DER FEBRUAR 1964

9. Jahrgang, Heft 3

 

Das Ereignis des Monats fand im Burgtheater statt. (Macbeth-Premiere unter Dr. Rennert mit Hatheyer und Quadflieg am 29.2.). Weiterer Kommentare bedürfte der Musikliebhaber gar nicht, doch sei dennoch hinzugefügt, daß der eintönige Spielplan, uninteressante Besetzungen und das trostlose Alltagseinerlei, das am Ring herrscht, das Stammpublikum so ausgiebig vertrieben haben, daß im Zuschauerraum keine Stimmung mehr aufkommt, daß die Sänger statt Begeisterung oft nur müden Achtungsbeifall ernten. Man traf sich bisher in der Oper. Das aber ist seit drei Monaten schon vorbei. Die übrigen Ereignisse des Kulturlebens von Wien haben entschieden Übergewicht bekommen. Das Zentrum hat sich verlagert. Ein Haus überlebt Skandale. Langeweile aber ist tödlich und wirft die bange Frage auf: „Wohin rollst Du, Äpfelchen?!“

 

DON GIOVANNI am 1. Februar

Mozarts Don Giovanni steht zur Zeit häufig auf dem Spielplan. So mancher Dirigent versucht sich daran, doch nur ganz wenigen ist es vorbehalten, dieses Werk überzeugend zu gestalten. Zu diesen gehört John Pritchard. Ihm gelang es, trotz einer keineswegs erstklassigen Besetzung, dem Abend überdurchschnittliches Niveau abzugewinnen. Er dirigiert Mozart so, wie wir ihn gern hören: korrekt und klar, die dramatische Form wahrend, jederzeit bedacht auf besten Kontakt mit der Bühne, niemals trocken, dagegen immer mit innerer Spannung und echter Anteilnahme. In der Titelrolle Thomas Stewart, keineswegs eine Idealbesetzung, denn es fehlt ihm vor allem an Persönlichkeit und Gestaltungskraft. Beides ist gerade für den Don Giovanni fast noch wichtiger, als die Stimme. Abgesehen von dem ziemlich mißglückten Ständchen war stimmlich nichts auszusetzen. Das Organ ist klangvoll und kräftig, wird allerdings in den höheren Lagen manchmal rauh. Ausgezeichnet Fernando Corena als Leporello. Er vereint alle guten Sängereigenschaften. Ein natürlicher, urwüchsiger Humor läßt ihn das rechte Maß für diese Bufforolle finden. Corena singt mühelos. Sein Ausdruck ist so plastisch, daß er nie zu überspielen braucht, um den Zuhörer in jeder Situation zu überzeugen. Für den erkrankten Anton Dermota sang Glade Peterson, ein junger Gast aus Zürich, den Don Ottavio. Er konnte einen sehr guten Erfolg für sich buchen. Seine Stimme erinnert an die von Cesare Valetti. Die Mittellage ist sehr schön und ausgeglichen, die Höhe noch etwas steif. Er meisterte die Schwierigkeiten dieser Rolle und erntete nach seiner zweiten Arie den Beifall des Abends. Statt Hilde Güden, die ebenfalls erkrankt war, sang Lisa Della Casa die Donna Elvira. Mit diesem Tausch konnte man weniger zufrieden sein. Diese Stimme hat in letzter Zeit viel von ihrer einstigen Schönheit verloren und klingt – wird sie nur ein wenig intensiver eingesetzt – schrill. In Figur und Darstellung jedoch ist Frau Casa nach wie vor überzeugend. Als Donna Anna hörte man Gerda Scheyrer. Sie ist in allem guter Durchschnitt, ohne irgendwie besonders aufzufallen. Reri Grist gefiel als Zerlina gut, singt zwar nicht besonders differenziert, doch ist ihre Stimme technisch sehr gut geführt. Für das Spiel bringt sie alles mit, was man sich von dieser Partie erwartet. Ihr Partner war Heinz Holecek, ein Masetto liebenswert und gesanglich gut. Farblos in Stimme und Gestaltung Walter Kreppel als Komtur.

WOZZECK am 2. Februar

Unsere bewährte Hausbesetzung verhalf auch diesmal unter der straffen und konzentrierten Stabführung Leopold Ludwigs diesem Meisterwerk, das langsam immer mehr und mehr zum klassischen Repertoirestück avanciert, zu einem beachtlichen Erfolg. Während Christa Ludwig sich als Marie nach eher verhaltenem Beginn von Akt zu Akt zu steigern wußte, gab Walter Berry von Anfang an alles, was er zu geben hatte: er forcierte stellenweise allerdings derart, daß man um das kostbare Organ Angst bekommen konnte, und den sangbaren Phrasen seiner Partie blieb er diesmal einiges schuldig. Gerhard Stolze als Hauptmann kann weder im Spiel noch im Singen Peter Klein erreichen. Gewiß, die Partie ist in gewissem Grade unsingbar, aber Herrn Stolzes Falsettöne nagen am Gehörnerv! Die restliche Besetzung gab wie immer ihr Bestes: Murray Dickie (Andres), Fritz Uhl (Tambourmajor), Karl Dönch (Arzt) und Ludwig Welter (Erster Handwerksbursche).

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. Februar

Unter der sehr beschwingten Leitung von Heinz Wallberg stand wieder Fernando Corena als großartiger Figaro auf den Staatsopernbrettern. Er füllt die Partie gesanglich und schauspielerisch hundertprozentig aus und man vergönnt ihm sein Susannchen von Herzen. Dieses sang nun Ruth-Margaret Pütz gut und die Rosenarie sogar prachtvoll. Im Briefduett mit Lisa Della Casa (Gräfin) gab es einen mehr als peinlichen Ausstieg, an dem aber nicht Frau Pütz schuld sein dürfte. Eberhard Wächter war der vornehme Graf und Evelyn Lear ein durchschnittlicher Cherubino. In der kleinen Partie der Barbarina ließ Lucia Popp aufhorchen. Das Publikum hatte Freude an dieser Mozart-Aufführung.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 4. Februar

Nichts zeugt mehr von der Planlosigkeit bzw. Ratlosigkeit der Männer, die derzeit den Spielplan und die Besetzungen vornehmen (gar nicht zu reden davon, daß ein Großteil des Publikums weiterhin der Meinung ist, daß dieses Werk nicht ins große Haus gehört) als die neuerliche Entführung wegen kurzer Aufführungsdauer im Haus am Ring zu spielen, damit der Umbau für den Opernball rasch vor sich gehen kann! Wen soll diese Notnagel-Aufführung denn interessieren? Aber wen in der Direktion kümmert das schon? Man kann ja das Haus verschenken, so wie es seit Wochen mit mehr oder weniger Geschick der Fall ist. Man kann dadurch vielleicht doch noch Freunde in den Ministerien finden… und wird beliebt. Billig noch dazu, nämlich auf Kosten der Steuerzahler. Durch das Verschenken bekommt man zwar das Haus voll, aber Stimmung, letzten Endes für die Mitwirkenden nicht unbedeutend, kann man damit nicht erzeugen. Grabesluft lag über dem Haus, abgesehen von den wenigen heiteren Szenen, die auch unmusische Zuhörer stets aus ihrer Reserve zu locken vermögen. Dabei hatte der Abend tatsächlich gutes Niveau. Heinz Wallberg dirigierte wie schon lange nicht mit Schwung und Begeisterung, und auch das Orchester bot eine gute Leistung. Das ständige Abspulen des Werkes vertreibt zwar das Publikum, aber ist für die einzelnen Orchestermusiker – ob Substituten oder nicht – nur von Vorteil. Sie bekommen die Noten in den Griff. Auf der Bühne stand zum x-ten Mal Mimi Coertese als Konstanze. Sie tat dies mit gutem Erfolg. Vielleicht war sie wirklich um einige Grade besser als in den vorangegangenen Abenden. Trotzdem können wir uns der phantastischen Kritik des schärfsten und mutigsten Kritikers der Wiener Tagespresse nicht anschließen. Es gab und wird noch bessere Konstanzes geben. Die Stimme von Frau Coertse entbehrt der Reinheit in der Tonführung. Zu oft wird die Stimme scharf und schrill. Waldemar Kmentt sang den Belmonte zufrieden stellend. Reri Grist war ein bezauberndes Blondchen, welches vorbildlich und mühelos sang. Ludwig Welter als Osmin bot eine ebenfalls erfreuliche Leistung. Seine Stärke besitzt er in der Mittellage der Stimme. Hier hat sie Kraft und Mark. Die obere Lage hält nicht das Niveau, doch vermag dies Herr Welter geschickt zu kaschieren. Zwar geschieht dies durch sehr kraftvolle Forte-Töne, die wenig klangvoll sind. Aber wie viele Osmins gibt’s denn schon! Murray Dickie ergänzte das Ensemble als Pedrillo.

GESCHLOSSEN am 5. Februar

wegen Vorbereitungen zum Opernball

 am 6. Februar

MADAMA BUTTERFLY am 7. Februar

Die Wiener Stammbesucher werden von ausländischen Freunden und Gästen allzu oft des totalen Jurinac-Komplexes geziehen, mit dem Beisatz, daß wir scharfe Spitzentöne oder ein Tremolo in den oberen Lagen, das man anderen Sängerinnen oft ankreidet, bei der „Sena“ einfach nicht hören. Im Falle dieser Butterfly sind wir nun wirklich in uns gegangen und haben allerstrengste Gewissenserforschung betrieben. Aber wir kommen trotzdem nicht darum herum: sie hatte einen herrlichen Abend. Es erübrigt sich bereits, von ihrer Gestaltungskraft, ihrer Innigkeit und ihrer Seele zu sprechen. Wir erwähnen nur, daß die Stimme ausgeruht, elastisch, schön und ausgeglichen klang, abgesehen von dem von beiden Sängern etwas forcierten Schlußton des Liebesduetts. Da auch Giuseppe Zampieri einen ausgezeichneten Abend hatte und sehr schön sang und Eberhard Wächter den Konsul weit salopper als bisher, aber markant und mit Persönlichkeit sang und spielte, stand einer sehr schönen Aufführung nichts im Wege. Berislav Klobucar war ein Dirigent mit Schwung und Gefühl. Auch die Nebenrollenträger waren recht gut, besonders (nach etwas unsicherem Beginn) Margarita Lilowa als Suzuki.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 8. Februar

Während ein Teil der Wiener Jugend am Faschingssamstag das Tanzbein schwang, wurde ein anderer durchs „Theater der Jugend“ in die Meistersinger eingeschleust, die im großen und ganzen eine gute Aufführung waren. Otto Wiener stand als Sachs wieder wie ein Fels in der Brandung auf der Bühne, erfüllte die Partie gesanglich und schauspielerisch gleich großartig, und man bewunderte seine nie erlahmende Intensität, trotz mancher Schönheitsfehler um ihn herum. So wirkte Karl Dönch diesmal wieder besonders „agil“ – dazu gesanglich passabel. Leider hat die Wiener Oper zur Zeit keinen Beckmesser von wirklich großem Format. Es gibt auch international gesehen außer Evans wahrscheinlich kaum einen. Umso mehr sollte der Direktion daran gelegen sein, hier endlich etwas zu tun. Warum übernimmt Walter Berry nicht diese Rolle? Er müßte einfach unschlagbar sein und mit dem Sachs hat’s an der Wiener Oper ja noch ein paar Jahre Zeit. Murray Dickie war wieder der sympathische, frische David mit den großen Kulleraugen und einer leider in der Höhe steifen Stimme, Walter Kreppel der stimmstarke Pogner und Alfred Poell ein köstlich charakterisierter Kothner, stimmlich allerdings diesmal schwächer als in der Vorweihnachtsaufführung. Hans Beirer mit seinem schweren Heldentenormaterial liegt der Stolzing lange nicht so gut wie Siegmund und Tristan. Dennoch bemühte er sich sehr und war nach einem schwachen zweiten Akt, der ihm überhaupt nicht liegt, in der Schusterstube und auf der Festwiese gut. Herr Beirer trug eigene, sehr gut passende Kostüme. Die Magdalena war mit Ira Malaniuk angemessen besetzt. Unter den Meistern fiel Herbert Lackner angenehm auf. Der wunde Punkt der Aufführung war das Evchen. Lisa Della Casa, dem Rezensenten seit dem ersten Auftreten in dieser Partie (Bayreuth 1952 unter Knappertsbusch) bekannt, war wohl nie eine Idealvertreterin dieser Rolle. Sie war seinerzeit gesanglich perfekt und in der Erscheinung hoheitsvoll, aber immer distanziert und kühl. Das schlagende Herz, das dieses Goldschmiedstöchterlein schließlich besitzen muß, blieb immer verborgen, und dadurch wird das Handeln Evas unglaubwürdig. Jetzt ist Frau Casa entschieden fehlbesetzt. Sie ist schauspielerisch derart hektisch und ständig in Bewegung, daß man beim Zusehen nervös wird. So ist es doch völlig unmöglich, daß Eva in der Katharinenkirche mit dem fremden Ritter so ungeniert kokettiert, dann in der Szene des zweiten Aktes mit Sachs, statt ruhig sitzen zu bleiben, die Rampe auf- und abläuft, am Zopf zieht, am Kleide nestelt usw. Und schließlich wäre sie vor lauter Getue beinahe über alle Stufen gefallen, hätte Stolzing sie nicht aufgefangen. In der Schusterstube kommt nicht jene Herzlichkeit auf, die man gewohnt ist und auf der Festwiese schließlich ist die Prozedur mit dem Lorbeerkranz ärgerlich. Dazu war die Künstlerin gesanglich schlecht. Frau Casa bemüht sich, weite Strecken der Partie sehr verhalten zu singen, was aber bei dem kompakten Musizieren unter Herrn Ludwig schief gehen mußte, da die Stimme in den Orchesterwogen unterging. Dafür wird bei voller Lautstärke ein starkes Tremolo hörbar, und die Angst vor den Spitzentönen bringt sie um die Wirkung. Mit Bangen sah man dem Taufquintett entgegen, um dann feststellen zu müssen, daß die Angst nicht unbegründet war. Alles in allem das schwächste Evchen seit langem! Somit wirkt sich das nunmehr mehrmonatige Engagement Frau Casas bisher nicht günstig aus, denn mit den Strausspartien allein wird man die Künstlerin nicht beschäftigen können und die Eva geht so nicht. Dazu möchte man erneut darauf hinweisen, daß man gerne sowohl Claire Watson als auch Gundula Janowitz endlich in dieser Partie hören möchte. Leopold Ludwig war der musikalische Leiter des Abends, der wie bei den vorangegangenen Meistersingern im Dezember auch diesmal die Transparenz vermissen ließ, durch allzu große Lautstärke den Sängern manchmal Sorge bereitete (nicht nur Frau Casa!), aber immerhin Bühne und Orchester gut zusammenhielt. Da der Staatsopernchor auf der Festwiese abermals ausstieg, glauben wir, daß daran nicht der Dirigent die Schuld trägt. Herr Ludwig hat immerhin in den deutschen Aufführungen der Wintermonate im allgemeinen gutes (aber nicht außergewöhnliches) Niveau gezeigt. Er ist dem Wiener Stammpublikum auch bei den Meistersingern lieber als Swarowsky und Hollreiser, die wir immerhin auch „erlebt“ haben.

DIE FLEDERMAUS am 9. Februar

Was dachte sich eigentlich Herr Direktor Hilbert, als er Cissy Craner und Hugo Wiener für die Faschingssonntag-Einlage verpflichtete? Da hat man in den eigenen Reihen mit Erich Kunz einen Meisterinterpreten humorvoller Wiener-Lieder. Ein Giuseppe Zampieri wäre sicher bereit gewesen, ein italienisches Volkslied zu trällern oder Waldemar Kmentt hätte aus einer Strauß- oder Leharoperette ein Lied singen können. Man wäre damit den gleichen Weg gegangen, wie bei der denkwürdigen Silvesterpremiere 1960, doch man wäre in einem würdigen Rahmen geblieben. Doch nein, statt dessen kreischte Cissy Craner mit ordinärer Stimme drei Songs, von denen „Ich möchte so gern ein Teenager sein“ besonders deplaciert wirkte. Selbst die vielgeplagten Billeteure sagten, daß so eine Darbietung bisher noch nie dagewesen war! Wenn das so weitergeht, steht uns demnächst Herr Farkas mit Blitzreimen oder Herr Qualtinger mit dem „Gschupften Ferdl“ ins Haus (wobei nichts gegen den Künstler Qualtinger gesagt sein soll). Wir erhoffen für den nächstjährigen Faschingssonntag mehr Geschmack! Zur Aufführung selbst: Sie hatte erschreckend schwaches Niveau. Lediglich die Herren Eberhard Wächter, Erich Kunz und Gerhard Stolze hielten Premierenniveau. Positiv fiel noch Ina Dressel als Adele auf. Eine entzückende Person mit dezentem Spiel und einem reizenden Operettenstimmchen. Für die absagende Hilde Güden sprang Mimi Coertse als Rosalinde ein. Sie hatte vor allem mit dem Wiener Dialekt und im zweiten Akt auch mit dem ungarischen Akzent ihre liebe Not und konnte Frau Güden nicht vergessen machen. Giuseppe Zampieri als Alfred hat schon viel vom deutschen Text vergessen. Hans Braun ließ den Wunsch nach Walter Berry lautwerden. Die Ida von Hilde Sochor war eine Spur zu ordinär. Urkomisch und zu Lachstürmen hinreißend Otto Schenk als Frosch. Robert Stolz wurde von der Presse als wienerischer Interpret der Fledermaus gelobt. Nun, wenn Unexaktheit und Schlamperei wienerisch sind, dann ist Herr Stolz ein wienerischer Interpret (uns ist dann allerdings der preußische Drill des Herrn von Karajan lieber). Solche Entgleisungen, wie ein Nichteinsetzen des Chors – und das nicht nur einmal – dürften eigentlich nicht einmal einem Kapellmeister passieren. Überhaupt wäre wieder gründliche Probenarbeit bei unserer einstmals so grandiosen Fledermaus vonnöten. Vielleicht zum nächsten Jahreswechsel unter Karajan oder Krips?

CARDILLAC am 10. Februar

Wer sich vielleicht eine Verbesserung der Leistung unseres Staatsopernchores durch das zunehmende Vertrautwerden mit der neuen Materie erhofft hatte, wurde eines Besseren belehrt. Der Chor zu Beginn des ersten Bildes klang, was Intensität, Sicherheit und Perfektion anlangte, wie der Chor aus einer verstaubten Repertoireoper, die monatelang im Dornröschenschlaf geruht hatte. Dabei bemühte sich Leopold Ludwig, die „moderne Härte“ des Orchesters auch auf den Chor zu übertragen – vergebens! Daß es nicht gelang, war nicht die Schuld des Dirigenten, sondern die der Arbeitsmoral unseres Chores, über die sich ein Wiener Opernbesucher vom Fach kaum mehr wundert. (Mit einer schlechten Abendverfassung ist ein zahlenmäßig großer Chor wohl nicht zu entschuldigen. Hier liegen die Ursachen tiefer!. Neu in der Besetzungsliste war der Offizier von Mirko Plosila aus Wuppertal. Eine recht gute Einspringerleistung für Herrn Nocker. Daß diese Partie einen modernen Sänger-Schauspieler erfordern würde, ist klar. Über die ausgezeichneten Leistungen von Otto Wiener in der Titelrolle und Wilma Lipp als Tochter (beide haben in modernen Werken noch nie enttäuscht, siehe Mathis) wurde anläßlich der Premiere schon referiert. Irmgard Seefrieds Dame wirkte trotz merklicher „Bremse“ noch zu gewollt erotisch und überspielt (Schmuckbetrachtung im Spiegel). Schade, daß sie mehr stumm zu spielen, als zu singen hat. Gerhard Stolze als Kavalier, prädestiniert für Gesangspartien, die gegen die menschliche Stimme  geschrieben wurden, wirkte etwas unnatürlich und komplexbeladen, paßte aber dadurch eher zur Seefried. Die Koloraturperlen von Hans Braun sind ein Alptraum, der Gott sei Dank schnell vorübergeht. Das Abonnementpublikum schien beeindruckt.

RIGOLETTO am 11. Februar

Georges Pretre drückte dieser Vorstellung den Stempel auf. Das diesem jungen Dirigenten eigene ungebärdige Temperament und der ebenfalls für ihn charakteristische Präzisionsfanatismus sind dazu angetan, schlummernde Musikbeamte auf der Bühne und im Orchester zu einer neuen (Schein-) Blüte zu erwecken. Zu alledem: Maître Pretre ist ein Verdidirigent, und dieser Umstand ist ja unter Nichtitalienern nicht allzu häufig. So war es höchst anregend zu beobachten, wie Verdis Geist etwa weit mehr aus der Begleitung der Gilda-Arie hörbar wurde, als in dem Gesang der Sängerin. Die Musik hatte ihre Form, ihren Klang und ihr Leben. Vielleicht ist dem fanatischen jungen Künstler noch nicht alles zu seiner Zufriedenheit gelungen, wie aus der heftigen körperlichen Arbeit am Pult zu ersehen war. Das Publikum konnte jedoch mehr als zufrieden sein und möchte Pretre sooft wie nur irgend möglich hören. (Wenn man ihm die notwendigen Probenmöglichkeiten verschafft, hat er sicher auch nichts dagegen). Die ursprünglich angesetzte Anna Moffo sagte ab, nicht ohne heftiges Rauschen im Blätterwald. Ihr Management ist dem eines Cassius Clay würdig. Einspringerin war Mimi Coertse, die hörbar unvorbereitet und unkonzentriert antrat. Sie hätte durch ihr Schwimmen das erste Duett mit Rigoletto zum Platzen bringen können, hätte sie nicht in Aldo Protti einen bombensicheren Partner gehabt, der kaum jemals aus dem Tritt zu bringen ist. Ausdruck im Singen kann man Frau Coertse nicht absprechen. Leider geht er jedoch mit Forcieren und Überbeanspruchung der Stimme Hand in Hand, was zu gläsern-starrem und manchmal heiserem Klang von der oberen Mittellage an führt. Am besten ist sie, wenn sie Piano oder zumindest mit Kopfstimme singt, so wie etwa in der Arie. Wenn es dramatisch wird, hat der Hörer hingegen allerlei zu leiden. Giuseppe Zampieri erwies sich als gut singender Herzog, der nur in der Ballata die sonst manchmal für ihn charakteristische Flüchtigkeit zeigte. Er ist sozusagen ein Anti-Fermaten-Sänger. Je kürzer er eine Note halten darf, desto lieber ist es ihm. Im übrigen scheint er bei seiner Atemtechnik etwas in Ordnung gebracht zu haben, denn er zeigt keine Angst mehr vor Spitzentönen, und sie klingen auch zumeist kräftig und schön. Zur großen Überraschung der Hörer erwies er sich im letzten Akt als recht stürmischer Draufgänger. Seine Maddalena Margarita Lilowa wirkte allerdings auch so apart und gut, daß das plötzliche Temperament erklärbar war. Manchmal zeigt er doch typisch italienische Anlagen! Aldo Protti war wieder da, stürmisch bejubelt. So einen langen Beifall wie nach den „Cortigiani“ hat das „hohe Haus“ schon lange nicht mehr erlebt. Es ist immer aufs neue interessant zu beobachten, mit welcher Liebe, mit welchem Einsatz, mit welcher Begeisterung Aldo Protti singt, und niemand kann sich der mitreißenden Wirkung entziehen, die seine durchs Haus rollende Riesenstimme ausübt. Wenn das Orchester zufällig gerade einmal leise ist, hört man allerdings, daß die Höhe nicht mehr so mühelos kommt, wie dies früher der Fall war. Natürlich singt er noch immer ein „As“, aber es klingt nicht mehr schön. Vielleicht sollte er oben etwas drosseln. Aber er ist gewöhnt, seine Höhen knallen zu lassen und wird davon kaum Abstand nehmen. Die größte künstlerische Leistung des Abends bot Fernando Corena als Sparafucile. Die konventionelle Auffassung dieses Burschen à la augenrollendem Massenmörder liegt einem Künstler wie Corena nicht. Daher spielte er eine großartige eigene Konzeption, einen biederen Handwerker des Todes, einen Kleinhändler in Schwert- und Messerstichen, einen Kaufmann des Um-die-Ecke-Bringens. Großartig machte er das! Die dämonische Wirkung kam dadurch unterschwellig, ganz im Sinne des Textes, in dem es ja bekanntlich auch heißt: „…bin ich denn ein Räuber, bin ich denn ein Mörder, habe ich meine Kunden schon jemals verraten. Der Alte bezahlt mich, treu muß ich ihm sein…“ usw. Oskar Czerwenka war ein stimmkräftiger Monterone, die Herren Herbert Lackner und Kurt Equiluz verläßliche Comprimarii. Das Orchester spielte sehr gut. Der Souffleur schrie derart laut, daß schon nur mehr böse Absicht dahinterstecken kann. Oder glaubt der Unbekannte im Kasten tatsächlich, daß ausgerechnet der intelligente Herr Corena, ausgerechnet bei der Stelle „Sparafucil mi nomino...“ aussteigen wird?

DER ROSENKAVALIER am 12. Februar

Diese herrliche Aufführung beinhaltete eigentlich nur zwei Wermutstropfen, die Sophie Rita Streichs, deren Stimme schon ziemliche Mängel aufweist (die Tiefe ist ziemlich unhörbar, die Höhe schwerfällig und wird „angebohrt“), und die Annina, die von Hilde Rössel-Majdan mit steifen Wagnertönen gesungen und mehr als aufdringlich gespielt wurde. Ansonsten konnte man an dieser Aufführung seine helle Freude haben. Elisabeth Schwarzkopf und Sena Jurinac – es gibt keine idealere Besetzung für Marie-Theres und Oktavian. Die beiden Stimmen harmonierten herrlich miteinander und die Rollengestaltung ist schlechthin vollkommen, sowohl jede Partie für sich als auch im Zusammenspiel. Die geringste Nuance in Tonfall und Geste bei Frau Schwarzkopf – und sie hat deren unzählige – wird von Frau Jurinac aufgenommen und beantwortet. Dergleichen geht auch Frau Schwarzkopf auf jedes Detail im Spiel unserer Sena ein. Das Ergebnis ist ein unmittelbares, lebendiges Spiel, das zwar sein Grundkonzept immer beibehält, aber von der doch immer wieder anderen, neuen Atmosphäre der jeweiligen Aufführung, von Partnern, Dirigent, Publikum usw. beeinflußt, immer neu, immer anders ist. Otto Edelmann ließ sich als indisponiert entschuldigen, ist aber trotzdem noch immer der derzeit beste Lerchenauer. Er bleibt in allem immer eine Standsperson, hielt sich stimmlich diesmal an gutes Parlando, zeigte aber, daß er dort, wo’s nottut, auch trotz Indisposition sowohl die nötige Höhe wie Tiefe hatte. Faninals Gesundheit schien wirklich nicht die Beste zu sein: Der Asthmahusten Erich Kunz’ klang sehr bedenklich. Aber die stimmliche Leistung war zufriedenstellend. Fritz Wunderlich sang sehr gepflegt die unangenehme Arie des Sängers. Er war eine Wohltat nach den diversen Vorgängern in dieser Partie. Gerhard Stolze zeichnete einen blendenden Valzacchi. Ein Sonderlob für Heinz Wallberg. Er war blendend in Form und dirigierte inspiriert, klar und durchsichtig, hatte das Orchester gut in der Hand und führte die Sänger liebevoll durch die Partitur. Ein unschönes Violinsolo am Ende des ersten Aktes (Prof. Sedlak) und zwei kleine „Blechschäden“ im zweiten Akt taten dem Abend keinen Abbruch. Jubel beim Publikum. An diesem Abend konnte man nach vielen Wochen wieder den Großteil des Stammpublikums in der Oper finden, obwohl man ausgerechnet für diese von der Besetzung her interessante Aufführung das halbe Haus ans Theater der Jugend vergeben hatte.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 13. Februar

Der 13. Februar dieses Jahres war glücklicherweise der Donnerstag nach dem Ende des Faschings, so daß zu Richard Wagners Todestag immerhin eines seiner Werke gegeben werden konnte. Mehr als eine als „würdig“ zu bezeichnende Aufführung der Meistersinger wurde allerdings nicht hervorgebracht. Aber wir sind ja, gerade was Fest- und Gedächtnisaufführungen betrifft, nicht verwöhnt. Eine gewisse Zwiespältigkeit des Eindrucks ergab sich zunächst aus der vom Pult ausgehenden Unruhe. Heinz Wallberg waltete seines Amtes mit erfreulicher Ambition und jugendlichem Schwung, entwickelte jedoch zuweilen größere Lautstärken, als den Sängern gut tat, und forcierte das Tempo hin und wieder allzu sehr. Das soll nicht heißen, daß wir jedes Abgehen von althergebrachter Breite bekritteln und verurteilen. Es gibt aber nun einmal Themen, die ausschwingen und erblühen wollen und die es nicht vertragen, wenn man sie ungebührlich treibt. Gerade in den Meistersingern muß also dem Dirigenten der Unterschied zwischen Schwung und Hektik offenbar werden, will er eine abgerundete Leistung bieten. Wie soll man Otto Wieners Sachs noch weiter preisen, ohne sich in Wiederholungen zu verlieren? Die rechte Mitte zwischen Schuster und Poet, die zu treffen stets nur den größten Vertretern der Rolle gelang, hat er nun zweifellos gefunden. Alle Güte, die die Gestalt adelt, alles, was die liebenswerte Seite des Deutschen ausmacht, vermag er ihr zu geben. Stimmlich aus dem Vollen schöpfend, nicht nur vorbehaltlos ehrlich vom Anfang bis zum Ende durchsingend, hat er darüber hinaus eine vorbildliche Wortdeutlichkeit und einen den Wortinhalt überhöhenden Ausdruck zu bieten, sodaß er derzeit konkurrenzlos ist. Wieners Sachs ist eine nur mehr zu bewundernde, nicht mehr zu kritisierende Leistung. Fritz Uhl stellte einen frischen und wahrhaft junkerhaften Stolzing auf die Bühne, der sowohl die heldische wie auch die lyrische Seite der Partie gesanglich erfreulich gut traf. Daß dem Tenor nach einem fehlerlos gesungenen Abend ausgerechnet das letzte a abriß, war Pech, das dem Gesamteindruck keinen Abbruch tat, genauso wie es nur ein kleiner Kurzschluß war, der den Bariton „gar lieblich drin sich’s dichten läßt“ unter den Tisch fallen ließ. Kein bloßes Pech aber und auf tieferliegende Gründe zurückzuführen war der Ausstieg, durch textliches Gewirr verursacht, der Lisa Della Casa gleich zu Beginn des Taufquintetts passierte. Zurückzuführen nämlich auf begründete Nervosität, um nicht zu sagen Angst, vor dem b, das übrigens, wie bereits nach den ersten Takten vorauszusehen war, prompt geschmissen wurde. Bei aller Würdigung des nun weit innerlicheren Ausdrucks und der gedanklichen Durchdringung des Textes muß doch vermerkt werden, daß die stimmliche Verfassung der Sopranistin derzeit keine befriedigende gesangliche Bewältigung des Evchens zuläßt. Das Silber der Stimme ist stark angekratzt, und es ist zu fürchten, daß der Kratzer irreparabel bleiben wird. Walter Kreppel, der den Pogner sang, scheint seine Stimmkrise endgültig überwunden zu haben, obgleich die frühere Ausgeglichenheit seiner schönen Baßstimme noch nicht erreicht werden konnte. Vielleicht ist sein Organ einer Wandlung zum Charakterbaß unterworfen? Eine solide Leistung bot Ira Malaniuk als Magdalena, eine hervorragende Murray Dickie mit seinem bekannten David. Beachtlich zog sich Alfred Poell als Kothner aus der Affäre. Erfreulicherweise – bis auf die letzten paar Takte – recht gut war Karl Dönch, wenn auch eine zuweilen recht freie Behandlung der Melodei anzumerken ist, als Beckmesser. Aus dem übrigen, musikalisch recht sattelfesten Meisterensemble war Herbert Lackners Stimme in positiver, Erich Majkuts Organ in negativer Richtung herauszuhören. Der Chor war mittelprächtig. Zu bemängeln sind immer dieselben Sachen. Der zu hohe Anteil scheppernder Soprane in der Höhe, die schwächliche Besetzung des Alts, zumal der Lehrbuben, die unzulässige „Vereinfachung“ vor allem der Tenorstimmen beim Aufzug der Zünfte und jene gewisse, allgemeine Unbekümmertheit. Das Orchester war nicht in Überform. Beschränkte sich der „Blechschaden“ diesmal auf die Hörner, ohne auch dort gar zu arge Verzerrungen anzurichten, so hat der Holzwurm inzwischen von den Klarinetten auf die Oboen übergegriffen. Die Krise wird behoben werden müssen. Die Bühnenmusik hielt sich verhältnismäßig brav. Die Abwesenheit des Gestells auf der Festwiese empfindet man immer wieder als ein Labsal, doch wäre zu erwägen, ob man, um zugleich die Bühne organischer zu füllen, es nicht doch mit einer großzügigeren Heranziehung von Zusatzchören versuchen sollte, um die stummen Darsteller in die Minderheit zu bringen. (Steht doch deutlich auch begründet in der Partitur: „Außer Sachs singen alle Anwesenden diese Strophe mit“.) Was dem „Wach auf“-Chor nur guttäte.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 14. Februar

Ein Bravo gebührt dem Orchester und dem Dirigenten Heinz Wallberg, der mit viel Animo Mozart flüssig dirigierte. Ein Bravissimo der wundervollen Gräfin, in der Person von Hilde Güden, die die beste Leistung des Abends bot. Jede einzelne Phrase war für den Hörer ein Genuß. Die Stimme klang frisch und war von jener einmaligen Silbrigkeit, mit der Güden in aller Welt berühmt wurde. Aber auch ihr Spiel war restlos überzeugend. Welcher Charme und welche Noblesse gingen von ihr aus! Ihre Partner konnten in dieser Hinsicht nicht mit ihr Schritt halten! Thomas Stewart als Graf hatte überhaupt kein adeligen Auftreten, wenngleich unwahrscheinliche Selbstsicherheit, die zumeist den amerikanischen Sängern zu eigen ist. Seinem Bariton fehlt es an Mark und männlicher Ausstrahlung. Daß er singen kann, will niemand bezweifeln. Aber schon nach dem Fallen des Schlußvorhanges hat man das Timbre der flachen Stimme ganz vergessen. Evelyn Lear als Cherubino sah sehr gut aus und sang ebenso, vermittelte aber im Gesamteindruck gekonnte und bewußte Oberflächlichkeit. Man sah die Schale und nicht den Kern. Rita Streich als Susanna ist nicht mehr das Susannchen vom Theater an der Wien. Die Stimme hat an Frische verloren und ist außerdem härter geworden. Sie sang aber dennoch eine ausgezeichnete Rosenarie, welche ihr auch Szenenapplaus einbrachte. Erich Kunz als Figaro bot sein gewohntes Format. Gesanglich tut er sich im ersten Akt freilich schwer, aber als Gesamtfigur steht er noch immer mit beiden Füßen auf der Erde, bzw. auf der Bühne. Sein verschmitztes Lächeln, seine Beweglichkeit und sein sicheres Auftreten gewinnen ihm die Sympathien in dieser Partie. In den Nebenrollen fiel Ira Malaniuk durch eine prächtig gesungene und köstlich gespielte Marcellina auf. Aber auch Oskar Czerwenka als Dr. Bartolo war vollauf am Platz, wogegen Murray Dickie in den Ensembles viel zu laut sang.

OTHELLO am 15. Februar Preiskategorie II

Wieder Georges Pretre am Pult, wieder ein meisterhafter Verdi in seiner ganzen mitreißenden Kraft und Schönheit. Wieder ein durchdachtes Konzept und seine Realisierung mit den Mitteln einer Persönlichkeit von Format. Dimiter Usunow war ein prachtvoller Othello. Vielleicht rein stimmlich nicht ganz hundertprozentig gut disponiert, aber desto hinreißender in seinem Einsatz, seiner Konzentration. Bemerkenswert auch in seinem Bemühen um die Phrase. Übrigens ist er im Begriff, den Schritt von der temperamentmäßigen Beherrschung der Shakespeare-Rolle zu deren psychologischer Durchdringung zu tun. Letzteres ist nun zwar nicht gerade die Sache von Aldo Protti, doch singt er den Jago einfach großartig. Die Partie liegt für ihn offenbar praktisch in der Mittellage und aus dieser heraus singt er etwa im Trinklied ein butterweiches „a“. Überdies legt er auch jetzt weit mehr Wert auf subtile Phrasierung, was besonders der Traumerzählung zugute kommt und seinen kraftvollen Stimmdonner auf das angenehmste unterbricht. Margherita Roberti war die Desdemona, ziemlich konventionell in der Auffassung, im Forte etwas hart und steif, aber mit einem schönen Piano, das allerdings nicht übermäßig tragfähig ist. Immerhin: Guten Durchschnitt repräsentiert sie immer. Margarita Lilowa und die Herren Anton Dermota und Frederick Guthrie führten mehr oder minder erfolgreich die kleinen Rollen an.

LA TRAVIATA am 16. Februar

Am Pult stand Francesco Molinari-Pradelli, der eine ganz hervorragende Traviata, von kammermusikalischer Feinheit bis zur großen tragenden Phrase gleicherweise überzeugend, leitete. Über das, was von der Bühne kam, war der Hörer weniger glücklich. Mimi Coertse kommt in der Titelrolle einfach nicht über die Rampe. Sie wirkt so bieder und bürgerlich, wie sie nicht einmal im wirklichen Leben sein kann, und ihr Singen klingt, trotz Einsatz und Teilnahme, hörbar angestrengt. Thomas Stewart, der eine solide stimmliche Leistung erbrachte, ist mit der italienischen Phrasierung überfordert. Was Gefühl sein soll, wird bei ihm zum Sentiment und die würdige Objektivität der Rolle zu hohlem Pathos. Überdies versteht er es nicht, sich auf der Bühne zu bewegen. Man wird den Eindruck nicht los, daß er zwei linke Hände und ebensolche Füße hat. Wofür dieses Engagement wieder gut sein soll? Wir haben doch ohnedies einen „Hausamerikaner“. Wenn es schon ein solcher sein muß, dann doch lieber der zweifellos billigere und mindestens ebenso gute Robert Kerns. In Phrasierung und Stil untadelig und in guter stimmlicher Verfassung sang Giuseppe Zampieri den Alfred, wobei er ein sehr schönes Piano entdeckte. (Er sang immer herrliches Mezzavoce, aber sein Piano setzte er kaum ein.) Er bot zweifellos die beste Leistung des Abends. Neben Gundula Janowitz (eine Verschwendung!) und Ermanno Lorenzi (sehr gut als Gaston) hörte man noch zwei junge Umbesetzungen kleinerer Rollen, wobei Herbert Lackner (Dr. Grenvil) den besseren Eindruck machte als Hans Christian (Baron Duphol). Ersterer hat allerdings auch die bessere Rolle. Orchester und Chor waren in recht guter Form, aber über den Chor ist noch ein ernstes Wort zu reden. Irgendjemand hat kurz nach der Premiere, die im Jahre 1957 stattfand, erfunden, daß man in den Zigeunerchor des 3. Aktes etwas hineinzischen kann, was wie ‚Jessas-na’ klingt. Daß die Chor-Herren diesen „Witz“ anno 1964 noch immer machen, läßt bedenkliche Rückschlüsse auf ihren Intelligenzquotienten zu. Ein Kind kann in 7 Jahren erwachsen werden. Manche Leute werden es offensichtlich nie. Zu Zeiten der Kameliendame hat sicherlich selbst die Halbwelt noch ein gewisses Dekor gewahrt, während heutzutage in dieser Branche eher die Unterwelt zu herrschen scheint. Um in diesem Sinne konsequent zu sein, müßte man halt im dritten Akt ein Striptease bringen, was aber nicht ganz zu Verdis Musik passen dürfte.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 17. Februar

Von Meistersingern war an diesem Abend nur im Titel der Oper die Rede. Auf der Bühne schaute es traurig aus. Das war auch deutlich zu hören. So wenig Applaus, so leere Ränge waren bei Richard Wagner schon lange nicht zu hören und zu sehen. Otto Edelmann als Hans Sachs war ein Biedermann, von dem kein Funken ausging, der über die Rampe sprang. Gemächlich und mit wienerischem Tonfall kam er über die Distanz. Die Stimme ist nur mehr in der Mittellage klingend. Die Höhen sind von hellerer, anderer Klangfärbung und sehr dünn. Eigentlich hatte man von seinem Sachs den Eindruck, daß er weder Poet noch Schuster sei, sondern bloß eine Theaterfigur in einem Kostüm. Immerhin haben wir sehr gestaunt, daß man Edelmann jetzt wieder als Wotan und Sachs ansetzt. Ob man am Ende auch den Holländer wieder folgen lassen wird? Manchmal kann man nur staunen. Die Persönlichkeit, die der Sachs als Zentralfigur schuldig blieb, war Hans Hotter als Pogner. Zwar ist auch an ihm die Zeit nicht spurlos vorübergegangen, aber was er tut und wie er die Partie im Sinne Wagners ausfüllt, beweist eine große Künstlerpersönlichkeit. Sein Töchterlein Eva, von Lisa Della Casa gesungen, scheint hier wenig vom Vater geerbt zu haben. Unruhig, nervös, „fuhr“ sie auf der Bühne herum. Die Nervosität und das Bewußtsein, „die große Zeit“ hinter sich zu haben, scheint die Künstlerin ganz aus der Bahn zu werfen. Die Stimme wird in der Tiefe künstlich und unecht gefärbt und die obere Lage hat alles an Klarheit verloren. Fritz Uhl als Stolzing war nicht so gut, wie in der vorangegangenen Aufführung. Karl Dönch als Beckmesser hatte die Lacher auf seiner Seite. Weniger allerdings waren die Partiturleser von ihm begeistert. Als David stellte sich Erwin Wohlfart vor. Seine kleine, drollige Gestalt mit dem wirklich fröhlichen Gesicht ist für den Lehrbuben wie geschaffen, doch hinterläßt seine helle Stimme nicht denselben Eindruck. Zu viele Kopftöne und ein zu gerades Singen verrieten nicht den Stil eines Belcantisten. Wie sang vor Jahren Dermota diese Partie! Heinz Wallberg war an diesem Abend viel zu laut, wodurch die Transparenz dieses Werkes nicht einmal zum Durchbruch kam. Fünf Stunden Forte und Fortissimo wirkten sogar auf Wagnerfans ermüdend und entromantisierend.

BALLETTABEND am 18. Februar

ARIADNE AUF NAXOS am 19. Februar

Gesamteindruck: Ein ausgezeichnetes Vorspiel – eine matte Oper! Sena Jurinac und Otto Wiener waren der Mittelpunkt des Vorspiels. Frau Jurinacs Komponist ist seit Jahren ein Begriff. Wie vielleicht keine andere weiß diese Sängerin um das Wesen dieser Rolle und vermag somit immer wieder den Straussfan zur Begeisterung hinzureißen. Es blieb sowohl in gesanglicher als auch schauspielerischer Hinsicht kein Wunsch offen, außer – die Sena öfter in dieser Partie zu hören, die oft für ein anderes Ensemblemitglied zum Abbiegen der vertraglichen Abende benützt wird. Herr Wiener der nun zum zweiten Mal den Musiklehrer in Wien sang, wußte sich seiner neuen Partnerin ausgezeichnet anzupassen und bewältigte die Partie prächtig. Schauspielerisch konnte er sehr gut gefallen, da Otto Wiener das richtige Maß für diese Rolle finden konnte, die bei uns so oft uninteressant und im Charakter verzeichnet interpretiert wird. Lisa Della Casa gelang eine köstliche Studie einer Primadonna, die sich unter dem niedrigen Volke nicht wohl fühlt, und Dimiter Usunow wußte effektvoll einen Tenor mit all seinen Schwächen und Eitelkeiten auf die Bühne zu stellen. Hans Christian ist der beste Haushofmeister seit dem seligen Alfred Neugebauer, Herbert Lackner der wohl beste Lakai, an den wir uns erinnern können, und Murray Dickie als Tanzlehrer bestens eingesetzt. Er meistert die Partie gesanglich vollkommen und gestaltet sie ebenso. Auch die übrigen Mitwirkenden fielen nicht unangenehm auf. Nur Rita Streich als Zerbinetta ließ schon im Vorspiel wenig Gutes für die Oper ahnen. Auf der wüsten Insel also wand sich Ariadne in ihrem violetten Gewande auf einem Stein vor Schmerzen und Todessehnsucht. Schade, daß Frau Casa, die früher immer genau über die Gestaltung der Ariadne Bescheid wußte, jetzt so überspielt.  In gesanglicher Hinsicht blieb sie auch diesmal viel schuldig. Sobald voller Stimmeinsatz nötig ist, scheinen derzeit bei der Sängerin in allen Partien (außer der Figaro-Gräfin) ihre Mängel deutlich auf. Mit Wehmut denkt man an die vielen prachtvollen Straussabende der Künstlerin. Rita Streich (sie sprang für die in Stuttgart wegen der Aufführung von King Arthur unabkömmliche Frau Pütz ein) erwies sich mit der Zerbinetta völlig überfordert. Hat ihre Zerbinetta bereits vor Jahren unter Szell Mängel gezeigt, sollte die Sängerin diese Partie in Wien nun überhaupt nicht mehr singen. Eine derart schlechte Zerbinetta-Arie hat man seit Jahren hier nicht gehört. Kein Wunder, daß das Publikum, das sich um alle Spitzentöne geprellt sah, laut und deutlich sein Mißfallen äußerte. Als Harlekin war wieder Kostas Paskalis eingesetzt, der mit dieser Rolle überhaupt nichts anfangen kann. Er ist schauspielerisch fehl am Platz und gesanglich zu wuchtig und schwer. Anzukreiden ist dem Besetzungsbüro, daß Hermann Prey, der wohl idealste Harlekin, zur Zeit in Wien ist und nicht herangezogen wurde. Das wäre doch endlich etwas Neues und Interessantes gewesen, das wieder den Stammbesucher, der das Haus oft wochen- ja monatelang nicht mehr gesehen hat, zum Besuch der Vorstellung animiert hätte. Murray Dickie, Kurt Equiluz und Ludwig Welter vervollständigten das Buffoquartett. Das Nymphentrio war recht dürftig. Zum Glück trat endlich nach schier endlos anmutender Zeit Bacchus in Gestalt von Dimiter Usunow auf und wurde mit seinem sieghaften Tenor Beherrscher der wüsten Insel. Heinz Wallberg gefiel im Vorspiel besser als in der Oper. Das Orchester war nicht sehr brillant.

RIGOLETTO am 21. Februar

Ein orchestral herrlicher Rigoletto, während auf der Bühne kaum Gleichwertiges geboten wurde. Georges Pretre zauberte die herrlichsten Klangfarben aus dem Orchester. Seiner intensiven Zeichengebung konnten sich die Musiker nicht entziehen. Aber von den Sängern bestand nur Aldo Protti ebenso glanzvoll. Sein Rigoletto zeigte zwar leichte „Höhenkrankheit“, aber der Künstler singt und spielt so erlebt, daß die Rauhheiten nicht stören. Mimi Coertses Stimme mutete in der Mittellage oft wenig klangschön, in der Höhe sehr scharf an. Das Spiel wirkte oft nichtssagend und fallweise situationswidrig (die sterbende Gilda richtet sich bestimmt nicht ihre Frisur, wenn sie aus dem Sack herausgezogen wird). Giuseppe Zampieri war alles andere als verführerisch und stimmlich müde. Das Spiel zeichnete sich durch Lethargie aus, und außerdem hatte sein Herzog diesmal seinen „taktlosen“ Tag. Walter Kreppels Sparafucile blieb mittelprächtig. Oskar Czerwenka war ein stimmstarker Monterone und Margarita Lilowa eine aparte Maddalena. Die Inszenierung wird immer unleidlicher, je öfter man sie sieht. Diesmal passierte dem armen Rigoletto noch das Unglück, daß er die Halstuchmordleiche vom verkehrten Ende aus anpackte, anscheinend aber schon am Strumpfband die Identität erkannte. Gilda wurde in ihrem Tageskleid geraubt. Beim Herzog verpaßte man ihr dann eines der anscheinend dort in allen Größen lagernden Nachthemden. Oder sollte einer der Räuber noch rasch auch Gildas Dessous mitgenommen haben? Soweit vorausdenkend pflegt man in der Wiener Staatsoper sonst nicht zu sein!

DON GIOVANNI am 21. Februar

Das war eine überraschend gute Aufführung, und der Rezensent mußte dreimal nachsehen, ob wirklich Heinrich Hollreiser am Pult stand. Er war nämlich wirklich gut, ließ sogenannte Mozartspezialisten weit hinter sich, und die Musik hatte ihre Elastizität und Lebendigkeit. Offensichtlich läßt sich aus der Stimmung „Denen werde ich es schon zeigen“ auch eine gute Leistung erbringen. Eberhard Wächter, Don und Giovanni von Scheitel bis zur Sohle und einer der drei vollwertigen Vertreter der Titelrolle, war auch stimmlich wieder ausgezeichnet, was er mit dem „A“ in der Höllenfahrt bewies. Gerda Scheyrer hat schon lange nicht mehr eine so gute Donna Anna gesungen, wie an diesem Abend, und wenn sie stimmlich sicher ist und ihr (fast) alles gelingt, wirkt sie auch intensiver. Hilde Güden sang die Elvira wunderschön, mit herrlicher Stimme, perfektem Mozartstil und damenhafter Grazie. Prachtvoll war auch Fritz Wunderlich als Ottavio. Bei ihm ist Ausdruck, Stil, Stimmschönheit und Intensität zu einer totalen Einheit geworden. Olivera Miljakovic sang ihre erste Zerlina, beim Duett und der ersten Arie noch zu ängstlich an den Noten klebend, doch bei der zweiten schon freigesungen. Ihre hübsche, junge Stimme klang frisch und heiter. Sie spielte auch sehr nett. Masetto war nach längerer Pause wieder Kostas Paskalis, dessen Stimme in dem halben Jahr, in dem er die Rolle nicht gesungen hat, bemerkenswert an „Tiefgang“ gewonnen hat. Walter Kreppel war als Komtur nicht zu überhören und Erich Kunz sang und spielte wie gewohnt den Leporello. Der Souffleur war überlaut. Um wieder auf die Suggeritore-Geschichte zurückzukommen: Die italienischen Sänger sagen doch immer, daß sie das laute Vorsagen des Textes nervös macht und sie deshalb aussteigen. Gewerkschaftlicherseits nahm man dies zum Anlaß 3000 Dollar-Sänger in Bausch und Bogen für unmusikalische Tröpfe zu erklären. Es mutet wie die Macht des Schicksals an, daß es dem brüllenden Souffleur gelang, ausgerechnet das wirklich todsichere und musikalische Ensemblemitglied Erich Kunz durch sein Gezische so aus der Fassung zu bringen, daß er im zweiten Akt ausstieg. (Bei der Stelle …„Io tutto cenere“.) Der Rezensent kann nicht umhin zu gestehen, daß er über diesen Umstand mehr gegrinst hat, als über die unwürdige Servietten-Schnupferei von Don Giovanni und Leporello vor der Höllenfahrt.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 22. Februar

Mit gemischten Gefühlen sah man der Notlösung Anton Dermota als Hans entgegen. (Man fragt sich allerdings berechtigt, wozu man eigentlich zur gleichen Zeit Fritz Wunderlich in Wien hatte, wenn schon Waldemar Kmentt durch die Jenufa-Proben anscheinend überlastet ist). Nun, es blieb nicht einmal die erwartete Notlösung, denn Herr Dermota ist wohl über eine Partie wie den Hans schon einige Jahre hinaus (seine einstige Partnerin Hilde Konetzni als Marie singt jetzt bekanntlich die Mutter Maries!). Sein Spiel ist schwerfällig, Gehaben und Maske direkt peinlich auf jugendlich zugeschnitten. Stimmlich wir er der Partie nur mehr teilweise gerecht. Die Höhen werden schnell wieder zurückgenommen, Fermaten gekürzt, Phrasen in eigener Fassung gesungen (…soll mein Weibchen sein!), und letzten Endes ist die Stimme bar jeden lyrischen Schmelzes und jeder Leichtigkeit (siehe Arie!). Auch der Text ist bei Dermota ein Problem: er mischt den bekannten alten Text (den er noch vor dem Krieg gesungen hat), mit dem neuen, allerdings unnötig neuen Text von Homolka. Fazit: Herr Dermota sollte keinen Hans mehr singen. Da auch Irmgard Seefried als Marie keinen besonders guten Tag hatte, Oskar Czerwenka als Kezal seine zwiespältige Leistung (köstliches Spiel – unzureichendes Stimmvolumen) nicht verbessern konnte, blieben als Glanzlichter der Aufführung der herrliche Wenzel Peter Kleins und – wie erwartet – Jaroslav Krombholc am Pult. Auch er hatte anfänglich mit dem Repertoireschlendrian zu kämpfen, riß aber, durch seine Persönlichkeit Orchester und Bühne zu lockerem, beschwingtem Musizieren mit und war der Garant der böhmischen Folklore. Leider gelang in der Zirkusszene dem Trompeter kein Schmiß (wie oft gelingt einer ungewollt, wo er gar nicht beabsichtigt war!) und Erich Kunz blieb die Rüge im Hals stecken. Schade! Jeder wartet doch auf das „Fanfaré“! In den Nebenrollen Olivera Miljakovic als süße Esmeralda, Hilde Konetzni, Alfred Poell, Tugomir Franc und Dagmar Hermann.

LA TRAVIATA am 23. Februar

Diese Aufführung hörte sich schon ganz anders an als die in der Woche zuvor. Wieder stand Maestro Francesco Molinari-Pradelli am Pult, der das Orchester sehr gut in der Hand hatte und zu echtem, klangvollem Verdi-Musizieren führte. Er hatte zwar im ersten Akt etliche Kämpfe mit dem Chor und den Comprimarii auszufechten, gewann aber dafür von der Bühne größere Unterstützung durch weit besser für die Hauptrollen geeignete Sänger. Gleich geblieben war Giuseppe Zampieri, der sehr schön und gepflegt sang und seine derzeit sehr gute stimmliche Verfassung wieder unter Beweis stellte. Anna Moffo war als Violetta zu hören. Vorweggenommen sei gleich, daß sie als Gilda besser ist. Für die Violetta fehlt ihr nämlich die füllige Mittellage. (Man kann bei den Aufnahmen der Callas, Tebaldi und Stella hören, was das für einen Effekt macht!) Auch hat sie nicht die lyrisch-silberne Stimmschönheit der Güden aufzuweisen. Die Mittellage ist – wie es einem dramatischen Koloratursopran zusteht – sehr schlank und wird bei kräftiger Beanspruchung leicht glasig. (Wir können uns schon vorstellen, daß sie als Massenet-Manon an der Met „hinuntergeschwommen“ ist). Perfekt ist allerdings die Koloraturtechnik, die der großen Arie den virtuosen Glanz gibt. Außerdem ist ihre Phrasierung ausgezeichnet und das Spiel wirklich, wenn man ihre knochigen Schultern betrachtet, die aus den Riesendekolletes ragen. (TV-Beauty ist nicht immer gut für die Stimme). Nachdem wir Anna Moffo dergestalt ganz genau unter die Lupe genommen haben, müssen wir abschließend feststellen, daß sie als Traviata eine gute und sehr interessante Leistung zu bieten imstande war. Wir sind allerdings leicht darüber im Zweifel, ob diese Leistung tatsächlich 1500 Dollar wert ist. Ei sieh, wird so mancher sagen, der Merker wird auf einmal sparsam, wo ihm doch sonst nichts teuer genug ist! Aber man muß das Problem im Ganzen sehen. Kein Musikfreund wird mit der Wimper zucken, wenn ein Corelli und eine Nilsson 3000 Dollar verlangen. Ohne weiteres würde es der Musikfreund verstehen, wenn man etwa Mirella Freni 1500 Dollar zahlt (sie wird wohl schon dort angelangt sein). Wir sind absolut darüber im Bilde, daß 1500 Dollar den Marktwert darstellen, zu dem Mrs. Moffo derzeit „gehandelt“ wird. Nicht ganz so sicher sind wir allerdings, ob sie diese Fast-Spitzenklasse allein durch künstlerische Leistungen erlangte. Wir glauben eher, daß eine gewisse Lizitation durch ein eiskalt und atemberaubend funktionierendes Management erreicht wurde, und das ist ja schon ein gewaltiger Unterschied zu den eingangs erwähnten Sängern, die derartiges nämlich nicht nötig haben. Es ist die Frage, ob die Plage der allgemeinen Lage durch solche Engagements nicht noch weiter verschärft wird, denn Gagenfragen sind immer Unruheherde, zumal im Aufeinanderprall zweier verschiedener Systeme des Musiktheaters, wie wir es hier bei uns haben. So kann es also dazu kommen, daß die ebenbürtigen Partner einer Sängerin im Monat vielleicht gerade die Hälfte von dem bekommen, was die Protagonista für den Abend erhält. Und das ist, wie man zugeben wird, ein ungutes Verhältnis, wenn besagte Protagonista nicht gleich turmhoch über den Anderen steht, was an diesem Abend natürlich nicht der Fall war. Kostas Paskalis sang Germont (um endlich wieder zu musikalischen Dingen zurückzukehren). Er stellte einen père noble auf die Bühne, mit Autorität und jenem sicheren Empfinden für den Stil und die Gefühlswerte der Verdi-Musik, das man nicht lernen kann, sondern das eben angeboren sein muß. (Nur so wird nämlich der père noble nicht zum père sentimentale). Überdies sang er sehr gut, ausgeglichen und mit dem gewissen „Riecher“ für die Phrasierung, der ihn immer auszeichnet. Unter den Trägern der kleinen Rollen wurde nur Herr Majkut gegen Hugo Meyer-Welfing ausgetauscht, der für das Auditorium eine Quelle steter Heiterkeit ist. Das Publikum, das seit dem letzten Troubadour schon weit bescheidener geworden ist, feierte die Sänger, als hätte es mindestens die Callas darunter gehabt.

OTHELLO am 24. Februar

Obwohl man binnen kurzer Zeit dreimal Othello ansetzte, scheint man es versäumt zu haben, dieses Werk auch zu proben. Denn sonst dürfte es nicht passieren, daß die Bühnenmusik so katastrophal schmeißt, wie im dritten Akt, oder daß Frau Roberti so falsch einsetzt. Dabei war George Pretre mit Eifer und vollem Einsatz bei der Sache, doch stand er vor einem völlig unkonzentrierten Orchester. Auf der Bühne dominierte Aldo Protti, der einen ausgezeichneten Abend hatte, etwas schwächer hingegen Dimiter Usunow. Besonders gegen Ende des zweiten Aktes zeigte seine Stimme Ermüdungserscheinungen. Vielleicht war eine Erkältung Schuld daran. Margherita Roberti ließ einige scharfe und unschöne Töne hören. Sie entspricht auch darstellerisch und ausdrucksmäßig nicht unserem Desdemona-Ideal. Anton Dermota bewies als Cassio einmal mehr, daß er dieser Partie entwachsen ist. Wenn Herr Zampieri die Rolle nicht übernehmen kann, dann beschäftige man doch einen unserer Eleven damit. Wofür haben wir sie schließlich!

DIE ZAUBERFLÖTE am 24. Februar im Theater an der Wien

Die reizvolle, sehr schöne Eröffnungspremiere des wiederhergestellten Theaters an der Wien stand im Februar dreimal auf dessen Spielplan. Die auf Schmalkost gesetzten Stamm-Besucher der Oper nutzten diese Gelegenheit und wanderten in das nette allzuwenig ausgenützte Theater. Warum verlegt man nicht endlich Così und Entführung dorthin um die Redoutensaal-Schmiere schließen zu können? Wohin ist der reizende Don Pasquale verschwunden? Fernando Corena stand dem Haus für einige Abende zur Verfügung, Graziella Sciutti und Ermanno Lorenzi waren auch in Wien. Ein Dr. Malatesta wäre doch wohl noch aufzutreiben gewesen! Doch wenden wir uns der Aufführung am 24. Februar zu. Unter der Leitung von Heinz Wallberg – der nicht mehr als ein Begleiter für Sänger und Orchester war und stellenweise sehr gelangweilt schien – wurde eine Reihe guter Sänger versammelt. Allen voran die Pamina von Hilde Güden. Ihr seelenvoller Ausdruck, ihre gesangliche Noblesse begeistern immer wieder aufs Neue: (Sie ist eine der Stützen unseres Hauses, ein wahrer Schatz, an dem sich so manche ihrer Fachkolleginnen ein Beispiel nehmen könnte). Einen überraschend guten Abend hatte Walter Kreppel als Sarastro zu verzeichnen. Er dürfte sich offenbar an die Akustik des kleinen Hauses gewöhnt haben und sang vor allem die zweite Arie mit sonorer würde. Papageno war Erich Kunz. Man hatte stellenweise richtig Freude mit ihm. Wie er jede Situation nützt und immer neue Einfälle hat, stimmlich herrlich. Doch müßte Herrn Kunz nahegelegt werden, in Szenen, wo er nur mit dabei zu sein hat und andere singen, sich ruhig zu verhalten! Sein Sichinszenesetzen und sein Kasperln an unangebrachter Stelle wirken störend und unangenehm. Otto Wiener war der Sprecher mit Würde und begeisternder Wortdeutlichkeit. Peter Klein war der gewandte Monostatos. Anton Dermota sang den Tamino, und es tut mir leid sagen zu müssen, daß er schlecht war. Zwar weit besser als im Herbst in den Giovanni-Aufführungen unter Karajan und Krips, aber man hatte das Gefühl, die Stimme läuft zweispurig mit heiserem Unterton. Man wird leider daran gemahnt, daß hier eine Tenorkarriere zu Ende geht. Olivera Miljakovic sang die Papagena sehr nett. Enttäuschend diesmal Lucia Popp als Königin der Nacht. Die Stimme klang müde und glanzlos. Die Sängerin hatte mit beiden Arien ihre rechte Mühe. Wir hoffen, daß es sich bei der sehr begabten jungen Künstlerin nur um eine schlechte Abendverfassung handelte. Die drei Damen waren mit Gundula Janowitz, Grace Hoffman (schade, daß sie in Wien keine bessere Verwendung findet) und Hilde Rössel-Majdan besetzt. Hans Christian, der den zweiten Priester übernommen hat und demnach Papagenos Begleiter ist, wirkt viel zu ernst. Karl Friedrich und Ljubomir Pantscheff ergänzten das Ensemble. Drei sehr schlechte Sängerknaben! Die Aufführung ist leider arg verschlampt: es gibt einige Pannen, viel Lärm bei den Umbauten, ungenaue Lichteffekte usw. (Vielleicht könnte sich Professor Hartmann anläßlich der Capriccio-Auffrischung auch gleich um die Zauberflöte kümmern). Ein Teil des ausverkauften Hauses war Theater der Jugend, und es dürfte den jungen Leuten gut gefallen haben. Viel Beifall und gute Stimmung.

BALLETTABEND am 25. Februar

LA TRAVIATA am 26. Februar

Anna Moffo wiederholte ihre Violetta vom Sonntag. Auch diesmal war das Haus besser als an anderen Abenden besucht. Man sieht, daß Skandale und Zeitungsartikel nicht ihre Wirkung auf die Snobs verfehlen. Frau Moffo konnte ihrem Sensationsruf nicht gerecht werden. Mit Ausnahme ihrer schönen Erscheinung, mit der sie die Leute auch zum Applaudieren brachte, und mit Ausnahme ihrer superben Pianotechnik, die sie geschickt zu verwerten wußte, war sie eine Enttäuschung. Das Spiel vollzog sich allzu sehr an der Rampe. Bei dramatischen Ausbrüchen wird die Stimme unrein und verliert dadurch an Substanz. Außerdem trat eine große Maniriertheit der Phrasierung zu Tage, was sich besonders durch die natürliche Art des Singens von Aldo Protti abhob, denn Protti sang Verdi so natürlich und so echt, daß man darob ganz vergaß, daß er kein Meister des Pianos ist. Die Macht und Kraft seiner Stimme waren schließlich das große Plus dieses Abends. Giuseppe Zampieri als Alfred hatte einen schwachen Abend. Manchmal klang seine Stimme wie eine hundertmal abgespielte Schallplatte bei äußerst schlechter Nadelbehandlung. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte mit dem ihm eigenen Verve. Seine Interpretation war zügig und dramatisch. Von Schmalz und von mta-ta war kein Ton zu hören. Kann der Maestro ein größeres Kompliment erhalten?

CARDILLAC am 27. Februar

Auch die zweite Reprise der Hindemith’schen Oper war im Gesamteindruck sehr gut. Außer den beiden schon bekannten unzulänglichen Besetzungen (Siegfried Rudolf Frese und Hans Braun) war nichts einzuwenden. Otto Wiener war im Spiel noch eindringlicher als in der Premiere und vermochte der Titelfigur scharfes Profil zu verleihen. In stimmlicher Hinsicht war er nach kurzer Anlaufzeit ausgezeichnet. Wilma Lipp gab die makellose Tochter. Mirko Plosila sang abermals statt des Premierensängers Nocker den Offizier und hinterließ einen weit günstigeren Eindruck als sein Vorgänger. Irmgard Seefried wirkte stimmlich gut, schauspielerisch unglaubwürdig. Gerhard Stolze meisterte die Schwierigkeiten der Rolle des Kavaliers. Lobend erwähnt sei diesmal auch der Staatsopernchor, desgleichen der Dirigent des Abends Leopold Ludwig. Das aufgeschlossene Publikum nahm den Abend mit viel Beifall auf, und es verdient festgehalten zu werden, daß es acht Schlußvorhänge gab, während in letzter Zeit oft nur drei (Verkaufte Braut, Meistersinger mit Edelmann u.a.) an der Tagesordnung zu sein pflegen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. Februar

Eine erfreuliche Tatsache: Heinz Wallberg ist wieder „im Kommen“. Die häufige Anwesenheit in Wien, sowie die Arbeit an seinen Konzertzyklen nimmt ihm sicher Zeit und Lust, heute da, morgen da und übermorgen dort zu dirigieren, was sich auf seine physische Kraft und seine Konzentrationsfähigkeit sehr günstig auswirkt. Und so hörte man einen sehr schönen, klaren, gut aufgebauten und schwungvollen Figaro. Eberhard Wächter wurde vor dem Vorhang entschuldigt und ließ die Grafen-Arie aus. Lisa Della Casa hatte, abgesehen von einigen scharfen Spitzentönen, stimmlich einen recht guten Abend. Ihre neue Gräfinnenmasche mit steter Bewegung, steter Unruhe, Gestikulieren und Schmollmündchen-Ziehen ist aber mehr auf amerikanisches TV als auf Wiener Oper zugeschnitten. Wo bleibt ihr früheres dezentes Unterspielen? Ruth-Margaret Pütz war eine ausgezeichnete Susanna, humorvoll, eher ein wenig „resch“, aber das macht nichts. Sie singt einen überraschend guten italienischen Mozart, wobei sie die Rezitative herunterschnurrt, wie man es von einer deutschen Zunge kaum erwarten kann. Die Rosenarie war kultiviert und mit viel Gefühl gesungen. Erich Kunz sang seinen Standardfigaro mit leichten Höhenschwierigkeiten. Olivera Miljakovic’ Cherubino ist hübsch und musikalisch gesungen, nur macht sie manchmal Schwelltöne, wo ein decrescendo gehören würde. Sie müßte auch schleunigst davon Abstand nehmen, den Reifrock im zweiten Akt und das Bauernmädchenkostüm im dritten à la Cancantänzerin zu schwingen, nur damit sie einen Lacher erzielt. Lacher sind bei Mozart nicht nötig. Hier genügt stilles Schmunzeln. Natürlich kann sie nichts dafür (solche Sachen lernen junge Sänger in der unter Ausschluß der Öffentlichkeit spielenden Redoutensaal-Schmiere. Das ist eine Brutstätte für Intrige, Geblödel und Ungeist. Wir haben es schon hundertmal wiederholt). Oskar Czerwenka, Peter Klein, Hilde Rössel-Majdan, Ljubomir Pantscheff und Erich Majkut stellten die Comprimarii, wobei die gute stimmliche Verfassung Herrn Czerwenkas erwähnenswert ist. Lucia Popp war eine aparte Barbarina. Die Bauernmädchen waren indiskutabel, Chor und Orchester ausgezeichnet und der Gesamteindruck recht gepflegt.

RIGOLETTO am 29. Februar

Mit einer interessanten Besetzung hören sich die Wiener Verdis Rigoletto immer wieder gerne an, und so gab es ein vollbesetztes Haus. (Die italienischen Opern sind auch im Februar die besser besuchten gewesen!). Da außerdem die Besetzung hielt, was man sich erwartete, gab es Jubel und gute Stimmung. Großen Anteil daran hatte zweifellos Anna Moffo als Gilda. Sie wirkt sehr zierlich, fast zerbrechlich und sie unterstrich diese rein optische Wirkung durch eine äußerst subtile, fast mozartische Gesangslinie. Wir kennen einen Dirigenten, der stets bereit ist, eine aus künstlerischen Intuitionen entstandene Auffassung zu respektieren und sich anzupassen. Er hätte zweifellos Frau Moffos Absicht unterstützt. Francesco Molinari-Pradelli, der sein Konzept nie gern geändert sieht, gab gar nicht oder nur höchst widerwillig nach. In den folgenden Akten freilich änderte Frau Moffo folgerichtig ihren Stimmeinsatz. Das behütete und verliebte Mädchen Gilda wird gewaltsam aus seinen Träumen gerissen, verraten, enttäuscht, ist nicht mehr passiv, sondern handelt auf höchst dramatische Weise aktiv. Das äußert sich deutlich in der Gesangslinie. Die Stimme wird freier, kräftiger eingesetzt, sie gewinnt dramatische Momente, erhebt sich strahlend über das Orchester, hält mit dem kräftigen Organ des Partners Schritt, um schließlich in der Sterbeszene wieder in das zarteste Piano zu verfallen, was diesmal auch vom Orchester respektiert wurde. Anna Moffos Stimme wirkte hier sehr schön, sehr kultiviert und nuancenreich. Die Titelrolle verkörperte Aldo Protti. Seine wohl etwas rauhe, aber unglaublich kräftige Stimme meistert souverän die dramatischen Ausbrüche. Man glaubt ihm Sorge, Haß und Verzweiflung. Er erntete mit Recht wahre Beifallsstürme. Der verführerische, leichtsinnige Herzog war Giuseppe Zampieri anvertraut. Leidenschaft auf der Bühne ist nicht Herrn Zampieris Stärke. Er wirkt immer ein bißchen gemütlich und unbeteiligt, eher wie der junge sympathische Onkel. Man ist überzeugt, daß er eher zur zarten Gilda passen, die rassige Maddalena aber auf die Dauer wenig Freude mit ihm haben würde. Aber Herr Zampieri singt schön mit der ihm eigenen, bestechenden Phrasierung. Margarita Lilowa spielte und sang sehr glaubhaft die Maddalena und tat bei „bella figlia dell’amore“ ihr Bestes, um der Szene einigermaßen erotischen Charakter zu verleihen. Etwas abfallend gegen die oben genannten Sänger: Walter Kreppel als Sparafucile und Oskar Czerwenka als Monterone. Francesco Molinari-Pradelli ist ein guter Dirigent, ein Vollblutmusiker. Er bringt Verdis Musik leidenschaftlich und theaterwirksam, unsentimental und weitab von Werkelmelodie. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, daß er Frau Motto im ersten Akt nicht unbedingt assistierte. Wer mit so felsenfesten Voraussetzungen an ein Werk herangeht, ist auch berechtigt diese durchzusetzen. Viel Beifall für alle Beteiligten.

 

Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 3

O OPER, ARME OPER, VATER HING DICH IN DEN SCHRANK…

…und ich bin ganz krank, könnte der Musikfreund in Fortsetzung des moritätlichen Titels sagen. Nur ist leider der Musikfreund in Wien nicht mehr krank, wenn er an die Oper denkt. Im Gegenteil, es ist ihm, wie man so zu sagen pflegt, schnurzegal geworden, was hinter der Fassade vorgeht. Es ist nicht möglich, das Opernpublikum drei Jahre lang in Hochspannung zu halten. Seit es vor drei Jahren den Herren Bühnenarbeitern und somit der Gewerkschaft eingefallen ist, daß sie keine Überstunden mehr machen wollen und oben erwähnte Gewerkschaft dabei zu ihrem eigenen Erstaunen bemerkt hat, daß die „Faust im Nacken“ mächtiger ist als die Persönlichkeit der größten Künstler, gab es keine Ruhe mehr am Ring. (Die kostbaren Vorstellungen, die wir zwischendurch hören konnten, wurden den Atempausen des kalten und heißen Krieges förmlich abgerungen). Aber trotzdem ist das Publikum und nur das Publikum der leidtragende Teil, denn auf seinem Rücken spielen sich Überstundenstreiks, Kämpfe um Ministersessel und Souffleurkasten sowie Proporzkämpfe – neuerdings nicht nur mehr zwischen den Parteien, sondern auch zwischen der italienischen und deutschen Sparte des Programms – ab. Es darf nun niemanden wundern, daß das Publikum langsam müde wird. Es ist ja auch keine Lösung zu erblicken, kein Silberstreifen säumt den Horizont, und die Opernbesucher und Zeitungsleser wundern sich nicht einmal mehr, wenn jetzt, ein halbes Jahr nach Umarmungen und Treueschwüren, das großangelegte Hackl-ins-Kreuz-Hauen am Opernring in alter Frische begonnen wird. Bravo, nur so weiter! Wenigstens wird auch einmal die Fassade mit zusammenbrechen. Alles Große, Internationale, Zukunftsweisende wird zu Ende sein. Die Oper engagiert 25 Dauerbrandöfen, die von der Königin der Nacht bis zum Hagen alles (natürlich in Deutsch!) singen und die Ruhe des Kirchhofs wird wieder in dem Hause einkehren, die Herbert von Karajan 1956 mit Achsen und weltweiten Plänen mit der Callas, Mitropoulos, di Stefano, Monaco und Gobbi so mutwillig gestört hat. Der Opernfreund ist vor allem aus einem Grund von völliger Hoffnungslosigkeit erfaßt: Es gibt auf der ganzen Welt keinen Operndirektor. Hier nützen die Qualitäten eines großen Künstlers nichts, hier hilft weder Heimattreue noch aufrechte Gesinnung. Hier müßte die ruchlose Mischung von eiskaltem Geschäftsgeist, chamäleonartiger Anpassungsfähigkeit an Publikums- und Zeitgeschmack, brutalem Drill und charakterloser Katzbuckelei (besonders Sängern, Dirigenten und Institutionen gegenüber) regieren und ein solches Unikum gibt es nicht. Jedes Direktorenengagement war bisher nur mythoszerstörend wirksam und  wenn jemand einwendet, Rudolf Bing komme den oben zitierten Eigenschaften – abgesehen von der letzten – doch wenigstens ziemlich nahe, so muß der aufmerksame Zeitungsleser entgegnen, daß dessen Geschmack punkto Künstler doch wohl etwas eigenartig ist, denn was alles für die Met zusammenengagiert wird, schlägt das bisher Dagewesene. Es ist leider Mode geworden, daß sich der Opernfreund nicht mehr nur mit der Vorstellung selbst als Ergebnis der künstlerischen, administrativen und technischen Arbeit des Hauses befassen muß, sondern auch mit dem, was „hinten“ vorgeht. Und wenn man nur ein wenig Einblick hat, graut es einem und man wundert sich nicht, daß das Betriebsklima nahe dem absoluten Nullpunkt angelangt ist. Jeder der bisherigen Chefs und jetzt zuständigen Herren hat „seine“ Sänger engagiert, und wenn man alle, die Verträge mit der Wiener Oper haben, ausreichend und ihrem Können entsprechend beschäftigen wollte, müßte die Oper drei Häuser haben, die an 600 Abenden pro Saison spielen. Wir zählen kurz auf, daß wir allein die Koloratursoprane Köth, Holm, Popp, Grist, Pütz, Moffo, Coertse und Streich unter Vertrag haben, was sich so auswirkt, daß die Köth von zehn bisher nur einen Abend gesungen hat, Frau Pütz zwei, Frau Grist von zwanzig Abenden bisher vier. Die viel versprechende Lucia Popp bekommt nur Bäume, statt aufgebaut zu werden und muß natürlich die Königin der Nacht, die sie laufend herunterdrehen sollte, ebenso laufend absagen. Das singt dann Frau Mechera, die nirgendwo anders hingehört als in den Volksopernchor, dem sie entstammt. Da gibt man dann unter einer Auswahl von vier studierten und einer zukünftigen Zerbinetta (Frau Holm, die den Studierauftrag ja noch voriges Jahr bekommen hat) ausgerechnet Frau Streich die Rolle! Frau Streich, die alle E ausläßt, die D schmeißt und die C falsch singt. Triumph der Planung! Da hat der nicht mehr einsatzfähige Dermota im Herbst alle vier Siepi-Giovannis verpatzt, weil einfach kein anderer Ottavio zu haben war. Jetzt sitzen Nicolai Gedda und Fritz Wunderlich, die beiden größten Mozarttenöre unserer Zeit, gleichzeitig in Wien und müssen ihre Abende im Redoutensaal (!) und Theater an der Wien abbiegen. Überdies hat man die Stirn, zu einem Gedda einen Jedlicka als Don Giovanni zu servieren! Wie wäre es, wenn man den großartigen Herzog-Sänger Gedda vielleicht in einem Rigoletto ansetzte, der mit den anwesenden Sängern Grist und Protti mühelos erstklassig zu besetzen ist, statt einen zehntrangigen Giovanni-Ersatz herbei zu telefonieren, nur damit das Verhältnis 3:1 für die deutsche Oper nicht gestört wird! Angesichts der phänomenalen Leistung der Jurinac in der Jenufa fragt man sich händeringend, was dran Schuld trägt, daß in der Probenzeit nicht dreimal Eugen Onegin gespielt wurde, da man doch Krombholc und Prey zur Verfügung hatte. Hermann Prey sang die Partie bereits und hätte nicht im Theater an der Wien und im Redoutensaal verheizt werden müssen. Man hatte dazu Wunderlich hier, dem als Lenski ein sagenhafter Ruf vorausgeht, und da jetzt Gedda kommt, der in einem Wiener Konzert eine traumhafte Lenski-Arie sang und sicherlich intelligent genug ist, den deutschen Text der Rolle in einer Woche zu erlernen, für wahre Festspielbesetzungen gesorgt. Da fragt man sich angesichts der hervorragenden Leistungen von Waldemar Kmentt ebenfalls in der Jenufa, welcher Verräter am heimischen Ensemble und welcher mutwillige Zerstörer der Ensemblekultur Rollen wie Max und Apoll mit weiß Gott woher geholten Sängern besetzen will? Es ist doch überhaupt ein Irrsinn, daß wir etwa den Freischütz, den wir hauseigen bei den Damen dreimal (Güden-Lipp-Janowitz, Rothenberger-Steffek-Holm) und bei den Herren zweimal (Kmentt-Uhl, Berry-Frick, Wächter-Kerns, Kreppel-Franc, Czerwenka-Welter und Kunz-Dönch) hervorragend besetzen können, mit einer aus Anleihen von überallher zusammengekratzten Besetzung, die dann nach drei Aufführungen nie wieder zusammenzubringen ist, spielen sollen! Die Auswertung einmal herausgebrachter Inszenierungen ist überhaupt ein Kapitel für sich. Da wird für Boris Christoff (nach Proben) die Margarethe wiederaufgenommen und dann (mit Güden und Gedda) sage und schreibe einmal gespielt. La Boheme und Der Troubadour sind ebenfalls einmal angesetzt. Wenn Meister Karajan schon bei Pressekonferenzen und Interviews Vorträge über das Stagionesystem hält, in dem ein Werk nach Neuinszenierung oder Wiederaufnahme gründlich geprobt und dann 6 – 9 mal gespielt werden soll, könnte er sich selbst in der Praxis auch daran halten, und wenn ihn ein Stück nicht mehr freut, dann möge er es nicht vom Spielplan verschwinden lassen, sondern wenigstens die Bühnenproben leiten und Molinari-Pradelli oder Santi, die es vielleicht auch ganz gut können, dirigieren lassen. So schrumpft der Spielplan, teils weil die Aufführungen zu gut, teils weil sie zu schlecht sind, immer mehr zusammen. Und die Sänger sind zum Spazierengehen verurteilt, weil bei den derzeit zehn Stücken des Repertoires das ganze Jahr über ja nicht alle Künstler nach Gebühr eingesetzt werden können. Mutwillige Versuche, die Nichtbeschäftigung der engagierten Sänger durch das Übergewicht der Italiener zu erklären, wie sie Herr Fischer-Karwin allsonntäglich unternimmt, stoßen derzeit auf Hohngelächter, denn es sind überhaupt keine Italiener da. Wenn ja, verschwinden sie nach drei Wochen wieder, weil sie keine italienischen Opern vorfinden, in denen sie singen können und selbst der „hauseigene“ Zampieri nicht auf seine Abendanzahl kommen kann. Wenn keiner der seit Jahren fix engagierten Baritons vertragsgemäß beschäftigt werden kann, ist es reine Zerstörungswut, daß Kanonen wie Kieth Engen und Rudolf Jedlicka nach Wien berufen werden, und sei es auch nur zum Einspringen. Wenn die Tenöre, die an diesem Haus schon große und schöne Leistungen geboten haben, nicht  voll beschäftigt werden können, dann darf man eben einen an seinem Knödel erstickenden Jean Cox nicht vom Gürtel an den Ring avancieren lassen, sollte er sich auch hier noch so gute Beziehungen geschaffen haben. Und wenn man als Operndirektor stets beteuert, man sei für das Verschwinden von guten und verwendbaren Inszenierungen früherer Jahre nicht verantwortlich zu machen, kann man nicht selbst Werke wie Siegfried und Götterdämmerung, ja sogar die leicht zu besetzenden Opern Krönung der Poppea und Andre Chénier in die Versenkung sausen lassen, weil es viel einfacher ist, abwechselnd Die Hochzeit des Figaro, Don Giovanni und Rosenkavalier zu spielen. Wir hatten in den vergangenen Spielzeiten bestimmt nicht weiß Gott welch überwältigendes Repertoire, aber es war durch wechselnde Stars wenigstens darin für Abwechslung gesorgt. Wenn das nun aufhören soll, und die Wiener Oper den Spielplan offensichtlich nach dem Geschmack einer Zeitung erstellt, ist es kein Wunder, daß das Publikum streikt. Verschärft wird die Situation durch die „germanische“ Welle, die vielleicht von der Presse, aber nie vom Publikum verlangt wurde, sowie durch besorgniserregende Tendenzen im Ministerium selbst. Wenn man in einem Interview mit Ministerialrat Weikert lesen kann, es sei sein Bestreben „daß das Österreichische so weit als möglich zum Zuge kommt“, sieht man mit bangem Herzen einen Spielplan vor dem geistigen Auge auftauchen, der aus Salmhofer, Schreker, Bittners und dem ‚Heimchen am Herd’ oder wo es sonst sitzt, besteht. Und die proportional den österreichischen Opern einmal in der Woche angesetzte original österreichisch-italienische Verdi-Oper könnte dann so aussehen: Aida in deutscher Sprache, Dirigent: Hans Swarowsky, Aida: Gertrude Grob-Prandl, Amneris: Lilian Benningsen (München) a. G., Radames: Hans Krotthammer (Graz) a. G., Amonasro: Hans Braun, Ramphis: Alois Pernerstorfer, König: Franz Bierbach; Bote (Erich Majkut) und Priesterin: (Anny Felbermayer) werden aus der alten Besetzung übernommen. Statt der Tänze der Priesterinnen, Negersklaven und statt des großen Balletts sehen wir eine Volkstanzgruppe aus Braunau am Inn. Statt der Aida-Trompeten wird eine Bauernkapelle aus Frastanz (Vorarlberg) eingesetzt. DANN MÜSSTE DIE STAATSOPER WIEN ZWAR NICHT MEHR DIE INTERPRETEN, ABER VERMUTLICH DAS PUBLIKUM FÜR DIESE STERNSTUNDE IMPORTIEREN.

 

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