DER MÄRZ 1964

9. Jahrgang, Heft 4

 

In der Wiener Staatsoper muß es Leute geben, die darauf hinarbeiten, daß Wien reumütig zum Provinzialismus zurückkehrt. Wiens Opernfreunde haben die bitter Pille Nicolai Ghiaurov, noch nicht geschluckt, da sich schon der nächste Skandal abzeichnet! Wie erinnerlich hatte sich Ghiaurov ursprünglich den ganzen Monat Mai für Wien freigehalten, bekam aber eine Mitteilung der Staatsoper, daß er nur für drei Abende benötigt werde! Fein! Wir haben’s ja! Eine herrliche Methode, einen trotz seiner Jugend bereits großen und international anerkannten Sänger einfach vor den Kopf zu stoßen und ihn auf diese Art heimzuschicken, als wäre er aus Kratzenbach an der Pleite oder hätte seine internationalen und Wiener Triumphe nur Zufällen zu verdanken! Wir sagen ja schon gar nichts mehr, daß die jungen Sänger nicht zum Zug kommen, die sind nicht prominent, man kann auf ihnen herumtrampeln, sie sind ja praktisch wehrlos. (Wie sie es unter diesen Umständen dennoch fertig bringen, überhaupt eine Entwicklung zu nehmen und zu wachsen, bleibt dem Nicht-Sänger schleierhaft). Aber nun folgt nach dem Fall Ghiaurov der Fall Windgassen. Der Musikfreund kann nur staunen. Kammersänger Wolfgang Windgassen ist einer der ruhigsten und friedlichsten Sänger, die es überhaupt gibt. Er kommt, singt seine Partie und fährt wieder heim nach Stuttgart. Er kümmert sich nicht um die hier herrschenden Strömungen, denn er hat es ja nicht nötig, bei den „blassen Ästheten“ in Operndirektion und Regiekanzlei antichambrieren zu gehen. Das besorgen schon die lieben Kollegen! Resultat: Herr Kammersänger Windgassen hat von seinen vertraglich vereinbarten zwanzig Abenden bisher fünf gesungen, die für März und April vorgesehenen Abende wurden gestrichen! In den Festwochen ist Herr Windgassen nur einmal (als Tristan) angesetzt! Daß sich gerade ein Sänger vom Format Windgassens das nicht gefallen lassen muß, ist klar. Die Direktion wird in diesem Zusammenhang ernstlich gebeten, auf den Geschmack des Publikums mehr Rücksicht zu nehmen, der besser ist als man glaubt. Wir haben den Einruck, daß das kollektive Unterbewußtsein der in den Meistersinger-Skandal verwickelten und immer noch auf ihren Beamtensesseln hockenden Herren Direktionsmitglieder diese ungeheure, opernfeindliche Tat vollbracht hat. Offenbar sehen sie in Wolfgang Windgassen das lebende und ob seiner Körpergröße nicht leicht zu übersehende Memento eines totalen administrativen Versagers nicht gern in Wien – also ekeln sie ihn hinaus! Man sollte im ersten Stock aber lieber nicht Zeit, Abende und Geld damit verplempern, irgendwelche speziellen Lieblinge aus Berlin, Hamburg, Kassel, Mannheim oder sonst woher mit Abenden und Gastspielen zu versehen, sondern eher darauf sinnen, ein weniger aberwitziges Programm zu „gestalten“ und die Sänger von Format, die allein an der Wiener Oper singen sollten, nicht zu vergrämen. Diese werden wir nämlich noch brauchen, wenn die „Lieblinge“ hier keinen Ton mehr von sich geben werden. Übrigens sei mitgeteilt, daß sich nicht nur bei Kammersänger Windgassen die Überzeugung durchgesetzt hat, mit Wien könne man nicht mehr zusammenarbeiten, sondern auch bei Spitzensängern vom Kaliber der Jurinac, der Hoffman, der Nilsson und des Kammersängers Frick. Wenn das wo weitergeht, können wir das deutsche Fach bald ganz zusperren. Schöne Aussichten! Welch umsichtige Planung! Welch eine „Ensemblebildung“ aus hochgepeitschten Provinzsängern und ausgesungenen Exgrößen, die jeder andere Operndirektor kurz, aber bündig abbaut. Diesen Monat des Mißvergnügens rettete der Publikumsliebling Aldo Protti, der erneut bewies, wie sehr er sich von der Klasse der „Brüller“, der er am Anfang seiner Wiener Tätigkeit zugeteilt wurde, unterscheidet. Laut singen und brüllen ist nicht das Gleiche. So klammerte sich das Publikum wie an den berühmten Felsen in der Brandung an den kleinen Aldo der zunächst sein musikalisches Gefühl und dann seine riesige Stimme über die Rampe schleuderte und sogar ein Auditorium gefangennahm, das sonst mehr auf Linie achtet. Neben alltäglicher Opernroutine gab es im März ein prachtvolles Capriccio, dessen Besetzung aber so gegen jede Opernkonvention war, daß sie leider nicht als typisch anzusehen ist und die Jenufa-Premiere, deren Umbesetzungen deutlich die Planlosigkeit der Zuständigen zeigte. Zwei Sängerinnen (nämlich Irmgard Seefried und Lotte Rysanek) sprachen von der zweiten Besetzung Jenufa. Herausgekommen ist ein unnötiger Prager Gast. Ensemble, Ensemble! Auch bei den Dirigenten sind wir nun auf dem Stand des Theater an der Wien angelangt. Meinhard Zallinger und Janos Ferencsik schließen fast den Kreis. Nur Karl Etti fehlt – der ist vielleicht doch nicht ausgrabungswürdig – und Rudolf Kempe fehlt auch noch, aber der ist wieder zweifellos zu gut. Eine Behandlung des italienischen Faches durch Janos Ferencsik ist heute abzulehnen. Das ging vor fünfzehn Jahren, aber jetzt merkt man erst, um wie viel besser die vielgeschmähten Durchschnittsitaliener sind. Solche einerseits schmalzige und anderseits hohl-knallige italienische Aufführungen haben wir schon lange nicht gehabt!

 

DIE VERKAUFTE BRAUT am 1. März

Unter Jaroslav Krombholc’ vitaler Leitung sang Anton Dermota abermals die Partie des Hans. Der Rezensent hatte ihn im Jahre 1941 (!) als Partner von Maria Reining in der gleichen Partie gehört. Das weit’re, das weit’re verschweig ich! Ewige Jugend hat niemand gepachtet, und es stimmt einen traurig, nach 23 Jahren einem Sänger in der gleichen Partie wiederzubegegnen. Es ist eine Verantwortungslosigkeit des Besetzungsbüros, so etwas zu tun, notabene zu einem Zeitpunkt, da Fritz Wunderlich seine Abende mit dem Rosenkavalier-Sänger abbiegen muß. Irmgard Seefried und Oskar Czerwenka und die übrigen Rollenträger vervollständigten einen Abend, mit dem man das Plansoll an nichtitalienischen Opern erfüllte und andererseits einigen der engagierten Sängern die Möglichkeit gab, ihre Abende abzusingen. Ob das die richtige Methode ist, das Publikumsinteresse wach zu halten?

DON GIOVANNI am 2. März

Durch eine plötzliche Erkrankung von Kammersänger Eberhard Wächter – die wohl kurzfristig genug war, um mit einem roten Zettel angekündigt zu werden, jedoch nicht kurzfristig genug, um im Programm gedruckt zu erscheinen – wurde seitens der Direktion wieder ein Gast herbeigeholt. Diesmal Kieth Engen aus München. Man soll zwar mit Gästen, die eine Vorstellung retten, nicht allzu streng ins Gericht gehen, doch kann man schon erwarten, daß sie zumindest die Rolle beherrschen. So gab es unter anderem in dem Rezitativ vor der Registerarie einen argen Ausstieg, der nur durch Dirigent und Souffleur – allerdings sehr hörbar – korrigiert werden konnte. So gab es Temposchwierigkeiten (Ständchen, Ensembles), und was vor allem auffiel, eine Unbekümmertheit in der darstellerischen Gestaltung, die beinahe verblüffte. Dieser Glaubhaftigkeit der Darstellung fiel unter anderem nahezu das ganze Glas auf dem Speisetisch im vorletzten Bild zum Opfer. Stimmlich schien die ganze Partie noch etwas improvisiert (in München soll dem Vernehmen nach der Giovanni nunmehr wieder deutsch gesungen werden), wenn auch die dunkle Stimme für diese Rolle geeignet erscheint. Kammersänger Engen könnte durch intensives Studium der Partie sicher zu einem guten Vertreter der Rolle werden, wenn er darüber hinaus noch das Glück hätte, in die Hände eines Regisseurs zu kommen. Ihm zur Seite stand zunächst Erich Kunz in seiner Standardrolle als Leporello. Wenn man auch bemerken muß, daß er sich in guter stimmlicher Verfassung befand, so sei hier festgehalten, daß die schauspielerische Gestaltung’ dem Rezensenten fast nicht mehr angängig und einer Staatsoper nicht angemessen erschien. Was da in freundschaftlicher Weise auf Schulter und Brust geklopft wird, wobei sich auch Don Giovanni eifrigst beteiligte, überschreitet bei weitem eine ernsthafte Rollenauffassung. Wir finden es auch unkollegial, daß ein Sänger dem ganzen Werk und damit auch seinen Partnern jedwede Glaubwürdigkeit zu nehmen trachtet. Verwunderlich auch die tatkräftige Mithilfe bei Giovannis Höllenfahrt – vielleicht hatte der Diener Angst, sein Herr könnte den „Fahrstuhl zur Hölle“ verfehlen und ihm erhalten bleiben!  Im übrigen schien der Diener durch den Ausstieg seines Herrn vor der Registerarie so verwirrt, daß auch er den Text durcheinanderbrachte und eine Zeile zweimal sang, dafür eine andere ausließ. Doch im Italienischen fällt das dem Publikum doch auf gar keinen Fall auf, da kann man ja singen was man will! Ansonsten bescherte der Abend eitel Wohlklang an herrlichen Stimmen. Hilde Güden hat sich die Rolle der Elvira ganz zu eigen gemacht und betört durch ihre wunderschöne Stimm, die die Schwierigkeiten der Partie gar nicht in Erscheinung treten läßt. Ihr zur Seite die Donna Anna von Teresa Stich-Randall, die sich sehr bemühte, ihrer instrumentalen Stimme eine persönliche Färbung zu geben. Nur im langsamen Teil der zweiten Donna Anna-Arie war ihre Auffassung zu larmoyant, und hier stellte sich auch der alte Mangel – eine gewisse Steifheit der Stimme – ein. Auch darstellerisch war sie um Glaubwürdigkeit bemüht. Den Silberklang ihrer Stimme lieh wieder Graziella Sciutti dem Bauernmädchen Zerlina und bezauberte Partner und Publikum gleicherweise. Don Ottavio war nun wieder in den Händen von Fritz Wunderlich. Er schien gegenüber der Premiere noch verbessert und wußte vor allem mit seiner zweiten Arie das Publikum zu Beifallsstürmen hinzureißen. Wir können uns nur wünschen, diesen Sänger oft und oft und vor allem in noch vielen Rollen seines Faches auf der Bühne unseres Hauses zu sehen. Heinz Holecek als Masetto war dem Regiekonzept gemäß der kleinere Bruder Panerais. Stimmlich wäre die Partie noch auszufeilen, um den Anforderungen voll gerecht zu werden. Der Komtur war mit Walter Kreppel gut besetzt. Über dem gut disponierten Orchester waltete Heinrich Hollreiser, der vor allem um Kontakt zwischen Bühne und Orchester besorgt war und einige Temposchwankungen (Giovanni-Ständchen, zweite Donna Anna-Arie) zu meistern wußte. Chor und Bühnenmusik hielten Niveau. Ein schöner Abend, der ein festlicher hätte werden können, hätte man auch für Giovanni und seinen Diener eine den übrigen Rollenträgern adäquate Besetzung gefunden.

BALLETTABEND am 3. März

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 4. März

Es war eine recht hübsche Aufführung von gutem Repertoire-Durchschnitt, aus dem eine Leistung weit hervorragte. Es war die der Belmonte Fritz Wunderlichs. So schön, so lebendig und so stilistisch einwandfrei sang seit Jahren kein Sänger diese Partie in Wien. Da sitzt einfach alles. Die Stimme mit ihrem herrlich männlichen und doch lyrischen Timbre ist technisch so hervorragend geschult, daß es anscheinend überhaupt keine Schwierigkeiten für sie gibt. Die Koloraturen sind nicht bloß Kehlkopfgymnastik, sondern – wie von Mozart vorgesehen – Ausdrucksmittel. Die musikalische und sprachliche Phrasierung ist in Übereinstimmung gebracht und im Sinne Mozarts eingesetzt. Kommt noch dazu, daß Wunderlich eine sehr gute, unpathetische Prosa spricht, sehr natürlich und lebendig spielt und wo nötig auch Humor zeigt. Nimmt man Wunderlichs Leistung als Niveau (wie es eigentlich sein sollte), müßten neben ihm zumindest Sutherland und Frick auf der Bühne stehen. Da dies nicht der Fall war, klaffte zwischen Belmonte und den anderen ein ganz beträchtlicher Abstand. Mimi Coertse plagt sich mit den Koloraturen. Die Stimme ist scharf und in der Mittellage mit Blech gepanzert, das Spiel von einer gewollten Naivität, die manchmal, weil sie im Widerspruch sowohl zur darzustellenden Figur als auch zur Darstellerin steht, zum Lachen reizt. Die Prosa ist von Bühnendeutsch weit entfernt. Reri Grist als Blondchen steht weit neben der Rolle, singt zwar sicher, aber hart und ohne viel Differenzierung und klimpert so unausgesetzt mit den Wimpern, daß man vermeint, das Klappern zu hören. Ansonsten spielt sie auf zuckersüß und kindisch. Ludwig Welters Osmin ist nett und liebenswürdig gezeichnet und war stimmlich gut. Murray Dickie spielte und sang routiniert. Das Mitternachtsständchen gelang ihm sehr hübsch. Hans Christian machte als Bassa gute Figur. Die Bühnenbilder sind schon für Treubergs Gratisbühne zu schäbig. Es gibt keinen Teil, an dem die Farbe noch nicht heruntergegangen ist und der nicht vor Schmutz strotzt. Da die Entführung ja oft gebraucht wird, schlagen wir eine Neuinszenierung in Bildern von Bauer-Eszy vor. Im Orchester dominierten die Herren, die sich hart an der Pensionierung befanden, was beim Violinsolo der Martern-Arie deutlich hörbar war. Ansonsten wurde unter der guten Leitung Heinrich Hollreisers sauber gespielt. Nach der Pause war bei den Streichern ein Sessel frei – der dazugehörende Herr kam nach der Arie. Sollte eine Anweisung von Mozart existieren: „Hier eine erste Violine weniger?“ Am Flötenpult las man interessiert eine Musikzeitschrift – allerdings nicht den Merker.

LA TRAVIATA am 5. März

Der vierte und letzte Abend des Gastspiels von Anna Moffo war wieder die Traviata. Unsere Meinung wurde in den beiden Februar-Kritiken deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Festzustellen ist vielleicht nur, daß dieser Abend wohl ihr stimmlich schwächster war, obwohl sie durch ihre Darstellung zeitweise zu packen verstand. Ein erneutes Gastspiel, noch dazu eine Premiere unter Karajan, ist kaum wünschenswert. Könnte die Traviata-Neuinszenierung nicht vielleicht doch Mirella Freni oder Hilde Güden (die sie wahrlich verdienen würde) bekommen? Bei guter stimmlicher Verfassung waren unsere beiden Hausitaliener Aldo Protti und Giuseppe Zampieri, Protti mit überraschenden Piani im zweiten Akt und Zampieri mit einem herrlichen vierten Akt. Er würde nur einmal einen Regisseur benötigen, der ihn etwas drillt. Ein Loblied muß man für Maestro Francesco Molinari-Pradelli anstimmen. Chor, Orchester und die Solisten fügen sich willig seiner Führung. Eine feste Bindung mit vielen Abenden an unser Haus wäre sehr wünschenswert. Das heimische Ensemble ergänzte den Abend.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 6. März

Unter flauer Publikumsreaktion rollte ein routinierter Mozartabend ab. Nach dem gezeigten Können hätte die Oper „Susanna“ heißen müssen, denn Graziella Sciutti bot mit Abstand die beste Leistung des Abends. Ihr persönlicher Charme, ihre reizende Stimme, die diesmal wieder den typischen Silberglanz hatte, waren der Höhepunkt der Aufführung. Über ihr Äußeres und den perfekten Stil braucht man ohnedies nichts zu wiederholen. Kein Wunder, daß nach ihrer Rosenarie (sehr spät!) endlich Stimmung ins Haus kam! Eine solch vollendete Leistung mußte einfach aufrütteln. Teresa Stich-Randall als Gräfin bewies, daß sie Mozart singen kann. Die Stimme wird technisch einwandfrei geführt. Schade, daß sie in den Parlandostellen an Flexibilität verliert. Sona Cervena sprang als Cherubino für Olivera Miljakovic ein. Die herbe Stimme und das noch herbere Aussehen standen ganz im Gegensatz zu der Figur des kleinen Herzensbrechers, den die Frauen lieben. Das ungelenke Spiel auf den Brettern, die die Welt bedeuten sollen, wirkte befremdend, und nach ihren beiden Arien rührte sich keine Hand. Das sagt alles! Eberhard Wächter spielte den Grafen auf die elegante Herrenart, aber ohne stimmlichen Einsatz. Warum er sich abermals die Arie schenkte, ist uns unbegreiflich. Das letzte Mal ließ er sich wenigstens entschuldigen. Diesmal aber fand man kein Wort der Aufklärung für diese Taktlosigkeit dem Publikum gegenüber! Erich Kunz sang den Figaro zufrieden stellend, war aber in schauspielerischer Hinsicht kaum zu bändigen. Buster Keaton, der Stummfilmstar, hätte sich in der Gartenszene kaum anders benommen. Oskar Czerwenka als Dr. Bartolo sang so laut, daß ihn sicher ganz Sevilla schon daran erkannt hätte. Elisabeth Höngen plagte sich diesmal mit der Marcellina. Heinrich Hollreiser am Pult brauchte eine relativ lange Anlaufzeit und erlangte erst im dritten Akt die erwünschte Durchsichtigkeit. Die Ensembles im zweiten Akt waren grob und wurden zu rasch heruntergespult.

 

JENUFA am 7. März, Premiere

Da es offenbar nun als künstlerisch wertvoller und verdienstlicher gilt, an den Opernhäusern Werke herauszubringen, die beim Publikum nicht ziehen, im Gegensatz zu den Werken, die schon ziehen, wurde zu Saisonbeginn im Zuge einer totalen Umorganisation des Spielplans unter anderem auch Jenufa zu Tage gefördert. Dieses Stück hatte mit der Welitsch eine ausgezeichnete Premiere im Theater an der Wien, die damals schon Jaroslav Krombholc betreut hatte. Die Oper wurde seinerzeit viermal gespielt. Da nächstes Jahr auf dem Premierenfahrplan Rakes Progress steht, ebenfalls eine hochinteressante Rennert-Inszenierung mit Berger und Schock im Theater an der Wien, ist anzunehmen, daß Direktor Hilbert alle jene Stücke, die er damals nicht ausgenützt hat, jetzt als unbedingte Notwendigkeit ansieht. Merkwürd’ger Fall! Glaubt er wirklich, daß jetzt das Publikum die Stücke stürmen wird, nur weil der hinauflizitierte Otto Schenk inszeniert, oder denkt Dr. Hilbert tatsächlich, weil die Lulu dank einer gigantischen, von öffentlichen Stellen, Verlagen und Zeitungen gleicherweise betriebenen Propaganda allgemeines Interesse fand, das Gleiche nun bei allem, was er tut, voraussetzen zu müssen? (Der Rezensent hatte im Büro – er hat einen ganz unmusischen Nebenberuf – das interessante Erlebnis, daß ihn eine Kollegin anläßlich der Lulu fragte: „Das muß man sich eigentlich ansehen, wie ist es denn überhaupt?“, worauf der Rezensent boshafterweise „hochinteressant“ sagte, die ansonsten musikalisch gänzlich desinteressierte Kollegin ruhig zur Lulu wandern ließ und sich anderntags noch freute, als sie mit schlackernden Ohren ins Büro kam. Vielleicht hatte sie gedacht, es handle sich um den gleichnamigen Film mit Nadja Tiller. Dies der Effekt der Propaganda. Bei der Jenufa fehlte es allerdings durchaus auch an solcher Propaganda, und so setzte sich das Premierenpublikum aus den üblichen Freikartenempfängern zusammen. (Sänger, denen es aber noch am ehesten vergönnt sei, hatten ganze Logen, etc.). Das breite Publikum dürfte sich eher an einen Slogan der bekannten Frau Pollak gehalten haben, die im Falle Jenufa sicherlich geäußert hätte: „Das ist doch ka Stück für a Premiere!“ Immerhin hatten diejenigen, die nicht kamen, eine sehr schöne Aufführung versäumt, deren Homogenität durch drei überragende Leistungen gesprengt wurde. Janaceks Musik ist ein Strom blühender Melodie und slawischer Seele, vielleicht etwas kompakter instrumentiert, als es den Sängern gut tut, vielleicht gerade in den Singstimmen, denen alles Ariose bereits fehlt, weniger interessant, als in den packenden Vor- und Zwischenspielen des Orchesters. Mit großer Hingabe und einer Riesenpalette an Farbenreichtum dirigierte Jaroslav Krombholc, alles herausspürend, erfüllend und steigernd, was in der Musik enthalten ist. Er hatte die erste überragende Leistung zu bieten, an der auch das prachtvoll spielende Orchester teilnahm. Die Bühnenbilder schuf Günther Schneider-Siemssen, wobei er im ersten Akt der Atmosphäre zuliebe die Weite der Bühne opferte. Der Chorauftritt mußte sich auf allzu engem Raum zusammendrängen. Umso besser und atmosphärisch noch dichter war das Bühnenbild für die Stube der Küsterin. Die Kostüme von Hill Reihs-Gromes gaben die Kleidsamkeit zugunsten der Stiltreue auf, und die Farben waren dem düsteren Geschehen adäquat. Otto Schenk führte Regie, als kleiner Diktator, wie gewöhnlich. Er kann es nicht lassen, die Farben mit der Spachtel statt mit dem Pinsel aufzutragen. So ist der turbulente Chorauftritt des ersten Aktes sehr gut und charakteristisch, aber der bezaubernde Mädchenchor im dritten Akt, der musikalisch so viel volkstümliche Frische hat, ging im Getue der herumalbernden Choristinnen völlig unter. Starke Persönlichkeiten können sich natürlich auch Schenks Personenführung gegenüber durchsetzen. Aber bei den kleineren Rollen verdarb er allerhand durch Überzeichnen. Im Ganzen gesehen also: sehr gut, aber von Günther Rennerts Jenufa beim Stuttgarter Gastspiel in Wien, die doch bei weitem nicht mit so starken Persönlichkeiten aufwartete, meilenweit entfernt. Das Ereignis des Abends hieß Sena Jurinac. Diese Künstlerin sollte gar keine reinen Gesangspartien übernehmen müssen, denn sie leidet offenbar unter einem „horror vacui“. Wenn sie eine Arie singen soll, denkt sie nur an die Technik und dann verkrampft sich die Stimme. Denkt sie aber nur an die Rolle, vergißt sie völlig darauf. Darum ist sie als Butterfly und Tatjana so herrlich. Darum ist sie auch eine ideale Jenufa, ein Mensch in all seiner Not und seiner verratenen Liebe, voll von Sehnsucht, Schmerz, schließlicher Dankbarkeit – und darüber hinaus von echt weiblichem Charme. Unvergeßlich ist der mädchenhaft verschämt-sinnliche Blick, den sie im ersten Akt auf Stewa richtet, wenn er erklärt, sie nicht aufgeben zu wollen. So rundet sich das Bild eines lebenden Menschen. Zu allem Überfluß sang sie auch mit klarer, gut geführter, in der Höhe sicherer und alle Rundungen der Seele wiedergebenden Stimme. Mit diesem Elementarereignis konnte nur Waldemar Kmentt  als Laca mithalten. Die Stimme klang schön und kraftvoll, sie hat im Forte einen metallischen Kern bekommen, der einem zukünftigen Max, Erik und sogar Lohengrin wohl ansteht. Die Spitzentöne waren bombensicher (er legte sich sogar ein H ein), und auch ausdrucksmäßig war er durchaus auf der Höhe seiner Aufgabe. Im ersten Akt wurde er allerdings erstens zu sehr auf Galeerensträfling hergerichtet und zweitens auch vom Regisseur leicht zum Überspielen angehalten. Aber das wird sich schon abschleifen. Im zweiten und dritten Akt deckte er sich dann auch völlig mit der Rolle des eher gutmütigen und schließlich doch erfolgreichen Liebenden. Martha Mödls große Tragödinnenpersönlichkeit kommt am stärksten zur Wirkung wenn sie gar nichts macht. (Ganz abgesehen von Wagners Hehre, war sie etwa in der Bluthochzeit als dunkel-statuarisches Muttersymbol von geradezu umwerfender Wirkung). Als Küsterin muß sie spielen, Auf- und Ablaufen, die Hände ringen und manches andere. Das beeinträchtigt sie etwas. Trotzdem wirkt sie immer noch stark genug, aber nicht ganz so überlegen, wie man erwartet hatte. Stimmlich hatte sie leider einen rabenschwarzen Abend. Es wirkt bei ihr nur seltsamerweise irgendwie entwaffnend, daß sie so völlig selbstverständlich schmeißt, statt etwas zu schwindeln. Man spürt, daß sie es ganz genau weiß. Aber bei Frau Mödl besteht ja immerhin die Möglichkeit, daß sie die geschmissenen Töne bei einer der nächsten Aufführungen sicher hat. So war auch der Beifall für sie groß, obzwar die Hörer oft unüberhörbar schmerzlich stöhnten. Geschmissen hat Jean Cox als Stewa wohl nicht, war aber deswegen noch lange nicht gut. Sein Timbre, ein völlig gleichmäßiger, unedler Metallknödel, sein Mangel an Phrasierung und sein höchst durchschnittliches, typisch tenorales Bühnentemperament stempeln ihn zum typischen Vertreter der zweiten Garnitur. Schade, daß Dimiter Usunow nicht sang. Er wäre typenmäßig ideal für die Partie gewesen. Fritz Uhl sowie Hans Beirer, die beide dem Ensemble angehören und sogar Wiener sind, haben die Rolle übrigens auch „drauf“. Elisabeth Höngen war eine eindrucksvolle Buryja. Man kann nachträglich nur bedauern, daß ihr mit der Küsterin eine Rolle, in der sie gewiß großartig gewesen wäre, entgangen ist. Trotz einer Verletzung, die sie zum Humpeln zwang, war Olivera Miljakovic die natürlichste und persönlichste unter den Vertreterinnen der Nebenrollen. Die Übrigen – Lucia Popp (Karolka), Hilde Konetzni (Frau des Dorfrichters), Anny Felbermayer (Barena), Dagmar Hermann (Magd) und Annemarie Ludwig spielten überdreht, was auf das Konto des Regisseurs geht. Dazu wirkten die beiden letztgenannten Sängerinnen stimmlich noch ebenso peinlich wie darstellerisch. Einer der Effekte Otto Schenks ist uns besonders im Gedächtnis geblieben: Sena Jurinac hat bei der Stelle „Wo ist mein Stewuschka“ haargenau denselben taumelnden Abgang wie Eberhard Wächter bei der Stelle „Spazieren, mein Junge, spazieren…“ im ersten Akt von Dantons Tod und Otto Schenk selbst in der Fledermaus. Sehr originell. Hans Braun und Ljubomir Pantscheff sangen die beiden kleinen Männerrollen zufrieden stellend. Das Publikum dosierte den Beifall peinlich genau und konzentrierte sich mit Jubel auf die Jurinac, Krombholc und Kmentt, was wieder einmal zu der Feststellung führt, daß die erste Garnitur des Wiener Publikums allen anderen Auditorien auf der ganzen Welt überlegen ist.

 

DIE FLEDERMAUS am 8. März

Robert Stolz dirigierte die Fledermaus vor vollem Haus und zur Zufriedenheit der zahlreichen Operetten-Liebhaber. Opernfans sah man nur vereinzelt und diese zeigten sich von Altmeister Stolz nicht begeistert. Man sah vergnügt dem Spiel der beiden Allroundkünstler Hilde Güden und Eberhard Wächter zu, hatte dafür viele der übrigen Mitwirkenden nach ihrem Abgang rasch vergessen und dachte mit Wehmut jener Zeiten, wo Herbert von Karajan noch mit mehr Animo in Wien arbeitete. Damals kritisierte man seine unwienerische Art und kreidete ihm an (auch der Merker), daß er sich dabei mit dem Fuß aufs Pult stützte. Heute wäre man froh, sähe man seine Sämischschuhe öfter! „Glücklich ist, wer vergißt“ – doch wir können die Sternstunden der Wiener Staatsoper unter Karajan nicht vergessen und werden uns nie und nimmer mit den derzeit herrschenden Zuständen, die in der Fledermaus einen Robert Stolz ans Pult und eine Cissy Kraner auf die Bühne verschlagen, abfinden. 

DER ROSENKAVALIER am 9. März

Unter Heinrich Hollreiser hatte das Orchester einen ausgesprochen guten Abend. Der Dirigent war mit Umsicht und viel Liebe bei der Sache. Die einzelnen Musiker schienen ebenfalls Interesse an der Aufführung zu haben und so kam ein Abend zustande, mit dem man zufrieden sein konnte. Hilde Zadek als Marschallin war in guter Form. Sie schien die Partie weiter durchgearbeitet zu haben, und der Ausdruck der Schwermut wie auch der Resignation war vorhanden. Außerdem klang ihr Organ ausgeruht und frisch. Ebenso erfreulich war der Formanstieg von Irmgard Seefried, die in stimmlicher Hinsicht eine sehr schön abgerundete gesangliche Leistung bot. Leider darf man bei ihr keinen Blick auf die Bühne werfen, weil sonst der Eindruck vom jungen Mann aus gutem Haus verloren geht. Hanny Steffek sang die Sophie brav und bieder. Leider gab sie nicht mehr. Unüberhörbar waren die Schärfen in der Höhe. Ludwig Welter bot als Ochs von Lerchenau eine eindrucksvolle Leistung. Warum er nicht öfter offiziell angesetzt wird, ist unverständlich. Diesmal sprang er für Herrn Czerwenka ein und konnte damit einen persönlichen Erfolg erringen. Sehr gut die Darstellung, sehr gut auch die Diktion. „Leopold mir gengan“ war bei ihm kein komödiantischer Abgang, sondern man konnte daraus entnehmen, daß sich der Lerchenauer teils heilfroh und teils betroffen aus dieser peinlichen Szene lösen mußte. Alfred Poell stattete den Faninal mit Charme aus. Dadurch gewann die Figur an Farbe. Die übrigen kleineren Rollen gaben den Ensemblemitgliedern Möglichkeit, die Abende abzusingen. Dennoch wäre eine Auffrischung dringend nötig. Hier müßte man Nachwuchssängern eine Chance geben!

JENUFA am 10. und 13. März

Zunächst verdienen der Komponist der Jenufa und seine Musik näher beleuchtet zu werden, da, wie es scheint, hier in Wien einiges nachzuholen ist. (Die Aufführungen der Jenufa nach dem Kriege im Theater an der Wien sind nur einem kleinen Kreis von Opernbesuchern nachhaltig im Gedächtnis geblieben, vor allem durch die Welitsch und den Dirigenten Krombholc). Leos Janacek, oft ein Smetana in Moll genannt, ist neben diesem wohl der bedeutendste tschechische Opernkomponist. Seine ersten Welterfolge hatte er mit seiner dritten Oper, eben der Jenufa, die ihn mit einem Schlage berühmt machte. Ihr europäischer Erfolg bestätigte sie als die bedeutendste tschechische Oper seit der Verkauften Braut und als ein wesentliches Werk der modernen Musik. Warum? Janacek hat als erster, noch vor der Salome und dem Pelleas, Prosa vertont, und diese Prosa war für ihn die Keimzelle seiner Musik. Er horchte in das gesprochene Wort hinein, wie vor ihm kein anderer, und er fand das „Sprechmotiv“, den Tonfall der Prosa des Alltagsgesprächs. Er entwickelte seine Motive nicht, sie sind in knappen Formeln bereits fertig ausgeprägt und entstanden aus der Sprachmelodie des Textes. Hier könnte man das Wort Oliviers aus Capriccio anwenden. „Prima le parole – dopo la musica“. Die Wurzeln seiner der Musik liegen in der mährischen Volksmusik. (Später hat hier ein Bartok in Ungarn Unvergängliches geleistet!). Seine Folklore, wenn man es überhaupt so nenne kann, liegt abseits des Grellen, Aufdringlichen. Im Stillen sucht er die Seele des Volkes und findet sie. Hierher gehört auch die Verwendung der Kirchentonarten, die seine Musik so reizvoll, so herb, aber auch so innig machen, doch nie auch nur einen Hauch von Sentimentalität oder Banalität aufkommen lassen! Ein weiterer Umstand, der reizvoll an Hand des Klavierauszuges zu beobachten ist, ist die Durchkomponierung ganzer Szenen in einem festgehaltenen Rhythmus. (Man vergleiche hier z. B. die 4. Szene des 2. Aktes und etwa die 3. und 4. Szene des 3. Aktes, hier in vier Sechzehntelnoten!). Jenufa wirkt auf den Hörer unmittelbar, doch offenbaren sich die unzähligen Schönheiten der kostbaren Partitur erst nach mehrmaligem Hören und Studium des Auszuges. Hoffen wir, daß diesem Meisterwerk, das in der Art seiner Kompositionstechnik (Sprechmotiv) unverständlicherweise bis heute keinen Nachfolger gefunden hat, durch die herrliche Wiedergabe in der Staatsoper ein treuer und zahlreicher Hörerkreis gewonnen wird. Auch bei den ersten beiden Reprisen trugen drei Künstler die Aufführung und prägten ihr den Stempel der Außergewöhnlichkeit auf: Sena Jurinac in der Titelrolle, ein Elementarereignis, das sich auf einer Opernbühne nur äußerst selten vollzieht, Waldemar Kmentt als eifersüchtiger und letzten Endes doch goldtreuer Laca und Jaroslav Krombholc, der wohl prädestinierteste Jenufa-Dirigent unserer Tage. Frau Jurinac singt die Höhen dieser Partie von mal zu Mal sicherer und blühender. Herr Kmentt verschwendet sein in falschen Partien sträflicherweise brach gelegenes Material in überreichem Maße (jetzt wäre die Zeit da für Erik, Stolzing, vielleicht auch Lohengrin!) und Herr Krombholc, Chefdirigent der Prager Oper, läßt mit einem in Hochform befindlichen Orchester dem Hörer eine traumhafte Farbenpalette erstehen, die vom Holzklöppel-Solo (sprich Xylophon) bis zum dramatisch-grellen Pauken-Fortissimo im 2. Akt reicht. Jede zarteste Regung des Gefühls vermag dieser exzellente Musiker mit behutsamen Händen, in bestem Einvernehmen mit der Bühne, aus dem Orchester erklingen zu lassen. Wie selbstverständlich federn die oft komplizierten Rhythmen an unser Ohr. Und nicht zu übersehen bzw. überhören: Ein freundlicher, dankbarer Orchesterleiter, der impulsiv am liebsten jedem einzelnen Musiker am Ende der Aufführung anerkennend die Hände schütteln möchte. Nach Karajan die stärkste Dirigentenakklamation der letzten Jahre, auch von seiten des Orchesters. Martha Mödl vermochte ihre schlechte stimmliche Leistung von der Premiere leider nicht zu verbessern. Sie tat das einzig Richtige: sie sang die Spitzentöne eine Oktave tiefer, dort, wo es weniger auffällt. Mit Sopranpartien scheint es somit bei Frau Mödl vorbei zu sein! Jean Cox schwankt in seinen Leistungen von Akt zu Akt. Die wenigen Phrasen im dritten Akt gelingen stets am besten. Leider liegen die schönsten Stellen des Stewa im ersten Akt. Das restliche Ensemble, vor allem die Damen Elisabeth Höngen, Lucia Popp und Olivera Miljakovic, zeigte sich in Premierenform. Einzig und allein Harald Pröglhöf, am 13. März statt Hans Braun als Altgesell, fiel stimmlich derart negativ auf, daß böses Gemurmel einsetzte und viele Besucher sich im Programmheft über den Besitzer dieser saft- und kraftlosen Stimme zu informieren trachteten.

DON GIOVANNI am 11. März

Der allwöchentliche Mozart, unter der recht guten und sicheren Leitung von Heinrich Hollreiser und einer Art Luxusbesetzung. Das betrifft in erster Linie den Ottavio von Nicolai Gedda, der – was Stimmschönheit, Phrasierung, Stil und Gestaltung der Partie anlangt – nur wenige (genauer gesagt nur einen) seinesgleichen hat. Einschränkend muß das kritische Ohr allerdings feststellen, daß er bei der Kadenz der ersten Arie sonderbarerweise um etliche Hertz von der richtigen Tonhöhe abkam und einige Zeit benötigte, bis er wieder korrigiert hatte. Dafür waren die Ensembles und die zweite Arie eine reine Ohrenweide. Ingrid Bjoner (endlich eine Donna Anna!) singt die Partie ausgezeichnet. Ihre schöne, blühende Stimme ist direkt ein Labsal. Warum eine engere Bindung dieser ausgezeichneten Sängerin, speziell für das traurig besetzte Strauss- und Wagnerfach, nie erwogen wurde, ist uns schleierhaft. Schließlich hat sie hier früher als in München gastiert, dessen Star sie mittlerweile wurde. Manchmal versteht man die Geschmäcker unserer Gottsöbersten überhaupt nicht. Wilma Lipp sang die Elvira. Graziella Sciutti, die Meisterin der Pointe und der Phrase, war eine ideale Zerlina, der Heinz Holecek als Masetto gut sekundierte. Eberhard Wächter behauptete mit Persönlichkeit, steter Spannung und prächtiger Stimme seine Stellung als einer der führenden Giovannis unserer Zeit. Erich Kunz und Walter Kreppel waren in den beiden anderen tiefen Rollen zu hören.

BALLETTABEND am 12. März

JENUFA am 13. März

wurde mit der Aufführung am 10. März besprochen

EIN MASKENBALL am 14. März

Janos Ferencsik ist wieder in Wien und leitete Verdi mit mehr Paprika als Italianità. Das Forte war zu laut, die langsamen Tempi nimmt er so langsam, daß sie nicht mehr weit vom Schmalz entfernt sind. Immerhin hatte er an diesem Abend Teilerfolge. Antonietta Stella sang eine sehr gute, sehr dramatische Amelia, hatte allerdings in der großen Arie einige Höhenschwierigkeiten (das C lag zu tief). Dafür hatte Biserka Cvejic gelegentlich Tiefenschwierigkeiten, sang und spielte aber die Ulrica sonst ausgezeichnet. Reri Grist, ein hübsches Persönchen mit süßen schwarzen Kulleraugen, war optisch ein reizvoller Oscar und sang mit einer perfekt durchgebildeten, weißen Koloraturstimme ausgezeichnet. Bei Giuseppe Zampieri hat wieder eine sehr bürgerliche Periode begonnen. Er sang zwar schön und gepflegt, auch korrekter als sonst, aber ohne jegliche Anteilnahme, vielleicht mit Ausnahme des großen Duetts. Auf Aldo Protti konzentrierte sich der Jubel des Publikums. Er singt den Renato allerdings ziemlich unbekümmert. Einige Feinheiten der Phrasierung könnte diese Partie schon vertragen. Aber es ist schwierig, sich der Wirkung zu entziehen, die Protti etwa mit „Eri tu“ auszuüben imstande ist. Sein Riesenorgan explodierte förmlich und dieser Vulkanausbruch fegte stilistische Bedenken absolut beiseite. Deshalb dürfte er auch so beliebt sein. Er singt – man hat zumindest den Eindruck – zu seinem Vergnügen und kümmert sich sonst um überhaupt nichts. (Unter den erzeitigen Verhältnissen das Beste, was er tun kann). Die Verschwörer der Herren Ljubomir Pantscheff und Ludwig Welter haben schon bessere Tage gesehen, aber große Stimmen rosten eben leichter ein, wenn sie selten benützt werden. Dafür können aber wiederum die Sänger nichts.

CARDILLAC am 15. März

Nach Fallen des Vorhanges gab es sogar vereinzelte Bravo-Rufe, und die Sänger wurden für ihre mühevolle Arbeit vom Publikum mehr akklamiert, als bei manchen lieblos abgespulten Repertoirestücken. Es war immerhin interessant zu beobachten, wie ein Künstler von Otto Wieners Format seine moderne Rolle aus dem Klischee löst. Sein Goldschmied ist ein Mensch geworden, somit der Hindemith’schen Retorte entkommen. Eine prachtvolle Leistung dieses Künstlers, der die ungemein schwierige Rolle gesanglich souverän meisterte. Irmgard Seefried zeigte sich der Premiere gegenüber in schauspielerischer Hinsicht zurückhaltender und gesanglich imponierender. Wilma Lipp und Mikko Plosila verkörperten das Liebespaar. Der junge Tenor aus Wuppertal gefiel durch sein Material und den vorbildlichen Einsatz desselben, Frau Lipp hingegen durch die technische Souveränität ihrer hellen Stimme. Gerhard Stolze beeindruckte durch seine Charakterisierungskunst. Leopold Ludwig am Pult war der harte Dirigent dieses spröden Werkes.

JENUFA am 16. März

Die beiden weiblichen Hauptpartien waren neu besetzt. Alena Mikova aus Prag setzte eine harte, spröde und ziemlich ausdrucksarme Stimme ein, blieb in der Darstellung im Konventionellen stecken und konnte so die Jurinac in keinem Punkt auch nur annähernd erreichen. Als Küsterin löste Christl Goltz Frau Mödl ab. Wie erwartet meisterte sie die hohe Partie stimmlich gut. Darstellerisch wirkte sie wesentlich opernhafter, spielt mehr, im Gegensatz zu der statuarischen Gestaltung der Mödl, kann aber deren Ausstrahlung durch stimmlichen Ausdruck nicht wettmachen und bleibt somit nur routiniert. Waldemar Kmentt sang seinen bisher besten Laca mit unwahrscheinlich strahlenden Höhen (Stelle: „Daß du bei mir bist“) und mit gemäßigteren Aktionen im ersten Auftritt. (Das Abschleifen der überzeichneten Figuren Otto Schenks wirkt wohltuend und läßt die Darsteller eher gewinnen). Das Restensemble, aus dem Jean Cox durch arges Distonieren unangenehm herausstach, war auf gewohnter Höhe. Jaroslav Krombholc hatte stellenweise mit unserem Chor kleinere Kämpfe auszufechten, die er aber alle für sich entscheiden konnte. Das Orchester spielte in Premierenqualität. Starker Beifall im relativ gut besuchten Haus.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 17. März

Nach mehrmonatiger Verbannung vom Spielplan war wieder Verdis Macht angesetzt. Kein Wunder, daß im Nu Sitz- und Steh-Plätze ausverkauft waren. (So etwas ist den Wienern lieber als unterbesetzte Strauss- und Wagnerabend!). Und abermals riß der italienische Meisterkomponist die Zuhörer zu lauten Beifallskundgebungen nach allen Arien und Duetten hin und das allein gab den Sängern Ansporn und die Aufführung wurde auch von Akt zu Akt besser. Janos Ferencsik dirigierte zwar eher mit Paprika. Aber das Orchester war in guter Form und milderte etwas. Bei den Sänger muß allen voran wieder Aldo Protti nennen, der den Don Carlos mit einer derartigen Begeisterung und schonungslosem Stimmeinsatz sang, daß er allen anderen ein Beispiel sein könnte. Die „Urna fatale“ war der Höhepunkt der Aufführung. Giuseppe Zampieri hingegen hatte seinen lethargischen Abend und kam erst in der Klosterszene (nachdem man gewillt war, ihn endgültig in die Kategorie der Gesangs-Beamten einzustufen) zu voller Wirkung. Hier sang er, da er gut disponiert war und auch aus seiner darstellerischen Reserve gelockt wurde, ausgezeichnet. Antonietta Stella war als Leonore diesmal nicht so gut disponiert, wie in den Herbst-Aufführungen, bot aber dennoch eine ausgezeichnete Leistung. Walter Kreppel und Tugomir Franc waren die stimmgewaltigen Baß-Vertreter (des Paters Guardian und des Marchese) der Aufführung. Biserka Cvejic sang als Preziosilla in der Schenkenszene besser als im Rataplan. Karl Dönch war der Melitone.

DON GIOVANNI am 18. März

Janos Ferencsik dirigierte einen paprizierten Mozart. Zwar war der Kontakt mit der Bühne nicht immer korrekt, doch wurden die dramatischen Stellen plastisch hervorgehoben, und dadurch kam ein gewisser Schwung in die Aufführung. Nicht viel Paprika hatte Rudolf Jedlicka in der Titelrolle. Eine gute Erscheinung genügt keinesfalls für diese Partie! Die Stimme hat an Umfang verloren, und er war keineswegs besser als gewohnt. Die betörenden Worte Don Giovannis verpufften im Nichts. Die Damen auf der Bühne mußten aber die Stichworte dieses harmlosen Don zur Kenntnis nehmen. Hilde Güden gefiel uns als Elvira am besten. Mehr und mehr erobert sie sich die Partie, und ihr zuzuhören war ein reiner Genuß. Das Gleiche kann man von Teresa Stich-Randall nicht unbedingt behaupten. Sie hatte einen ihrer instrumentalen Tage. Graziella Sciutti als Zerlina gefiel durch ihr quicklebendiges Spiel. Ihr Glockenton war nicht ganz rein. Fritz Wunderlich sang sich durch die Natürlichkeit seines Vortrags in die Herzen des Publikums. Die ungemein spontane Art seines Singens gewinnt ihm immer mehr Freunde. Erich Kunz als Leporello legte abermals mehr Wert auf die Belustigung des unroutinierten Teils des Auditoriums als auf den Kontakt zu seinem Herren. Als einige Gags leider doch Gelächter auslösten, war er nicht mehr zu halten. Kostas Paskalis plagt sich weiter mit dem Masetto ab, einer Rolle, der er beim besten Willen nichts abzugewinnen weiß. Walter Kreppel sang den Komtur zufrieden stellend.

BALLETTABEND am 19. März

TOSCA am 20. März

Es ist sehr schwierig, das Stück Tosca langweiliger, schmalziger und lärmender zu dirigieren, als es Janos Ferencsik tat. Da sind unsere heimischen Kapellmeister ja Toscaninis dagegen. Auch die Besetzung war nicht dazu angetan, das Vergnügen zu heben. Antonietta Stella ist für die Tosca, wenn sie auch gut singt (mit Ausnahme eines etwas holprigen Gebets), zu sehr an der Oberfläche geblieben. Ihr Spiel wirkt zwar hektisch, aber es fehlt ja doch an Persönlichkeit. Aldo Protti ist leider ebenfalls kein Scarpia. Dem Charakter dieses Polizeichefs kommt man mit der Stimme allein nicht immer bei. Es fehlt gelegentlich an Profilierung. Immerhin war Prottis gewaltiges Tedeum der größte Eindruck des Abends. Giuseppe Zampieri sang kultiviert und mit schöner Phrasierung. Für das „Vittoria“ hatte er überraschend viel Kraft. Ludwig Welter, Hans Braun und die obligaten Unvermeidlichen waren in den kleinen Rollen zu hören. Wenn man vielleicht höherenorts glaubt, die Wiener mit solchen Aufführungen „entitalianisieren“ zu können, übersieht man, daß das Publikum genau weiß, wie es wirklich gehört!

 

CAPRICCIO am 21. März, Neueinstudierung

So muß eine Strauss-Vorstellung sein. Eine ideale, ausgewogene Besetzung, ein kompetenter Dirigent, gute Regie – und ein gutes Publikum. Alle diese Voraussetzungen waren bei der Premiere der Neueinstudierung am 21. März gegeben. Georges Pretre hat das Werk im kleinen Finger. Der prachtvoll-sinnliche Klang des Strauss-Orchesters vereint sich auf das schönste mit schönen, kräftigen, größtenteils jungen Stimmen. Die Ensembles waren so prägnant und plastisch wie noch nie, die Textverständlichkeit weit über dem langjährigen Durchschnitt und der kunstvolle Bau von Text und Musik fand eine ideale Darstellung. Rudolf Hartmanns dezente, noble Regie kam einigen Neubesetzungen zugute. Aber auch bei bereits bewährten Rollenträgern war eine Vertiefung und ein verstärktes Eindringen in die Rollen festzustellen. Bei diesem schwierigen Stück kommt es ja sicher darauf an, ob es der Sänger zweimal oder zehnmal gesungen hat. Lisa Della Casa sang eine ausgezeichnete Gräfin. Sie hatte alle Unruhe, alles Gekünstelte und alle neckische Lieblichkeit abgestreift und spielte so – wie einst im Mai – vornehm, dezent und mit einer gewissen, notwendigen Distanz zu den Übrigen. Man hatte den Eindruck, daß sie sich viel mehr auf die gesangliche Seite konzentrierte, die denn auch sehr gut geriet (von zwei, drei Tönen abgesehen) und so wurde die Gräfin mit Recht zum bezaubernden Inventar ihres schönen Salons. Die beiden verliebten Feinde waren bei Walter Berry und Waldemar Kmentt in den besten Händen. Ersterer, der Zyniker, leidenschaftlich vehemente Stürmer und Dränger, bildete einen wirkungsvollen Kontrast zum stilleren, distanzierteren und verinnerlichteren Musiker. Beiden Künstler gemeinsam war die temperamentvolle Gebärde in der Diskussion, der Humor und die Sicherheit der Pointierung. Das Objekt ihrer Angriffe, La Roche, der unsterbliche, fand in Otto Wiener einen dem Ernst, dem liebenswürdigen Pathos und der musischen Besessenheit des All-round-Theatermannes gleicherweise gerecht werdenden Interpreten, wobei auffiel, wie sehr er sich diese Rolle in den letzten Jahren zu Eigen gemacht hat. Christa Ludwig sang eine hinreißende Clairon, charmant, gescheit und in gleichem Maße damen- und primadonnenhaft. Der Graf ist mit Robert Kerns sehr gut besetzt. Erstaunlich gelang die deutsche Aussprache (auch in der Rezitation des Sonetts). Die stilistische und musikalische Sicherheit des jungen Sängers in einer ungewohnten und schwierigen Rolle war enorm. „Abgeräumt“ haben Fritz Wunderlich und Lucia Popp mit dem Duett der italienischen Sänger, wobei sie es fertig brachten, bei aller Komik doch immer dezent zu bleiben und mit strahlenden Stimmen eine Parodie des Belcanto zu liefern, die eigentlich keine war, so schön wurde sie gesungen. Die acht Lakaien hätten besser daran getan, bescheiden zusammenzuwirken, statt einer den anderen übertrumpfen zu wollen. Es gab genau dosierte und mit dem einem guten Publikum eigenen Fingerspitzengefühl verteilte Ovationen.

 

JENUFA am 22. März

Diese großartige Aufführung unter Jaroslav Krombholc wurde bereits gewürdigt. Umso erfreulicher war es für uns, daß die atemlose Spannung weiterhin vorhanden ist. Im Mittelpunkt steht natürlich Sena Jurinac in der Titelrolle. Sie gehört zu jenen außergewöhnlichen Künstlerinnen, die stets von innen die Rolle gestalten, sie formen und dann sich selbst damit restlos identifizieren. Man bewunderte nicht die seelenvolle Künstlerin Jurinac, man sah einfach Jenufa. Die slawische Seele spiegelte sich in ihrem herben Timbre wider. Eine ganz große und einmalige Leistung, die jeder Opernfreund zu den schönsten Erinnerungen zählen wird! Gerhard Stolze übernahm die Rolle das Laca, eine ungemein schwierige Aufgabe nach der hervorragenden Premierenbesetzung mit Kmentt. Herr Stolze löste diese mit seiner großen Intelligenz. Er legte die Partie anders an, hing fast mit hündischer Ergebenheit an Jenufa, und seine Darstellung in der letzten Szene war herzbewegend. Das Glück, das hier aus Stolzes Augen leuchtete, war umwerfend (um diesen Ausdruck der Galerie zu verwenden). In gesanglicher Hinsicht blieb er jedoch im Schatten seines Vorgängers. Die offene Art seines Singens ist nicht stets am Platz, aber sie paßte gut zu seiner Darstellung. Martha Mödl erwies sich als starke Persönlichkeit. Das Haus bejubelte Frau Jurinac in fast premierenstarker Intensität.

CAPRICCIO am 23. März

Bei der zweiten Aufführung konnte man allgemein eine noch größere Sicherheit und Lockerheit wahrnehmen, besonders bei Robert Kerns. Lisa Della Casa machte schon wieder etwas mehr als bei der Premiere. Auch stimmlich war sie nicht so gut wie am ersten Abend. Herrlich wieder die italienischen Sänger, die beiden Rivalen und die Vertreter des Theaters. Erfolg nicht ganz so stürmisch (Montag und Abonnement!).

FIDELIO am 24. März

Herbert von Karajan ist wieder da. Er kämpfte mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit, mit der größten Spannung, mit Gefühl und Intellekt gegen die Interpreten, die auf der Bühne und im Orchester versammelt waren – und siegte, besonders in einer unwahrscheinlichen Dritten Leonoren-Ouvertüre. Die Sänger wären an diesem Abend gar nicht so nötig gewesen. Der Jubel konzentrierte sich allein auf den wiedergekehrten Maestro. Der Staatsopernchor war unter jeder Kritik. Den Fidelio singt doch jeder Stadttheater-Chor ordentlich, denn so schwer ist er ja nicht. Unsere gutbezahlten Staatsbeamten steigen natürlich laufend aus. Typisch! Das Orchester schien aus kraftlosen Greisen und unmündigen Kindern zu bestehen, so klang es im ersten Akt. Immerhin leistete es im zweiten willig Gefolgschaft. Das ist ja immerhin etwas. Wie um seine eigenen Stagionetheorien zu widerlegen, hatte Maestro von Karajan ein unhomogenes Ensemble zusammengetrommelt. Und sogar unter ihm klappte es nicht. Gladys Kuchta ist das Schulbeispiel für eine hinauflizitierte Sängerin, die nur hochdramatisch wurde, weil ihre Stimme für jedes andere Fach zu unschön ist. Überdies hat sie einen unglaublichen Registerwechsel. Sie schleicht sich mit Soubrettendünne auf die H hinauf. Persönlichkeit und Gefühl fehlen ihr durchaus. Gundula Janowitz, in ihrer Problempartie weit sicherer als bisher, blies sie in den Ensembles von der Bildfläche. Fritz Uhl hatte einen rabenschwarzen Abend. Die Stimme klang verkrampft und verbogen. Die Artikulation war schrecklich und das Spiel unbeholfen. Hätte der Rezensent nicht selbst den Fidelio bei der Münchner Eröffnungspremiere gehört, er würde einen solchen Qualitätsunterschied in der gleichen Rolle nicht für möglich halten. Hans Hotter beherrschte die Bühne mit der Größe seiner Persönlichkeit. Stimmlich war er eher schwach. Walter Kreppel und Gerhard Stolze blieben unauffällig, was in dieser Vorstellung schon ein gewaltiges Lob bedeutete. Das Publikum bejubelte Herbert von Karajan, ohne sich um die Sänger viel zu kümmern (wenn ja, höchstens zischend), aber es fragt sich doch, ob das notwendig war. Maestro Karajan hat einen Tannhäuser abgesetzt, weil er keine Elisabeth hatte. Warum dirigiert er dann einen Fidelio mit Krethi und Plethi?

EIN MASKENBALL am 25. März

Eine Verdioper dem Publikum dauernd ohne Tenor von Spitzenklasse zu präsentieren, ist für jede Direktion ein Risiko. Giuseppe Zampieri hat in der Partie des Riccardo schon oft sein Können gezeigt. Diesmal aber war er ein Tenor ohne Klasse. Stimm- und kraftlos stand er auf der Bühne herum. Schade um ihn! Seine schlechte Leistung wirkte ansteckend auf seine Partner. Alle, ganz gleich ob Antonietta Stella, Graziella Sciutti, Biserka Cvejic oder Aldo Protti waren schon bedeutend besser, als an diesem Abend. Janos Ferencsik ist ein Theaterpraktiker, aber Verdi mit Routine allein zu dirigieren, ist in Wien nicht eben gern gesehen.

PARSIFAL am 26. und 29. März

Weihevolle Osterstimmung zog ins Haus ein, als Herbert von Karajan die beiden Parsifals dirigierte. Wir haben den Eindruck, daß er das Werk (speziell den dritten Akt) noch nie schöner, tiefer und konzentrierter gemacht hat. An diesen beiden Abenden war alles ideal, die Prägnanz der Motive, die sinnliche Glut, die asketische Kraft und die strahlende Verklärung. Unterstützt wurde der Eindruck durch ein herrlich spielendes Orchester, das sich selbst überbot und an Klangschönheit seinesgleichen suchte. Hans Hotter war ein herrlicher Gurnemanz, voll Güte, Weisheit und ritterlicher Kraft. Fritz Uhl sang Parsifal, zwar besser als den Florestan, aber immer noch gaumig und mit verzerrten Vokalen. Könnte man nicht doch einmal Windgassen hören? Eberhard Wächter gestaltete den Amfortas mit gewaltiger Persönlichkeit und stärkstem Ausdruck, erscheint aber am Ende der Klage im dritten Akt stimmlich überfordert. Man wünscht direkt, er würde hier seine schöne Stimme weniger konzessionslos einsetzen. Elisabeth Höngen konnte ihre Intelligenz und Persönlichkeit in der Kundry des ersten und dritten Aktes wieder unter Beweis stellen. Den zweiten Akt beherrschten Christa Ludwig und Walter Berry. Sie mit prachtvoller, sinnlicher Stimme und intensivstem Ausdruck, er mit prägnanter Diktion und Gestaltung. Tugomir Franc sang den Titurel sehr schön und ganz auf Linie. Dieser junge Sänger hat viel gelernt, schade, daß er es nicht immer verwerten kann. Die Blumenmädchen waren sehr gut, ebenfalls der Damenchor. Daß man vom Herrenchor verhältnismäßig wenig hört ist im Falle Parsifal nicht diesem selbst anzulasten, denn er würde auf die Bühne gehören. So macht nicht, wie etwa in Bayreuth, die Chorszene des dritten Aktes den größten Eindruck, sondern die grandiose Verwandlungsmusik.

TOSCA am 27. März

Floria Tosca (und mit ihr ganz Rom) zitterte vor Scarpia. Wir konnten das durchaus verstehen, denn Aldo Protti hatte einen seiner großen Abende und brachte das Haus zum Erzittern. Die Stimme klang wie ein rauhes Ungewitter durch das Haus und wischte auch Janos Ferencsiks Orchester einfach weg. Herr Protti zeigte vom ersten Auftritt an das Gesicht eines Gewaltmenschen, dem rein gar nichts heilig ist und der in seiner Stimme die triebhafte Bösartigkeit mitbrachte. Ein Raubtier, das mit gefletschten Zähnen die Bühne betrat! Darstellung und Gesang waren auf einmalige Art abgestimmt. Antonietta Stella war die bedauernswerte Primadonna in den Klauen dieses Polizeipräfekten. Sie spielte die Rolle auf ihre reservierte Art und sang sie gut, ohne allerdings zu begeistern. Das Gebet war wunderschön gesungen, aber frauliche Wärme war ihrer Stimme nicht zu entnehmen. Gianni Poggi sprang als Cavaradossi für Zampieri ein. Die Stimme ist, seit wir sie zuletzt hörten, nicht jünger geworden, dafür aber um eine Spur trockener. Jedenfalls war er musikalisch sicherer, als Zampieri gewesen wäre, und in der Sternenarie bewies er seine hervorragende Gesangstechnik, mit der er noch immer das Beste aus seiner vorhandenen Stimme hervorzaubern kann. Hans Braun als Angelotti, Karl Dönch als Mesner und Kammersänger Erich Majkut erwiesen sich als Beamte vom Dienst. Janos Ferencsik war mit großer Lautstärke der Dirigent des blutigen Dramas.

KEINE VORSTELLUNG am 28. März, Karfreitag

PARSIFAL am 29. März

unter der Leitung von Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung am 26. März besprochen

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 30. März

Unter Heinz Wallberg, der diesmal recht laut dirigierte, gab es eine Mozartaufführung, die nur wenige Stammbesucher anlockte, dafür aber umso mehr das vorwiegend aus Ausländern bestehende Feiertagspublikum. Es gab viel Stimmung im Haus, die sich auch auf die mitwirkenden Künstler übertrug, von denen uns persönlich Anneliese Rothenberger als Susanna am besten gefiel. Die Stimme klang ebenso reizvoll, wie sie spielte. Schönheit ist derzeit das größte Plus von Lisa Della Casa. Sie gab sich an diesem Abend als Gräfin sehr dezent und sang auch so. Vielleicht gewinnt sie wieder ihre Linie zurück. Olivera Miljakovic war ein reizvoller Page, der die beiden Arien brav sang, nur müßte sie unserer Meinung nach in den Canzonen mehr Gefühl und Anteilnahme zum Ausdruck bringen können. Robert Kerns gab sich mit dem Grafen Almaviva alle Mühe. Manch herrischer Ausbruch klang noch unecht. Aber der Künstler wird sich dies anzueignen wissen. Zum Grafen braucht man viel Erfahrung, und die kann Herr Kerns logischerweise noch nicht haben. Erich Kunz sang auf seine Weise den Figaro, wobei zu bemerken ist, daß er leider in den exponierten Stellen forciert. Oskar Czerwenka sang den Dr. Bartolo mit vis comica und Georgine Milinkovic war eine ebenfalls komödiantische Marzelline. Alles in allem ein vom ausländischen Publikum sehr freundlich aufgenommener Abend.

AIDA am 31. März

Eine schreckliche Vorstellung! Wenn man seitens der „germanisch“ angehauchten Direktion dem Publikum die Italiener abgewöhnen will, braucht man nur ein paar Vorstellungen dieses Kalibers zu geben, und kein Mensch wird mehr zu Verdi gehen (allerdings auch zu nichts anderem. Die Sänger der „Neuen Welle“ sind dann mit der Direktion und den Freikartenempfängern unter sich). Das Peinliche – für die Direktion nämlich –  ist allerdings, daß kein Musikfreund mehr daran glaubt, die italienischen Opern seien purer Pofel, wie die Opernbesucher im alten Haus und im Theater an der Wien allen Ernstes dachten. Nun gut, die wußten’s nicht besser, aber wir wissen jetzt, Gott sei Dank, wie es gehört. Das Generalübel stand am Pult: Janos Ferencsik dirigierte einen Un-Verdi, laut, häßlich, gezogen, zerdroschen. Erfüllt von lähmender Langeweile einerseits, präsentierte sich die Musik an anderen Stellen derart  lärmend, daß dem erschütterten Hörer das Großhirn, das Rückenmark und die Nebennierenrinde zu schmerzen begannen (typische Phon-Krankheit!). Auf der Bühne standen größtenteils Brüller. Adriana Lazzarini, Schrecken jedes Verona- und Rom-Besuchers, fand unnötigerweise ihren Weg nach Wien und schrie sich mit rauher Riesenstimme durch die Amneris, was besonders in der Höhe eher an eine Kreissäge als an Stimmbandproduktionen erinnert. Von Präsenz auf der Bühne keine Spur! Luigi Ottolini, der reisende Einspringer, tat es ihr an Lautstärke ziemlich gleich. Auch hier keine Spur von Phrase, von Linie, von Seele, von Ausdruck, nur metallisches, leeres Geknalle. Überdies stellt Ottolini optisch einen Tenortyp dar, wie es ihn heute gar nicht mehr geben dürfte. Eines kann man ihm nicht absprechen. Er ist bombensicher. Die beiden Bässe (Walter Kreppel und Ludwig Welter) waren zwar „heimisch“, aber ungefähr ebenso unangenehm. Antonietta Stella sang Aida. Sie war leider lange nicht so gut, wie im Herbst mit Bergonzi, sondern mußte bei der Nilarie die Waffen strecken. Dieses C geht über ihre Kräfte. Sonst sang sie stellenweise ausgezeichnet, mit viel Kraft und Dramatik, aber nicht ganz intonationssicher. Der Sänger des Abends hieß wieder einmal Aldo Protti, obzwar er auch einen seiner rauhen Tage hatte. Aber die dramatische Intensität dieser Riesenstimme verfehlt ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht. Das Publikum war der Aufführung adäquat. Es dürfte sich kaum um Opernstammgäste gehandelt haben. Diese sind der Vorstellung zweifellos ferngeblieben. Was hätten sie auch hier tun sollen? Einen Brüll-Verdi, degradiert, ja geschändet durch ahnungslose Sänger, einen unpassenden Dirigenten, ein schlummerndes Orchester und einen Chor, von dem besonders die Fuge jedem Gesangsverein besser gelungen wäre, glaubten wir schon überwunden zu haben. Wir dachten, daß der Stil und das Empfinden für Verdi hierorts bereits eine Heimat gefunden habe. Trauriger Irrtum! Man glaubt nicht, wie schnell sich so etwas durch ein entsprechendes Management zerstören läßt! Na ja, für einen Freischütz mit original ostdeutscher Besetzung wird’s in Zukunft hoffentlich doch noch langen! Dieser traurige Abend schloß einen Monat des Mißvergnügens. Die Wiener Musikfreunde haben schon schwer daran zu tragen, Karajans gelegentlich etwas eigentümlichen Geschmack punkto Sänger zu verkraften. Aber er kompensiert das immerhin durch seinen Taktstock. Die sonderbaren Geschmäcker von Nichtmusikern oder Pseudo-Kapellmeistern sind jedoch überhaupt nicht zu verdauen.

 

AKTUELLER STRAUSS (Anläßlich der Capriccio-Wiederaufnahme in der Staatsoper Wien).

Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 4

Noch selten hat ein aufgeschlossenes Publikum im Capriccio, der Krauss-Strauss’schen Maßarbeit für theatralische Feinschmecker, so viel Aktuelles zu entdecken gewußt wie diesmal! Zunächst gab die Besetzung Anlaß, in der nun schon langsam fade werdenden Diskussion „hie Startheater – hie Ensemblekunst“ endlich einmal zumindest eine Pause einzuschalten. Die Besetzung des Capriccio war durchaus heimisch, d.h., es sangen in den Hauptrollen neben einer Schweizerin, einer Deutschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft und einer Tschechin, vier Wiener, ein Amerikaner und zwei Deutsche (davon einer mit österreichischer Staatsbürgerschaft), dirigiert hat ein Franzose. Und niemand, der die Aufführung gehört hat, wird bestreiten wollen, daß die Mischung hervorragend gelungen ist. Nun ist die Staatsbürgerschaftsfrage für das Publikum eigentlich nebensächlich. Das hält sich dankenswerterweise nur an das Format der Künstler. Die Wichtigkeit, die manche Publizisten dem Problem „Herkunft von nördlich oder südlich der Alpen“ oder „Gast oder Ensemblemitglied, das ist die Frage“, beimessen, ist nämlich in der Praxis überhaupt nicht vorhanden. (Entscheidend ist die Qualität und das Einfühlungsvermögen des einzelnen Künstlers). Und genau diese chauvinistischen Publizisten treffen die Worte La Roches: „Holà, ihr Streiter in Apoll! Ihr verhöhnt und beschimpft mein festliches Theater!“ Festlich muß es sein, das Theater, denn sonst… „Das Volk bleibt kalt und wendet sich ab!“  Diese Festlichkeit wird nun nicht dadurch erzielt, daß wahllos irgendwelche Sänger zusammenengagiert werden, die die benötigte Partie „drauf“ haben. Wesentlich ist auch nicht, daß auf jeden Fall irgendjemand Neuer, nur um der Neuheit willen, die gigantische Sängerstreitmacht der Oper vermehrt. Ebenso interessant kann das Rollendebüt eines langjährigen Mitgliedes sein, das Hineinwachsen in ein neues Fach, zu dem Gott sei Dank doch die meisten guten Sänger die Möglichkeit haben, oder die oft sensationell wirkenden Leistungen junger Künstler. Das Capriccio hatte also den Idealfall einer ausgewogenen Besetzung zu bieten. Wer immer das veranlaßt hat, er sei dafür bedankt! Es kann doch auch in anderen Fällen nicht so schwer sein, den goldenen Mittelweg in den Besetzungen zu finden, festzustellen, welche Opern man heimisch besetzen kann und welche ohne die absolute internationale Spitzenklasse einfach nicht zu geben sind? Hat man der Staatsoper jahrelang den Vorwurf gemacht, sie bevorzuge die Italiener, so schlägt der Pendel heute derart stark nach der anderen Seite aus, daß das jetzige Repertoire auch schon wieder nicht mehr tragbar ist. „Endlose Proben, monatelang. Und dann folgt der Durchfall des Drame heroique!“ (Wobei der Durchfall durch das zeitgenössische Abonnementsystem besser kaschiert werden kann, als zu La Roches Zeiten). Das aufmerksame Publikum hätte bei des Direktors „Lang lebe die italienische Oper“ beinahe mit einem spontanen Szenenapplaus reagiert. Das Rauschen, das einen solchen ankündigt, war bereits deutlich zu vernehmen. Dann tobte sich das Publikum nach dem italienischen Duett aus. Es war unüberhörbar, daß die Wiener auf die Alternative „Prima la musica – dopo le parole“ oder „Prima le parole – dopo la musica“ die Antwort eindeutig und unüberhörbar gaben. Wir haben überhaupt den Eindruck, daß des Direktors Worte: „Nur blasse Ästheten blicken mich an: sie verspotten das Alte und schaffen nichts Neues!“ bedenklich auf manchen Italienfresser und Förderer eines „fortschrittlichen“ Spielplans paßt. Auch Richard Strauss selbst schreibt in einem Brief an Clemens Krauss (aus dem Briefwechsel über Capriccio) „…denn ich habe mich entschlossen, keine 2 Italiener singen zu lassen; ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht die italienische Musik heruntersetzen müssen“. Und Clemens Krauss antwortet darauf: „Es ist natürlich durchaus unnötig, bei Beibehaltung ihrer ersten Idee die italienische Opernkunst herabzusetzen, Im Gegenteil, das Stück, das die italienischen Sänger vortragen, muß ein ausgezeichnetes Musikstück sein,…also eine herrliche Belcanto-Melodie…“ Ecco: „Der Arie ihr Recht!“ Wir sind uns bewußt, daß damit die Wiener Oper der nördlichste Vorposten dieser Richtung war, hineinragend in die Lande, in denen „Regie die Lösung, Regie das Geheimnis“…bildete. Doch ist die Tätigkeit der Wiener Oper in den vergangenen sechs Jahren nicht ganz umsonst gewesen. Natürlich nicht, was den Gesangsstil betrifft – dazu gibt es einfach zu wenig geeignete Stimmen – sondern immerhin im Programm. Nicht mehr nur in Italien sieht man das Heil der Oper darin: „Ich bewahre das Gute, das wir besitzen, die Kunst unserer Väter halte ich hoch. Voll Pietät hüte ich das Alte, harre geduldig des fruchtbaren Neuen“. Sogar im fortschrittlichen nördlichen Nachbarlande konnte man in den beiden letzten Jahren mit einer geglückten Ausgrabung ebensolche Lorbeeren verdienen, wie mit einer Uraufführung, und dieser Trend zur Archäologie dürfte sich im Zeitalter der Ausabonnierung und Ausorganisierung beim immer geringer werdenden Angebot der Zeitgenossen sicherlich noch verstärken. Es wäre zu traurig, wenn Wien, das indirekt vielleicht den Anstoß zu dieser Entwicklung gegeben hat, dann hinter den deutschen Stadttheatern nachhinken würde, wie etwas mit der Jenufa. Die Janacek-Welle haben die deutschen Bühnen nämlich schon vor fünf Jahren absolviert, keine Bühne ohne Füchslein, Sache Makropoulos, Totenhaus usw. Wir sehen voraus, daß in Lübeck bereits die Puritani und in Gelsenkirchen die Norma aufgeführt werden wird, wenn wir es glücklich bis zum Barbiere di Sevilla gebracht haben. Der Proporz zwischen „germanischer Welle“ und „Man lauscht voll Rührung dem Zauber der Arie“, scheint jetzt plötzlich das grundlegende Problem der Wiener Staatsoper zu sein, und es ist unschwer zu erraten, daß sich das bereits in alle Zeitungen gelangte Zerwürfnis zwischen Herbert von Karajan und Egon Hilbert auf eben dieser Ebene abspielt. Maestro Karajan möchte wahrscheinlich endlich sein oft zitiertes Stagionesystem in die Tat umsetzen, während Direktor Hilbert es schätzen dürfte, sich mit fünf verschiedenen Besetzungen für eine Oper zu umgeben (damit ja nicht etwas dem vorjährigen Meistersinger-Skandal Ähnliches passiert, der ihn ja letzten Endes in die Oper gebracht hat). Diese divergierenden Auffassungen müßten schließlich auf einen Nenner zu bringen sein. Denn auch im Stagionesystem kann man in Gottes Namen in zwei Monaten sechsmal Der Freischütz mit Frau Muszely und Herrn Cox (wenn der Direktor glaubt, ohne diese beiden nicht existieren zu können) spielen. Aber diese Kräfte würden dann eben für sechs Abende engagiert und nicht für vier Monate mit einer nebulosen Anzahl von fixierten Abenden, die sie nie im Leben absingen können, weil sich die Sänger jetzt ohnedies schon auf die Füße treten. Daß die hier Angesammelten ausnahmslos Durchschnitt sind, die das Niveau drücken, braucht nicht betont zu werden, denn Spitzensänger haben es ja nicht nötig, in Wien zu sitzen und Daumen zu drehen. Besonders tragisch wird die gluckhennenhafte Sammelmethode Direktor Hilberts aber bei jungen Sängern. Diese wurden ja in Wien nie besonders gefördert und waren immer auf sich selbst angewiesen, aber sie kamen seinerzeit wenigsten dran und hatten zu singen. Wenn sie jetzt zwei Abende im Monat erwischen können, dürfen sie von Glück sagen. Jeder andere Gehaltsempfänger würde sich freuen, fürs Nichtstun bezahlt zu bekommen. Wir kennen so manchen Merker-Mitarbeiter, der nicht böse wäre, wenn er mehr Zeit für sein Hobby fände. Aber bei Sängern wird die Sache gefährlich, denn Stimmen rosten und verlieren an Spannung und Intensität, die nur durch stete Arbeit erreicht werden können. So werden die unbeschäftigten Sänger zu einem Gefahrenherd, denn je nach Charakter widmet sich die eine Hälfte der Tratscherei und Intrige und die andere stumpft völlig ab und schluckt alles hinunter. Beide Möglichkeiten sind besorgniserregend und demoralisieren das Personal ebenso wie das Absingen der Abende in den katastrophalen Vorstellungen der Filialbühnen, in denen der große Mozart einem erbarmungslosen und sinnwidrigen Verschleiß ausgeliefert wird. Es ist klar, daß von einem derart behandelten Personal keiner ein Panegyrikon anstimmen wird, etwas des Inhalts: „Der Freund der heiteren Muse, der Förderer der ernsten Kunst. Der Bühne ein Vater, den Künstlern ein Schutzgeist“. Man kann nur zitieren: „So wenig Verständnis – ein Fachmann wie du!“

 

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