. Die Stimme klang frisch und von einer Reserviertheit in gesanglicher Hinsicht (wie das oft bei der Sängerin der Fall ist) war nichts zu verspüren. Man hörte, daß sie mit Gefühl beteiligt war. Aus ihrer großen Arie sprach auch das Herz. Ein vorzüglicher Partner war Waldemar Kmentt als Hans, der sich in ausgezeichneter stimmlicher Disposition befand. Lediglich in seiner Arie gab er etwas zu viel Stimme, was aber keineswegs seine sehr gute Leistung beeinträchtigte. Oskar Czerwenka als Kezal konnte da nicht ganz mithalten. Natürlich ist sein Heiratsvermittler eine saftige schauspielerische Leistung, das haben wir immer festgestellt, aber mit seiner Stimme ist etwas nicht in Ordnung. Es darf nicht vorkommen, daß die rollende, dunkle Stimme eines Choristen mehr Aufmerksamkeit erregt als die des Solisten. Zugegeben, Herr Czerwenka gab sich alle erdenkliche Mühe, aber die Anstrengung, mit der er die Höhen erklomm, war störend. Er besitzt eben nicht das nötige stimmliche Fundament für den Kezal. Ein einziger schwacher Trost für ihn: welcher Weltklasse-Baß hat heute schon Zeit und Muße für diese Partie? Dukaten kann man mit dieser Rolle kaum verdienen! In den Nebenrollen fiel Hilde Konetzni mit ihrer voluminösen Stimme auf. Sie, die selbst vor Jahren eine herrliche Marie sang, war der ruhende Pol im Sextett. Hans Braun und Dagmar Hermann bewiesen Routine, Tugomir Franc hingegen zeigte auch Stimme. Der Zirkus stand im Zeichen von Erich Kunz, der mit galanter Geste den neuen Direktor begrüßte, wie üblich einen Hieb gegen Karajan losließ und sofort den richtigen Mann als seinen Bären erkannte, nämlich Murray Dickie, dessen Charme und Stimme animierend wirkten. Olivera Miljakovic als Esmeralda veranlaßte die Orchestermitglieder, unablässig Blicke auf die Bühne zu werfen, wofür wir volles Verständnis hatten. So entzückend wie sie aussah, sang sie auch. Die Entwicklung der Sängerin ist zu beachten. Nach Schluß der Aufführung beklatschte das Publikum die Künstler herzlich. Die Saison begann (trotz der ausgefallenen Stückwahl) mit guten Vorzeichen.

ARIADNE AUF NAXOS am 2. September

Die erste Strauss-Aufführung im Strauss-Jahr war mit zwei Ausnahmen nicht sehr festlich besetzt. Daß auch von Seiten der Direktion diese Inszenierung ohnehin nicht mehr zu den Aktiva gezählt wird, beweist die Tatsache, daß man die Ariadne im Strauss-Zyklus im Juni nicht zeigen wird. Es wäre ohnehin an der Zeit, entweder eine Neuinszenierung (eventuell im kleinen Haus an der Wien) herauszubringen oder die kommende Salzburger Festspielaufführung nach Wien zu transferieren. Das Ereignis des Abends hieß Ariadne, in Gestalt von Leonie Rysanek. Die Künstlerin bot eine herrliche gesangliche Leistung und dürfte zur Zeit in dieser Partie (in der stimmlichen Glanzverfassung, in der sie antrat) konkurrenzlos sein. Man freut sich, eine derart große und doch zartester Piani fähige Stimme in einer der schönsten Strauss-Frauengestalten zu hören. So fand denn Frau Rysanek auch den stärksten Beifall des Abends. Neben ihr verdient zuerst Ruth-Margaret Pütz als Zerbinetta genannt zu werden, die die heikle Partie fast makellos meisterte. Es ist sehr angenehm, als Zerbinetta eine Sängerin mit kraftvoller Mittellage zu hören, heutzutage eine Seltenheit! Für gewöhnlich muß man sich bei den Vertreterinnen dieser Partie mit einigen schönen Koloraturtrillern zufrieden geben. Das Übrige fiel sehr ab. Da  war zuerst im Vorspiel die entfesselte Irmgard Seefried mit einem völlig verzeichneten Komponisten, der von ihr mit wilder Gestik und in schlechter Stimmverfassung nicht gemeistert werden konnte. Das Trommeln an die Brust und das Andenkopfschlagen in wildester Verzweiflung wirken peinlich. Es ist bedauerlich, daß immer wieder festgestellt werden muß, wie unkontrolliert Frau Seefried ihre Rollen auf die Bretter stellt. Wie ganz anders war sie doch im Jänner 1944 in der Neuinszenierung unter Böhm oder 1947 unter Krips! Heute geht es einem auf die Nerven, und lauter Beifall des Publikums sollte die Künstlerin nicht täuschen! Bei dieser Partie stimmt etwas nicht! Paul Schöffler setzte seine große Persönlichkeit und Erfahrung sowie seine noch vorhandenen Stimmreste für den Musiklehrer ein. In der Maske war er zu greisenhaft. An Stelle von James McCracken sang Walter Geisler den Bacchus, und mit ihm zog die deutsche Provinz wieder einmal auf der Insel Naxos ein. Wir haben zwei gute Vertreter des Bacchus im Haus, Usunow und McCracken, könnten aber durchaus auch Jess Thomas (nicht nur als Bacchus, sondern auch in Wagnerpartien!) brauchen, sodaß man beim Einspringen eines Geisler von Haus aus nicht froh ist. Die Nebenrollen nur durchschnittlich und leider mehr unterdurchschnittlich besetzt. Am Pult stand Heinz Wallberg, dessen musikalische Leitung nur routiniert war. Das Orchester schien nicht in bester Verfassung gewesen zu sein.

LA TRAVIATA am 3. September

Mit großen Hoffnungen ging man ins Haus, verließ es jedoch mit großer Enttäuschung. Dabei begann die Tragödie schon beim Vorspiel zum ersten Akt. Heinz Wallberg, von uns einst sehr geschätzt, dirigierte mit einer Tiefgründigkeit, daß man unwillkürlich an Isoldens Liebestod denken mußte. Und dabei blieb es den ganzen Abend. Er versuchte aus der Traviata ein deutsches Drama à la Kabale und Liebe zu machen. Verdi dirigiert man nicht mit Verstand und Tiefenpsychologie, sondern mit Gefühl. Nun, gefühlt hat der „General“ aus Wiesbaden gar nichts, denn sonst hätte er die Stimmen, vor allem in den Ensembleszenen, nicht so zerdroschen. Das mta-ta feierte einen Triumph im negativen Sinn. Anna Moffo sang die Titelpartie, und die Schallplatte blieb ihr größter Widersacher. Sie sieht faszinierend aus, ist groß, schlank und hat beredte Hände, außerdem eine große tragfähige Stimme, die allerdings nur dann klingt, wenn sie nicht forciert wird. Mit einigen wunderschönen Kopftönen, die sie schon als Ännchen in der Falstaff-Produktion Karajans besaß, kommt man bei der Violetta Valery nicht durch. Fast schien es uns, als würde die Stimme mit Gewalt eingesetzt, was Hysterie verriet. War Violetta hysterisch? Nach ihrer guten Gilda war Anna Moffo diesmal eine herbe Enttäuschung. Die Erwartungen waren wieder einmal zu hoch gespannt. Regolo Romani (Alfred) entpuppte sich als blutiger Anfänger, der außer einer harten Stimme nichts mitbrachte. Unbekümmert und mit der rechten Hand die Tonhöhe anzeigend, versuchte er sich durch eine Partie durchzuwursteln, die er einfach nicht beherrschen konnte. Von einer Phrasierung oder Rollenauffassung konnte keine Rede sein. Er sang darauf los, wobei nur einzelne Töne der oberen Mittellage durchkamen. Die wenigen exponierten Lagen der Gesangspartie klangen flach und rutschten dem Sänger in die Kehle. Von der Eleganz, die nun einmal der Alfred verlangt, war nichts zu bemerken. Regolo Romani darf für sich in Anspruch nehmen, daß er der schlechteste Alfredo in diesem Hause war. Mögen uns weitere Versucher erspart bleiben! Den besten Verdistil hatte Kostas Paskalis als Vater Germont. Uneingeschränktes Lob würde ihm gebühren, wenn er nicht an zwei Stellen seiner Arie ins Forcieren gekommen wäre. Dennoch wollen wir seiner Leistung Anerkennung zollen. Sein Theaterinstinkt und seine Spontaneität ließen die aufgezeigten Schwächen bedeutungslos erscheinen. Er war zweifellos (trotz des berühmten Namens Anna Moffo) der Sänger, der Verdi verstand und in seiner Rolle aufging. Erschreckend schwach sang der Chor im ersten Akt, wo man auf der Galerie nur die Mundbewegungen der einzelnen Choristen wahrnahm. In den Nebenrollen war das teilweise überalterte Ensemble beschäftigt. Die Sänger müssen ja irgendwie ihre Abende abdienen, wenn es auch dem Werke nicht dient! Das breite Publikum fand Gefallen an der Aufführung. Es applaudierte sogar nach der Arie des Alfred, was aber mit Recht sofort niedergezischt wurde. Glücklicher Regolo Romani! In Parma hätte es wahrscheinlich Paradeiser geregnet.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. September im Redoutensaal

Die ursprünglich angesetzte Aufführung von Così fan tutte mußte wegen mehrfacher Erkrankungen ausfallen, und man gab den Figaro. Diese Änderung verschaffte uns die Bekanntschaft mit Pilar Lorengar, die zum ersten Mal in Wien in der Oper sang. Frau Lorengar (Gräfin) verfügt über eine herrliche und weit ausschwingende Stimme und einwandfreie Gesangstechnik. Jede in Wien gastierende Gräfin muß natürlich gegen die großen Vorbilder ansingen. Daß Frau Lorengar in Ehren bestand, spricht für sie. Gewisse darstellerische Feinheiten wird sie sich noch aneignen, und Wien sollte jetzt schon die hochbegabte Sängerin gut im Auge behalten. Von bezaubernder Natürlichkeit war die Susanna von Graziella Sciutti. Mit ihrer glockenreinen Stimme, ihrer makellosen Gesangstechnik und vollendeten Phrasierung war sie absolute Weltklasse. Ebenbürtig auch der Erzkomödiant Giuseppe Taddei (Figaro), der seine herrliche, weiche und doch strahlkräftige Baritonstimme vorzüglich unter Kontrolle hat und dem Figaro zahlreiche Glanzlichter aufsetzte. Neben den Klassesängern zu bestehen, war natürlich für Hans Braun (Graf) und Margareta Sjöstedt (Cherubino) trotz dem Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel unmöglich. Besonders Herr Braun wirkte deplaciert. Bei den kleineren Partien fiel Ira Malaniuk (Marcellina) angenehm auf, was man von den anderen Mitwirkenden Oskar Czerwenka, Peter Klein, Hugo Meyer-Welfing, Franz Bierbach und Liselotte Maikl durchaus nicht behaupten kann. Die musikalische Leitung des Abends hatte Miltiades Caridis, der sich um eine exakte Wiedergabe bemühte, aber meilenweit davon entfernt war, Mozarts geniales Werk in seiner ganzen Schönheit zu erschließen. Der Klang des Orchesters war oft dick und undurchsichtig und von einer unnötigen Härte. Schwebende Leichtigkeit stellte sich nicht im Entferntesten ein. Dank der vorzüglichen Leistungen von Pilar Lorengar, Graziella Sciutti und Giuseppe Taddei dennoch ein hörens- und sehenswerter Abend.

DER ROSENKAVALIER am 4. September (Kongreß, nur Stehplätze kamen zum öffentlichen Verkauf).

Leider wurde von den zum Verkauf gekommenen Stehplätzen nur wenig Gebrauch gemacht. Schade, Claire Watson war es wert, gehört zu werden. Nicht nur ihr vornehmes, überzeugendes Spiel, der anmutige Anblick, sondern – was wirklich erstaunlich war – der gekonnt wienerische Dialekt stempelten sie zu einer der besten Marschallinnen, die wir im Haus am Ring hörten. Die große Stimme hat an Wärme gewonnen und ihre Gesangstechnik erlaubte es ihr, alle Schwierigkeiten der Partie zu meistern. So gelang auch die heikle Schlußszene des ersten Aktes (silberne Rose) ausgezeichnet. Ein sehr erfolgreiches Gastspiel, dem man ein breiteres, interessierteres Publikum gewünscht hätte und nicht einen hineingeschleusten Kongreß! Melitta Muszely war der zweite Gast der Aufführung. Ihre Sophie war korrekt, mit fast zu großer Stimme gesungen. Darstellerisch war sie natürlich und bezaubernd anzusehen. Ihr Spiel verriet den angeborenen Wiener Charme, aber ist Frau Muszely, nach dem Stimmumfang zu schließen, nicht schon über dieses Rollenfach hinaus? Zwischen beiden Damen stand Irmgard Seefried als Oktavian, stimmlich den beiden Gästen gegenüber abfallend. Die Stimme ist in der Höhe begrenzt. Darüber kann keine noch so dick aufgetragene Spielastik hinwegtäuschen. Wie sehr spielt Frau Seefried an der Rolle vorbei! Als Beispiel möchten wir nur die Schlußszene in Erinnerung bringen. Oktavian hat laut Anweisung des Komponisten der Marschallin beim Abschied wehmütig nachzublicken. Was aber tut Frau Seefried? Sie stellt sich der Marschallin beim Verlassen des Beisels wie ein Verkehrpolizist entgegen, und damit sind Poesie und Adel, die Oktavian so reizvoll erscheinen lassen, beim Teufel. Als dritter, aber noch nicht letzter Gast, war Hetty Plümacher als Annina eingesetzt, die sich dem Ensemble einordnete und nicht aus dem Rahmen fiel, was man von Karl Dönch als Faninal abermals nicht behaupten konnte. Wie immer zepperlt er mit demütig gekrümmtem Rücken über die Bretter des Faninalschen Palais. (Baculus in allen übrigen Partien!) Dazu hörte man eine schlechte gesangliche Leistung mit steifer Stimme und viel Gesprochenem statt Gesungenem. Otto Edelmann war der humorvolle Ochs, der durch ausgefeilte Darstellung und Pointierung des Textes gefallen konnte. Man merkte noch deutlich die Salzburger Probenarbeit. Karl Terkal bot als Sänger eine brave Durchschnittsleistung. Gerhard Stolze, Judith Hellwig, Karl Friedrich u. a. ergänzten das Ensemble. Vierter und letzter Gast schließlich: Günther Wich am Pult. Er entledigte sich seiner Aufgabe mit Freude und Ambition. Das Orchester war ihm sichtlich gewogen und folgte seinen Anweisungen. Manchmal waren die Tempi etwas zu angespannt und dadurch einzelne Details (zweiter Akt) zu wenig ausgearbeitet.

CARMEN am 5. September

Die Aufführung hatte verhältnismäßig wenig südliche Glut, und von Persönlichkeiten wimmelte es auf der Bühne auch nicht gerade. Aber sie war immerhin passabel. Miltiades Caridis weckte das schlummernde Substituten-Orchester sehr energisch auf und ließ im Verlaufe des Abends keinen Augenblick in seiner Aufmerksamkeit nach, sodaß er berechtigte Einzelerfolge erzielte. Nicht unerhebliche Kämpfe hatte der wackere junge Mann mit dem Chor auszufechten, bevor er parierte. (Speziell die Tenöre schmeißen den Auftritt von Sevillas jungen Gecken chronisch). Biserka Cvejic singt die Carmen tadellos, mit sehr viel Gefühl für Phrase und Gesangslinie. Die Stimme klingt schön und hat auch genügend Ausdruck. Auf der Bühne wirkt sie allerdings ziemlich bieder. Gerda Scheyrer hatte mit einer schön und ausdrucksvoll gesungenen Micaela-Arie den größten Applaus des Abends. Im Duett des ersten Aktes war sie weniger gut, vielleicht durch die Einwirkung des erneut gastierenden Lubomir Buderov (Don José), dessen Stimme ziemlich viele, echte slawische Härten aufweist. Mangelnde Technik kompensiert er auch mit nichts anderem, und so kann man ihm kein besseres Zeugnis ausstellen, als daß er gerade anging. Der fleißige Kostas Paskalis hat sich wohl etwas zu früh auf den Escamillo gestürzt, denn die Partie liegt ihm viel zu tief. Wenn er die Stimme dann gewaltsam aus den für ihn derzeit unerreichbaren Tiefen des Toreroliedes hinaufreißt, stimmt die Intonation auch oben um ein paar Hertz nicht. Im dritten und vierten Akt sang er zwar gut und auf Linie, aber beim Toreador kommt es nun einmal auf das Auftrittslied an. Mit der Rolle selbst hatte er allerdings nicht die geringsten Schwierigkeiten. Erfahrungsgemäß spielen die Naturburschen aus dem Süden den Escamillo instinktiv völlig richtig, während schon mancher seriöse Mitteleuropäer darin ziemlich von des Gedankens Blässe angekränkelt war. Die Damen Lotte Rysanek, Margarita Sjöstedt und Herr Frederick Guthrie sangen ihre kleineren Partien gut. Die Herren Murray Dickie und Harald Pröglhöf sind offensichtlich in den Rollen der Schmuggler zu oft als „unauffällig gut“ gelobt worden, denn diesmal hauten sie kräftig auf die Stimmen, was nicht sehr ebenmäßig klang. Herrn Siegfried Rudolf Frese (Morales) muß man trotz der kleinen Partie gesondert einige Worte widmen. Der Referent des Abends gesteht, bei der Morales-Szene im ersten Akt einen Lachkrampf bekommen zu haben, obzwar das Resultat eher traurig war. Aber die Anstrengungen Herrn Freses, mit dieser Stimme die italienische Technik zu kopieren, bei der die Bruststimme in ihrer ganzen Breite auch in die höheren Lagen hinaufgezogen wird, verrieten ein derartiges Maß von Selbstüberschätzung und totaler Ahnungslosigkeit, dazu eine gesunde Portion Präpotenz (Was der Siepi kann, kann ich schon lange!…), daß man nur sagen kann, Herr Frese sei in kürzester Zeit ein echtes Mitglied des „Heimischen Ensembles wie wir es uns nicht vorstellen“, geworden.

BALLETTABEND am 6. September

MADAMA BUTTERFLY am 7. September

Angenehm war man von der Wiedergabe des Werkes durch Miltiades Caridis überrascht, der zügig und sehr rhythmisch dirigierte, Einsätze gab und tatsächlich für die Solisten eine Stütze war. Dazu hatte er es wirklich nicht leicht, da das vorgesehene Liebespaar durch ein anderes ersetzt wurde. Statt Frau Scheyrer sang Lotte Rysanek, an Stelle von Herrn Lorenzi Karl Terkal. Lotte Rysanek spielte die Butterfly, sie ist es aber nicht. Es fehlt ihr das innere Erleben. Man spürte zu sehr die Maske. In gesanglicher Hinsicht hatte sie sehr schöne Momente (Auftritt und Liebesduett), während „Un bel dì vedremo“ ohne Linie gesungen war. Zu sehr gibt sich die Sängerin bei einzelnen Tönen aus, wodurch ihr die Kraft für eine geschlossene Gesangsleistung fehlt. Karl Terkal sang mit seiner hellen Stimme einen für seine Verhältnisse guten Pinkerton. Leider wirkte er gar nicht selbstsicher und stand recht unbeweglich herum. Gestaltungskraft ist eine Gabe und auch höher dotierte Kollegen besitzen sie nicht immer. Aber so bar jeden Ausdrucks darf man nicht singen. Wäre Cho-Cho-San bei den fordernden „Vieni, vieni“ sanft entschlummert, wir hätten es ihr nicht übel nehmen können. Wie man auf einer Opernbühne agieren und singen soll, bewies Giuseppe Taddei, der als Sharpless einen hervorragenden Eindruck hinterließ. Stimmtimbre und die Art des Vortrages decken sich genau mit der Figur. In der letzten Szene spürte man das Unbehagen, dabei gewesen zu sein, und das aufrichtige Mitleid mit dem Schicksal der kleinen Japanerin. Margarita Lilowa als Suzuki war die Personifikation einer treuen Dienerin. Man glaubte die Partie erstmals richtig gesungen zu hören. Die Stimme ist voller und runder geworden und verrät außerdem eine innere Spannung, die die Künstlerin außergewöhnlich macht. Frau Lilowa verspricht sehr viel für die Zukunft! Ansonsten bot Peter Klein eine profilierte Charakterstudie des Goro. Alois Pernerstorfer mimte auf Schwarzalberichart den Onkel Bonze (peitschenschwingend und mit grimmiger Geste) und Karl Friedrich freite umsonst um die Gunst der kleinen Cho-Cho-San. Ein Abend, an dem sich die Hauptrollenträger (Rysanek und Terkal) mit Anstand aus der Affäre zogen, die Nebenrollenträger (Lilowa und Taddei) aber das Erlebnis bedeuteten und Miltiades Caridis erneut einen Beweis seines großen Talentes lieferte. Ein Opernbesuch, der sich lohnte!

TOSCA am 8. September

Oliviero de Fabritiis, der Dirigent des Abends, ist eine Art italienischer Moralt. Lyrische Szenen können schrecklich langsam und manchmal direkt langweilig sein, doch sofort stellen sich bei dramatischen Stellen gesunde Steigerungen und recht energische Ausbrüche ein. An diesem Abend war es aber wirklich zu langsam, denn wenn ein Gesangskünstler vom Range Carlo Bergonzis in die Sternen-Arie zwei Schluchzer einbauen muß und ihm noch dazu ein leichter Kratzer passiert, dann ist wahrscheinlich das Tempo dran schuld. Auch Leonie Rysaneks Stimme klang beim Gebet unruhig und zu stark abgedunkelt, sodaß sie zum Schluß nicht richtig in die Höhe kam. Auch hier also die gleiche Erscheinung. Im übrigen waren die beiden genannten Künstler bestens bei Stimme. Bergonzi erfreute nicht nur durch Gesangskultur und subtile Phrasierung, sondern auch durch kraftvolle und metallische Spitzentöne. Leonie Rysaneks gewaltige Stimme klang ausgeruht, frisch und mit enormer Energie geladen. Giuseppe Taddei ist die absolut ideale Verkörperung des Scarpia, den er mit gefährlichem Charme und eiskaltem Raffinement in der Maske des Biedermannes ausstattet. Stimmlich ist er in dieser Rolle entweder sehr gut oder großartig. (Diesmal war er großartig). Hans Braun, Ludwig Welter und Kurt Equiluz sangen die kleineren Rollen. Letzterer ist als Spoletta angenehm dezent. So dezent aber, im dritten Akt fast gar nicht mehr auf die Bühne zu kommen, hätte er wiederum nicht sein müssen.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 9. September

Die Aufführung war von mäßiger Qualität und rechtfertigte nur knapp die Preiskategorie II. Interessant war eigentlich nur das Rollendebüt Olivera Miljakovic als Blondchen. Die junge Künstlerin konnte trotz begreiflicher Nervosität eine wirklich solide und gute Leistung bieten. Bei der ersten Arie wurde zwar vor Angst das hohe e etwas scharf, aber „Welche Wonne, welche Lust“ war technisch und musikalisch einwandfrei. Staunenswert die wirklich gute Prosa, klar verständlich und ohne allzu großen Akzent, dagegen ist beim Singen der Text kaum verständlich. Dem müßte aber abzuhelfen sein. Ludwig Welters Osmin war drollig und liebenswürdig. Murray Dickie sang Pedrillos Mitternachtsständchen sehr hübsch, aber damit wären die Positiva der Aufführung schon erledigt. Reinhold Bartel, dem Vernehmen nach aus Wiesbaden, bemühte sich nach Kräften um den Belmonte, erreichte aber bestenfalls Salzburgs Festspielaufführungsniveau, was kein Maßstab für die Wiener Staatsoper sein dürfte. Mimi Coertse ließ sich indisponiert entschuldigen, sang aber die Konstanze wie üblich mit vielen Schärfen und ohne Stilgefühl. Das Letzte an Zumutbarkeit war Herrn Gustav Elgers Bassa Selim. In sprachlicher Hinsicht unzulänglich, läßt sich sein Engagement nicht einmal mit seinem Aussehen begründen. Heinz Wallberg musizierte mit dem Substitutenorchester und hielt gutes Niveau.

AIDA am 10. September

Der erste Höhepunkt der neuen Saison war die Verdi-Aufführung an diesem Tag. Oliviero de Fabritiis dirigierte zwar bedächtig, aber die musikalischen Highlights kamen von selbst. Das Substitutenorchester schlug sich prächtig. Der Chor überraschte ebenfalls mit einer nicht alltäglichen Leistung. Ganz großartig waren Bergonzi, Stella und Taddei. Carlo Bergonzi sang eine „Celeste Aida“, die wir so vollendet in diesem Hause noch nie gehört haben. Zum ersten Mal verstanden wir die Bezeichnung Verdis: „Romanze“. Es war das Liebesgeständnis an Aida. Ein Geständnis von Liebe zum Belcanto für das Publikum. Nur so und nicht anders sollte diese Arie gesungen werden! Tosender Beifall von Seiten des Auditoriums für den Tenor! Die Stimme hatte Geschmeidigkeit und Kraft. Kraft auch für die Triumphszene und den Nilakt. Bergonzi war mitreißend im Ausdruck und überwältigend in den lyrischen Stellen, die mühelos und prächtig moduliert aus seiner Kehle entströmten. Kurz ein Feldherr des Gefühls und der Intelligenz, der sämtliche Radames, die meistens entweder mit Kraft oder Impetus gesungen werden, verblassen ließ, stand hier vor uns. Großartig ebenfalls Antonietta Stella, deren voller und üppiger Sopran – jedes dramatischen Ausdrucks gewachsen und dennoch der Pianokultur fähig – sich besonders für die Aida eignet. Giuseppe Taddei lieh dem Amonasro sein ganzes Komödiantenblut. Jede Szene voll ausfüllend, imponierte er sowohl durch die Wucht des Organs als auch die gekonnte Art des Vortrages. Taddei läßt seine Stimme frei strömen und das satte Timbre seines Baritons besitzt Seltenheitswert. Gegen diese überragenden Leistungen hatte es Giulietta Simionato als Amneris diesmal nicht leicht. Als Pharaonentochter weltberühmt und fast konkurrenzlos, war sie an diesem Abend nicht bestens disponiert, der Glanz ihrer Spitzentöne zwar vorhanden, die Tiefe ebenfalls von pastoser Schönheit, doch fehlte es der Mittellage an Kraft, so daß Passagen dünn gesungen waren und sich dabei scharfe Töne einschlichen. Auch ein Weltstar wie la Simionato ist von der Tagesform abhängig. Walter Kreppel sang mit seinem Riesenorgan einen düsteren Ramphis, Kurt Equiluz einen Boten, der vor dem König keine epileptischen Anfälle hatte. Der Pharao wurde von Ludwig Welter verkörpert. Ein Abend, der in seiner Gesamtheit zahlreiche Festival-Perfomances des heurigen Sommers in den Schatten stellte! Wiens Opernfans erkannten den Wert der Aufführung, und der Jubel des Publikums erreichte Hitzegrade tropischen Charakters.

BALLETTABEND am 11. September

DON GIOVANNI am 12. September

Die vier Giovanni-Aufführungen dieses Monats tragen im Prinzip bereits Stagione-Charakter in sich, und in dieser Richtung konsequent weiterzuarbeiten, würde sich wahrscheinlich lohnen. Allerdings: Die Besetzung dürfte nicht so wie bei Repertoireaufführungen, wo sie 14 Tage vorher notdürftig zusammengestoppelt wird, erstellt werden, sondern nach gründlicher Planung und vor allem gleichwertig. Man hätte schon früher daran denken müssen, daß Herr Wunderlich und Frau Lipp in Südamerika sind, daß Frau Güden nach einem Salzburger Sommer auf Urlaub gehen will und daß Frau Price im Herbst gar nicht in Wien singt. Man hätte auch daran denken müssen, daß ein Siepi und Corena eine ihnen nicht gleichwertige Umgebung erbarmungslos, wenn auch sicherlich unabsichtlich, deklassieren. Daher ist eine Besetzung zweier weiblicher Hauptrollen mit Teresa Stich-Randall und Mimi Coertse (noch dazu bei der höchsten Preiskategorie!), nicht angängig. Die steife Vogelstimme von Frau Stich-Randall und das unruhige, glasige Organ von Frau Coertse waren eine arge Belastung des ansonsten schönen Mozartabends. (Ein so schreckliches Nichtzusammenpassen von Stimmen wie im Maskenterzett haben wir fast noch nie in unserem Leben vernommen.) Und letzten Endes muß man sich fragen, wie ein Klassedirigent wie Josef Krips dazukommt? Für den Karajan-Giovanni (24. 9.) konnte Frau Güden kommen, konnte Claire Watson die Donna Anna singen, ja konnte sogar Rolando Panerai aufkreuzen? Nun wird man in der Direktion wahrscheinlich sagen, Karajan sei eben Karajan und er wünsche seine Starbesetzungen. Professor Krips hingegen betone – wie auch andere Dirigenten von Format – stets seine Bindung an das Ensemble-Theater und sei auch in den Theater an der Wien-Tagen ein Förderer und Baumeister des Ensembles gewesen. Doch das war 1947 und mittlerweile hat er – wenn überhaupt Oper – dann Stagione dirigiert und ist wahrscheinlich auf den Geschmack gekommen. Übrigens möchten wir einen Dirigenten von Rang sehen, der trotz aller theoretischen Ensemble-Reden nicht praktisch eine sündteure Starbesetzung vorzöge und nicht verstimmt ist, wenn er sie nicht bekommt. Verhüte Gott, daß Professor Krips in Zukunft jemals verstimmt oder auch nur unzufrieden ist. Wie wir ihn brauchen, zeigt dieser September. Josef Krips dirigierte also Don Giovanni mit dem ihm eigenen musikantischen Temperament, mit dem Gefühl für Stil und Linie, das wir in vergangenen Jahren bei vielen Mozart-Aufführungen leider vermißten und einer – wie bereits gesagt – gemischten Besetzung. Cesare Siepi stand im Mittelpunkt des Abends, mit traumhafter Beherrschung der herrlichen Stimme, die Lockung und Verachtung, Übermut und Zorn ebenso ausdrücken kann, wie Zärtlichkeit und Schrecken. Fernando Corenas Leporello sekundierte blendend. Seine Phrasierung ist untadelig, sein Mozart-Stil ein Genuß (das Rezitativgeplapper vor der Champagner-Arie ist z. B. ein reines Vergnügen!) und sein Spiel von dezentem Humor und pfiffiger Liebenswürdigkeit. Graziella Sciutti, ihres Premierenmasetto beraubt, sang auch in der Isolierung eine stilvolle und beseelt-charmante Zerlina. Masetto war nach langer Pause wieder Ljubomir Pantscheff, der zwar die nötigen tiefen Töne mitbringt, aber sonst ziemlich farblos blieb. Anton Dermota, der leider nicht mehr zu den Verläßlichsten zählt, hatte in der ersten Arie etliche Schrecksekunden, sang aber die zweite vorzüglich. Walter Kreppel war der stimmgewaltige Komtur. Teresa Stich-Randall ist zwar stilistisch eine Mozartsängerin, nicht aber stimmlich. Ihr kaltes Timbre und ihre steifen, seelenlosen Koloraturen sind schon ein Handicap, noch mehr aber ihr schrilles, durchdringendes forte. Mimi Coertse hingegen ist der Rolle zwar technisch nicht aber stilistisch gewachsen, denn ihre Phrasierung ist derart leblos und uninteressant. Ein solcher Kontaktmangel ist direkt erschreckend. Überdies fängt sie die Elvira stets gut an. Die Stimme wird aber im Verlaufe des Abends immer gläserner und unschöner. Die Sängerin galt noch vor wenigen Jahren als große Hoffnung. Wenn sie aber weiterhin ihre Karriere mit Propaganda wie Rosenzucht und „Irish Whiskey“-Club-Besuchen vorwärtstreiben will, wird es wohl schief gehen.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 13. September

Sogar Brittens Sommernachtstraum erfreute sich im Zuge von Fremdenverkehr und Messewoche eines verhältnismäßig gut besetzten Hauses. Wilhelm Brückner-Rüggeberg dirigierte das Stück jetzt schon mit selbstverständlicher Sicherheit. Die Aufführung ist – nach mehreren Umbesetzungen – nicht mehr so geschlossen wie bei der Premiere. Der persönlichkeitsstarke Oberon Gerhard Stolzes, der Zettel von Erich Kunz, der Peter Sequenz von Ludwig Welter und der Demetrius von Robert Kerns, der zwar ein ziemlich undefinierbares Timbre hat, aber sicher und wohlgeformt singt, waren die profiliertesten Leistungen des Abends. Stimmlich konnten auch Ermanno Lorenzi, Biserka Cvejic und Tugomir Franz gefallen, sowie in einigem Abstand die in größeren Rollen noch recht farblose Laurence Dutoit. Teresa Stich-Randall merkte man die Strapazen der tags zuvor gesungenen Donna Anna an, und Dagmar Hermanns Tremolo war schon recht undezent. Wie üblich kam das Publikum erst beim Rüpelspiel so richtig in Schwung, an dessen Gelingen außer den beiden bereits Genannten auch noch die Herren Ferry Gruber, Ljubomir Pantscheff, Hans Braun und Peter Klein bestens beteiligt waren. Erich Kunz fühlt sich in der Rolle des Zettel übrigens bereits so zu Hause, daß er zu extemporieren anfängt. So brummte er auf die Frage Thispens „Feinsliebchen, bist du tot„ vernehmlich „Aber wo“. Und man muß nicht erst „Bei Shakespeare nachschlagen“, um demnächst den ersten Direktoren-Witz zu erwarten.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 14. September

Das Schicksal verschlägt wie jedes Jahr die erste italienische Sängergarnitur nach Wien. Die Macht der Stimmen versetzt das Publikum in höhere Sphären und Verdi, dessen Gedenkjahr heuer gefeiert wird, ist der Nutznießer. Wir erleben Vorstellungen, die (man möge uns nicht des Größenwahns zeihen) man derzeit auf keiner Bühne, vor allem nicht im deutschen Sprachraum, sehen und hören kann. Die Macht der Stimmen allein läßt Moderegisseure und Bühnenexperimente zu Nebensächlichkeiten verblassen, die zwar zum Begriff „Opera“ gehören, aber nicht den Erfolg ausmachen. Carlo Bergonzi z.B. sang einen Alvaro, dem der Hilfsregisseur im glücklichsten Falle die Auftritte erklärt haben mochte (dies ließ sich nach seinen Bewegungen auf der Bühne schließen). Dennoch vermochte er dank seiner Stimme und seiner phänomenalen Belcantokultur das Auditorium in Raserei zu versetzen. Das Organ klang schmiegsam und weich, die Höhen waren von nicht alltäglichem Glanze und die Phrasierung sowie die bemerkenswerte Atemtechnik das Musterbeispiel einer erlesenen Gesangskultur, die jedermann, der drinnen war, unvergeßlich bleiben wird. Neben ihm begeisterte Cesare Siepi, der seinen dunklen Baß, der einer gleichmäßig geformten Säule gleicht, dem Pater Guardian lieh. Die Legatostellen der Partie sang er derart prachtvoll, daß man unwillkürlich an die Register einer Orgel dachte. In der Darstellung triumphierte die Menschlichkeit, das Verstehen der Leidenschaften irregeleiteter Menschenkinder. Antonietta Stella, derzeit in guter Form, sang die Leonore. Die erste Arie gelang ihr besser als die „Pace“-Arie, wo ihr das Crescendo des Beginns nicht restlos glückte. Es ist durchaus verständlich, daß einem nicht alles gelingen kann, doch noch lange kein Grund, die beleidigte Primadonna zu spielen und auf das Publikum gram zu sein. Kostas Paskalis bot als Don Carlos eine brave und gute Leistung. Er war bühnenwirksam, sang die Ballade gekonnt und den übrigen Part mit selbstlosem Einsatz aller seiner Mittel: Kein Wunder, daß er sich mit der „Urna fatale“ voll verausgabte. Aber warum muß sich der sympathische Sänger die ohnehin irrsinnig schwere Partie noch durch eingelegte Höhen, die nicht einmal Leonard Warren auf der Platte sang, komplizieren? Giulietta Simionato als Preziosilla war in der Schenkenszene hervorragend, während sie mit dem Rataplan Mühe hatte. Zuweilen vermißte man hier die Fülle des Organs. Das Publikum feierte sie dennoch, wohl auch aus Protest gegen die indiskutable Leistung, die Karl Dönch als Fra Melitone bot. Zwar erfreuten sich einige Orchestermitglieder am Klamauk des Sängers, aber die harte Stimme wirkte unter den italienischen Kollegen wie ein Fremdkörper. Man dachte an einen Urgermanen in der Mönchskutte, der sich nach Spanien verirrt hat. Oliviero de Fabritiis erwies sich wieder als ein guter, versierter Kapellmeister, der zwar kein Blender ist, aber seinen Verdi kennt. Fast von selbst stellen sich Höhepunkte ein, nicht erdacht und nicht erklügelt, sondern ganz natürlich. Der prächtige Abend fand die lebhafte Zustimmung des ausverkauften Hauses.

TURANDOT am 15. September

Die Aufführung von Oliviero de Fabritiis als handfeste, knallige Oper dirigiert, hielt recht gutes Alltagsniveau. Star des Abends war Bruno Prevedi als Kalaf, blendend aussehend und gesanglich makellos, bloß mit dem Hang zum Eilen. Die Stimme ist groß und schön, sitzt von Natur aus richtig. Ihre technische Ausbildung ist zwar noch nicht vollständig, aber solide. Anita Välkki hatte ihr Rollendebüt als Turandot. Schade, daß sie die Spitzentöne zwar erreicht, aber nicht halten kann. Das ist sowohl für Puccini als auch für die Partner unangenehm. Teresa Stich-Randall sang die Liu. Schöne Mezzavoce-Töne waren leider in der Minderheit und konnten die allzu vielen scharfen, grellen Forte-Töne nicht kompensieren. Es gibt viele Puccini-Liebhaber, die nach Lius Tod weggehen – diesmal enteilten viele schon vorher, denn Frau Stich-Randalls Stimme quälte musikalische Ohren über Gebühr. Das Ministertrio Kostas Paskalis, Ermanno Lorenzi und Murray Dickie hätte wieder einmal eine Probe nötig. Insbesondere Herr Lorenzi kommt mit seinen Einsätzen konstant zu früh. Kurt Equiluz und Frederick Guthrie ergänzten auf gewohnte Weise das Ensemble. Es gab begeisterten Beifall für Bruno Prevedi.

OEDIPUS DER TYRANN am 16. September

Nach längerer Pause wurde wieder einmal der vom Stammpublikum bereits totgesagte Oedipus gegeben. Im Mittelpunkt des Abends stand Gerhard Stolze als Oedipus. Seine Gestaltung lotet alle Tiefen dieser überaus schwierigen Partie aus – von der kleinsten Geste bis zum großen Auftritt des geblendeten Oedipus. Stimmlich schafft Gerhard Stolze mit spielerischer Leichtigkeit die schwierigsten Passagen, die in dieser Partie nicht spärlich gesetzt sind. Dabei überrascht immer die Wortdeutlichkeit, die bis in die exponierten Lagen vorhanden ist. Leider weist Christl Goltz (Jokaste) diese Vorzüge nicht mehr auf. Stimmlich sehr scharf – ansonsten amorpher Wortsalat (man hatte keine Gelegenheit festzustellen, in welcher Sprache Frau Goltz eigentlich sang). Hans Braun hat offenbar zu einem Priester keine besonderen Ambitionen (schon gar nicht zu einem griechischen). Auch Karl Blühm als Kreon konnte nicht richtig überzeugen. Karl Mikorey als Tiresias bot eine Leistung von recht unterschiedlicher Qualität. Sehr gut gefielen als Hirte aus Korinth und Hirte des Lajos Josef Knapp und Ludwig Weber. Der Schrecken des Abends war Willy Domgraf-Fassbaender, der der Partie des Boten nicht im geringsten gewachsen ist. Warum man bisher nicht einen von den sicher sehr ambitionierten Chorsolisten beigezogen hat, bleibt unerklärlich. Vorzüglich Ludwig Welter als Chorführer, sowie der überaus exakte Chor. Peter Ronnefeld stand am Dirigentenpult und leitete die „Orchestertombola“, bei der auch ab und zu einige „Treffer“ (richtige Einsätze) gezogen wurden.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 17. September

Die Presse würdigte in den letzten Tagen die Probenmöglichkeiten für Dirigenten, Orchester und Solisten. Aber macht man wirklich rationell davon Gebrauch? Oliviero de Fabritiis nämlich sah sich bei der zweiten Aufführung der Macht des Schicksals einem gänzlich anders besetzten Orchester gegenüber. Die wichtigsten Plätze an den Pulten waren mit anderen Professoren besetzt, und in orchestrale Hinsicht fehlte es an Homogenität. Ebensolche Umbesetzungen gab es bei den Solisten. Giuseppe Zampieri übernahm den Alvaro. Seine besten Momente hatte er in der Arie und in der Klosterszene. Restlos überzeugen konnte er dennoch nicht, weil ihm zu viele seiner Spitzentöne in den Hals rutschen und weil seine rhythmische Freizügigkeit ein wenig zu viel des Guten ist. Ansätze für eine geschlossene Leistung sind bei ihm oft vorhanden, aber wann wird er sie endlich einmal verwirklichen? Fernando Corena als Melitone war die zweite, glücklichere Umbesetzung einer Hauptrolle. Er verzichtet auf Groteskkomik (man braucht nicht zu zittern, daß er in die Suppentonne fällt), dafür gestaltet er einen mit echtem Humor gesegneten Mönch, wobei ihn die kräftige Stimme wirksam unterstützt. Welche Schwierigkeiten die Rolle des Melitone auch für einen Weltklasse-Baßbuffo beinhaltet, war allerdings nicht zu überhören. Antonietta Stella war um einige Grade schwächer als am Samstag. Die Stimme hatte nur in der Mittellage und der Tiefe gewohnte Qualität. Ebenfalls schwächer war Kostas Paskalis, dem einige Töne zu tief gerieten. Die Anstrengungen der letzten Tage waren hörbar. Ein junger Künstler sollte nicht innerhalb von vier Tagen dreimal singen müssen. Das ist unverantwortlich von der Direktion der Nachwuchsgeneration gegenüber. Giulietta Simionato erfreute durch Spiel und Gesang. Cesare Siepi als Pater Guardian heimste mit Recht den meisten Applaus für sich ein. Wer am Samstag nicht war, konnte allerdings auch am Dienstag hoch zufrieden sein.

TOSCA am 18. September

Oliviero de Fabritiis übernahm nun wieder die Tosca, und diesmal hatte er bedeutend mehr Kontakt mit dem Orchester und den Solisten als in der Aufführung am 8. September. Er zeigte seine Theaterpranke, und es gab einige orchestrale Steigerungen, organisch entwickelt und wirkungsvoll. Als Floria Tosca gab es ein Wiedersehen mit Margherita Roberti. Sie bringt ein blendendes Äußeres mit, hat das nötige Temperament für die Kaprizen der Primadonna und die Art, wie sie ihre Stimme ausspielt, verdient höchste Anerkennung.  Die Stimme besitzt zwar einige Schärfen in der Höhe, aber dies wird kompensiert durch den Elan, mit dem sie an die Partie herangeht. Als neuer Cavaradossi stellte sich Bruno Prevedi vor. Der junge Mann verfügt über eine sympathische Ausstrahlung, über ein sehr hübsches, offenes Gesicht und last not least, über eine prachtvolle, gesunde Naturstimme. Man erinnert sich bei einigen Stellen an den jungen Corelli, der von der Arena in Verona auszog, die Welt zu erobern. Derzeit ist die Kraft der Stimme das größte Plus für Herrn Prevedi, aber zuweilen geht er zu verschwenderisch damit um. Es fehlt ihm nach explosiven Höhen die Resonanz für die Färbung der drauffolgenden Passagen, die eher matt klingen. Das kann der junge Tenor aber noch lernen. Vielleicht wird er eines Tages nicht mehr mit diesem gewaltigen Forte die „dolci mani“ anstimmen. Als souveräner Meister der Darstellung des Gesangs erwies sich Giuseppe Taddei in der Partie des Scarpia. Erstaunlich, wie der Künstler jedes Mal in dieser Rolle neue Charaktereigenschaften hervorzaubert. Der Handkuß, mit dem er die Primadonna in der Kirche begrüßte, verursachte auch bei den abgebrühtesten Theaterhasen ein Frösteln. Diesmal stellte er die devote Seite des bigotten Satyrs in den Vordergrund, die sich aber, wenn er nicht so schnell zum Ziel kommt, wie er sich dies vorstellt, blitzschnell in raubtierhafte Gier verwandelt. Im Ganzen gesehen war es ein temperamentvoller Abend, der viel Spannung hatte, zwei schöne Menschen zur Schau stellte und eine Naturstimme zur Diskussion anbot.

DIE WALKÜRE am 19. September

Es war ein niederschmetternder Abend, der erste seit Jahren, an dem selbst der an das Ärgste gewöhnte Merker nach dem zweiten Akt fluchtartig das Haus verließ und nur bedauerte, daß Karajan nicht selbst Zeuge dieser Darbietung eines Wotan durch Otto Edelmann war. Wir haben den Sänger in vielen ihm nicht liegenden Partien (außer als Ochs und Waldner ist er ohnehin für unser Haus nicht tragbar) wie Leporello, Sprecher, Philipp, Holländer, Pizarro, Wanderer und auch Walküre-Wotan „erlebt“, aber was er an diesem Abend bot, ist nicht zu beschreiben. Daß er darstellerisch der Partie in keiner einzigen Phase gerecht werden kann, ist längst kein Geheimnis, aber eine derart schlechte stimmliche Verfassung haben wir auch von ihm noch nie erfahren. Ganze Teile der langen (diesmal endlos scheinenden) Wotanserzählung wurden gesprochen, und bei seinem Ausbruch: „Nur eines will ich, das Ende“ schüttelten nicht nur Orchestermitglieder bedeutungsvoll den Kopf, sondern auch unter den Abonnenten, die ohnehin oft Schlechtes kritiklos hinnehmen, rumorte es. Wenn Hotter anderwärts verpflichtet und Wiener im Krankenhaus ist, kann man eben in Wien die Walküre höchstens mit einem interessanten Gast – London oder Ward – ansetzen, aber nicht mit Otto Edelmann. Wir hoffen, daß nach dieser Misere auch die Direktion daraus die Lehren ziehen wird. Zu allem Übel übernahm statt dem angekündigten Heinz Wallberg der lange aus unserem Gesichtskreis entschwundene Felix Prohaska die musikalische Leitung und rückte damit die Aufführung, die man bei Preiskategorie III gab, auf bescheidenstes Niveau. Der Abend schien endlos zu sein. Auch merkte man die Nervosität der debütierenden Claire Watson und des immerhin schon oft in der Partie des Siegmund angetretenen Hans Beirer, der zweimal ausstieg und dessen Unsicherheit sich im ersten Akt auch stimmlich auswirkte (die Stimme bekam einen dumpfen Klang), während er im zweiten Akt das Tempo an sich zu reißen versuchte, und in der Todesverkündigung gefallen konnte. Frau Watson erwies sich als gute Besetzung der Sieglinde. Es fehlt ihr zwar das Mitreißende der Rysanek, auch die Persönlichkeit der Brouwenstijn, aber ihre Leistung ist dennoch außergewöhnlich. Die Stimme wird sehr gut geführt und die Aussprache ist vorbildlich. Dazu kommt eine gute Erscheinung und kluges Spiel. Für uns wäre Frau Watson fürs deutsche Fach (aber nicht unbedingt für Mozart) ein Gewinn. Man sollte sie noch als Eva, Tannhäuser-Elisabeth oder Ariadne dem Publikum vorstellen. Kurt Böhme war der polternde Hunding, Ira Malaniuk die passable Fricka und Anita Välkki die unglückliche Wotanstochter. Sie hat mit den Hojotoho-Rufen ihre liebe Not, war aber ansonsten während des ganzen zweiten Aktes gesanglich gut und darstellerisch im Vergleich zu Väterchen Wotan „Bayreuth-reif“. Das Orchester klang anfangs sehr gut. Man war sehr erstaunt. Doch je länger die Aufführung dauerte, desto seichter wurde es. Da fehlte ganz einfach vom Pult aus jegliche Inspiration. Haben wir im Vorjahr beschämt festgestellt, daß wir so selten Wagner-Aufführungen haben, müssen wir nach dieser Entgleisung sagen: Nein, so geht das auch nicht, denn mit diesem Wotan und einer derart deprimierenden Dirigentenleistung wird an Wagner Rufmord begangen. Ein Abend, der den Zuständigen zu denken geben sollte! So etwas geht nicht einmal an deutschen Provinzbühnen, geschweige denn in Wien!

DON GIOVANNI am 20. September

Um einen Giovanni mit geschlossener Wirkung aufzuführen, dürfte man in den Hauptrollen keine derartigen „Unterbesetzungen“ auf die Bühne stellen, wie dies an diesem Abend der Fall war. Gerade Mozarts Dramma giocoso verlangt nach einem gewissen Gleichgewicht in den weiblichen und männlichen Hauptpartien. Leider waren Teresa Stich-Randall und Mimi Coertse einem Cesare Siepi und einem Fernando Corena weder stimmlich noch darstellerisch halbwegs ebenbürtig. Was die beiden Damen an Stimmkultur, Phrasierungskunst und Einfühlungsvermögen (in Ensembles) schuldig blieben, das gaben Siepi, Corena und die bezaubernde Ideal-Zerlina Graziella Sciutti in überreichem Maße. Anton Dermota war diesmal als Ottavio wieder gut in Form. Frederick Guthrie als Komtur und Ljubomir Pantscheff als Masetto vervollständigten das leider so unterschiedliche Ensemble. Eine Leistung möchten wir – oder besser gesagt – müssen wir besonders hervorheben. Es war das Ständchen im zweiten Akt, von Siepi einmalig und unnachahmlich gesungen. Was hier an Wohllaut verströmte, entschädigte für manche schrille und steife Anna- oder Elvira-Arie! Josef Krips musizierte mit unserem Orchester herrlich delikat und transparent, in oft sehr zügigen Tempi, die auf der Bühne nicht immer gleich zur Kenntnis genommen wurden. In den dramatischen Rezitativen der Anna-Arie ist er allerdings nicht so eruptiv wie Karajan. Doch letztere hatte ja auch eine Anna – Leontyne Price –damals in Salzburg…

ANDREA CHÉNIER am 21. September

Seltsamerweise ist Giordanos wirksames, aus vielen Highlights mit verhältnismäßig wenig Leerlauf dazwischen bestehendes Werk in Wien offenbar nicht sehr zugkräftig, speziell der Stehplatz glänzt durch Abwesenheit. Dabei ist eine Chénier-Aufführung zumeist sehr zufrieden stellend. Oliviero de Fabritiis hatte einen ausgezeichneten Abend und bot kräftiges, energisches Operntheater. (Auch Orchester und Chor hielten sich gut). Wenn Antonietta Stella angesetzt ist, kann man beruhigt in die Oper gehen, denn sie bietet Garantie für eine gute Leistung. Auch als Madeleine war ihre große, kraftvolle Stimme zu bewundern, ebenso der Instinkt, mit dem sie den dramatischen Höhepunkten zusteuert. Giuseppe Zampieris Chénier muß ausführlich geschildert werden, denn sein Verhalten ist einfach unverständlich. Das Improviso war so zahm, daß er beinahe keinen Beifall gehabt hätte, doch im zweiten Akt, beim Duett mit Roucher und später Madeleine, bemerkte er, daß es doch ganz günstig wäre, Stimme zu geben. Er gab sie und sang schön und kräftig. „Si, fu soldato“ war wieder ganz auf Linie gesungen. Das ist aber natürlich für diese Arie zu wenig. Im vierten Akt hingegen war er wieder ausgezeichnet und das Schlußduett beinahe hinreißend. Wenn Zampieri nicht selbst darauf kommt, daß er im mittelschweren Fach auch noch mehr geben muß, als kultivierte Linie und dezent gesponnene Phrasen, dann sollte ihm das einmal jemand sagen, und zwar jemand Prominenter. Er kann es nämlich, das ist das Ärgerliche an der Sache. Er kann plötzlich aufwachen und hat dann nicht nur die Linie, sondern den Affekt, der ja auch vonnöten ist. Man müßte für „unseren Zamperl“ einen Mann hinter der Bühne installieren, der im gegebenen Moment den in Italien gefürchteten Ruf „Voce, tenore!“ in seine Ohren zischt. Vielleicht ginge es dann. Der Gérard ist eine der beiden besten Rollen von Kostas Paskalis (die zweite ist der Alfio), denn hier ist die affektgeladene Riesenstimme auch so beherrscht und geformt, daß sie immer schön klingt. Das wirkungsvolle Spiel und die tadellose Phrasierung trugen dazu bei, diese Leistung zu einer erstklassigen zu machen. Margarita Lilowa war eine stimmkräftige und ausdrucksvolle Bersi. Man nahm die Rolle erst in dieser Besetzung überhaupt richtig zur Kenntnis. Ebenfalls verjüngt, aber nicht verbessert war die Besetzung des Fleville durch Bogumil Manov. Dieser baumlange Sänger hat eine larmoyante Art zu singen, wie wir sie bei einem Bariton noch nie erlebt haben. Beim Monterone dachten wir, die Rolle sei ihm zu tief, deshalb stehe er so unglücklich auf der Bühne herum. Hier war ihm aber nichts zu tief, denn die Stimme klang recht gut. Er wird aber schleunigst etwas lebendiger werden müssen, soll er hier ankommen. Übrigens war der junge Mann groteskerweise auf steinalt geschminkt, was wir reichlich komisch finden. Die „Pensionäre des Königs von Frankreich“ sind – zum Unterschied von denen der Wiener Staatsoper – zweifellos nicht immer zwischen siebenzig und hundert gewesen.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 22. September

Eine hübsche Aufführung, von Wilhelm Brückner-Rüggeberg sicher, nur manchmal etwas zu dick im Klang, geführt. Immer wieder aufs neue bezaubern Schneider-Siemssens Bühnenbilder in ihrer modern-romantischen Art, idealer Schauplatz für Shakespeares Märchenwelt. Bei der Besetzung sind einige Änderungen seit der Premiere unumgänglich gewesen. Ermanno Lorenzi ist nun der Tenor-Liebhaber. Er bemüht sich sehr um seinen Part, singt recht hübsch, in welcher Sprache ist allerdings nicht erkennbar. Italienisch ist es nicht mehr, aber deutsch ist es noch nicht. Vielleicht könnten sich die Herren Korrepetitoren auch in sprachlicher Hinsicht Herrn Lorenzis annehmen. Margareta Sjöstedt, Gundula Janowitz und Robert Kerns zeigten gewohntes Niveau. Sehr gut Gerhard Stolzes Oberon, ausgezeichnet und den größten Beifall verbuchend die Handwerker Erich Kunz, Ferry Gruber, Ludwig Welter, Ljubomir Pantscheff, Peter Klein und Siegfried Rudolf Frese. Als Athens Herrscherpaar sah und hörte man Margarita Lilowa und Frederick Guthrie. Nicht das Niveau hielten Liselotte Maikls Titania und der Puck Peter Busses. Beide sind mit den Rollen überfordert und zeigen ein erschütterndes Fehlen jeglicher Persönlichkeit. Sie agieren auf der Bühne mit der Qualität von aufgezogenen Puppen.

LA TRAVIATA am 23. September

Auch für Stammbesucher gibt es Überraschungen. Solange sie angenehmer Natur sind, nimmt man sie gern in Kauf. Eigentlich befürchtete man das Schlimmste, als man vor Beginn den roten Zettel las, daß Frau Stich-Randall sich bereit erklärt hatte usw. Sicherlich hielt diese Änderung viele Menschen vom Besuch der Oper ab. Doch es kam anders, als man erwartet hatte. Teresa Stich-Randall hatte einen guten Abend. Sie verblüffte durch einwandfreie Interpretation der großen Arie, die sie dramatisch und gekonnt, jedenfalls intonationssicherer als die publicity-gewandte Anna Moffo, vortrug. Ihr Pech war nur, daß sie den Schluß der Arie etwas zu tief sang, sonst hätten auch wir nichts auszusetzen gefunden. Wie bekannt hat Frau Stich-Randall eine instrumentale Stimme – die Ähnlichkeit mit der Klangfarbe der Klarinette ist frappant – doch sie vermochte an diesem Abend die Rolle einwandfrei zu singen, ja noch mehr, im dritten Bilde lebte man als Zuhörer sogar mit ihr mit. Giuseppe Zampieri hatte sehr gute, gute und schlechte Momente. Vielleicht sang er seine Arie mit zuviel Stimme. Sie wirkte dadurch belebt und weniger larmoyant als man es von ihm gewohnt ist. Auch das „Questa Donna“ war impulsiv und dramatisch gesungen. Schade, daß es Strecken gab, vor allem in der Schluß-Szene mit Violetta, wo man den Tenor nur unter Aufbietung aller Anstrengung überhaupt hören konnte. Den Einsatz zum Duett des letzten Aktes sollte er auch schon beherrschen. Kostas Paskalis war gut und sicher, doch wie immer beim Ansetzen der exponierten Töne zu laut, wodurch er an Wirkung verliert. Oliviero de Fabritiis am Pult wirkte im Vergleich zu Wallberg wie ein Toscanini. Er hatte Gefühl für die Gesangslinie und Verständnis für das große Ensemble des dritten Bildes, das er klingen ließ und nicht mitleidlos zerdrosch. Die große Überraschung des Abends bestand darin, daß das Niveau bedeutend höher war, als beim mit großem Tam-Tam aufgezogenen Gastspiel Anna Moffos.

DON GIOVANNI am 24. September

Herbert von Karajan kehrte – vielbejubelt – heuer zum ersten Mal in seinem Haus ein und dirigierte Don Giovanni mit dem ihm eigenen Gefühl für die große Linie, mit der für ihn charakteristischen liebevollen Begleitung der Arien, die einen Sänger (natürlich muß er dazu erstklassig sein! ) trägt und stützt, als würde der Dirigent mitatmen, und mit einer fast lückenlosen stilistischen Geschlossenheit. Die Besetzung mit vier Italienern trug dazu nicht unwesentlich bei, desgleichen die Rückkehr von Hilde Güden, die ja diesbezüglich ebenfalls als Italienerin anzusprechen ist. Demzufolge sang Cesare Siepi noch schöner als sonst. Der Wohlklang seiner Stimme ist fast nicht mehr zu schildern. Hatte man beim vorangegangenen Pater Guardian den Eindruck gehabt, seine Baßlage sei fast noch wohltuender, war man wieder geneigt, diese Ansicht zugunsten der Bariton-Lage zu revidieren. Siepis Giovanni ist die Vollkommenheit in Person. Hier sitzt jede Geste, jede Bewegung, jedes Lachen, jeder Ausbruch. Fernando Corena ist die ideale Ergänzung dazu, im Singen, im Spiel und im Stil. Beide fühlten sich bei den schnellen, gegenüber Joseph Krips weit italienischeren Tempi sichtlich und hörbar wohl. Hilde Güden ist mit der Partie der Elvira bereits weit vertrauter. Sie hält ihre Auffassung, nämlich die der vornehm Leidenden, die gegenüber den meist dramatischen Annas einen sehr interessanten Effekt ergibt, konsequent durch und singt mit klarer und überlegen geführter Stimme. Die Ausarbeitung der Rezitative ist ein besonderer Genuß. Graziella Sciutti und Rolando Panerai singen und spielen den Idealfall eines Buffopaares, das bei allem Humor doch immer liebenswürdig und charmant bleibt und Frederick Guthries Komtur ist in der Friedhofszene stimmlich ausgezeichnet. (Am Anfang und Schluß klingt er eher hohl). Claire Watson sang die Donna Anna gut, sauber und sicher, ohne sich stilistisch in die Geschlossenheit der Aufführung einfügen zu können. Immerhin erschien sie nach ihrer Vorgängerin als Erholung. Tragisch war der völlige stimmliche Zusammenbruch, den Anton Dermota an diesem Abend erlitt. Die erste Arie klappte ja schon seit einiger Zeit nicht mehr. Er verläßt sich meistens auf die zweite, hatte aber diesmal auch damit Pech. Jeder Ton, den er ohne Bruch herausbrachte, war um Viertel- oder Achteltöne zu tief und er hat wahrscheinlich seine ganze enorme Technik aufbieten müssen, um nicht ganz aufzuhören. Dieses Fiasko sollte für einen Künstler vom Range Anton Dermotas ein Menetekel sein. Kein Sänger der Welt kann nach 25 Jahren noch die gleichen Rollen singen, wie in den ersten Jahren der Laufbahn. Immerhin bewies er genügend Selbstkritik am Schluß der Aufführung auf einen Solovorhang zu verzichten.

DER ROSENKAVALIER am 25. September (Geschlossene Aufführung)

Besetzung: Zadek-Seefried-Steffek-Hermann-Böhme-Dönch-Terkal-Stolze-Frese.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO

Man hat oft und gerne den ersten Teil der Opernzwillinge als Beigabe und Abendfüller für den weit effektvolleren Bajazzo betrachtet. Auch der Merker hat sich häufig in der Cavalleria fadisiert, um erst nach der Pause munter zu werden. Und diesmal war es genau umgekehrt. Diesmal verließen viele Musikfreunde das Haus bereits in der Pause. Ein Teil ging nach dem Bajazzo-Prolog, ein weiterer erheblicher Teil nach „a ventitre ore“ und der Rest des Stammpublikums wahrscheinlich nach der Bajazzo-Arie. Was war geschehen? Cavalleria Rusticana wartete mit einer Idealbesetzung auf: Giulietta Simionato war als Santuzza schon oft hervorragend, aber so haben wir sie noch nie gehört. Ganz abgesehen davon, daß sie die enorm hochliegende Partie großartig sang, strahlte sie eine unwahrscheinliche Kraft der Persönlichkeit aus und faszinierte damit, daß sie überhaupt nichts „machte“, sondern einfach da war. Der abgebrühteste Opernfan starrte gebannt auf die Bühne und erlebte diese Santuzza mit, wobei die Reaktion ganz individuell vom Würgen in der Kehle bis zu dem Gefühl reichte, das man haben muß, wenn einem ein Eiszapfen über das Rückgrat fährt. Es war unbeschreiblich. Eine ähnlich ideale Besetzung ist Franco Corelli als Turiddu. Stimmlich war er (nach einer etwas nervösen und atemlosen Siciliana) hervorragend disponiert. Das Gleichgewicht zwischen belcanto und Leidenschaft (in letzter Zeit gelegentlich zu sehr etwas zugunsten des ersteren verschoben) vollkommen hergestellt. Hier blüht und schwingt jede Phrase und der veristische Effekt kommt nicht zu kurz. Auch darstellerisch hatte er ein ausgezeichnetes Konzept. Er spielte einen Dorf-Beau (soweit er einen Beau überhaupt spielen muß), der die ganze Angelegenheit zuerst gar nicht ernst nimmt, was ihm nachher große Steigerungsmöglichkeiten bis zu Angst und Verzweiflung gibt. Es spricht für Kostas Paskalis, daß er sich neben diesen beiden Giganten behaupten konnte und sogar mit seinem sowohl stimmlich als auch darstellerisch ausgezeichneten Alfio das Gleichgewicht der Aufführung wahrte. Georgine Milinkovic und Lotte Rysanek ergänzten typmäßig ausgezeichnet das Ensemble (das war eines!), das vom Publikum mit Enthusiasmus gefeiert wurde. Oliviero de Fabritiis begann routiniert, wurde aber alsbald mitgerissen und leitete den Einakter schwungvoll und mit Energie. Das Orchester war gut, bis auf den ersten Oboisten, der mehrmals strafend auf sein Instrument blickte, wenn er gepatzt hatte. An das Pult hätte bei dieser Aufführung allerdings ein Mitropoulos gehört.

Der anschließende BAJAZZO war leider sehr langweilig. Der Unterschied von Weltklassesängern und Mittelklasse ist zu gewaltig. Das an und für sich an Dramatik reichere Werk fand nicht die Interpreten, die einen mitreißen können. Aldo Protti als Tonio hatte diesmal Schwierigkeiten mit dem Prolog. Die kraftstrotzende Höhe war beträchtlich angekratzt. Das hörte jeder, und es spricht für die Selbstkritik des Künstlers, daß er auf einen Vorhangzauber verzichtete. Gastone Limarilli als Bajazzo überbot alle seine Vorgänger in dieser Rolle, aber nur in punkto Schluchzen. Man befürchtete förmlich eine Überschwemmung der Szenerie. Die Stimme des Tenors besitzt zweifellos genügend Volumen, doch wird sie unserer Meinung nach schlecht geführt. Zuviel Klebrigkeit der einzelnen Töne zerreißt die Linie und außerdem wird das Material schonungslos eingesetzt, daß man oft den Eindruck hat, er könne gar nicht weitersingen, was er aber dennoch tut (zumindest vorläufig). Mimi Coertse als Nedda wäre im Aussehen der richtige Typ, doch ihrer Stimme fehlt es an Klarheit, und der heisere Unterton in ihrem Organ ist sogar für eine Nedda zu vulgär. Ihr Partner Robert Kerns als Silvio sang sehr gewissenhaft. Seine Wortdeutlichkeit ist bemerkenswert, doch zuviel Betonung der einzelnen Worte läßt niemals Leidenschaft oder gar Sinnlichkeit aufkommen. Murray Dickie als Beppo ergänzte das Ensemble der Mittelmäßigkeit. Oliviero de Fabritiis hatte einige Kämpfe mit dem Chor auszufechten. Dies zermürbte ihn so, daß die Langeweile in seiner Interpretation vorherrschte. Schließlich war die „Comedia finita“, worüber allgemein Freude herrschte.

TURANDOT am 28. September

Die Puccini-Aufführung stand wieder unter der musikalischen Leitung von Oliviero de Fabritiis, dessen gedehnte Tempi nicht nur den Solisten und dem Chor Schwierigkeiten bereiteten, sondern auch die zahlreich eingesetzten Ballettmitglieder und Komparsen in arge Verlegenheit brachte. Es wollte bei den Massenumzügen überhaupt nichts klappen, wodurch Margarethe Wallmanns Regie, die, solange sie Präzision hatte, gefiel, reichlich komisch wirkte. Anita Välkki sang zum zweiten Mal die Titelpartie. Sie konnte mit den ungeheuren Schwierigkeiten dieser Rolle noch immer nicht fertig werden, und man muß sich im Interesse einer organischen Weiterentwicklung der Sängerin ernstlich fragen, ob denn diese mörderische Partie überhaupt in ihr Repertoire aufgenommen hätte werden sollen. Manche Spitzentöne waren zu tief, mehrmals wurde die Sängerin von den Orchesterfluten gedeckt und es fehlte ihr jede Italianità. Im Spiel ist Anita Välkki blaß und wahrscheinlich mit den gesanglichen Problemen der Partie so beschäftigt, daß für die Gestaltung keine Zeit bleibt. Hilde Güden war die rührende, zauberhaft singende Liu. Dimiter Usunow hat mit dem Kalaf eine seiner besten Rollen gefunden. Er wußte mit seiner Trompetenstimme alle Rätsel zu lösen und faszinierend ist die innere Spannung mit der er die Partie meistert. Nicola Zaccaria schien nicht sonderlich gut disponiert. Die drei Minister waren in der Standardbesetzung Kostas Paskalis, Murray Dickie, Ermanno Lorenzi angetreten. Ein stimmlich guter Kaiser war Kurt Equiluz, unzureichend hingegen Hans Braun als Mandarin. Das ausverkaufte Haus, in dem auch viel Schuljugend zu sehen war, zeigte sich begeistert, applaudierte aber leider auch in alle drei Aktschlüsse hinein.

EIN MASKENBALL am 29. September

Josef Krips dirigierte Maskenball, den er schon jahrzehntelang nicht mehr gemacht haben muß. Wir können uns aus der Theater an der Wien-Zeit zumindest an keinen erinnern. Es ist sehr günstig, wenn man Professor Krips alle Werke gibt, die ihm Freude machen, denn er garantiert auf jeden Fall einen spannungsreichen Opernabend und – da er ja ohne Probe kaum dirigiert – auch genügende Sicherheit. Er dirigiert Verdi mit der ihm eigenen Spannung, viel Gefühl – das bei manchen Stellen im Liebesduett direkt explosiv wirkt – und einem genauen Konzept, von dem er zugunsten einer schönen Fermate gelegentlich aber auch abweicht. Vielleicht ist er im Rhythmus etwas härter, als man dies von Italienern (der Spitzenklasse) – gewöhnt ist, aber das schadet nicht. Es dient nur zur Straffung und bietet eine gute Basis für elastisches Musizieren. Auf der Bühne stand ein Rollendebütant, Gianni Raimondi in der Rolle des Riccardo. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dies noch immer nicht sein richtiges Fach ist. Wahrscheinlich sind Cis-Partien, wie z. B. Puritani sein eigentliches Gebiet. Bei Verdi hat man gelegentlich das Gefühl, daß ihm die viele Mittellage, in der seine Stimme etwas hart und weiß klingt, nicht sehr liegt. Die Höhen und die technischen Lösungen für die schwierige Rolle (z. B. in der Ulrica-Szene) sind allerdings fabelhaft, fast spektakulär. Das Liebesduett wirkte sehr feurig. Mit der großen Arie tat er sich ein wenig schwer. (Wenn er nervös wird, verliert er gelegentlich die Kontrolle über die richtige Tonhöhe). Da der Beifall danach gerechtfertigterweise dünn instrumentiert klang, revanchierte er sich mit einem perfekten und hochbrisanten Ausbruch zu Beginn der Ballszene, der entsprechend bejubelt wurde – und das gute Einvernehmen zwischen Tenor und Publikum war wieder hergestellt. Antonietta Stella, bestens bei Stimme und hochdramatische Ausbrüche und schöne Piani gerecht verteilend, war musikalisch eine außerordentlich gute Amelia, darstellerisch diesmal weniger. Sie übertrieb gelegentlich maßlos. Giulietta Simionato, die mit der Beschwörungsszene der Ulrica noch einige Mühe hatte, bot im Verlauf des Aktes eindrucksvolle und große Momente genug, um dies vergessen zu machen. Ettore Bastianini war nicht mehr ganz in der heurigen Salzburger-Festspielverfassung, sang „Alla vita“ sehr schön, ebenso das Terzett auf der Galgenwiese, hatte aber zu Beginn von „Eri tu“ einige Frösche im Hals. Er überspielte dies aber geschickt und sehr temperamentvoll (!) dadurch, daß er fassungslos die Hände vors Gesicht schlug, kam aber durch sein technisch richtiges Singen bald wieder ins Geleis, sodaß man mit ihm sehr zufrieden sein konnte. Die Verschwörer (Frederick Guthrie und Tugomir Franc) hatten große, entsprechend düstere Stimmen. Adriana Martino singt den Pagen mit zuviel Kopftönen und daher ziemlich steif. Ein junger lyrischer Sopran mit beweglicher Stimme ist in dieser Rolle meist besser besetzt, als eine ausgesprochene Koloratursoubrette. Das Publikum wußte den spannungsreichen und temperamentvollen Opernabend gebührend zu würdigen.

DON GIOVANNI am 30. September

Diese Aufführung war ein würdiger Monatsabschluß: Mozart wie wir ihn uns wünschen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, wie sehr Josef Krips uns gefehlt hat und nun die Lücke schließt, die so lange zu verspüren war. Gerade als Mozartdirigent sucht er seinesgleichen. Cesare Siepi und Fernando Corena wiederholten ihre exzellenten Leistungen, Graziella Sciutti bezauberte von Neuem mit ihrer unnachahmlichen Zerlina und Rolando Panerai, in der Partie des Masetto ist ein wahres Gustostück. Hilde Güden (Elvira) meisterte mit Sicherheit und Kultur ihre Partie, Teresa Stich-Randall als Donna Anna hatte diesmal eine gute 2. Arie zu bieten und machte hiermit manches gut, was sie zu Anfang mit schrillen Tönen verdarb. Nicola Zaccaria war ein passabler Komtur. Anton Dermota hatte den Mut, nach der Tragödie vom vorhergegangenen Dienstag wieder den Ottavio zu geben – und versagte bereits im ersten Akt derart, daß er die zweite Arie streichen mußte. Nach diesen vier Giovanni-Aufführungen im September, die eindeutig im Zeichen Cesare Siepis standen, müßte nun eigentlich auch mit dem Figaro etwas geschehen. Wer wagt es, zu Siepis Figaro den Grafen zu singen?

 

IN EIGENER SACHE

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft  10

In eigener Sache sieht sich die Redaktion des Merker diesmal bemüßigt, das Wort zu ergreifen. Anlaß dafür bietet uns ein im Opernjournal der Deutschen Oper Berlin (Juni/Juli 1963) veröffentlichter Artikel des bekannten Musikrezensenten Heinz Joachim (Teilabdruck aus der Hamburger Die Welt vom 30.3.1963) unter dem Titel „Diktatur der Galerie?“. Wir beziehen uns dabei im Besonderen auf folgende Sätze, die wir zunächst wörtlich zitieren wollen: „An einigen Opernhäusern, etwa in Wien und in Hamburg, gibt es eine Art Theaterzeitschrift, die von Angehörigen solcher Gruppen herausgegeben wird: ein hektographiertes Blättchen, in dem der Kulissentratsch blüht und eine hanebüchene Abart von Kritik, die sich sachverständig gibt, aber offensichtlich nur einseitig informiert und inspiriert ist, es jedenfalls vorzieht, im trüben zu fischen und – anonym zu bleiben. Sie hat nicht einmal den Mut, mit offenem Visier zu kämpfen. Abgesehen von solchen makabren Extremen“… Es gibt wohl kaum einen Harmlosen weit und breit, der nicht wüßte, daß mit dem Blättchen „Der Merker“ gemeint sein muß. Nun ist unsere Redaktion absolut nicht empfindlich. Erstens sind wir lange genug auf der Welt um zu wissen, daß es von seltsamen Zeitgenossen wimmelt, denen man ihr Pläsierchen vergönnen soll und selbst wenn man dies nicht wollte, kann man trotzdem nicht von der Maschinenpistole Gebrauch machen. Das ist im Staatsgesetzbuch ausdrücklich verboten! Zweitens haben wir Humor, und das „Trotzdem-Lachen“ nie verlernt. Doch geht es hier um etwas anderes: Es ist nötig, die verbogenen Maßstäbe gerade zu rücken! Wir sind uns bewußt, daß wir hinzu eine nachdrückliche Antwort an einen Mann richten müssen, der einen anerkannten Namen in die Waagschale zu werfen hat. Dies allerdings beeindruckt uns nicht sonderlich, solange nicht offiziell bescheinigt wird, daß das Dogma der Unfehlbarkeit auch den „Kulturpäpsten“ bescheinigt wurde. Im allgemeinen konnten wir bislang leider feststellen, daß deren Irrtümer zahlreich und meistens sehr heiter sind. Wir erinnern uns der Fröhlichkeit wegen, hin und wieder gerne der unglaublichen aber wahren Geschichten, daß Kritiker mit großem Namen nachweisbar Konzerte rezensierten, die nicht stattfanden, Pianisten mit Gesangssolisten verwechselten, sich darüber aufregten, daß man einem berühmten Sänger eine Sprechrolle andrehe (gemeint war der Sprecher in der Zauberflöte), Karajans Interpretation der IX. Beethoven als „Tennismatch in vier Sätzen“ bezeichneten, und sich in einer Pressekonferenz den Namen Amy Shuard buchstabieren lassen mußten und dergleichen Köpenickiaden mehr. Mögen sie also gütigst der jungen Generation das homerische Gelächter verzeihen. Mögen sie uns ferner verzeihen, daß wir ihnen den heiligen Ernst, mit dem sie anscheinend schreiben, nicht mehr abnehmen. Wir sahen sie nämlich zu oft ihre Meinungen wechseln. Mögen sie uns verzeihen, daß wir es vornehm gesagt äußerst komisch fanden, wenn ehedem die Herren der Feder, die Tage vorher giftig wie die Drachen in ihren Blättern über unseren Opernchef ebenso herfielen, wie kurz darauf in einer von Karajan einberufenen Pressekonferenz über die Brötchen und Drinks, um dann bei jenem schönen Beisammensein stumm wie die Ölgötzen auf ihren Stühlen zu sitzen. Und wenn sie Fragen stellten, waren es zumeist äußerst dämliche (hier gefällt uns dies norddeutsche Wort prächtig und treffend) denn klug formulierte. Sie bezogen nie einen eigenen Standpunkt, noch rafften sich zu einer persönlichen Entgegnung auf. Dann jedoch, nachdem sie noch schnell den letzten Restbeständen am Buffet den Garaus gemacht, stürzten sie in ihre Redaktion, um weiter Gift in die Brunnen zu schütten. Nicht alle selbstverständlich, aber leider die Mehrzahl. Mögen sie uns verzeihen, wenn wir nicht in die Knie gehen vor der Macht ihres Geistesflugs; da wir von ihnen stets nur betretenes Schweigen vernahmen, wenn sie zu einem positiven künstlerischen Vorschlag sich aufraffen sollten, und sich sogar recht beleidigt darauf beriefen, daß dies nicht ihre Sache wäre. Dies alles trug wahrscheinlich zu dem Zug unserer Zeit bei, der sehr nachdrücklich dem Musikrezensenten die Machtposition entzogen hat. Sämtliche Theaterdirektoren der Welt wissen heute, daß sie ganz beruhigt ein Stück spielen können, das von der Presse in der Luft zerrissen wird, aber dem Publikum gefällt, und es ebenso nicht möglich ist, mit den tollsten Kritiken ein Werk auf dem Programm zu halten, das vom Publikum abgelehnt wird. Jeder Künstler weiß, daß er schlechte Kritiken übersteht, aber gegen Publikumsablehnung nicht auf die Dauer bestehen kann. Und die Meinungsunterschiede zwischen Presse und Publikum sind im Wachsen begriffen. Man läßt sich das Urteil heute nicht mehr vorsagen, man bildet es sich selbst. In diesem Zusammenhang wäre es zunächst einmal nötig festzustellen, von wem wir sprechen, wenn wir „das Publikum“ sagen. Doch bleiben wir hier bei der Galerie, oder dem Rang, denn jedes Publikum, das Musik liebt, war zumindest einmal dort anzutreffen.

Und so wollen wir uns nun der Meinung des Herrn Joachim zuwenden, dessen Kollegen wir eben mit ein paar offenen Worten zu bedenken, uns gezwungen sahen. Herr Joachim, der sich über die Anonymität des Merker so sehr aufhält, hat anscheinend übersehen, daß laut Pressegesetz auch für den Merker jemand verantwortlich zeichnet. Dieser hat den übrigen Mitarbeitern unseres Blattes das schöne Vorrecht voraus, nötigenfalls „sitzen“ zu gehen. Dieser geht ebenso wie die übrigen Mitarbeiter unserer Redaktion weder vermummt noch mit „Visier“ spazieren, und was die einzelnen Leute unserer Redaktion anbelangt, sind sie nicht nur in Wien bekannt wie die bunten Hunde (Soweit es sich um Musikkreise handelt), und sie müßten tatsächlich maskiert die Opernhäuser betreten, wenn sie nicht gesehen werden wollten. Allerdings haben wir kein Geltungsbedürfnis, das auf dieses Bekanntsein Wert legt! Unsere ausländischen Mitarbeiter zeichnen ihre Beiträge mit Namen. Wo dies nicht geschieht, ist der Betreffende trotzdem nicht unter die Dunkelmänner gegangen, sondern arbeitet meistens in einem bürgerlichen Beruf, oder stammt aus einer Familie, wo man seine Ambitionen nicht schätzt. Und wir sehen nicht ein, warum wir ihm zu dem Idealismus, den er mit dieser selbstlosen Arbeit auf sich genommen hat, auch noch berufliche oder familiäre Erschwernisse aufladen sollten. Wenn es nötig ist, steht jeder Einzelne für das, was er geschrieben hat ein: das ist bei uns so Sitte, liebe Herren, und eine Selbstverständlichkeit. Landauf, landab hat es sich auch bereits herumgesprochen, daß der Merker-Mitarbeiter sich weder Geld verdienen, noch Ruhm erwerben kann, daß er Fahrten an fremde Opernhäuser nur auf eigene Kosten unternehmen und dort als einzigen Vorteil – und dies ausschließlich mit Genehmigung der Wiener Redaktion – Pressekarten bezieht. Es hat sich auch herumgesprochen, daß man keinem Mitarbeiter verwehrt, persönlich diesen oder jenen Künstler zu verehren, daß aber dort, wo die Liebe das Urteil nachdrücklich zu verwirren beginnt, der Betreffende sanft in Kenntnis gesetzt wird, daß die nächsten Kritiken über diese Persönlichkeit nicht von ihm, sondern von einem Unbeteiligten geschrieben werden würden. Es hat sich auch herumgesprochen, daß wir Künstler wissen ließen, daß wir persönlichen Einladungen ein gerüttelt Maß an Mißtrauen entgegenbringen und auch die Konsumation des feudalsten Soupers ohne Einfluß auf Rezensionen bleiben werden. Es hat sich auch herumgesprochen, daß weder die Redaktion, noch der Verein Opernfreunde Spenden entgegennehmen und daß wir weder mit unserer Operndirektion, noch mit privaten, öffentlichen, politischen oder sonstigen Institutionen „liiert“ sind. Wir haben auch keine Beziehung zu Plattenfirmen und lehnen solche grundsätzlich ab. Jeder Mitarbeiter weiß somit, daß er bei uns nichts gewinnen kann, soweit es um materielle Werte geht, daß er sich nur Mühe, Arbeit und Kosten auferlegt, wenn er sich darum bemüht, für uns Berichte zu erstatten. Wenn sich dies noch nicht bis zu Herrn Joachim durchgesprochen haben sollte, ist dies leider ein Zeichen völliger Uninformiertheit, womit wir das Kompliment von „nur einseitig informiert und inspiriert“ und „im Trüben fischen“ postwendend an Hamburg zurückleiten. Von wegen „hanebüchen“ schlugen wir im Lexikon nach. Nun, wir fanden im „Kluge“ unter dem nördlichen Fremdwort die Erklärung: grob, klotzig, holzig, ungehörig. – Es ist allseits bekannt, daß der Merker dies wiedergibt, was und wie auf der Galerie gesprochen wird, jede andere Formulierung würde die Zeitschrift ihrem Zweck entfremden und ihre Aussage sinnlos machen. (Was würde Herr Joachim wohl erst sagen, wenn er hören würde, was über Zeitungsartikel wie der seine dort geredet wird!) Es ist auch nicht ganz ersichtlich, was Herr Joachim unter Kulissentratsch versteht. Im Merker jedenfalls wurden Privatangelegenheiten von Künstlern noch nicht durchgehechelt, und private Übergriffe, wie zum Beispiel die taktlosen Hetzartikel gegen Karajan oder die Bayreuther Tätigkeit von Frau Silja, erschienen nicht bei uns, sondern in den Blättern mit der Hunderttausender-Auflage, denn die kauft dann der Mann von der Straße und das hebt das Geschäft! Dafür hebt es zwar nicht das Geschäft, daß der Merker in den Operndirektionen von Wien, Mailand und Berlin, von Chicago, Buenos Aires und San Francisco etc., etc., anzutreffen ist, doch gelangen dorthin dafür nicht alle Elaborate Herrn Joachims. Aber wir sind sicher, daß es ohnedies recht ungehörig und blamabel für die „Welt“ wäre, neben einem hektographierten Blättchen zu liegen! Im Grunde genommen geht es jedoch gar nicht um das Austragen solch persönlicher Angriffe, noch ihre Erwiderung. Es geht vielmehr um den erschütternden Umstand, daß ein Kritiker von Rang und Namen, dem Erfahrung und Alter Güte, Weitblick und Einsicht vermitteln sollte, nichts anderes zu tun hat, als junge Leute, die sich ohne jeden persönlichen Vorteil aus reiner Liebe zur Musik zusammen gefunden haben, zu diffamieren. Wir wollen uns nicht anmaßen, daß unser Urteil das richtige wäre, wir verlangen auch gar nicht aller Welt zu gefallen, ja wir würden auch dann unsere Meinung schreiben, wenn sie niemandem gefiele, solange sie der Wahrheit und der Sauberkeit entspringt. Wir betrachten ausschließlich das als „makabre“, daß ein anerkannter Mann der Feder genau jenes Blättchen so aburteilt, das allein durch sein Erscheinen dem Lebensmaterialismus unserer Zeit ins Gesicht gesprungen ist. Denn daß es das noch gibt, daß ein ganzes Arbeitsteam noch etwas umsonst tut, und mit dieser Arbeit noch zusätzlich sein Einkommen dezimiert, ist Grund zum Optimismus. Wir fühlen uns deshalb gar nicht sehr erhaben, sondern stellen nur fest, daß wir damit etwas verwirklichen, wovon unsere Verächter uns erst beweisen müßten, daß sie selbst Gleiches zu tun bereit wären. Wir betrachten es als tragisch, daß in einer Zeit der großen geistigen Auseinandersetzungen Männer der Kunstkritik, die Tag und Nacht darum bemüht sein müßten, sich wirklich aus dem Herzen heraus auf Europa zu besinnen (also auf die tatsächliche Ethik des Abendlandes und die wirkliche Reinheit seiner Ideen) sich damit aufhalten, den Unterschied zwischen Buh-Rufen und andersartigen Demonstrationen innerhalb eines Opernhauses aufzuzeigen. Wie lächerlich, sich über den Umstand aufzuregen, daß es Übergriffe gibt! Die gab es immer, wird es immer geben! Und so kindisch kann doch das Alter nicht machen, um das nicht zu wissen oder dies gar ändern zu wollen! Wir lehnen als pure Gemeinheit anonyme Briefe und Anrufe ab – das erst betonen zu müssen, ist schon witzig genug –, aber auch diese werden wir nie abschaffen können, sie waren, sind und werden sein. Darob jedoch stürzen die Ränge nicht ein, und damit kommt unsere Moral nicht unter die Räder und unser Ansehen nicht ins Wanken. Denn diese Übergriffe sind nicht Norm, sondern unwesentliche Randerscheinungen. Und auch der Künstler, der die Buhrufe einstecken muß, kassiert am gleichen Abend ein Honorar, das in der Höhe einem Halbjahresverdienst eines Durchschnittsbürgers mit nicht künstlerischem Beruf gleich kommt. Der kann aber nicht als Entschuldigung vorbringen, es sei ihm halt „passiert“. Wenn man einem Arzt anlastet, er hätte aus Indisposition jemandem die Blase statt des Blinddarms, würde man die Entschuldigung eines „Passierens“ akzeptieren? Nein, es gibt Dinge, die nicht passieren dürfen. Und wer Härten scheut, muß auch darauf verzichten, Lorbeeren und recht viel „Kies“ entgegenzunehmen. Wir haben wiederholt betont, daß ein Stammpublikum im Allgemeinen die Aufgabe habt, in unserer Zeit, in der die Kunst nun einmal durch die Schallplattenindustrie und das Management kommerzialisiert worden ist, die Musik heilig zu halten. Und das wird dort auch getan. Es geht im Einzelnen nicht sosehr um diesen oder jenen Zwischenfall, sondern um die Gesinnung dieser jungen Musikfreunde, und die ist bei der überwiegenden Mehrheit absolut in Ordnung. Wir verstehen daher nicht, daß die Herren der Kulturpresse nicht mit einem Freudenschrei entgegennehmen, daß solcher Idealismus auf den Rängen noch blüht. Er ist es wert.

 

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