DER JÄNNER 1964

9. Jahrgang, Heft 2

 

Selbst der rauschebärtigste Italienhasser wird in diesem Monat (wahrscheinlich zu seinem heimlichen Ingrimm) feststellen müssen, daß der Spielplan vorwiegend deutsch gehalten ist. Das hat unter anderem zur Folge, daß das Wiener Publikum, in den Wintermonaten (vom Beginn des Advent bis zum Ende des Faschings) ohnedies nicht allzu sehr zum Kulturkonsum geneigt, einfach fernbleibt. Kalt ist es obendrein, im Fernsehen gibt es Krimis und die Olympiade. Mit einem Wort, hinter dem Ofen gefällt’s den Wienern derzeit besser. Nun ließen sie sich natürlich von Spitzenleistungen durchaus in die Oper locken, aber die gibt es derzeit – von einigen Sängern abgesehen – kaum. Karajan dürfte (mit einiger Berechtigung, wie wohl jeder halbwegs Objektive konzedieren wird) kaum vor Beendigung der Suggeritore-Angelegenheit wieder am Pult der Staatsoper erscheinen. Nun, unsere heimischen Kräfte haben es ja so gewollt! Sie fühlen sich in Kampfsituationen immer so stark, daß sie erst nachher zu denken anfangen (sofern sie’s überhaupt tun). Nämlich dann, wenn das Publikum durch sein Fernbleiben beweist, daß ihm Karajan ja doch lieber ist, als alle anderen. Das heißt natürlich nicht, daß das Wiener Publikum total italianisiert ist und sich für die „höheren Werte“ weniger interessierte. Es hat nur gelernt, daß die italienische Oper nicht zweitklassig ist, sondern ebenbürtig! Und wenn nun – sogar im Repertoire – die italienischen Aufführung eindeutig besser besetzt sind, wird ihm die Wahl nicht schwerfallen. Jede Woche die gleichen faden Rosenkavaliere und die immer mit Gästen bestückten Holländer reizen den Hörer auch nicht mehr, der jedes Werk doch schon in besserer Besetzung gehört hat. So heißt die Situation in der Oper – wie alljährlich um diese Zeit, mit schöner Regelmäßigkeit – „Warten auf bessere Zeiten“, und man kann sich, wenn man die turbulenten Ereignisse zur Zeit der Boheme-Premiere mit der jetzigen Grabesstille vergleicht, nur des Zauberlehrlings erinnern, der die Geister, respektive den Ungeist, den er rief, nun nicht mehr loswerden kann.

 

DER ROSENKAVALIER am 1. Jänner

Erfreulicherweise trat statt Professor Krips, der offenbar noch immer unter Schockeinwirkungen litt, Heinz Wallberg ans Pult, hatte einen guten Abend und konnte nach einem eher müden ersten Akt dann doch noch einen echt Strauss’schen Rosenkavalier mit viel Schwung leiten. Die Müdigkeit im ersten Akt war übrigens nicht auf ihn zurückzuführen, sondern auf die Sängerinnen. Die mit nicht gerade umwerfend schöner Stimme gepflegt gesungene Marschallin von Hilde Zadek hat das Stammpublikum wirklich schon zu oft gehört, als daß sie noch interessieren könnte, und Irmgard Seefried singt neuerdings sehr auf Stimmschonung bedacht, das heißt bestenfalls Mezzoforte. Das ist natürlich für einen Oktavian ein bißchen wenig, es nimmt jede stimmliche Intensität, wenn auch Frau Seefried dank ihrer Technik meistens doch hörbar bleibt. Umso auffälliger gebärdet sie sich auf der Bühne. Es ist bereits müßig, darüber noch Worte zu verlieren. Immerhin gibt es so wenige gute Oktavians, daß sie noch immer im Mittelfeld rangiert. Hanny Steffek war die beste Dame auf der Bühne, sang und spielte frisch und wirkte gegen ihre nicht mehr ganz taufrischen Partnerinnen auffällig jugendlich. Otto Edelmann bewältigte den Ochs ohne viel Stimme in gepflegtem Parlando, das bei Karajan im Festspielhaus zu Salzburg hörbar war, doch in einer Wiener Repertoireaufführung häufig nicht über die Rampe dringt. Alfred Poell, als Faninal noch immer beachtlich, Anton Dermota, als angestrengter Sänger, und Hilde Rössel-Majdan, als überforderte Annina, waren die Träger der kleineren Rollen. Gerhard Stolze hat erfreulicherweise seine allzu grelle Valzacchi-Auffassung revidiert und ist nun auch in dieser Partie so wertvoll, wie es diesem intelligenten Sänger zukommt. Endlich hörte man wieder einmal ein schönes Violinsolo am Ende des ersten Aktes, dessen Gelingen selbst den Geiger-Kollegen Anlaß zum Gratulieren gab.

BALLETTABEND am 2. Jänner

GESCHLOSSEN am 3. Jänner

 

GASTSPIEL DER BELGRADER OPER vom 4. bis 12. Jänner

Zur Aufführung gelangten: Chowanschtschina von Modest Mussorgsky (dreimal), Der Spieler von Sergej Prokofieff (zweimal), Don Quichotte von Jules Massenet (dreimal) und ein Abend des Belgrader Opernballetts. Der Merker ist in der glücklichen Lage, nicht sofort nach Ende eines Opernabends blitzartig seine Ansichten über das eben Gehörte zu Papier bringen zu müssen, sondern bis zum Monatsende dazu Zeit zu haben. Naturgemäß spiegelt sich daher in den Kritiken des Merker nicht nur das zu besprechende Ereignis an sich, sondern die Reaktion der Öffentlichkeit und vor allem des Stammpublikums darauf, und es wird keinen unserer Leser wundern, daß sich der Merker über die oben erwähnten Reaktionen von Öffentlichkeit (sprich Presse) und Publikum gehörig wundern muß. Das Gastspiel der Belgrader Staatsoper gab nun wieder reichlich Anlaß zum Staunen. Wir hätten eigentlich erwartet, daß man die Belgrader triumphierend als die letzten Vertreter eines echten Ensemblegedankens jubelnd auf den Schild heben und ihr apartes Gastierprogramm als richtungsweisend für die in den Niederungen (von Mozart und Verdi, Wagner und Puccini) programmatisch geradezu dahinvegetierende Wiener Staatsoper preisen werde. Doch es kommt immer anders, als man denkt. Unsere Presse saß auf dem hohen Roß, behandelte die Gäste mit gerümpfter Nase von oben herab, verglich sie mit heimischen Ensembles vom Linzer Landestheater abwärts, schmähte das Programm und konnte es nicht einmal unterlassen, Witzchen über die Regierungsform des südöstlichen Nachbarn anzubringen, für die die Belgrader Opernsänger doch ganz gewiß am wenigsten können. Sehr nobel! Das Publikum dachte hier schon etwas anders, zumal das Stammpublikum. (das nicht ganz so interessierte Publikum wartete den Mundfunk ab und besuchte erst die Wiederholungen der Mussorgsky- und Massenet-Opern, wobei es erstaunlich war, feststellen zu müssen, daß es in Wien nur mehr „Sammlertypen“ gibt, die kein unbekanntes Werk auslassen.) Was wir an den Gästen am meisten bewunderten, war – wie könnte es anders sein – die ungemein konzentrierte Art, in der sie arbeiten, der volle Einsatz, das Bemühen, Anschluß an den internationalen Standard zu finden, und die Sicherheit, mit der sie aus der Not der offensichtlich fehlenden Mittel an Geld und Material die Tugend der modernen Sparsamkeit auf der Bühne zu machen versuchten. Die Programmwahl war für den Snob sehr interessant. Was hätten die Gäste aus dem Südosten auch sonst spielen sollen? (Bei Gastspielen in Edinbourgh hatten sie Fürst Igor, Liebe zu den drei Orangen, Chowanschtschina, den Spieler und Don Quichotte, in Wiesbaden Boris Godunow und die Verkaufte Braut auf dem Programm).

Chowanschtschina

Das Gastspiel wurde mit Mussorgsky eröffnet, mit Chowanschtschina, einem Stück, das keine Oper ist und sich folgerichtig gar nicht einmal so nennt. In der wohl sehr echten und auch wirklich schöpferischen Instrumentation Schostakowitsch’ strömt eine Fülle herrlicher Musik an den Ohren des Hörers vorbei. Vorbei deshalb, weil sie – außer in den Chören – kaum in irgendeinem Zusammenhang mit der Charakterisierung der Rollen und dem Vorwärtstreiben der Handlung steht. Aber das ist eine Krankheit, die alle russischen Bühnenwerke haben. Nur sind etwa Puschkins lyrische Erzählungen von der russischen Seele und den komplexen der Menschen (in Eugen Onegin und Pique Dame etwa) für den Hörer in Mitteleuropa doch noch interessanter als die Privat-Hausmacht der Fürsten Chowanski Vater und Sohn, deren Verrat durch den zarengetreuen Bojaren Schaklowity und die dazwischen abgehandelten Glaubenskämpfe zwischen Schismatikern, orthodoxen und eingewanderten deutschen Protestanten. Im Grunde genommen hätte ein Konflikt für dieses Werk durchaus genügt: so geht die typische Opernhandlung – der junge Chowanski liebt eine Protestantin, wird seinerseits von einer Schismatikerin adoriert, verliert die eine und stirbt mit der zweiten auf dem General-Scheiterhaufen für die ganze Sekte – in der Epik der weitausladenden Szenen völlig unter. Für die Inszenierung hatte man sich ein gleich bleibendes Hintergrundbild des Kreml (Dusan Ristic) ausgedacht. Die naturalistischen Bühnenbilder im Vordergrund waren mannigfachen Änderungen unterworfen. Sie stammten von Belozanski. Darin führte Mladen Sabljic Regie – gekonnt konventionell zwar, aber wir können uns nicht vorstellen, was man da viel anders oder etwa moderner machen könnte. Der Dirigent Dusan Miladinovic erwies sich als kundiger und sicherer Kapellmeister. Die stimmlichen Leistungen schienen in dieser Oper die besten des Gastspiels zu sein. Die breiten Phrasen liegen den schweren, etwas harten slawischen Stimmen weit mehr als der abgehackte Sprechgesang Prokofieffs oder gar die subtile Linienführung Massenets. Prachtvoll war vor allem der Chor, der kraftvoll und geradezu todsicher wirkt. Ob er jetzt auf der Bühne steht oder marschiert, ob er zum Teil auf der Bühne und zum Teil hinter der Szene singt, ob er mit dem Rücken zum Dirigenten steht oder an die Rampe tritt, immer ist er hundertprozentig im Bilde und singt geradezu schlafwandlerisch sicher. Wir können nicht verstehen, warum unsere Chor-Damen und -Herren so etwas nicht zusammenbringen. Was nützt unserem Chor das tadellose Blattsingen, was nützen sogar Kraft und Klangschönheit, wenn er immer schwimmt, sogar wenn er mit dem Gesicht zum Dirigenten steht, noch dazu oft einen Klassedirigenten vor sich hat und trotzdem aussteigt? Die Leistung des Belgrader Opernchores vor allem war es, die uns zu denken gab. Die Qualität eines Chors muß doch an der Erziehung und vor allem an der Disziplin liegen. Am Klang des Chores war schon zu erkennen, wo die stimmlichen Stärken der Gäste liegen. Je tiefer die Stimmen, desto schöner sind sie. Bässe und Baritons sind von prächtiger Klangfarbe. Die Tenöre sind meist weißstimmig und gerade die Mezzos klingen hell und etwas grell und die Soprane sind für unsere Begriffe wieder zu dunkel und zu hart. (Wir hätten z. B. Radmila Bakocevic, die Pauline im Spieler, für einen Mezzo gehalten, hätten wir nicht im „Opera“ gelesen, daß sie beim Wiesbaden-Gastspiel des Ensembles die Marie in der Verkauften Braut sang). Die Bässe waren auch der beste Teil des Ensembles. Mit dem russisch singenden Dosifej von Miroslav Cangalovic stand wohl die stärkste Persönlichkeit der Belgrader Oper auf der Bühne, aber auch die zweite Besetzung dieser Rolle, Djorde Djurdjevic, hatte beachtliches Material zu bieten, ebenfalls Zarko Cvejic (der Onkel unserer Biserka), der den typischen gutmütigen Baß à la Endre Koréh ideal verkörperte. Einen Helden- oder Kavaliersbariton hatten die Gäste nicht mit, weil sie ihn in diesen Stücken nicht brauchten. Dusan Popovic, der die Charakterrolle des Schaklowity sang, gastierte früher in Wien bereits ohne sonderlichen Erfolg als Igor, war aber diesmal in der Muttersprache und einer tiefliegenden Partie wesentlich besser. Auch tenorale Helden oder Liebhaber hatten die Jugoslawen dem tenorverwöhnten Ohr der Wiener nichts zu bieten, dafür etliche verwendbare Charaktertenöre, Frnja Paulik, Stjepan Andrasevuc und vor allem Drago Starc, von dem beim Spieler noch die Rede sein wird. Unter den Damen ragte die den Wiener Stammbesuchern wohlbekannte Melanija Bugarinovic hervor, die in Wien während des Krieges alles sang, bevor sie von Elena Nikolaidi abgelöst wurde. (Man sieht, daß das Ensemble auch damals nicht so besonders germanisch war). Frau Bugarinovic hat noch immer prächtige tiefe Töne und auf der Bühne eine persönliche Ausstrahlung zu bieten. Ihr Glück, daß die Partie der Marfa nur einen einzigen höheren Ton hat. Radmila Todorovskas grelle Sopranstimme bereitete in einer kleineren Partie dem Hörer manche Plage. Den Liebhaber Andrej Chowansky sang Zwonimir Krnetic, ein unerhört fleißiger Tenor, der in allen (!) Opern beschäftigt war, dessen Timbre aber nichts für unsere Ohren ist. Man hatte den Eindruck, einer das Werk voll ausschöpfenden und authentischen Interpretation gegenüberzustehen, die im Zusammenwirken der gut eingesetzten Solisten mit dem herrlichen Chor, einem etwas schwach besetzten, aber klangschönen und präzisen Orchester und der absolut „russischen“ Stimmung, die wohl auch durch die slawische Sprache beschworen wurde, einen schönen Erfolg zeitigte.

DER SPIELER

Dieses Werk von Sergej Prokofieff wurde von der Kritik in Grund und Boden verrissen. Wir sehen aber gar nicht ein, warum. Vor allem wurde der heftig und dunkelböse dahinrollenden Musik Prokofieffs vorgeworfen, sie rolle an den Figuren Dostojewskijs wie auch an der Handlung vorbei. Nun gut. Aber ist das etwas so besonders Neues in der zeitgenössischen Musik? Wo ist eine wirkliche Durchdringung von Text und Musik denn überhaupt festzustellen? Höchstens im Wozzeck und in Bartoks Blaubart: Hier wird Wozzeck durchleuchtet bis in seine kranken Gehirnwindungen. Hier erhält jedes der geheimnisschwangeren Worte Blaubarts die gleißende orchestrale Ergänzung. Wo findet man noch derartiges? In der Schlußszene des Mathis vielleicht, in der Jokaste-Arie aus Oedipus Rex, zum Teil sogar in der Gerichtsszene des Danton, aber damit ist auch schon Schluß. Das konsequenteste Nebeneinanderlaufen von Text und Musik bietet ja doch die so vielgepriesene Lulu, wo die unerhört perfekten Konstruktionen der Musik nicht das geringste mit der endokrinen Drüsentätigkeit des abrutschenden Dirnchens gemein haben. Dagegen ist Prokofieff noch der reinste Richard Strauss. Die Oper ist jedenfalls interessant und gut gemacht, wenn man auch bei einem Konversationsstück unbedingt den Text verstehen müßte. Außer bei den Worten „Paulina“, „Babuschka“ und „Gospodar“ ist man aufs Raten angewiesen und sieht sich plötzlich verwundert in die Rolle des armen Abonnenten gedrängt, der zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Figaro konfrontiert wird und den Text nicht versteht, wenn italienisch gesungen wird. (Nur verlangen wir deshalb nicht gleich, daß die Jugoslawen auf deutsch gastieren kommen.) Das Bühnenbild war von Miomir Denic und hatte neben äußerster Sparsamkeit einen perfekten Farbensinn zu bieten, der auch die Kostüme von Lilica Babic auszeichnete. Regie führte wieder Mladen Sabljic, der Mann, der alles inszeniert und übersetzt. Er bemühte sich um modernistische Effekte durch Einblendungen von Rouletteziffern und um Charakterisierung der Rollen. Wir wundern uns, daß Günther Rennert dieses Stück noch nicht entdeckt hat. Das wäre etwas für ihn. (Wenn wir an den Revisor denken, scheint es uns überhaupt seltsam, daß Prokofieffs Spieler das stückeverschlingende deutsche Theater noch nicht erreicht hat.) Es sind nämlich dankbare Rollen zu vergeben. Die Titelrolle vor allem, die in Drago Starc einen ausgezeichneten Interpreten fand. Fast zu gut aussehend für den unbedeutenden Hauslehrer, fand der Künstler die richtige Linie für den kleinen Niemand, der gelegentlich aufbegehrt, der Spielwut und nach dem Scheitern aller seiner Pläne dem Wahnsinn verfällt. Radmila Bakocevic, eine ungemein schlanke Sängerin, war eine Pauline mit dem nötigen Stich ins Neurotische. Zarko Cevejic gab ausgezeichnet den gemütlichen, aber in seinem Warten auf den Tod der Großmutter doch nicht ganz so biederen General. Djurdjevka Cakarevic hatte dieses Hauskreuz darzustellen. (Sie hat eine Szene, in der sie ununterbrochen in höchsten Lagen laut singen muß.) Großmütter auf der Bühne sind immer schrecklich benachteiligt. Denken wir an Konsul, Vanessa, Jenufa, Iwan Tarassenko usw. Gibt es kein Werk mit einer netten Ahne? Milica Miladinovic, Stjepan Andrasevic, Dusan Popovic stellten gute Episoden. Oscar Danon war der ungemein präzise, harte und gleichzeitig doch lockere Dirigent des interessanten Abends.

DON QUICHOTTE

Obzwar dieses Werk von Jules Massenet – wie wahrscheinlich auch schon bei früheren Gastspielen in anderen Städten – den größten Erfolg der Belgrader darstellte, sind wir belcantoverwöhnten Wiener doch der Ansicht, daß es ihnen am wenigsten liegt. Das betrifft allerdings nicht die beiden Hauptdarsteller, denn sowohl Miroslav Cangalovic in der Titelrolle als auch Latko Korosec als Sancho Pansa hatten Leistungen von Persönlichkeitswert zu bieten. Französische Musik ist fürchterlich schwer authentisch wiederzugeben. Wir Wiener haben doch schon Pretre und Cluytens, Karajan und Monteux in französischen Opern kennenlernen dürfen. Wir wissen, wie Hilde Güden, Janine Micheau, Nicolai Gedda oder Cesare Siepi französische Werke singen. So erschien uns der sehr gute und präzise Chor diesmal zu hart, die Comprimarii ebenfalls, und auch den Hauptdarstellern sind solche Rollen nicht gerade in die Gurgel gelegt worden. Miroslav Cangalovic ist optisch ein idealer Don Quichotte. Er drückt auch die versponnene Skurrilität des Ritters von der traurigen Gestalt wunderbar aus, wird aber dabei nie zum Thaddädl, sondern bleibt bei allem doch immer Hidalgo, Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Stimmlich ist er in den unteren Lagen prachtvoll, in den höheren rettet er sich in ein schönes Pianissimo. Im Forte „steht er oben an“, wie das Wiener Galeriepublikum diese Erscheinung der mangelnden Höhe elegant zu umschreiben pflegt. Im ganzen gesehen bot er eine reife und starke Leistung. Er ist wohl wert, daß seinetwegen eine für Schaljapin verfaßte Oper ausgegraben wird. Überdies hat die Belgrader Oper in Latko Korosec (er singt sonst, wie wir lasen, Warlaam, Kezal usw.) auch einen ganz vorzüglichen Sancho Pansa. Er beginnt als konventionell polternder Geselle, ganz „Herz unter rauher Schale“, hat aber dann in der Windmühlenszene und der Sterbeszene seines Herrn derart rührende Momente und die wirkliche, intensive Charakterisierung eines treuen Dieners zu bieten, daß man von ihm fast noch mehr überrascht war, als von Cangalovic, von dem man ja Format erwartet hatte. Korosec verfügt über einen kräftigen, dunklen Charakterbariton, nicht besonders schön, aber ansprechend. Die Dulcinea war leider nicht gut. Breda Kalef ist eine bildschöne Frau. Die Gäste hatten überhaupt fast nur junge, fesche Damen mit, die, mit markanten Profilen ausgestattet, temperamentvoll ihre „kirschenschwarzen Mittelmeeraugen“ (um mit Günter Grass zu sprechen) rollten. Breda Kalef machte – obzwar goldblond – davon keine Ausnahme. Ihre Stimme allerdings ist spröde und unelegant und weder den hispanisierenden Passagen der Partie noch der gallischen Leichtigkeit der Phrase gewachsen. In kleinen Rollen hörte man noch Sofija Jankovic, Olga Milosevic, Nicola Jancic und Zvonimir Krnetic. Das Bühnenbild bestand nur aus einer auswechselbaren schiefen Ebene vor schwarzem oder grauem Horizont (Miomir Denic) und wurde lediglich durch die Kostüme (Mia Glisic) belebt. Sie waren in den Trikolorefarben gehalten, und das starke Blau und kräftige Rot machte wieder dem guten Geschmack der Bühnengestalter alle Ehre. Dulcinea in Violett und ein gelbes Ballettkostüm gaben aparte Farbtupfer ab. Wieder war Mladen Sabljic der Regisseur, der sich in keiner Weise hervortat. Er führte sozusagen unauffällig Regie. Immerhin wäre unsere Margarethe so! Sie hätte weniger gekostet und wäre weit weniger anstößig. Oscar Danon dirigierte klar, durchsichtig und mit dem Bemühen um Subtilität. Die serbische Sprache verträgt sich allerdings nicht unbedingt mit französischer Musik und hatte zur Folge, daß der Eindruck, den man von dem Werk hatte, etwas verfälscht wurde. Die Besetzung ist ja in dieser Oper etwas merkwürdig. Zwei Bässe und ein Mezzo sind die Hauptdarsteller, Soprane und Tenöre nur als Comprimarii beschäftigt, was das Gleichgewicht irgendwie stört. (Es ist, als ob in einer Partitur die Streicher fehlten. Das machen ja die Komponisten sicher auch nur, um originell zu sein). Immerhin würden wir Massenets Quichotte gern einmal in einer stilistisch und stimmlich ausgewogeneren Traumbesetzung hören (unter Pretre, etwa mit Siepi, Berry und Christa Ludwig oder Teresa Berganza, aber ohne Jean Pierre Ponelle!). Das Publikum erwachte bei Sancho Pansa und vor allem Don Quichotte aus seiner Reserve und feierte die Hauptdarsteller auf das Herzlichste.

 

CARMEN am 13. Jänner

Heuer ist die Carmen dran. Jedes Jahr wird ein anderes Werk zum Verschleiß überliefert. Man hat den Eindruck, das Stück wurde ununterbrochen gespielt. Da das Werk jedoch in Wirklichkeit nur zweimal pro Monat gegeben wird, ist der Eindruck des Herunterradelns wahrscheinlich auf die mäßige Qualität zurückzuführen. Berislav Klobucar leitete den Abend mit wechselndem Erfolg. Der Chor sang bereits wieder so schlampig wie vor der Schallplattenaufnahme. Das Orchester klang unsauber und das Ballett litt unter der Unfähigkeit der Mitwirkenden, zu gleicher Zeit die Beine gleich hochheben zu können. Regina Resnik ist die Carmen von Format, die ihre derzeitigen stimmlichen Schwächen mit großem Können kaschiert (desgleichen einen verhauten Einsatz gleich bei der Habanera) und aus der Rolle ein Maximum an Wirkung herausholt. Gundula Janowitz gab zum ersten Mal in Wien die Micaela. Trotz ihres kühlen, eher instrumentalen Timbres kann ihr wohl niemand Gefühl im Singen absprechen. Sie sang sehr gekonnt, in der Höhe merkwürdigerweise ein wenig zu vorsichtig, mit Ausdruck und Linie. Auch im Spiel war sie kultiviert und dezent. Überdies hatte sie wieder ein Stück des Kostüms abgeräumt. Zuerst trugen die Micaelas noch ein Kopftuch, dann ein Brusttuch, und Frau Janowitz kam bereits nur mehr im blauen Leiberl. Wenn das Meister Wakhevitch sähe! Dimiter Usunow hatte einen prächtigen Abend. Sogar die Blumenarie sang er mit einigen Tönen, die man fast als Piano bezeichnen könnte. Durch sein Spiel und den gewohnten stimmlichen Einsatz konnte er mitreißende Momente verzeichnen. Gilbert Dubuc, der gastierende Escamillo, hat natürlich auch keine Tiefe (wer hat die schon!) und ein ziemlich uninteressantes Timbre, sang die Partie aber blitzsauber und technisch einwandfrei. Erscheinung und Temperament waren nicht gerade umwerfend. Hans Christian versuchte sich nun auch im Singen. Das Spielen von Sprechrollen hat ihm allerdings offensichtlich bei der Besiegung des Lampenfiebers nicht geholfen, denn er kam bei der kurzen, aber unangenehmen Partie des Morales ins Schwimmen und sang etwas schülerhaft – wie könnte es auch anders sein. Sein Material wirkte am Ring lange nicht so groß wie im Theater an der Wien (beim St. Just). Für kleine Rollen scheint er aber durchaus verwendbar. Es ist ja höchste Zeit, wenn diese verjüngt besetzt werden.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 15. Jänner

Trotz niveauversprechender Besetzung hörte man eine deprimierende Aufführung. Zwei Gründe waren dafür maßgebend. Einmal agierten die Sänger nebeneinander, ohne zueinander zu finden. Jeder suchte sich auf seine persönliche Art und Weise den Weg durchs Werk, einer Teamleistung weit entfernt. Zum zweiten trug die Besetzung der Titelrolle auch nicht zur Freude des Abends bei. Im Holländer müssen sämtliche Partien gesungen werden. Hier schrieb Wagner noch Oper im konventionellen Stil, präsentierte stimmfordernde Arien. Die Titelpartie selber verlangt beste Sängerkondition. Selbst bei Hans Hotter merkte man schon vor zwanzig Jahren, wenn er nicht in bester Tagesverfassung war, wie viel stimmliches Stehvermögen die Partie fordert und Hotter ist immerhin auch heute noch ein oft kopierter, doch kaum erreichter Holländer. Die Partie braucht eine große, technisch gut geschulte Stimme, die auch im dritten Akt noch keine Ermüdungserscheinungen zeigt. Durch diese Partie kann man sich nicht durchschwindeln. Carlos Alexander ist ein Meister dieses „Schwindelns“, mit dem er durch viele Partien, die seiner eher kleinen Stimme nicht gerade angepaßt sind, doch durchkommt. Beim Holländer starb er schon im ersten Akt. Die Stimme war so überfordert, daß durch das ständige Forcieren kaum mehr Unterschiede in den Tonhöhen erkennbar waren. Alles klang zwar nicht gerade falsch, aber nicht unbedingt richtig. Auch das Spiel litt darunter. Es wurde auch forciert und glitt ins Pathetische ab. Die Partner litten ebenfalls. Gré Brouwenstijn, bis auf einige Höhenschärfen gut disponiert, schien nur mit Mühe konzentriert (es gab zwei Ausstiege bei ihr, die sonst so musikalisch und textsicher ist!). Gottlob Frick orgelte seinen herrlichen Daland, ohne Kontakt mit seinen Partnern zu finden. Hans Beirers Riesenstimme irritierte mit einem zu explosiven, naturalistischen Erik neben Brouwenstijns verinnerlichter Senta. Nur Anton Dermotas Steuermann schien – schön gesungen – unberührt von allem Rundherum. Hilde Rössel-Majdan quälte sich und die anderen als Mary. Leopold Ludwig dirigierte sicher, mit kräftigen Akzenten und – abgesehen von der zu langsamen Ballade – mit überzeugenden Tempi. Überraschenderweise gab es kaum „Blechschaden“.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 16. Jänner

Diese Aufführung machte einen weniger wattierten Eindruck als die meisten anderen in diesem Monat (trotz fast durchwegs Preisen der Kategorie II,) und das Publikum schien von der schwungvollen musikalischen Leitung Berislav Klobucars und der noch immer recht gut sitzenden Rennert-Inszenierung sehr angetan. In der Besetzung hat sich seit der Premiere anno 1958 (wie die Zeit vergeht!) wenig geändert, zum Positiven vor allem bei Waldemar Kmentt, der jetzt langsam in das seinem Timbre angemessene Fach hineinwächst. Sein Hans ist nicht nur sehr gut und mit Humor gespielt, sondern auch mit Elan und Können gesungen. Weit besser als bei der Premiere ist derzeit auch Oskar Czerwenkas Kezal. Humor und vollsaftiges Spiel finden in einer guten stimmlichen Leistung (nur die ganz tiefen Töne bereiten ihm Mühe) ihre Ergänzung. Weniger gut sieht die Sache bei Irmgard Seefried aus, die ihr derzeitiges Stimmsparprogramm auch bei der Marie konsequent durchführte. (Das hätte sie eigentlich früher überlegen sollen, nämlich damals, als sie die Ensembles hochliegender Soubrettenpartien mit hervortretenden Augäpfeln durchzuschreien pflegte. Jetzt dürfte es zu spät sein). Ihr Spiel ist von echter Naivität und slawischer Seele meilenweit entfernt. Wir haben der seinerzeitigen Besprechung unseres Kollegen, der schrieb, sie spiele in der Marie alles, von der Puppenfee bis zur Lady Macbeth, nichts hinzuzufügen. Einen netten Wenzel gab Murray Dickie. Die Elternpaare waren mit Hilde Rössel-Majdan und Elisabeth Höngen, sowie den Herren Hans Braun und Tugomir Franc besetzt. Olivera Miljakovic sang eine reizende Esmeralda. Sie kann es sich sogar leisten, mit Ballettrikot aufzutreten. Ihre Beine sind darin hübsch. Erich Kunz sprach den Zirkusdirektor rasend schnell, daß selbst der als echter Wiener ebenfalls des Böhmakelns mächtige Rezensent wenig verstand. Immerhin war erkennbar, daß er sich außer dem harmlosen Scherz, das „Frailain Salamanderr“ als „Frailain Karajanska“ zu bezeichnen, keine Extempores erlaubte. (Vielleicht könnte man seinen Leporello auf die gleiche Art wie den Zirkusdirektor „auf Linie“ bringen?).

BALLETTABEND am 17. Jänner

DIE WALKÜRE am 18. Jänner

Eine an sich gute Aufführung, die leider wieder einen großen Schönheitsfehler hatte: Otto Edelmann sang statt des bereits eine Woche vorher absagenden Otto Wiener. Mit Edelmanns Auftritt verlor leider der Abend sehr an Niveau. Erstens war der Sänger von einer derartigen schauspielerischen Unbeholfenheit, daß manches am Rande der Parodie vorbeiging und außerdem vermag er heute diese Partie gesanglich (sofern er es überhaupt jemals konnte) keinesfalls mehr zu meistern. Die Stimme ist noch dazu im Volumen wesentlich kleiner als früher, was wir bereits bei den diversen Ochs-Auftritten vermuteten und hier nun ganz deutlich serviert bekamen. Und so wurde er sehr oft von den Klangfluten des Orchesters hinweggewaschen, was man angesichts der mangelhaften Leistung fast noch lieber hörte als den Monolog. Dieser schien nicht nur endlos zu sein, sondern es wirkte als wären wir in der Provinz und nicht an der Wiener Staatsoper. So kann man diese Partie nicht besetzen – dann lieber gar keine Walküre. Ansonsten war der Abend erfreulich. Gré Brouwenstijn gab die persönlichkeitsstarke Sieglinde, die gut disponiert war und in Hans Beirer einen Partner mit schwerem Heldentenormaterial hatte, der im Verlauf des Abends immer besser wurde und durch seine „Wälse-Rufe“ begeisterte. Schade, daß er schauspielerisch nicht den gleichen Eindruck hinterläßt. Gottlob Frick war Hunding und zugleich der vollendetste Sänger des Abends. Er scheint derzeit in einer Glanzverfassung zu sein, und man bedauerte an diesem Abend ehrlich, daß Hunding so zeitig sein Leben lassen muß, während Wotan bis zum Ende der Oper erhalten bleibt. Amy Shuard sang die Brünnhilde. Sie tat sich mit den Walküre-Rufen (wie außer der Nilsson heutzutage alle anderen Sängerinnen auch) schwer, ließ dann aber aufhorchen und erreichte im dritten Akt ihren gesanglichen Höhepunkt. Die Diktion der Sängerin müßte noch verbessert werden. Jedenfalls ist es erfreulich, trotz des schnellen Verschleißes der Wagnerstimmen wieder eine Brünnhilde von außerordentlichem Niveau erleben zu können. Regina Resnik (Fricka) wirkte mehr als Persönlichkeit denn als Sängerin. Das Walkürenensemble war passabel. Leopold Ludwig leitete diesen Abend sicher und gefiel diesmal sehr gut. Das Orchester war in guter Verfassung. Bei einem Hornschmiß, der geradezu ins Mark ging, gab es einen deutlichen Pfiff von der Galerie. Auffallend war, daß ständig Besucher das Haus verließen. So zog es ein Teil der Anwesenden vor, nach Siegmunds und Hundings Tod, ein weiterer nach Sieglindes Abgang und der größte nach Brünnhildens letzter Phrase zu gehen. Mit ihnen entkam zuletzt auch der Rezensent.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 19. Jänner

Endlich gab es eine künstlerische Leistung, die das Publikum aus der Lethargie riß. Gottlob Frick als Osmin brachte dies zustande. Damit wurde aber auch zugleich der Beweis erbracht, daß man nicht unbedingt in Italien geboren sein muß, um die Wiener hinreißen zu können, wie manche Obergescheite immer behaupten. Der dunkle Baß Fricks, derzeit weithin konkurrenzlos, strömte durch das Haus, wobei besonders die Legatophrasen ein Ohrenschmaus waren. In der Darstellung war der Sänger zurückhaltender. Dennoch wirkte sein trockener Humor aufs Publikum ansteckend. Wie gesagt, nach den Solostellen des Künstlers vernahm man endlich einen Beifallssturm, der den Wunsch des Publikums ausdrückte, Herrn Frick öfter in der Wiener Oper zu hören. Mimi Coertse sang die Konstanze mit wechselndem Erfolg. Man kann ihr Bemühen nicht absprechen, aber der Wille kommt weiterhin vor ihrer Leistung. Sie versucht zwar, die dramatischen Stellen der Partie herauszustreichen, begeht aber dabei stets den Fehler, derart zu forcieren, daß die Stimme einen grellen Klang bekommt. Olivera Miljakovic war als Blondchen lieb anzusehen. Auch im Spiel war sie dezent. Aber schon bei ihrem ersten Auftritt hatte sie Höhenangst. Außerdem, so will es uns scheinen, fehlt ihrem Sopran die Flexibilität, die für Mozart Voraussetzung ist. Anton Dermota als Belmonte zeigte teilweise, daß er einst der Belmonte war. Die Stimme hat an Qualität eingebüßt (und das ist nur verständlich und soll nicht als Anklage gegen das heimische Ensemble ausgelegt werden, wie man uns so oft vorwirft. Jeder Künstler müßte den Ehrgeiz haben, aus ideellen und künstlerischen Gründen zu wissen, wann es Zeit ist, abzutreten. Dadurch würde er nur sich und seinem Ruhme dienen). Murray Dickie als Pedrillo bot eine gute schauspielerische Leistung. Sein pfiffiges Lächeln wirkte tatsächlich ansteckend. Aber in gesanglicher Hinsicht hört man die Grenzen seines Organs deutlich. Sobald der Tenor in höhere Regionen kommt, nimmt seine Stimme an Sprödigkeit zu. Heinrich Hollreiser am Pult versuchte, leicht und flüssig zu dirigieren, was ihm aber nicht gelang. Bei den raschen Stellen kam er, wie in alten Tagen, ins Rennen, wobei ihm die Solisten nicht zu folgen vermochten. Äußerst schlecht war der Chor disponiert. Warum eigentlich? Man sang ohnedies in deutscher Sprache. Dennoch war der Hörer dankbar. Gottlob Frick hört man nicht oft als Osmin, noch dazu in einer derartigen Glanzverfassung.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 20. Jänner

Die Verkaufte Braut trägt das Gütezeichen einer Rennert-Inszenierung. Obwohl dieses Werk über fünf Jahre im Repertoire ist, hat es an Natürlichkeit und Frische wenig eingebüßt. Da dieser Aufführung fast das vollständige damalige Premierenensemble zur Verfügung stand, wurde es ein vergnüglicher Abend. Dem Orchester stand Berislav Klobucar vor, der sicherlich nicht von ungefähr viel Gefühl für die Musik Smetanas mitbringt. Der Melodienreichtum des böhmischen Meisters erstrahlte unter seiner umsichtigen Leitung. Das Publikum, entzündet vom Temperament slawischer Folklore, zeigte sich schon nach der Ouvertüre sehr beifallsfreudig. Irmgard Seefried als Marie hatte einen stimmlich recht guten Abend. Ausgezeichnet Waldemar Kmentt als Hans. Hier ist seine Stimme richtig eingesetzt. Sie klingt schön und kräftig und ist auch technisch sehr gut geführt. Herr Kmentt befindet sich zur Zeit in einer sehr guten stimmlichen Verfassung. Für das Spiel brachte er Natürlichkeit und gute Laune mit. Ganz dasselbe kann man auch von Oskar Czerwenka sagen. Sein Kezal ist akustisch und optisch ein wirklicher Genuß. Durch seinen ursprünglichen, nicht zu dick aufgetragenen Humor, war er bald Mittelpunkt des Abends. Den Wenzel sang und spielte Murray Dickie, tolpatschig, lächerlich und doch auch ein wenig rührend. Ensemblebewährt: Elisabeth Höngen, Hilde Rössel-Majdan, Hans Braun und Tugomir Franc. Heiterkeitserfolg der Zirkusszene war Erich Kunz. Ihm zur Seite die schönste Frau des Abends Olivera Miljakovic, die auch stimmlich diesen Eindruck nicht störte. Von etlichen ungenauen Einsätzen abgesehen, sang der Staatsopernchor animiert und beteiligt. Das Ballett hatte an der dankbaren Folklore offensichtlich Spaß und gab der Aufführung Schwung und Bewegung. Noch einmal. Ein vergnüglicher Abend.

DER ROSENKAVALIER am 21. Jänner

Im Sport spricht man von einer Papierform und versucht damit, Prognosen über den mutmaßlichen Sieger aufzustellen. Auch in der Oper könnte man von einer Papierform sprechen, wenn man den Programmzettel meint, der eine gute (oder schlechte) Aufführung erwarten läßt. (In die schlecht besetzte geht man, wenn man nicht Merker vom Dienst ist, ohnehin nicht hinein). Die klingenden Namen Della Casa-Jurinac-Hallstein und Edelmann ließen einen schönen Rosenkavalier erwarten. Am Schluß der Aufführung verließ der Schreiber dieser Zeilen das Haus mit der nüchternen Feststellung, einen seiner schlechtesten Rosenkavaliere gehört zu haben (unter immerhin 78 Aufführungen). „Wie das?“, würde Travnicek fragen? Beginnen wir mit dem Faktor, der mehr als die halbe Vorstellung zum Guten oder Schlechten lenken kann: mit dem Dirigenten! Heinrich Hollreiser, Berlinheimkehrer, zeigte sich in dieser Oper leider eher verschlechtert als verbessert. Vielleicht hatte Herr Hollreiser nicht damit gerechnet, daß es Rosenkavalier-Spezialisten unter den Hörern gibt, die, mit einer eingehend studierten Orchesterpartitur bewaffnet, sich ganz und gar dem Ablauf des orchestralen Geschehens widmen. Der Rezensent hörte weniger Richard Strauss als je zuvor: ein Drittel der kostbaren Partitur ging im bewährten Klangbrei Hollreisers unter. Die Tempi schienen sehr forciert (ohne dabei an Knappertsbusch zu denken), und wer auf besondere Klangdelikatesse wartete (was wäre ein Rosenkavalier ohne sie?), der wurde bitter enttäuscht. Dabei spielte das Orchester bemüht und in vorzüglicher Solistenbesetzung (ohne Herrn Sedlak!). Aber der Funke, der von einem prädestinierten Rosenkavalierdirigenten (Krauss, Kleiber, Knappertsbusch, Karajan) auf den Hörer überspringen muß, blieb aus. Wie erwartet! Von den Sängern hatte beim vorwiegend jugendlichen Publikum Kurt Böhme als Ochs auf Lerchenau die Lacher auf seiner Seite. Er war für den absagenden Otto Edelmann eingesprungen. Was er aber an sogenannter Gesangskultur und schmieriger Outrage zu bieten hatte, ist für ein Operninstitut vom Range der Wiener Staatsoper kaum mehr tragbar. Seine Lautstärkenskala reichte vom grenzenlos ordinär gebrüllten „Leopold, mir gengan!“ bis zu unhörbaren Flüstertönen, die Strauss aber nicht in der Partitur als solche bezeichnet oder gewünscht hatte. (Herr Böhme ließ sich nicht entschuldigen!). Das ganze stimmliche und schauspielerische Theater nennt sich Rollengestaltung!). Lisa Della Casa als Fürstin Werdenberg ist derzeit in schlechter stimmlicher Verfassung. Das Organ kratzt im Forte, hat nur mehr wenig Substanz, bleibt quasi als Ausflucht ein Piano, das aber oft an den unpassendsten Stellen der Rolle verwendet wird und nicht tragfähig ist. Einzig die „silberne Rose“ erinnerte an frühere Zeiten. Über die Rollengestaltung von Frau Della Casa ist nichts neues zu berichten. Sie ist keine Marschallin, alles äußerliche Geste, nichts echt Erlebtes und Empfundenes, eine Kälte, die umso mehr spürbar wird, wenn eine an Innerlichkeit und Empfindungstiefe so reiche Künstlerin wie unsere Sena Jurinac als Graf Rofrano neben ihr steht. Frau Jurinac sang ihren schon Operngeschichte gewordenen Oktavian mit blühender Stimme und differenziertestem Ausdruck. Ingeborg Hallstein aus München gastierte als Sophie mit schönem Erfolg. Sie sieht blendend aus, spielte natürlich, spricht deutlich und singt sicher und musikalisch. Die Stimme ist klangrein, zeigt gleichmäßige Technik in allen Lagen und entbehrt nicht eines gewissen Reizes. Eine solide Leistung, die vom Publikum mit starkem Beifall bedacht wurde. Um die Träger der größeren Partien boten Alfred Poell als Faninal und Peter Klein als Valzacchi ihre verläßlichen Leistungen. Anton Dermota produzierte meist unschöne Spitzentöne in der Sängerarie. Judith Hellwig zwitscherte ihre Duenna und Frau Rössel-Majdan sang die Annina im Stil ihrer „aufregenden“ Brangäne, zum Abgewöhnen! Was blieb von der Papierform’? Eine Aufführung, die, abzüglich der guten Leistungen der Damen Jurinac und Hallstein, in Wien, der Heimat des Rosenkavaliers, eigentlich keine Daseinsberechtigung haben dürfte.

AIDA am 22. Jänner

Das „Nordlicht“ strahlte uns für zwei Abende. Birgit Nilsson ist wieder im Lande. Italienisch besetzt, garantierte sie zwei volle Häuser, was angesichts der derzeitigen Rarität dieser Tatsache besonders betont werden muß. Das Phänomenale an dieser Sängerin ist nun nicht mehr ausschließlich die einzigartige Stimme, sondern die Tatsache, daß eine Künstlerin, die in puncto Gage und Erfolg absolut und hundertprozentig an der Spitze steht, nicht aufhört, angestrengt an sich zu arbeiten. Sie ist in der Zeit, in der wir sie in dieser Rolle nicht hörten, weit italienischer geworden, ihre Phrasierung weicher und schöner, ihr Ausdruck intensiver, ihr Spiel temperamentvoller, ihre Tiefe und untere Mittellage gewinnt immer mehr an Klang. (Jetzt kann sie bald Gioconda singen). Wenn man einschränkend noch etwas erwähnen darf: Die hauchzarten Piani setzt sie gelegentlich etwas ohne Vorbereitung an. Aber diese Erwähnung erscheint angesichts des Wunders, daß ein Heldensopran überhaupt über ein solches Piano in allen Lagen verfügt, schon bald als Snobismus. Dimiter Usunow sang einen sehr guten Radames. Er hatte schon von der Romanze an eine stete Steigerung zu verzeichnen, und es gelang ihm an diesem Abend einfach alles. Zur Nilsson paßt er ja als heldischer Tenor vorzüglich. Weniger glücklich war man mit der Amneris von Vera Little. (Warum sang eigentlich nicht unsere eigene Ludwig?). Vera Little hat eine künstlich hinuntergedrückte Tiefe. Sie kann zwar einzelne tiefe Töne singen, ist aber nicht imstande, eine ganze Phrase in der unteren Mittellage zu bewältigen. (Das wird eine nette Gaea werden). Zudem ist die Höhe steif und schrill und die obere Mittellage zeigt einen ausgewachsenen Schepperer. Von Pharaonentochter war keine Spur zu bemerkten. Sie schlängelte sich mit ice-cream-sex à la Liz Taylor (als Kleopatra) durch die Rolle. Positiv fielen nur die typische Musikalität der Farbigen und das ebenfalls obligate natürliche Gefühl für die Phrasierung und den Ausdruck auf. Da hatte der junge Italiener, der neben der lancierten Amerikanerin als Amonasro einsprang, einen weit größeren Publikumserfolg. Den Namen Lincinio Montefusco wird man sich wahrscheinlich überhaupt merken müssen, denn die Stimme ist weich, schön und wird gekonnt geführt. Ausgerechnet Amonasro müßte er allerdings noch nicht singen. Germont oder René erschienen uns seinem Stimmcharakter angemessener. Im Nilakt reichte manchmal die Kraft nicht ganz aus, doch half eine gute Technik dem jungen Sänger auch hier über die Runden, der im Triumphakt sehr schön und voll gesungen hatte. Nicola Zaccaria ist derzeit in einer schrecklich schlechten Verfassung. Der Ramphis war danach. Nur die Gerichtsszene klang überraschend gut. Am Pult stand Leopold Ludwig, und das sollte man dem guten Dirigenten in seinem eigenen Interesse nicht antun. Hier genügt eben die Kraft und das Können eines soliden Kapellmeisters nicht. Hier fehlt das Gefühl und die Phantasie für das Aufblühen-Lassen der Phrasen. Er hat zwar während seines ersten Wiener Engagements (im Kriege) alles dirigiert, aber die Zeiten haben sich mittlerweile doch etwas geändert. So waren die Sänger in den Steigerungen auf sich allein gestellt, die Begleitung aber klang knochentrocken. Was sich der Chor bei der Fuge im Triumphakt leistete, spottet jeder Beschreibung und rief im Auditorium Unruhe und Gelächter hervor. Das Orchester bot eine Durchschnittsleistung.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 23. Jänner

Vier Tage nach der Sonntagaufführung gab es wieder die Entführung – wobei mit Ausnahme der Konstanze und des Pedrillo - alle Partien umbesetzt waren. Mimi Coertse zeigte sich gegenüber der ersten Konstanze des Monats verbessert. Vielleicht lag es auch an John Pritchard, der viel ruhiger und ausgewogener dirigierte als sein Vorgänger. Er war unserer Meinung nach der ruhende Pol der Vorstellung. Als Belmonte war Waldemar Kmentt zu hören, der sich mit seinem typisch deutsch geschulten Tenor gut aus der Affäre zog. Zuweilen hat man allerdings das Gefühl, daß seine Stimme schon zu schwer für den Belmonte ist. Reri Grist als Blondchen war wesentlich besser als ihre Vorgängerin. Die Stimme besitzt ungemein viel Modulationsfähigkeit, und es war eine wahre Lust ihr zuzuhören. Außerdem hat Reri Grist eine persönliche Ausstrahlung und den gewissen Funken Herz, der Künstler besonders auszeichnet. Murray Dickie war als Pedrillo eingesetzt. Kurt Böhme wirkte als Osmin in erste Linie durch komödiantische Züge. Er zog alle Register seiner Schauspielkunst, so daß man wahrlich vergaß, daß manchmal nicht so gesungen war, wie es sein sollte. Der Vollblutkomödiant Böhme besiegte den Baß gleichen Namens. Aber er tat dies mit so viel Humor, daß man ihm darob nicht böse sein konnte. Ein Wort noch über das Orchester. Es spielte weitaus frischer als einige Tag zuvor unter Hollreiser, obwohl die Musiker wegen des Philharmonikerballes in Eile waren.

TURANDOT am 24. Jänner

Berislav Klobucar ist mit dem dämonischen Strawinsky-nahen ersten Akt der Turandot restlos überfordert, was der Chor, der übrigens zu schwach besetzt war, zu kräftigem Schwimmen ausnützte. Im zweiten Akt besserte sich der Dirigent dann, obzwar er noch immer zu dick und unelegant arbeitete. Das Orchester war – wie immer in letzter Zeit – mittelmäßig. Ins Ohr sprang ein mehrmaliger Schmiß der Piccoloflöte bei Lius Tod. Birgit Nilsson sang ihre herrliche, mühelos alle Mitwirkenden überstrahlenden „Principessa di morte“. Sie hatte in Hilde Güden den lyrischen, subtil singenden und phrasierenden Gegenpol. Das waren endlich wieder einmal Gesangsleistungen, bei denen man die Künstlerinnen nur mit sich selbst vergleichen kann! Giuseppe Zampieri sang den Kalaf zum ersten Mal (nach der seinerzeitigen Generalprobe, in der er für di Stefano einsprang!). Ein Wunder, daß er sich die Rolle überhaupt Jahre lang gemerkt hat. Er bemühte sich weit mehr, als das bei ihm üblich ist, sang den ersten Akt aber ohne den geringsten Nachdruck. Man hörte ziemlich wenig. (Dafür schlug er um so stärker auf den Gong). Als er sich sicherer fühlte, ging er im zweiten Akt mehr aus sich heraus, hielt sich bei der Rätselszene überraschend gut. Im dritten Akt gelang „Nessun dorma“ sogar sehr schön und trug ihm wohlverdienten Beifall. In der Schlußszene überraschte er durch eine gewisse Intensität. Explosive Höhen oder gar darstellerische Effekte erwartete man ja von vorneherein nicht. Aber er sang so solide und gepflegt, daß man mit ihm durchaus zufrieden sein konnte. Sein Timbre und seine dunkle, weiche Mittellage sind ja auch wirklich sehr schön. Allerdings hätte er nicht unbedingt neben der Nilsson und mit einem besonders lauten Dirigenten debütieren müssen. Gute „Haus“-Turandots mit Amy Shuard und Felicia Weathers hätte man ja auch schon früher zu diesem Anlaß spielen können. (Wäre auch besser gewesen, als Walküren mit Kozub und Edelmann). Die Minister traten in der Standard-Besetzung (Kostas Paskalis, Murray Dickie, Ermanno Lorenzi) an und waren sehr gut. Weniger gut sang Nicola Zaccaria den Timur, obzwar dieser sonst eine seiner besten Rollen ist. Seine Höhelosigkeit ist derzeit schon anstoßerregend.

DON GIOVANNI am 25. Jänner

Nicht die Neugierde, den Schah-in-Schah von Persien samt Kaiserin in der Oper zu sehen, führte uns in diesen Giovanni, sondern die Möglichkeit, mit einem Schlag drei Neubesetzungen hören zu können. So sang Thomas Stewart zum ersten Mal die Titelrolle. Stimmlich war er überraschend gut. Der kräftige, metallische, eher ins Charakterfach tendierende Bariton hat seine beste Lage in den hohen Baßregionen der Giovanni-Partie. Auch ist Herr Stewart hier gezwungen, auf Linie zu singen und gerät nicht ins Forcieren. (Was das rauhe Timbre, das er in den höheren Lagen hat, hervorrufen dürfte). Der Fleiß, mit dem alle Amerikaner studieren und arbeiten, trug also auch hier seine Früchte. Daß der Stimme jedoch die italienische Geschmeidigkeit abgeht, bewies ein häßliches Ständchen, das wie mißglücktes Markieren klang und die größtenteils geflüsterten Rezitative. Auf der Bühne stellte der Sänger unter Beweis, daß es nach wie vor nur drei Giovannis gibt: Siepi, Ghiaurov und Wächter. Alles andere sind bemühte Versuche – auch in diesem Falle. Die stimmlich ausgezeichnete Champagner-Arie war ausdrucksmäßig reinstes Lemon-Soda. Die Darstellung beschränkte sich auf leere Gesten und etwas zu betonte Zurschaustellung einer guten Erscheinung. (Er müßte sich wirklich nicht bei Auftritten in jedem neuen Kostüm dreimal um die eigene Achse drehen, daß man ihn von allen Seiten bewundern kann. So schön ist er auch wieder nicht.) immerhin überragt Herr Stewart jedoch das Trio Borg-Jedlicka-Melis schon rein stimmlich beträchtlich. Sena Jurinac sagt die Donna Anna offenbar immer nur dann nicht ab, wenn der Schah in den Giovanni geht. (Schon anläßlich seines Staatsbesuches vor drei Jahren hatte Seine Majestät das Vergnügen, die alte Inszenierung in einer geschlossenen Vorstellung präsentiert zu bekommen). Sie war in den meisten Ensembles und im langsamen Teil von „Non mi dir“ überraschend gut. Ihre Stimme verkrampfte sich jedoch im ersten Duett mit Ottavio, der Rachearie und manchen anderen schnellen Passagen derart, daß steife und harte Töne nicht zu vermeiden waren. Als Darstellerin ist sie natürlich großartig. Lisa Della Casa, ein Bild von einer Elvira, hat sich jetzt eine eher lyrisch leidende Auffassung zurechtgelegt. Wenn sie adäquat diese Auffassung singt, nämlich zurückhaltend-kühl und mit vorsichtigem Stimmeinsatz, klingt die Stimme noch immer schön. Das ändert sich jedoch bei dem geringsten Steigerungsversuch, wo sie steif und schrill wird. Wie haben sich doch die Stimmen geändert, die die Göttinnen unserer Anfängerjahre ihr Eigen nennen! Reri Grist sang Zerlina. Ihre typisch weiße Koloraturstimme wurde den Lyrismen der Rolle nicht gerecht. Außerdem beschränkte sie sich auf eine einzige Lautstärke. So klang ihr Vortrag glatt und ohne jedes Raffinement. Sie ist in echten Koloraturrollen zweifellos besser. Auf der Bühne war sie ebenso konventionell nett wie ihr Masetto Heinz Holecek, der anfängt, zu viel zu machen. Trotzdem ist er endlich ein echter Buffo und hat somit Chancen, eine Standardbesetzung der Rolle zu werden. Waldemar Kmentt sang den Ottavio seines Lebens, denn noch nie hat er die technischen Schwierigkeiten der Rolle so gut und gekonnt bewältigt wie diesmal. Fernando Corena war wieder ein idealer Leporello, vollsaftig, stimmlich, stilistisch und ausdrucksmäßig über jedes Lob erhaben und jederzeit des Umstandes eingedenk, daß er Ensemblemitglied der Besetzung eines Dramma giocoso ist. (Das muß ein Italiener unseren eigenen Komikern vormachen!). Nicola Zaccaria erreichte als Komtur wohl den Tiefpunkt seiner derzeitigen Leistungen. John Pritchard hat seit seinen Gastspielen im Theater an der Wien einige Kilo zugenommen, sich aber sonst nicht viel geändert. Er ist ein ausgezeichneter Kapellmeister, der den Kontakt zur Bühne bestens wahrt, das Werk klug aufbaut, auf die Sänger Rücksicht nimmt und die Ensembles mit einer Klarheit herausarbeitet, die wir seit mehreren Monaten in Repertoireaufführungen dieser Oper nicht mehr gehört haben. Er bevorzugt zwar extrem langsame oder schnelle Tempi, hat aber Mozart immerhin fest in seinem Besitz und ist daher nach den letzten „Leitern“ von Giovanniaufführungen direkt ein Labsal.

CARMEN am 26. Jänner

Gutes Repertoireniveau hatte die Carmen-Aufführung am Sonntag. Regina Resnik, eine großartige Interpretin in schauspielerischer Hinsicht, sorgte dafür, daß echtes Theatertemperament vorhanden war. Man spürte das gewisse Etwas, das in der Luft (bzw. zwischen den Kulissen) liegen muß. Das Geheimnis des Theaters! Freilich, die Glanzzeit der Künstlerin scheint vorbei zu sein. Die Stimme ist nicht mehr so schlackenlos wie früher. Aber Regina Resnik hat Persönlichkeit und viel Energie. So wächst sie in den entscheidenden Stellen stets über sich hinaus. Carmen, wie sie lebt und liebt, das ist Regina Resnik. Ihr Partner war Dimiter Usunow als Don José. Wie meistens imponierte er mehr durch den restlosen Einsatz der Stimme und noch mehr durch sein temperamentvolles Spiel. Die etwas harte Stimme ist nicht jedermanns Geschmack, noch weniger der robuste Gesangsstil, bei dem Forte bis Fortissimo dominieren. Eines aber kann man dem Künstler nicht absprechen: Sein Einsatz ist kolossal, und man spürt, mit wie viel Begeisterung er an seinem Beruf hängt. Überflüssig ist es zu schreiben, daß er seine Höhepunkte in den beiden letzten Akten hatte. Da ließ er der Urkraft seiner Stimme freien Lauf. Wie Trompetensignale donnerten die Spitzentöne durchs Haus. Walter Berry als Escamillo bot die ausgewogenste und kultivierteste Leistung des Abends. Sein Organ ist kräftiger geworden, dabei aber unvermindert schön in seiner Qualität geblieben. Bewundernswert sein kraftvolles Torero-Lied. Er forderte das Publikum zu spontanem Beifall heraus. In der Darstellung hat er an Selbstsicherheit des Auftretens gewonnen. Er wirkt elegant, männlich und überzeugend. Gerda Scheyrer als Micaela gefiel nur in der Arie, die sie sehr empfindungsreich und fein schattiert vortrug. Ansonsten gab sie zu viel Stimme und dadurch kam die Lieblichkeit der Rolle in gesanglicher Hinsicht nicht zum Ausdruck. Unter den Nebenrollensängern brillierte diesmal Robert Kerns als Morales. Man beachte den weiteren Weg dieses jungen Mannes. Unglaublich ist seine Verbesserung gegenüber der Dezember-Aufführung. Frederick Guthrie, einst eine Hoffnung, heute nur mehr ein Schatten seiner selbst, war Zuniga. Lotte Rysanek, Margarita Sjöstedt, Murray Dickie und Harald Pröglhöf vervollständigten das Ensemble, ohne künstlerische Höhepunkte zu setzen. Heinz Wallberg war mit Energie bei der Sache. Seine Tempi verrieten zwar nicht den französischen Gourmet, aber sie waren frisch und rasch und daher für eine wirkungsvolle Carmen-Interpretation am richtigen Platz.

TOSCA am 27. Jänner

Mozarts Geburtstag wurde im großen Haus mit Puccinis Tosca gefeiert. Dafür spielte man den Figaro in der Redoutensaal-Schmiere. Auch eine Möglichkeit. Es war im übrigen eine Aufführung mit Niveau. Berislav Klobucar dirigierte sicher und musikalisch und hatte guten Kontakt. Für die erkrankte Gré Brouwenstijn sprang Danica Mastilovic als Tosca ein. Sie besitzt eine große, gesunde, technisch sicher geführte Stimme, die sie sehr klug und mit sicherem Gefühl für Steigerungen einsetzt. Eine schöne Mittellage und aufblühende Spitzentöne, die die gewisse slawische Schärfe besitzen, aber nie steif oder hart werden, ein schön und natürlich klingendes Piano, das sind die Vorzüge der Stimme. Ein gewisses Manko ist die fehlende Klangfülle der Tiefe und ein – aber nur in mittlerer Lautstärke merkbarer – nicht bruchloser Registerwechsel der höheren Lagen. In der Darstellung neigte sie mehr dazu, die liebende Frau zu zeigen, weniger die Primadonna. Ausgeglichenes, modernes Theaterspiel steht neben konventionellen Operngesten. Hier müßte ein Regisseur helfend eingreifen. Man geht nicht während des Gebets zur Rampe vor. Das ist wider Musik und Text. Gut ausgespielt das Erblicken des Dolches. Das drauffolgende Ergreifen und Verstecken der Tatwaffe war jedoch so ungeschickt, daß bei Scarpia, und wäre er noch so liebestoll, auf jeden Fall die rote Signallampe „Achtung, Attentat“ aufleuchten müßte. Anderenfalls hätte Roms Polizeichef seinen Beruf gründlich verfehlt. Und das kann man gerade Hans Hotter nicht vorwerfen. Wie er den Scarpia spielt, ist einmalig. Kalt, zynisch, lüstern, unmenschlich, ein Prachtstück eines Sadisten. Dazu war er prächtig bei Stimme. Schade, daß seine männlichen Partner nicht voll mitagierten. Giuseppe Zampieri war leider teilweise zu phlegmatisch. Nach einem prächtig gesungenen ersten Akt konnte er das Niveau nicht ganz durchhalten. Seine Spitzentöne wurden dünner als gewohnt und die rhythmischen Freiheiten nahmen überhand. Und Herr Majkut ist nicht in der Lage, einmal Eingelerntes abzulegen. Da er bei der Stelle „Ah cane! Ah traditore! Ceffo di basilisco“ von den meisten Scarpias zu Boden geworfen wird, fiel er auch diesmal auf die Knie, obwohl Hotter nicht einmal vom Sessel aufgestanden war. Ein prächtiger Mesner erfreute im ersten Akt. Fernando Corena war in Stimme und Spiel wohl der bisher beste Vertreter dieser Partie seit langem. Das Orchester klang schön und intensiv. Allerdings hätte Herrn Scheiwein, sonst Experte für exquisite Cellosoli, so ein Solo vor „e lucevan le stelle“ nicht passieren dürfen. Diese philharmonische Scharte wurde aber von seinem Kollegen mit einem prächtigen Klarinettensolo im Verlauf der Arie wieder ausgewetzt.

ARIADNE AUF NAXOS am 28. Jänner

Eine mit Sorgfalt besetzte Strauss-Aufführung, die aber trotzdem nur etwas über dem Durchschnitt lag, vor allem in orchestraler Hinsicht. Denn die Herren Staatsopernmitglieder spielten stumpf, glanzlos und unsauber. Dabei verriet Heinz Wallberg eine gute Hand gerade für dieses Werk und hätte bei Proben oder einer ersten Orchesterbesetzung zweifellos mehr herausholen können. Lisa Della Casa sang wieder Ariadne, im Monolog gelegentlich so kraftlos, daß dem Hörer schon bange wurde, im Schlußduett intensiver und schöner, wenn es auch ohne die obligaten Schärfen im Forte nicht mehr zu gehen scheint. Köstlich war sie als Primadonna im Vorspiel, wo sie mit Tigress-Perücke herumschwebte. Bacchus – in Gestalt von Dimiter Usunow – hatte im Vorspiel ebenfalls die Lacher auf seiner Seite. In der Oper selbst imponierte er mit der Kraft und dem Glanz seiner metallischen Stimme, die aber auch im deutschen Fach – ebenso wie in italienischen Rollen – etwas wenig flexibel ist. Doch bringt der intelligente Sänger Verständnis für die Rolle und das nötige musikalische Einfühlungsvermögen mit. Reri Grist sang mit einer hübschen, klaren, jungen Koloraturstimme ausgezeichnet. Musikalisch bedarf sie kleinerer Korrekturen. Sie singt z. B. einiges im italienischen Stil legato, was unbedingt in blitzendem staccato genommen gehörte. Aber das stört weniger als die Tatsache, daß sie total neben der Partie steht. (Günther Rennert hat sie wohl nötiger als Karl Böhm. Diese beiden Herren werden in Salzburg schon das Richtige aus ihr herausholen). Derzeit hält sich das Publikum eben an die Stimme der begabten jungen Sängerin. In dieser Hinsicht ist sie nach den vielen Notnagel-Gästen der letzten Jahre ja direkt eine Erholung. (Mit der Lipp, Köth oder sogar der Pütz an einem guten Tag ist sie aber noch nicht zu vergleichen). Robert Kerns ist natürlich auch kein Harlekin. Nicht nur die Stimme ist zu groß, sondern auch der Sänger selbst. Es wirkt direkt peinlich, wenn ein so großer Mann im Harlekin-Gewand mit freundlichem, aber verständnislosem Lächeln auf der Bühne umherhopst. (Das paßt schon eher zum Mainzer Karnevalsspaß!). Vielleicht wäre doch Herr Holecek die richtige Besetzung für die Rolle, denn er ist immerhin ein Buffo. Möglicherweise sind ihm manche Stellen (im Duett mit Zerbinetta z.B.) zu hoch, aber das hat ja Erich Kunz auch nicht daran gehindert, jahrelang ein guter Harlekin zu sein. Die Hofmannsthal’sche Mischung von Commedia dell’arte mit Wiener Vorstadt- und großem Barocktheater ist für die Armen, die sich ihre Rollen selbst erarbeiten müssen, einfach ein zu großes Problem. Stilistisch und als Persönlichkeit unüberbietbar, wie stets in dieser Rolle, war Sena Jurinac als gefühlstiefer, leidenschaftlich-ernster Komponist. Sie hatte auch stimmlich einen sehr guten Abend. Im Vorspiel fand man endlich einen vollwertigen, gut gesungenen Tanzmeister in Gestalt von Murray Dickie vor, sowie den einfach-menschlichen Musiklehrer von Alfred Poell und gute Comprimarii (Herbert Lackner und Siegfried Rudolf Frese). Hans Christian als süffisanter Haushofmeister ist eine sehr begrüßenswerte Umbesetzung. Endlich versteht man den Text tadellos und muß nicht bangen, daß der Sprecher aus Altersschwäche vorzeitig abgehen muß. Die drei Nymphen wurden von Lucia Popp (etwas ungleichmäßig, auch für sie gilt das eingangs Gesagte), Erika Mechera (farblos und unüberhörbar) und Hilde Rössel-Majdan (musikalisch, aber stimmlich zu übertrieben auftrumpfend) gesungen. Im Komikerquartett waren noch die bewährten Kräfte Murray Dickie, Kurt Equiluz und Ludwig Welter zu hören.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 29. Jänner

In der augenblicklich das Opernhaus überrollenden germanischen Welle hatte diese unter dem Durchschnitt liegende Aufführung nur zwei Lichtpunkte zu verzeichnen. Gré Brouwenstijn als Senta gefiel durch die frauliche Anmut und durch ihren gekonnten Gesang. Weiters kam auch Hans Beirer als Erik gut an. Er ist zwar im Spiel weiterhin unbefriedigend, aber in gesanglicher Hinsicht hatte er als Heldentenor viel zu bieten. Randolph Symonette als Holländer blieb in Bezug auf Persönlichkeit und Dämonie rein alles schuldig. Die Stimme ist dumpf und wird schlecht geführt. Zum Schluß war man richtig froh, als er die Partie beendet hatte. Fast ward er zum Tiefpunkt unter allen Heldenbaritonen, die in letzter Zeit bei uns zu hören waren. Oskar Czerwenka als Daland hatte einen Formanstieg zu verzeichnen. Obwohl kein seriöser Baß, bot er eine brave Durchschnittsleistung. Anton Dermota als Steuermann war ein Schatten von einst. Ein Künstler darf keinesfalls Jahrzehnte lang in seinen Rollen verharren. Die Vergleichsmöglichkeiten für die Stammbesucher sind in diesem Falle erschreckend. Hilde Rössel-Majdan als Mary gab nur schrille Laute zum besten. Heinz Wallberg an der Spitze des Substitutenorchesters war rasch und laut. Auf solchen Wagner können wir gerne verzichten! Die Wagnerianer freuen sich nämlich nicht, wenn sie eine mühsam zusammengekratzte, mäßige Aufführung hören sollen. (Ein echter Wagnerianer geht auch in einen solchen Holländer gar nicht). Früher hätte man das Erscheinen der Brouwenstijn für einen Maskenball ausgenützt. Das Publikum würde auch diesmal mehr davon gehabt haben.

WOZZECK am 30. Jänner

Zur größten Freude der zwar spärlich, doch immerhin auch unter dem Opernstammpublikum vertretenen Modernisten hat sich der im Vorsommer einstudierte Wozzeck seine erregende Wirkung ausgezeichnet bewahrt. Leopold Ludwig dirigiert voll Spannung und Ausdruck. Das Orchester spielte mit Einsatz und Intensität und die Besetzung der Hauptrollen kann ja gar nicht besser sein. Walter Berry, der Belcanto-Wozzeck, bietet eine Studie von beklemmender Wirkung und Christa Ludwig stellt mit der Marie ein Prachtweib auf die Bühne, das im Spiel, im Ausdruck und in der Kraft der glanzvollen Stimme einmalig ist. Gewohnt sicher gezeichnet die Figuren am Rande: Fritz Uhl (Tambourmajor), Peter Klein (Hauptmann), Ludwig Welter und Harald Pröglhöf (Handwerksburschen), besonders gut Murray Dickie als Andres, sehr charakteristisch Karl Dönch (Doktor), Dagmar Hermann und Erich Majkut. (Die Letztgenannten müssen doch auch einmal eine gute Kritik im Merker haben. Bei Alban Berg kommt es ja auf Stimmschönheit nicht so sehr an). Obzwar es eine Abonnementvorstellung war, ging das Publikum erfreulicherweise sehr mit, und der Beifall überstieg das bei durchschnittlichen Holländern sonst übliche Ausmaß beträchtlich. Meister Fischer-Karwin würde in diesem Falle sagen: „Einmal wird das Publikum ja doch weich“.

 

CARDILLAC am 31. Jänner, Premiere 

Das alljährlich mit zusammengebissenen Zähnen von der Wiener Staatsoper herausgebrachte moderne Pflichtstück wurde diesmal zu einer würdigen Ehrung des kürzlich verstorbenen Paul Hindemith. Dieses Pflichtstück hat, wenn auch von Sängern, Chor, Orchester und Publikum gar nicht so besonders gerne gesehen, doch immerhin die wichtige Funktion, das Publikum an die Moderne zu gewöhnen und sie dem Hörer sozusagen selbstverständlich zu machen. Allerdings hätte man mit dieser Erziehungsarbeit sicherlich schon 1947 anfangen können, statt erst 1955 im großen Haus. Das Publikum wäre dann schon etwas weiter und würde sich bei Premieren moderner Opern nicht durchaus auf ein paar Hundert „Werkesammler“, Freikartenempfänger und sonstige Adabeis beschränken. Leider wird auch keine mit derartig viel Mühe und Selbstbeherrschung (wenn auch das heimische Ensemble sehr auf die italienische Oper schimpft, singt es doch sicher lieber in der Traviata als im Cardillac) herausgebrachte Aufführung voll auswertet. Wie wäre es, wenn man die Vorstellung innerhalb eines Jahres für alle Abonnement-Gruppen (23) durchspielte und die restlichen halben Häuser und Stehplätze gleich für alle Organisationen wie die des Jugendabonnements, der Kartenaktion des Unterrichtsministeriums, des Kurier-Ecks und der Gewerkschaften ausverkaufte? Weh wird Hindemith keinem tun. Überdies ist der Operndirektion der völlige Mangel an Propaganda für diese Aufführung sehr anzukreiden. Daß sich die einzige zuständige Stelle in der Bundestheaterverwaltung lieber mit Essays über die hellen Ränder an den selbstgebackenen Faschingskrapfen beschäftigt, als mit der Aufgabe, unpopuläre Premieren (für die Boheme und den Troubadour braucht ohnedies niemand die Trommel zu rühren) publizistisch vorzubereiten, ist ein alter Hut. Immerhin könnte die Operndirektion auf diesem Gebiet aber von sich aus, ohne einen neuen Planposten dafür nötig zu haben, die Initiative ergreifen. (Es sitzen ohnedies genug Leute im 1. Stock herum). Wir wagen gar nicht daran zu denken, was Rolf Liebermann in Hamburg anläßlich einer so guten modernen Aufführung für eine Show abgezogen hätte, und verweisen in diesem Falle auf die Wiener Volksoper, wo man vor jeder Premiere dreimal täglich in jedem Blatt die traurigen Augenaufschläge der Verdi’schen Masnadieri-Amalia und die Flattusenhauben des Puccini’schen Klosterensembles sehen kann.

Doch nun zur Aufführung (auf einen weiteren gröberen organisatorischen Fehler kommen wir bei der Besetzung zu sprechen). Gesamteindruck: Gut bis sehr gut. Das Werk ist ein typisches Produkt des Expressionismus, besonders musikalisch. Nur ist der Rezensent einer der wenigen konsequenten Modernisten, die es im Opernstammpublikum gibt, und hätte sich von der Urfassung noch mehr „wilden“ Hindemith erwartet. Wie glatt muß da erst die „geläuterte“ Fassung von 1952 sein? Doch ist das eminente Können und das musikantische Temperament des Komponisten unüberhörbar, wenn auch nicht immer im Zusammenhang mit der Story (doch wer kann das schon…). Unwillkürlich erwartet der Hörer von einem modernen Werk doch immer eine gewisse Stilisierung im Hinblick auf das Allgemeingültige – und hat zu seinem Erstaunen einen typischen Blut- und Schauer-Opernstoff vor sich, während die Musik natürlich keine Opern-Musik im klassischen Sinne ist, sondern gekonnt – aber völlig – neben den Worten herläuft. (Der Text Ferdinand Lions ist übrigens, so man ihn versteht, mehr als platt. Otto Ludwig scheint dagegen ein Shakespeare zu sein). Das ergibt einen merkwürdigen Kontrast, zu dem die fast freudianisch fundierte Psychologie der Story von des Goldschmieds Gold-Fetischismus kräftig beiträgt. (Sieh’ einer den alten E. T. A. Hofmann an, wie modern er war!). Der an moderner Literatur und deren Abwegigkeiten gewöhnte Hörer fragt sich nur verwundert, wie der Goldschmied bei einem derart konsequenten Fetischismus überhaupt zu einem holden Töchterlein gekommen ist, wenn nicht der Fall bei ihm ähnlich gelagert ist, wie bei Alberich. „…daß ein Weib der Zwerg bewältigt, des Gunst Gold ihm erzwang…“ (Doch da merkt man eben, daß es zu E. T. A. Hofmanns Zeiten Freud noch nicht gegeben hat). Wolfram Skalicky baute die Bühnenbilder aus Gerüsten auf, die für das barocke Paris, wo das Stück schließlich noch immer spielt, etwas modernistisch maniriert wirken, und hüllte dazu das Ensemble in metallisch schimmernde Barock-Alberich Kostüme. Regie führte Paul Hager, in den Solistenszenen kaum merkbar, den Chor kräftig auf der Bühne umtreibend, der es aber diesmal zuwege brachte, dabei kraftvoll zu singen und auch im Takt (wir werden sehen, wie lange) zu bleiben. Die Besetzung hätte bei einigen Rollen kaum besser sein können. Otto Wiener sang die für einen dramatischen Bariton unerhört hoch liegende Partie des Cardillac prachtvoll und bot darstellerisch eine interessante Studie des Getriebenseins und der Komplexbeladenheit. Wilma Lipp, die einfache, natürliche, mädchenhafte Tochter, sang ebenfalls hervorragend, wenn man vom Schlußensemble absieht, in dem sie zu viel auf die Stimme drückte. Irmgard Seefried ist nun mit der Dame endgültig im Charakterfach gelandet, sang mit merklicher Zurückhaltung, aber klangschön. Die Gestaltung einer rotgewandeten Kurtisane machte ihr naturgemäß einige Mühe und geht nicht ohne einigen Krämpfen ab, wenn auch der Gesamteindruck gut ist. Gerhard Stolze hätte die unkomplizierte Genießer-Figur eines adeligen Kavaliers zu spielen gehabt. Unkompliziert ist nun gerade das, was ihm nicht liegt, und so wirkte er etwas hektisch, sang aber eine an sich unsingbare Partie (Hindemith, der Praktiker der Musik hatte wie viele andere Moderne, nicht die geringsten Beziehungen zur menschlichen Stimme) mit ziemlicher Bravour. Der besetzungstechnische faux-pas des Abends war die Besetzung des Offiziers mit dem Felsenstein-Ensemblemitglied Hanns Nocker. Diese Partie hätten wir „aus den Resten des Ensembles“ (wie es ein bekannter deutscher Regisseur und Operndirektor formulierte), leicht dreimal besetzen können. Nämlich mit Fritz Uhl, Waldemar Kmentt und schließlich sogar mit Karl Terkal, denn Herr Nocker ist auch nicht viel anders als letztgenannter. Er erinnert an den verstorbenen Operettentenor Kurt Preger, sowohl stimmlich als auch in der körperlichen Komiker-Fülle (dabei ist die Rolle doch alles andere als komisch) und im langweilig-tenoralen Auftreten. Interessanterweise ist er nämlich überhaupt kein Schauspieler. Da kann man sich schon ungefähr einen Begriff vom Felsenstein-Ensemble machen, in dem durchschnittliche Sänger mit sklavischer Treue die Anordnungen des Meisters befolgen und im dritten Akt dann gar nichts mehr tun, weil Felsenstein ja doch nie mit den Inszenierungen fertig wird, nachdem er den ersten Akt drei Monate lange geprobt hat. Vor Importen weiterer Sänger für unseren für nächste Saison geplanten Freischütz sei also nachdrücklich gewarnt. Solche Leute hat die Wiener Staatsoper denn doch noch nicht nötig. Da verzichten wir lieber auf Felsenstein. (Soll doch der so geförderte Otto Schenk den Freischütz inszenieren, womöglich mit Evelyn Lear und Thomas Stewart. Da können die Herrschaften einmal beweisen, was sie können). Siegfried Rudolf Frese war total falsch besetzt. Das ist eine Baßpartie (etwa für Herrn Welter). Hans Braun quälte sich durch diese total unsingbare, mit sinnlosen Koloraturen aufgeputzte Rolle. Vorzüglich das Orchester, mit ungewohntem Einsatz und ebenso ungewohnter Härte. Leopold Ludwig ist für solche Werke ein großer Gewinn. Er versteht es, den Sängern die Arbeit interessant zu machen, die Musik hat Spannung und mehr theatralische Wirksamkeit als sie eigentlich beinhaltet. Überdies ist er absolut sicher und steht souverän über der Sache. Das ist bei modernen Opernaufführungen ja besonders wichtig.

 

WAS WIRD HINTER DEN KULISSEN GESPIELT?

Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 2

Vor den Kulissen bleibt es jedenfalls schon äußerst geraume Zeit ruhig, und man könnte meinen, daß seit der glanzvollen Boheme-Premiere im November der künstlerische Winterschlaf über die Staatsoper hereingebrochen sei, ohne daß sich auch nur das leiseste Frühlingsahnen ankündigt. In den übrigen Theatern Wiens ist immerhin einiges los, was den kulturbeflissenen Staatsbürger zum Besuch anregt. Im Haus am Ring ist nichts im Spielplan, was einen unbedingt hineinzwingen müßte. Hoffentlich artet diese sanfte Beschaulichkeit nicht in die berühmte Ruhe eines Kirchhofs aus. Tun wir nicht so, als ob wir nicht wüßten, was daran schuldtragend ist. Nach wie vor schlummert bei unerledigten Akten das Problem des „Maestro suggeritore“. Wir sind zwar sehr dankbar dafür, daß die internationalen Ehren, die Österreich bei den Olympischen Spielen errang, diese Blamage total in Vergessenheit geraten ließen, doch so lange sie nicht endgültig aus der Welt geschafft ist, haben wir schwer daran zu tragen. Immerhin gibt es Akte, die sich wahrhaftig nicht durch Liegen von selbst erledigen, und zu diesen zählt diese leidige, mit Gewalt zusammengebraute Angelegenheit nun einmal. Was Wunder, daß Maestro Karajan sich mit der Heimkehr Zeit läßt und dementsprechend die Lichtpunkte künstlerischer Kulmination dem Spielplan fehlen. Dementsprechend schlecht ist auch der Besuch der Vorstellungen der Wiener Staatsoper, der nicht allein durch die Theatermüdigkeit der Wiener rund um Weihnachten erklärt werden kann, denn das Fest ist lange vorbei und trotzdem sind die Vorstellungen sehr selten ausverkauft. Dafür sind wir mit dem Opernball gesegnet – ohne den wäre es ja gar nicht mehr auszuhalten in unserem Wien. Einige windige Zeitungsschreiber beben bereits um unsere Kunstgeltung, weil Karajan diesem umwerfenden Ereignis neuerdings fern blieb (Musikliebhaber rechnen dies dem Chef allerdings zur Ehre an), mit einem Skandal, der einen der berühmten Karajanhetzer von seinem Orchesterpult wehte, mit Schwierigkeiten mit dem Abkommen mit der Mailänder Scala, und solchen, die wieder einmal (wann eigentlich nicht?) Karl Böhm dem Haus bereitet. (Es würde uns überhaupt sehr interessieren, wo Herr Böhm nun während der Festwochen zu dirigieren gedenkt, hier Tristan, den er für sich beanspruchte, oder in Berlin, wo er zur gleichen Zeit angesetzt ist!) und mit noch einigem Ärger mehr. Da ist zum Beispiel die Verstimmung mit Frau Schwarzkopf, die, dem Vernehmen nach, einmal keine Probe machen wollte. Da wir Frau Schwarzkopf als unermüdliche Probiererin kennen, und Wien froh sein sollte, daß diese Sängerin überhaupt im Redoutensaal singt, erachten wir diese Kontroverse für mehr als überflüssig. Vor 14 Jahren hat Elisabeth Schwarzkopf schon einmal die Wiener Oper verlassen, und das hat nicht ihr, sondern Wien Schaden zugefügt. Wir möchten schon sehr darum bitten, daß sich Ähnliches nicht wiederholen möge. Damals vertrat Frau Schwarzkopf Thesen, die von der Direktion durchaus nicht verstanden und daher abgelehnt wurden. Heute arbeiten die Häuser der gesamten Welt nach diesen Grundsätzen. Und unsere Organisation ist auch derzeit nicht so berühmt, daß wir es nötig hätten, gerade bei einer Sängerin wie der Schwarzkopf ein Exempel zu statuieren. Noch dazu ist uns bekannt, daß entgegen den Neuerungen, wonach ein Sänger bereits am Abend vor seinem Auftritt in Wien sein muß, dies nicht immer der Fall war, da z. B. ein Sänger bei den Münchner Eröffnungsvorstellungen am Abend vor seinem Wiener Auftritt in der bayerischen Hauptstadt auf der Bühne stand. Es wäre weitaus besser, statt dessen die Planung für die Saison 1964/65 durchzuführen, die uns noch wichtiger erscheint, als das Basteln am Festwochenspielplan-Traumbüchl. Mit den Traumbücheln halten wir es überhaupt nach wie vor, denn neuerlich passierte es, daß Sänger im Ausland erst durch die Zeitung erfahren, daß sie hier zu einem Gastspiel erwartet werden (und dies durch wahrhaftigen Glücksumstand), sonst wäre es möglicherweise neuerdings geschehen, daß der sich „Eiserne“ eines schönen Abends nicht gehoben hätte. Also möge auch die liebe Direktion zunächst mit sich selbst strenger sein, als gegen prominente Ensemblemitglieder und sich die Rigorositäten für die Leute des Betriebsbüros und der Direktionsräume sparen und sie gerecht verteilen. Seltsamerweise schwirren derzeit keine auffallenden Gerüchte durch die Gegend, nur leises Tratschgemurmel durchzieht die Räume hinter den Kulissen. Aber auch dies gefällt uns nicht. Das Publikum ist mit Recht äußerst mißtrauisch geworden. Wir wissen nur zu genau, daß Jene, die ihre Hoffnungen auf eine Karajan-Demission mit allen Mitteln zu verwirklichen gedachten, zwar Niederlagen kassierten, aber darob weder Geist noch Absichten aufgegeben haben, und auf Mistbeeten wachsen bekanntlich immer von Neuem Keine. Daher erscheint dennoch Vorsicht weiterhin geboten. Nichts ist also der Wiener Staatsoper so nötig, als daß der Minister mit allen Mitteln den Fall des „Maestro suggeritore“ erledigt, und dies so rasch wie möglich. Nötig ist auch, daß Herbert von Karajan früher als vorgesehen zurückkehrt, damit der Winterschlaf dem Wonnemond weichen möge. Leider werden immer unsere Oper und ihre Angelegenheiten in das politische Machtgeplänkel der Koalitionsparteien mit hineingezogen. Wir möchten den Politikern beider Richtungen von ganzem Herzen jene Einigkeit wünschen, die im Publikum herrscht, sobald es um die Geltung des Hauses am Ring geht. Bei der rauschenden Demonstration für Karajan waren unter den Musikliebhabern die Angehörigen aller Parteirichtungen von links bis recht, von einer Extremen bis zur anderen Extremen, einschließlich Opposition und Außenseitern in Sachen Staatsoper einer Meinung, was im Parlament in der bisherigen Geschichte des Hohen Hauses freilich nur beim Entscheid über die Ministerpension passiert ist. Aber vielleicht könnten die verantwortlichen Herren sich wenigstens im Fall Staatsoper Wien ein Beispiel an jenen kleinen Leuten nehmen, denen sie vor den Wahlen doch auch so liebenswerte Beachtung schenken. Dann würde hier das Spiel hinter den Kulissen gleich lichter und freudiger werden. Und im übrigen kommen wir nun einmal von dem Gedanken nicht los, daß in einem Opernhaus die Ereignisse vor den Kulissen den sichtbaren Raum einnehmen sollten und das Geschehen im Hintergrund diesen förderlich zu dienen habe. Wieder einmal ist es Zeit geworden, daß etwas geschieht, freilich dürfte es diesmal nicht neuerlich etwas Verkehrtes sein, dazu ist der Uhrzeiger bereits zu weit vorgerückt.

 

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