DER DEZEMBER 1963

9. Jahrgang, Heft 1

 

Die bedauerliche Erkrankung Herbert von Karajans beraubte den Spielplan des abgelaufenen Monats nicht nur der Premiere von Elektra, sondern auch des Glanzes, der Karajan-Vorstellungen künstlerisch auszeichnet. Ein Musterbeispiel dafür, was wir mit dem Chef alles verloren hätten, wenn… Äußerst folgerichtig hingegen begrüßten wir Entscheidung und Tatkraft Dr. Egon Hilberts, die erzielte, daß Tannhäuser und Fidelio dennoch über die Szene gingen. Einige Absagen von Solisten waren ferner als bedauerlich zu bezeichnen, eine nicht ganz glückliche Terminwahl am Spielplanzettel (siehe Meistersinger am 23. Dezember!) und wenig Festesglanz an den Feiertagen bedeuteten Handicaps, die durchgestanden sein mußten. Im Ganzen ein Monat von Schwierigkeiten, immerhin aber gemeistert, so gut es eben ging. Dabei standen im Dezember neben vier Ballettabenden, vierzehn Opern in deutscher Sprache auf dem Spielplan. Der Besuch ließ in diesem Monat allerdings sehr zu wünschen übrig, was auch aus den einzelnen Aufführungen, über die referiert wird, zu ersehen ist.

 

DON GIOVANNI am 1. Dezember

Eine Aufführung, die durch eine recht mittelmäßige Dirigentenleistung stark an Niveau verlor. Hans Swarowsky dirigierte derb, einförmig laut, und vermied sowohl lyrische als auch dramatische Akzente. Notgedrungen mußten die Sänger darunter leiden. Luigi Alvas Ottavio war zwar noch immer ein Ohrenschmaus, klang aber manchmal etwas starr und forciert. Eberhard Wächter, sehr konzentriert singend (der Souffleur war fast unnötig), war im Spiel manchmal zu „legère“, und sein Lachen nach der Champagner-Arie wirkt nicht so sehr als Ausdruck überschäumender männlicher Lebensfreude, sondern klingt eher nach Jagos Credo-Abschluß. Giuseppe Taddei war ein prächtiger Leporello. Heinz Holecek sang den Masetto sehr gut. Im Spiel versuchte er sich im Konzept Panerais, das ihm aber um einige Nummern zu groß war. Wo Panerai die liebevolle Charakterstudie eines ganzen Standes zeichnet, die den Zuhörer schmunzeln läßt, bleibt Holecek äußerlich und dadurch derb, hat aber die lauten Lacher auf seiner Seite. Hilde Güden und Graziella Sciutti sangen ausgezeichnet. Gerda Scheyrer fiel dagegen sehr ab. Angenehm mutet an, daß der Quietscher der Bauernmädchen diesmal nicht so exaltiert ertönte, wie sonst, sondern wohltuend diskret – es geht also auch so.

BALLETTPREMIERE am 2. Dezember

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 3. Dezember

Obwohl Nello Santi die Leitung des Werkes wieder fest und mit dem ihm eigenen Temperament in der Hand hatte, wurden die Stammbesucher – die nur spärlich und vereinzelt zu finden waren – nicht recht warm. Zu sehr waren die Glanzabende der italienischen Oper der vergangenen Tage im Gedächtnis, und Vergleiche zu jener unvergeßlichen Macht des Saisonbeginns durfte man nicht anstellen. Was liebt der Opernfreund mehr, als zu vergleichen? Doch lassen wir die Superlative beiseite und nehmen wir mit dem vorlieb, was wir zu hören bekamen. James McCracken sang den Alvaro auf heldentenorale Art, wodurch er seinen Höhepunkt folgerichtig in der Klosterszene erreichte. Hier konnte sich seine Stimme entfalten. Das Metall des Timbres wurde von der bis dahin deutlich vernehmbaren Verschleierung losgelöst und damit war ihm schließlich die Anerkennung sicher. Kostas Paskalis als Carlos imponierte mehr durch sein bühnengewandtes Spiel und durch seine Erscheinung, weniger jedoch durch seinen Vortrag, um den er sich zwar bemühte. Auch nahm er keine Rücksicht auf sein Organ, und dadurch machte sich schließlich die Übermüdung durch zu tiefes Singen deutlich bemerkbar. Walter Kreppel bot eine gute und solide Leistung als Pater Guardian. Leider aber hat der Zuhörer nicht das Gefühl, daß der Sänger die Bedeutung des Textes versteht, und letztes zeichnet schließlich den Künstler aus. Als Melitone gastierte Carlo Badioli. Auch er war wie viele seiner Kollegen mit der Partie überfordert. Nur mit einer kräftigen Mittellage allein kann man diese Partie nicht bewältigen. Gerda Scheyrer als Leonore bot eine brave und solide Leistung, doch ist und bleibt sie eben kein dramatischer Sopran. Verdi verlangt hier aber einen dramatischen Sopran! Als Preziosilla debütierte eine junge Italienerin namens Luciana Piccolo. Sie sah sehr gut aus und zog sich mit Anstand aus der Affäre. Zwar fühlte man, daß die Sängerin eine Debütantin ist, doch das Material wirkte bemerkenswert und entwicklungsfähig.

AIDA am 4. Dezember

Diese Aufführung stand unter keinem sehr glücklichen Stern. Nello Santi, der uns schon viele spannungsgeladene Vorstellungen geschenkt hat, blieb diesmal seltsam unbeteiligt, ja entpersönlicht und konnte den Schlüssel zum richtigen Aufbau und der dramatischen Steigerung nicht finden. Felicia Weathers sang abermals die Titelrolle: eine kleine Farbige mit viel Gefühl, dafür wenig Bewegung in der Darstellung. Sie besitzt eine zwar kleine, doch durchschlagskräftige Stimme und hatte zahlreiche schöne Momente zu bieten. Dimiter Usunow war indisponiert, seine Leistung als Radames daher ungleichmäßig. Die Stimme klang zeitweise belegt, u.a. in der Mittellage, doch löste sich der Schleier in der Höhe, und da boten sich dann einige Überraschungen. Als Amneris stellte sich ein Gast vor. Frances Bible von der New York City-Opera. Von dort erfolgte der Sprung auf unsere große Bühne zweifellos zu früh. Die Sängerin sah gut aus und bemühte sich, Eindruck zu machen. Die Stimme blieb in den tiefen Regionen aber kaum vernehmbar. Die Höhen klangen schrill. Die mit Abstand beste Gesamtleistung des Abends konnte Giuseppe Taddei als Amonasro verzeichnen. Wie immer ein echter Wüstenkönig mit viel Spieltemperament und guter Gesangsleistung.

DER ROSENKAVALIER am 5. Dezember

Den größten Eindruck hinterließ Leopold Ludwig am Pult, der Richard Strauss so dirigierte, daß man gefesselt war. Manches mutete zwar etwas dick auf der berühmten Strauss-Palette aufgetragen an, aber die Klangdimensionen zueinander wurden gut ausgewogen. Nach ihm ist Oskar Czerwenka zu erwähnen, der in seiner Darstellung auf alle Mätzchen verzichtete und auch stimmlich dabei die schwierigsten Stellen souverän meistern konnte. Nach dieser sehr guten Leistung glaubt man wieder an Czerwenka, der einst viel versprochen. Hilde Zadeks Marschallin bot ihre gewohnte Leistung, ebenso Irmgard Seefried, für die die Partie zu hoch liegt. Wilma Lipp rettete die Ehre der Damenwelt mit einer prächtig gesungenen Sophie. Ernst Gutstein fühlte sich als Wiener in der Rolle des Faninal wie zu Hause. Die übrigen Chargenrollenträger rundeten das Ensemble ab. Warum sollen wir schreiben, daß ein Haustenor (Karl Terkal) von Aufführung zu Aufführung in der Rolle des Sängers schlechter wird? Wozu?

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 6. Dezember

In dieser Wagnervorstellung stellten sich zwei Gäste in den Hauptrollen vor, wobei Doris Jung als Senta den weit günstigeren Eindruck hinterließ. Die Stimme ist durchschlagskräftig und besitzt den gewissen Heroinenklang. In der Darstellung machte sich eine große Nervosität bemerkbar, aber immerhin verriet die Gestaltung Profil und Können. Gegen sie fiel der Vertreter der Titelrolle, Randolph Symonette, der für den erkrankten Otto Wiener einsprang, sehr ab. Abgesehen davon, daß von ihm kein Fünkchen Dämonie ausging, hatte er Schwierigkeiten mit der Höhenlage der Partie. Seine Art, hohe Töne anzusingen, strapazierte die Nerven der Holländer-Kenner. Wolfgang Windgassen als Erik bewies, daß er weiterhin konkurrenzlos in seinem Fache ist. Ob er nun mehr oder weniger Stimme gibt, bei ihm ist alles gekonnt und sicher vorgetragen. Walter Kreppel als Daland wirkte wuchtig und stimmkräftig. Betont sei auch seine derzeit viel sicherere Intonation. Leopold Ludwig am Pult dirigierte mit großem Einsatz und nie erlahmender Energie. Manches wirkte zu kompakt, aber immerhin war es eine Wagnerinterpretation, von der etwas ausging.

CARMEN am 7. Dezember

Luis Forestier sprang statt Patané an diesem Abend ein. Der alte Herr erwies sich als guter und sicherer Dirigent, der zwar langsame Tempi bevorzugte, aber doch eine echt französische Carmen mit ausgezeichneter Phrasierung und dem gewissen gallischen Gefunkel, das dem Hörer leider sonst so oft vorenthalten wird, musizierte. Die Bescheidenheit und die Begeisterung des Künstlers, der sich über die (gute) Leistung des Orchesters gar nicht beruhigen konnte und am liebsten jedem Orchestermusiker einzeln die Hand geschüttelt hätte, war direkt rührend. Manchmal freut sich doch noch einer, wenn er nach Wien kommt. Dem Chor merkte man die Schallplattenarbeit mit Karajan deutlich an, denn er hatte einige Feinheiten und gesteigerte Klangschönheiten zu bieten. Prompt erfolgte allerdings ein Ausstieg der Sopranistinnen im (offenbar nicht auf Platte aufgenommenen) Ballett des vierten Aktes. Auf der Bühne wurde weniger schön als temperamentvoll gesungen. Regina Resnik, die intelligente, die Rolle voll ausschöpfende Interpretin der Carmen, brauchte einige Zeit, bis sie ihre Stimme in Form gebracht hatte (darüber verging der erste Akt), dann sang sie jedoch konzentriert und mit Ausdruck. Sena Jurinac ist der Micaela bereits ziemlich entwachsen. Nicht nur, daß ihr die Partie zu lyrisch ist und sie mit der oberen Mittellage ihre Liebe Not hat, dominiert sie auch als Persönlichkeit zu sehr. (Das gibt’s merkwürdigerweise auch – als Gegenstück zu Hotters Gunther, wo uns zum ersten Mal aufgefallen war, daß ein Sänger eine Rolle glatt erdrücken kann.) Einer Micaela dieses Formats wäre es nicht schwer gefallen, den haltlosen José auf Vordermann zu bringen und ihn zu einem friedlichen Bauern oder Hirten im heimatlichen Tal zu erziehen. Dimiter Usunow sang seinen typischen José, der ihm in den ersten beiden Akten nicht leicht fällt (sein Tiefpunkt war diesmal der „Dragon d’Alcala!“, bei dem man nicht mehr wußte, ob er zu hoch oder zu tief sang, so amorph klang es), während er in den beiden letzten Akten schöne Höhepunkte erreichte. Kostas Paskalis (Escamillo) konnte sich zwar im zweiten Akt nicht unerheblich verbessern, sang aber dafür im dritten derart zu tief, daß er damit nicht nur den langjährigen Durchschnitt, sondern auch seine eigenen Leistungen auf diesem Gebiet beträchtlich unterbot. Unter den Comprimarii war der Morales von Robert Kerns eindeutig der beste. Hilde Rössel-Majdan blieb es vorbehalten mit „L’Amour“ im zweiten Akt den schrillsten Ton und mit „Ah – je suis veuve…“ im dritten Akt die niederschmetterndste Phrase des Abends zu servieren.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 8. Dezember

Man bekam eine gute Aufführung der veristischen Opernzwillinge zu hören. Nello Santi hatte allerdings seinen lyrischen Tag und bevorzugte langsame Tempi, die man von ihm sonst nicht gewöhnt ist.

Bei der Cavalleria konnte man noch meinen, der Dirigent richte sich nach Amy Shuard, die zwar nicht stimmlich, aber in der Auffassung eine lyrische Santuzza gab, aber es blieb im Bajazzo auch dabei. Schöne Phrasen und Steigerungen freilich gibt es bei ihm unter allen Umständen.

In der Cavalleria sang Amy Shuard, wie schon erwähnt, Santuzza – schön im Ausdruck, überlegt und mit klangvoller Stimme, die allerdings an diesem Abend in den höheren Lagen etwas eng wurde. (Sehr italienisch wirkte sie nicht dabei). Giuseppe Zampieri war als Turiddu gut bei Stimme und hätte eine tadellose Leistung geboten, wenn er nicht beim Trinklied gänzlich „taktlos“ geworden wäre. Kostas Paskalis ist stimmlich und schauspielerisch ein guter und glaubwürdiger Alfio. Die Damen Georgine Milinkovic und Gundula Janowitz verliehen den kleinen Rollen Profil.

Den Bajazzo gab James McCracken, der leider nicht mehr so auf Linie singt wie etwa beim Salzburger Troubadour, sondern sein Heil in gewaltiger Stimmentfaltung und kräftigem Losbrechen sucht. Ob ihm das wohl auf die Dauer gut tun wird? Übrigens brachte er das Kunststück fertig, ausgerechnet bei der Phrase „Ridi, Pagliacco“ auszusteigen, wobei Sänger und Dirigent geraume Zeit benötigten, bis sie wieder beieinander waren. Giuseppe Taddei, der Formschwankungen unterworfen ist, wie fast keiner seiner Kollegen, hatte diesmal einen prächtigen Abend und bewältigte sogar die Höhen des Prologs mit Anstand. Daß er einen prachtvollen Typ auf die Bühne stellte, braucht gar nicht extra erwähnt zu werden (überdies verlor er seine Perücke). Robert Kerns sang einen netten Silvio mit kräftiger Stimme. Einen Nebenrollen-Oscar hätte sich jedoch Luigi Alva mit einem wirklich bezaubernden Harlekin in Commedia dell’arte-Stil verdient. Er war auch als Beppo sehr profiliert und wirkte sozusagen als guter Geist der merkwürdigen Canio-Truppe. Zuletzt, doch nicht als Letzte, sei Wilma Lipp mit einer stimmlich hervorragenden und auch sehr echt und interessant gespielten Nedda erwähnt.

BALLETTABEND am 9. Dezember

OTHELLO am 10. Dezember

James McCracken enttäuschte diesmal selbst seine Anhänger. Die Stimme wirkte müde und abgekämpft, und es ging nur wenig von ihm aus. Der Sänger dürfte dies gefühlt haben, ansonsten hätte er nicht zu derart billigen Effekten Zuflucht genommen. Im dritten Akt rutschte er auf den Knien so weit zur Rampe, daß man des Vorhanges wegen um sein Leben zitterte. (Man singt eben nicht ungestraft Othellos in aller Herren Länder wie am Fließband). Giuseppe Taddei hatte als Jago gute wie auch schlechte Momente. Die Stimme hält mit der Gestaltungskraft nicht immer mit. Gré Brouwenstijn als Desdemona bot, von wenigen tremolierenden Spitzentönen abgesehen, eine makellose Leistung. Das „schlagende Herz“ Desdemonas und nicht die Gesangstechnik allein war bei ihr das Entscheidende. Giuseppe Zampieri und Ermanno Lorenzi ergänzten das Ensemble wohlgefällig, was man von Hilde Rössel-Majdan leider nicht behaupten konnte. Viele schrille Töne verursachten dem Zuhörer mehr Furcht als die Raserei des Mohren. Nello Santi als Dirigent war pausenlos bemüht, auftretende Pannen zwischen Bühne und Orchester zu beheben. Großen Erfolg hatte er damit nicht.

DON GIOVANNI am 11. Dezember

Felix Prohaska, der schon im Theater an der Wien aus manch gut besetzter Mozart-Aufführung nichts herauszuholen wußte, hat sich leider nicht geändert. Er dirigierte die Noten, aber es fehlte die Form, es fehlte das Leben und damit herrschte die Langeweile vor, die auch von der Besetzung auf der Bühne her größtenteils nicht überwunden werden konnte. Am besten hielten sich Wilma Lipp mit einer guten und stilvollen Elvira, Graziella Sciutti mit ihrer bezaubernden Zerlina, Luigi Alva mit technisch meisterhaftem Schöngesang als Ottavio und Heinz Holecek mit einem jungen, munteren Masetto (die Stimme wirkt allerdings im großen Haus etwas schmal). Walter Kreppel sang den Komtur, Gerda Scheyrer eine farblose Donna Anna und György Melis gastierte als Giovanni. Der ungarische Bariton ist auch kein Giovanni, obzwar nicht gar so aufreizend schlecht wie Jedlicka oder Borg. Doch hat man ihn, sobald er in der Versenkung verschwunden ist, gänzlich und gründlich vergessen. Da bleibt keine Phrase in der Erinnerung hängen, keine Geste, kein Timbre, kein Ton, gar nichts. Erich Kunz entbehrte bei seinen Leporello-Spielen diesmal des Partners und war so einigermaßen gehandicapt. In der Bankettszene jedoch stieg er hustend, spuckend, Grimassen schneidend und mit vollgestopftem Mund musikalisch aus.

DIE WALKÜRE am 12. Dezember

Diese Aufführung stand im Zeichen eines geradezu erlesenen Wagner-Ensembles. Am Pult fehlte leider die überragende Persönlichkeit: Felix Prohaska fiel vor allem dadurch auf, daß er jedem Solisten Winke gab, jeder Musik-Gruppe umsichtiger Betreuer war, wobei er bei den Herren im Orchestergraben diesmal freilich leichtes Spiel hatte, denn Werke wie Walküre haben sie im kleinen Finger und spielen sie sozusagen vom Blatt weg. Die Gesangspartien waren bewährten Kräften anvertraut. Im ersten Akt sicherten Wolfgang Windgassen als Siegmund und Gré Brouwenstijn als Sieglinde, beide sehr einsatzfreudig, dem Wälsungen-Paar den sicheren Publikumserfolg. Thomas O’Leary, ein „schwarzer“ Baß, war ein grimmiger Hunding. Im zweiten Akt gesellten sich die vorzüglichen Leistungen von Hans Hotter (Wotan), Regina Resnik (Fricka) und Amy Shuard (Brünnhilde) hinzu.

DIE KRÖNUNG DER POPPEA am 13. Dezember

Das war wieder ein Streich der Bundstheaterverwaltung! Man hob das Abonnement auf und stand vor einem gähnend leeren Haus. Es sollte sich schon bis in die Beamtenkanzleien herumgesprochen haben, daß vor und nach Weihnachten höchstens Karajan das Haus füllen kann. Um die Blamage zu bemänteln, wurden an Gott und die Welt Freikarten ausgegeben. Von den Bedienerinnen der diensthabenden Polizisten (mit eigenem Ohr erlauscht!) bis zum Stammstatisten bekam alles seine Loge. Bravo! Wir haben’s ja! Vermutlich waren die Merker-Mitarbeiter naiv genug, ihre Karten zu bezahlen. Wir hatten im vorigen Monat die Hoffnung geschöpft, daß sich die Verwaltung bereits etwas gebessert habe, weil sie von einem Kongreß für eine Verkaufte Braut Preise IV verlangte. Aber nunmehr sind wir der Ansicht, daß die Beamten höchstwahrscheinlich Lotte Rysanek, die die Marie sang, mit ihrer Schwester Leonie verwechselt hätten und deshalb Preise IV verlangten. Hans Swarowsky brachte das Stück über die Distanz (warum dirigiert eigentlich kein Italiener Monteverdi, z. B. Patané oder Erede?). Die Künstler auf der Bühne übten unverändert starke Wirkung aus. Sena Jurinac hatte einen hervorragenden Abend und war eine herrliche Interpretin der Titelrolle. Margarita Lilowa sang ihre ergreifenden Lamenti schön und profiliert. Gundula Janowitz als Drusilla bot kühle, perfekte Stimmschönheit. Gerhard Stolze war der grelle, überzeugend charakterisierte Nerone. Otto Wiener hat sich die für ihn etwas tief liegende Partie des Ottone nun ganz zu eigen gemacht. Carlo Cava wirkt als Seneca unerhört stark und die Tenöre Kurt Equiluz, Ermanno Lorenzi und Karl Terkal ergänzten in ihren mehr schweren als dankbaren Rollen gut. Der Chor ist überraschenderweise noch immer ausgezeichnet, besonders bei Senecas Abschied. In der Schlußszene setzte allerdings ein Tenor um einen Takt zu früh ein, was nicht sehr schön wirkte. Es spricht für die Überzeugungskraft von Stück und Rennert-Regie, daß sogar das zusammengewürfelte Freikarten-Publikum sehr beeindruckt schien.

CARMEN am 14. Dezember

Das Interesse konzentrierte sich an diesem Abend auf den Gast am Dirigentenpult: Horst Stein aus Hamburg. Man dachte an die neue Carmen-Aufnahme mit der Ludwig, die unter seiner Leitung steht und war gespannt. Nun, die Erwartungen waren zu hoch geschraubt. Auch an der Elbe kocht man nur mit Wasser. Von andalusischer Sonne und südländischer Glut war in dieser Aufführung nicht viel zu spüren. Die Heimat unserer Streicher schien eher im rauhen Norden zu liegen, so spröde und matt war ihr Glanz. Die Bläser hatten wenig Lust, ihre Klangkultur hören zu lassen, nur das Schlagzeug war laut und konnte sich richtig austoben. Der Kontakt mit der Bühne war routinemäßig, nicht mehr. Der zum Publikum blieb aus (der Begrüßungsbeifall vor dem zweiten Akt erstarb in dem Augenblick, als Herr Stein das Orchester aufstehen lassen wollte. Sehr peinlich!) Im ganzen gesehen und vor allem gehört, ein erfolgloses Gastspiel ohne jeden Nachhall! Zwei Vollblutkünstler rissen auf der Bühne das Auditorium mit: Regina Resnik in der Titelrolle und Dimiter Usunow als José. Beide erfüllten ihre Rollen mit glühender Intensität im Ausdruck des Gesanges und vor allem im Spiel – beide dürften zur Zeit kaum ernsthafte Konkurrenten in diesen Rollen haben. Wilma Lipp sang eingangs ein unschönes Duett. Sie schleift die Töne hinauf und distonierte hörbar: Da auch Usunow dieses Duett seiner schweren Stimme wegen nicht besonders liegt, war es wirklich keine Ohrenweide. Die Micaela-Arie hingegen geriet ausgezeichnet. Ja, ja, das Torerolied! Wieviele Sänger mußten ihm schon in der Tiefe Tribut zollen? Von Kostas Paskalis hörte man überhaupt sehr wenig: In der Höhe die beiden F, in der Mittellage nicht viel, in der Tiefe gar nichts. Wäre nicht der dritte Akt, den er sehr gut sang, man müßte den Künstler arg verkennen. Aus den Nebenrollen stachen die Frasquita Lotte Rysaneks, der ausgezeichnete Gestalter kleiner Partien, Peter Klein als Dancairo und der noch immer verläßliche Alfred Poell als Morales besonders heraus. Ein Wort noch zum Damenchor: Müssen die beleibten Sopranistinnen unbedingt in der ersten Reihe stehen und dem Auge des Beschauers die Illusion rauben? Man fühlte sich beim Zigarettenchor direkt ernüchtert aus Spanien in andere Gefilde versetzt. Den Umstand, daß man beim Staatsopernchor pensionsberechtigt ist, muß man ja nicht unbedingt so vordergründig demonstrieren.

TANNHÄUSER am 15. Dezember

Leopold Ludwig übernahm an Stelle des erkrankten Chefs die Aufführung. Dafür gebührt ihm der aufrichtige Dank der Wagnerianer, die bereits um die Aufführung gebangt hatten. Daß nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, ist verständlich. Der Dirigent war mit großem Bemühen am Werk, konnte nach einem farblosen ersten Akt – das Bacchanale schien kein Ende zu nehmen – im zweiten Akt besser gefallen. Besonders der Einzug der Gäste auf der Wartburg war ausgezeichnet, um schließlich im Vorspiel zum dritten Akt seinen Höhepunkt zu finden. Danach wurde die musikalische Interpretation wieder schwächer. Besonders kraß war die Lautstärke, die den Sängern zu schaffen machte, und man vermißte jene Karajan’sche Transparenz, die man einfach nicht aus dem Ohr bringt. Es fiel auf, daß Herr Ludwig des öfteren den Stab aus der Hand legte und mit den Händen die Ensembles zu formen suchte, was aber anscheinend bei den Mitwirkenden eher verwirrend wirkte. Wir hoffen, daß sich Herr Ludwig auf die Akustik des Hauses wird einstellen können, denn es müßte ihm doch aufgefallen sein, daß der Wiener Orchesterraum wesentlich höher liegt, als in anderen Opernhäusern, wodurch die Sänger bei seiner Lautstärke gezwungen sind zu forcieren. Aus dem guten „Karajan-Ensemble“ ragten diesmal Eberhard Wächter mit einem vollendet gesungenen und gespielten Wolfram und Wolfgang Windgassen als Titelrollenträger heraus. Windgassen war ausgezeichnet disponiert und bewies bereits im Venusberg, in dem er sich sonst manchmal schwer tut, Hochform. Er steigerte im Laufe der Vorstellung seine Leistung zu einer grandiosen Rom-Erzählung, wie man sie packender und erschütternder heute nicht hören kann. Über die Gestaltung seines Tannhäuser ist in unseren Bayreuther, Wiener und Stuttgarter-Berichten soviel Lobendes gesagt worden, daß man sich nur wiederholen könnte. An Windgassen offenbaren sich am schönsten die Früchte jahrzehntelanger Arbeit „am Hügel“. Walter Kreppel (Landgraf) zeigte, daß er sich wieder in ansteigender Form befindet. Waldemar Kmentt war ein guter Walter von der Vogelweide. Kurt Equiluz und Tugomir Franc waren ebenfalls richtig eingesetzt. Nur Ludwig Welter als Biterolf schien indisponiert. Gré Brouwenstijn, deren Gestaltungskraft als Elisabeth immer wieder fesselt, konnte diesmal auch mit einer sehr guten Gesangsleistung aufwarten. Sie sang eine einwandfreie Hallenarie und ein tiefempfundenes Gebet. Grace Hoffman (Venus) hingegen schien, bedingt durch ihre ungünstige Placierung, unter der Lautstärke besonders zu leiden, sodaß sie genötigt war, zu forcieren, wobei die Gesangslinie hörbar litt. Gundula Janowitz sang wieder einen stimmschönen Hirten. Das Orchester schien lange nicht so hervorragend, wie in den bisherigen Tannhäuser-Aufführungen, und der Staatsopernchor, der auf der Wartburg auch an Zahl verringert wirkte, blieb unter seiner gewohnten Form. Das Publikum, das zum Großteil aus Abonnenten bestand, war sehr „indisponiert“. Was da besonders im letzten Akt an wunderschönen Piano-Stellen zerhustet wurde, ist sträflich. Schließlich versuchte man nach Wolframs Lied an den Abendstern noch einen Szenenbeifall zu placieren, der natürlich niedergezischt wurde. Alles in allem eine Aufführung, die durch die guten Gesangsleistungen hohes Niveau erhielt. Karajan aber vermißte man sehr!

BALLETTABEND am 16. Dezember

FIDELIO am 17. Dezember

Das Künstlerehepaar Christa Ludwig – Walter Berry (auch vom Merker sehr geschätzt) ist sowohl in Wien wie auch anderswo gemeinsam engagiert, soweit es die diversen Opern zulassen, gemeinsam angesetzt und nun – oh Schreck – wurden sie sogar gemeinsam krank! Karl Farkas würde sagen „Einteilung ist alles!“ Während Frau Ludwig bereits in München die Leonore absagte und auch für Wien ausfiel und man rechtzeitig die Leonore umbesetzen konnte, sagte erst am Aufführungstag Walter Berry ab und zwang dadurch die Operndirektion zum raschen Handeln. In der Fernsehsendung „Ihr Auftritt, bitte“ unter Fischer-Karwin holte Berry dann allerdings am nächsten Tag jenen Auftritt nach, den er den Opernbesuchern schuldig blieb, immerhin etwas! In Otto Wiener, der für den folgenden Abend als Wotan angesetzt war, fand man schließlich auch den Pizarro, und der Aufführung stand nichts mehr im Wege! Gegenüber der Neuinszenierungsbesetzung waren (bisher gab es nur beim Florestan Umbesetzungen!) vier Partien umbesetzt, und zwar Leonore, Florestan, Pizarro und der erste Gefangene. Es ist erfreulich, feststellen zu können, daß es allen „Neuen“ gelang, in die ihnen nicht vertraute Inszenierung ohne jeden Bruch einzusteigen, und man könnte daraus den Schluß ziehen, daß dies auch bei einigen anderen Karajan-Inszenierungen (natürlich nicht bei Pelleas und Poppea) ohne weiteres möglich sein müßte, wenn die dazu Ausersehenen neben der Anpassungsfähigkeit auch das gesangliche Niveau haben, nicht abzufallen. Während sich die Aufführung bis zur Pause etwas zog, trat dann plötzlich mit der Florestan-Arie, gesungen von James McCracken, eine Wendung ein. Er bewältigte die Partie nun mit Ausdruck und einer erstaunlichen Stimmkraft, die jedem Orchesterfortissimo (und deren gab’s gar manche) trotzte. In der Prosa wäre eine Verbesserung (ebenso wie bei seinen Vorgängern Vickers, Zampieri und Usunow) nötig, gesanglich jedoch ist er zur Zeit in dieser Rolle unerreicht. Gré Brouwenstijn war die Leonore, die hier mit grandioser Gestaltungskraft verwirklicht wurde. Die gesangliche Beherrschung dieser schwierigen Partie stand bei Frau Brouwenstijn meist an zweiter Stelle (es fehlt dem Organ an Glanz, vieles wird durch Kraft erzwungen). Während also in der großen Arie nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, trat im zweiten Akt eine wesentliche stimmliche Verbesserung ein. Die Künstlerin erwies nach der Tannhäuser-Elisabeth, Sieglinde und dem Fidelio abermals, daß ihre Stärke im deutschen Fach liegt. Otto Wiener, der Pizarro des Abends, war gut disponiert und klug im Auftreten, allerdings müßte er in dieser Inszenierung anders (greller) geschminkt sein. Gundula Janowitz war die gute Marzelline. Walter Kreppel als Rocco kam bei den Prosastellen in arge Schwierigkeiten. Es hätte eigentlich vorher abgesprochen werden müssen, was gestrichen ist und was verbleibt. Waldemar Kmentt (Jacquino), Kurt Equiluz und Ljubomir Pantscheff (Gefangene), sowie Eberhard Wächter (Minister) vervollständigten das Ensemble. Leopold Ludwig stand abermals für Karajan am Pult. Sein Hauptmerkmal war die Lautstärke. Bis zur Pause vermochte er der Aufführung keine Spannung zu verleihen. Nachher war es besser und die Leonoren-Ouvertüre fand schließlich den (gewohnten) Beifall, der noch keinem Dirigenten, ganz egal wie gut oder schlecht er sein mag, versagt blieb, denn das spielen die Philharmoniker (und ihre Substituten) wirklich ausgezeichnet, wenn man sich auch vor- und nachher oft maßlos über das Blech und seine Schäden ärgert. Weiters ist es auf die Dauer untragbar, daß im Orchesterraum ein Kommen und Gehen während der Aufführung herrscht, wie zu Hollreisers Zauberflöten-Zeiten. Es kann doch nicht sein, daß die diversen Musiker zu ihren Einsätzen kommen und dann wieder verschwinden. Der Gefangenenchor war bei seinem Auftritt infolge der Lautstärke des Orchesters erst ab „…den Atem einzuheben“ auf der Galerie vernehmbar. Bedenklich das!

DIE WALKÜRE am 18. Dezember

Der Beginn der Aufführung war für 18 Uhr angesetzt, und man war daher über die gähnende Leere im Zuschauerraum etwas erstaunt, als man fünf Minuten vor Beginn den Saal betrat. Als der Dirigent den Taktstock hob war das Haus gerade zur Hälfte gefüllt. Was sich dann abspielte, war beispiellos. Ununterbrochen wurden Zuspätkommende eingelassen. Stühle klapperten hörbar zurück und Geld wechselte klingelnd seine Besitzer. Erst gegen Ende des ersten Aktes herrschte im Zuschauerraum jene Ruhe und Aufmerksamkeit, die man während einer Opernaufführung erwarten könnte. Betrachtet man diese Umstände, so kann man Herrn Löbl nur beipflichten, die Beginnzeiten während der Adventzeit doch auf etwas später zu verlegen. Man würde damit bestimmt allen Beteiligten einen guten Dienst erweisen. Die Aufführung selbst zeigte zwei ganz verschiedene Gesichter: Kläglich das Niveau des ersten Aktes. Ernst Kozub besitzt zwar eine schöne, sehr baritonal gefärbte Stimme, weiß damit aber zu wenig anzufangen. Er ließ in der Erzählung einige kräftige Töne hören, doch – bereits zu Beginn des Schwertmonologs schwächer werdend – nahm ihm das Mißlingen des zweiten Wälse-Rufes gänzlich die Sicherheit. Dazu kam noch, daß er die Partie textlich nicht ganz beherrschte und auch manchmal kräftig distonierte. Außerdem hatte Hilde Zadek einen äußerst schlechten Tag und konnte zur Hebung des Niveaus kaum etwas beitragen. Walter Kreppel sang die Partie des Hunding mit Routine, schien aber etwas unkonzentriert. Beachtlichen Auftrieb erhielt die Aufführung durch den Auftritt von Otto Wiener, Birgit Nilsson und Grace Hoffman. Otto Wiener ist wohl neben Hans Hotter der beste Wotan, der dem Haus zur Verfügung steht, obwohl er vom Stimmtypus her eigentlich nicht als ideal zu bezeichnen wäre. Anfangs hatte er gegen eine leichte Indisposition anzukämpfen, steigerte sich aber von Minute zu Minute und erreichte im dritten Akt großartige Höhepunkte. Stimmlich in Hochform befand sich Birgit Nilsson. Sie präsentierte ihre Walkürenrufe bombensicher, hatte die nötige Gefühlswärme bei der Todesverkündigung und bot eine ergreifende Leistung im letzten Akt, die heute unerreicht ist! Grace Hoffman holte aus der Partie der Fricka heraus, was zu holen ist und war besonders in den höheren Lagen enorm sicher und durchschlagskräftig. Felix Prohaska am Pult erzielte zeitweise unangebrachte Lautstärke, verhetzte den ersten Akt, zerdehnte den zweiten und überraschte dann noch mit einem recht gefühlvollen Schluß des dritten Aktes

MADAMA BUTTERFLY am 19. Dezember

Eine schöne Aufführung, die beruhigendes Niveau hatte. Wenn wir einen solchen Durchschnitt nur immer halten könnten! Nello Santi dirigierte vorzüglich, den Farben der Partitur und der Dramatik im Aufbau gleicherweise gewachsen und – neuerdings – sehr besorgt um die Sänger. Felicia Weathers ist eine glaubhafte Butterfly. Das gibt es selten genug. Es ist kaum faßbar, wie verschieden die farbigen Amerikanerinnen von ihren weißen Sängerkolleginnen sind. Sie bringen das natürliche Gefühl für die musikalische Phrase mit, den sechsten Sinn für Aufbau und Höhepunkte und vor allem Herz. So ist auch Frau Weathers, obzwar ihre hübsche und sonst gut geführte Stimme in der Höhe etwas eng wird, für uns weit interessanter als irgendeine Gehirnakrobatin, die eine Zwölftonpartitur aufschlägt und, von allen emotionellen Regungen unbelastet, ihre Partie vom Blatt singt. Wenn eine Mensch auf der Bühne steht, ist es dem Wiener Hörer im allgemeinen lieber. Auch die Partner hatten in punkto Phrasierung und musikalischem Einfühlungsvermögen ihre Verdienste. Giuseppe Zampieri war beim Sharpless-Duett zwar noch etwas unkonzentriert und kurzatmig (wenn der doch einmal eine Rolle gleich von Anfang anfangen würde!), sang aber das Liebeduett und seinen Auftritt im dritten Akt sehr schön. Kostas Paskalis war ein Konsul mit Stimme und Gefühl. Die Nebenrollen waren wie gewohnt besetzt.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 20. Dezember

Der Abend wurde durch Birgit Nilsson zum Ereignis. Nach vierjähriger Pause sang sie in Wien wieder die Senta, und zwar so herrlich, daß es das Publikum förmlich von den Sitzen riß. Dabei war einem zuerst beinahe bange, denn vor der Senta-Ballade schien alles improvisiert, und man fürchtete, daß der Nilsson die Partie nicht mehr liege. Doch schon die Senta-Ballade war eine Demonstration höchster Gesangskunst und erst alles danach Folgende! Wann hört man ein solches Liebesduett und ein solches Duett mit Erik im letzten Akt? Es wurde dem Zuhörer wieder voll bewußt, was ein Abend mit der Nilsson selbst für den abgebrühtesten Opernfan bedeutet! Da machte es einem selbst wenig aus, daß sie eher wie eine Agathe aussah und lange nicht so mitreißend in der Gestaltung ist, wie die Rysanek. Hans Hotter sang den Holländer. Diese Partie aus seinem reichhaltigen Wagner-Repertoire liegt ihm jetzt wohl in gesanglicher Hinsicht am wenigsten und seine trotzdem unbeschreibliche Wirkung ist seiner grandiosen Gestaltung zuzuschreiben. Fritz Uhl als Erik war großartig disponiert. Kurt Böhme liegt der Daland ausgezeichnet. Das war der polternde Seebär, wie man sich ihn vorstellt. Anton Dermota sang nach langer künstlerischer Pause zum ersten Mal wieder (Steuermann) und wirkte ausgeruht. Er hätte aber trotzdem längst vom Steuermann zum Erik befördert werden müssen. Das wäre an jeder deutschsprachigen Bühne längst geschehen. Warum bei uns nicht? Hier läßt man Sänger jahre- ja jahrzehntelang auf Partien sitzen, die ihnen nicht mehr liegen. Der Steuermann Dermotas ist nur ein Beispiel für viele. Elisabeth Höngen war die Mary. Am Pult stand diesmal Felix Prohaska, der einen überraschend flüssigen und sicheren Holländer leitete. Während das Vorspiel noch farblos blieb, vermochte er im weitern Verlauf dem Geschehen vom Orchester her Profil zu geben. Das Orchester selbst ließ, wie oft im Holländer zu wünschen übrig und der Chor bestand nicht so gut wie gewohnt (besonders der Spinnchor!). Das Haus war mit Schulklassen und Bundesheerangehörigen vollgestopft.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 21. Dezember

Cenerentola wird öfter abgesetzt als es selbst bei Siegfried der Fall ist. Eine einzige Besetzung (wie sie Günther Rennert für dieses Stück verlangte) hat eben nicht nur Vorteile. Die als Ersatz aufgeführten Entführungen kandidieren dann meist für die Palme der „schlechtesten Aufführung der Saison“. Diese Vorstellung machte keine Ausnahme. Heinrich Bender, der (ausgerechnet!) für Cenerentola engagierte Gastdirigent, gab sich zwar alle Mühe, konnte aber auch keine Stimmung ins Haus bringen. Auf der Bühne erreichte Ludwig Welter als Osmin noch die stärkste Wirkung. Stimmlich nur durchschnittlich, spielte er doch sehr humorvoll und bleibt dabei immer im Rahmen, was bestimmt nicht leicht ist. Waldemar Kmentt ist zwar vom Typ her und auch stilistisch und sprachlich ein guter Belmonte, aber stimmlich der Partie bereits entwachsen. Die Koloraturen holpern und versuchte Feinheiten gehen meist daneben. Kurt Equiluz bleibt als Pedrillo blaß. Bei den Damen hapert es allerdings noch mehr. Mimi Coertse ist zwar als Konstanze noch immer besser als beispielsweise als Donna Elvira, aber die Koloraturarien gehen auch nicht mehr reibungslos. Die g-moll-Arie gelang am besten. Hier konnte Frau Coertse ihr schönes Piano einsetzen. Im Forte wird die Stimme immer hart und scharf. Rita Streich hat ihre Soubrettenstimme nun leider so überdehnt, daß sie selbst dem angestammten Fach kaum noch gerecht werden kann. Auch einen saftigen Schmiß gab es gleich in der ersten Blondchen-Arie, trotz „eigener Fassung“! Eine derart schlechte Leistung haben wir seit langem nicht mehr erlebt. Was die Inszenierung betrifft, kann man nur immer wiederholen, daß einige Eimer Farbe (weiß und bronze) im Budget doch unterzubringen sein müßten, desgleichen ein neuer Feigenbaum und zwei Kostüme für die Damen. Als Notnagel wird die Entführung ja immer wieder gespielt. Da dürfte sie auch nicht so schäbig belassen werden.

AIDA am 22. Dezember

Unser Besetzungsbüro ist nach wie vor nicht sehr phantasiereich. Infolge der Absage der Elektra-Premiere suchte man nach einem Werk um die „arbeitslosen“ Elektra-Solisten: Shuard, Resnik, Usunow einsetzen zu können und wählte die Aida. Dimiter Usunow sang einen Radames wie schon lange nicht: mitreißend, schwungvoll, vom ersten bis zum letzten Ton mit vollem, restlosem Einsatz seiner Mittel. Daneben Regina Resnik, ihre Stimme intelligent verströmend, eine wahre Königstochter, die um ihren Helden kämpft. Man merkte kaum, wie sehr sich die Sängerin jetzt bemühen muß, um den Eindruck zu erreichen, der sich früher mühelos einstellte. Amy Shuard sang leider den ganzen Abend gegen eine Indisposition an, was ihr eine Weile gelang. Im Nilakt jedoch war dann nichts mehr zu machen. Sie verfehlte das C in der Arie, der Schlußton im Duett riß. Giuseppe Taddei war wieder der Amonasro von gewohntem Format. Der Dirigent der Aufführung Mario Parenti hinterließ einen durchaus positiven Eindruck.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 23. Dezember

Einen Tag vor dem heiligen Abend die Meistersinger (noch dazu die ersten der Spielzeit) – da gab es schon Tage vorher lebhafte Diskussionen auf der Galerie und man meinte, dies sei genauso absurd wie Die Fledermaus zu Allerheiligen oder Tristan am Faschingsdienstag. Doch schließlich erfuhr man doch noch den Grund für diese Stückwahl. Meistersinger waren am 13. Mai wegen eines nicht vorhandenen Stolzing (Windgassen kam nicht, Schock riskierte es nicht einzuspringen) im letzten Moment ausgefallen und man holte diese Aufführung nun für die Abonnenten der damaligen Gruppe nach. Erfreulich, daß man sich dazu entschloß. Mußte es aber ausgerechnet dieser Termin sein? Selbst der Opernfan hat vor den Feiertagen alle Hände voll zu tun, und so war der Stehplatz derart leer, daß selbst im Stehparterre ganze Reihen frei blieben. Das gibt’s sonst selbst beim Sommernachtstraum nicht. Hoffentlich ist man im kommenden Jahr einsichtiger und wählt am 23. Dezember ein kürzeres und weniger anstrengendes Stück, am besten wohl Ballett. Wegen der Mitwirkung einiger in München ansässiger Sänger mußte schließlich sogar um 17 Uhr begonnen werden, also wozu das Ganze? Leopold Ludwig leitete die Vorstellung ambitioniert, jedoch abermals zu laut! Daß er an Transparenz und Ausfeilung der Details sehr viel schuldig bleiben mußte, soll nicht verschwiegen werden. Wann endlich wird man diese Oper einem Dirigenten übertragen, der der Aufführung alles zu geben vermag, was ihr zusteht. Wenn Karajan dieses Werk nicht dirigieren mag, müßte endlich Cluytens wiedergewonnen werden, den wir als Wagnerdirigenten unvergessen in Erinnerung haben und der wegen Probenschwierigkeiten Wien den Rücken kehrte! Angeblich wird jetzt geprobt, also bitte, her mit Cluytens! Paradox ist es, daß der Dirigent zur gleichen Zeit in Wien zu Schallplattenaufnahmen (Hänsel und Gretel im Theater an der Wien) weilte, die letzten Endes wegen Erkrankung von Walter Berry-Christa Ludwig nicht zustande kamen. Wäre er wenigstens in der Oper am Pult gestanden! Das Orchester war in mäßiger Form, wobei die erste Hälfte noch besser war als jene, die vor dem dritten Akt die Kollegen ablöste. Ein Trompetenschmiß bei geschlossenem Vorhang vor der Festwiese ließ die Besucher unruhig werden. Kann man gegen Blechschäden wirklich nichts unternehmen? Es wird immer ärger, und für ein Orchester, wie das der Wiener Staatsoper (Philharmoniker wagen wir nicht zu sagen, angesichts der vielen Substituten im Orchesterraum) einfach untragbar. Durch diese Umstände bedingt und durch eine Unstimmigkeit mit den aufziehenden Zünften auf der Festwiese (der Chor war mit dem Orchester ziemlich auseinander) konnte die Aufführung nicht über ein mittleres Niveau hinauskommen. Dabei gab es einige ausgezeichnete Sängerleistungen. Hans Sachs war Otto Wiener, der nach zwei guten Akten durch einen ausgezeichneten dritten, der in einer grandiosen Schlußansprache gipfelte, einen deutlich hörbaren Umschwung brachte und vom Publikum am Ende der Aufführung stürmisch bejubelt wurde. Ihm zur Seite in guter Verfassung Wilma Lipp und der für Hopf einspringende Fritz Uhl, der bestens disponiert war und deutlich hören ließ, daß er  bereits ins schwerere Wagnerfach tendiert. Schade, daß durch Verfärbung der Vokale die Diktion immer undeutlicher wird, was besonders neben Wiener deutlich zu Tage trat. Hans Hotter war der persönlichkeitsstarke Pogner, Alfred Poell ein köstlicher Kothner. Für den Beckmesser, der an unserer Oper sehr schwer zu besetzen ist, holte man Karl Schmitt-Walter, dessen schauspielerische Leistung heute noch von keinem anderen Vertreter dieser Partie erreicht wird und der in gesanglicher Hinsicht natürlich nicht Gleiches bieten kann. Aber wer außer Evans hat in den letzten Jahren die Partie an der Wiener Oper einwandfrei gesungen? Murray Dickie ist dem David entwachsen. Er war in der Höhe steif und die Koloraturen im ersten Akt machten ihm zu schaffen. Deplaciert war Hilde Rössel-Majdan als Magdalena.

SPIELFREI am 24. Dezember

LA CENERENTOLA am 25. Dezember

Am Christtag fand vor halbleerem Haus die großartige Rennert-Inszenierung La Cenerentola statt. Schade, daß diese Oper ein Aschenbrödel für die breite Masse des Publikums ist, das diesmal – noch dazu wegen der wenige Tage vorher abgesagten Aufführung – skeptisch war und es vorzog, daheim zu bleiben. Der Abend stand im Zeichen von Christa Ludwig, die ihren herrlichen Mezzo verschwenderisch verströmen ließ. Wo gibt es eine Stimme, die so viel Glanz und Schönheit in den verschiedensten Nuancen besitzt? Da die übrige Besetzung premierenmäßig blieb, gab es die gewohnten Leistungen. Diesmal machte es uns Freude Formverbesserungen vermerken zu können. Waldemar Kmentt befand sich in Prachtverfassung. Seine Fermaten wirkten wie elegante Florettstiche. So gut hatten wir ihn schon lange nicht gehört. Auch Karl Dönch zeigte sich verbessert. Diesmal setzte er Stimme ein und hatte wirklich Erfolg damit. Walter Berry war wie immer sympathisch und gesanglich makellos. Heinrich Bender am Pult dirigierte lautstark, ohne Rücksichtnahme auf feinere Schattierungen des Orchesterklanges.

DER ROSENKAVALIER am 26. Dezember

Josef Krips sollte dirigieren. Man freute sich schon sehr auf einen wienerischen Rosenkavalier. Leider sagte er ab. Am Pult stand Hans Swarowsky, der laut einem Leserbrief im „Stern“ vom Wiener Opernpublikum (das Karajan gewaltig überschätzt), unterschätzt wird, was wir kommentarlos zur Kenntnis nehmen. Auf der Bühne dominierte Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin. Wie immer war sie auch diesmal in der Zeichnung der Gestalt einfach vollendet. Dabei sind verschiedene Nuancen immer wieder anders. Man sieht, die Schwarzkopf denkt viel über die Fürstin Werdenberg nach und feilt, wie keine andere unter den Weltklassesängerinnen, an ihren Partien weiter, wodurch sie dem Opernpublikum immer wieder etwas Neues und Interessantes bringen kann. Ein ganzes Dutzend Varianten von 1. Akt-Schlüssen kennen wir von Frau Schwarzkopf und jede ist so einmalig und faszinierend, daß man immer meint, eben in dieser Aufführung habe man die schönste Schlußszene gesehen, bis man in der nächsten Aufführung eines besseren belehrt wird. Gesanglich war die Künstlerin hervorragend disponiert und bewies somit an diesem Abend erneut ihre Spitzenposition in dieser Partie. Bravo, Schwarzkopf! Neben ihr war Wilma Lipp eine prachtvolle Sophie. Diese Partie liegt ihr  besonders, und selbst der um eine Spur zu tiefe Schlußton des Duettes im letzten Akt, konnte  der guten Leistung keinen Abbruch tun. Irmgard Seefried war Quin-Quin. Gesanglich schien die Sängerin in guter Verfassung, war aber im Tempo sehr eigenwillig, einmal hastig, dann wieder schleppend. Über ihr Spiel mußte man sich wieder ärgern. Gefällt einem schon beim Rofrano verschiedenes nicht, z. B. das Getue mit der Marschallin im ersten Akt, das seinen Höhepunkt darin findet, daß dieser Quin-Quin jeden einzelnen Finger der Marschallin küßt, was beinahe degoutant ist, dann das Herumfuchteln mit dem Spadi, nachdem Ochs bereits „gestochen liegt“ u.a.m., so fallen beim Mariandl schließlich alle Hemmungen. Hier wird vor allem ein Dialekt serviert, der eher in der Hasenleiten daheim ist, als bei einem jungen Adeligen der Maria Theresia-Zeit! Der Clou jedoch kam nach Ende der Aufführung, als Frau Seefried vor dem Vorhang Frau Lipp die Hand küßte! Oh Gott!!! Unter den Männern war Otto Wiener als Faninal gesanglich der Beste. Er weiß aber auch schauspielerisch die Partie voll auszufüllen, und es ist köstlich, diesen Faninal in all seinen Nöten und Sorgen zu erleben. Daß neben ihm der Ochs nur mit einem Bruchteil des Wiener’schen Stimmvolumens singt, läßt tief blicken. Wir vermuteten schon im vergangenen Sommer in Salzburg unter Karajan, daß Otto Edelmanns Stimmvolumen kleiner wird und erlebten es nun in dieser (ziemlich lauten und einförmigen) Aufführung, daß er mehrmals einfach nicht über das Orchester kam. Schade, denn in schauspielerischer Hinsicht war er köstlich. In den Nebenrollen war Karl Terkal als Sänger eingesetzt, der sich mit viel Anstrengung seiner Pflicht entledigte. Das Intrigantenpaar ist mit Gerhard Stolze (dem vielseitigen, dem aber diese Partie wenig liegt) und Hilde Rössel-Majdan besetzt. Über das Orchester konnte man sich nicht sehr freuen: da lärmten die Holzbläser im Finale des zweiten Aktes über Gebühr und bei Faninals Ohnmachtsanfall kiksten die Hörner so, daß man zusammenfuhr. Ein Trost, daß die Schwarzkopf nicht absagte, denn was wäre dann geblieben?

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. Dezember

Unter Berislav Klobucars diesmal sehr unsicherer Leitung gab es einen Figaro, der an Schwerfälligkeit sobald nicht zu übertreffen war. Trotz großer Besetzung. Gerda Scheyrer, Graziella Sciutti, Olivera Miljakovic, Eberhard Wächter und Giuseppe Taddei. Ohne auf die einzelnen Leistungen näher eingehen zu wollen, soll insgesamt betont werden, daß man doch mehr auf Mozartabende achten müßte. Proben für die großen Ensembles sind nun einmal unerläßlich, und die Improvisation darf nicht so tolle Kapriolen schlagen, wie es an diesem Abend der Fall war.

WOZZECK am 28. Dezember

Man sollte Alban Bergs Meisterwerk nicht in der Weihnachtszeit auf den Spielplan setzen. Das zeigte sich in dieser Aufführung vor halbleerem Haus. Der Wiener geht anscheinend zu den Feiertagen nicht besonders gern in die Oper. Zieht nicht einmal der Rosenkavalier, wie dann erst der Wozzeck? Es war schade, denn diese Prachtaufführung hätte sich ein volles Haus verdient. Die Wiener Standardbesetzung gab ihr Bestes. Christa Ludwig als Marie, die sich immer mehr in die Rolle hineinlebt und ihr erschütternde Momente abgewinnt (3. Akt, 1. Szene), mit Walter Berry als beängstigend „verhetztem“ Wozzeck, der sein herrliches Organ an den entsprechenden Stellen voll und ganz einsetzt, mit Murray Dickie als Andres, der sein Jägerlied wie ein Volkslied herunterträllert und noch beim hohen C lächeln kann, mit Karl Dönch als Doktor, in der Skurrilität besser als im Gesanglichen und mit Peter Klein, dem wohl besten Hauptmann weit und breit. Kein Tambourmajor ist Fritz Uhl, den man stellenweise sogar im Parkett nicht hört. (Der beste Vertreter dieser Partie war doch Laszlo Szemere!). Die Szene im Wirtshausgarten hat seit dem Abgang von Marjan Rus etwas von ihrer Wirkung verloren. Dieser Komödiant durchpulste sie durch seine Persönlichkeit mit echtem Leben. Ludwig Welter bemüht sich zwar redlich, aber die geschlossene Wirkung will sich nicht einstellen. Harald Pröglhöf, Erich Majkut und Dagmar Hermann vervollständigten das Ensemble. Leopold Ludwig leitete das schwierige Werk mit letztem Einsatz und sicherer Hand. Die Philharmoniker folgten ihm bewundernswert.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 29. Dezember

Leopold Ludwig dirigierte auch die zweiten Meistersinger der Saison. Er nahm normale Tempi und führte Orchester, Chor und Solisten sicher über alle Fährnisse. Allerdings klang es oft zu handfest. Von den Solisten müssen Wiener, Windgassen und Hotter an erster Stelle genannt werden. Otto Wieners Sachs ist derzeit konkurrenzlos. Bewundernswert, wie er die Partie durchsingt, bewundernswert, wie er sie gestaltet. Sein Sachs ist Dichter, ist feinsinniger Poet, und er ist auch ein ehrenwerter Handwerker mit Lust an handfesten Späßen. Man glaubt ihm den Anwert, den er bei Eva hat, und glaubt ihm auch, daß es ihm gar nicht so leicht fällt, das hübsche Mädchen einem anderen zu gönnen. Aber dieser Sachs, dessen Persönlichkeit so reich, so vielschichtig ist, hat noch eine Eigenschaft, vielleicht seine beste – er ist menschlich. Wolfgang Windgassen war als Stolzing prächtig bei Stimme. Hans Hotters Pogner strahlte die Würde einer großen Persönlichkeit aus. Als David sprang statt des angekündigten Erwin Wohlfarth Murray Dickie ein und zog sich mit nettem Spiel und etlichen gequälten Tönen aus der Affäre. Alfred Poell plagte sich diesmal mit dem Kothner. Wilma Lipp (Eva) forcierte ziemlich stark, was erstens in dieser Partie nicht nötig und zweitens dem Wohlklang der Stimme abträglich ist. Für die Lene sollte schnellstens eine junge Stimme gefunden werden. Karl Dönchs Beckmesser wird nachgerade peinlich. Im Spiel unangenehm outrierend, schreit er sich durch die Partie. Sonderbar, daß nach dieser doch interessanten Rolle bei den jungen Baritons keine Nachfrage besteht. Das Publikum feierte Wiener und Windgassen.

MADAMA BUTTERFLY am 30. Dezember

Diese Aufführung unterschied sich trotz nur unerheblicher Besetzungsänderungen von der vorhergehenden dadurch, daß sich Felicia Weathers und Giuseppe Zampieri entschuldigen ließen. Sie waren beide auch wirklich hörbar indisponiert. Frau Weathers sang etwas mühsam, wenn auch mit viel Einsatz. Zampieri hingegen wischte ohne viel Einsatz sehr leise und sehr schnell über die Phrasen. Er schien froh zu sein, wenn er eine davon hinter sich hatte. Nur Kostas Paskalis erfreute sich offensichtlich bester Gesundheit. Es störte ihn kaum, daß er die Ensembles so gut wie im Alleingang zu singen gezwungen war. Berislav Klobucars Butterfly ist nicht so „gebaut“ und profiliert wie die von Nello Santi, aber es ist immerhin ein Stück, das seiner „slawischen Seele“ entgegenkommt.

DIE FLEDERMAUS am 31. Dezember

Ja das wäre eine Sache, wenn die alljährliche Silvester-Fledermaus auch wirklich eine solche, nämlich eine von Premierenformat, wäre. Aber leider: Erstens spielen die Philharmoniker wegen ihres traditionellen Silvesterkonzerts im Musikverein nicht (zumindest die erste Garnitur!), also würde sie Karajan, auch wenn er zur Verfügung stände, kaum dirigieren. Zweitens ist die ehemals so herrliche Lindtberg-Inszenierung inzwischen schon etwas aus den Fugen geraten und vom Zahn des Schlendrians angenagt. Drittens vertraut die Direktion der Nachsichtigkeit des Publikums, das ja ohnehin am letzten Abend des Jahres schon in gehobener Stimmung das Haus betritt und sich an diesem Abend „e nur a Hetz“ machen will. Weit gefehlt! Das Publikum, das ja immerhin auch die höchsten Eintrittspreise zahlte (es waren diesmal nach Wochen wieder alle Karten verkauft!) will in erster Linie eine erstklassige Operettenaufführung genießen! Eine pflichtgemäß absolvierte Repertoireaufführung mit argen Schönheitsfehlern tut’s da nicht. Die Silvesteraufführung der Wiener Staatsoper sollte in jedem Falle eine Modellaufführung sein! Nun, diesmal hatte man sich wohl zu sehr auf den klangvollen Namen des „Debütanten“ Robert Stolz verlassen. Er machte es auch, aber leider im negativen Sinn: Schon die Ouvertüre bereitete wenig Vergnügen, wurde eher mit akademischer Strenge denn mit beschwingtem Animo heruntergespielt und erzielte eine beachtliche Länge. Leider hielt dieser Eindruck den ganzen Abend an, da auch der Kontakt zur Bühne nicht gerade ideal war und etliche „Umfaller“ verursachte. Solch gedehnte Tempi dürften kaum die richtige Verjüngungsspritze für die alte Dame Operette sein. Eine zelebrierte Fledermaus! Vom Ensemble, das sicher auch schon einmal mehr bei der Sache war, waren Hilde Güden (Rosalinde), Eberhard Wächter (Eisenstein) und Giuseppe Zampieri (Alfred) sichtlich bemüht und musikalische Lichtblicke. Renate Holm (Adele) leistete sich gleich im ersten Akt einen argen Schnitzer durch einen falschen Einsatz, konnte aber später besser und besser gefallen. Gerhard Stolze (Orlofsky) wirkt nur noch blasiert und gar nicht mehr lustig. Otto Schenk (Frosch), der zweite Debütant des Abends, hatte mit seinem trockenen Humor (und vor allem mit seinem Witz über den „Suggeritore“) die Lacher auf seiner Seite, blieb aber dennoch weit hinter Meinrad zurück. Hans Braun (Falke) war sehr schwach. Aber immerhin war da noch Erich Kunz (Frank): er allein hatte echtes, großes Operettenformat, riß mehr als einmal kraft seines Witzes und seiner Urkomödiantik den Abend aus der drohenden Langeweile heraus – und sang dazu noch ausgezeichnet. Die Inszenierung, wie gesagt, wirkt schon arg verschlampt und bedarf einer Überholung, ebenso die einst so präzisen Balletteinlagen im zweiten Akt. Im großen und ganzen also kein erfreulicher Ausklang des Jahres.

 

NATIONALTHEATER BELGRAD

Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 1

Aus Anlaß des Ensemblegastspiels in Wien vom 4. – 13. Jänner.

Das Gesamtgastspiel des Nationaltheaters Belgrad weckte in uns den Wunsch, mehr über dieses Institut, seine Probleme und Arbeitsbedingungen zu erfahren. Intendant Gojko Miletic und Generalmusikdirektor Oscar Danon stellten sich in äußerst entgegenkommender Weise dem Merker für ein ausführliches und informatives Gespräch zur Verfügung. Es interessierte uns sehr, ob die drei in Wien gezeigten Produktionen (Chowanschtschina, Der Spieler und Don Quichotte) repräsentativ für den Belgrader Opernalltag gelten können, und Herr Danon versicherte sofort, daß – wie überall anderswo auch – das Belgrader Publikum die italienischen Opern am meisten ins Herz geschlossen hat. Bei der vor kurzem erfolgten Neuinszenierung von Verdis Nabucco geriet das Publikum in derartige Begeisterung, daß es bei jeder Aufführung auf dem da capo des Gefangenenchors bestand. Daß man in Belgrad aber auch gewillt ist, Modernem zu begegnen illustrieren 36 Reprisen von Menottis Konsul. Von deutschen Standardwerken befinden sich im ungefähr 50 Opern- und Ballettwerke umfaßenden Spielplan drei Mozartopern (Entführung aus dem Serail, Don Giovanni und Figaros Hochzeit). Es fand aber auch eine Così fan tutte-Stagione mit deutschen Sängern unter Peter Maag statt. Weiters kann man Wagners Fliegenden Holländer sehen, dem bald der Tannhäuser folgen wird. Richard Strauss ist derzeit in der jugoslawischen Hauptstadt noch nicht vertreten. Vielleicht wegen Sprachschwierigkeiten? Damit kommen wir schon auf ein Grundproblem des heutigen Opernbetriebes zu sprechen. Alle in Wien aufgeführten Werke wurden in serbo-kroatischer Sprache aufgeführt (mit Ausnahme der Partie des Dossifej in Chowanschtschina, die Miroslav Cangalovic in russischer Originalsprache sang). Da am Nationaltheater Belgrad keine Ausländer ständig beschäftigt sind, könnte man meinen, daß sich das so bald nicht ändern wird. Doch siehe da, Generalmusikdirektor Danon hat vor kurzem eine italienische Butterfly herausgebracht – mit eigenen Sängern, wohlgemerkt – und ist überzeugt, daß der Weg in die Zukunft in Begleitung der Originalsprache beschritten werden muß, will man international mitreden. „Eine solche Umstellung muß jedoch langsam vor sich gehen“, erklärte Herr Danon. Wahrscheinlich hat der Neuerer schon einige Unbill von Leuten erleiden müssen, die den Klang ihrer Muttersprache auch in fremden Opernwerken nicht missen wollen. Um die Belgrader an fremde Zungen zu gewöhnen haben sicher jene ausländischen Ensembles, die in den vergangenen Jahren am Nationaltheater Belgrad zu Besuch weilten, ihren Anteil beigetragen. Sie ergeben eine ganz respektable Liste: Teatro La Fenice, Polnische Nationaloper, die Oper von Santa Fè (!) mit zwei Strawinsky-Produktionen, Ballettgruppen aus Leningrad, Charrat-Truppe, Jerome Robbins und Martha Graham. In puncto Ballett hat Belgrad selbst eine eindrucksvolle Tradition. An internationalen Starsängern konnten die Belgrader neben anderen in jüngster Zeit bewundern: Zeani, Sinaida Palli, London und Monaco. Dimiter Usunow ist sehr häufig dort und wird als einer der Ihren gezählt. Manchmal gibt’s auch Sensationen. Vor vier Jahren etwa begann der auch bei uns bekannte Luigi Ottolini in Belgrad seine Karriere, sprang während einer Woche gleich dreimal in Rollen auf die Bühne, die er nie zuvor gesungen hatte. Die Belgrader Oper verfügt aber auch selbst über hervorragende Sänger. Mit Traurigkeit erfüllt es sie, daß Biserka Cvejic dem Ensemble verloren gegangen ist. Die meisten Sänger haben zweijährige Verträge und können theoretisch – ebenso wie die Chormitglieder – bei einer Niveauverschlechterung gekündigt werden. Intendant Miletic fügt jedoch hinzu, daß dies nie geschieht, da alle einen derartigen Arbeitseifer an den Tag legen, daß sie sich nie verschlechtern. Sehr viele haben den Ansporn, zu ersten Sängern aufzurücken. Die ausgezeichnete zweite Besetzung des Dossifej z.B., Djordje Djurjevic, begann im Chor. Von anderen Opernhäusern eingeladene Sänger bedürfen zur Absolvierung eines Gastspiels der Bewilligung des Intendanten. Das Kriterium bei deren Erteilung ist hierbei, ob das Auftreten im Ausland für die künstlerische Weiterentwicklung des Sängers von Vorteil ist oder nicht. Sollten hauptsächlich finanzielle Vorteile winken, darf der Künstler nicht fahren. Ganz interessant war dabei zu hören, daß die in Westberlin als Amneris gastierende Djurdjevka Cakarevic Giuseppe Zampieri als Radames zum Partner hatte! Die jugoslawische Öffentlichkeit nimmt wohl Anteil an der Oper, doch nicht so sehr wie in Wien. Die populäre Musik führt eben nicht zu Unrecht den Titel populär! Aber das Interesse wächst gewaltig und ständig, besonders dank der Bemühungen der dortigen Jeunesse musicales, die mehr Vorstellungen haben wollen, als ihnen Intendant Miletic verkaufen kann und ganze Sonderzüge an Wochenenden nach Belgrad führen. Verglichen mit der Wiener „Ausorganisation“ besteht hier jedoch der wesentliche Unterschied darin, daß in Belgrad nur musikalisch interessierte junge Menschen in den Genuß einer Opernvorstellung gelangen. Deshalb waren Belgrader Besucher nicht wenig verwundert, als sie in Wien in einer Tristan-Aufführung eine Reihe im Schlaf zusammengesackter Kinder bemerkten. (Bei dieser Äußerung hätte der Merker gerne ein erstauntes Gesicht geschnitten, wenn er nicht…) Für die Belgrader Intendanz gibt es einen großen Wunsch, nämlich einmal ein eigenes großes Opernhaus zu erhalten. Wohl kommen im Nationaltheater jährlich 250 Opern- und Ballettaufführungen zustande. Am Sonntag finden gleich drei Aufführungen statt. Doch ist das Haus nur etwa so groß wie das Theater an der Wien (13 Parkettreihen). Die Akustik des Hauses ist nicht sehr gut und der kleine Orchesterraum läßt nicht mehr als 56 Musiker Platz finden. Die Wiener Staatsoper erregte bei den Gästen verständlicherweise große Bewunderung und geheime Sehnsüchte nach einem solchen Haus. Voll des Lobes sind die Belgrader Künstler auch über das Wiener Publikum. Freudig erzählt Intendant Miletic, daß das Ensemble schon in vielen Städten Europas gastiert hat und nirgends ein Publikum von solchem Verständnis und Ernst angetroffen hätte, wie in der Donaustadt. Das Kompliment des Intendanten gipfelte in dem überzeugend vorgetragenen Satz: „Es ist das bestmögliche Publikum der Welt“. Geringeren Anlaß zur Freude geben unseren Gästen die hiesigen Zeitungskritiker. Nicht etwa, daß man strenge Kritik nicht vertragen könnte, obwohl Ausdrücke wie „Niveau des Linzer Landestheaters“ und „Provinzialismus“ nicht gerade leicht verdauliche Brocken für ein Ensemble sind, das immerhin mit großem Erfolg in Edinbourgh, Paris, Florenz, Venedig, Wiesbaden usw. gastiert hat und von der Schallplattenfirma Decca für die Aufnahme sämtlicher großer slawischer Opern verpflichtet worden ist. Verletzend wird die Sache, wenn ein bekannter Musikkritiker die im Heimatland der Künstler herrschenden politischen Verhältnisse benützt, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben: „Wir wollen es im Sinne einer frohen Volksdemokratie immerhin wünschen“…

 

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