DER APRIL 1964
9. Jahrgang, Heft 5
Grauer Opernalltag, schlechte Disposition in so manchen Besetzungen, Publikumsmüdigkeit, wachsende Verbitterung der Opernliebhaber. Die Lichtblicke des Monats: Cesare Siepi und Boris Christoff. Ansonsten fragt man sich bange, wie es weitergehen soll.
Am 2. April trat Heinrich Drimmel als Unterrichtsminister zurück, Theodor Piffl-Percevic wurde sein Nachfolger.
Ergänzung der Herausgeberin: Als Opernbesucher
war man ja an Politik nur dann besonders interessiert, wenn es die Wiener
Staatsoper betraf. Daher achtete man zuerst auch nicht auf die inneren Reiberein
in der ÖVP. Obwohl die Nationalratswahl 1962 für die ÖVP ein
großer Erfolg geworden war (Der Abstand zur SPÖ hatte sich von 1 auf 5 Mandate
vergrößert), war man in der Partei mit Bundeskanzler Gorbach als Parteiobmann
unzufrieden und drängte auf einen Wechsel. Man wollte das Reformerduo
Klaus-Withalm an die Parteispitze hieven. Gorbach erklärte daraufhin von sich
aus, am Parteitag 1963 nicht mehr zu kandidieren. Da mit dem Duo Klaus-Withalm
nicht alle einverstanden waren, stellte man Drimmel als Gegenkandidat auf. Er
unterlag in der darauffolgenden Kampfabstimmung. Als Josef Klaus 1964 auch noch
Bundeskanzler wurde, wollte Heinrich Drimmel unter ihm nicht mehr Minister in
der Regierung bleiben. Man holte dann den Grazer Theodor Piffl-Percevic, der
letztlich das Pech hatte, sein Amt mitten in der ihrem Höhepunkt
entgegenstrebenden Krise zwischen Karajan und Hilbert antreten zu müssen.
Naturgemäß hatte er keine Ahnung und hat sich leider auf die Einflüsterungen
seiner Spitzenbeamten verlassen, die Herrn von Karajan alles andere als
gutgesinnt waren. Die Familie Piffl-Percevic stand in engem Kontakt mit der
Familie Mautner Markhof, die ihrerseits großen Einfluss auf das kulturelle Leben
Wiens hatte und die gut mit Egon Hilbert befreundet war. Um mit Telramund zu
sprechen: „So zog das Unheil in das Haus!“
DAS RHEINGOLD am 1. April
Es ist eine besondere Merkwürdigkeit in dieser betont „deutschen“ Saison, daß das Rheingold, beliebter Wagner-Lückenbüßer vergangener „italienischer“ Spielzeiten, heuer ein einziges Mal gegeben wird (in den Jahren, die „voll von italienischen Umtrieben“ waren, bekam man es wenigstens drei- bis viermal zu hören!). Mit Herbert von Karajan am Pult konnte der Opernfreund eine der äußerst selten gewordenen Aufführungen von Format erwarten. Hauptelement des mächtig dahinströmenden Wagner-Rheins ist und bleibt das Orchester, an diesem Abend weit besser bei Atem und Strich als im vormonatigen Fidelio, den wir unseren sehr geschätzten Staatsopernmitgliedern auf der Bühne und im Orchester so bald nicht vergessen werden. Nach dem einleitenden Hörner-Schmiß und vor dem abschließenden Tuba-Schmiß, die das Werk apart einklammerten, gab es klangvolles und schönes Orchesterspiel zu hören, auch merkbare Intensität und williges Eingehen auf die Intentionen Herbert von Karajans, der leider unter anderem auch einer der wenigen bedeutenden Wagner-Interpreten unserer Zeit ist. (Wollte Gott, er hätte mehr Konkurrenz!) Auf der Bühne stand zum ersten Mal Eberhard Wächter in der Rolle des Wotan. Um nicht ungerecht zu sein, muß man bei Besprechung dieser Leistung das Stimmliche vom Darstellerischen trennen. Wächter ist einer der wenigen Glücklichen, die sich eine Partie darstellerisch nicht mühsam erarbeiten und erstudieren müssen. Er hat ein natürliches Gefühl für Würde, Ausdruck, für Placierung und Gestik (die Proben mit Hans Hotter dürften ein Übriges getan haben) und so stand tatsächlich ein Wotan auf der Bühne. Erstaunlich genug, denn Wotans sind rar. Er war freilich ein sehr moderner, spöttischer, etwas zynischer Gott (Göttervater kann man schlecht sagen), der beispielsweise seine Gemahlin bei der Stelle ‚Gleiche Gier war Fricka wohl fremd’ usw. ganz schön herunterputzt, der sich hart und egoistisch nur nach seinen Gedanken richtet und zum bösen Ende natürlich weit sichtbarer bestürzt über das angerichtete Unheil ist, als es bisher üblich war. Die Rolle hatte also eine Linie, ein Konzept und eine Auffassung, nur war sie leider nicht gerade gut gesungen. Die Stimme ist zu hell und zu schlank. Das Hinabtauchen in die Wotan-Tiefen wurde mit Kraftlosigkeit in der Höhe sehr teuer bezahlt. Mit einem Wort, die Stimme konnte dem Hörer leid tun. Nun ist natürlich noch nicht aller Tage Abend, und ein konsequentes Training der unteren Mittellage könnte bei einer so gut durchgebildeten Stimme wohl Wandlung schaffen. Aber Wächter wird sich entscheiden müssen, was er tun will. Entweder geht er auf das schwere Fach los – dann muß er die Beanspruchung der oberen Lagen, wie sie etwa Verdi fordert, einstellen: Oder aber er bleibt bei den typischen Gesangspartien, dann kann er aber keine Wagner-Helden singen. Ein probates Mittel, eine Stimme auf jeden Fall zu ruinieren, ist die abwechselnde Beanspruchung hoher und tiefer Lagen. Wotan und Renato in einer Woche sind heller Wahnsinn. Es ist doch nicht gut, wenn es Sänger in ihrer Karriere allzu leicht hatten. Sie werden gelegentlich übermütig und tun Dinge, die sie selbst nicht verantworten können. Dominierende Erscheinung des Abends war Gerhard Stolzes Loge. Einfach herrlich, wie er die Rolle hinlegte! Bemerkenswert auch wieder Robert Kerns, der als Donner eine gut durchgebildete, kräftige Stimme hören ließ, die viel für das deutsche dramatische Fach verspricht. Weniger imposant war Ludwig Welter, der Fafner-Debütant. (Sind wir etwa Gottlob Frick dank der vorausschauenden Planung unserer Direktion schon gänzlich losgeworden?). Im übrigen gab es die gewohnten Besetzungen, unter denen Alois Pernerstorfer mit einem hervorragenden Alberich herausragte. Die Damen (Ira Malaniuk, Gerda Scheyrer, Hilde Rössel-Majdan, Wilma Lipp und Margareta Sjöstedt) waren mit Ausnahme von Wilma Lipp eher mäßig. Peter Klein und Anton Dermota ergänzten das Ensemble.
DIE WALKÜRE am 2. April
Zwei hervorragende Leistungen – Leonie Rysanek als Sieglinde und Hans Hotter als Wotan – stempelten diese Walküre zu einer der schönsten Wagneraufführungen der Spielzeit. Sowohl Frau Rysanek als auch Herr Hotter waren in stimmlicher Hochform, und wir wissen wieder einmal, daß beide Künstler in diesen Rollen eine Idealbesetzung darstellen. Einen guten Abend hatte auch Hans Beirer als Siegmund, bei dem diesmal die positiven Momente überwogen und für seinen monotonen Gesang und sein eher unbeholfenes Spiel entschädigten. Anita Välkki ist dagegen noch nicht weiter in ihrem Bemühen um eine vollkommene Brünnhilde vorgedrungen. Sie war vielmehr diesmal musikalisch unsicher und wirkte unkonzentriert. Dennoch gelangen ihr ausgezeichnete Walküre-Rufe und eine schöne Todesverkündigung, die ihrer dunklen Stimme besonders engegenkommt. Grace Hoffman war eine hervorragende Fricka und Kurt Böhme kämpfte als Hunding mit der Tiefe. Meinhard Zallinger (der erst knapp vor der Aufführung in Wien eintraf – man sprach doch immer davon, daß die Mitwirkenden 24 Stunden vor einer Aufführung in Wien sein müßten!) hatte die Aufführung gut in der Hand. Vor allem gelang ihm ein bemerkenswert guter erster Akt, gegen den dann die beiden folgenden leider abfielen.
DON GIOVANNI am 3. April
Wenn Cesare Siepi in einer Mozart-Aufführung angesetzt ist, erinnern wir uns immer mit einigem Grimm einer Unterhaltung, die wir vor einigen Jahren mit Herber von Karajan zu führen Gelegenheit hatten. Er sagte damals unter anderem, die großen Sänger seiner Stehplatzzeit (z. B. Schaljapin) seien als völlig isolierte Gäste in einer deutschsprachigen Aufführung gestanden. Die Ensemblewirkung sei gleich Null gewesen, und es sei sein Bestreben, in Zukunft an der Wiener Oper etwas Ähnliches zu verhindern. (Er hat eine schöne Ahnung!). Im Falle von Siepis Mozart ist die Isolierung nun zwar nicht gerade sprachlich, eher stilistisch spürbar. Denn das Wiener Stammensemble singt – mit wenigen rühmlichen Ausnahmen – keinen italienischen Mozartstil. Es erhebt sich natürlich die Frage, warum eine Aufführung mit Kunz, Dermota, Holecek, Scheyrer, Kreppel usw. nicht einfach deutsch gespielt wird, wenn kein Siepi gastiert, und warum für eine Siepi-Vorstellung nicht Sänger herangezogen werden, die – wie Hilde Güden als rühmliche Ausnahme – auch imstande sind, einen italienischen Mozart zu singen. Denn damit, daß man den Text statt deutsch nunmehr italienisch herunterhaspelt (meist unverständlich, dann unschön) ist ja der Sache keineswegs gedient. Das sagt der Merker, wird mancher vermutlich fragen, der doch sonst so für die Originalsprache ist? Natürlich ist er’s, aber nicht auf diese Art: von einem Dirigenten taktiert, dessen Mozart-Stil, wenn man ihn überhaupt so nennen kann, weniger groß als stadttheatermäßig ist, von Sängern gesungen, die ihre Show abziehen oder farblos bleiben, von Stimmen interpretiert, die manchmal große Mühe haben, überhaupt noch als solche gelten zu können. Und mitten darin ein Künstler großen Formats, ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, der überlegen über Allem steht, der es versteht, selbst als abgebrühter Genießer, dessen stumpfen Gaumen nur mehr Untaten reizen können, verschwenderisch das Temperament und den Charme des glücklich mediterranen Menschen zu verstreuen! Und dazu eine mühelos strömende, dunkle, kultivierte Samtstimme, deren Führung eine Lektion in Stil und Phrasierung bedeutet! Es muß deprimierend für ein Ensemble sein, so mitleidlos deklassiert zu werden. Es wundert uns nicht, daß in Kreisen des heimischen Ensembles zähneknirschender Haß herrscht. Dabei kann doch Siepi überhaupt nichts dafür. Man weiß doch, daß er ein Spitzensänger ist. Warum bekommt er denn keine Spitzenpartner? Es wäre ihm doch im Herbst noch nicht im Traum eingefallen, eine damals noch relativ frische Aufführung mit der Kraft seiner Persönlichkeit zu sprengen: Aber was bleibt ihm über, wenn er auf der Bühne nur einen einzigen Widerpart hat, nämlich Hilde Güden mit einer gleicherweise damenhaften und kultivierten Elvira? Dabei ist es doch Siepis sehnlichster Wunsch, das Gleichgewicht in einer Aufführung hergestellt zu wissen, die Partnerschaft Gleichgesinnter und gleich Starker. Aber das erlebt er in Wien allenfalls noch bei Werken wie Margarethe, die unserer Direktion sicherlich völlig suspekt erscheinen. Was weiß man denn überhaupt darüber, was in den Köpfen unserer Direktionsmitglieder vor sich geht? Vielleicht hat jemand in Kassel oder Mannheim einen Baßbariton entdeckt, den er lancieren möchte und dem er die Siepi-Abende der Zukunft zugedacht hat, falls dieser doch vielleicht genug davon bekommen sollte, jede Vorstellung, die er singt, gnadenlos zu der seinen zu machen. Die Damen Gerda Scheyrer und Anneliese Rothenberger, sowie die Herren Anton Dermota, Erich Kunz, Walter Kreppel und Heinz Holecek waren in ihren Standardpartien zu hören. Den Taktstock führte Wilhelm Loibner.
MADAMA BUTTERFLY am 4. April
Ein überraschend guter Abend kam durch das diesmal voll Ambition spielende Orchester zustande. Vielleicht besinnen sich endlich einmal die Mitglieder des weltberühmten Orchesters darauf, daß sie auf dem besten Wege sind, als Opernorchester ihren Ruf zu verlieren. Das wäre doch wirklich schade. Berislav Klobucar dirigierte mit Eifer und Sinn für eine dramatische Auslegung der Partitur. Die Einsätze für die Sänger kamen exakt. Daß der einspringende Tenor Gianni Poggi in miserabler Verfassung war, störte zwar erheblich, aber dafür konnte der Dirigent nichts. Beim Liebeduett glaubte man, daß Herr Poggi überhaupt nicht mehr weitersingen könnte. Die Stimme verschwand wie die flimmernden Leuchtkäfer der Inszenierung. Antonietta Stella sang im Alleingang weiter. Ihre derzeitige Form liegt aber erheblich unter ihren im Herbst gezeigten außerordentlichen Leistungen. Dennoch ist man froh, daß sie hier singt. Denkt man nämlich an die hauseigenen Schmetterlinge im Sopranfach, dann weiß man die Stella zu schätzen. Eberhard Wächter als Sharpless gefiel durch seine schauspielerische Noblesse mehr als durch seinen Gesang. Die Höhe ist nicht mehr so substanzreich wie früher. Aus der Masse der Nebenrollenträger hob sich nur Margarita Lilowa ab, die anderen sangen ihre Partien beamtenmäßig und pensionsreif herunter.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 5. April
Diese Aufführung war kein Fest, auch keine Freude. So derb und undifferenziert im Orchesterklang wurde die Wagnerpartitur aller Feinheiten und damit des Glanzes und Zaubers beraubt. Der Dirigent Leopold Ludwig bewältigte an diesem Abend seine Aufgabe als Leiter der Aufführung, als musikalischer Gestalter blieb er sehr viel schuldig. Die gegen die Orchesterwogen kämpfenden Sänger hatten es schwer. Sie mußten forcieren und das schadet nicht nur den Stimmen, es deklassiert auch die Leistung. Von Regie in der Personenführung keine Spur. Jeder Solist tat, was er konnte. „Spielleitung“ gab es keine, Routine ersetzte das Konzept. Der Zuschauer hatte das Gefühl, daß alles auf der Bühne aufatmete, als sich der Schlußvorhang senkte, und daß auch das Publikum dankbar war, den Abend überstanden zu haben. Wozu spielen wir dann eigentlich ein so anspruchsvolles Werk? So kann man eigentlich nur behaupten, daß sich die Sänger wacker schlugen, allen voran Otto Wiener, der nimmermüde und vom Pult her schon viel Kummer gewöhnte Sachs und Irmgard Seefried, die ab und zu neben der Partie steht. Hans Beirer als Stolzing war nicht besonders gut disponiert. Man muß ihm jedoch zugestehen, daß sein „Fanget an“ und das Preislied auf der Festwiese von dem schweren Heldentenor in einer klanglichen Fülle geboten wird, die derzeit sonst nicht erreicht wird. Karl Dönchs Beckmesser erscheint dem Referenten stimmarm und als Figur absolut verzeichnet. Murray Dickie (David) schlug sich durch. Walter Kreppel sang den Pogner stimmstark. Die Aufführung war ein Musterbeispiel „schlechter Zeiten“ in der Staatsoper Wien.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 6. April
Endlich eine Besetzung der beiden Hauptpartien, die höchsten Anforderungen entsprach: eine günstige Konstellation stellte dem Holländer unserer Tage eine ebenbürtige Senta gegenüber. Hans Hotter, besonders im zweiten Akt in ungebrochener Stimmkultur und Stimmkraft (wer singt ihm den Beginn des Liebesduetts nach?) – erfüllte den Ahasver der Meere mit seiner ganzen Persönlichkeit. Hotter macht ja bekanntlich als Holländer kaum Gesten und größere Bewegungen. Seine Gesamterscheinung identifiziert ihn mit der Rolle. Umso kontrastreicher der Spiel von Leonie Rysanek, die ihre Senta als blutvolles, leidenschaftliches Geschöpf anlegt, das seine Erlösungsbestimmung in jeder Phrase glaubhaft zu machen weiß. Davon abgesehen, setzte Frau Rysanek einen prachtvoll dunkel gefärbten Sopran ein, der des zauberhaftesten Pianos ebenso fähig ist, wie der strahlendsten Spitzentöne. Stimme und Spiel zusammen ergeben ein Erlebnis! Seit Hotter-Silja hat man in Wien keinen Holländer ähnlicher Vollendung gehört und gesehen! Daneben konnte sich einzig Kurt Böhme als Daland behaupten, der in dieser Partie mit rauher Stimme voll seinen Mann stellt. Hans Beirer, von dem wir schon sehr gute Eriks gehört haben, war diesmal schlecht. Es mangelte ihm auch an Kontakt mit dem Dirigenten, und von Gestaltung war wenig zu bemerken. Den Steuermann sang Karl Terkal wie gewohnt. Leopold Ludwig am Pult konnte nicht befriedigen. Es war nicht mehr als eine durchschnittliche Kapellmeisterleistung! Trotz auffallend reinen Blechbläsern (und unreinen Holzbläsern!) ließ die Präzision und auch die Gestaltung der Themen zu wünschen übrig: der Auftakt des Holländermotivs fiel regelmäßig unter den Tisch! Das Tempo des Geisterchores im 3. Akt war indiskutabel. Es durchbrach fast die Schallmauer! Eine durch Persönlichkeit geprägte Leistung blieb jedoch abermals aus!
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 7. April
Cesare Siepi sang zum ersten Mal in Wien auch den Figaro. Da merkt man erst, wie tief die Partie eigentlich liegt, wie schön sie gesungen werden kann, wie wenig von der typischen Buffomentalität, die ihr allzu gerne verliehen wird, darin enthalten ist. In Siepis Darstellung erscheint auch der Mensch Figaro von einer ganz anderen Seite. Er spielt dem Grafen zu seinem Tänzchen mit kavaliermäßiger Eleganz auf. Er leidet wirklich unter Susannes vermeintlicher Untreue (noch nie haben wir Rezitativ und Arie im letzten Akt mit soviel echtem, ursprünglichem Gefühl gesungen gehört!). Er hat bei allen Intrigen doch immer überlegenen Charme. Wir sind im Prinzip eigentlich dagegen, daß Sänger – besonders in guten Inszenierungen – ihre eigenen Kostüme tragen, aber bei Siepis roter Livree, bei deren Anblick man meint, morgen beginne die Revolution, muß man eine Ausnahme machen, denn sie paßt in die Atmosphäre und zur Rolle, ja sogar in die Inszenierung. (Den kaffeebraun-weißen Jaquardsmoking mit dem roten Cummer-Bund hingegen fanden wir zwar unglaublich elegant, aber doch in das verblaßte Bühnenbild des dritten Aktes nicht ganz passend). Wenn etwas an Siepis Figaro auszusetzen ist, dann ist es das Unterlassen des Perücketragens. Die Giovanni-Frisur wirkt doch wohl etwas zu herrenhaft für den Figaro, auch wenn der ehemalige Hans Dampf in allen Gassen aus dem Barbier im Dienste des Grafen noch nicht zur Lakaienseele entartet ist. Das dominierend Herrenhafte war aber auch zum Teil Schuld der Partner. In einer Aufführung mit der Schwarzkopf, Sciutti, Ludwig und etwa Fischer-Dieskau (man kann gegen den Stil seines Figaro-Grafen sagen was man will, aber seine Persönlichkeit ist immerhin auch hier abendfüllend), wäre eben auch ein Siepi nicht gar so hervorgestochen, wie an diesem Abend. Gerda Scheyrer war eine sauber singende, farblose Gräfin. Daß es ihr gelingt, etwa die Wiederholung von „Dove sono“ in einer einzigen Pianophrase zu singen, interessiert allerdings nur technisch, nicht künstlerisch. Anneliese Rothenberger sang eine aparte, gescheite und liebenswürdige Susanna, leider ohne stimmlichen Glanz. Nur die Rosenarie gelang sehr schön. Man hat den Eindruck, daß sich Olivera Miljakovic immer mehr vom Cherubino entfernt, anstatt in die Rolle hineinzuwachsen. Robert Kerns kann natürlich nicht der Widerpart für einen Figaro von Siepi sein. Die Arie sang er hingegen ausgezeichnet, mit seiner gut durchgebildeten Stimme von erstaunlichem Umfang. Die Schlußphrase z.B., die prominenteren Kollegen Mühe macht, nimmt er nahezu mühelos. (Er hatte nach Siepi auch den größten Applaus des Abends). In den Ensembles fehlte es aber noch an markanter Phrasierung und an einigen Farben im Ausdruck. Auch darstellerisch gibt es natürlich noch viel zu feilen. Immerhin sind auch hier gute Ansätze vorhanden. Wilhelm Loibner hatte auch an diesem Abend den Platz am Pult inne.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 8. April
Berislav Klobucar lernt man nach den Erfahrungen mit Janos Ferencsik erst richtig schätzen. Es klappt bei ihm weiß Gott nicht immer alles, aber er hat noch nie etwas gegen die Phrase, gegen die Stimme und gegen den Ausdruck der Musik unternommen, was andere leider häufig tun. Die Macht gehörte schon im Theater an der Wien zu seinen besten Stücken (man war direkt froh, als er sie von der Premierenbesetzung Karl Böhm übernahm), und so war für einen stimmungsvollen und Verdi gerecht werdenden Ablauf des Abends gesorgt. Antonietta Stella sang wieder ihre ausgezeichnete Leonora mit dramatischem Elan und schönem Piano. Giuseppe Zampieri hatte zwischen zwei Krisen und Indispositionen schnell einen guten Abend. Er war sogar bereits in der ersten Szene vorhanden, sang eine sehr schöne Arie (hier wie auch in der Ouvertüre lauschte man mit Vergnügen den traumhaften Klarinettensoli von Alfred Prinz). „Solenne in quest’ora“ war allerdings mäßig. Das kann er nicht, ebenso wenig sein Partner Kostas Paskalis. Da klingen die Stimmen auseinander statt zusammen. Dafür war die Klosterszene umso besser und wirklich mit Intensität gesungen. Das Schlußterzett gelang prachtvoll. Paskalis sang „Son Pereda, son ricco d’onore“ sehr gut, mit einem erstaunlichen A (!) zum Schluß. Die „Urna fatale“ bewältigte er mit Anstand. Cesare Siepi orgelte einen herrlichen Pater Guardian. Die schwachen Punkte waren Preziosilla und Frau Melitone. Gloria Lane, optisch eine Bombe, hatte stimmlich nur Platzpatronen zu bieten und ließ mit einer Präpotenz sondergleichen alle spektakulären Höhen und Tiefen der Partie aus. (Mögen sie auch nur eingelegt sein – wer sie nicht hat, braucht die Rolle ja nicht zu singen.) Karl Dönch sang nicht anders als üblich. Tugomir Franc war als Marchese im Vorspiel ausgezeichnet.
DER ROSENKAVALIER am 9. April
Wenn unsere Direktion anfängt, Sänger zu entdecken, wird es gefährlich. Da muß scharf geprobt werden, da muß die Presse herein, ob sie will oder nicht, und man wundert sich nur über die Naivität, über die manche leitenden Herren verfügen. Glaubt nun wirklich ein Direktor, daß ausgerechnet er in der deutschen Provinz ungehobene Schätze finden wird? Margarete Ast war in der legendären Lulu als Student zu hören und gefiel damals. Aber Lulus Jugendstiltischdecke hat manches verhüllt, was auch besser verhüllt geblieben wäre, anstatt erbarmungslos ins Strauss’sche Rampenlicht gestellt zu werden. Der Sängerin ist mittlerweile der „Sprung“ von Hannover nach Kassel geglückt und den dortigen Anforderungen wird sie gewiß entsprechen, jedoch nicht denen der Wiener Staatsoper. Rein figürlich bringt die Sängerin keine Eignung für eine Hosenrolle mit und leider auch keinen Charme, um dies Manko auszugleichen. Von Liebenswürdigkeit, von der großen Geste des jungen Herrn aus großem Haus ist keine Rede, die Stimme ist undifferenziert und mit steifer Höhe geziert. Die Gesangslinie bleibt unelegant, und der Humor fehlt vollständig. Also, jeder Zoll kein Oktavian. Es ist zwar traurig, daß es für das Fach der Rohs, Jurinac und Ludwig keine Nachfolgerin gibt, aber mit Gewalt kann man das ja auch nicht ändern, schon gar nicht mit Importen aus der tiefsten Provinz. Wir waren so glücklich, daß die Damen Cervena und Sarfaty hierorts nicht landen konnten. Wenn wir gewußt hätten, daß dies der Grund ist, hätten wir uns weniger gefreut. Logischerweise hätte der erfahrene Wiener Opernfreund nun noch Helly Spittler als Sophie und Edith Vonkilch als Marschallin erwartet. (Dazu noch Georg Schnapka als Ochs, Lothar Ostenburg als Faninal und Jean Cox als Sänger und wir hätten ohne jede Mühe St. Pölten unterboten!) Aber so schlimm kam’s doch nicht. Lisa Della Casa ist als Marschallin dezent und Wilma Lipp ist eine bezaubernde Sophie. Warum sie allerdings dem gastierenden Oktavian zuliebe Stellen in den Duetten, die man mehr als hundertmal Piano gehört hat, im Fortissimo sang, ist uns unbegreiflich. Dieser Rosenkavalier war überhaupt das Gegenstück zur vormonatigen Aida. Unter Heinz Wallbergs lauter Leitung wurde die Oper heruntergedroschen, daß sich die Haare des erschütterten Zuhörers sträubten. Es gab allerdings noch die beiden Ottos, Otto Edelmann und Otto Wiener, die sich souverän und ohne sich von der Umgebung stören zu lassen, ihrer heiklen Aufgaben als Ochs und Faninal entledigten und so der Aufführung in ihren Szenen Gewicht und Bedeutung gaben. Karl Terkal sang die Sängerarie drauflos, als stünde er nicht auf der Opernbühne, sondern in Heinz Conrads’ Sonntagmorgensendung.
EIN MASKENBALL am 10. April
Eine Vorstellung mit teilweise guten Namen auf der Besetzungsliste, aber dennoch eine Enttäuschung. Einzig die Amelia Leonie Rysaneks wußte das Publikum zu begeistern. Mühelos sang die Künstlerin die extremsten Spitzentöne. Das hohe C in der großen Arie war eine Ohrenweide, und die gehauchten Piani dürften heute konkurrenzlos sein. Neben dieser stimmlichen Prachtleistung hatte es der wiedergenesene Giuseppe Zampieri schwer, bestehen zu können. Zudem schien Herr Zampieri noch immer schwer indisponiert. Die Stimme wirkte klein, die Höhen klangen stumpf und wurden nur kurz angedeutet. Eberhard Wächter sang nach langer Zeit wieder den Renato. Zu bewundern war der grenzenlose Elan, mit dem der Künstler seine Aufgabe zu bewältigen versuchte. Im italienischen Baritonfach wird er aber nie heimisch sein. Ein Dunkelfärben der Stimme in der Mittellage macht keinen Bastianini, ein Forcieren der Spitzentöne keinen Protti. Enttäuschend Anneliese Rothenberger in der Partie des Oscar. Die Stimme klang müde, und von blitzenden Koloraturen konnte keine Rede sein. Hilde Rössel-Majdans Ulrica ließ den Wunsch nach Umbesetzung laut werden. Heinz Wallberg hatte ein gut disponiertes Orchester fest in der Hand, machte effektvolle Musik, vergaß aber völlig, auf die Sänger Rücksicht zu nehmen.
MARGARETHE am 11. April
Endlich kam Cesare Siepi zu einer Besetzung, die seiner würdig war. Dieser Abend war überhaupt einer der schönsten seit langer Zeit, was wohl nicht zuletzt an der musikalischen Leitung von Georges Pretre lag, ohne den man sich diese Oper gar nicht mehr vorstellen kann. Die Elegance, das Feuer und die Dramatik dieser Interpretation können kaum überboten werden. Hilde Güden sang eine herrliche Margarethe. Die schweren Mozartrollen wirken sich in einer Intensivierung der Mittellage aus, die ihr herrliches Timbre behalten hat, aber viel stärker geworden ist. Unglaublich ist die explosive Kraft der Spitzentöne, besonders in der Domszene und im Schlußterzett. Nicolai Gedda, der Faust aller Fäuste, schien diesmal indisponiert zu sein und forcierte etwas. Das kann sich bei dieser schweren Rolle aber nicht einmal ein Gedda erlauben. Denn im Bestreben, die C mit Gewalt spektakulär zu machen, riskierte er einige Kratzer. Bewundernswert war jedoch sein Geschmack, seine Phrasierung in der Liebesszene und nicht zuletzt seine Intensität und technische Meisterschaft. Cesare Siepi ist sicherlich der gallischeste von allen Mephistos, der eleganteste, auch stimmlich, der subtilst phrasierende, der diabolisch charmanteste. Gesungen hat er prachtvoll, besonders Ständchen und Domszene. Das Rondo liegt ihm nicht so sehr, das ist ein stimmliches Gewaltstück und kommt bei grollenden Vulkanstimmen besser an, als bei eleganten Liniensängern. Aber das ist eigentlich Haarspalterei! Großartig war er in der Gartenszene im Zusammenspiel mit Elisabeth Höngen. Kostas Paskalis hatte seinen wilden Tag und haute so unbarmherzig auf seine ohnedies nicht allzu kleine Stimme, daß es kein Wunder war, wenn sie gelegentlich völlig amorph klang. Das nimmt sich in der Umgebung von drei Technikern natürlich besonders apart aus. Daß die französische Elegance und die feingeschwungene Linie des Gebets dabei draufgingen, ist verständlich. Valentins Tod war allerdings sehr gut. Dieser hatte eine enorme Intensität und Spannung, auch stimmlich war plötzlich alles in Ordnung. Olivera Miljakovic sang wieder ihren reizenden, gefühlvollen Siebel und Ludwig Welter bewies erneut ein anhaltendes Formtief. Das Ballett von Edeltraud Brexner und Willy Dirtl angeführt, bewährte sich in der außerordentlich schwierigen, aber ungemein wirksamen Choreographie von Waclaw Orlikowsky wieder außerordentlich.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 12. April
Nachdem man in dieser Saison Wagners Meistersinger zuerst fast vier Monate lang überhaupt nicht gespielt hatte, dann ausgerechnet am 23. Dezember die erste Aufführung ansetzte, folgte nun nach nur achttägiger Pause eine neuerliche Aufführung dieses Werkes. Ob die Direktion darunter etwa gar ein Stagione-System versteht? Wir jedenfalls sehen darin eine schlechte Planung, denn bei einer Stagione müßte man wohl einige Partien besser besetzen und eine Dirigentenpersönlichkeit von Format finden, um das Interesse des Publikums wachzuhalten! So war die Aufführung nicht gut besucht, und sogar der Merker vom Dienst konnte diesmal die Aufführung aus anderer Perspektive (Preis S 165,—) sehen: da gab es wirklich allerhand zu sehen, was man von der Galerie her kaum wahrnimmt. Man müßte sich nach dem Gesehenen eigentlich ernstlich fragen, ob es bei dieser Aufführung überhaupt einen Abendregisseur gab, denn was sich da auf der Bühne tat, läßt nicht darauf schließen. Im ersten Akt benehmen sich die Lehrbuben daneben und selbst Herr Hager dürfte kaum angeordnet haben, daß einer von ihnen, während sich Stolzing mit seinem „Fanget an“ abmüht, den Schuh einfach abstreift und auf der Empore sitzend, lustig die Zehen dem Auditorium zeigt. Im zweiten Akt sieht man das Kabel, das von Sachsens Arbeitslicht direkt zur Steckdose führt, und erst auf der Festwiese! Es nimmt einem Wunder, was da von Choristen und Statisten aufgeführt wird: beim Aufzug der Meister wird dem einem von ihnen liebevoll auf die Schulter geklopft, dem anderen dann mit dem blumenbekränzten Stab der Lehrbuben unter lautem Gelächter im Gesicht herumgefahren. Wo sind wir denn eigentlich? Ist das die Wiener Staatsoper? Verunglückt waren die ersten Meistersinger im wiederaufgebauten Haus von der ersten Aufführung her durch die schlechte Regie von Herbert Graf und die unglücklichen Bühnenbilder und Kostüme. Aber nach der Überarbeitung von Paul Hager wurde es um nichts besser, und es wäre an der Zeit, den ganzen Krempel abzuräumen und eine würdige Inszenierung der Meistersinger auf die Bretter zu stellen (etwa statt der Lady Macbeth von Minsk, die ja kaum zahlende Besucher finden wird!). Wozu man endlich auch den Chef ans Pult bringen und ihm zugleich die Regie übertragen müßte. Denn wie wir immer wieder feststellen können, sind Karajans-Wagnerinszenierungen denen der Herren Graf, Hager, Rott und anderer haushoch überlegen. Mit Schneider-Siemssen als Bühnenbildner und Meister Pitz als Chordirektor müßte das ein ideales Teamwork ergeben, und mit einer Verjüngung einiger Partien würde endlich auch das musikalische Niveau gehoben, das gerade bei diesem Werk oft zu wünschen übrig läßt. Heinz Wallberg, der musikalische Leiter des Abends, war mit sehr viel Eifer bei der Sache und brachte eine solide Interpretation zustande, was für die Meistersinger jedoch zu wenig ist. Das Orchester erwies sich in mittelprächtiger Verfassung, wobei man nicht weiß, ob die erste Hälfte der Musiker (erster und zweiter Akt) oder die ablösende zweite (dritter Akt) besser war. Jedenfalls ist es unsinnig, vor dem dritten Akt das Orchester aufstehen zu lassen, wenn ohnedies kaum einer der Anwesenden bisher gespielt hat, weil sie einfach erst den Dienst antreten. Der Chor war wie so oft in den großen Wagneraufführungen mangelhaft und unpräzise. Wilma Lipp sang (endlich wieder!) das Evchen. Diese Partie liegt ihr sehr gut. Sie bringt dafür eine junge makellose Stimme mit, die nur zwei-, dreimal unnötig forciert eingesetzt wird („O Sachs mein Freund“ und „Keiner wie Du…“) und eine prachtvolle Erscheinung voll Jugend, Liebreiz und jenes innere Leuchten, das dann in der Schusterstube endlich wieder jene zauberhafte Atmosphäre aufkommen ließ, die bei ihren unmittelbaren Vorgängerinnen in dieser Partie fehlte. Otto Wiener war Hans Sachs. Er war prachtvoll disponiert, sang die beiden Monologe und das Schusterlied sehr schön und konnte auf der Festwiese mit unerhörten Kraftreserven auftrumpfen. Hans Hopf übernahm für Wolfgang Windgassen den Stolzing und kam damit nach sehr langer Zeit wieder auf die Bühne der Wiener Staatsoper, der er angeblich ab nächster Saison wieder angehören wird. Der Sänger kam eigentlich nahezu unverändert. Noch immer zeigt er die ganze Aufführung hindurch monoton strahlendes Lächeln, nasale Stimme, Spitzentöne werden zwar erreicht, klingen jedoch dumpf. Zudem fiel auf, daß der Tenor nach einem guten ersten Akt („Fanget an“) merklich nachließ. Nicht nur die Windgassen-Fans waren enttäuscht, und man fragt sich eigentlich, was Herr Hopf denn alles in Wien singen soll? Carlos, Radames und andere italienische Partien doch hoffentlich nicht. Darüber müßte Wien doch schon hinweg sein. Für den Kaiser allein ein Engagement zu bekommen, würde sich nicht lohnen, denn so oft wird man die Frau ohne Schatten kaum spielen. Da Windgassen (laut Herrn Direktor Hilbert) gottlob Wien erhalten bleiben soll, Hans Beirer einen umfangreichen Vertrag hat, dazu Fritz Uhl, Jess Thomas und Sandor Konya verpflichtet sind, wird es wieder einmal so sein, daß wir gar nicht imstande sind, alle Genannten auch tatsächlich einsetzen zu können. Aber was tut’s, man wird halt die entfallenen Auftritte honorieren! Murray Dickie war ein darstellerisch liebenswürdiger, quicklebendiger David, stimmlich jedoch durch eine Indisposition gehandicapt. Karl Dönch, der ewige Beckmesser, outrierte darstellerisch sehr und war dafür in gesanglicher Hinsicht recht freizügig. Gottlob Frick sang den Pogner. Man freute sich, ihn nach längerer Zeit wieder in dieser Partie zu hören. Leider wirkte er diesmal nicht ganz überzeugend. Alfred Poell mühte sich mit dem Kothner ehrlich und redlich ab. Man muß ihm Anerkennung zollen für den ganzen Einsatz seiner Künstlernatur, obwohl ja eigentlich jüngere Besetzungen im Haus sind, die aber anscheinend keinen Gefallen mehr an der Partie finden. Jedenfalls ist Herr Poell z.B. der Münchner Kothner-Besetzung bei der Eröffnung des Nationaltheaters haushoch überlegen. Erschreckend schlecht besetzt war die Magdalena mit Hilde Rössel-Majdan. Diese Stimme würde dringender Schonung bedürfen.
BALLETTABEND am 13. April
DON GIOVANNI am 14. April
Es muß eigentlich schrecklich schwer sein, Mozart zu dirigieren. Nach Loibner quälte sich diesmal Heinz Wallberg durch die Partitur des Giovanni. Er war zwar weit besser als sein Vorgänger, aber die Ausgeglichenheit der Tempi, die Ruhe bei geschwinden Teilen und die Spannung beim Adagio wollte sich nicht einstellen. Vieles klang verhetzt, manches zerfiel in einzelne Bruchstücke (Seltsam, bei Karajan, Krips oder Böhm klingt Mozart immer klar und selbstverständlich, mit den naturgegebenen Spannungen und Entspannungen. Es liegt anscheinend also doch am Dirigenten). Die Sänger hatten es diesmal nicht leicht. Dabei wäre durch die Besetzung ein überdurchschnittlicher Opernabend garantiert gewesen. Hilde Güden sang eine herrliche Elvira, Anneliese Rothenberger war eine liebenswerte Zerlina und Gerda Scheyrer sang sauber, blieb allerdings sonst farblos, wie üblich. Bei den Herren wetteiferten Nicolai Gedda und Eberhard Wächter im Schöngesang. Gedda war stimmlich der Idealfall eines Ottavio. Auch das Spiel ist durchdacht und reagiert auf jede Situation. Eberhard Wächter hat im Spiel die Ruhe und Größe, die jederzeit volle Wirkung erzielt. Was ihm – nicht immer, aber oft – fehlt, ist der Ernst, eine Partie zu spielen, ohne Unfug zu treiben. Es mag ja unterhaltsam sein, immer neue Gags zu finden, die einem selbst den Abend genüßlicher gestalten, und wenn man einen Partner hat, der auch nicht gerade einfallslos ist, wie z. B. Erich Kunz, so hat man seinen Privatspaß dabei. Aber Don Giovanni ist schließlich Spanier vom alten Adel, der seinen Diener auch dementsprechend mit Abstand behandelt. Würde dieser es wagen, ihm beim Sterben so die Show zu stehlen, noch im Angesicht der Hölle, würde er ihm den Degen ins Gekröse stoßen. Womit auch über das Spiel Erich Kunz’ wohl genug gesagt wurde. Gottlob Frick war ein repräsentativer Komtur. Heinz Holecek lernt als Masetto nichts dazu.
CARMEN am 15. April
Schon verhältnismäßig viele Carmen-Aufführungen mit dem Gespann Cvejic-Usunow sind über die Bretter unserer Staatsoper gegangen. Meistens hat man das Gefühl, daß Dimiter Usunow in dem Maß zuviel macht, wie Biserka Cvejic zuwenig. Frau Cvejic steigert sich regelmäßig immer mehr, je länger die Oper dauert. Es liegt ihr nicht, eine Show abzuziehen. Zur effektvollen Absolvierung der Habanera gehört es aber nun einmal. Hat diese Carmen einen Partner auf der Bühne, dem sie sich voll widmen kann, so wird sie erstaunlich dramatisch und sogar mitreißend. Gesanglich gab sie nicht alles, was sie uns von ihren Reserven schon gezeigt hat, bot aber durch die Intensität in den beiden letzten Akten trotzdem eine gute Leistung. An Intensität ist Dimiter Usunow schwer zu schlagen. Manchmal tut er in dieser Hinsicht zuviel des Guten. Dazu passierte ihm noch das Pech, nach einigen erfolgreichen Versuchen, seiner Stimme lyrische Regungen abzugewinnen, das b der Blumenarie zu verhauen, was ihm sonst nie passiert. Bei Kostas Paskalis, der den Escamillo sang, fehlt es im Torerolied an Tiefe. Da läßt sich leider nichts vertuschen, da diese Passagen sehr akzentbeladen sind. Ansonsten war er in dieser Partie gut. Gundula Janowitz kassierte den Applaus des Abends nach einer makellos vorgetragenen Micaela-Arie. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß sie die Micaela singen soll. Geeignetere Partien für den Aufbau junger Sopranistinnen gibt es kaum. Zudem ist das Manko von Frau Janowitz derzeit noch immer eine gewisse Härte in der Höhe, gegen die sie bei aller Bewunderung für das wunderschöne Timbre und die gute Atemtechnik noch vieles tun muß. Von den Nebenrollen ist nur Robert Kerns hervorzuheben. Am Pult stand George Pretre. Man ist gewillt, ihm Authentizität „ungeschaut“ abzukaufen. Temperamentvoll war’s sehr. Leider gab es auch manche Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester. Beim Torerolied etwa kann man beim Refrain nicht ohne böse Folgen nach vier Takten, in denen sich das Zeitmaß schon fest etabliert hat, plötzlich zu hasten beginnen! Leider müssen wir auch einmal über die Sängerknaben etwas Schlechtes vermerken. Sie waren an diesem Abend viel zu leise.
JENUFA am 16. April
Die Neuinszenierung von Janaceks Meisteroper erfreute sich beim Publikum immer steigender Beliebtheit. Das kann man aus Pausengesprächen, beim Anstellen und auch noch in der Straßenbahn mitunter erlauschen. Diese Einstudierung rechtfertigt aber auch die Wertschätzung, die ihr zuteil wird. Vom Dirigenten, Regisseur, Bühnenbildner über die prächtigen Solisten bis zum Orchester eine geschlossene Leistung. Unter der berufenen Leitung Jaroslav Krombholc’ sangen wieder Sena Jurinac ihre ergreifende Jenufa, Waldemar Kmentt seinen metallischen Laca, Jean Cox seinen unausgeglichenen Stewa, Elisabeth Höngen ihr schlichte Buryja. Die Küsterin lag wieder in den Händen von Christl Goltz, die aber leider an die gute stimmliche Leistung bei ihrem Erstauftreten in dieser Partie nicht anknüpfen konnte. Die Stimme klang müde, stumpf und die Wortdeutlichkeit sank adäquat der Stimmkapazität. Hans Braun als unprofilierter Altgesell, Ljubomir Pantscheff als Richter und die reizende Lucia Popp als dessen Tochter Karolka komplettierten das Ensemble.
BALLETTABEND am 17. April
CAPRICCIO am 18. April
Die Besetzung der Wiederaufnahme unterschied sich nur in Gerda Scheyrer, die die Gräfin sang. Es gibt keine Besprechung im Merker, da durch einen Vervielfältigungsfehler eine Seite leer geblieben ist.
DON CARLOS am 19. April
Leider fehlt auch hier der Anfang der Besprechung, die dem Philipp von Boris Christoff gegolten hat.
…..Wort und von der dramatischen Situation an diese Szene heran. Für den Belcantisten ist gerade sie ja vielleicht gar nicht so besonders interessant. Eberhard Wächters Posa ist der Diplomat, der Streiter für Freiheit und Recht, der Edelmann, aber auch der treue Freund in geradezu vollkommener Weise, und gerade bei dieser Rolle kommt er über Schiller wunderschön an Verdi heran. (Was beim Luna, via Camerone, wesentlich schwieriger zu sein scheint). Er sang sehr konzentriert und sehr schön, besonders den Abschied. Beim Tod übersteigerte er sich etwas, und wenn er das tut, bekommt die Stimme einen Faden. Leonie Rysanek sang die Elisabeth. Sie war prächtig bei Stimme, die Spitzentöne explosiv und die Piani sehr schön, aber die Königin ist nicht gerade „ihre“ Partie. Hier stört ihre Neigung, die Töne von unter anzubohren. Außerdem ist die Phrasierung nicht ganz so, wie sie sein sollte. Grace Bumbry gastierte als Eboli. Auf der Bühne hatte sie wenig zu bieten, raumgreifende Gesten unter anderem und einen gezierten Teepuppengang. Wieland Wagners-Ur-Mutter-Idee läßt sich eben nur sehr begrenzt anwenden. Die Stimme freilich ist interessant, eine rasante, dunkle, dramatische Stimme mit pastoser Tiefe. Wie man schon an ihrer Bayreuther Venus erkennen konnte, ist die Höhe weniger ergiebig, wenn sie sich auch bei Verdi weit leichter tat, als bei Wagner. Das maurische Lied, apart und mit sinnlichem Timbre serviert, war prächtig gesungen. Die vereinten Heerscharen der deutschen Stehplatzgäste, Neu-Bayreuther und Neger-Adoranten (auch Reri Grist hat ähnliche Beifallssalven) veranstaltete allerdings eine Ovation, die zwar in der Interpretation, nicht aber in dem Lied selbst drinnen war. Merkwürd’ger Fall! Demnächst wird noch Lucia Popp, die eine hervorragende „Nadelarie“ im vierten Akt Figaros Hochzeit singt, nach dieser minutenlang umjubelt werden. Die große Eboli-Arie, in der es heißt, stimmlich Farbe zu bekennen, war dann sehr aufschlußreich. Den langsamen Teil sang Frau Bumbry pianissimo, um für den Schluß zu sparen. Nichtsdestoweniger verliert sie in der Höhe das Timbre völlig, wird scharf und grell – und außerdem peilt sie die Spitzentöne nur kurz an. Da sind uns die braven Sängerinnen, die sich im Mittelteil verausgaben und dann zum Schluß heldenhaft untergehen, fast lieber. Die Phrasierung war besonders in der Arie und im Gartenbild weit von Verdi entfernt. Paul Schöffler als Großinquisitor, dessen Stimme, wenn sie ruhig geführt wird, noch immer sehr schön klingt, vertrat die Kirche mit unübersehbarer Persönlichkeit. Tugomir Franc sang einen guten, im slawischen Timbre dem König Philipp verwandten Karl V. und Giuseppe Zampieri war so indisponiert, daß man gelegentlich meinte, er müsse aufhören. Er hätte sich gleich zu Anfang und nicht erst nach der Pause entschuldigen lassen müssen. (Aber vielleicht war dafür niemand zuständig, auch das ist ja schon vorgekommen). Giorgio Goretti, der fesche Eleve, der die Opernabende bis jetzt aus der Perspektive der Künstlerloge verfolgt hat, stand als Lerma zum ersten Mal auf der Bühne. Er hat in seiner Rolle so prominente Vorgänger wie Corelli und Wächter, aber wie die Stimme Gorettis tatsächlich beschaffen ist, weiß man noch immer nicht. Der Dirigent sei auch ergänzt: Janos Ferencsik.
DER ROSENKAVALIER am 20. April
Der Abend hielt, was die Besetzung versprach. Den Stammbesuchern versprach sie zu wenig, deswegen zierten sie das Haus nicht mit ihrer Anwesenheit, wobei natürlich auch der Umstand, daß am Tag zuvor ein ausgezeichnet besetzter Don Carlos angesetzt war, von Bedeutung gewesen sein mag. Die Sitzplätze waren, dank des Theaters der Jugend ausverkauft. Dieses Publikum zeigte sich ziemlich zufrieden. Hans Swarowsky sorgte für einen unfallfreien Ablauf, dirigierte in seinem trockenen, akademischen Stil und ließ sich auch von den walzerseligen Stellen nicht dazu bewegen, aus seiner Reserve zu treten. Die „Federbetten“ waren ziemlich harte Matratzenlager. Immerhin dankt man ihm einen guten Aufbau des Schlußterzetts. Die Marschallin ist eine der besten Partien Hilde Zadeks, in der sie durchaus akzeptabel ist. Sie wahrt das Damenhafte der Rolle, die Diktion ist verständlich. Von Otto Edelmann hörten wir wieder einen wienerischen Ochs, der die Lacher auf seiner Seite hatte. Anneliese Rothenberger strahlt als Sophie noch immer große Lieblichkeit aus und ist mit viel Anteilnahme bei der Sache. Die Stimme ist breiter geworden, hat aber trotzdem ihren Reiz behalten. Die Krone des Abends gebührt aber Christa Ludwig. Der schelmische, spitzbübische Oktavian, den sie auf die Bühne stellt, ist eine Figur aus einem Guß, genauso ihr herrliches Organ, das in seiner Ausgeglichenheit derzeit konkurrenzlos ist. Dem Himmel sei Dank, daß wir diese großartige Künstlerin unser Eigen nennen können! Anton Dermota quälte sich mit der Sänger-Arie.
EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 21. April
Das Werk erschien nach längerer Pause wieder im Spielplan. Die verkauften Karten waren an den Fingern abzuzählen. In den Logen, auf der Galerie und am Balkon konnte man genau erkennen, bis wohin das Abonnement an normalen Abenden reicht. In diese Aufführung wollte keine Stimmung kommen, bis auf die Szene wo Erich Kunz wieder seinen großartigen Zettel auf die Bühne stellte. Gerhard Stolze blieb als Oberon merklich unbeteiligt. Seine Titania kam diesmal aus Hamburg. Stina-Britta Melander hat die Partie schon oft in der dortigen Inszenierung gesungen. Ein Urteil über sängerische Qualitäten abzugeben, ist bei derartigen Partien unmöglich, wie es ja überhaupt schwierig ist, über gesangliche Leistungen in modernen Opern sich ein gültiges Urteil zu bilden. Das heimische Ensemble bekam reichlich Gelegenheit, sich im Elfenhain bei Dämmerlicht zu tummeln. Gundula Janowitz, Margareta Sjöstedt, Robert Kerns und David Thaw hatten die Verliebten zu spielen. Das muntere Handwerkerquintett bildeten Ludwig Welter, Ferry Gruber, Ljubomir Pantscheff, Peter Klein und Hans Braun. Margarita Lilowa und Frederick Guthrie und der ausgezeichnete Heinrich Schweiger ergänzten das Ensemble. Diesmal stand Wilhelm Loibner am Pult. Er störte uns nicht so sehr wie bei Mozart.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 22. April
Das Schicksal bescherte uns zwei neue Sänger. Sie kamen aus dem Süden und nicht über das Meer, angefeindet von der heimischen Mittelgarde, waren verhältnismäßig jung und wahrscheinlich gar nicht teuer. Mit ihnen ging die Sonne auf der Bühne auf, und der demonstrative Beifall des Publikums für sie bewies, daß man in Wien Verdi mit Stimme gesungen hören und nicht mit Tiefenpsychologie dargestellt haben will. Bruno Prevedi sang mit Bravour einen sehr guten Alvaro. Noch ist seine maskuline und mit einem edlen Timbre ausgestattete Stimme nicht in die formvollendete Schulung gebracht, aber wie sehr freute man sich über die ungezwungene Art seines Singens, die Natürlichkeit seines Vortrags und den vollen Einsatz. Mehr Kontrolle in der Höhenlage und Prevedis Name wird mit Gold aufgewogen. Licinio Montefusco als Carlos ließ ebenfalls aufhorchen. Die Stimme besitzt sogar Samt in ihrer Aussage, und der Referent dieses Abends konnte sich nicht genug wundern, wie sehr sich dieser junge Mann innerhalb eines Jahres, wo er in Florenz den Renato sang, verbesserte. Der Weizen sondert sich eben vom Spreu ab. Wo aber liegt der Weizen hier am Ring? Betrachten wir Gerda Scheyrer als Leonore. In musikalischer Hinsicht allerdings blieb kein Wunsch offen. Sie hat die Partie im kleinen Finger, aber hat sie auch die Größe für diese Partie? Hat sie das innere Erleben und wo bleibt ihr dramatischer Ausdruck? Mit ihrer Leonore kann sie nur auf deutschen Bühnen gastieren, das Tor für die großen Bühnen der Welt bleibt ihr verschlossen. Ihr Name wird sich über einen lokalbedingten Raum kaum verbreiten. Biserka Cvejic als Preziosilla war eine arge Enttäuschung. Sie sang sehr ungenau und mit zu wenig Stimme. Boris Christoff gestaltete mit fahlem und düsterem Organ einen eher diktatorischen als gütigen Pater Guardian. Karl Dönch als Melitone sang in seinem Urstil. Was Wunder, daß bei diesem Gesang die Klostersuppe nicht ausgelöffelt wurde? In den Nebenrollen fiel Tugomir Franc mit seinem fülligen Baß auf. Berislav Klobucar brauchte eine relativ lange Anlaufzeit um den Abend in Schwung zu bringen. Italiens junge Sängergeneration besiegte eindeutig das heimische Tra-Ra um unsere Ensemblemitglieder.
CARMEN am 23. April
Georges Pretre müßte man in Riesenlettern über die Aufführung schreiben, denn er war einfach grandios. Die Carmen-Interpretation Pretres ist die wohl beste und faszinierendste neben der Karajans. Mit Feuereifer spürt der Dirigent allen klanglichen Nuancen nach und vermochte das Orchester (trotz schlechter Abendverfassung des Konzermeisters und einiger „Blechschäden“) zu einer großen Leistung mitzureißen. Im letzten Akt allerdings blieben sowohl der Chor als auch das Ballett und der Einzug der Statisterie in die Arena auf der Strecke, weil man den raschen Tempi Pretres nicht gewachsen war. Daß die Mär verbreitet wird, Pretre sei nicht mehr so spontan wie bei seinem Wiener Debüt, dürfte wohl damit zusammenhängen, daß er ebenso wie Karajan nicht bei der richtigen Schallplattenfirma verpflichtet ist! Dem Publikum hat Pretre jedoch nach wie vor ausgezeichnet gefallen. Hätten wir nur mehr so ausgezeichnete Dirigenten, da wäre uns wohler zu Mute und es gäbe weniger Missfallenskundgebungen für Dirigenten! Wilma Lipp bot als Micaela die beste Leistung des Abends. Sie singt die Partie ausgezeichnet (schade, daß sie abermals an manchen Stellen unnötig forciert) und ist auch in der Erscheinung glaubwürdig. Biserka Cvejic ist eine passable Carmen, aber nicht mehr. Sie ist, seit sie die Partie in ihr Repertoire aufgenommen hat, kaum in diese hineingewachsen (man kann diese Rolle einfach nicht erspielen), und gesanglich hatte sie keinen guten Abend. Auch Frasquita und Mercedes waren mit Lotte Rysanek und Margareta Sjöstedt nicht sonderlich gut besetzt. Gänzlich unterbesetzt jedoch war der Escamillo mit Gilbert Dubuc. Das Volumen der Stimme ist klein. Die für die Partie erforderliche Tiefe fehlt und das Auftreten ist recht bieder. Für den erkrankten Usunow wurde der französische Tenor Paul Finel (Pariser Oper) verpflichtet, der wie alle französischen Tenöre einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Das Timbre ist uninteressant, in der oberen Mittellage macht sich ein starkes Tremolo bemerkbar und in den beiden letzten Akten wird die Stimme sehr forciert. Darstellerisch war er in den ersten beiden Akten unkompliziert und einfach, dann jedoch unerwarteterweise zu temperamentvoll. Robert Kerns war ein guter Zuniga, die beiden Schmuggler von Peter Klein und Harald Pröglhöf keine Ohrenweide. Der Chor zeigte schlechte Verfassung, besonders der Auftritt des Herrenchors im ersten Akt ist jedes Mal ein Fiasko.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 24. April
Herr Direktor Hilbert fand die Aufführung großartig, nicht ohne harte Worte auf den künstlerischen Leiter des Hauses (der ihn immerhin ins Haus holte) zu finden, womit er natürlich auf offene Ohren traf. Wer tritt schon gerne von der Künstlergeneration ab? Noch dazu, wenn der anwesende Direktor alles ausgezeichnet findet? Wie oft hörte man in gewissen Künstlerkreisen Klagen über die Verschwendungssucht von Steuergeldern für prominente Gäste. Aber haben sich die Ankläger einmal ausgerechnet, wie viel an Steuergeldern sie selbst verursachen? Was war an diesem Abend wirklich honorarwürdig? Der Zuhörer döste vor sich hin und dämmerte dem Ende entgegen. Das Fallen des Beiles erlöste ihn vor dem Einschlafen. Anneliese Rothenberger als Schwester Konstanze war der Sonnenschein auf der Bühne. Elisabeth Höngen als Madame de Croissy verriet große Schauspielkunst. Irmgard Seefried als Blanche flatterte wie das Irrlicht der Unruhe über die Szene und Christl Goltz als Mutter Maria verkörperte altes Opernformat. Berislav Klobucar versuchte alle Elemente zu vereinigen. Fazit: ein Abend, den man bereits beim Durchqueren der Opernpassage vergessen hatte.
DON CARLOS am 25. April
Diese Aufführung war wesentlich geschlossener als die vorhergehende, schon des Dirigenten – Alberto Erede – wegen. Auch ihm macht das schwere Werk gelegentlich zu schaffen, aber er trifft die Dramatik und die Verdi’sche Linie und hat dabei wunderschöne Stellen. Bruno Prevedi war als Carlos zu hören. Umbesetzungen der Titelrolle gibt es bei uns so wenige, daß man sich auf jeden neuen Carlos freut. Prevedi, schmal, blaß, mit nervösen Händen, ist optisch fast eine Ideallösung. Der schönen kraftvollen Stimme wurde er in der ersten Szene noch nicht ganz Herr. Vielleicht war er auch nur nervös. Doch in den beiden Duetten mit Elisabeth, in der Gartenszene und im Autodafé sang er vorzüglich. Antonietta Stella, die freundlicherweise eingesprungen war – es ist ein sehr sympathischer Zug von ihr, daß sie so selbstverständlich und kollegial einspringt – sang ebenfalls hervorragend, mit schöner Stimme und untadeliger Phrasierung. Darstellerisch blieb sie kühl, aber hoheitsvoll. Christa Ludwig setzte für die Eboli ihre Künstlerpersönlichkeit, ihre Intensität und ihre prächtige, explosive Stimme ein. An diesem Abend erfolgte der Applaus, wo er bei einer Eboli hingehört – nach der großen Arie. Boris Christoff und Eberhard Wächter stellten wieder ihre Musterinterpretationen auf die Bühne, vielleicht noch eine Spur intensiver und zupackender. Besonders die Szene Philipp-Posa wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung. Woraus sich die Lehr’ ergibt, die Direktion möge mit ihren Ensemble-Nivellierungsmaßnahmen wenigstens das so spärlich gespielte italienische Fach in Ruhe lassen. Hier herrsche der Spitzensänger ungehemmt und ohne Behinderung. Vielleicht kann man die nötigen Gelder bei Rakes Progress und der drohenden Katarina Ismailova einsparen, die an anderen Bühnen schon vergessen sind? La Gioconda würde zweifellos interessanter sein!
BALLETTABEND am 26. April
DIE VERKAUFTE BRAUT am 27. April
Es war einesteils eine typische Repertoirevorstellung, hätte jedoch andererseits noch wesentlich schlimmer ausfallen können. Daß dies nicht der Fall war, ist in erste Linie der Unverwüstlichkeit des Stückes, ferner der Einsatzfreude des Dirigenten Miltiades Caridis zu danken. Er spielte mit dem ihm willig folgenden Orchester bereits eine derart lockere und tänzerische Ouvertüre, daß man den Eindruck hatte, Krombholc stünde am Pult. Wenn der Kontakt mit der Bühne auch manchmal zu wünschen übrig ließ, so war das bestimmt nicht seine Schuld, sondern in fast allen Fällen die des pragmatisierten Staatsopernchores. Von den Protagonisten ist in erste Linie Waldemar Kmentt zu nennen, der den Hans so sehr zu seiner Figur gemacht hat, daß man sich an seiner Stelle nur Fritz Wunderlich vorstellen könnte. Gerda Scheyrer als Marie bemühte sich sehr um reinen, schwebenden Klang der Stimme, vergaß aber dadurch streckenweise, Stimme zu geben, sodaß sie öfter unhörbar blieb. Das war besonders in ihrer Arie zu spüren, obwohl die Orchesterbegleitung durchaus nicht übertrieben laut war. Oskar Czerwenka versucht durch forsches Spiel und akrobatische Einlagen (Dukatenduett) die Rauheit der Stimme zu kaschieren. Überraschend gut war der Wenzel von Peter Klein, der sich neben der bekannten Leistung Dickies ohne weiteres sehen und hören lassen kann. Die übrigen Beteiligten erreichten – von Erich Kunz abgesehen – kaum die Papierform. Von der zauberhaften Rennert-Inszenierung ist nun auch nicht mehr viel übrig geblieben, einzig und allein der Zirkus funktioniert noch reibungslos, zur hörbaren Zufriedenheit des Publikums. Alles in allem: eine für die derzeitige Situation der Staatsoper typische Repertoireaufführung.
DON CARLOS am 28. April
Es ist herrlich Boris Christoff so oft als König Philipp zu hören, zeigt aber Einfallslosigkeit der Direktion. Einen großen Sänger, der ein reichhaltiges Repertoire besitzt und der auch der deutschen Oper die Macht seiner Persönlichkeit und die Schönheit seiner Stimme geben könnte (und es bestimmt gern täte, gestände man ihm ein Minimum an Proben zu, die auf alle Fälle dem ganzen Werk zugute kämen) in maximal zwei Partien anzusetzen, ist Eulenspiegelei. Was Wunder, daß es bei vier Don Carlos-Aufführungen in knapp zwei Wochen (wenn auch wie diesmal glücklicherweise durchweg gut besetzt) auch noch nach Beginn der Vorstellung Stehplatzkarten gab. Diesmal dirigierte Alberto Erede, ein Labsal nach Ferencsik. Er mußte zwar in den ersten beiden Bildern hart gegen Ungenauigkeiten kämpfen, bekam aber im Verlauf des Abends Bühne und Orchester gut in die Hand. Einzelne Szenen – Philipp-Arie, Posas Tod – hatten musikalisch großes Format. Besonders auffallend die diesmal sehr sauberen Blechbläser und das schön gespielte Cellosolo. Weniger schön klang es vom Flötenpult. Die drei Herren vergaßen wohl, daß ihre Instrumente zwar aus Metall, aber immerhin Mitglieder der Holzbläserfamilie sind. Sie pfiffen mit ausgesprochen vulgärem Ton. Die Besetzung war durchwegs erstklassig. Antonietta Stella sang eine wunderbare Elisabeth. Stimmlich bestens disponiert, spielte sie auch klug und beteiligt. Christa Ludwigs Eboli war Sonderklasse. In der Darstellung ungemein erregend, war sie gesanglich untadelig. Sie ist wohl die einzige Eboli, bei der man keinerlei Registerwechsel hören kann. Ihre Stimme ist so herrlich geschult, daß sie in allen Lagen gleich schön und edel klingt. Eine Eboli von Weltformat! Bruno Prevedis Carlos konnte sich hören und sehen lassen. Der junge Sänger arbeitet hörbar an sich und bemüht sich, seiner schönen Naturstimme die Geschmeidigkeit zu geben, die sie erst durch eine ganz ausgefeilte Technik bekommt. Herrlich Boris Christoff und Eberhard Wächter. Beide sind so intensiv in Gesang, sprachlicher Diktion und Spiel, daß sie den konventionellen Rahmen des Operntheaters sprengten. Wächter muß sich nur davor hüten, seine Stimme zu forcieren. Sie ist groß genug, um ohne solche Vergewaltigung übers Orchester zu kommen und sie wehrt sich gegen das Brüllen auf ihre Art. Sie wird sonst glanzlos und stumpf. Es wäre traurig, würde sie durch die zwar nicht dauernde, aber doch fallweise rohe Behandlung Schaden nehmen. Paul Schöfflers Großinquisitor wirkte stimmlich sehr angestrengt und mußte dem „ombra di Samuel“ einiges schuldig bleiben. Laut, aber weder mit der Würde eines Königs noch der Demut eines Mönches Frederick Guthrie als Karl V. Gut Gundula Janowitz als Stimme vom Himmel und sicher der Staatsopernchor. Karl Friedrich als Herold ein Lacherfolg!
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 29. April
Hans Swarowsky dirigierte einen Figaro schulmäßig. Das Spiel rollte einschläfernd sanft ab. Mit Ausnahme von Hilde Güden, die als Gräfin als einzige Staatsopernformat verriet, gab es auf der Bühne keine Leistung, die mitreißen konnte. Erich Kunz hat mit der Titelrolle mehr und mehr Mühe. Nach Siepi fiel es auf, mit wie wenig Stimmvolumen und wie wenig belcantesk er die Rolle singt. Anneliese Rothenberger war in schauspielerischer Hinsicht eine reizende Susanna, aber wo blieb an diesem Abend der Silberglanz des Organs? Olivera Miljakovic bemühte sich als Cherubino sehr, aber an die Rohs, Jurinac oder Ludwig durfte man nicht denken. Robert Kerns kam auch nicht so zur Geltung, wie es in der Siepi-Aufführung der Fall war. Oskar Czerwenka, Hilde Rössel-Majdan und die übrigen Nebenrollenträger dokumentierten Mittelmäßigkeit. Sollte diese unter der Ära Hilbert zur Norm werden, ist der Kunstgattung Oper rapider Publikumsschwund sicher.
DON GIOVANNI am 30. April
Es wäre eine gute Aufführung gewesen, hätte man eine gute Besetzung für die Titelrolle gehabt. Statt Nicolai Ghiaurov, auf dessen Giovanni das Wiener Opernpublikum sich umsonst freute, hat die Direktion diese Partie György Melis (aus Budapest) offeriert, der Wiener Ansprüchen nicht gerecht werden konnte. Es fehlt ihm die Ausstrahlung, der Charme und eine für Mozart geeignete Stimme – mit einem Wort einfach alles! So hätte die Oper diesmal Don Ottavio oder Leporello heißen müssen. Fritz Wunderlich sang und spielte einen herrlichen Ottavio. Es bereitet immer wieder ungetrübte Freude, diesen Künstler zu hören. Er ist immer da, setzt sich immer voll ein, Phrasierung, Ausdruck, Rollengestaltung, alles stimmt. Genuß Nummer zwei: nach langer Zeit sang wieder Walter Berry den Leporello, und man erlebte eine profilierte Gestaltung dieser Rolle, ohne Outrage, aber mit genügend Humor ausgestattet und noch dazu mit jenem Quantum von Feigheit, Angst und Bosheit, die für den Leporello nötig ist. Bei den Damen sah es schlechter aus: Gerda Scheyrer bot ihre gewohnte Durchschnittsleistung. Wilma Lipp forcierte über Gebühr, was sie gar nicht nötig hat, ihrer Stimme aber Klangschönheit nimmt und Reri Grist sang die Zerlina mit monotoner Lautstärke, was dem Zuhörer auf die Nerven fällt. Walter Kreppel und Heinz Holecek boten die gewohnten Leistungen. Eine Wohltat war Miltiades Caridis, der einen sehr guten, klanglich differenzierten, tempomäßig gut ausgewogenen Giovanni dirigierte. Bühne und Orchester folgten ihm willig. Lediglich ein Hornist reinigte prinzipiell während Piano-Stellen und Rezitativen die diversen Windungen seines Instrumentes und blieb damit bis weit in den zweiten Akt hinein beschäftigt.
WELTTHEATER ODER MEINUNGSZIRKUS?
Von H.-G. Hoffmann, Hamburg
Die Hamburgische Staatsoper hat in den letzten Jahren mehr als einmal durch die Methoden ihrer Public-Relationsarbeit auf sich aufmerksam gemacht. Auch wir haben an dieser Stelle wiederholt betont, daß die Wiener Staatsoper von den teilweise großzügigen Werbekampagnen für die „Hamburger Maßarbeit“ der Ära Liebermann in vielen in- und ausländischen Zeitungen allerhand lernen könnte. Doch schon um der künstlerischen Wahrhaftigkeit nicht ganz das Lebenslicht auszublasen und die Maße wieder ein wenig ins rechte Lot zu rücken, scheint es langsam an der Zeit, die Opernfreunde jenseits von Nordsee und Alster auf einige Einzelheiten Hamburger Seelenmassage aufmerksam zu machen. Den Vorwurf der Nichteinmischung in die interne Arbeit anderer Institute können wir in diesem Fall ruhigen Gewissens zurückweisen, da es die Hamburger Generalintendanz nie versäumt, die Arbeit anderer internationaler Opernhäuser (und hier wiederum vor allem Wien und Milano als ihren augenscheinlichen Todfeinden ungerechtfertigt anzugreifen. Man weiß wohl in der internationalen Fachwelt ganz genau (und besonders mündliche Berichte und ein Blick in den Wochenspielplan bestätigen es immer wieder), daß gerade in Hamburg nur mit Wasser gekocht wird. Trotzdem bleibt es stets verblüffend zu lesen, in welcher Fata Morgana die Muse an der Alster ständig zu schweben scheint.
Beginnen wir unseren Pressespaziergang mit einem Artikel in „Kristall“ (Nr. 21, Oktober 1963). Titel „Kristall bei R. Liebermann – Macht Welttheater“ von Gerd Klepzig. Dort liest der staunende Opernfreund eine Feststellung, die mindestens dreimal täglich irgendwo dahergebetet wird: „Unter der Leitung des Intendanten… Rolf Liebermann ist die Hamburgische Staatsoper eine der bedeutendsten Musikbühnen der Welt geworden. Der 53jährige Deutsch-Schweizer, der als meistaufgeführter lebender Opernkomponist gilt“ (wer hätte das außer dem Verfasser des Artikels bisher wohl schon gewußt? Aber über derlei – für Hamburger Verhältnisse – harmlose Lobhudeleien kann man noch lächelnd hinwegsehen), „ist in der norddeutschen Hafengroßstadt seit 1959 Intendant.“ Dann geht es aber auch schon Schlag auf Schlag. „Inzwischen ist es ihm nicht nur gelungen, Künstler von Weltrang für Gastspiele zu gewinnen und der beim hansischen Publikum bis dahin unbeliebten Ballettkunst starken Zulauf zu verschaffen. Er hat auch ein festes Ensemble zusammengebracht und gehalten, das in der Mailänder Scala willkommen ist und dessen Mitglieder auch an der New Yorker Metropolitan Opera auftreten. Die Kasseneinnahmen der Hamburgischen Staatsoper sind seit Jahren die besten, die von deutschen Opernhäusern erzielt werden.“
Diese wie fast alle übrigen knallharten Fakten werden aber nur höchst ungern auf eine konkrete Basis gestellt. Was wirken soll – und wohl auch beim Großteil der unmündigen Leser wirkt – ist gerade die ungewisse Dimension. In dem mit menschlicher Wärme förmlich überschütteten Artikel folgt dann des munteren Opernzaren stereotype Feststellung:„ Allein das Subventionstheater gibt die notwendige Freiheit für die Kunst!“ (Und vor allem auch die nötige Rückendeckung, um die Meinung des Publikums – vom Geschmack ganz zu schweigen – mit einer lässigen Handbewegung wegzuschieben). L’opera, c’est moi!’ „Liebermanns bedeutendster Erfolg als Intendant“ – so geht es im altbewährten Stil weiter – „war sein Sieg in dem internationalen Tauziehen, das sich vor Igor Strawinskys achtzigstem Geburtstag entspann: An welcher Bühne würde der Weltaltmeister anläßlich dieses Ereignisses dirigieren? Strawinsky dirigierte sein Apollon musagète an der Hamburger Staatsoper, die dadurch für einen Tag zum Mittelpunkt der Musikwelt wurde.“ Auf diese Weise läßt sich sogar ein nichtsahnender Komponist vor den Karren des eigenen Ruhms spannen. „Daß der Rahmen der großen Feste von der täglichen Leistung der Staatsoper bestätigt wird, verdanken die Hamburger und das immer wieder herbeireisende Mitpublikum dem sorgsam ausgewählten und gepflegten Ensemble, dem die besondere Aufmerksamkeit des musikalischen Intendanten gilt. Das Ensemble macht das Haus rentabel!“
Demnach muß es wirklich eine Lust sein, in Hamburg zu leben. Aber soweit hält sich alles noch schön brav im eigenen Opernbunker. Im nächsten Artikel geht es schon erheblich massiver zu (Opernwelt, Heft 1, Januar 1964): „Liebermann und die Hamburgische Staatsoper“ von Johannes Jacobi. Nach dem üblichen Vivat und der devoten Verbeugung vor dem alleinseligmachenden Ensembletheater („Diese deutsche Theaterspezialität“ heißt es dazu mit provinzieller Selbstüberheblichkeit) geht es auf die böse, uralte, verstaube, unmoderne, mit einem Wort hinterwäldlerische Scala und Met los.
„Für sich selber darf Liebermanns Hamburgische Staatsoper (wie wäre es in Zukunft mit Bezeichnungen wie Bings Met und Karajans Wiener Oper) auf ihren Auslandsreisen die internationale Bestätigung eines Musiktheater-Stils verzeichnen, demgegenüber die Met und Scala neunzehntes Jahrhundert, szenisches Konzert in Kostümen bedeuten.“ Natürlich muß auch Karajan herhalten, den Liebermann – was das Opernsystem betrifft – als seinen Gegenpol empfindet. Die nächste Walze ist auch schon uralt, wird aber mit nie erlahmender Regelmäßigkeit wieder unter das Volks geschmuggelt. „An ihrem Repertoire gemessen, nicht an ihren Gagen, ist die Hamburgische Staatsoper augenblicklich ein deutsches Spitzeninstitut. Sie kann für ihren Spielplan zwischen 60 und 65 verschiedenen Abendprogrammen wählen“ (was sie aber nie tut, im MERKER nachzulesen). Hauptsache, der Superlativ stimmt. In die bunte Schale aufgebauschter Nebensächlichkeiten fällt dann plötzlich ein (sicher unbeabsichtigter) Pfropfen Essig: „Das Haus hat 1700 Plätze. Wenn nicht täglich 1000 Stammieter darin säßen, wäre es halb leer. An abonnementfreien Wochenenden werden auch für Zugstücke nur 800, höchstens 1000 Eintrittskarten zu vollem Preis verkauft.“ Über das Warum verliert man natürlich in diesem Fall unter Gentleman kein Wort. Nicht nur den Hamburger Opernfreunden ist mittlerweile aufgefallen, daß die mit vielen guten Worten ins Leben gerufenen „Festlichen Opernabende“ heuer nicht stattfinden.
Dafür mag es viele Gründe geben, doch den folgenden sicher nicht: „Welche Chance die berühmtesten internationalen Stars in der volkreichsten Stadt der Bundesrepublik tatsächlich besitzen, das erwies sich im Frühjahr 1963 bei den Festlichen Operntagen der Hamburgischen Staatsoper. Da gastierten Starensembles à la Karajan. Nicht einmal Verdis Don Carlos war echt ausverkauft, obwohl in den Hauptpartien Weltklassesänger auftraten: Leonie Rysanek, die Simionato und Boris Christoff. Die teuersten Plätze hatten nur 40,— DM gekostet. Das Startheater hat in Deutschland keine Publikumschance. Hamburg beweist es.“
Spricht das nun gegen das Publikum oder gegen die Künstler? Wer hält hier eigentlich wen zum Narren? Wenn sich in Deutschland nicht bald Stimmen zu Wort melden, die gegen derartigen Unfug endlich zu Felde ziehen, könnte sich eines Tages international wirklich eine solche Meinung durchsetzen. Bekanntlich sind dann später schlechte Meinungen viel schwieriger wieder auszurotten. Hamburg als Hort deutscher Opernkunst! Was soll man dazu sagen?
Doch es kommt noch einige Töne schriller. In der Schweizer Weltwoche erschien am 13. März 1964 ein Beitrag von Curt Riess, der den vielsagenden Titel trug „Rolf Liebermann oder wie man ein modernes Operntheater aufzieht“ (ein Anti-Karajan-Artikel desselben Autors ging ein halbes Jahr voraus. (Nachtigall ich hör dir trappsen!) Hier wird nun gleich mit Kanonen auf die Liebe Konkurrenz geschossen. Unter Anspielung auf einen nicht zustandegekommenen Kontrakt mit Liebermann in Zürich heißt es nachbarlich liebevoll: „Wir wissen, was sich inzwischen in und um das Stadttheater Zürich getan hat, und die Welt weiß, was aus der Hamburger Oper geworden ist.“ Was waren die Schweizer doch für Narren, daß sie damals nicht zugriffen! Jetzt laufen sie völlig außer Konkurrenz.
Aber zurück zu unserem Artikel und dem Maschinengewehrfeuer aus dem Hinterhalt. „Die Hamburgische Staatsoper wird heute von vielen Fachleuten für die beste Oper der Welt gehalten.“ Es wäre wirklich ungemein aufschlußreich, einmal die Namen solcher Fachleute zu erfahren. Aber von Zahlen, Fakten und konkreten Namen ist in der Hamburger Pressezentrale anscheinend nur höchst ungern die Rede. In der Anonymität läßt sich die Suppe ja auch viel dicker zusammenbrauen. Zur Erläuterung des Universalcharakters des Hamburger Notenturms heißt es dann weiter: „Natürlich gibt es an anderen Opernhäusern, wie etwa in Wien oder an der Scala, gelegentlich Aufführungen, die alles in den Schatten stellen, was sonst irgendwo aufgeführt wird, auch von Hamburg. Aber eben nur gelegentlich. Während in Wien, an der Scala., in der Met viele Aufführungen unter dem Mittelmaß liegen, gibt es seit einigen Jahren in Hamburg nicht eine einzige Aufführung, die nicht als erstklassig bezeichnet werden dürfte.“ Aber anscheinend haben es nicht einmal solche faustdicken Lügen zuwege gebracht – oder vielleicht gerade deswegen? –, daß Weltklassesänger ihre Karriere mit der in Superlativen erstickenden Nordlandmaid verknüpfen wollen. Der stellvertretende Direktor Herbert Paris (Hamburg) berichtet über so ein armes Opfer irregeleiteten Wahnstrebens: „Neulich boten wir einem großen Wagnersänger an, ganzjährig mit uns abzuschließen. Wir boten ihm eine tolle Gage. Wir rechneten ihm aus, daß er besser wegkäme, als wenn er immerfort unterwegs sei. Im übrigen hätte er keine anstrengenden Reisen mehr. Er lehnte ab. Seine Begründung: Wenn er nicht jedes Jahr in der Met, in der Scala, in Wien oder weiß Gott sonst noch wo aufträte, falle sein Weltmarktpreis, die Plattenfirmen würden aufhören, ihn zu holen, in Kürze würde er eine Art Provinzkünstler werden.“ Für diese Hellsichtigkeit wurde der – namentlich nicht genannte Künstler – mit den Worten bedacht: „Wie gesagt, es gibt Fälle, in denen nicht einmal Geld und gute Worte helfen.“ Diese Beispiele, wahllos aus der internationalen Presse herausgegriffen, sagen mehr als viele Worte und tiefschürfende Analysen, daß man in Hamburg die sachliche Ebene des Vergleichs und den künstlerischen Maßstab völlig aus den Augen verloren hat. Wenn man aber schon im eigenen Land so gern über andere Institute herzieht, sollte man beim Überschreiten der Grenzen nicht alle Formen des guten Geschmacks und der künstlerischen Wahrheit über Bord werfen. Diese Form der Brunnenvergiftung sät nur böses Blut und wirkt sich auf die Dauer doch als Bumerang aus. Obgleich keines der Zitate von Herrn Liebermann selbst stammt, dürften doch alle Artikel mit seinem Wissen und Einverständnis erschienen sein. Dafür spricht schon der Hinweis bei Curt Riess, daß ein Teil des täglichen Arbeitsprogramms des Intendanten mit der Vergabe von Interviews an die Presse ausgefüllt wird. Wenn dann allerdings solche Ansichten ans Tageslicht gefördert werden wie: „Das Rezept der Wiener Oper, gelegentlich Sensationen zu bieten, aber sonst im alten Trott weiter zu machen, ist für ihn – Liebermann – nicht anwendbar“, ist der Schritt von der Persiflage zum Ärgernis getan. Es wäre an der Zeit, einmal gründlichst vor der eigenen Tür zu kehren, bevor man sich von Hamburg aus mit wirklich internationalen Bühnen anlegt. Der Hinweis auf die Müllabfuhr ist da vielleicht gar nicht einmal so schlecht, den Herr Liebermann selbst gegeben hat. „Der Etat dieses Riesenbetriebes – der Hamburger Oper – beläuft sich auf 11 Millionen Mark. Bei ausverkauftem Haus – und die Hamburger Oper ist immer ausverkauft – werden rund zwei (!!!) Millionen eingespielt, also 9 Millionen (!!!) müssen zugeschossen werden. Der Bruchteil eines Prozentes von dem, was die Müllabfuhr kostet.“ Also sollte man diese löbliche Einrichtung auch nach Kräften benutzen.
ES IST VOLLBRACHT
Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 5
Dr. Egon Hilbert wird als der Mann in die Operngeschichte eingehen, der nicht nur während seiner Tätigkeit als Leiter der Bundestheaterverwaltung in den vierziger und fünfziger Jahren – Herbert von Karajan den Eintritt in die Wiener Staatsoper verwehrte, sondern 1964 Karajan wohl endgültig aus dem Haus hinausekelte. Karajan hat es trotz aller Intrigen und Anschläge von allen Seiten sieben Jahre lang in Wien ausgehalten. Er hat in der prekären Situation nach den ausgefallenen Meistersingern des Vorjahres Egon Hilbert selbst in die Oper geholt. Er ist großzügig und gentlemanlike genug, um Vorhergegangenes zu vergessen. Er folgte der Propaganda, die Dr. Hilbert immer als erstklassigen Opernfachmann pries. Das Resultat ist demaskierend. Egon Hilbert hat den reaktionärsten Kurs eingeschlagen, der sich nur denken läßt. Er hat der Provinz Tür und Tor geöffnet. Seine leeren Lippenbekenntnisse von Loyalität und „Oper über alles“ sind in dieser Situation vollkommen und schonungslos ausgelöscht. Man kann erkennen, daß nur übersteigerter Ehrgeiz, gigantische Geschaftelhuberei und Komplexbeladenheit allem Großen und Klaren gegenüber der Ursprung der Hilbert’schen Handlungen sind. Es gibt keinen Menschen in dieser Branche, der so ungeniert über seine eigene Person spricht, der so weitschweifig, altmodisch, umständlich und verknöchert handelt und arbeitet. Er spricht von Loyalität und handelt unloyal. Er spricht von Ensemble und errichtet einen Ameisenhaufen aus Provinzlern und Aufhörern. Er spricht von Freiheit und unterdrückt die Meinung des Publikums, für das doch letzten Endes gespielt werden soll. Er umarmt Karajan und stößt ihn dabei auf ein tausendfach stechendes Nadelbrett. Er setzt die bunte Mischung von Gala und Versager, das Auf und Ab zwischen herrlicher und katastrophaler Aufführung, das wir in den letzten Jahren hatten, durch ein grauenhaftes Einerlei von lautstarker Langeweile, durch Dahintrudeln in den schleimigen Gewässern öder Routine. Wir kennen Dr. Hilbert lange genug und haben schon vorbeugend in Heft 7/1963 geschrieben. „Mit Karajan zusammen ist er uns herzlich willkommen, ohne Karajan oder in einer anderen Allianz wäre die Neuernennung für das Wiener Publikum undenkbar“. Nun hat er es fertiggebracht, Karajan aus dem Haus hinauszudrängen, an dem Karajan mit ganzer Seele hängt, obzwar er nie davon redet – denn sonst wäre er doch gar nicht erst gekommen und geblieben. Es ist die grimmigste Rache des Durchschnitts an dem Großen, die seit den Tagen von Gustav Mahler und Richard Strauss verübt wurde. Der Musikfreund trägt Trauer um Weltoffenheit und Aufgeschlossenheit, um die große Linie in Werkwahl und Interpretation. Tür und Tor ist der eklen Qualligkeit des rückschrittlichen Provinzialismus geöffnet. Und die Staatsoper Wien, die unangefochten in der ersten Reihe stand, obzwar nie alle dreihundert Aufführungen im Jahr gleich gut waren, wird um den Kampf im Mittelfeld zwischen Kassel und Mannheim, woher Dr. Hilbert seine neuen Mannschaften importiert, kämpfen und ob des Abstieges in die unterste Klasse bangen müssen, weil die Orchester und Chöre in der deutschen Provinz doch noch etwas fleißiger sind, als unser Personal, das sich wegen der kleinsten Arbeitsleistung hinter der Gewerkschaft verschanzt. Wir sprechen nicht umsonst von Mittelfeld und Abstieg, denn in Österreich muß sich – wie im Fußball so auch in der Oper – erst das größte Unheil abzeichnen, ehe unheilvolle Konstellationen beseitigt und ein Hilfsmittel gefunden wird. Die Österreicher stehen sich und ihren Großen stets selbst im Weg. Wenn Dr. Hilbert Handlungen setzt, die einem Bandlkramer eher anstehen als einem Opernchef und deren Dilettantismus alles schlägt, was in dieser Hinsicht in unserem Hause bisher geleistet wurde, dann findet er zweifellos die Unterstützung jener Ensemblemitglieder, die immer nur zweit- bis letztklassig bleiben werden und ihre volkstümlichen Derbheiten auch nie zu einer Persönlichkeit formen können. Wäre nicht das Publikum davon am Ärgsten betroffen, könnte man sagen, es geschähe ihnen schon recht. Aber nicht Phlegma lautet die Parole, nicht einmal Humor hilft in dieser Situation, jetzt muß jeder, der ein großes Opernhaus, ein Welttheater wünscht, den Kampf aufnehmen gegen die kriechenden Ensemble-Nibelungen. Auf daß unsere heißgeliebte Oper eine Oper bleibe und nicht zum Speisehaus degradiert wird, wie es bereits am 2. Mai 1964 der Fall war, wo die Aufkäufer einer Staatsopernvorstellung an reichgedeckten Tafeln in der Loggia festlich schnatterten! Die Duldsamkeit ist zu Ende, jetzt heißt es ENTWEDER – ODER!