DER MAI 1964

9. Jahrgang, Heft 6

 

Wir hören immer Wonnemonat! Das war wahrhaftig einer! Karajan-Demission – Freudentänze, Räusche und Glückstaumel der Hasser und Neider, obzwar diese ja allesamt nicht jünger und auch nicht besser werden, wenn die Wiener Staatsoper ganz versumpert, ein Ring (der hoffentlich der des Polykrates ist) für den Herrn Direktor Hilbert, Sesselrücken und Fädenspinnen, aber tiefe Traurigkeit und Niedergeschlagenheit im Publikum. Wir können nur eines so gar nicht verstehen. Daß die Künstler, die doch ohnehin gesichert sind (wir reden jetzt gar nicht von den notorischen Karajan-Gegnern) nicht soviel Mark in den Knochen haben, um für einen Großen einzutreten. Aber er ist vielleicht selbst für Persönlichkeiten von Format, die zweifellos auch dem Ensemble der Wiener Staatsoper angehören, einfach zu groß. Was das Publikum zutiefst verbitterte, war z.B. das Verhalten der Wiener Philharmoniker. Nie im Leben würde es ihnen einfallen, sich bei Karajan-Festwochen von ihren Stühlen zu erheben oder an ihre Instrumente zu klopfen. Aber bei Herrn Ferencsik, wenn dieser anläßlich einer seiner öden Knallereien ausgezischt wird, da können sie’s! Sie sollen sich Ferencsik doch nehmen, sie sollen ihn behalten, vielleicht hat er die richtige Schallplattenfirma! Vielleicht nehmen die Philharmoniker einmal alles mit ihm auf, Auflagen 6000, Verkauf 1500 Stück! Es wäre ihnen zu vergönnen, für die Wetterfähnchenhaltung, die sie seit 1947 in ihrem Verhältnis zu Karajan bewiesen haben. Das Publikum hat ein besseres Gedächtnis, als viele denken, und erwartet von den Wiener Philharmonikern eine Stellungnahme für Herbert von Karajan, und zwar nicht nur in der Form, daß sie herrlich spielen, wie das beim Parsifal am 24. Mai zweifellos geschah. Das Publikum hat ja leider nur die Möglichkeit, seine Verehrung und Liebe zu Herbert von Karajan durch lautes Gebrüll auszudrücken. Kein sehr stilvolles Verfahren, aber offenbar das wirksamste – und nötigste. Herbert von Karajan hat sensible Künstlernerven – er wird es spüren, was in einem solchen Aufschrei mitschwingt: Nicht nur die maßlose Angst des Stammpublikums vor einer provinziellen Zukunft, nicht nur die Verehrung für einen großen Dirigenten. Am Anfang seiner Operntätigkeit hat das Publikum Herrn von Karajan respektvoll geachtet. Durch die drei Krisen (die uns wahrscheinlich erspart geblieben wären, wenn die Presse, sowie Rundfunk und Fernsehen sich von Anfang an anders verhalten hätten) ist es ihm näher gekommen – jetzt liebt es ihn!

 

OTHELLO am 1. Mai

Der Opernfreund erwartete sich an diesem Abend – zumindest was die Sänger betrifft – eine erstklassige Vorstellung, die durch das lang erwartete Wiedersehen mit Tito Gobbi noch einen besonderen Reiz hatte. „Doch mit des Geschickes Mächten…“, es kam die Absage von Dimiter Usunow, und dies bedeutete bei dem herrschenden Mangel an akzeptablen Othello-Interpreten für unsere Direktion ein beinahe unlösbares Problem. Den Othello durch eine andere Oper, Tosca etwa, zu ersetzen, kam deshalb nicht in Frage, weil die Dekoration bereits aufgebaut war und die Bühnenarbeiter den Tag der Arbeit frei hatten. Es mußte also bei Othello bleiben, und ein Titelrollenträger mußte also her, koste es, was es wolle. Er kam in Gestalt Walter Geislers, der die Partie zum Gaudium des Auditoriums deutsch sang. Wie komisch es klingt, wenn Othello mit den Worten „Was sagst du?“ auftritt und Jago darauf antwortet: „Nulla“, kann nur der ermessen, der dabei war. Beschreiben läßt sich’s nicht. Da Herr Geisler durch sein Einspringen immerhin die Vorstellung und das Wiedersehen mit Gobbis Jago ermöglicht hat, soll seine Leistung hier nicht näher untersucht werden. Man wundert sich jedoch über den Mut oder die Keckheit,  mit der ein deutscher Mittelklassetenor es wagt, Hals über Kopf neben zwei Weltklassesängern auf die Bühne zu steigen, noch dazu in einer italienischen Aufführung. Daß er vollständig und nicht einmal mit fliegenden Fahnen unterging, wird wohl niemand in Erstaunen setzen, wohl aber, daß Herr Geisler für unsere Herren in der Operndirektion der Weisheit letzter Schluß gewesen zu sein scheint. Wenn schon wirklich kein Italiener aufzutreiben war, hätte es doch nicht gleich die tiefste deutsche Provinz sein müssen. Den derzeit sicher besten deutschen Othello, Wolfgang Windgassen, hat man zum Beispiel nicht einmal gefragt, ob er bereit wäre, einzuspringen, obwohl er an diesem Abend frei war. Bei einem wirklichen Künstler hätte man im gegebenen Notfall sicher auch die deutsche Sprache hingenommen. Da der Sänger aber am Ring persona non grata zu sein scheint, kam das Publikum um diese interessante Begegnung. So herrschte auf der Bühne unumschränkt Tito Gobbi, ein „primo uomo“ der Opernbühne, wie es heute nur wenige gibt. Sein Jago trägt über dem Grundton eiskalter Bosheit und skrupelloser Herrschsucht so viele Masken treuherziger Biederkeit, aufrichtiger Freundschaft und gewinnender Herzlichkeit, daß es einen nicht wundert, wenn Othello diesem Jago ins Netz geht, der in jedem unbeobachteten Augenblick wie eine giftige Spinne darauf lauert, es zusammenzuziehen. Der Punkt in dem Jago wie alle Shakespearschen Bösewichter wenn schon nicht die Sympathie, so doch einen Funken Bewunderung von Seiten des Publikums gewinnt, ist bei Gobbis Jago eine unbeschreibliche Eleganz und Formvollendung, die einer vollkommenen Beherrschung aller künstlerischen Mittel entspringen. Dazu gehört auch die Beherrschung der Stimme, die viel ausgeruhter klang als das letzte Mal vor zwei Jahren und die Gobbi je nach Bedarf mächtig erdröhnen läßt (allerdings nicht ohne einiges Forcieren) oder in ein lauerndes Piano zurücknimmt. Der jubelnde Beifall mag Gobbi gesagt haben, wie sehr er uns gefehlt hat, und wird ihn hoffentlich bald wieder nach Wien zurückführen. In Sena Jurinac stand unsere unvergleichlich noble und adelige Desdemona auf der Bühne, deren herbe und zugleich süße Stimme uns die Gestalt näher rückt, als alle aufwendigen Verzweiflungsausbrüche es vermöchten. Der vierte Akt wurde durch sie wieder einmal ein großes Erlebnis. Eine ausgezeichnete Emilia war Biserka Cvejic, Anton Dermota ein Cassio mit Pensionsanspruch. Janos Ferencsik arbeitete wie ein Berserker, um die Ensembles, die durch die verschiedene Silbenanzahl des deutschen und des italienischen Textes auseinanderzufallen drohten, zusammenzuhalten. Vergebliche Mühe – mit Gewalt geht nichts, und Verdi war meilenweit entfernt.

DON CARLOS am 2. Mai

An diesem Abend hieß es wieder Abschied zu nehmen von Boris Christoff. Als König Philipp stand er erneut auf den Brettern des Hauses am Ring und begeisterte durch seine dunkle, erregende Stimme, die prachtvoll geführt wird und seine große Persönlichkeit. Die Höhepunkte der Aufführung waren somit wieder die Szene Philipp-Posa und die große Arie. Wie er den Anfang der Arie singt, verblüfft immer aufs Neue – welch ein großer, begnadeter Künstler! Die Zuhörer feierten ihn demonstrativ und drückten damit den Wunsch aus, daß man auch in Zukunft Herrn Christoff hören möchte. Wie bange wird uns, wenn wir daran denken, daß sich wieder bewährte Ensemblemitglieder auf diese Partie stürzen könnten, die allein durch ihren Stock und lerchenauerisch Gepräge auffallen. Leonie Rysanek sang  die Königin mit großer Stimme, hat aber wie immer in dieser Partie neben unvergleichlichen Piano-Effekten leider auch ihre schwachen Momente (Quartett im Königskabinett), wo sie nicht nur durch unnatürliche Tiefe auffiel, sondern richtiggehend distonierte. Die große Arie hatte sehr viel Ausdruck. Christa Ludwig (Eboli) war wieder hinreißend. Für das apart gesungene Schleierlied hat sie zwar etwas wenig Tiefe, dafür ist die Eboli-Arie aber herrlich. Flaviano Labo übernahm für Zampieri die Titelrolle und war stimmlich ausgezeichnet. Daß er schauspielerisch farblos blieb, fiel nicht ins Gewicht, schließlich war Don Carlos ein schwächlicher, unscheinbarer Mensch. Eberhard Wächter als Posa hingegen war mitreißend in Spiel und Gesang, wenngleich man hier festhalten muß, daß die Stimme heute nicht mehr so eben und schön ist, wie beispielsweise vor zwei Jahren, was wir an Hand einer Bandaufnahme des Carlos aus der Wiener Oper vergleichsweise feststellen konnten. Paul Schöffler war der Großinquisitor und wirkt von Aufführung zu Aufführung in dieser Partie schwächer. Gesanglich ist die Rolle ebenso schwierig wie schauspielerisch, und es ist nicht zu übersehen, daß neben Christoff der Großinquisitor abfällt. Es fehlt Schöffler an jener eiskalten Größe, die Hotter auszudrücken vermag. Tugomir Franc war wieder ein sehr guter Karl V. und Gundula Janowitz eine lichte Stimme von oben. Als Herold konnte man sich von der schauspielerischen Unbeholfenheit Karl Friedrichs überzeugen, der nicht imstande ist, fünf Minuten ruhig stehen zu bleiben, sondern den Stab in seiner Hand ständig von links nach rechts wechselt und dadurch über Gebühr auf sich aufmerksam macht. Es ist uns noch heute unverständlich, daß wir ihn jahrelang als Carlos aushielten! Janos Ferencsik stand am Pult und mißfiel abermals. Seine Tempi waren stellenweise so langsam, daß die Ketzer am Scheiterhaufen höchstens geröstet, aber niemals verbrannt wären und der arme Posa mußte im Zeitlupentempo sein Leben aushauchen. Seine Carlos-Interpretation unterbot den jahrzehntelangen Durchschnitt erheblich. Und es wäre an der Zeit, mit derartigen Verpflichtungen nicht unnötig das Niveau der von der Bühne her ausgezeichneten Aufführungen so mutwillig zu drücken. Das haben weder die Mitwirkenden noch das zahlende Publikum verdient!

MARGARETHE am 3. Mai

Dieses Werk überhaupt anzusetzen muß einem aufrechten Vertreter von Rakes Progress, der Nase und Katerina Ismailowa förmlich körperliche Qualen bereiten. Das Publikum hingegen, das nach gemachten Erfahrungen der Volksopernzeit (Premiere 1947) am Anfang auch ziemlich reserviert schien, ist bereits auf den Geschmack gekommen. Es ist eine sehr schöne Oper, und an Goethe muß man ja nicht unbedingt immer denken. (Wer hat denn auch überhaupt schon eine Faust-Vertonung fertiggebracht?). Die Voraussetzung für einen Genuß dieses Werkes ist allerdings eine hundertprozentige Besetzung, die wir auch schon gehabt haben. Gegen diese anzusingen, ist mehr als schwierig. Überhaupt ist die Interpretation französischer Musik ein Kapitel für sich. Große französische Sänger, an denen man sich orientieren könnte, gibt es nicht, die italienische Schule ist dafür auch nicht das Richtige, denn außer der großen Ausnahme Siepi hat kein italienischer Spitzensänger eine echte Beziehung zur französischen Musik, und ansonsten fehlt es meistens an Timbre. Dabei weiß man gar nicht, wie diese Timbres beschaffen sein müßte. Denn die französischen Stimmen haben ja durch die Bank keines. Doch wirkt es störend, wenn fast lauter Stimmen ohne Parfüm und ohne subtilen Schmelz in diesem Werk eingesetzt sind. Wilma Lipp ist in der Auffassung, im intensiven Gesang und im konzentrierten Spiel ausgezeichnet. Waldemar Kmentt singt den Faust sehr sicher, sehr gut aufgebaut, mit einer Bombenhöhe und spielt auch sehr gut. Robert Kerns, der seinen ersten Wiener Valentin sang, hat eine profilierte und intelligent geführte Stimme, die aber besonders im Piano hart und flach klingt. So fehlte z.B. dem Gebet trotz überlegtem Aufbau und viel Stilgefühl etliches. Wesentlich besser klingt es, wenn er kräftige Forte-Phrasen zu singen hat, da entwickelt sich heldisches Metall. Die Gestaltung der Rolle war gelegentlich ungewöhnlich volkstümlich, aber überlegt. Allen diesen drei vorzüglichen Sängern fehlte genau das, was nur einer an diesem Abend auf die Bühne brachte. Die Gestaltung, die von der Stimme ausgeht. Nicolai Ghiaurov, der Vertreter des intellektuellen Barbarismus, der Mensch gewordene Vulkanausbruch, war wieder in Wien! Es ist unglaublich, wie schön diese aggressive, gefährliche, dunkel-grollende Stimme ist, wie sie drohen, werben, verhöhnen – und explodieren kann! Interessant ist besonders der darstellerische Kontrast zu Siepi. Dieser ist der Geist, der stets verneint, bei Ghiaurov steht die Verkörperung urgewaltiger dunkler Triebe auf der Bühne – bei beiden in vorzüglicher Gestalt, übrigens. Das Publikum hielt sich natürlich an diese Prachtleistung, die es endlos bejubelte. Diesen Sänger einfach nach drei Abenden heimgeschickt zu haben, wenn er einen ganzen Monat Zeit hat, wäre schon Grund genug, zum Abservieren einer ganzen Direktion, nämlich nicht nur des Durchschnitt  sammelnden Memorandenschreibers an sich, sondern auch seiner Helfer, die sich an jedem Künstler abreagieren, der eine volltönende Stimme oder auch nur Haare auf dem Kopf hat. Apropos Durchschnitt: Janos Ferencsik mußte natürlich auch wieder dabei sein und zeigte die für ihn typischen Eigenschaften: Laut, fade und langsam! Das Ballett (speziell Paul Vondrak in seiner Sprungtechnik) hätte zwischen den Sprüngen in der Luft stehen bleiben müssen, so zog er. Mit ihm haben wir uns wieder etwas eingehandelt! Aber es gibt bereits Leute, die ihn stützen. (Wundert ja auch niemanden!) Nächste Saison wird er noch mehr Abende dirigieren und anfangen,  „seine“ Sänger hier einzuschleusen. (Auf das Bariton-Fach hat er schon besonders das Auge gerichtet). Da wird’s erst fesch werden!

WOZZECK am 4. Mai

Helmuth Melchert als Gast, bekannt aus der Aufführung von Moses und Aaron von Schönberg als Gastspiel der Berliner Oper vor einigen Jahren, sang diesmal den Tambourmajor. Er war wesentlich durchschlagskräftiger als Fritz Uhl, hielt sich aber nur sehr vage an Bergs Notierungen. Schade, denn auch darstellerisch war er ganz der Typ einer brutalen Superpotenz, wie ihn Büchner auf die Bühne stellte. Ein interessantes Gastspiel! Die übrige Besetzung (Christa Ludwig, Walter Berry, Murray Dickie, Peter Klein, Karl Dönch, Ludwig Welter) gab ihr Bestes. Sie zu loben, hieße sich zu wiederholen. Leopold Ludwig bot eine vorzügliche Dirigentenleistung und ist jetzt dem großartigen Werk ein ebensolcher Interpret, mit der schwierigen Materie völlig vertraut, in den dramatischen Kulminationspunkten von erschütternder Eindringlichkeit. (Atom-Ton!). Jedenfalls liegt ihm Berg wesentlich besser als Wagner! 

OTHELLO am 5. Mai

Diesmal stand neben Tito Gobbi der wiedergenesene Dimiter Usunow auf der Bühne. Stimmlich schien Usunow zwar noch etwas angestrengt, aber er setzte sich voll und schonungslos ein, und sein eruptiver, kreatürlicher Othello bildete einen interessanten Gegensatz zu Gobbis eiskaltem Jago, der wieder umjubelter Mittelpunkt des Abends war und seiner Interpretation im Zusammenspiel mit Usunow neue Glanzlichter aufsetzte. Leonie Rysanek sang die Desdemona mit ihrer schönen, warmen Stimme, wirkte aber sowohl im gesanglichen Ausdruck als auch im Spiel übertrieben, besonders im dritten Akt, wo ihr Aufwand für drei Desdemonas gereicht hätte. Eine größere Genauigkeit im Singen wäre vorzuziehen gewesen. Der vierte Akt geriet ihr dann um vieles ruhiger und sehr schön. Hilde Rössel-Majdan war eine hausbackene Emilia und Anton Dermota sang wieder den Cassio. Am Pult stand diesmal Leopold Ludwig und dirigierte einen sehr deutschen Othello, aus dem die brennenden Leidenschaften nur zögernd hervorbrachen. Gerade bei dieser Oper ist der Dirigent von so eminenter Bedeutung. Wann wird endlich wieder einer auf seinem Platze stehen, der dieser Bedeutung gerecht wird?

MARGARETHE am 6. Mai

Die überragendste Leistung: Nicolai Ghiaurov. Diese Stimme ist ein Naturereignis. Dunkel, von einer naturbelassenen Wildheit erfüllt und mit einem technischen Raffinement, einer Eleganz geführt, daß es den Zuhörer immer aufs Neue erstaunt, wie diese Symbiose zwischen Natur und Kunst so bruchlos und selbstverständlich erfolgen kann. Bei diesem Mephisto besticht die brutale Eleganz, mit der er singt und spielt, denn das Spiel ist der gesanglichen Leistung adäquat. Wer hat es neben Ghiaurov nicht schwer, bestehen zu können? Wilma Lipp und Waldemar Kmentt boten zwar relativ sehr gute Leistungen, hätten aber bei besserer Führung durch den Dirigenten bei ihrer jetzigen stimmlichen Verfassung bestimmt eine persönliche Höchstleistung bieten können, was beiden leider nicht gelang. Robert Kerns war stimmlich unausgeglichen. In der kurzen, aber unangenehmen Partie des Valentin zeigten sich die Vorteile und Mängel seiner Stimme deutlich. Vorteile: sehr schöne Legato-Phrasen in der Mittellage und Höhe. Dies scheint das Naturgegebene von Kerns’ Stimme zu sein. Mängel: Kaum hörbare Tiefe, das Piano trägt nicht und ist stumpf und glanzlos. Hier müßte technische Arbeit einsetzen, um das an sich gute Material zu formen und es dem Sänger zu ermöglichen, daß er mehr von den Zinsen (der Technik) lebt und das Kapital (die Stimme) nicht verbraucht. Das Spiel ist für den Valentin etwas zu jovial, aber wer im Haus hätte Herrn Kerns auch etwas dazu sagen können? Die Regie wußte einstens ja selbst nichts mit der ganzen Oper anzufangen, und die Kollegen sagen und zeigen der jungen Konkurrenz bestimmt auch nichts. Laurence Dutoit ist als Siebel stimmlich von mäßiger Güte, als Persönlichkeit nicht vorhanden. Hilde Rössel-Majdan kommt in keiner Weise der Leistung von Frau Höngen auch nur nahe, und Ludwig Welter als Brandner läßt auch viele Wünsche offen. Aber alle ohne Einschränkung hätten ihre Leistungen steigern können, hätte Janos Ferencsik sie gut geführt. Aber dieser dirigierte derb, dabei ohne Spannung und vor allem ohne Rücksicht auf die Sänger. Daß bei der Oper doch meist der Grundsatz „colla voce“ gilt, ist ihm fremd, daß nicht nur Notenköpfe, sondern auch das Wort mitbeteiligt sind, interessiert ihn nicht. Was dabei herauskommt, sind Unsauberkeiten am laufenden Band. Die Einsätze klappen nicht, der Chor schwimmt, die Solisten plagen sich oftmals vergebens, die Arie, die vom Orchester zerhackt wird, wieder zu einem Ganzen zu flicken. So bemühte sich Herr Kmentt – in bester stimmlicher Verfassung – sein „Salut“ wirklich schön zu phrasieren. Doch es gelang ihm nicht, die Orchesterbruchstücke zu binden. Frau Lipp ging es mit dem „König in Thule“ genau so. Schade darum, die beiden Sänger hätten sich besseres verdient als diese Begleitung. Ein – seltsamer – Vorfall muß noch erwähnt werden. Das Publikum empfing den Dirigenten nach der ersten Pause ablehnend. Das ist sein gutes Recht! Es hat schließlich bezahlt, sogar die höchsten Preise (IV), und man muß ihm, wenn man Beifall gestattet, auch Ablehnung zugestehen, mag es auch für den davon Betroffenen unangenehm sein. Aber künstlerische Betätigung fordert eben Kritik heraus. Seltsam war aber, was nun, während sich das Publikum ablehnend äußerte, geschah. Das Orchester applaudierte dem Dirigenten! Das heißt, es hat entweder absichtlich schlecht gespielt, verteidigt daher den Dirigenten und nimmt die Schuld auf sich – was doch hoffentlich nicht anzunehmen ist – oder es hat die schlechte Leistung nicht gemerkt, nicht gehört, daß die Einsätze nicht stimmen, der Chor nachhinkt, ja daß sie selber spielen wie die ersten Menschen – was zwar zu befürchten, aber kaum zu glauben ist. Und dann passierte es – zu allem Überfluß – noch, daß ein Insasse der Herrenkünstlerloge nach jeder Pause den Dirigenten als erster mit heftigem Beifall und Bravo-Ruf begrüßte. Und dagegen muß sich der zahlende Besucher wehren, daß der vom Haus bezahlte, so „spontan“ reagiert. Das sieht peinlich danach aus, als ob der Direktor es befohlen hätte – und das hat er doch nicht? Oder?

DIE KRÖNUNG DER POPPEA am 7. Mai

Die Aufführung, so gut sie noch immer ist, bedürfte dringend einer Probe und Übernahme durch Karajan. Es haben sich im Laufe der Zeit jene Unsauberkeiten und Ungenauigkeiten eingeschlichen, die immer dann auftreten, wenn ein Werk längere Zeit einer starken Dirigentenpersönlichkeit entraten muß. Es sind nur Kleinigkeiten, ein verwackelter Bläsereinsatz, Unkorrektheiten bei den Choreinsätzen und -schlüssen, wenig Rücksichtnahme auf die Sänger, sodaß so manches nicht exakt gemeinsam kommt, die Phrasen nicht ausschwingen können – das alles gleicht sich im nächsten oder übernächsten Takt wieder aus, aber es war da und es beeinträchtigte die Gesamtwirkung doch sehr stark. Nicht für den, der durch Zufall oder Abonnement gerade an diesem Abend in der Oper sitzt, aber immens für den, der des Werkes wegen kam. Alle diese kleinen Ungenauigkeiten und Schlampereien und auch so manche Nichtbeachtung der in der Musik so herrlich klar zu Tage kommenden Spannungen und Lösungen, die Beziehungen der einzelnen Instrumentengruppen zueinander, alles dies geht auf Konto des Dirigenten, denn nur er hat durch wirklich exakte Zeichengebung und durch die Kraft seiner musikalischen Persönlichkeit die Möglichkeit, aus allen Einzelleistungen ein Ganzes zu schaffen. Dies blieb Hans Swarowsky – und nicht nur diesmal – versagt, also bleibt nur, über die Einzelleistungen zu berichten. Herrlich Sena Jurinacs Poppea, der man die eben erst überstandene Insdisposition nur in einem einzigen steifen Spitzenton anmerkte. Herrlich auch der Nerone Gerhard Stolzes, der nicht nur in Spiel und Diktion eine außerordentliche Leistung vollbrachte, sondern auch gesanglich wirklich gut war. Die Liebensszene in Poppeas Schlafzimmer war der erste große Höhepunkt des Abends. Ausgezeichnet Otto Wieners Ottone und ebenso ausgezeichnet Margarita Lilowas Ottavia. Hier muß gleich auch der selten schön und ausdrucksvoll gespielten Soli von Bratsche und Cello bei „Addio Roma“ gedacht werden. Insbesonders im Ton der Bratsche klang der Ausdruck von so unendlicher Trauer mit, daß es fast der Worte Ottavias nachher nicht mehr bedurfte. Walter Kreppel hat jetzt den Seneca übernommen. Er bemüht sich sehr, schön und stilistisch richtig zu singen, hat aber fallweise Intonantionsschwierigkeiten und kann seinen Vorgänger in keiner Weise vergessen machen. Von immer gleich guter Qualität ist Gundula Janowitz als Drusilla. Karl Terkal war zwar ein guter Zweiter. Soldat, wurde aber doch von dem schön singenden Ermanno Lorenzi überrundet. Kurt Equiluz’ Stimme hat für den Lucano zu wenig Tragfähigkeit. Das Publikum hustete prinzipiell die Szenenumbauten durch, nach dem Kinomotto: „wenns nichts zu sehen gibt, ist Musik unnötig!“

DIE VERKAUFTE BRAUT am 8. Mai

Repertoire, Repertoire und wieder Repertoire! Das war der Eindruck, den man von dieser Vorstellung nach Hause nahm. Verschwunden ist die prächtige seinerzeitige Inszenierung, verschwunden ist die Höhe von Irmgard Seefried, verschwunden die Korrektheit des Chors, und eigentlich hat sich im Laufe der Jahre nur Waldemar Kmentt (Hans) verbessert. Sein leuchtender deutscher Tenor entwickelt sich mehr und mehr. Sollte die Formverbesserung weiter bei ihm anhalten, dann wird der Name des Sängers weit über unsere Grenzen bekannt werden. Weiterhin im Dunkel eines lokalbedingten Raumes werden Oskar Czerwenka und alle übrigen heimischen Mitwirkenden bleiben. Noch so viel Schützenhilfe und Ausflüchte einer künstlerischen Nichtentwicklung durch die Direktion während der letzten acht Jahre werden aus Oskar Czerwenka keinen Star prägen können. Mehr als deutlich sind bei ihm die Grenzen seiner Stimme hörbar. Darüber kann die vollsaftige Charakterisierungskunst des Sängers nicht hinwegtäuschen. (In Wien überwiegt nämlich noch immer der Zuhörer gegenüber dem Zuseher – noch immer gilt in der Donaustadt die Stimme und nicht nur das Spiel). Das Orchester unter Miltiades Caridis hatte Durchschnittsniveau, eigentlich viel zu wenig, um dem berühmten Namen Philharmoniker gerecht zu werden. Der Chor sang in Oppositionsstimmung (der Chef war aber gar nicht am Pult) – oder dachten die Damen und Herren unseres Chors auch an ein Mitbestimmungsrecht bei der Opernführung, wie es die Gewerkschaft der freien Berufe tat? Die beste Stimmung erweckte der Zirkusdirektor Erich Kunz. Man kennt seine Einstellung zu Karajan und ist an seine Witze gewöhnt. Dennoch kann man manchmal ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Er spielt zumindestens nicht falsch, wenn auch seine Meinung rein egoistische Motive zu haben scheint und keineswegs von der Liebe zur Kunst diktiert wird.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 9. Mai

Das war wieder eine Vorstellung! Wir dachten immer Magyaren hätten Paprika, aber die lärmende Langeweile, die Janos Ferencsik über Verdi breitete, hat damit nichts mehr zu tun. Das ist das Letzte, das Ende, die Katastrophe. Auf der Bühne stand Nicolai Ghiaurov als Pater Guardian und verströmte die herrliche Stimme, die auch, wie man erstaunt bemerkte, fähig ist, Güte, Mitleid und Barmherzigkeit auszudrücken, in gewaltigen Phrasen, denen die großen Gesten des Künstlers adäquat sind. (Wenn er die Arme hebt, verschwindet alles um ihn her). Gerda Scheyrer sang sehr konzentriert, mit dem vollsten Einsatz aller Mittel und größtenteils sehr schön. Wie lange sie aber solche Parforcetouren aushält, ist eine andere Frage. Die Stimme selbst ist schon längst nicht mehr so glatt und sauber wie noch vor einigen Jahren. Der zurückgekehrten Giulietta Simionato wurden Ovationen zuteil, obzwar sie nicht sehr gut bei Stimme war. Ihre blendende Charakterisierung der Rolle und ihr musikalisches Service glichen das zwar aus, aber der Applaus wird wohl dem Symbol der Achse Mailand-Wien, der großen Persönlichkeit und der treuen Wien-Besucherin mehr gegolten haben. Wenn es um die Stimme geht, ist die erste Garnitur des Wiener Publikums nämlich sehr objektiv. Das bekam der Publikumsliebling Aldo Protti zu spüren, der „Son Pereda“ noch sehr gut, mit dem ihm eigenen Elan und seinem zwar rauhen, aber sicheren A sang, für den man aber bei der „Urna fatale“ (zum ersten Mal!) bangen mußte. Er kämpfte sich durch den Mittelteil. Die Cabaletta war zwar wieder besser, aber immer noch kein Protti. Resultat: Zwei Vorhänge. Traurig senkte Aldo Protti seine markante oberitalienische Nase, starb gleich hinter der Bühne und kam gar nicht mehr vor den Vorhang. Es wundert niemanden, daß die großen Italiener hier so beliebt sind. Sie freuen sich so herzlich, wenn sie gut sind und sie sind so maßlos entsetzt, wenn sie nicht gut sind – es ist einfach rührend. (Von Präpotenz ist nichts zu merken). Luigi Ottolini, der Durchschnittssänger schlechthin, paßt offenbar ins Konzept der Durchschnittsdirektion. Man ruft ihn immer wieder, obzwar er manchmal nicht auszuhalten ist: Das tenorale Gegenstück zu Ferencsik: laut, aufdringlich und unkultiviert. Ottolini hat mehr versprochen, als er anfing. Aber die beste Stimme rutscht in den Hals, wenn sie kein bedeutendes Gehirn davor zurückhält. Es war also kein Vergnügen, sogar die Klosterszene, die doch sonst immer gut ist, ging an diesem Abend daneben. Dazu gab es als Aufputz noch Karl Dönch (wie gehabt) und ausgezischt wie immer. Die stets profilierter werdende Stimme von Tugomir Franc ließ wieder aufhorchen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 10. Mai

Kaum zu glauben, daß es das in Wien noch gibt, aber dieser Figaro war wirklich von Mozart. Zweifellos ein Verdienst von Josef Krips, der das Wunder vollbrachte, ein wenig philharmonisches Orchester zu konzentrieren und, abgesehen vom Hirn, zu wirklich schönem und stilistisch richtigem Spiel zu zwingen. Die in den letzten Monaten so oft zur farblosen Begleitung degradierte Orchesterpartitur klang frisch. Nichts ging daneben und unter, alles hatte seinen sinnvollen, berechtigten Platz. Kein Wunder, daß auch die Sänger aus ihrer Routine erwachten und lebendig und konzentriert sangen und spielten. Herrlich der Cherubino von Sena Jurinac, herrlich auch der Graf Eberhard Wächters, bei dem es diesmal sogar ohne unpassenden Ulk abging, entzückend die Barbarina Lucia Popps (die übrigens bestimmt auch eine ebenso entzückende Susanna wäre), sehr gut auch Anneliese Rothenberger als Susanna und eine Überraschung Erich Kunz. Abgesehen vom „ah Madama“… vergaß er aufs Outrieren und zeigte sich frei von seiner üblichen Schablone. Teresa Stich-Randall hat schrecklich scharfe, steife Spitzentöne, war aber überraschend lebendig im Spiel. Nur Hilde Rössel-Majdan und Oskar Czerwenka blieben stimmlich unter dem Durchschnitt. Peter Klein, Kurt Equiluz und Ljubomir Pantscheff bemühten sich um die kleinsten Partien, und man konnte sich über den schönen Abend freuen. Vielen Dank, Herr Professor Krips!

ANDREA CHÉNIER am 11. Mai

Was bei Verdi nicht klappt, kommt bei den Veristen oft zu einem guten Ende. Sie verlangen weniger Linie, weniger Kunst, weniger Technik. So sang Aldo Protti einen prächtigen Gerard (von einem kleinen Malheur im dritten Akt abgesehen), knallte seine Stimme ins Auditorium und warf der Gräfin nicht nur die Livree, sondern auch die weißgepuderte Zopfperücke vor die Füße. Luigi Ottolini sang passabel, nicht eben edel, aber mit einer gewissen Intensität, die ihm leider in seiner Darstellung völlig fehlt. Gerda Scheyrer ist eine gute Madeleine. Unter den zahlreichen Nebenrollenträgern bemerkte man Hans Christian als Fleville, der so bocksteif auf der Bühne herumstolzierte, daß man die Bandscheiben förmlich knacken hörte. Die Arroganz des Herrn Haushofmeisters (wo sie übrigens hinpaßt) ist offenbar die einzige Farbe auf seiner Palette. Wir konnten nur noch nicht dahinter kommen, worauf er sich eigentlich so viel einbildet. Doch nicht etwa auf sein Timbre? Berislav Klobucar dirigierte nicht ohne Schwung, hatte aber die obligaten Kämpfe mit dem Chor zu bestehen. Der vierte Akt war dann das beste. Man hätte von Bergonzi bis Usunow, von Corelli bis Prevedi in dieser Saison schon eine ganze Menge Chéniers in Wien gehabt. Das Werk ist eben eine Tenoroper und ohne großen Tenor ist sie nicht interessant. Wenn sie einmal gespielt wird, geschieht es dann, wenn alle krank sind. Das ist ja auch wieder typisch. Wenn es sich nicht um die Jenufa handelt, sind die Besetzungen dem Herrn Operndirektor offenbar völlig egal. Da erkennt man dann den aparten Geschmack der Regiekanzlei. Hut ab!

CARDILLAC am 12. Mai

In relativ kurzer Zeit hat die Aufführung eine ziemliche Qualitätseinbuße erlitten. Nicht auf der Bühne! Da wurde sehr konzentriert gesungen. Otto Wieners Leistung ist nach wie vor von bester Güte, auch ist er bereits vollständig in die Partie hineingewachsen und gewinnt ihr schauspielerisch immer neue Nuancen ab. Auch Gerhard Stolze gibt dem Kavalier nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich scharfes Profil. Wilma Lipp und Irmgard Seefried boten gewohnte Leistungen. Mikko Plosila gibt einen redlichen, schauspielerisch etwas unbeholfenen Offizier. Hans Brauns stimmliche Reserven sind anscheinend durch außermusikalische Dinge erschöpft. Siegfried Rudolf Frese war wie immer farblos. Der Dirigent Leopold Ludwig bemühte sich intensiv, Orchester und Bühne gut zu führen und Hindemiths Partitur stilgerecht zu interpretieren. Aber das Orchester ließ ihn im Stich. Es spielte verwaschen, dick und nur „gerade noch“ zusammen. Von der glasklaren polyphonen Stimmführung war nichts mehr zu hören und die Sänger hatten es schwer, den einförmig lauten Brei zu übersingen. Schade, das Werk und der Dirigent verdienten sich eigentlich eine bessere Behandlung durch die Herren des Staatsopernorchesters.

JENUFA am 13. Mai

Unter Jaroslav Krombholc’ prachtvoller musikalischer Leitung stand abermals Janaceks Oper auf dem Spielplan, die heuer weitaus öfter gespielt wurde als viele publikumswirksamere Werke. Daß die Opernfans natürlich allmählich das Interesse an dieser Oper verlieren, die – so ausgezeichnet sie inszeniert ist – doch kein dauernder Erfolg sein kann, ist verständlich. Uns wäre (ehrlich gesagt) Boheme oder Troubadour lieber, als diese ständig wiederkehrende Inszenierung. Sena Jurinac warf wieder ihre ganze Persönlichkeit in die Waagschale, war aber stimmlich nicht gut disponiert. Das Gleiche ist von Martha Mödl als Küsterin zu sagen. Gerhard Stolze erwies sich erneut als großartiger Künstler. Wie er die Partie des Laca singt und spielt, verdient Anerkennung. Jean Cox schien als Stewa noch schwächer als sonst.

DER ROSENKAVALIER am 14. Mai Kein Kartenverkauf (Kongreß-Vorstellung).

Dirigent: Josef Krips. In den Hauptrollen. Leonie Rysanek, Irmgard Seefried, Anneliese Rothenberger, Otto Edelmann, Otto Wiener und Fritz Wunderlich.

DON GIOVANNI am 15. Mai

In der Staatsoper steht heuer ständig Don Giovanni am Spielplan. Im Grunde ist dagegen nichts einzuwenden, wenn man die Titelrolle ausreichend besetzen kann. Die Frage muß allerdings gestellt werden, warum wir das Werk spielen, wenn wir keinen Vertreter der Titelrolle haben. Wir sind durch die Gastspiele von Cesare Siepi verwöhnt. Auch wollen wir endlich Nicolai Ghiaurov in dieser Partie hören und nicht zuletzt ist unser hauseigener Eberhard Wächter ein echter Don Giovanni. Rudolf Jedlicka ist ein Niemand. Er schaut nicht mehr als passabel aus, ist nicht charmant, kann nicht spielen und von der stimmlichen Leistung wollen wir schweigen. Solche Sänger brauchen wir nicht! Leporello war der großartige Walter Berry, der mit herrlicher Stimme und überlegenem Können seinen Herrn deklassierte. Waldemar Kmentt, dessen Formanstieg weiter anhält, war ein vorzüglicher Don Ottavio. Wilma Lipp verkörperte als Donna Elvira einen temperamentvollen Racheengel. Teresa Stich-Randall fällt aus der Rolle einer Edeldame. Stimmlich hat sie nichts Neues zu bieten. Reri Grist besitzt viel Anmut und wenig Mozartstil. Heinz Holecek ist eine Kopie von Panerai. Es wäre besser, wenn er sich auf sein eigenes Können verlassen würde. Walter Kreppel gab den Komtur. Josef Krips wurde stürmisch begrüßt und war der umsichtige Begleiter. Schade, daß er nicht immer zur Verfügung steht, wenn Siepi in Wien gastiert!

BALLETTPREMIERE am 16. Mai

TANNHÄUSER am 17. Mai

Zu Beginn der Vorstellung gab es weder eine Dresdner, noch eine Pariser Fassung. Das Publikum begann die „Ouvertüre“ mit einer Kundgebung gegen Direktor Egon Hilbert und dem Ausruf: „Hilbert hinaus!“ und „Pfui Hilbert“, was zahlreiche anwesende Kriminalbeamte nicht verhindern konnten. „Vorsicht ist die Mutter der Weisheit“ dachte wohl der „loyale“ Direktor und ließ, um derartige Demonstrationen zu unterbinden, sofort alle Lichter auf einen Schlag erlöschen und setzte den Dirigenten in Marsch. Doch das Publikum merkte die Absicht und zögert nicht, sein Mißfallen laut kundzugeben. Oscar Danon, dem man ursprünglich die Butterfly als Entree versprochen hatte, hatte man in der Direktion als Opferlamm ausgesucht, nachdem alle Prominenten und Vorsichtigen die musikalische Leitung abgelehnt hatten. Obwohl Herr Danon einen äußerst langweiligen Tannhäuser dirigierte, dessen Merkmale einige Kunstpausen waren, richtete sich nie der Unwille des Publikums gegen ihn, sondern einzig und allein gegen jenen Mann, der ständig von Treue sprach und dessen fehlende Courage auch an diesem Abend offensichtlich war. Das Orchester schien bemüht, doch waren an den Pulten viele der prominenten Musiker abwesend (Pfingsten), sodaß nicht alles so ablaufen konnte, wie es sein sollte und einige Heckenschützen wohl gar zu gern gesehen hätten! Gleich im Vorspiel gab es zwei peinliche Hörnerschmisse. Der Einzug und das Finale im zweiten Akt waren auch recht verwackelt und ganze Strecken hindurch war auch der Titelrollenträger mit dem Dirigenten auseinander. Das Publikum war sehr erfreut, Wolfgang Windgassen, den man aus dem Haus hinausekeln wollte, wieder sehen zu können. Der Tenor spürte die Sympathie des Auditoriums und revanchierte sich mit einer außergewöhnlichen Leistung, die denn auch stärkstens akklamiert wurde. Seit Max Lorenz’ goldenen Tagen gab es noch nie ein so erschütterndes „Erbarm dich mein“. Windgassens Gestaltungskraft und die prächtige gesangliche Leistung machten diese Aufführung bemerkenswert. Neben ihm muß sofort die Venus von Christa Ludwig genannt werden, die die schwierige Partie mit großartigem Ausdruck, schlafwandlerischer musikalischer Sicherheit und einer betörend schönen Stimme sang. Mit ihrer sinnlichen Stimme ist sie für die Partie der Venus geradezu prädestiniert. Gegenüber diesen Leistungen fiel diesmal Eberhard Wächter als Wolfram etwas ab. Er war als Figur ausgezeichnet, doch war nicht zu überhören, daß jene Mühelosigkeit, mit der er früher sang, verloren geht. Die Schwärmerei erlag der Männlichkeit. (Genauer ausgedrückt: Wotan zeigt seine Spuren!). Enttäuschend war Gottlob Frick als Landgraf. Einzig die prächtige Mittellage konnte zufrieden stellen. Höhe und Tiefe waren mangelhaft. Gré Brouwenstijn (Elisabeth) war nur als Figur gut, denn das Tremolo in der Stimme war derart unangenehm, daß man förmlich unruhig wurde. Wir würden uns freuen endlich einmal auch Leonie Rysanek oder Claire Watson und Ingrid Bjoner in der Partie der Elisabeth hören zu können. In der kleinen Partie des Hirten ausgezeichnet Gundula Janowitz. Erschreckend schlecht der Biterolf Ludwig Welters. Daß man aus einer Nebenrolle etwas machen kann, bewies Waldemar Kmentt als Walther von der Vogelweide. Das Publikum feierte demonstrativ Christa Ludwig nach dem ersten und Windgassen nach dem letzten Akt der Oper. Direktor Hilbert hatte nicht den Mut, an diesem (wie auch folgenden) Abend seine Loge zu betreten. War es das schlechte Gewissen oder die Loyalität Karajan gegenüber, der zur gleichen Zeit im Musikverein mit den Berliner Philharmonikern Triumphe feierte?

AIDA am 18. Mai

Karajans zweites Konzert mit den Berlinern (zur gleichen Zeit im Musikverein) warf seine Schatten auf das Haus am Ring. Stehplatzkarten gab es in Menge noch nach Beginn der Aufführung, denn das Stammpublikum war diesmal abwesend. Nello Santi ging mit Schwung an die Sache, und es war nicht verwunderlich, daß seine ganze Sympathie seinem Freunde James McCracken galt, dem er pausenlos zunickte. Dennoch ist Herr McCracken kein Radames im italienischen Stil. Zu oft kamen harte und unkontrollierte Töne über die Rampe und das Schlußduett wurde ebenso wie das Ende der Romanze in typisch deutschem Heldentenorstil gesungen. Das Forte klang zwar mächtig, aber Verdi verlangt auch Pianissimo. Darstellerisch mußte er der Partie einiges schuldig bleiben. Annabelle Bernard als Aida zeigte sich gegenüber ihrem Debüt in der Titelrolle verbessert, ist aber von einer Idealbesetzung noch ziemlich weit entfernt. Die Partie wird noch zu wenig schwebend und mühelos gesungen. Sie beeindruckte vor allem im Forte. Giulietta Simionato erhielt als Amneris den weitaus gewaltigsten  Beifall des Publikums, das wohl nicht überhörte, daß die Kraft früherer Jahre heute nicht mehr vorhanden ist und der Registerwechsel in der Mittellage gerade an diesem Abend kraß zu Tage trat, aber genau weiß, welche Künstlerin die Simionato ist. Auch Aldo Protti ist trotz vollem Einsatz seiner Stimme nicht mehr der Gleiche. Die Höhe besitzt nicht mehr die Qualität von früher. Man spürt die Einsatzbereitschaft, aber die Mühelosigkeit ging verloren. Diese strengen Einwände gegen die vorerwähnten Künstler – und das gemessen an ihren eigenen Leistungen – verblassen allerdings, wenn man die beiden Bässe Walter Kreppel (Ramphis) und Ludwig Welter (König) näher unter die Lupe nimmt. Man möge uns einen Kommentar ersparen.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 19. Mai

Nicht einmal die Aufzugseile halten die Ära Hilbert aus. Beim x-ten Holländer dieser Saison steckte der Kulissenaufzug, und die Technik mußte sich wie zu Kriegszeiten mit improvisierten Bühnenbildern behelfen. Um es gleich vorwegzunehmen – es klappte recht gut. Soweit man von der Galerie überhaupt etwas von einem Bühnenbild wahrnehmen kann, war besonders der zweite Akt durch zwei rechtwinklig zueinander aufgestellte Wandflächen recht gut gelöst. Auftritte und Abgänge erfolgten für Alle beim gleichen Schlupfwinkel. Auch die Schräge im dritten Akt störte wenig. In die Öffentlichkeit drang von alledem recht wenig. Hilf Himmel, wenn das bei einem anderen Direktor als Hilbert passiert wäre! Er kann sich wirklich nicht beklagen, daß er gar zu hart genommen wird. Alle Anschüsse gegen ihn sind nicht Polemiken, sondern nüchterne Wahrheiten! Doch nun zur Aufführung selbst. Wenn Heinrich Hollreiser selten dirigiert, ist er in Wien weit beliebter. Auch das Orchester hat er besser in der Hand. Was aber nicht heißt, daß es sich durch besondere klangliche Qualitäten auszeichnete. Die ausgezeichnete Besetzung ließ sich von der etwas ungewohnten Umgebung wenig stören. Leonie Rysanek und Hans Hotter sind als Persönlichkeiten schon allein Garanten für eine völlige Erfassung und Durchdringung der Hauptrollen. Herrlich war wieder das Liebesduett. Da auch Fritz Uhl und Walter Kreppel die Partien des Erik und Daland zu ihren besten zählen, konnte man mit der Aufführung zufrieden sein.

DIE KRÖNUNG DER POPPEA am 20. Mai

Wenn eine Inszenierung noch bei der x-ten Reprise so „sitzt“ wie bei der Premiere, ja den Eindruck erweckt, als werde sie von Aufführung zu Aufführung lebendiger, wenn man jedes Mal neue Feinheiten und Bedeutsamkeiten von Werk und Wiedergabe zu entdecken vermag, dann muß wohl etwas dahinter sein. Diese Rennert-Inszenierung ist ein großartiges Beispiel dafür, wie sich echte Substanz stets an sich selbst heraus erneuert. Man merkt, daß die Sänger ihre Rollen nicht deshalb so und nicht anders gestalten, weil sie auf bestimmte Bewegungen und Gesten gedrillt wurden, sondern weil sie sich auf ihre individuellen Veranlagungen und auf Grund ihrer Einsicht in das Charakteristische der darzustellenden Figur zu einer bestimmten Rollenwiedergabe gezwungen sehen. Sie auf die ihrer Persönlichkeit entsprechende Auffassung ihrer Partie hingeleitet zu haben, ist Günther Rennerts großes Verdienst. Da könnte so mancher Verfechter des Ensemblegedankens lernen, wie man Künstler ausnützt, wie man sie ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzt und wie man sie zum Dienst am Ganzen erzieht, indem man ihnen ermöglicht, Respekt vor dem Ganzen und Freude am Ganzen zu haben. Jede Art Kunst kann nur als Gemeinschaftswerk gedeihen, um wie viel mehr erst das musikalische Theater, dessen tragendes Element, die Musik, ganz besondere Kraft besitzt und auf eine Behandlung in diesem Sinne angewiesen ist. Die Begegnung mit solchen Meisterleistungen des Musiktheaters wie Rennerts Poppea-Inszenierung läßt uns erst schmerzlich erkennen, wie viele Möglichkeiten des musikalischen Theaters in unserem Opernalltag ungenutzt bleiben. Erstaunlich ist, wie in dieser Barockoper – ein längst totgesagtes Genre! –, die hier plötzlich als packendes Drama vor uns steht, auch ausschließlich perfekte Gesangsleistungen geboten werden. Die Frage, ob in der Oper der Musik oder dem Drama der Vorrang gebühre, wird damit hinfällig. Die eindrucksvollsten Aufführungen waren immer die, wo eins in das andere so verschmolz, so daß man allen diesbezüglichen Theorien gern ade sagte und sich am Lebendigen erfreute. Von Sena Jurinac, deren Poppea eine einzige Freude für Aug und Ohr ist, von Gerhard Stolze, dessen Nerone auch von einem Schauspieler des Sprechtheaters nicht zu überbieten sein dürfte, und von Otto Wiener, der dem unglücklichen Ottone sehr glaubhaft Profil verleiht, sind wir den vollen Einsatz, die Bereitschaft zur Anpassung an die Erfordernisse des jeweiligen Werkes und an die Partner ja schon gewöhnt. Dankenswert, daß Rennert auch jungen Künstlern wie Margarita Lilowa, an deren hoheitsvoller und prächtig gesungener Ottavia man sich nicht genug erfreuen kann, und Gundula Janowitz, die die eher blasse Gestalt der Drusilla lebendig werden läßt und durch glockenreine, leuchtende Soprantöne aufhorchen läßt, (und bei der Premiere Carlo Cava als Seneca) diesen Weg gewiesen hat, den sie offensichtlich mit Begeisterung eingeschlagen haben. Den Seneca sang Walter Kreppel, mit großem Baß und würdevoller Gestik. Die gestalterische Intensität und stimmliche Schmiegsamkeit seines Rollenvorgängers erreichte er nicht. Besonders dankenswert ist die Aufmerksamkeit, die der Regisseur den kleinen Rollen und dem Chor geschenkt hat. Die keppelnde Amalta von Hilde Rössel-Majdan, die schlaftrunkenen Wächter von Karl Terkal und Ermanno Lorenzi bleiben erfreuliche Ergötzlichkeiten am Rande des Hauptgeschehens. Die Chorführung beim Abschied von Seneca und im Trinkgelage bei Nero ist exemplarisch. Eine ganz schlackenlose stimmliche Leistung unseres Chores kann leider auch Rennert nicht hervorzaubern. Damit wären wir bei jenen Mitwirkenden, die unter „Ensemble“ und „Gemeinschaftswerk“ den Untergang der Persönlichkeit zu verstehen scheinen, die über die „klassische“ Solidarität und Harmlosigkeit der Musik wachen, das Mittelmaß zum Dogma erheben, und es nicht gerne sehen, wenn ihnen in der Kunst einmal ein ganzer Mann begegnet, der sie aus der Lethargie aufrüttelt. Diesen negativen Faktor verkörperten diesmal Hans Swarowsky und sein Orchester (damit wir vor Freude nicht zu übermütig werden!). Hier hat der Festglanz der Premiere leider dem grauen Alltag weichen müssen.

FIDELIO am 21. Mai

Zum ersten Mal seit seinem Rücktritt als Künstlerischer Leiter dirigierte Herbert von Karajan wieder in der Wiener Staatsoper. Schon sein Auftritt rief eine gigantische Ovation hervor, die sich in der Pause wiederholt haben würde, wenn er sich nicht nach der dritten Verbeugung nicht mehr umgedreht hätte. (Er könnte es auf zehn Verbeugungen pro Akt bringen, wenn er so applaussüchtig wäre, wie manche Kollegen.) Aber nach der Dritten Leonoren-Ouvertüre und dem Finale fing der Jubel erst so richtig an. Viele Opernfans, die nach jenem Troubadour im Herbst „Karajan-Hilbert“ gerufen hatten, befreiten sich von der Last, die dessentwegen seit einigen Monden auf ihren Seelen lag, durch frenetisches Feiern Karajans. Was immer auch geschehen mag: Das Publikum ist nicht schuld daran, wenn der traurige Fall wirklich einträte und Karajan Wien verließe. Das Publikum tut alles, was es tun kann, um Karajan hier zu halten.

Der Rezensent erinnert sich zwar an die äußeren Umstände der „Ritorna vincitor-Aida“, hat aber an die Aufführung selbst nicht die geringste Erinnerung. Er erinnert sich an jenen Herbst-Troubadour als einen einer prächtigen Stagione. Aber dieser Fidelio wird wohl allen, die dabei sein durften, ewig in Erinnerung bleiben, auch als Aufführung, nicht nur wegen des Vor- und Nachspiels. Ein von Kriminalbeamten strotzendes Haus! Das paßte schon so gut zum Thema des Stückes. (Als Florestan stöhnte: „wer ist Gouverneur dieses Gefängnisses“ und Jemand prompt laut antwortete „Hilbert!“ gab es Applaus und eine nur mühsam und mit viel Selbstdisziplin unterdrückte Lachwelle). Ein bei Beginn halbleeres Parkett, da die Karten an einen „Rübenanbauer“-Kongreß verscheuert worden waren, die offenbar – nicht wie der Rotary-Club im Vormonat nachher, sondern vorher ihre Schmauserei abhielten und erst in der Pause erschienen, ein verzweifelter Stehplatz, von dem ein guter Teil die Nacht unter den Arkaden verbrachte, weil man sich gar nicht mehr wegtraute, da es hieß, es gelangten keine Stehplätze zum Verkauf und dann das Gerücht lanciert wurde, Herr von Karajan sei selbst damit einverstanden, daß nur eine geringe Anzahl von Stehplätzen zum Verkauf gelange! Da sieht man wieder, mit welchen Mitteln in diesem Haus gearbeitet wird, denn daß sich Herr von Karajan in seinem Leben noch nie um eine Karte gekümmert hat, wissen doch alle, die ihn kennen! Es gab also atemlose Spannung bis zur Kasseneröffnung, beim Betreten des Hauses – und besonders beim Verlöschen der Lichter. Doch nun beginnt der grundlegende Unterschied zu den beiden vorhin zitierten Aufführungen. Erschöpft waren da die Opernfans in sich zusammengesunken und hatten den ersten Akt kaum mitbekommen. Bei diesem Fidelio aber war man gepackt vom ersten Takt an von einer der erregendsten und dramatischsten Aufführungen, die man gehört hat. Das war eine Beethoven-Aufführung, ausgelotet bis in die „Tiefe des Herzens“. Die klassische Größe war ebenso spürbar, wie die edle Humanität, die Gnadenlosigkeit einer unruhigen Zeit, aber auch die stille Innigkeit und die lodernde Leidenschaft. Helfer zu diesem gewaltigen Werk waren diesmal Gott sei Dank alle Mitwirkenden. Christa Ludwig, vor der Pause ein Bündel geballter Energie und etwas angestrengter Größe, explodierte im Kerker und war dann so herrlich in ihren Ausbrüchen, so bewegend in ihrem Glück, wie man sie noch nie gehört hatte. James McCrackens gewaltige Heldenstimme ist auch in der Phrasierung und im Ausdruck für den Florestan wie geschaffen. Walter Berry ist jetzt als Pizarro schon sehr profiliert und gewichtig, Eberhard Wächter nun ein vollkommener Minister. Walter Kreppel gab den Rocco mit der nötigen gutmütigen Biederkeit. Gundula Janowitz sang die Marzelline (es ist ja nach wie vor nicht mehr ihr Fach) schön und mit Gefühl und Waldemar Kmentt war ein angenehm dezenter Jacquino. Der Männerchor war im Gefangenenchor besonders gut, klangschön und mit feinen Abstufungen, aber auch das Finale geriet diesmal (nach einigen Takten des Hängens) ausgezeichnet. Das Orchester setzte sich voll ein und spielte zu neunzig Prozent hervorragend. Die restlichen zehn Prozent gehen auf Konto der Hörner. Da muß einmal etwas geschehen. Die Herren können doch nicht bei Pianostellen alle Windungen ihrer Instrumente so lautstark säubern und dann erst schmeißen? Wie wär’s mit Üben? Todmüde, abgekämpft und glücklich verließ das Publikum das Haus nach einer Demonstration, die an Deutlichkeit wahrlich nicht mehr zu überbieten war.

BALLETTABEND am 22. Mai

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 23. Mai

Berislav Klobucar hatte einen ganz ausgezeichneten Abend. Die veristischen Opernzwillinge hatten die südliche Stimmung, eine enorme Dramatik, aber auch erstaunliche Differenzierung im Klang (z. B. Vogellied) zu bieten.

In der CAVALLERIA stand Giulietta Simionato als Santuzza Auf der Bühne. „Terrific, but wonderful!“; sagte eine Amerikanerin neben dem Rezensenten. Das kann man nicht besser ausdrücken. „La Sim“ hatte derart eruptiven Ausdruck der Gefühle zu bieten, daß dem Hörer richtiggehend kalt wurde. Sie war in der Kraft ihrer Liebe und ihres Hasses gleich stark. Sie rührte mit ihrem Flehen und erschütterte durch ihren Schrei. Da kann man einfach nichts mehr sagen, nichts mehr schreiben, es fehlen die Worte für das Format dieser Interpretation. Niemand kann ihr das nachsingen (außer die Callas – vielleicht), auch wenn sie gar nicht in stimmlicher Hochform zu sein schien. Aldo Protti war ein umwerfender Alfio, von naturburschenhafter Herzlichkeit beim Auftritt und rasendem Zorn beim Duett. Dabei spielte er sich stimmlich mit der Partie, die doch bekanntlich gar nicht so leicht ist. Giuseppe Zampieri sang ein beängstigend kurzatmiges Ständchen, bekam aber dann einen seiner ach! so seltenen Energie-Anfälle, steigerte sich im Laufe des Abends und landete zum Schluß bei einem ganz ausgezeichneten und sehr dramatisch gesungenen Abschied.

Im Bajazzo sprang für den absagenden Gianni Poggi, der (ausgerechnet!) für den Canio angesetzt gewesen war, ein völlig unbekannter italienischer Sänger namens Carlo Menippo ein. Die Stimme hat jene helle Trompeten-Dramatik, die die eine Hälfte der italienischen Tenöre hat (die zweite besitzt ein persönliches Timbre und wird meistens international berühmt). Der noch junge Sänger ist allerdings ein Brüller, der sich nie schont und sich mit gewaltigem Impetus in die Rolle wirft. Das ist nötig, denn auf der Bühne hatte er außer riesigen Handbewegungen nichts zu bieten. Auch Kultur oder Linie durfte man nicht erwarten. Das ist aber bei diesem Werk ohnehin fast nicht nötig. Das Publikum spendete ihm viel Beifall, zu viel fast, will uns scheinen. Aber es hat so seine Erfahrungen mit Tenoreinspringern. Es hätte ja auch Geisler kommen können. (Aber was wollen Sie, er war doch ausgezeichnet! sagte ein langjähriges Direktionsmitglied, als jemand über Geisler schimpfte). Wilma Lipp glich sich stilistisch dem Gast an und sang eine packende, sehr dramatische Nedda, Robert Kerns einen soliden Silvio. Ermanno Lorenzi hatte nach seinen gestemmten Höhen bei der Harlekin-Serenade vom Chor eine Stehplatz-Schrei-Imitation, die zwar nicht sehr gut gelungen war, aber doch einen gewissen Humor verriet, den wir bei dieser Vereinigung gar nicht gewohnt sind. Aber es muß auch einmal über den Tonio des Abends geschrieben werden, wenn auch blutenden Herzens. Ettore Bastianini trat vor den Vorhang – und das Stammpublikum erschrak, so schlecht sieht er aus. Schon nach den ersten Tönen nahm man auch die völlige Kraftlosigkeit der Stimme wahr, die den Prolog mißglücken ließ. Im Laufe des Abends resignierte er. Es ging einfach nicht. Er kam auch nicht mehr vor den Vorhang. Bastianini hat nach längerer Krankheit zum ersten Mal wieder gesungen. Daß es ausgerechnet der Tonio sein mußte, der ihm ohnedies nie übermäßig lag, ist traurig. Überhaupt nach einem Protti-Alfio hat man ihm mit der Ansetzung in dieser Rolle einen schlechten Dienst erwiesen.

PARSIFAL am 24. Mai FESTWOCHENBEGINN

Nach der Demission Herbert von Karajans weiß ja kein Mensch, wann und bei welchem Werk der ‚Maestro vielleicht zum letzten Mal am Pult unserer Oper stehen wird. Wie die Dinge momentan liegen, muß man mit dem Ärgsten rechnen und pilgert treu zu jeder Karajan-Vorstellung, denn man weiß ja nicht… Leider ist der Parsifal in Wien durch ein ungeschriebenes Gesetz mit Beifallsverbot belegt (obwohl Wagner selbst nach dem zweiten und dritten Akt Beifall für die Künstler fordert!) und jede Applauskundgebung wird sofort durch heftiges Zischen im Keim erstickt. Es tat diesmal besonders weh, die grandiose Leistung des Mannes, den bürokratische Intrigen und künstlerisch unfruchtbarer Ehrgeiz Unberufener aus der Oper hinausgeekelt haben, nur schweigend würdigen zu können! Doch auch in diesem Schweigen lag unendlicher Dank, der Dank eines Publikums, das zum größten Teil weiß, was es an Herbert von Karajan verlieren würde, wenn er Wien den Rücken für immer kehrte! Vox populi – vox Dei! Karajan ist nun mit Wagners Schwanengesang ganz eins geworden: vom ersten Abendmahlmotiv des Vorspiels bis zum letzten Erklingen dieses Themas am Ende der transzendenten Schlußszene spannt sich ein riesiger Bogen und trotzdem: kein noch so kleines Detail bleibt links liegen, dank der bewundernswerten Konzentration des Dirigenten. All das aber könnte nicht Wirklichkeit werden, hätte nicht unser Meisterorchester einmal mehr bewiesen, wie einmütig schön es unter berufener Führung spielen kann, wenn es eine Persönlichkeit vom Range Karajans zu solcher Höchstleistung zwingt! Und in dieser Verfassung spielt ihm kein zweites Orchester der Welt Wagnerpartituren nach! Welch betörend sinnlichen Klang hatte doch die Szene Kundry-Parsifal im zweiten Akt. Über alle Solisten kann nur Gutes gesagt werden. Dies gilt besonders für Hans Hotters Gurnemanz und Eberhard Wächters Amfortas. Walter Berry und Christa Ludwig scheinen allerdings mit ihren Partien an der Grenze ihrer stimmlichen Kapazität angelangt zu sein, obwohl beide Rollen verhältnismäßig kurz sind. Fritz Uhl in der Titelrolle ist mehr reiner Tor als künftiger Gralskönig. Stimmlich war er besser als sonst. Tugomir Franc und Elisabeth Höngen boten ihre gewohnt guten Leistungen. Die versteckten Blumenmädchen wurden mit Karajan und dem Orchester nicht ganz einig.

JENUFA am 25. Mai

Nachdem vorher Nachrichten von einer Erkrankung Jaroslav Krombholc’ durch die Presse gegangen waren, ja sogar gemeldet wurde, es würde ein Ersatzmann herbeigeholt, löste sich alles in Wohlgefallen auf und Jaroslaw Krombholc, dessen kundige Leitung selbst bei der derzeit recht schwankenden Form des Orchesters jederzeit gute Aufführungen „seiner“ Stücke verbürgt, erschien in alter Frische am Pult. Sena Jurinac hat der Reihe ihrer ergreifenden Frauengestalten eine neue Perle hinzugefügt. Eine Interpretation, von der man dereinst noch reden wird, wie man heute von der Jeritza liest, wobei wir uns die Anmerkung gestatten, daß uns die Innigkeit der „Sena“ unerreichbar scheint. Sie war auch stimmlich gut. Bei Stimme war auch Martha Mödl, sodaß ihre faszinierende Formung der Küsterin voll und ganz zur Wirkung kam. Bestens disponiert war ferner Waldemar Kmentt, dessen Laca im übrigen ein Musterbeispiel für völlige Deckung von Gestalt und Interpret ist, wobei so recht deutlich wird, wie erfreulich der Tenor im Laufe der letzten Jahre gleichmäßig gewachsen und gereift ist. Recht gut bei Stimme, jedoch für die Partie nicht uneingeschränkt geeignet, war Jean Cox als Stewa. Störte das nicht gerade edle Material in dieser Rolle weiter nicht, so ließe sich die Stimmführung und vor allem die Artikulation – vom Akzent nicht weiter zu reden – ausgefeilter denken. Georgine Milinkovic interessierte als Buryja. Hans Braun hielt sich als Altgesell passabel und Lucia Popp als Karolka vorzüglich, ebenso Olivera Miljakovic als Jano.

EIN MASKENBALL am 26. Mai

Nach längerer Pause dirigierte wieder Josef Krips den Maskenball und bewies abermals, daß er auch als Verdidirigent hohe Klasse darstellt. Was einem vielleicht hie und da an Italianità abgehen mag, ersetzt der Dirigent durch Präzision, Spannung und Musizierfreudigkeit. Es wäre wünschenswert, Herrn Krips öfter als bisher im italienischen Fach einzusetzen, zumal wir diesbezüglich in letzter Zeit keineswegs verwöhnt wurden. In puncto Besetzung hatte die Aufführung unterschiedliches Niveau. Luigi Ottolini sang erstmals den Riccardo und konnte wesentlich besser gefallen als in anderen Rollen seines Wiener Repertoires. Der Sänger bemühte sich erfolgreich, seine schwere und nicht gerade edle Stimme zurückzuhalten und machte einen recht kultivierten und absolut positiven Eindruck. Leonie Rysanek hatte anfangs einige Schwierigkeiten. Vor allem mit den Piani wollte es nicht klappen und das C in der Arie erklomm sie nur recht mühsam. Dann verbesserte sie sich allerdings zusehends und erreichte ihren Höhepunkt mit der schön und gefühlvoll gesungen Arie des vierten Bildes. Mit großem Bangen sah man nach seinem Tonio dem Auftreten Ettore Bastianinis als Renato entgegen. Die erste Arie sang er recht kraftlos und „Eri tu“ krönte ein Schmiß. Erfreulicherweise resignierte der Sänger diesmal jedoch nicht, sondern kämpfte tapfer weiter und sang die Rolle gut zu Ende. Von dem ehemals so herrlichen Samttimbre Bastianinis war jedoch auch diesmal nur sporadisch etwas zu vernehmen. Schade! Hoffentlich kann der Sänger diese schwere Krise bald überwinden! Giulietta Simionato sang eine herrliche Ulrica, Graziella Sciutti einen charmanten Oscar, und die beiden Verschwörer waren bei Tugomir Franc und Ljubomir Pantscheff in guten Händen. Hans Christian sang erstmals den Silvio und fiel durch seine laute, aber unangenehme Stimme auf und auch Giorgio Gioretti sang die wenigen Sätze des Richters eher laut als schön. Das Publikum quittierte die recht gute, aber keineswegs außergewöhnliche Vorstellung mit freundlichem Beifall.

BALLETTABEND am 27. Mai

TANNHÄUSER am 28. Mai

An diesem Abend dominierten das Orchester und sogar der Chor über die Solisten. Das will schon etwas heißen. Es gab Absagen, Indispositionen und Schwimmfeste, die es merkwürdigerweise eine Woche vorher nicht gegeben hatte. So sang statt des erkrankten Eberhard Wächter Heinz Imdahl den Wolfram, musikalisch korrekt zwar, aber mit schwächlicher Höhe und ohne jede Ausstrahlung. Es gibt drei Möglichkeiten, dem Wolfram beizukommen. Man kann ihn zum Herrn und Ritter machen, wie Wächter, man kann ihn als romantischen, empfindsamen Minnesänger sehen, wie Prey, und dann gibt es ja auch das ragende Denkmal deutscher Sangeskunst in der Gestalt von Fischer-Dieskau. Imdahl hatte nichts von allem. Er war einfach nicht vorhanden. Aber er bemühte sich immerhin, auf Linie zu singen. Nicht einmal darum bemühte sich Hans Beirer, der sich nicht ohne Krampf und in einer Lautstärke ohne jede Nuancierung durch die Partie rackerte, dabei aber noch musikalisch höchst unsauber und unkorrekt sang und die Ensembles, speziell des zweiten Aktes gefährlich ins Wanken brachte. (Aber da sind dann immer alle Anderen schuld!) Gré Brouwenstijn ist schon seit längerer Zeit nicht in guter Form. Die Stimme klingt hohl und flach. Auch Intonationsschwierigkeiten treten auf. Immerhin kann aber ihre Persönlichkeit hier viel ausbessern. Die Ohrenweide des Abends, die Einzige, die Wagner wirklich sang, war Christa Ludwig als Venus. Gottlob Frick (Landgraf)  hatte mit der Höhe und dem Takt zu kämpfen und Ludwig Welter klang auch mehr als holprig.

Wenn nicht Herbert von Karajan gewesen wäre, hätte man die Aufführung vermutlich nicht aushalten können. Doch der Chef bewies mit seiner brennenden Intensität, seiner Meisterschaft im Aufbauen und Strömenlassen, seinem Klangsinn und nicht zuletzt mit seiner Energie und seiner technischen Souveränität wieder einmal seine Unersetzlichkeit. Das Orchester leistete willig Gefolgschaft und spielte sehr schön. Gut (bis auf kleinere Hänger) sang diesmal der Chor. Das sehr geschickt erdachte Verfahren, Karajan zu ärgern und das Publikum zum Besten zu halten, gelang also nur zum Teil. Das heimische Ensemble und dessen Förderer schnitten dabei nicht sehr gut ab. Der Jubel konzentrierte sich natürlich auf Karajan – und wenn dies nur deshalb geschieht, daß die Herrschaften hinter der Bühne vor Wut zerspringen, ist es schon gut. Aber er bringt eben auch das Format mit, das zum Jubel zwingt. So versagt hat noch nie ein Personal, wie in diesen Tagen und so schäbig sind noch selten Theaterleute gewesen, wie die der Wiener Oper. Hoffentlich gewinnen sie nicht – denn die „heimischen“ Vorstellungen vor einem aus Freikartenempfängern bestehenden Auditorium, das nur mehr Lazzi und keinen Gesang vorgesetzt bekommt, natürlich vor gesperrtem Stehplatz – denn der ist ja derzeit der Balken im Auge – wären das Ende der Wiener Oper. Kein Wunder, daß der wahre Opernfreund um sein geliebtes Haus und dessen Format brüllt bis zur Heiserkeit. Dies ist ja die letzte Möglichkeit des Publikums sich zu wehren! Wenn man die giftigen Blicke des Personals dabei beobachtet, hat man den Eindruck, daß dieses das Publikum am liebsten mit einem Wasserschlauch aus dem Hause spritzen würde. (Aber vielleicht wird das ab 1. September gar nicht mehr nötig sein. Wir werden ja sehen!).

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 29. Mai

Das klassische Zweigespann des Verismo stand diesmal zu Preisen IV am Programm. Nello Santi dirigierte beide Werke, auswendig übrigens, aber es schien leider auf weiten Strecken – vor allem des ersten Stückes– als beherrschten außer ihm, der sich förmlich zerriß, nicht allzu viele Musiker ihren Part. Nichts gegen Jugend im Orchesterraum, aber die beiden letzten Pulte der Primgeigen etwa waren mit nicht nur jungen, sondern mit Musikern besetzt, die sich in ihrer Unerfahrenheit nicht über die Aufteilung geteilter Stellen zu einigen vermochten. Das weitere verschweig ich. Angeführt sei nur noch ein schmerzliches Cellosolo in der Cavalleria und allgemeine Müdigkeit im zweiten Akt des Bajazzo, nachdem der erste offenbar alle lebhafteren Impulse der Belegschaft verbraucht hatte. Eher noch trauriger stand es um den Chor. In der Cavalleria verzeichnete man nach wackligem Beginn einen mittelprächtiger Osterchor. Der Chor hinter der Bühne war völlig indiskutabel und eine besondere Delikatesse war der völlig verhaute Einsatz „A casa!“, der einem wahrhaftig Lust machte, den Chor unter Einbehaltung der Gage nach Hause zu schicken. Die Entourage des Trinkliedes klang, als gäbe es keine Subdirigenten. Dabei gab es die für den Chor immer schon. Auch mehrere gleichzeitig. (Auch wenn alle auf den Dirigenten sehen!) Nur so zur Beruhigung der Nerven und zu größerer Sicherheit. Aber – sie nützen nichts. Auch vom Chor her war der erste Akt Bajazzo am besten, während der zweite wieder abfiel.

Die Cavalleria hatte als größtes Positivum die Santuzza der Giulietta Simionato. Tat sie sich anfangs bei einigen exponierten Tönen schwerer, als man das bei ihr gewöhnt ist, war fernerhin ihre völlige Beherrschung der Gestalt und des Gesanges festzustellen, und zudem eine von innen glühende Begeisterung von außerordentlicher, keinen Rückhalt erkennender Intensität. In dieser Hinsicht konnte nur Aldo Protti mit ihr Schritt halten. Er war für Berry als Alfio eingesprungen, nachdem er ursprünglich nur als Tonio angesetzt war. Er schleuderte seine Riesenstimme und sein Temperament derart vehement über die Rampe, daß man sich solcher Ursprünglichkeit, solchen Einsatzes nur aus vollem Herzen freuen konnte und die Freizügigkeiten im Auftrittslied vergaß. Geringer Einsatz, Schonung und Sparen muß hingegen Giuseppe Zampieri angelastet werden. So klein kann doch die Stimme nicht plötzlich geworden sein? Es sei immerhin vermerkt, daß der Sänger nichts verpatzte, und die Stimme keine Rauheiten zeigte, daß also eine Rekreation möglich sein dürfte. Aber so, wie diesmal, kann man keinen Turiddu singen. Eine darstellerische Studie bot Elisabeth Höngen als Mutter Lucia. Lotte Rysanek hielt sich als Lola brav.

Der Bajazzo war ausgeglichener besetzt. Hier führte Aldo Protti um eine Länge. Wirkte er einem beim Prolog gerade erst eingesungen, lieferte er im weiteren seine gewohnte großartige Leistung als Tonio, ohne daß ihm trotz ungeminderten Elans die geringste Anstrengung anzumerken gewesen wäre. Jon Vickers ist zurückgekehrt und man bangte im Stillen, er könnte sich vielleicht nicht erholt haben. Nun, er hat sich erholt. Aber an der Wurzel dürfte das Übel noch nicht behoben sein. Er singt nämlich immer noch viel zu viel mit Kraft, und das könnte leicht immer wieder zu Krisen führen. Gesanglich ist die Partie vertieft und gereift, nur die Darstellung war früher schlichter. Die Stimme gehorcht wieder in allen Lagen, aber die Höhe verlangt im Forte beträchtliche Anstrengung, und in einem Fall wurde sie auch nicht ganz erreicht. Laßt uns das beste für die Zukunft hoffen und wohlmeinend den Finger zur Warnung erheben. Gut war Wilma Lipp als Nedda. Sie ist in die Partie weiter hineingewachsen, ohne jene gewisse, herzerfrischende Naivität verloren zu haben. Schade daß sie schauspielerisch diesmal beim Vogellied so gänzlich unkontrolliert schien. Gut war ferner Robert Kerns als Silvio. Seine Stimme gepflegt einsetzend, nicht zu weichlich und nicht zu grob, jederzeit auf der Höhe, ohne sich ungebührlich in den Vordergrund zu drängen, zudem auch von angenehmem Äußeren und gepflegter Darstellung. Gut war auch Ermanno Lorenzi als Beppo. Franz Bierbach und Fritz Sperlbauer störten durch gewiß nicht calabrischen Dialekt.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 30. Mai

An diesem Abend wurde der 25-jährigen Zugehörigkeit Hans Hotters zur Wiener Staatsoper gedacht. Das Stammpublikum feierte damit den großen Künstler Hotter, dem das Institut viele prachtvolle Abende verdankt. Hans Hotter gastierte am 3.Juni 1939 als Jochanaan in einer von Knappertsbusch geleiteten Salome (mit Schulz, Bugarinovic, Witt und Dermota), tags darauf im Rahmen eines Gastspiels der Hamburger Staatsoper als Julius Caesar von Händel und am 10. 6. unter Clemens Krauss in Strauss’ Friedenstag mit der Ursuleac. Der Künstler konnte in allen Partien einen durchschlagenden Erfolg erringen und kam in den folgenden Spielzeiten zu einem immer engeren Kontakt mit der Wiener Oper. So sang er im Juni 1941 in der Neuinszenierung der Aida unter Guy (mit Ilitsch, Nikolaidi und Svanholm) den Amonasro und im Jänner 1942 den Pizarro in der denkwürdigen Furtwängler-Neuinszenierung mit Helena Braun und Max Lorenz. Zahllos sind die Rollen, die Hotter meisterte und er wurde der Holländer, Wotan, Borromeo. Bald nach Kriegsende war Hotter der Einladung nach Wien gefolgt, und erst der neue Direktor der wiederaufgebauten Oper am Ring, Karl Böhm, glaubte auf Hotter verzichten zu können und engagierte einen Versager, der heute selbst von den mittleren Bühnen Europas verschwunden ist. Herbert von Karajan baute seinen Ring auf die Sängerpersönlichkeit Hans Hotters auf, und er ist auch als König Marke und Gurnemanz ebenfalls aus den Karajan-Inszenierungen nicht wegzudenken. So war man an diesem Abend voll Dankbarkeit gegenüber Kammersänger Hotter und wurde wieder von der großen Persönlichkeit des Künstlers gebannt, der heute noch als Holländer seinesgleichen sucht, wenngleich vom Stimmlichen her – was in Anbetracht des Jahrzehnte langen Wirkens besonders in Wagnerwerken verständlich ist – die Partie dem Sänger schon Schwierigkeiten bereitet. An diesem Abend war dazu noch deutlich die Erregung des Künstlers zu spüren, der wahrscheinlich nicht weniger aufgeregt war, als die Hotter-Fans. Leonie Rysanek hatte leider abgesagt und wurde durch Gladys Kuchta nur sehr unzulänglich ersetzt. Sie war wohl etwas besser als im März als Fidelio-Leonore, doch eine Klassesängerin ist sie nicht. Sie setzt alle Töne so vorsichtig an, daß man glaubt, in einer Aufführung der Akademie zu sein, und schleift die Töne dann hinauf. Die Stimme selbst hat keine Qualität, und der hörbare Registerwechsel beeinträchtigt die gesangliche Leistung sehr. Alles in allem, eine Sängerin, die ihrem vorausgegangenen Ruf hier nicht gerecht wurde. Gottlob Frick ist selbst wenn er nicht gut disponiert ist, so wie an diesem Abend, noch immer der beste Vertreter des Daland, genau wie Gerhard Unger als Steuermann eine Idealbesetzung ist. Hans Beirer ist zur Zeit auch nicht in bester Form. Man merkt es bei ihm vor allem daran, daß er einfach drauflos forciert. Daß dies nicht immer schön und ausdrucksvoll ist, darf nicht verschwiegen werden. Schauspielerisch ist er als Erik besser als in anderen Wagnerpartien. Hilde Rössel-Majdan komplettierte das Ensemble. Leopold Ludwig konnte als Dirigent gut gefallen. Schade, daß das Orchester so mittelmäßig war. Die Hörnerschmisse sind schon derart blamabel, daß man vor jedem Horneinsatz zitterte. Köstlich fanden wir es, daß jedes Mal, wenn einem Hornisten ein Einsatz glückte, sein Nebenmann ihm anerkennend auf die Schulter oder die Schenkel klopfte. So weit sind wir also schon? Was sich der Herrenchor im ersten Akt leistete, überstieg ebenfalls das Erlaubte, und man müßte der Direktion ans Herz legen, hier endlich etwas zu tun, nämlich dafür zu sorgen, daß die Nebenbeschäftigungen bei Tag (das Singen bei den Beerdigungen und Kremationen auf den Wiener Friedhöfen) endlich aufhört und die Choristen durch anständige Bezahlung durch die Oper verpflichtet würden, voll und ganz dem Haus zur Verfügung zu stehen und hier wirklich einsatzwillig zu sein. Vielleicht könnte dann auch unterbleiben, daß die Choristen in Maske und Kostüm zwischen dem ersten und letzten Bild des Cardillac (am 2. Juni) in Autobusse verfrachtet werden und ins Theater an der Wien für eine Probe zur Festwochenproduktion des Danton gebracht werden, denn eigentlich müßten sie doch während der Opernaufführung in der Oper sein? Oder gibt’s da Ausnahmen? Wir wissen nur, daß man bereits wegen zu langer Probenzeit dem Chef das Licht abgedreht hat. Hat sich denn bei dieser Doppelbeschäftigung an einem Abend die Gewerkschaft nicht eingeschaltet? Was nützt es, wenn jetzt schon Proben für die nächstjährige Lohengrin-Premiere abgehalten werden, wenn der Chor im täglichen Repertoire, wie es gerade in den beiden letzten Tagen offenbart wurde, versagt?

LA BOHEME am 31. Mai

Diese Aufführung gab dem traurigen Monat doch noch den großen, den krönenden, den weltstädtischen Abschluß. Die obskure Programmgestaltung der Festwochen 1964, die zwar Verkaufte Braut ebenso unnötigerweise serviert, wie den Cardillac und die Jenufa, hat nur für eine Aufführung dieser herrlichen Inszenierung Platz. Krönung der Poppea und Pelleas und Melisande, der noch dazu ins Festwochenmotto passen würde, sind ja unnötig, weil sie nicht von Hilberts Gnaden ins Repertoire gelangten. Auch den Wozzeck braucht man offenbar nicht mehr als einzigen großen österreichischen Beitrag zur Oper des 20. Jahrhunderts. Na bitte schön. Wenn wir aufs Motto pfeifen, können wir aber doch wenigstens an die Kasse denken, und die Boheme viermal spielen, denn bei einer Aufführung verschwanden natürlich fast alle Karten und tauchten bei der Agiotage wieder auf. Bei solchen Anstellschlachten, wie bei dieser Boheme braucht sich auch  niemand zu wundern, daß das Publikum am Ende seiner Nervenkraft ist. Bei dieser Aufführung kann man eben nur in Jubel ausbrechen, da gibt’s kein Vor-sich-hin-Dösen. Nicht im Zuschauerraum und Gott sei Dank nicht auf der Bühne. Mirella Freni ist Mimi, mit Zartheit der Empfindung und Kraft der Stimme, mit Seele im Singen und im Spielen, mit stiller Freude und rührender Traurigkeit, mit blühendem Ton und edler Linie. Eine wahrhaft vollendete Leistung! Gianni Raimondi ist wieder der Partner, in einer tenoralen Kraft und Gesundheit, mit Humor und Gefühl. Graziella Sciutti ist nie eine Musetta gewesen, doch war sie in dieser Aufführung besser denn je, da Karajan sie natürlich nicht untergehen ließ, sondern auf dem Orchesterteppich trug. Der aparte Reiz des kleinen Persönchens und die Teilnahme im vierten Akt verfehlten auch diesmal ihre Wirkung nicht. Rolando Panerai sang den Marcello mit seinem urwüchsigen Charme. Giuseppe Taddei verleiht dem Schaunard musikalisch und darstellerisch Leben und Profil. Nicola Zaccaria erreichte seinen Vorgänger Ivo Vinco trotz einer sehr schön phrasierten und mit Gefühl gesungenen Mantelarie nicht, weil er zu elegant war, zu lebendig, zu spritzig. Hier paßte Vincos Stoizismus weit besser. Herbert von Karajan dirigierte die Boheme genauso, wie man nie denken konnte, daß sie sein könnte. Welche Phrasen, welche Schönheit, welches Leben, welche Wahrhaftigkeit im Ausdruck und im Gefühl! Adäquat die vielgerühmte Zeffirelli-Regie, die bei jeder neuen Begegnung beweist, daß die italienische Oper nicht nur aus ein paar hohen C besteht. Durch solche Aufführung wird sie weiterleben, wenn viel Krampf und Diejenigen, die diesen verursachten, bereits vergessen sind. Das Publikum tobte vor Begeisterung und demonstrativ

 

DAPHNE am 30. Mai als Festwochenproduktion im Theater an der Wien

Die griechische Sage vom singenden Lorbeerbaum muß auf die Menschen einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Oder ist es nicht die zarte, schwebende Daphne, die die Opernschöpfer vom Anfang an inspirierte, sondern Apollo, der Strahlende? Wie dem auch sei, Richard Strauss hat den beiden in seinem milden, in feierlichem Glanz dahinströmenden Alterswerk genug leuchtende Höhen zugeteilt, um die Rollen nur für die absolute Spitzenklasse zugänglich zu machen. Das dürfte der Grund dafür sein, daß dieses schöne Stück so selten auf den Spielplänen steht. Zum Anderen ist vielleicht das Libretto Joseph Gregors daran schuld, dessen Klassik etwas holpert und dessen Verständlichkeit in der Strauss’schen Orchesterflut nicht eben groß ist. Doch ist die Aufführung wichtig und zu bejahen. Sie ist weit mehr für Wien passend, als vieles Andere. Und eine Rarität ist die Daphne ja immerhin auch. Die Vorstellung war sehr schön.

Rudolf Hartmann führte Regie, nicht ohne die Bühnenfläche genau so aufgeteilt zu haben, wie schon seinerzeit. Sich einmal andere Auftritte auszudenken, überschreitet offenbar die Kapazität eines bewährten Ensemblestreiters. Überdies ist es praktisch, wenn mehrere Städte gleich angelegte Strauss-Inszenierungen haben, da können die Sänger dann ungeniert von einer Inszenierung in die andere umsteigen. Auch eine Lösung. Herr Hartmann trägt somit ungewollt zur Internationalisierung bei. Immerhin sind aber die Wiener nicht so, daß sie unbedingt alles anders haben müssen, und gepflegte Konvention, dort wo sie hinpaßt, ist ja auch nicht das Schlechteste. (Die Oper hätte ja auch Bohumil Herlischka in die Klauen fallen können). Das Bühnenbild, in Gold getauchte Klippen und Bäume, im Hintergrund ein dräuender Olymp, stammt von Rudolf Heinrich und gewann seine volle Schönheit erst durch die wirklich vorzügliche Ausleuchtung. (Technik Sepp Nordegg). Die Kostüme waren zwar sehr stilgetreu, aber nicht unbedingt kleidsam. So wirken etwa ausgewachsene Männer in plissierten Babydoll-Hemdchen etwas merkwürdig. Prachtvoll waren hingegen die Gewänder der Gaea und des Peneios, zumal Letzterer hatte etwas unwahrscheinlich Archaisches. Apollos Kostüm war dafür wieder schrecklich. So lange Beine hat nicht einmal Phöbus Apollo persönlich, daß er dieses Kleidungsstück tragen kann.

In den stimmlichen Leistungen gab es eine deutliche Skala von herrlich bis untermittelprächtig. Eine Strauss-Stimme von erlesener Schönheit, schimmerndem Glanz und über die Orchesterfluten dominierender Tragfähigkeit hat Hilde Güden, die auch alle ihre Vorzüge in Bezug auf Phrasierung, Melodieführen, Technik und Vortrag in dieser Partie (fast noch mehr als in ihren bisherigen) unter Beweis stellen konnte. Auch als Rolle liegt ihr die Daphne sehr. Sie hat die kühle Anmut und das irgendwie Ferngerückte dieser Naturerscheinung ganz besonders gut herausgebracht. Fritz Wunderlich (Leukippos) war ihr bester Partner. Auch er hat eine Stimme von echter Strauss’scher Leuchtkraft, dazu den jugendlichen Trotz und die Leidenschaft im Ausdruck. Sein Timbre konnte wieder einmal das größte Vergnügen des verwöhnten Kenners erregen. Nicht ganz so gut war der Apollo von James King, wenngleich dieser Sänger recht gescheit zu sein scheint und  offensichtlich weiß, was er tut. (Das war bei unseren früheren Apollos von Karl Friedrich und Torsten Ralf nicht unbedingt der Fall). Auch die Stimme klingt gut. Sie hat zwar Metall, aber nicht den typischen, amerikanischen Knödel, den so viele Sänger von jenseits des Ozeans mitbringen. (Der kann nur von der Ernährung kommen). Leider ist die Stimme technisch nicht perfekt und scheint rasch zu ermüden, was zu einigen Brüchen in der heldenhaft angesteuerten Höhe führte. Vera Little drückt ihre Stimme recht künstlich in die verlangten Kontra-Alt-Tiefen. Die Rolle des Peneios erhielt zwar von Paul Schöffler visionäre Überzeugungskraft, aber leider recht wenig Stimme. Diese Partie gehört rechtens einem jungen Baß, nicht einem bewährten Bariton. Die beiden Mägde, mit Rita Streich und Erika Mechera besetzt, waren eine ebenso typische heimische Ensembleauslese, wie die vier Hirten (Hans Braun, Kurt Equiluz, Harald Pröglhöf und Ludwig Welter). Da hätte man für eine Festspielaufführung schon jüngere und schönere Stimmen anheuern können. Eitel Wohlklang strömte aus dem Orchester, wo Karl Böhm, mit „seiner“ Daphne nach langen Jahren wieder in bestem Kontakt und mit hörbarer Freude am Werk, die ganz hervorragend spielenden Wiener Symphoniker leitete. Das war ein Strauss-Klang, der Freude machte!    

 

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