DER JUNI 1964

9. Jahrgang, Heft 7

 

Finale!

Zu Ende die Saison, die Wiener Festwochen und der Glanz der Karajan-Ära. Als Egon Hilbert Co-Direktor wurde, sagte er, daß er mit Karajan stehen und fallen werde. Karajan ging, Hilbert blieb. Warum auch nicht? Man kann sich schließlich etwas auch anders überlegen! Mailand hat den Vertrag mit der Wiener Oper gekündigt. Wir haben also die „Achse“, die soviel Traumaufführungen im Haus ermöglichte, nicht mehr! Macht nichts, dafür haben wir Dr. Hilbert, der von sich selbst sagte, daß die Wiener Oper ihn brauche, und wir haben das „heimische Ensemble“, von dem der Betriebsrat Otto Vajda in einem Schreiben an den Unterrichtsminister erklärte, daß die Wiener Oper nun besser denn je werde. Ehedem beschuldigte uns Herr Vajda, daß wir einen rechtswidrigen Standpunkt einnehmen, weil wir gegen die gewerkschaftliche Stellungnahme im Falle des Maestro suggeritore opponierten. Mittlerweile entschied der Oberste Gerichtshof, daß der gewerkschaftliche Standpunkt rechtswidrig gewesen sei. Macht nichts, irren ist menschlich! Und einen Suggeritore brauchen wir in Hinkunft ohnedies nicht mehr, denn Mozart werden wir wieder deutsch spielen, und wir bleiben unbelastet von internationalen Maßstäben, treten vielmehr in Konkurrenz mit den Landestheatern vom Neusiedlersee bis zum Bodensee, und diesen Wettbewerb werden wir garantiert mit einer Pferdelänge Vorsprung gewinnen, denn wir haben ja Dr. Hilbert! Wir haben noch keine Planung für die nächste Saison, aber das soll uns nicht bekümmern. Herr Dr. Hilbert schafft das schon. Franco Zeffirelli sagte die Traviata ab, Leontyne Price und Birgit Nilsson stehen dem Haus nicht mehr zur Verfügung, die Italiener wandern ab und der Generalsekretär der Wiener Staatsoper Emil Jucker, von dem Dr. Hilbert uns selbst sagte, daß er der größte Segen für das Haus sei, hat um Lösung seines Vertrages ersucht, weil er nach Karajans Ausscheiden keine Voraussetzungen für seine Tätigkeit in Wien mehr vorfände. Macht nichts, Direktor Dr. Hilbert wird dafür sorgen, daß wir ganz „unter uns“ bleiben und die Kongresse von den Rübenbauern bis zu den Vogelzüchtern ohne Mühe Karten, ja ganze Aufführungen zu kaufen bekommen werden. Herr Dr. Hilbert sagte uns, er sei „gelernter“ Österreicher. Jetzt wissen wir, was das bedeutet. Wir schließen mit diesem Monatsbericht die Chronik über die Zeit des Hauses, da es den ersten Rang im internationalen Musikleben einnahm. Glück auf zum Österreichischen Theater!

 

DIE VERKAUFTE BRAUT am 1. Juni

Wiener Festwochen – Preiskategorie IV – dahinter vermutet man wahrlich (und mit Recht) eine Festaufführung! Was dann allerdings einem Montag-Publikum geboten wurde, war aber kein wirkliches Fest, sondern gab wieder einmal Grund zum Nachdenken. Vorerst erhebt sich die Frage, was eine so abgespielte und lustlos heruntergespulte Repertoire-Aufführung in einem Festwochenprogramm überhaupt zu suchen hat. Darüber hinaus wurden die heurigen Festwochen unter ein Motto „Anbruch unseres Jahrhunderts“ gestellt. Also auch rein themenmäßig paßt dieses Werk nicht hinein. Wenn schon ein repräsentativer Querschnitt durch das Schaffen des Hauses, dann bitte in einer Form, daß auch der Feinschmecker auf seine Rechnung kommt. Warum hat man sich nicht der Mühe unterzogen, den Wozzeck einzubauen, auch ein Pelleas hätte ins Programm gepaßt, ganz abgesehen davon, daß beide Werke auch dem Festwochenmotto entsprochen hätten. So gut, so schön. Da es nun aber schon einmal passiert ist, daß die nun schon allzu oft verkaufte Marie wieder über die Bretter muß, hätte man sie allerdings ein wenig aufputzen müssen und nicht, wie dem Winterdurchschnitt entsprechend, ganz einfach ansetzen und spielen, gleichgültig was dabei herauskommt. Wäre es nicht der Mühe wert gewesen, vielleicht Fritz Wunderlich für den Hans zu interessieren? Hätte es für die Besucher nicht einen Anreiz gehabt, Pilar Lorengar als Marie zu sehen und zu hören? Und, last not least, steht Gottlob Frick schon lange auf dem Wunschzettel der eingefleischten Dauerbesucher für den Kezal. Vielleicht dann noch Krombholc und einige Proben… Ja, aber da hätte man auch disponieren und sich vorher den Kopf zerbrechen müssen! Aus dem heimischen Ensemble ragte einzig und allein Waldemar Kmentt als Hans heraus. Gesanglich hervorragend disponiert, war er es allein, der noch ein wenig vom Schwung der Rennert’schen Inszenierung ahnen ließ. Im übrigen waren eingesetzt: Gerda Scheyrer als Marie, Oskar Czerwenka als Kezal, Peter Klein als Wenzel, Alfred Poell – Elisabeth Höngen und Tugomir Franc – Hilde Rössel-Majdan als Elternpaare. Olivera Miljakovic war als Esmeralda zu sehen und zu hören. Der Prinzipal des Zirkusunternehmens war wieder Erich Kunz. Allerdings hatte man beim Anblick seiner heiteren Schar den Eindruck, daß auch ihm der künstlerische Leiter abhanden gekommen ist. Chor und Orchester präsentierten sich in mittelmäßiger Verfassung. Heinz Wallberg sorgte für eine etwas trockene Wiedergabe. Und das Ganze, wie schon gesagt, in Preiskategorie IV!

CARDILLAC am 2. Juni

Hindemiths Oper stand auch in den Festwochen auf dem Spielplan, und das Haus war auch diesmal, trotz des starken Fremdenverkehrs, schlecht besucht. Ganze Logen gähnten vor Leere und auf den Stehplätzen hätte man sich ohne weiteres niederlegen können. Je öfter man die Aufführung sieht, desto absurder findet man die Regie Hagers, und der Auftritt des Sonnenkönigs mit Gefolge in der Werkstatt des Goldschmieds wirkt beinahe lächerlich. Dazu tritt ein Paar von der entgegengesetzten Seite auf, sodaß man vermeint, sie kämen soeben aus dem Schlafzimmer Cardillacs. Die musikalische Leitung lag wieder in den Händen Leopold Ludwigs. Wie immer standen Wilma Lipp und Otto Wiener im Mittelpunkt der Aufführung. Sehr gut war diesmal in stimmlicher Hinsicht Irmgard Seefried (die allerdings schauspielerisch mit der Rolle der Kokotte nichts anfangen kann. Sie war schon seinerzeit im Theater an der Wien als Giulietta im Hoffmann unglaubwürdig) und Gerhard Stolze. Unterbesetzt ist nach wie vor der Goldhändler mit Siegfried Rudolf Frese, schwächer als sonst Mikko Plosila als Offizier. Hans Braun in der undankbaren Rolle des Führers der Prévôt rief Unruhe unter den Stehplatzbesuchern hervor, wobei ein deutscher Besucher meinte: „So was gibt’s doch gar nicht.“ O, doch, bei uns schon!

FIDELIO am 3. Juni

Es war natürlich eine wunderbare Vorstellung, mit Stimmung und Größe, mit Intensität und Steigerung, aber der Musikfreund hatte immer noch die gigantische Aufführung des 21. Mai in den Knochen und konnte die diesmalige nicht ganz so würdigen. Aber wir sind unbescheiden, solche Ansprüche werden uns schon noch vergehen. Vielleicht lag’s an der Titelrollenträgerin. Inge Borkh ist eine ausgesprochen hektische Sängerin. Ihr Fidelio ist ein gestiefeltes Heldenweib und entbehrt der fraulichen Seele und Wärme. Auch die Stimme ist etwas unruhig, wenngleich sie z.B. eine Kuchta noch um Klassen überragt. Die übrige Besetzung war die gewohnte, mit James McCracken als stimmgewaltigem Florestan an der Spitze, mit einer fast markierenden Gundula Janowitz, mit Walter Berry, Eberhard Wächter, Walter Kreppel und Waldemar Kmentt in guter Form. Herbert von Karajan war diesmal gelegentlich ruhiger, lyrischer, führte aber den zweiten Akt mit gewaltiger Steigerung zum Finale, wobei er vom Chor im Stich gelassen, vom Orchester brav unterstützt wurde.

OTHELLO am 4. Juni

Gewisse Gemeinsamkeiten hat die Oper doch mit dem Fußballsport. Inzwischen stellt sich nämlich heraus, daß sportbegeisterte Unterrichtsminister zumindest fairer sind, denn es passiert mitunter, daß die Papierform trügt und angesagte Feste gewisse Einbußen an Festlichkeit erleiden. So war man von Dimiter Usunow in der Titelpartie durch einen nicht gerade umwerfenden Auftritt befremdet. Er lieferte dann jedoch einen guten ersten Akt, hatte aber im zweiten mehr und mehr zu kämpfen. In der Pause ließ er sich wegen Indisposition entschuldigen und schlug sich in der Folge so wacker wie möglich. Zu dickes Auftragen in der Gestik war ein zwar gutgemeinter, aber unnötiger Versuch, einen gewissen Ausgleich zu bieten. Uneingeschränkt herrlich in ihrer unerreichbaren Innigkeit Sena Jurinac als Desdemona. Stimmlich in bester Form, hielt sie die glückliche Mitte zwischen dramatischem und lyrischem Vortrag. Es dürfte nicht viele Sängerinnen geben, die den gefährlichen Beginn des vierten Aktes so zu gestalten wissen, daß man sich fragt, wieso  man ihn sonst so oft als Länge empfindet. Giuseppe Taddeis Jago ist eine Prachtfigur, etwas vierschrötig und landsknechthaft, weniger die geschmeidige Freude am Bösen verkörpernd als harte Naturgegebenheit. Stimmlich immer noch in beachtlich guter Verfassung, ließ er es weder an Kraft noch an Feinheiten fehlen. Eine geradezu sensationell gute Emilia bot Margarita Lilowa. Ist man doch gerade in dieser Partie gewisse Schrilltöne fast schon gewöhnt, deren Ausbleiben einen direkt aufatmen ließen. In ziemlich trauriger Verfassung präsentierte sich Giuseppe Zampieri als Cassio. Was hatte man sich einst von dieser Stimme  doch alles versprochen! In den kleineren Rollen zogen sich Ermanno Lorenzi bestens, Frederick Guthrie gut (wenn man dieser Stimme doch etwas mehr Mark geben könnte!), Siegfried Rudolf Frese und Harald Pröglhöf befriedigend aus der Affäre. Nello Santi leitete die Aufführung mit Elan und Engagement.

CAPRICCIO am 5. Juni

Diese Aufführung hatte natürlich nicht mehr das Niveau der Neueinstudierung. Georges Pretre mußte einige Kämpfe bestehen, ehe das Orchester wieder in Schwung kam. Der echte Strauss-Klang stellte sich nicht immer ein. Auch auf der Bühne waren die Leistungen unterschiedlich. Elisabeth Schwarzkopf hatte an ihrem ersten Wiener Abend in diesem Jahr keine Hochform zu bieten. Die Stimme klang etwas angestrengt, in den höheren Lagen gelegentlich scharf und wirkte auch überakzentuiert. Doch konnte sie mit der Persönlichkeit einer echten Künstlerin hier weit mehr ausbessern als etwa Dagmar Naaf als gastierende Clairon, die eine glatte Null darstellte und weder Höhe noch Tiefe, dafür eine unbedeutende Mittellage hat. Hübsch war sie, das war alles. Das war wieder ein Schwaben-Streich der Direktion! Ira Malaniuk ist eine ebenso gut aussehende und weit charmantere und markantere Clairon. Womit hat sie sich eigentlich den Unwillen der Herren Hilbert und Deutsch zugezogen, daß man, nachdem Frau Ludwig nicht zur Verfügung stand, zuerst Herta Töpper und dann die bläßliche Dagmar Naaf als Gast engagierte, obwohl Ensemblemitglieder zur Verfügung gestanden wären? Frau Malaniuk muß man einige Abende ausbezahlen, da sie die Anzahl ihrer vertraglich zugesicherten Abende nicht absingen konnte. Man zimmere ein neues Fenster zum Geldhinauswerfen! Die Herren traten auch nur zum Teil in der neuen Standardbesetzung an. Otto Wiener hatte seinen humorvollen, ausdrucksmäßig immer noch wachsenden und stimmlich vorzüglichen La Roche zu bieten, Robert Kerns einen sympathischen Grafen. Waldemar Kmentt klang als Flamand diesmal schwächer. Der neue Olivier war Hermann Prey, mit schöner Stimme und gewinnendem Äußeren, nicht so markant und sarkastisch wie Berry, eher lyrischer und schwärmender. Fritz Wunderlich und Lucia Popp heimsten mit dem Duett der italienischen Sänger den Löwenanteil an Applaus ein, obwohl Wunderlich vorher (am gleichen Abend) den Leukippos (!) gesungen hatte und naturgemäß etwas müde schien. Alois Pernerstorfer und ein stimmlich unhomogenes Lakaien-Oktett ergänzten die Besetzung.

BALLETTABEND am 6. Juni

DER TROUBADOUR am 7. Juni

Was für ein Werk! Sollte sich Karajan sonst kein Verdienst um Wien erworben haben, als jenes, daß die Wiener Verdi und Puccini erst so richtig kennen und lieben gelernt haben, wäre dieses Unternehmen allein Anlaß genug für Orden und Lorbeerkränze. Was ist doch dieser Troubadour für eine Oper! Sinnlicher Glanz, blühende Schönheit in der Kantilene, Elastizität und Spannung, Vibrieren der Nerven, Kraft des Herzens und zündende Dramatik. Und das alles hervorgezaubert und liebevoll gehütet von Maestro Herbert von Karajan! Die Aufführung war wieder so wie zu Zeiten der Salzburger  Premiere, als die Besucher mit irrem Lächeln durch Salzburgs traditionserfüllte Gäßchen schritten und versuchten, Koloraturen zu singen. Von der Besetzung muß Leontyne Price zuerst genannt werden. Merkwürdigerweise wirkte sie im ersten Akt irgendwie kühl und distanziert, war jedoch im Finale des zweiten Aktes bereits ganz groß und sang im vierten Akt eine derart traumhafte Arie, daß selbst Milanov-Anhänger ihrer Begeisterung freien Lauf ließen. Miserere und Duett waren weitere Höhepunkte des Abends. James McCracken ist ein kraftvoll singender Manrico mit imposanter Stimme. Subtilitäten der Phrasierung hat er natürlich keine zu bieten, doch wenn er auftrumpft, hat er auch seine Qualitäten. Giulietta Simionato gestaltete eine wunderbare Azucena, erfreut sich aber stimmlich nicht mehr der gewöhnten Mühelosigkeit für die Rolle. Andererseits ist ihr restloser Einsatz bewundernswert. Aldo Protti dürfte den Luna, den er statt des absagenden Bastianini übernahm, lange nicht gesungen haben. Außerdem war er sehr nervös. Karajan legt bekanntlich großen Wert darauf, daß Sänger richtig placiert sind. So achtete Aldo Protti also scharf auf die Scheinwerferkegel, was ihn etwas aus dem Konzept zu bringen schien, denn er spaziert doch ansonsten recht frei und ungehemmt auf der Bühne umher. So dürfte es auch zu einigen Unsicherheiten und einem größeren Ausstieg gekommen sein, was man bei Protti ja nicht gewohnt ist. Stimmlich war er in den Ensembles (besonders im 3. Akt) ausgezeichnet. Die Arie allerdings dürfte nie seine Stärke gewesen sein. Dafür singt er wohl etwas zu roh, und seine momentane stimmliche Verfassung ist obendrein auch nicht die beste. So konnte er auch nur teilweise gefallen. Besonders der Bastianini-Anhang, der des höheren Zieles wegen trotz dessen Absage in die Oper gekommen war, lohnte seine Bemühungen mit eisigem Schweigen. Nicola Zaccaria ist ein ziemlich „taktloser“ und gelegentlich auch unhörbarer Ferrando, hat aber mit seinem knorrigen Ritter-Timbre dann auch wieder gute Stellen. Das Publikum bejubelte zum Schluß endlos Karajan und die Price – als hätte es den letzten Troubadour gehört. (Was ohne weiteres der Fall sein kann!)

MADAMA BUTTERFLY am 8. Juni

Nello Santi am Pult war der eigentliche Held des Abends. Unermüdlich kämpfte er vom ersten Takt an gegen das müde Orchester an, und man bewunderte zum Schluß seine Energie, mit der er den Kampf gegen die Routine gewann. Als Titelrollenträgerin gastierte wieder Felicia Weathers. Sie betont mehr die Zierlichkeit der Figur. Die Stimme selbst ist nicht gerade groß, sodaß die dramatischen Stellen der Partie nicht ganz zur Wirkung kamen. Jedenfalls eine brave und gekonnte Durchschnittsleistung, die im Vergleich zu den ensembleangehörigen Nebenrollenträgern herausragte. Frau Weathers dürfte für die Hilbert-Ära ein Gewinn sein. Für Karajans Direktionszeit war sie Durchschnitt und nicht mehr. Giuseppe Zampieri als Pinkterton lag unter dem Durchschnitt. Herrlich und von natürlicher Frische klang das Organ von Margarita Lilowa als Suzuki. Diese Künstlerin müßte man mehr herausstellen. Aber wird sie im kommenden Ensemble-Theater Platz finden, wo man doch mehr auf politische Verbindungen als auf gesangliche Darbietungen Rücksicht nehmen muß? Wir sehen in dieser Hinsicht bereits dunkle Wolken in der Entwicklung von Frau Lilowa aufsteigen, denn die Hausmitglieder werden ihre ersessenen Rechte gewiß behaupten. Eberhard Wächter führte die üblichen Nebenrollenträger an.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 9. Juni, geschlossene Aufführung.

Man gab für den Weltpostkongreß eine Mozart-Oper, und es kamen nicht einmal die Stehplätze zum freien Verkauf. Einigen Unentwegten gelang es trotzdem, knapp vor der Aufführung von den Kongreßteilnehmern Karten zu ergattern und so der einzigen Figaro-Aufführung im Großen Haus während der Festwochen beiwohnen zu können. Die Aufführung hatte trotz unterschiedlicher Leistungen gutes Niveau. Die Palme des Abends gebührt dem Dirigenten Josef Krips, der einen Mozart dirigierte, wie man ihn sich schöner und wienerischer nicht denken kann, womit er der Besetzung, die an diesem Abend sang, entgegenkam. (Bei Siepi oder Evans als Figaro müßte die Interpretation zweifelsohne dramatischer und revolutionsnäher sein). Das Orchester folgte willig seinen Intentionen, und so erfüllte sich hier alles auf das schönste. Auf der Bühne stand ein neuer Graf und diesem vor allem galt unser Interesse: Hermann Prey, erstmals im Großen Haus.  Er legt die Rolle lockerer an, ist nicht der Herrenmensch, den Wächter auf die Bühne stellt, auch nicht die fast zu starke Persönlichkeit eines Fischer-Dieskau, sondern ein sehr junger, verspielter Edelmann, dessen Groll sich zweifellos bald wieder legt. Gesanglich war Prey sehr gut. Lediglich in der Aire hat er mit dem Spitzenton, ebenso wie viele andere Vertreter dieser Partie, Schwierigkeiten und im 2. Akt-Finale mangelte es an Tiefe. Alles in allem ein sehr interessantes Rollendebüt, und man muß im Nachhinein sagen, daß Hermann Prey mit dieser Partie zum Wiener Operndebüt wesentlich glücklicher gewesen wäre, als mit dem Wolfram. Elisabeth Schwarzkopf, die abermals nicht in ihrer gewohnten stimmlichen Hochform war, wirkte nervös und saisonmüde. Anneliese Rothenberger war das darstellerisch entzückende und gesanglich passable Susannchen. Olivera Miljakovic (Cherubino) singt die Partie wohl brav, doch wird das Spiel immer schlechter. Es müßte hier endlich eine Möglichkeit gegeben werden, die Rolle mit einem guten Regisseur zu erarbeiten. Dann wird das Ganze anders aussehen. Erich Kunz sang wieder seinen Standard-Figaro und war bemüht, den sprachunkundigen Kongreßleuten mimisch die Partie verständlich zu machen. Von den Nebenrollen ist Lucia Popp als ausgezeichnete Barbarina zu erwähnen, während man über alle übrigen Mitwirkenden besser den Mantel des Schweigens breitet. Denn was an diesem Abend Marzelline und Basilio produzierten, ist dem Ruf der Wiener Oper abträglich. Das Publikum, das sich in der Pause (auch der Rezensent) an den reichhaltigen Buffets bei Sandwiches, Süßigkeiten, Wein, Sekt oder Kaffee und Limonaden delektierte, was alles gratis zu haben war, war sehr beifallsfreudig und wohl das beste bisher miterlebte Kongreß-Publikum.

TOSCA am 10. Juni

Herbert von Karajan hatte diesmal, wohl durch die Anstrengungen der Frau ohne Schatten-Proben verursacht, einen eher lyrischen Tag. Die Tosca war sehr schön, ausgewogen im Klang, hatte aber nicht jene Dramatik, die man von ihm schon gewohnt war. Leontyne Price folgte ihm hier willig. Sie ist nicht mehr so wild und draufgängerisch, wie bei ihrem Rollendebüt, sondern sucht die Linie und findet sie auch. Sie singt die Partie sehr schön. Auch ihre Auffassung ist akzeptabel und glaubhaft. Was ihr fehlt, ist die große damenhafte Gebärde. (Doch wie viele große Sängerinnen können sich dieser rühmen… und außerdem handelt Tosca nicht immer ganz damenhaft). Flaviano Labo war ein stimmlich und darstellerisch ziemlich unscheinbarer Cavaradossi. Überdies ist diese Rolle nie die seine gewesen. Jetzt schon gar nicht, wo er eigentlich schwächer ist, als damals, da wir ihn kennenlernten. Giuseppe Taddei war ein aalglatter Bösewicht mit brutalem Charme und hinterlistigem Lächeln, stimmlich ausgezeichnet. Nicola Zaccaria ist ein Angelotti, dem man seine ehemals innegehabte Funktion als Konsul von Rom glauben kann. Erich Kunz, Erich Majkut und Harald Pröglhöf waren dafür „heimisch“.

 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 11. Juni, Premiere A

WAR ES DER ABSCHIED?

Die stete Entwicklung des Künstlers Herbert von Karajan auf musikalischem und szenischem Gebiet hat mit dieser Aufführung ihre Krönung gefunden. Die absolute Vollkommenheit und Geschlossenheit ist erreicht, das Maximum gelungen. Eine größere Einheit zwischen Bühne und Orchester, zwischen Musik und Szene läßt sich auf der Opernbühne nicht mehr denken, nicht mehr erzielen. Die beiden tragenden Ebenen des Werkes – das Geisterreich und die turbulente Welt der Menschen – sind schon durch die Farbgebung deutlich voneinander geschieden. Das magische, schillernde Blaugrün des ersteren findet seine Ergänzung in den erdigen Rot- und Braun-Tönen der zweiten – alles in vollkommener Übereinstimmung mit den gleißenden Farben der Strauss’schen Musik. Der Bühnenbildner Günther Schneider-Siemssen hat sich mit diesen Traumbildern selbst übertroffen. Die Kostüme von Ronny Reiter bildeten die ideale Ergänzung. Doch wäre die absolute Schönheit der Bilder auf der Bühne nicht so vollkommen gewesen ohne die alle Möglichkeiten des szenischen Apparates ausschöpfende Beleuchtungs- und Maschinentechnik, die das Unbegreifliche wahr machte und das Märchen lebendig. (Bravo Rotter und Felkel!) Doch auch in der Personenregie hat Karajan einen ungeheuren Schritt nach vorne getan. Hier begegnete man nicht den steifen, pathetischen Operngestalten, die uns die Strauss-Spezialisten stets servierten. Die Figuren gewannen menschliches Leben, und die Problematik der so unterschiedlich Liebenden ging auf ganz moderne Weise unter die Haut.

Wie richtig, wie wahrhaft menschlich zeichnete doch Christa Ludwig die Färberin, nicht als hektischen Elektra-Abkömmling. Hier war die Entwicklung von Nichtverstehen zur inneren Einsamkeit und zu Trotz und Auflehnung in einem großen Bogen gezeichnet, gipfelnd in der Reifung und Klärung einer Frauenseele. Gesungen hat Christa Ludwig einfach gigantisch. Es ist ja theoretisch gar nicht möglich, daß sie praktisch eine Sopranpartie so herrlich schön und auf Linie singen kann, wie ein Sopran es nie fertig bringt. Das sinnlich glänzende Timbre und die sichere technische Fundierung der herrlichen Stimme macht den Genuß vollkommen. Der Gegenpol aus dem Geisterreich war Leonie Rysanek. Auch sie sang herrlich. Die schwebenden Piani der ersten Szene verliehen der Partie das Unwirklich-Kristallene, das ihr eigen ist. Die gewaltige Explosivkraft der Stimme gibt der Kaiserin in fortschreitender Entwicklung die menschliche Wärme, die sie gewinnen muß, ehe das Herz aus Kristall zerbricht in einem Schrei. Grace Hoffman war eine herrliche Amme. Nicht aus äußerlicher Maskierung und schminktechnischem Mummenschanz gewinnt die Rolle bei ihr die Dämonie, sondern aus dem Metall der Stimme und aus der Einfühlung in die musikalische Linie. Diesen ganz außerordentlichen Leistungen der drei Damen standen auch hervorragende Herren gegenüber. Walter Berry ist für den Barak vom Typ wie vom Stimmtimbre her ideal. Er hat die Güte und das menschliche Herz, die Kraft des Liebenden und auch die Härte des wahren Mannes. Gesungen hat auch er prachtvoll, mit tiefem Ausdruck und echtem Gefühl. Jess Thomas, der debütierende Kaiser, wurde dem ihm vorausgeeilten Ruf als intelligenter Künstler durchaus gerecht. Die Erfassung und Formung der Rolle stellt nämlich ein absolutes Novum dar. Seine Rollenvorgänger waren darin (außer Julius Patzak natürlich) weniger gut. Die metallische, gut geführte Stimme konnte in der Intensität ihres Ausdrucks auch außerordentlich gut gefallen. Bei allen Hauptrollenträgern war das ideale Alter und das prächtige Aussehen ein weiteres gemeinsames Positivum. Man soll diese Faktoren bei einer modernen Operninszenierung nicht unterschätzen. Sie vertiefen die Verständlichkeit der Handlung und die Wirkungskraft der Rollen. Das ist bei diesem Werk, das schon vom Buch her schwer zugänglich ist, ein besonderer Vorteil und trug sicherlich bei zur Vermenschlichung der Konflikte, was wieder dem Hörer zugute kommt. Denn hier sind die Verbindungen zur Zauberflöte und zum Parsifal klarer und sichtbarer. Der Hörer lebt und bangt mit Allen und möchte den C-Jubel des Finales am liebsten mitjubeln. Die kleineren Rollen waren mit Walter Kreppel (Geisterbote) und den Herren Erich Majkut, Siegfried Rudolf Frese und Ludwig Welter gut, mit Fritz Wunderlich (Stimme des Jünglings) hervorragend besetzt. Ausgezeichnet auch Lucia Popp, die durch die Zusammenziehung der Falken- und Schwellenhüterstimmen und durch ihre Mitwirkung bei den Ungeborenen- und Mägdechören eine beinahe abendfüllende Partie bekam. Die zupackende Dramatik ihres hohen Soprans verdiente wieder außerordentliche Beachtung. Der Chor und die kleineren Solistinnen standen auf der Höhe ihrer Aufgabe. Die Philharmoniker wuchsen über sich hinaus. Sie woben einen Klangteppich von prunkvoller Schönheit, rauschendem Glanz und hymnischem Schwung – unerreichbar, unvergleichbar, unverkennbar. Allerdings hätten sie Karajan ebenso akklamieren können, wie er ihnen.

Herbert von Karajan hat seinen ersten Strauss an der Wiener Oper gemacht (wenn man von dem geschlossenen Königs-Rosenkavalier absieht, der das Publikum heute noch kränkt). Gebe Gott, daß es nicht sein letzter war. Hier herrschte die absolute Vollkommenheit, im Bau und in der Farbe im Tragen der Stimmen und im Stützen der Handlung, in der Kraft des Gefühls und im Triumph der Schönheit. Es war das Unwahrscheinliche zum Ereignis geworden, das Letzte gewonnen, das Höchste erreicht. Es gibt in der Oper nichts mehr, das vollkommener sein könnte. Das war Karajans größte Tat – in steter, logischer Entwicklung. Wer einen Künstler seines Formats von der Wiener Staatsoper gehen läßt, der ist es nicht wert, die Worte Kunst, Kultur, Liebe zur Oper, Wiener Oper über alles und was denn der Phrasen noch mehr sind, überhaupt noch in den Mund nehmen zu dürfen. Hier ist ein Künstler, der seine Liebe zur Wiener Oper nicht durch Worte, sondern durch Taten beweist. Doch er ist zu groß für Wien, zu groß für die kleinen, niedrigen Kunstgewerbler, für die Musikbeamten und Proporzkünstler. Wenn er geht, ist es aus. Ein schöner Traum ist vorbei. Dieser Gedanke war der einzige Wermutstropfen im Freudenbecher dieser Richard Strauss-Ehrung. Das Publikum zeigte, wie ihm ums Herz war. Das Publikum hat nicht versagt. Das Publikum tat, was es konnte. Es muß keine Angst davor haben, in den Annalen der Musikgeschichte ein Anlaß zur Verachtung und zum Spott der Nachwelt zu sein, wie alle Jene, die diese Krise auf die Spitze getrieben haben.

 

CAPRICCIO am 12. Juni

Auch diese Capriccio-Aufführung litt noch etwas darunter, daß Georges Pretre am Pult gegen einige Unebenheiten kämpfen mußte. Den Unebenheiten auf der Bühne stand er hingegen machtlos gegenüber. Lisa Della Casa war die Gräfin. Eine gute Gräfin, wie wir wissen, doch leider auch nicht mehr. Wohltuend das natürliche Spiel und der Schöngesang der beiden für das Künstlergespann besonders gut geeigneten und zueinander passenden Sänger Waldemar Kmentt und Hermann Prey, dazu der agile Robert Kerns als Graf. Kein Wunder, daß in jeder Hinsicht zwei Welten einander gegenüberstanden. Da Paul Schöffler, der ehedem unvergleichliche Theaterdirektor, den La Roche gab und damit beim Zuhörer Erinnerungen an unvergeßlich schöne Opernabende wachrief (bei dem Gedanken, wie dies auf Opernbesucher gewirkt haben könnte, die den Künstler früher nicht gehört hatten, zerreißt einem das Herz!). Aus welcher Welt immer Dagmar Naaf, als Gast übrigens, kommen mag, sei sie wieder dahin zurückgeschickt, denn sie klassifizierte sich mit dieser Clairon neuerlich als eine der schwächsten Interpretinnen dieser – zugegeben – nicht sehr dankbaren Rolle. Makellos das Sängerpaar: Fritz WunderlichLucia Popp. Aus dem längst vertrauten Capriccio-Ensemble sind noch Alois Pernerstorfer und  Peter Klein und – nur der Ordnung halber – das aus mehr als „zwei Welten“ bestehende Lakaienaufgebot zu nennen. Umbesetzungen, zwei Besetzungen, Auffrischungen im Ensemble usw. sind sehr lobens- und begrüßenswert. Doch dann alles wahllos durcheinaderzumischen kann einer Aufführung, und speziell dem Capriccio, nur abträglich sein.

DER ROSENKAVALIER am 13. Juni

Eine sehr schöne Rosenkavalier-Aufführung stand unter der Leitung von Heinz Wallberg, der trotz mangelhafter Orchesterleistung nicht nachgab und sich, je weiter die Vorstellung ablief, ständig steigern konnte, bis zum sehr schönen Finale des dritten Aktes. Daß man für die Festwochen leider nicht immer die beste Orchesterbesetzung hat (manchmal war es geradezu schauerlich!), ist nun einmal nicht zu ändern, denn es laufen nebenbei ja auch Konzerte. Außerdem ist in den letzten Wochen der Spielzeit immer eine Opernschallplattenaufnahme auf dem Programm des Orchesters (diesmal Götterdämmerung unter Solti), sodaß es dann manche Unsauberkeiten bei Blech und Holz gibt. Auf der Bühne stand das ideale, unübertreffliche Paar Elisabeth Schwarzkopf und Sena Jurinac und machte den Abend wertvoll. In gesanglicher Hinsicht war Frau Schwarzkopf diesmal wesentlich besser als bei den vorangegangenen Auftritten. Ein, zwei steife Töne im ersten und eine momentane Unsicherheit im letzten, waren das einzige Negativum, sonst war alles eitel Wonne. Die Jurinac war in guter Form (wir haben sie auch schon besser gehört!), allein, was tut’s! Schon das Zusammenspiel dieser beiden Künstlerinnen bedeutet in der Interpretation die Erfüllung im Sinne des Komponisten. Was Wunder, daß es für beide jubelnde Ovationen gab. Anneliese Rothenberger sang die Sophie. Ihre Stimme ist leider durch ein beträchtliches Tremolo getrübt, dennoch bleibt sie eine ausgezeichnete Besetzung dieser Rolle. Otto Edelmann ließ an bei heiklen Stellen seiner Partie („Das Heu“ u. a.) erkennen, daß er gut disponiert war, den Ochs aber allzu sehr auf Sparflamme sang. Vielleicht hat er durch den großen Erfolg in Stuttgart auch hier versucht, mit weniger Stimmgebung zu reüssieren, doch darf man nicht vergessen, daß das Haus am Ring ganz andere Dimensionen als das Stuttgarter hat. Schauspielerisch wirkte Edelmann wohltuend und im Vergleich zu anderen prominenten Vertretern des Lerchenauer geradezu dezent. Fritz Wunderlich war wieder der Sänger und diesmal großartig. So hatten wir uns die Arie schon immer vorgestellt! Erich Kunz zepperlte durchs Fanninal’sche Palais und das Beisl in der Vorstadt und verzeichnete einen „g’sunden“ stimmlichen Ausrutscher. Hilde Rössel-Majdan als Annina bereitete den Zuhörern Pein.

AIDA am 14. Juni

Obwohl die Besetzung nicht durchwegs dazu inspirierte, dirigierte Herbert von Karajan eine prächtige Aida, erfüllt von aufwühlender Dramatik, subtiler Stimmungsmalerei und gewaltig gebauten Bogen. Leontyne Price, die große Aida unserer Tage, hatte ihre herrliche Stimme, ihre Musikalität und ihr Einfühlungsvermögen zu bieten. Besonders schön war die Nil-Arie, vor allem deren bewundernswerte Schlußphrase und der ganze Nilakt, aber auch das Schlußduett. Dabei riß sie ihren Partner Flaviano Labo mit, der sicher, aber eher farblos begonnen hatte, sich aber im Verlaufe des Nilaktes und der Gerichtsszene sehr zu steigern wußte. Giulietta Simionato imponiert immer aufs Neue durch die souveräne Beherrschung und Einteilung ihrer reichen, aber nicht mehr ganz unerschöpflichen Mittel. Wenn es darauf ankommt, ist sie da. Ettore Bastianini, der sich derzeit keiner guten Form erfreut, brauchte nach einem recht guten Triumphakt die psychologisch richtige Nachhilfe Karajans, um in einem plötzlichen Energieanfall über die „schiava di faraoni“ hinwegzukommen. Immerhin klang die Stimme frischer als in letzter Zeit. Nicola Zaccaria beginnt als Ramphis immer katastrophal, wird jedoch dann in der Gerichtsszene gut. So auch an diesem Abend. An Lautstärke wurde er im ersten Akt diesmal sogar von Ludwig Welter, Ägyptens sonst eher müden König, übertroffen. Ermanno Lorenzi singt den Boten mit angenehmer Stimme.

TRISTAN UND ISOLDE am 15. Juni

Karl Böhm betrat nach jahrelanger Abwesenheit das Pult der Wiener Staatsoper. Dies geschah unter herzlichem Beifall des Auditoriums. Sogar Herr Direktor Hilbert hatte sich mit seiner Frau in die Loge gewagt (wie tapfer und mutig!). Außer ihm bemerkte man noch die Anwesenheit seines tapferen Mitarbeiters, Herrn Deutsch, und Lothar Knessl, der im „Neuen Österreich“ zu berichten wußte, Herr Böhm würde mit Pfiffen empfangen! Woher hatte er diese Weisheiten? Hier wird mit propagandistischen Mitteln gearbeitet, die jeder sachlichen Berichterstattung mehr als widersprechen. Karl Böhm wurde auch von der „Karajan-Gemeinde“ freundlich empfangen. Daß zum Schluß kein einstimmiger Jubel ausbrach, lag nicht an einer feindseligen Haltung, sondern daran, daß das Publikum Ohren zum Hören hat und eine eigene künstlerische Bewertung anlegt, die eines Herrn Knessl nicht bedarf. Vielleicht waren die Erwartungen der Zuhörer, nach dem großartigen Tristan von Karl Böhm noch von Bayreuth her, zu hoch geschraubt. Der Dirigent enttäuschte uns mit einem sehr matten Vorspiel. In der weiteren Folge vermißte man das Glühen der Leidenschaften und wartete vergeblich auf Steigerungen, die in höhere Sphären versetzen sollten. Damit sei nicht gesagt, daß Böhms Realisierung des Meisterwerkes kein Konzept hatte, aber zuviel seiner Interpretation blieb auf den Füßen einer „Bodenständigkeit“, für die weder Tristan noch Isolde Verständnis gezeigt hätten. Alles in allem vermißte man die Transparenz Karajans und die sinnliche Glut Cluytens. Von den Solisten gebührt Birgit Nilsson die Krone. Ihre Isolde ist ein Erlebnis für sich. Die Stimme wird makellos geführt und die Kraft ihrer Spitzentöne erinnert an ein Feuerwerk von einmaliger Schönheit. Gab es jemals einen hochdramatischen Sopran von solcher Leuchtkraft? Ihr prachtvoll gesungener Liebestod klingt einem noch heute im Ohr. Welch einmalige Künstlerin! Wolfgang Windgassen als ihr Partner hatte es natürlich nicht leicht, sich gegen ein derartiges Stimmwunder durchzusetzen. Daß er dies dennoch bestand, spricht für sein hohes Künstlertum. Großartig gelangen ihm die Fiebervisionen und der Schluß des zweiten Aktes, wo man aus seiner Stimmung alleine die verzehrende Sehnsucht und Melancholie heraushören konnte. „O König, das kann ich dir nicht sagen“ erschütterte auch die Nichtwagnerianer. Otto Wiener war der treue Diener seines Herrn, markant in der Aussprache, stimmlich im ersten Akt ausgezeichnet, im dritten etwas enttäuschend. Er war hier nicht so zuverlässig wie sonst. Gottlob Frick hatte sehr schöne Momente in seinem Monolog, wobei man aber nicht verschweigen darf, daß nicht alles so mühelos wie vor Jahren geriet. Das große Plus Herrn Fricks ist sein dunkles rollendes Organ, das manches vergessen läßt. Denn das Timbre seiner Stimme nimmt weiterhin gefangen. Hilde Rössel-Majdan bildete den schwachen Punkt der Aufführung und gab so eine Illustration zur Theorie Herrn von Karajans, das Außergewöhnliche solle die Oper beherrschen. Was nützt dem Publikum die treue Verbundenheit zum Haus, die tägliche Anwesenheit von Sängen, wenn sie nicht die nötige Qualität besitzen. Die Stimme klang fiebrig hell, und gewisse Phrasen im ersten Akt lösten Heiterkeit auf den Rängen aus. Das war einer Wiener Oper nicht würdig. Es gab viel Jubel für Frau Nilsson, viel Beifall für Windgassen und freundliche Zustimmung für das Comeback Karl Böhms. Wie sagte doch ein Kritiker so schön bei Böhms Vortrag über Strauss: „Es gibt Dirigenten, die faszinieren, aber Dr. Böhm lieben wir“. Nun, fasziniert hat er nicht, und daß die Wiener Böhm gerne haben, zeigten sie an diesem Abend.

DON GIOVANNI am 16. Juni

Das Ereignis des Abends war Mirella Freni als Zerlina. Wie sie diese Partie sang und spielte, war schlechthin vollendet. Persönlichkeit, Stimmtimbre und Rollengestaltung sind hundertprozentig übereinstimmend. Die große, herbsüße Stimme ist wie geschaffen für Mozart (man könnte sich auch die Donna Anna von ihr sehr gut vorstellen. Sie wäre außerdem eine wahre „Festwochen“-Susanna gewesen). Keine überflüssige Spielerei zerstört die Linie. Das Spiel: es steht ein richtiges Bauernmädchen da, natürlich in den Bewegungen, ungeziert, in der ungewohnten Umgebung in Giovannis Palazzo etwas tollpatschig, die richtige Frau für den Masetto Rolando Panerais, der gleichfalls im besten Mozartstil agiert. Den hat auch Nicolai Gedda, dessen Ottavio stimmlich und ausdrucksmäßig wieder makellos war. Eberhard Wächter sang und spielte seinen Giovanni mit mehr Ernst als sonst. Man spürte, daß die starke Hand Josef Krips ihm mehr Konzentration abzwang, als er ansonsten in dieser Partie zeigt. Allerdings klang die Stimme, anscheinend durch die Beanspruchung mit der Danton-Serie im Theater an der Wien, sehr trocken. Hoffentlich gibt sich das wieder. Hilde Güdens Elvira war ausgezeichnet. Gottlob Frick als Komtur bot gewohntes Format. Gerda Scheyrer blieb farblos wie immer, schenkte sich (wegen zu wenig Beifalls nach der erst en Arie?) die zweite Arie, sodaß vor dem Finale eine ziemlich lange Pause eintrat, da man offenbar mit allen Vorbereitungen hinter dem Vorhang nicht rechtzeitig fertig war. Josef Krips dirigierte ausgezeichnet, nur schien es, daß er im Verlaufe des Abends immer entsetztere Blicke auf die Bühne warf, wenn Erich Kunz auf ihr agierte. Was dieser sich derzeit an aufdringlichen, durch Jahrzehnte mitgeschleppten und durch sämtliche Inszenierungen „geretteten“ abgedroschenen Gags leistete (das Zufallspublikum applaudierte ihm sogar mitten in die Registerarie hinein), ist skandalös. Besitzt niemand der vielen, die vorgeben, nur für die Wiener Oper da zu sein, soviel Geschmack zu bemerken, wie Kammersänger Kunz über die Stränge haut, beziehungsweise auch den Mut, ihn in die Schranken zu weisen?

 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 17. Juni, Premiere B

Müßte der Musikfreund nicht immer den Vergleich mit der Premiere A am 11. 6. ziehen, hätte auch die Premiere B einen ganz außerordentlich hohen Rang eingenommen. So wird die spätere Aufführung zwangsläufig immer im Schatten der früheren stehen, die für jeden, der dabei sein durfte, das Erlebnis bedeutet, von dem er noch lange zehren wird und in dem sich die großen Leistungen auf der Bühne, im Orchester und am Pult aneinander entzündeten, steigerten und bis zum idealen Höhepunkt der Vollkommenheit durchrangen. Doch wollen wir nicht undankbar sein. Schließlich haben wir mittlerweile weit mehr verloren als den Abstand zwischen diesen beiden Premieren. Gleich geblieben war die herrliche Inszenierung Karajans, dessen Meisterschaft in der Kunst, die Farben und die Atmosphäre der Musik in die Formen der Bühne zu übertragen, hier eine große Aufgabe in großem Stil löste. Auch an den Bühnenbildern Schneider-Siemssens begeisterte sich das Auge aufs Neue. Dieser Künstler hat den Blick für die Farbe und die Pranke für die Weite der Bühne, die Phantasie und das ästhetische Gefühl. Diese Eigenschaften prädestinieren ihn zu ganz großen Leistungen, die leider in Zusammenarbeiten mit Karajan bei uns nicht mehr stattfinden werden. Auch das Orchester spielte wieder wunderbar, mit echt Strauss’schem Glanz, Blühen und Explodieren im Klang.

Gundula Janowitz als Kaiserin war die Überraschung des Abends. Daß sie die Partie hinkriegen würde, war vorauszusehen, nicht nur deswegen, weil man weiß, daß Karajan Sänger, die er schätzt, behandelt wie seine Kinder und sie schützend und leitend durch die Gefahren einer Rolle zu steuern pflegt (das Traurige daran ist, daß dieselben Sänger sich nicht wie dankbare Kinder, sondern eher wie böswillige Erben betragen. Aber die Strafe wird auch bei ihnen noch kommen. Alles rächt sich auf Erden). Frau Janowitz stieß zwar mit der Kaiserin an die derzeitige Grenze ihrer Kapazität, überschritt sie aber nicht, und das will etwas heißen. Sie hat den gewaltigen Stimmumfang, den die Intervallsprünge der Rolle erfordern ohne weiteres. Sie konnte die Stimme formen und steuerte den Höhepunkten sehr sicher zu, ohne daß man den Eindruck hatte, sie müsse sich gänzlich ausgeben. Die Höhe, die sie aber durchaus hat, ist allerdings steif und etwas eng. Das ist aber eine rein technische Angelegenheit, die sich lösen läßt. Dann hätte die Stimme auch in den oberen Lagen mehr Schwingungen und dadurch Ausdruck. Das Antipsen der hohen Töne, das sie seit einiger Zeit praktiziert hatte, konnte sie ohnedies diesmal nicht durchführen. Auf die Dauer wäre das auch schädlich, weil es ihr sonst wie Frau Seefried ergeben könnte. Auch Frau Seefried tipste – statt rechtzeitig „aufzumachen“ – solange, bis die Höhe weg war. Auf der Bühne hat Frau Janowitz das richtige Gefühl die Placierung und Gestik. Sie macht wenig, aber was sie tut, sitzt. Gladys Kuchta ist eine jener Sängerinnen, von denen der Musikfreund nicht begreift, wie sie dorthingekommen sind, wo sie jetzt stehen. Die Stimme ist Durchschnitt, im Forte manchmal so unangenehm, daß sie durch Mark und Bein geht. Persönlichkeit ist kaum vorhanden und über die Rampe kommt sozusagen nichts. Immerhin war sie besser denn als Fidelio. Sie störte lediglich im Finale des zweiten Aktes, aber das gründlich. Sonst ließ sie sich geschickt von der Glanzaufführung tragen. Grace Hoffman konnte als Amme nicht umbesetzt werden (mit wem auch?) und sang mit herrlicher, dramatisch-heller Stimme, bei steter Bühnenpräsenz. Otto Wiener hat mit dem Barak eine neue Rolle gefunden, die ihm sehr gut liegt. (Erstaunlicherweise gibt es jetzt plötzlich eine Menge Baraks, nachdem jahrelang keiner zu finden war). Er hat die Ruhe und den gewissen oratorischen Zug für die Partie, ist stimmlich prägnant und kräftig und spielt gut und glaubhaft. Jess Thomas sang wieder den Kaiser, etwas müder als bei der Premiere, wie uns schien. Interessant wäre eine Doppelbesetzung mit McCracken gewesen. Aber es ist natürlich müßig, jetzt noch darüber zu reden. Walter Kreppel klang, als wäre er heiser. Er muß allerdings wirklich nicht sechsmal pro Woche auftreten. Ermanno Lorenzi sang die Stimme des Jünglings ausreichend. Wunderlich war ja Luxus, und so gut wie Terkal bei der Operneröffnung ist Lorenzi auch noch. Die Brüder (Erich Majkut, Siegfried Rudolf Frese, Ludwig Welter), der Chor und die Stimmen (besonders Lucia Popp) trugen wieder verdienstvoll zum Gelingen dieser Aufführung bei, die so deutlich die Schwierigkeiten des modernen Opernbetriebes aufzeichnete und bewies, wie schwer es dem Publikum fällt, absolute Spitzenleistungen zu vergessen. Herbert von Karajan wurde zum letzten Male mit Jubel und Blumen gefeiert. Wir glauben, daß er jetzt weiß, wie sehnsüchtig Wiens Musikfreunde seine Wiederkehr erwarten.

 

CARMEN am 18. Juni

Heuer hat der Wiener Opernfreund schon sehr oft Bizets Oper vorgesetzt bekommen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, war die Festwochenaufführung eine freudige Überraschung. Konnte man doch erneut feststellen und miterleben, wie durch restlosen Einsatz aller vorhandenen Kräfte ein hohes Gesamtniveau erreicht werden kann, auch wenn von Haus aus nicht alle Voraussetzungen für einen großen Abend gegeben sind. Zunächst sagte Pretre ab und Heinz Wallberg stand an seiner Stelle. Wer sich nun eine bis in die Knochen „deutsche“ Interpretation erwartete, wurde angenehm überrascht. Die Aufführung hatte auch vom Pult her Format, nicht gerade überschäumendes, romanisches Temperament, aber doch den nötigen Schwung und eine persönliche Note, die sich nicht in überlauter Orchesterentfaltung äußerte, sondern nach subtilerer Differenzierung suchte. Anschauungsunterricht an darstellerischer Intensität und szenischer Gegenwart gaben wieder einmal Regina Resnik und Dimiter Usunow. Hier wirkt nichts routiniert oder einstudiert. Hier erfüllt sich ein Schicksal, an das Carmen und José unentrinnbar gekettet sind. Und das Publikum wird derart in ihren Bann gezogen, daß es vergißt, in der Oper zu sein. Wenn Rolle und Interpreten so vollkommen übereinstimmen, ist es eigentlich müßig, nach Fehlern zu suchen. Was bedeutet es schon, wenn alles auf der Bühne stimmt – daß sowohl Frau Resnik als auch Herr Usunow nicht gerade in bester stimmlicher Verfassung waren? Man bewunderte einmal mehr das Raffinement, mit dem die Resnik nicht nur die bekannten Stücke (wie Seguidilla) sondern auch die kürzeste Phrase singt, wie sie selbst der kleinsten Nuance durch Änderung des Tonfalls oder der Tonqualität höchste Eindringlichkeit zuteil werden läßt. Usunow begann etwas vorsichtig – was man nach seiner kürzlichen Indisposition begreifen kann –, bemühte sich erfolgreich um lyrische Nuancen in der Blumenarie und legte ab dem dritten Akt dann richtig los. Der vierte Akt war durch Resnik und Usunow packend und lebensecht. Den Stein des Anstoßes zum großen Konflikt, Escamillo, verkörperte ziemlich lautstark Aldo Protti. Diese Rolle gehörte nie zu seinen besten. Auch hatte er einen seiner rauhen Tage und war selbst in den Einsätzen nicht ganz so sicher wie gewöhnlich (er sprang für Berry ein und scheint die Partie außer in Wien nicht zu singen). Doch verstand er es, sich mit Anstand seiner Aufgabe zu entledigen. Das sanfte Element wurde von Hilde Güden überzeugend vertreten. Sie sang eine makellose und rührende Micaela, wie wir es von ihr gewohnt sind. Von den Comprimarii (Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt, Peter Klein, Harald Pröglhöf, Robert Kerns und Frederick Guthrie) fiel keiner unliebsam auf. Auch die Mißverständnisse unter den verschiedenen Chorgruppen hielten sich in erträglichen Grenzen. So konnte sich das Publikum mit Recht an einer auf hohem Gesamtniveau stehenden Aufführung erfreuen und die Mitwirkenden für ihre Leistungen bejubeln.

TURANDOT am 19. Juni

Birgit Nilsson singt eine unwahrscheinliche Turandot mit stählener Kraft der Stimme und gletscherartig aufblitzenden Höhen – und das mit völliger Mühelosigkeit. Sie ist einfach ein Phänomen. Mirella Freni ist eine herrliche Sängerin. Ihre Liu ist rührend in ihrer seelenvollen Zartheit, in der Phrasierung herrlich und in der Kraft der immer voller und schöner werdenden Stimme einmalig. Zwischen beiden Damen verschwand Sandor Konya völlig. Stimmlich nicht mehr so gut wie bei seinem ersten Kalaf-Gastspiel, klingt die Höhe stumpf, häufig zu tief – besonders das eingelegte C war mehr als häßlich. Warum tut er’s denn, wenn er’s nicht kann? Und überdies ist die Gesangslinie mit Schluchzern verziert, mehr Sou Chong als Kalaf. Das sind wir weiß Gott anderes gewöhnt gewesen. Aber man muß auch noch dazu bemerken, daß der hauseigene Usunow ein besserer Kalaf wäre und der hauseigene Zampieri zumindest nicht so falsch singt. Kostas Paskalis scheinen die Anstrengungen von 12 Macbeth-Aufführungen in Glyndebourne weiter nicht geschadet zu haben, denn er führte ein vorzügliches Minister-Trio (mit Murray Dickie und Ermanno Lorenzi) an. Nicola Zaccaria leidet nun auch schon beim Timur, seiner bisher besten Partie, an mangelnder Höhe. Die Phrasierung ist allerdings vorzüglich. Die Herren Hans Braun und Peter Klein vertraten das heimische Ensemble sehr „typisch“. Nello Santi kämpfte im ersten Akt und unterlag, was aus dem Pallawatsch am Schluß desselben deutlich zu ersehen war. Zweiter und dritter Akt gelangen dann wesentlich besser.

DER ROSENKAVALIER am 20. Juni

Den letzten Rosenkavalier der Saison dirigierte Josef Krips. Es war ein wienerischer Ausklang. Professor Krips schwelgte in den Walzermotiven und ließ die Streicher aufblühen. Der Schuß Sentimentalität wurde gern von der Marschallin übernommen. Leonie Rysanek weiß die Hoffmannsthal’schen Worte auszuloten, und die dunkle Stimme ließ den Schmerz der Marschallin spürbar werden. Man verstand die Träne, die halb lachend und doch mehr weinend der Jugend den Vorrang gab. Mit Recht hatte Frau Rysanek den größten Erfolg des Abends zu verzeichnen. Dagmar Naaf als Oktavian bot als Einspringerin für Christa Ludwig eine brave Durchschnittsleistung. Die Stimme besitzt, solange sie sie strömen läßt, Aussagekraft. Leider weiß die Sängerin noch sehr wenig mit den Parlando-Stellen anzufangen. Sofort verliert die Stimme in diesen Lagen an persönlicher Färbung, ist plötzlich schal und farblos. Ebenso farblos wirkte die Darstellung. Doch wie lange braucht eine Künstlerin, um sich diese heikle Partie ganz zu Eigen zu machen? Gerade für Wien, wo für immer die Rohs, Jurinac und die Ludwig im Gedächtnis haften! Hanny Steffek als Sophie sang zwar lieblich, fasziniert war man aber von ihrer Sophie nicht. Otto Edelmann bot diesmal durchschnittliche Leistung, war aber im Ganzen gesehen, besser als alle anderen Vertreter dieser Partie. Nicolai Gedda sang mit technischer Bravour eine erstklassige Sängerarie. Erich Kunz stolzierte mit seinen sattsam bekannten „Einheitsschritten“ als Faninal über die Bühne und wird mehr und mehr zu einer Schablonenfigur. Hilde Rössel-Majdan erschreckte durch Schrillheit des Organs am Ende des zweiten Aktes die Zuhörer.

ARABELLA am 21. Juni, Neueinstudierung

Am letzten Festwochenabend stand Arabella auf dem Spielplan. Man kündigte sie groß als Neueinstudierung an, die sich aber bestenfalls als Wiederaufnahme erwies. Neu war eigentlich nur das Ballkleid der Titelrollenträgerin. Sonst in szenischer Hinsicht nichts. Da Rudolf Hartmann nicht zur Auffrischung kam, übernahm diese Arbeit Leo Meinert. Zu sehen bekam man eigentlich nur, was man schon kannte, einiges derber und vulgärer als bisher. Das große Handicap bedeutete die Absage George Londons als Mandryka. Nicht ganz unerwartet, da er einigen Fans gegenüber schon früher erklärte, daß er die Partie nicht mehr singe (bekanntlich hat er sie an der Met englisch und sonst in deutsch nur bei der Schallplattenaufnahme in Wien gesungen). Man hatte aber dennoch gehofft, daß er sich’s überlegt habe und uns das interessante Rollendebüt erleben läßt. Doch leider – nach dem großen Erfolg seines Liederabends im Theater an der Wien einige Tage zuvor, wo er sich in prachtvoller stimmlicher Verfassung zeigte – hieß es nun knapp vor dem Aufführungstermin, daß Herr London krank sei und sich in die Schweiz begebe, was man wohl mit dem Semmering verwechselt hat. Der Direktor hatte nun alle Hände voll zu tun, einen Ersatz zu beschaffen. Fischer-Dieskau weilte wohl zur gleichen Zeit in Wien, doch sehen wir ein, daß er sich als Einspringer zu gut ist. Aber wo gibt es sonst noch einen Mandryka von Format? Wir haben bisher sonst keinen in den letzten Jahren erlebt, nur Alexander, Beresford und Polke. Und einer von ihnen, nämlich Hugh Beresford war auch der Retter der Aufführung. Beresford hat seinerzeit an der Wiener Musikakademie studiert und dann in Deutschland ein Engagement bekommen. Er ist uns aus Merker-Berichten von Düsseldorf und Köln, sowie von seinem Wiener Mandryka-Gastspiel bekannt. Die Stimme ist dunkel gefärbt und wird gut geführt. Die Diktion läßt noch zu wünschen übrig. Leider ist er in schauspielerischer Hinsicht kaum vorhanden. Sein Auftreten ist unsicher, und an Ausstrahlung fehlt es völlig. Neu war ferner Anton Dermota als Elemer. Warum man nach Karl Terkal, der die Rolle wenigstens gut sang, nun eine Umbesetzung der Partie mit einem älteren Kollegen durchführte, wird uns wohl ewig ein Rätsel bleiben, zumal Herr Dermota weder stimmlich besser war, noch in schauspielerischer Hinsicht mehr bieten konnte. Manchmal vermeinte man beim Anblick seines düsteren Gesichtes, Lenski hätte sich kurz vor dem Duell ins Faschingstreiben verirrt. Aber auch die anderen Freier Arabellas waren neu. Robert Kerns war der Lamoral, elegant und stimmlich passabel. Hans Christian hingegen fiel als Dominik ab. Die übrige Besetzung war die gleiche wie in vielen vorausgegangenen Aufführungen. Nach wie vor ist Lisa Della Casa eine glaubwürdige Arabella. Wenn sie auch nicht mehr so unterspielt wie früher. Stimmlich war sie bis auf einige Kleinigkeiten gut. Daß Lisa Della Casa im Liebesduett des zweiten Aktes jedoch nur die Mundbewegungen macht und sich die Spitzentöne schenkt, ist unfair, denn viele Besucher glaubten, das Nichtvernehmen dieser Passage sei auf zu lautes Orchester zurückzuführen gewesen. Anneliese Rothenberger war die muntere Zdenka, schauspielerisch reizend, gesanglich nicht mehr so taufrisch wie früher, aber durchaus passabel. Das Zusammenspiel beider Sängerinnen ist aber immer ein Erlebnis. Ivo Zidek ist der fast unsingbaren Partie des Matteo nun völlig entwachsen und dürfte in dieser Rolle nicht mehr angesetzt werden. Sehr gut waren wieder Otto Edelmann und Ira Malaniuk als Ehepaar Waldner. Mimi Coertse plagte sich neuerlich mit der Fiakermilli. Am Pult stand Joseph Keilberth, der die Arabella zelebrierte. Wenn man seine Zeitmaße seit der Salzburger Premiere verfolgt, dann muß man feststellen, daß er immer breiter wird. Man vermeint, er kann von den Schönheiten der Partitur einfach nicht los, er müßte sie ganz in sich aufsaugen. Dabei vergißt er aber den Atem der Sänger. Das Orchester war in sehr guter Form. Man dürfte nicht fehlgehen anzunehmen, daß hier einige Orchesterproben stattgefunden haben. Nun hat die Oper also die Arabella wieder im Spielplan und sollte sie auch hegen und nicht wieder auf endlose Zeit in der Versenkung verschwinden lassen. Es wäre durchaus möglich eine ganz neue Besetzung zu finden, wenn die Hauptrollenträger Della Casa und Rothenberger nicht zur Verfügung ständen, nämlich Gundula Janowitz als Arabella, Hanny Steffek als Zdenka, Lucia Popp als Fiakermilli, Waldemar Kmentt als Matteo und schließlich Walter Berry oder Eberhard Wächter als Mandryka, wobei in stimmlicher Hinsicht Berry, nach seinem Barak zu schließen, auch in dieser Partie einen Riesenerfolg haben würde. Bei Wächter könnten wir uns den Mandryka in der Art, wie Schöffler ihn seinerzeit auf die Bühne stellte, sehr gut denken. Die Wiederaufnahme fand viel Beifall.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 22. Juni

Die Festwochen waren zu Ende! Man bekam es bereits an diesem Abend deutlich zu spüren. Denn erstens war (infolge des gleichzeitigen letzten Karajan-Konzerts mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein) die Orchesterbesetzung ausgesprochen schlecht. Man sah kaum einen aktiven Philharmoniker, sondern junge Nachwuchsmusiker und Pensionisten an den diversen Pulten. Und so war der Abend bereits vom Orchester her gehandicapt. Dazu kam, daß sich Josef Krips zum ersten Mal im Haus am Ring seit Kriegsende mit Wagner versuchte und die Erwartungen nicht erfüllte. Herr Krips, den wir als Mozartdirigenten und auch als Interpret der Strauss’schen Werke (Arabella hätten wir gern von ihm gehört) und russischer Opern schätzen, der auch bei Verdi seinen Mann stellt (Maskenball, Othello), erreichte bei Wagner nicht das gleiche Niveau. Er hatte weder im Theater an der Wien (Tristan und Lohengrin) noch in Bayreuth (Meistersinger) durchschlagende Erfolge gehabt und konnte auch mit seiner Holländer-Interpretation nicht reüssieren. Außer der konzertanten Rienzi-Aufführung ist er also für Werke des Bayreuther Meisters nicht der ideale Interpret. Das Vorspiel war uninteressant. Die ersten beiden  Akte schleppten sich mühsam dahin, und somit waren auch die Sänger reichlich nervös. Birgit Nilsson, die wir als ausgezeichnete Senta kennen, distonierte in der Ballade (etwas ganz Neues), was man bei ihr nie gehört hat. Es war unfaßbar, daß ihr so etwas passieren kann. Später allerdings war sie einwandfrei in gesanglicher Hinsicht. Im Spiel steht sie als Senta im Schatten der Rysanek und schien noch dazu diesmal äußerst nervös. Otto Wiener, der in den Festwochen ein überreiches Arbeitsprogramm ohne jede Absage absolvierte (bekanntlich haben die Rysanek, Ludwig und Walter Berry einen Teil ihrer Abende wegen der Premierenarbeit Frau ohne Schatten abgesagt), schien nicht in gewohnt guter Form. Es war dies besonders zu Beginn des Liebesduetts und im dritten Akt zu hören. Walter Kreppel sang den Daland passabel. Karl Terkal bemühte sich als Steuermann. Hilde Rössel-Majdan komplettierte als Mary. Als Erik stand Walter Geisler auf der Bühne. Er kam als besonderer Clou des Direktors zu einem neuerlichen Staatsoperngastspiel, obwohl Hans Beirer nicht nur in Wien, sondern zur gleichen Zeit mit seinem Rechtsanwalt in der Operndirektion saß und mit Recht auf die Einhaltung seines Vertrages pochte. Das Ganze wird ohnehin noch ein Nachspiel haben. Herr Geisler jedenfalls war ein sehr unzulänglicher Erik, sozusagen ein schluchzender Jägerbursch, den bereits die erste Meereswoge hinweggespült hätte. Wird die Besetzung des deutschen Faches in Zukunft so aussehen? Als Geisler alleine vor dem Vorhang erschien, gab es laute Pfiffe, Pfui-Rufe und Zischer. Sie gebühren weniger dem Sänger, der nicht mehr geben kann als er hat, als jenen, die ihn riefen. Letztere sitzen auf dem Schreibtischstühlchen und freuen sich ihrer „Siege“, und große Charaktere haben sich noch nie vom Unmut des „Pöbels“ beeindrucken lassen. Heil ihnen!

ARABELLA am 23. Juni

Die Besetzung wies gegenüber der Neueinstudierung nur zwei ganz kleine Änderungen auf. Elisabeth Höngen sang die Kartenaufschlägerin und Harald Pröglhöf den Lamoral, der ebenso wie Hans Christian und Anton Dermota „nicht der Richtige“ war. Ansonsten sangen wieder Lisa Della Casa und Anneliese Rothenberger ihre angestammten Partien und ließen deutlich erkennen, daß das Rad der Zeit nicht stillsteht. Hugh Beresford gastierte wieder als Mandryka und gefiel gesanglich sehr gut. Mimi Coertse markierte als Fiakermilli Wiener Vorstadt-Niveau. Ivo Zidek, Otto Edelmann und Ira Malaniuk waren die weiteren Mitwirkenden. Joseph Keilberth begleitete den Abend bajuwarisch langsam und breit.

DIE WALKÜRE am 24. Juni

„Uns Traurigen kost ein lächelnder Traum“ (frei zitiert) mußte man resignierend feststellen, in der Erinnerung an frühere herrliche Festwochen-Walküren. Ob man von solchen Erinnerungen nun immer träumen muß? Joseph Keilberth am Pult ließ sich wohl keine Kapitalverbrechen zuschulden kommen, als da sind: Klangbrei, melodische und rhythmische Verzerrungen, Zerdreschen, endloses Zerdehnen und dergleichen, aber seine Interpretation berührte nie unmittelbar. Nur an zwei Stellen, nämlich am Ende des ersten und des zweiten Aufzugs, jeweils nach Fallen des Vorhangs, gelang ihm jene dramatische Klangballung, die nötig ist, damit man Wagners Musikdramen als unmittelbar gegenwärtige, zeitlos gültige und in allem unanfechtbare, beklemmende Kunstwerke erleben kann. Wenn nun aber die erregende Dramatik dieses Werkes zu kurz kommt, so zerfällt das Ganze. Dann kommen auch die lyrischen Stellen, besonders die im ersten Akt nicht richtig zur Geltung. Denn diese müßten jene erhabene Ruhe ausstrahlen, die den Boden für erregendere dramatische Vorgänge vorbereitet, nicht aber den Eindruck erwecken helfen, als sei Wagner vor allem ein Meister der Kleinkunst, der lyrischen Detailmalerei gewesen. Gewiß war er das auch, aber nicht nur das. Zu allererst war er ein Dramatiker mit einer fast unglaublichen Befähigung zu formal und inhaltlich konzentrierter Wiedergabe dessen, was er als Dichter und Musiker zu sagen hatte, ein Meister des Maßes, der innerlich konsequenten Motivierung von seelischen Vorgängen, gleichermaßen ein Meister der Exposition, der Durchführung und der Abschlüsse von Szenen, Akten, Werken. Wenn der Zuhörer bei einer Aufführung nicht das Gefühl hat, daß sich das musikdramatische Geschehen mit unbedingter innerer Notwendigkeit entwickelt, wenn man nicht ständig (während der Aufführung) der Überzeugung ist, daß das Gebotene nur so und nicht anders gebracht werden kann, dann ist die Aufführung nicht im Sinne Wagners. Alleine Keilberth trifft nicht die Schuld, daß man ständig an Vergangenes dachte, denn er hätte in einigen Partien andere Sänger gebraucht. Die beiden Heldinnen des Abends waren. Birgit Nilsson und Claire Watson. Frau Nilssons Stimme preisen, hieße Eulen nach Athen tragen. Es steht aber leider zu befürchten, daß wir sie ohne Karajan künftig nicht mehr in Wien hören werden. Als Schwedin paßt sie wahrscheinlich nicht ins „heimische Ensemble“. Claire Watson sang statt Frau Rysanek die Sieglinde. Die sehr persönlich gefärbte Stimme wird sicher noch viel Freude bereiten. Für die Sieglinde könnte eine etwas vollere Mittellage wohl nicht schaden, doch was tut’s bei dieser schönen Höhe, deren blühender, inniger Klang fast an die Stimme von Elisabeth Grümmer erinnert. Auf das Evchen im September freuen wir uns! Hilde Rössel-Majdan (Fricka) begann gut, doch bekam die Stimme bald wieder die gewohnte Schrille. Man hätte diese Partie, wie  auch die Brangäne doch etwas festlicher besetzen müssen, schließlich war Frau Hoffman in Wien! Hubert Hofman sprang für den erkrankten Otto Wiener ein. Er ist ein zu begrüßender Wotan-Nachwuchs. Die Stimme könnte noch größer, vor allem die Höhe müheloser und die Gestaltung differenzierter werden, aber immerhin weist der Sänger schon jetzt Vorzüge auf. Was er macht, ist richtig. Er kennt Steigerungen und Höhepunkte, ist um Deutlichkeit in allen Belangen und um glaubhaftes Zusammenspiel mit seinen Partnern bemüht. Die Bayreuther Schule wird seiner Entwicklung sicher förderlich sein. Hans Beirer sang wieder den Siegmund und befand sich stimmlich in keiner besonders guten Form, war unpräzise und sang die ganze Partie im Fortissimo. Außerdem verfärbte er die Vokale bis zur Unkenntlichkeit. Walter Kreppel war Hunding. Seine mit viel Gefühl für die Sprachmelodie gesungenen wenigen Sätze im ersten Akt waren eine Wohltat. Die acht Walküren (Lotte Rysanek, Gerda Scheyrer, Judith Hellwig, Margareta Sjöstedt, Margarita Lilowa, Dagmar Hermann, Annemarie Ludwig und Elfriede Razabik) haben wir schon schlechter gehört. Wirklich schön aber noch nie, auch diesmal nicht, trotz zum Teil erfreulicher Verjüngung der Schlachtjungfrauen. Trotz vorzüglicher Einzelleistungen wollte an diesem Abend keine Wagnerstimmung aufkommen, offenbar deshalb, weil man alle Positiva der Aufführung nur isoliert genießen konnte. War das schon Zukunftsmusik der Ära Hilbert oder nur Ausklang der Ära Karajan?

AIDA am 25. Juni

Hatte man sich knapp zehn Tage vorher an Karajans Aida Interpretation begeistert, konnte man doch feststellen, daß auch diese Aufführung mit teilweise ganz anderer Besetzung unzweifelhaft ihre Meriten hatte. Der Maestro hieß diesmal Nello Santi und bot uns eine im besten Sinne der Wortes italienische Aufführung. Klug aufgebaut, sicher akzentuiert, dramatisch gesteigert, fand der Abend seinen Höhepunkt in der Triumphszene, wo Orchester, Dirigent und Sänger einander zu übertreffen suchten. Amy Shuard, diese typische Engländerin hat sich den südländischen Gesangsstil zu eigen gemacht und ist somit eine solide Interpretin der Titelrolle. Sie versucht der Aida rein vom Verstandesmäßigen her nahe zu kommen, und man muß sagen, das gelingt ihr eigentlich ganz überzeugend. Stimmlich weiß sie, „wann, wo und wie“ sie ihre Mittel einzusetzen hat. Ein einziges Mal versuchte sie, ihre gegebenen Grenzen zu übersteigen, was dann auch prompt mißlang. (Warum bloß mußte sie das C der Nilarie Piano singen, im Forte hätte sie es sicher gehabt). Dimiter Usunow hatte einen blendenden Abend. Mühelos überwand er alle Schwierigkeiten im Triumphakt. Je höher die Noten wurden, um so strahlender kamen die Töne. Daß er im ersten Bild zu kämpfen hat, ist bekannt. Hingegen wird man sich merken müssen, um wie viel nuancierter z. B. das Nilduett oder Finale geworden sind. Hier erkennt man, was dauernde Arbeit und Schulung an der Stimme verbessern können! Der Erfolg stellt sich dann langsam aber sicher ein. Giulietta Simionato bleibt die Amneris unserer Zeit. Man kann nur bewundernd von ihrer Leistung sprechen, denn, was sie früher mühelos erreichte, erringt sie jetzt unter äußerstem Einsatz und letzter Verausgabung. Ja es ist manchmal schwer, die selbst gesetzten Maßstäbe zu erreichen, um so schöner, wenn es gelingt. Auch Ettore Bastianini wirkte, verglichen mit seinen ersten Wiener Abenden dieser Saison, zwar stark verbessert. Trotzdem kann man nicht überhören, mit wie viel Anstrengung das verbunden ist. Somit gilt auch für ihn das Gesagte. Ludwig Welter sang einen verläßlichen König. Nicola Zaccaria hingegen ließ viel zu wünschen übrig.

DON GIOVANNI am 26. Juni

Der Glanzpunkt des Abends war der Don Ottavio von Fritz Wunderlich. Neben dieser Prachtleistung, die denn auch mit dem stärksten Beifall quittiert wurde, mußten alle anderen verblassen. Kaum zu glauben, wie viel man aus dieser eher undankbaren Partie herausholen kann, wie viel männliche Kraft bei allem berückenden Belcanto, wie viel Ritterlichkeit bei aller tenoralen Empfindsamkeit möglich ist. Da sind einmal Intellekt und Gefühl, deutsche Solidität und italienischer Stimmglanz eine harmonische Verbindung eingegangen, die eine hinreißende Gesamtinterpretation jeder Rolle gestattet! Gut waren auch die anderen Sänger, doch mit Vorbehalten. George London ist ein guter Don Giovanni von blendender Erscheinung und mit einer für die Partie sehr geeigneten, dunklen, männlich-sinnlichen Stimme ausgerüstet, nach Siepi ein absolut zu bejahender Vertreter dieser Rolle. Erich Kunz sang den Leporello wie gehabt. Walter Kreppel war ein guter Komtur und Rolando Panerai der vorzügliche Masetto. Von den Damen war Hilde Güden als Elvira die erfreulichste. Ihr unverwechselbares Timbre kommt derzeit in der Höhe am besten zur Geltung. Mittellage und Tiefe klingen besonders in dieser Partie oft hart und mit einem störenden Nebenton. Reri Grist ist eine nette Zerlina, springlebendig und sehr persönlich. Wenn man sie zum ersten Mal in dieser Partie hört, entzückt ihre junge, helle und kräftige Stimme. Bei mehrmaligem hören läßt der Reiz des in allen Lagen gleich scharfen und harten Organs nach. Man empfindet dann den Gesang monoton. Doch versucht sie dies durch ihre lebendige Darstellung auszugleichen. Gerda Scheyrer ist mit der Donna Anna nach wie vor überfordert und wirkte uninteressant. Josef Krips hatte viele sehr schöne Momente, sowohl an lyrischen wie an dramatischen Stellen. Daß es ihm trotzdem nicht gelang, den Abend durchwegs spannend zu gestalten, dürfte nicht an ihm allein liegen. Der Kontakt mit der Bühne war fast immer gut. Auch das Orchester zeigte sich recht aufmerksam. Die allgemeine Müdigkeit, die nach Ende der Festwochen – und nach dem Abgang Karajans – im Zuschauerraum herrscht, ist für die jetzt auftretenden Künstler sicher nicht sehr inspirierend. Vierzehn Tage vorher wäre dieser alles in allem recht gute Don Giovanni wesentlich besser angekommen.

BALLETTABEND am 27. Juni

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 28. Juni

Die Vorstellung schien zu Beginn das halten zu wollen, was sie auf dem Papier versprach. Antonietta Stella (Leonore) und James McCracken (Alvaro) präsentierten sich in stimmlicher Hochform und auch Tugomir Franc in der Partie des Marchese wußte sowohl stimmlich als auch im Ausdruck zu gefallen. Nello Santi musizierte nach dem Vorspiel mit einem blendend disponierten Orchester eine effektvolle Ouvertüre. Leider konnte das hohe Niveau nur vom Dirigenten und dem Tenor bis zum Ende des Abends durchgehalten werden. Santi erwies sich als effektvoller Theatermusiker. Manchmal zu effektvoll, was auf Kosten des exakten Musizierens geht. McCracken hatte seine Höhepunkte vor allem im Dramatischen, meisterte aber auch die lyrischen Stellen seiner Partie mit bewundernswerter Bravour. Frau Stella hatte mit zunehmender Vorstellungsdauer nicht zu überhörende Schwierigkeiten mit der Höhe. Giulietta Simionato benötigte eine längere Anlaufzeit und war erst im Rataplan in ihrer gewohnten Form. Schwer indisponiert schien Aldo Protti (Don Carlos) zu sein. Die Stimme klang müde und rauh. Angenehm überraschte Walter Kreppel als Pater Guardian. Er verfiel nicht in seinen alten Fehler, im Dramatischen unkontrolliert loszuorgeln, und wartete im Lyrischen mit oft weitgespannten Legatobögen auf. Eine überdurchschnittlich gute Leistung. Karl Dönch war der stimmlich schwache, im Spiel dafür maßlos übertreibende Frau Melitone. Sehr stimmschwach auch der Chor, dem man eine längere Pause wirklich gönnen muß. Das Orchester konnte seine eingangs erwähnte ausgezeichnete Verfassung bis zum Schluß durchhalten.

MADAMA BUTTERFLY am 29. Juni

Von dem Überdruß an der Oper, der den Stammbesucher noch jedes Mal und besonders in diesem so traurig endenden Jahr gegen Saisonschluß befiel, konnte man an diesem Abend wenigstens teilweise befreit werden. Meistens dann, wenn unsere Sena Jurinac auf der Bühne stand und die Seele der kleinen Butterfly randvoll mit dem Leid der ganzen Welt zu erfüllen schien. Alle menschlichen Regungen – Liebe und Hoffnung, Enttäuschung, Schmerz und Verzweiflung – versteht diese wunderbare Künstlerin dem Publikum auf so unmittelbare und ergreifende Weise nahezubringen, daß es gar nicht merkt, wie viel Kunstverstand in dieser Leistung steckt, sodaß diese selbst im höchsten Affekt noch durch Schönheit geadelt wird. Neben ihr konnten sich mit Abstand behaupten: Margarita Lilowa als Suzuki, die mit ihrer Prachtstimme in dieser Rolle geradezu eine Überbesetzung ist, die aber der Gesamtwirkung sehr zugute kam. Auch Giuseppe Zampieri hatte einen guten Abend, war aber für den Pinkerton denn doch um einige Grade zu lethargisch. Mit seinem Samttimbre konnte er trotzdem für sich einnehmen. Eberhard Wächter lieh dem Konsul seinen immer markanter werdenden Bariton. Sein allzu saloppes Auftreten wollte aber gar nicht zur Figur passen. Etwas mehr Haltung müßte der Signor Console doch haben. So heiß war es nun auch wieder nicht. Traurig sah’s um die Hauptdarsteller herum aus, wo bewährte Ensemblemitglieder (Erich Majkut, Karl Friedrich) ihr munteres Wesen trieben und mit unangebrachten Gags die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchten. Traurig auch im Orchester, wo Wilhelm Loibner tüchtig umrührte, aber nicht mehr als einen undifferenzierten Einheitsbrei herausbrachte. Wenn diese Leistung für die Staatsoper zukunftsweisend sein sollte, dann. Arme Oper, armes Publikum!

DON GIOVANNI am 30. Juni

Zum Saisonausklang gab es noch einmal Mozarts Meisterwerk, das mit an der Spitze der meistgespielten Opern der letzten Monate steht. Orchester, Chor, Sänger und sogar die Techniker hinter der Szene waren bestrebt, die Saison nicht sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden zu lassen (begonnen hat sie ja vielsagend mit der Verkauften Braut), so daß einer prächtigen Aufführung eigentlich nichts im Wege gestanden wäre. Doch wenn bei Mozart auch nur ein Sänger meint, er müsse eine besondere Solovorstellung bieten, ist der Gesamteindruck schon um einige Grade getrübt. An diesem Abend war das einmal mehr Erich Kunz, der mit seiner Leporello-Auffassung die zahlreichen Ausländer – vor allem amerikanischer Zunge – und die Schulkinder im Haus zum Brüllen brachte. Und genau das wollte Herr Kunz auch. Außerdem ist seine Haltung den Kollegen auf der Bühne gegenüber sehr unfair, denn – beabsichtigt oder nicht – bringt er vor allem seinen Herrn und Meister stets in peinliche Verlegenheit. Diesmal passierte ihm im zweiten Finale noch ein zusätzliches Malheur. Er servierte wieder einmal mit großem Schwung das Essen, und schon rollte das Besteck über den Boden. Doch ein Kunz wußte auch dieses Mißgeschick noch für sich auszuschlachten. Er hob Messer und Gabel rasch auf und polierte beides mit seinem schmutzigen Serviertuch eifrig blank. Im selben Maß, wie das Outrieren zunimmt, geht es mit der stimmlichen Leistung und der Exaktheit der Einsätze bergab. George London in der Titelpartie hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Seine Stimme ist schwerer und dunkler geworden. Die Töne perlen nicht mehr so leicht über die Rampe (Ständchen und Champagner-Arie). Erst im zweiten Finale paßte sein herrisches Auftreten zum makabren Auftritt des Steinernen Gastes. Da packte und schüttelte es den Zuhörer. Als Donna Anna bot Gerda Scheyrer eine solide Leistung. Reri Grist als Zerlina –  bezaubernd anzusehen – bewies abermals, daß ihrer Stimme das gewisse Mozart-Timbre abgeht, über das Hilde Güdens damenhafte und kultivierte Donna Elvira in jeder Phase souverän verfügte. Walter Kreppel war als Komtur angesetzt. Zwei Leistungen überragten an diesem Abend erneut alle anderen: der mit unglaublicher Intensität gestaltete Don Ottavio von Fritz Wunderlich, der mit der zweiten Arie den stärksten Beifall des Abends einkassierte, und Rolando Panerai, der als Masetto konkurrenzlos auf der Welt dastehen dürfte. Josef Krips am Pult des ersatzgeschwächten Orchesters (der Großteil der Philharmoniker befand sich beim Holland-Festival) sorgte für Mozart-Stimmung.       

 

DER ALMABTRIEB KANN BEGINNEN

Leitartikel, 9. Jahrgang, Heft 7 

Im Zeichen eines Unterrichtsministers, der vom Bauernbund beigestellt wurde, endete die größte Intrige, die je in der Wiener Staatsoper gesponnen ward, mit dem Rücktritt Herbert von Karajans, nicht nur als künstlerische Leiter, sondern auch damit, daß er künftig weder als Dirigent noch als Regisseur hier arbeiten, sondern Österreich nach Beendigung seiner Tätigkeit bei den heurigen Salzburger Festspielen, verlassen wird.

Den Anlaß zu diesem Rücktritt gaben die Differenzen mit dem von ihm selbst erkorenen Co-Direktor Dr. Egon Hilbert. Glaubte Herr von Karajan, der Anlaß zu diesen Differenzen, nämlich ein unbotmäßiger und unloyaler Mitdirektor, sei ein Faktor, mit dem er fertig werden könnte, so zeigte dies, daß er genau so wenig wie sein treues Publikum die ganze Verflechtung dieser einmaligen Kabale durchschauen konnte. Nachträglich kommt dem staunenden Musikfreund erst zu Bewußtsein, was hier gespielt wurde: Karajan, der bekanntlich seit 1956 künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper war, hatte in den ersten Jahren seiner Direktion verhältnismäßig viel Ruhe. Damals schossen zwar die Zeitungen, die Kabarettisten, Rundfunk und Fernsehen aus allen Knopflöchern auf ihn, aber das bekümmerte ihn ebenso wenig wie den Musikfreund.

Ab 1961 wurde es kritisch. Der erste Schuß vor den Bug kam von der Gewerkschaft, die die Bühnenarbeiter zu einem Überstundenstreik verhielt, der praktisch fast die gesamte künstlerische Arbeit in den Bundestheatern für eine Saison lahm legte. Die Bundestheaterverwaltung schloß bekanntlich dann kurz vor dem Opernball einen Kompromiß mit der Gewerkschaft, was zwar die Abhaltung desselben ermöglichte, aber Karajan nun gänzlich in die Defensive trieb, bis er die Absetzung des damaligen Chefs der Bundestheaterverwaltung Dr. Karl Haertl (für dessen Berufung er sich nach dem Tod des Vorgängers Ernst Marboe selbst eingesetzt hatte) erreichte. Damit Hand in Hand ging eine teilweise Möglichkeit zur Selbstbestimmung für die Bundestheater in künstlerischen und finanziellen Fragen. Damit hatte Herbert von Karajan als erstmaliges Ereignis in der Theatergeschichte Österreichs einen Sieg über die Beamtenmaschinerie errungen, die der Freiheit der Kunst stets den Weg versperrte. Dr. Haertl fiel die Dienstleiter hinauf und wurde wieder ins Unterrichtsministerium rückversetzt, aber für die Bundestheater war der Beginn eines neuen Weges freigekämpft. Die nächste Falle kam aus dem Hause selbst – die Regiekanzlei verursachte durch Fehldispositionen die Absage einer Meistersinger-Vorstellung. Die Presse schäumte. Die Erregung schlug hohe Wogen, und in dieser Zwangslage kam das Engagement Dr. Hilberts zustande, der als der rettende Engel usw. gepriesen wurde. Dieser hatte Karajan in der Zeit seiner Intendanz den Weg in die Oper versperrt, „weil seine künstlerischen Forderungen unannehmbar seien, speziell die Probenzeit“. Karajan hingegen ist ein Gentleman, dem es fern liegt, nachträgerisch zu sein. Er setzte sich darüber hinweg, schenkte diesem Mann sein volles Vertrauen, trotz der Bedenken des damaligen Unterrichtsministers Dr. Drimmel, der Dr. Hilbert keine Sympathien entgegenbrachte.

Die erste Bewährungsprobe hatte die neue Konstellation bei der Boheme-Krise im November vergangenen Jahres zu bestehen, der sie – wie man nachträglich feststellen muß – prompt nicht standgehalten hat. Man kann jetzt nicht mehr sagen, ob die Verhandlungstaktik damals absichtlich oder unabsichtlich falsch war. Das Resultat war wieder eine Aufführung, aus der das Publikum vor Beginn nach Hause geschickt wurde. Wie sich jetzt, durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes herausstellte, war der Streik gegen den italienischen Suggeritore Romano ungesetzlich, und man müßte füglich die Million, die die ausgefallene Vorstellung kostete, bei der Gewerkschaft einkassieren. Eine durch die Aufregungen hervorgerufene Erkrankung Karajans gab nun „dem Mann seines Vertrauens“ die Möglichkeit, die Situation für Karajan untragbar zu machen. Karajan demissionierte als künstlerischer Leiter, und nach Scheitern der Verhandlungen mit dem Unterrichtsministerium geht er endgültig. Wie heißt es doch bei Qualtinger? „…und keiner schert sich um das arme Publikum. Warum?  Es ist ja stumm!“ Nun, stumm war es diesmal gar nicht, denn es demonstrierte ebenso heftig wie unüberhörbar für Karajan. Wer will ihn eigentlich also nicht?

Karajan steht den vereinigten Heerscharen der Beamten, der Gewerkschaft und der Modernen gegenüber, denn die Schlüsselfigur in diesem ganzen Drama heißt nicht Dr. Egon Hilbert, sonder Gottfried von Einem. Herr Einem, ehedem im künstlerischen Beirat der Salzburger Festspiele, schied dort unter Protest aus, als Dr. Haertl aus der Bundestheaterverwaltung abberufen wurde. Damals machte sich der Musikliebhaber keinerlei Gedanken darüber. Diesmal aber hat Herr von Einem etwas zu früh in einem Zeitungsinterview seine Drahtziehertätigkeit gerühmt und etwas zu voreilig seinen Lohn in Form eines Postens als künstlerischer Leiter oder Konsulent der Staatsoper verlangt. Wir haben uns schon anläßlich der vehementen Wallmann-Verrisse gefragt, wer da wohl dahinterstecken möge. Und wir kamen zu dem Schluß, daß dieser Angriff von den deutschen Verlagen ausginge, die dem Haus Riccordi, mit dem Frau Wallmann bekanntlich verheiratet ist, ein weiteres Vordringen in Mitteleuropa verwehren wollten. Auch hier haben wir uns dann nicht mehr weiter um die Sache gekümmert, denn die Wallmann schien uns nicht so wichtig. Es geht letzten Endes auch ohne sie. (Obzwar es noch viel schlechtere gibt!). Das war aber ein Fehler. Wir haben daher die Schüsse, die aus der modernen Richtung, besonders aus Hamburg und von der Liebermann-Seite kamen, nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, denn was geht zum Beispiel einen Herrn Riess die Wiener Oper an? Er soll Liebermann preisen, so viel er will und uns im Übrigen in Ruhe lassen. Doch Opernchefposten sind, wie die Erfahrung lehrt, ein sicheres Ruhekissen für moderne Tonsetzer, deren Produktivität nicht ganz so üppig und genial ist, wie die Publicity ihrer Verlage gerne glauben machen möchte. Wir haben daher dafür durchaus Verständnis, aber es ergrimmt, daß sich Herr von Einem als Versorgungsanstalt ausgerechnet die Wiener Staatsoper aussuchen muß!

In diesem Sinne traf sich die Gegnerschaft, und die Intrige ist endlich gelungen. Jetzt aber werden erst die Streitigkeiten um des Bären Fell beginnen, denn jetzt werden die Belohnungen einkassiert. Dr. Haertl wird sicherlich als neuer Intendant einer streng konzentriert geführten Bundestheaterverwaltung aus dem Kasten springen, Herr von Einem als künstlerischer Leiter reüssieren und natürlich besonders die eigenen Stücke lancieren, und die Gewerkschaftsbosse können dem Operndirektor endlich Vorschriften machen! Mit zähneknirschender Freude erkennt der Opernfreund, daß Herr Direktor Dr. Hilbert, nur Stein auf dem Schachbrett der Musikpolitik gewesen sein und bereits jetzt weniger zu reden haben dürfte, als in der Zeit der Co-Direktion mit Karajan und sich so vermutlich ein bildschönes Eigengoal verpaßte.

Und wen kümmert es, daß dabei die Wiener Oper vor die Hunde geht? Man muß sich schämen, überhaupt ein Wiener zu sein! In Anbetracht dieser Zustände könnte man den Eindruck gewinnen, daß alle Völker, die das Wiener Becken durchzogen, offensichtlich nur ihre schlechten Eigenschaften dagelassen hätten. Welche Genugtuung für subalterne Beamte und Funktionäre, einem wahrhaft großen Künstler Wien und Österreich verekeln zu können!

„Seine Anhänger standen treu zu ihm, aber seine Feinde konnten um so wirksamer gegen ihn arbeiten, als er selbst sich nicht gegen Angriffe und Intrigen wehrte“… schrieb Bruno Walter über Gustav Mahlers Rücktritt. Wie passend! Nicht einmal ein „Dankeschön“ hat Herbert von Karajan für acht Jahre nervenaufreibender Arbeit gehört!

„Was wird jetzt kommen?“, fragt der Musikfreund, nachdem die ersten Absagen aus Richtung Mailand eingetroffen sind. Was denn sonst als die Proporzoper, die Belangoper nach Rundfunkvorbild, in der an einem Tag ein Bauern- und Selchkammerstück, am nächsten zum Ausgleich dafür ein Stück der drohend geschwungenen knorrigen Arbeiterfäuste gegeben werden muß. Eine österreichische Nationaloper der Komiker und guten Witze! Aber das Publikum hat noch eine Chance: Es muß ja nicht gehen! Es kann die Schätze an Magnetophonbändern und Schallplatten ordnen, im Freundeskreis von vergangenen schönen Zeiten träumen und gelegentlich eine nette kleine Auslandsreise nach Italien oder Berlin unternehmen. Jahrelang sind die Musikfreunde aus aller Welt nach Wien gekommen. Jetzt gehen die Wiener Musikfreunde eben ins Ausland. Die Herren des Orchesters können Zwölftonmusik fiedeln, bis ihnen die Saiten reißen, die Herren Kammersänger im „Werbekleid“ singen, die Herren Bühnenarbeiter unter der Knute Felsensteins die Sünden abbüßen, die sie mit Schimpfen über Karajans Beleuchtungsproben begangen haben. Sie haben’s ja so gewollt, oder?

Nun zur alljährlichen Preisverteilung:

Es bereitet uns eine innere Genugtuung, mit dem großen Ehrenpreis für die beste Opernaufführung der Saison zwei Karajan-Vorstellungen auszeichnen zu können:

La Boheme (mit Freni, Güden, Raimondi, Panerai und Taddei) fürs italienische Fach,

Die Frau ohne Schatten Premiere A (mit Rysanek, Ludwig, Hoffman, Thomas und Berry) fürs deutsche Fach.

Solche vollendeten Aufführungen werden wir in Wien nicht mehr hören.

Weiters waren an besten Sängerleistungen in der abgelaufenen Saison zu hören:

Carlo Bergonzi als Radames am 10. 9.

Franco Corelli als Kalaf am 2. 11.

Waldemar Kmentt als Laca am 7. 3.

Cesare Siepi als Don Giovanni am 3. 4.

Nicolai Ghiaurov als Mephisto am 6. 5.

Mirella Freni als Liu am 19. 6.

Die absolut schlechteste Aufführung des Jahres war Mozarts Entführung aus dem Serail (statt La Cenerentola) im großen Haus am 21. 12.

der Tiefpunkt auf der Bühne das Auftreten von Cissy Kraner und Hugo Wiener in der Fledermaus am 9. 2.

So schloß die Saison, die wenig vertrauenserweckend schon mit der Verkauften Braut begonnen hatte, mit dem absoluten Ende. Nicht zu Ende aber ist jener Idealismus der Musikliebhaber, die sich immer gegen den Neid auf das Große und den Haß auf das Schöne wehren werden. Sie sind jetzt zwar ebenso unterlegen wie Karajan, aber man kann diesen Idealismus nicht ausrotten. Minister kommen und gehen, Schreibtischstühle gibt man, sobald sie wackelig wurden, zur Entrümpelung. Intrigen werden eines Tages überrollt und wieder dorthin geschickt, wohin sie gehören. Die cleversten Geschäftsleute sah man schon bankrottieren, denn man kann das wirklich Große zwar niedrig behandeln, aber nicht erniedrigen. Mittlerweile freilich wird der künstlerische Niedergang über das Haus am Ring hereinbrechen. Aber vielleicht ist das nötig, um auch den unbelehrbaren endlich die Augen zu öffnen. Karajan ging, was er sich wohl gedacht haben mag, wissen wir nicht. Für seine Nachfolger allerdings mögen die Worte Wotans gelten:…„ Was tief mich ekelt, dir geb ich’s zum Erbe, der Gottheit nichtigen Glanz: zernage sie gierig dein Neid!“

 

SO KAM ES ZU KARAJANS DEMISSION 

Zusammengestellt aus amtlichen Verlautbarungen und Erklärungen.

In den letzten Wochen ist viel darüber geschrieben worden, wer nun eigentlich der Schuldige am Rücktritt Karajans sei. Der Unterrichtsminister, der Co-Direktor Hilbert, die Bürokraten, die Gewerkschaften oder Karajan selbst. Aus den folgenden amtlichen Verlautbarungen und Erklärungen möge sich der Leser selbst ein Bild machen, wer hier wen zur Tür hinausgeekelt hat:

„Am Nachmittag des heutigen Tages berichtete der künstlerische Leiter der Wiener Staatsoper, Herbert von Karajan, über seinen soeben erfolgten Besuch bei Direktor Prof. Dr. Walter Erich Schaefer in Stuttgart. Danach ergibt es sich leider, daß Professor Schaefer die Funktion des Direktors der Wiener Staatsoper, mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand, nicht länger ausüben kann. Herbert von Karajan hat daraufhin Unterrichtsminister Dr. Drimmel gebeten, den früheren Leiter der Bundestheaterverwaltung, Sektionschef Dr. Egon Hilbert, zum Direktor der Wiener Staatsoper zu ernennen. In einem Gespräch zu dritt erklärte sich Sektionschef Dr. Hilbert bereit, die Berufung anzunehmen.“ (Amtliche Verlautbarung des Unterrichtsministeriums vom 10. 6. 1963).

Bei einem Festakt im Audienzsaal des Unterrichtsministeriums: …Minister Dr. Drimmel… wandte sich hierauf… Sektionschef Dr. Egon Hilbert zu: ‚„Ich habe Egon Hilbert nicht auf diesen Posten berufen, weil ich persönlich so gute Erfahrungen mit ihm gemacht habe, sondern trotz der Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe…“ (Aus einer Meldung der APA vom 20. 6. 1963).

„Die heutige Premierenvorstellung der Boheme in der Wiener Staatsoper wurde fünf Minuten nach dem angesetzten Termin, also um 19.05 Uhr, abgesagt. Nach einer Erklärung, die Direktor Hilbert vor dem Vorhang abgegeben hatte, verließ das Publikum das Theater… Als die Demonstrationen des Publikums auf dem Höhepunkt waren und Direktor Hilbert betonte, daß die Haltung der Direktion in vollkommener Solidarität beschlossen wurde, kam es coram publico zu einer Umarmung Hilbert-Karajans, was das Auditorium mit stürmischen Beifallsrufen quittierte… Direktor Hilbert hatte den Dirigenten-Souffleur Romano persönlich zum Souffleurkasten geführt. In diesem Augenblick erklärte der Betriebsratsobmann Vajda, daß die Vorstellung unter diesen Umständen nicht stattfinden könne. Das künstlerische Personal lehnte es ab, an der Aufführung mitzuwirken…“ (Aus Meldungen der APA vom 3. 11. 1963).

„Wenn die Gewerkschaft kommen kann, um gegen jede Umbesetzung von nicht geeigneten Kräften zu protestieren, dann ist für mich die Tätigkeit hier zu Ende. Ich bin wirklich aus innerer Überzeugung hier, solange man mich arbeiten läßt.“ (Herbert von Karajan auf einer Pressekonferenz am 4. 11. 1963 – Lt. APA).

„Die heutige Vorstellung des Troubadour gestaltete sich zu einer einzigartigen Demonstration für Herbert von Karajan und Dr. Egon Hilbert. So oft Karajan auftauchte, klang minutenlanger Beifall auf.“ (Aus einer APA-Meldung vom 5. 11. 1963).

„Daraufhin rief Sektionschef Dr. Hilbert außerordentlich erregt. „Gut, dann nehme ich zur Kenntnis, daß das Personal kein Vertrauen zu mir hat. Ich halte zu Karajan und ich werde weiter zu ihm halten. Unter diesen Umständen ist es nicht mehr möglich, weiterzuarbeiten.“ (Aus einer APA-Meldung vom 6. 11. 1963 – betreffend Verhandlungen zwischen der Direktion und Gewerkschaftsvertretern).

„Die Heranziehung Herbert von Karajans habe ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützt, und zwar nicht deswegen, weil ich den teuersten für die Staatsoper haben wollte, sondern weil ich die künstlerisch am besten qualifizierte Persönlichkeit nicht nur für die Wiener Staatsoper, sondern auch für Salzburg, für die Philharmoniker, für den Musikverein und für viele Anliegen des musikalischen Österreich gewinnen wollte. Wenn Sie die Hochwassermarken des geistigen Lebens Österreichs im Jahre 1963 mit denen vor dreißig oder vierzig Jahren vergleichen, dann werden Sie vielleicht Verständnis dafür haben, daß ich mich auf die Seite derer stelle, die alles tun, um diese Persönlichkeiten unserem künstlerischen Leben zu erhalten. Höchste Freiheit für höchste Kunst…“ (Unterrichtsminister Dr. Drimmel vor dem Finanz- und Budgetausschuß des Nationalrates am 7. 11. 1963).

„Die Bundstheaterverwaltung hat die Direktion der Wiener Staatsoper heute davon verständigt, daß der von der Bundestheaterverwaltung eingebrachten Berufung an das Landesarbeitsamt, betreffend die Beschäftigungsgenehmigung für den italienischen Staatsangehörigen Armando Romano, keine Folge gegeben wurde. Daraufhin hat auf Ersuchen der Direktion der Wiener Staatsoper die Bundestheaterverwaltung unverzüglich gegen diesen Bescheid die Berufung erhoben.“ (APA-Meldung vom 8. 11. 1963).

„Wenn Sie erwarten, daß ich hier meine Demission anbiete, dann muß ich Sie schwer enttäuschen. Ich denke gar nicht daran, zurückzutreten!“ (Herbert von Karajan zu Beginn der Pressekonferenz vom 9. 11. 1963).

21.  November 1963: Dr. Egon Hilbert fordert von Herbert von Karajan in München, wo sich beide anläßlich der Eröffnung des Münchener Nationaltheaters befinden, daß Karajans persönlicher Referent, André von Mattoni, in Hinkunft aus allen Verhandlungen, Besprechungen, Vereinbarungen und Abmachungen, die die Wiener Staatsoper betreffen, ausgeschaltet werden müsse. Es kommt, wie Augenzeugen berichten, zu einem sehr heftigen Auftritt zwischen Karajan und Hilbert. Die einen sagen, das gute Einvernehmen zwischen Karajan und Hilbert sei getrübt, und die anderen behaupten, es sei ruiniert… In der Eile, mit der die Eheschließung im Juni 1963 vor dem Unterrichtsminister vollzogen wurde, scheint man aber etwas sehr Wichtiges übersehen zu haben. Beide Partner, Karajan und Hilbert, sprachen von der Wiener Staatsoper, aber jeder meinte offenbar etwas anderes… Karajan scheint nicht willens zu sein, die lästigen kleinen Schwierigkeiten des Alltagsbetriebes, die oft genug nerventötend und zeitraubend sind, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen… Der noch immer nicht beendete Konflikt um den Maestro suggeritore, die angeblich nötige Neuabfassung des sogenannten Mailänder Vertrages und die nicht „mehr wegzuleugnende Tatsache, daß die Hochkonjunktur der Oper vorbei ist… tragen dazu bei, wieder einmal jenes Unbehagen an der Oper zu wecken, das wir alle für einige Zeit überwunden glaubten.“ (Aus einem im „Express“ Wien vom 12. 2. 1964 erschienenen Kommentar unter dem Titel „Die unheimliche Ehe“).

„Ich  bin loyal. Niemand kann mir vorwerfen, ich sei nicht loyal!“ (Lieblingsausspruch von Dr. Hilbert im Winter 1963/64).

„Das Staatsopernprogramm für die Pfingstfeiertage scheint einen erneuten Anlaß für Differenzen innerhalb der Operndirektion zu beinhalten. Für Sonntag, dem 17. Mai, ist nämlich eine Aufführung der Karajan-Produktion von Richard Wagners Tannhäuser angesetzt, obwohl Herbert von Karajan am gleichen Abend im Musikverein ein Konzert der Berliner Philharmoniker dirigiert. Dieser Tannhäuser fand sich bereits im ersten Spielplanentwurf für den Monat Mai und wurde gestern in eine offizielle Spielplanvorschau für die übernächste Woche aufgenommen. Dies trotz mehrfachen Ersuchen des künstlerischen Leiters der Wiener Staatsoper, den Termin oder das Stück wegen seiner Konzertverpflichtung abzuändern. Tatsächlich ist das Konzert der Berliner Philharmoniker im Musikverein seit über einem Jahr fixiert, und auf diesen Umstand wurde durch Karajan seit Monaten mehrmals hingewiesen… Direktor Dr. Egon Hilbert hat sich jedoch bisher nicht bereit gefunden, Karajans ältere Verpflichtung als Argument für eine Verschiebung gelten zu lassen, und erklärte, die Vorstellung müsse gehalten und dann eben von einem anderen Dirigenten geleitet werden.“ (Aus einem Artikel des „Express“ Wien – vom 30. 4. 1964 unter dem Titel „Justamentstandpunkt nach Musik von Wagner-Tannhäuser mit Hilbert, aber ohne Karajan.“)

„Die Wiener Oper über uns allen!“ (Ein anderer Lieblingsausspruch von Dr. Hilbert im Winter 1963/64).

30. 4. 1964: Herbert von Karajan kommt am Vormittag nach Wien, nimmt sich ein Tageszimmer im Hotel „Imperial“ und hat ein erstes Gespräch mit dem neuen Unterrichtsminister, Dr. Piffl-Percevic.

Oscar Danon aus Belgrad dirigiert Tannhäuser am Pfingstsonntag an der Staatsoper. (Ergebnis der Regiesitzung der Staatsoper – Vorsitz: Dr. Egon Hilbert – vom 7. Mai 1964).

„Herbert von Karajan hat in einem Schreiben vom 8. Mai aus Zürich an den Unterrichtsminister mitgeteilt, eine abschließende ärztliche Untersuchung  habe ergeben, daß sein Gesundheitszustand es ihm nicht erlaube, das Amt eines künstlerischen Leiters weiter fortzuführen. Er müsse daher zu seinem größten Bedauern nach achtjährigem Wirken diese Funktion an der Wiener Staatsoper mit Ablauf dieser Spielzeit beenden. Er stelle jedoch in Aussicht, der Staatsoper auch in Zukunft als Dirigent und Regisseur zur Verfügung zu stehen. Der Bundesminister für Unterricht nahm diese Mitteilung mit großem Bedauern zur Kenntnis und hat Auftrag gegeben, die Voraussetzungen bezüglich dieser angebotenen weiteren Dirigenten- und Regisseurtätigkeit sicherzustellen.“ (Amtliches Kommunique des Unterrichtsministeriums vom 11. 6. 1964, nachdem die Demission von Dr. Piffl-Percevic angenommen wurde).

„Bundesminister für Unterricht Dr. Piffl-Percevic hat heute den Direktor der Wiener Staatsoper Dr. E. Hilbert empfangen, um dessen Auffassung kennenzulernen, die sich auf Grund der neuen Sachlage nach der Demission des künstlerischen Leiters der Staatsoper, H. v. Karajan, ergeben hat. Nach der Darlegung dieser Auffassung wurde übereinstimmend festgestellt daß vorläufig keine weiteren Schritte von Dr. Hilbert zu unternehmen seien.“ (Kommunique des Unterrichtsministeriums vom 13. 5. 1964).

„Wir sind bestrebt, eine Lösung zu finden – und sind festen Mutes, sie zu finden – , die nach drei Dimensionen hin befriedigend ist: nach der menschlichen, künstlerischen und rechtlichen Dimension… Wir wissen, daß hier beachtliche Schwierigkeiten bestehen, die volle Harmonie zwischen den drei Dimensionen zu gewinnen. Wir sind aber unbedingt bestrebt, diese Harmonie zu finden. Im gegenwärtigen Augenblick sind die Meinungen über das Ergebnis selbst, bzw. über die Lösungsmöglichkeiten noch derart unterschiedlich, daß wir von seiten der Unterrichtsverwaltung auch nicht in Konditionalsätzen zu den einzelnen geäußerten Meinungen Stellung nehmen können.“ (Unterrichtsminister Dr. Piffl-Percevic auf der Pressekonferenz am 14. Mai 1964).

„Die Gewerkschaft Kunst und freie Berufe hat sich in ihrer letzten Vorstandssitzung vom 14. Mai mit der derzeitigen Situation der Wiener Staatsoper eingehend befaßt. Der Vorstand… erwartet von den zuständigen Stellen, insbesondere von der Bundesregierung, eine rasche Klärung der Situation… Es darf nicht mehr der Fall sein, daß dieses führende österreichische Kulturinstitut ein Spielball persönlicher Interessen, sei es auch künstlerisch hochqualifizierter Einzelpersönlichkeiten, wird, statt den Interessen der Gesamtheit der österreichischen Bevölkerung zu dienen. Der Vorstand war einhellig der Meinung, daß die Gewerkschaften, im Sinne der ihnen zukommenden kulturpolitischen Aufgabe, als Vertreter der Arbeitnehmer und Konsumenten, ein Mitspracherecht besitzen, wenn es um die Verwendung von sehr beträchtlichen Steuergeldern geht. Die Gewerkschaft Kunst und freie Berufe behält sich vor, die Rechts- und Organisationsform der Staatsoper zum Gegenstand von Verhandlungen mit den zuständigen Stellen zu machen.“ (Kommunique der Gewerkschaft Kunst und freie Berufe am 15. 5. 1964).

„Knapp vor Beginn der Tannhäuser-Vorstellung (am 17. Mai) kam es am Sonntag Abend in der Wiener Staatsoper zu einem Zwischenfall: Nach der Abdunkelung des Zuschauerraumes ertönten aus dem Stehparterre einige Rufe: ‚Hilbert hinaus!’ sowie ein paar gellende Pfiffe. Die Unruhe hielt an, während der Belgrader Opernchef Oscar Danon ans Pult trat. Doch nach seinem ersten Einsatz wurde es sofort still. Da der im Zuschauerraum nicht anwesende Dr. Hilbert… offenbar mit einer Demonstration gerechnet hatte, waren auf den Stehplätzen zahlreiche Kriminalbeamte postiert worden. Die Polizei griff auch sofort ein und führte einige Besucher aus dem Zuschauerraum.“ (Meldung im „Express“ Wien am 19. Mai 1964).

„Gestern Vormittag äußerste sich… Dr. Hilbert erstmals… zur gegenwärtigen Situation. Er versprach, der Oper so lange dienen zu wollen, als es für dieses Haus nützlich sei… und meinte, wenn er Fehler begangen habe, so sei dies nur menschlicher Irrtum gewesen, denn er habe immer nur das Wohl der Oper im Auge.“ (Meldung im „Express“ Wien – vom 20. 5. 1964).

„Wir sind bestrebt, Karajan für Wien zu erhalten. Das heißt: Nicht als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper, denn als dieser ist er endgültig zurückgetreten, aber im gleichen zeitlichen Ausmaß wie bisher als Dirigent und Regisseur… Das Problem muß sauber und soll unblutig gelöst werden. Es kann sein, daß wir eine Interimslösung finden müssen und die endgültige Lösung erst finden, wenn alles sich ein wenig beruhigt hat und nicht mehr so dramatisiert wird.“ („Express“-Interview mit Unterrichtsminister Dr. Piffl-Percevic am 30. 5. 1964).

„Der Verwaltungsgerichtshof hat… den Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, mit dem in dritter Instanz die Beschäftigungsgenehmigung und Arbeitserlaubnis für den Mailänder Maestro suggeritore Armando Romano versagt worden waren, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften aufgehoben… Der Verwaltungsgerichtshof… hat ausdrücklich festgehalten, daß die Verweigerung der Arbeitsgenehmigung anläßlich der Boheme-Premiere nur dann zu verweigern gewesen wäre, wenn ein österreichischer Arbeitnehmer dadurch materiellen Schaden erlitten hätte.“ (Meldung im „Express“ am 9. 6. 1964).

„Vier Wochen sind es nun her, daß Herbert von Karajan als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper demissioniert hat… Vier Wochen sind vergangen, ohne daß man seitens des Unterrichtsministeriums klargestellt hätte, wie nun die Direktion der Wiener Staatsoper ab 1. Juli beschaffen sein soll. Und zwar mit konkreten Angaben klargestellt, nicht bloß mit unverbindlichen Umschreibungen… Die weitere künstlerische Tätigkeit Karajans in Wien… wird nämlich keineswegs von dem Angebot irgendeines Vertrages abhängen, und sei dieser noch so großzügig, lukrativ und verlockend. Sie kann einzig durch die Voraussetzung gewährleistet werden, daß eine neue Direktion willens und in der Lage ist, die Zusammenarbeit mit Karajan fortzusetzen. Genau dafür fehlt jedoch bisher jedes Anzeichen… Weil man bei uns immer Kompromisse zu schließen bereit ist, wird man auch diesmal einen anstreben.“ (Aus einem Artikel des „Express“ unter der Überschrift: „5 vor 12“ vom 10. 6. 1964).

„Das Angebot an Herrn von Karajan sichert ihm als Dirigenten und Regisseur die volle freie künstlerische Entfaltung hinsichtlich Werk, Zeit und Sachaufwand zu und sieht vor, daß ein Herr seines Vertrauens mit allen Vollmachten, die zur Gewährung der künstlerischen Tätigkeit erforderlich sind, betraut wird. Die Verhandlungen dauern an. Öffentliche Polemiken oder der Würde der Oper nicht angepaßte Demonstrationen bedeuten keine Hilfe für den angestrebten Vertragsabschluß. Das auf Grund eines Vertrages zwischen der Republik Österreich und Herrn Direktor Sektionschef Dr. Egon Hilbert bestehende Rechtsverhältnis verträgt keine rechtlich oder menschlich unbegründeten Eingriffe. Als österreichischer Bundesminister nehme ich Ultimaten nicht entgegen.“ (Erklärung des Unterrichtsministers vom 13. 6. 1964).

 

„Nach meiner Demission vom 8. Mai 1964 hat der Unterrichtsminister am 11. Mai 1964 Auftrag gegeben, die Voraussetzungen zu schaffen für die Sicherung meiner weiteren Tätigkeit als Dirigent und Regisseur. Innerhalb von sieben Wochen ist von seiten des Unterrichtsministers kein praktisch realisierbarer und daher akzeptabler Vorschlag gemacht worden, der mir die geforderten künstlerischen Voraussetzungen geboten hätte. Nach dem Scheitern aller bisherigen Verhandlungen wurde ich im Auftrag des Unterrichtsministers am 16. Juni 1964 gebeten, selbst Persönlichkeiten meines Vertrauens vorzuschlagen. Ich habe Herrn Professor Oscar Fritz Schuh nominiert – ein Vorschlag, der in der gesamten Musikwelt den positivsten Widerhall ausgelöst hat und mir die Garantie bot, daß das in acht Jahren erarbeitete künstlerische Niveau der Wiener Staatsoper gehalten und weiter fortgeführt worden wäre. Im Einvernehmen mit Pof. Schuh stelle ich fest, daß die Verhandlungen mit ihm zum Scheitern gebracht wurden. Unter solchen Umständen sehe ich keine Gewähr dafür, daß die mir zugesicherten Voraussetzungen für meine künstlerische Tätigkeit gegeben sind. Aus Verbundenheit mit dem Publikum und aus Vertragstreue werde ich die von mir bereits eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Nach 18jährigem Wirken im Konzertsaal, 16 Jahren in Salzburg und 8 Jahren künstlerischer Leitung der Wiener Staatsoper beende ich am 31. August 1964 meine Tätigkeit in Österreich.“ (Erklärung Herbert von Karajans – laut APA-Meldung vom 23. Juni 1964).

 

„Das Bundesministerium für Unterricht bedauert, daß die Verhandlungen mit Prof. Schuh zu keinem Ergebnis führten und dies vom künstlerischen Leiter der Wiener Staatsoper, Herbert von Karajan, als Anlaß für die Ankündigung genommen wurde, künftighin in Österreich nicht mehr künstlerisch tätig sein zu wollen. Zu dieser Ankündigung… stellt der Bundesminister für Unterricht folgendes fest:

1. Professor Schuh teilte mir mit, daß er regulär erst mit Beginn der Spielzeit 1966/67… für die Übernahme der Operndirektion zur Verfügung stehen könnte.

2. Ich mußte korrekterweise Prof. Schuh darauf aufmerksam machen, daß der Rechnungshof auf Grund seines Einschauberichtes über die Gebarung der Bundestheaterverwaltung, der Staatsoper und des Burgtheaters vom 2. 6. 1964 u. a. folgendes ausführte: „…der Rechnungshof muß daher verlangen, daß das Additionale, das zu einer weitgehenden Ausschaltung der Bundestheaterverwaltung und Gewährung größter Selbständigkeit der Bundestheater… führte, rückgängig gemacht wird, der alte Zustand vor dem Additionale wiederhergestellt, die Bewirtschaftung aller Kredite der Bundestheaterverwaltung zurückgegeben und diese ihre alten Befugnisse zurückerhielt…’ Dieses Verlangen des Rechnungshofes bedeutet die Rückgängigmachung der den Staatstheaterdirektoren zur Zeit eingeräumten budgetären Autonomie. Unter diesen Umständen konnte sich Prof. Schuh nicht bereiterklären, derzeit in nähere Verhandlungen einzutreten. Das Unterrichtsministerium bedauert, daß die Staatsopernkrise, die keineswegs durch das Bundesministerium für Unterricht ausgelöst worden war, trotz vielfachen intensiven Bemühungen nicht bereinigt werden konnte.“ (Erklärung des Unterrichtsministeriums vom 24. 6. 1964)

 

„Ergänzend zu diesem Kommunique, das sich auf Karajans Erklärung vom Vortag bezieht, machte Minister Dr. Piffl-Percevic… erstmals präzise Angaben über die künftige Direktion, wie sie seiner Meinung nach der Rechtslage entspreche. Demnach ende die Doppeldirektion Karajan-Hilbert, wie bekannt, am 31. August 1964. Ab 1. September dieses Jahres gelte Dr. Egon Hilbert als Staatsoperndirektor.“ (Meldung des ‚Express’ vom 24. Juni 1964).

 

KARAJANS DEMISSION IM SPIEGEL DER AUSLÄNDISCHEN PRESSE

Der Merker, 9. Jahrgang, Heft 7

Aus Platzmangel können wir hier nur die ausländischen Pressestimmen zu Karajans Rücktritt bringen und müssen auf die Wiener Zeitungskommentare diesmal verzichten. In der gesamten Presse des Auslands und insbesondere in der deutschsprachigen wurde der Demission Herbert von Karajans größte Beachtung geschenkt.

So schreibt Heinz Joachim, gewiß kein Gefolgsmann der von Karajan erhofften internationalen Ensemble-Stagione, in der Hamburger Tageszeitung Die Welt zu den Wiener Ereignissen: „Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Prof. Oscar Fritz Schuh blieb Herbert von Karajan nichts anderes übrig, als sich ganz von der Wiener Oper und damit aus Österreich, zurückzuziehen. Denn nur mit Schuh als Operndirektor hätte er seine künstlerische Konzeption verwirklichen können; sie hatte ein doppeltes Ziel: Einerseits strebte Karajan eine enge Zusammenarbeit der Wiener Staatsoper mit der Mailänder Scala, der New Yorker Metropolitan Opera und anderen führenden Häusern im Austausch von Programmen und Künstlern an. Das Wiener Opernpublikum hätte also, wenn diese Pläne realisiert worden wären, innerhalb von vier bis sechs Monaten einer Spielzeit Aufführungen von höchster Vollendung gehabt: in internationaler Starbesetzung, die eben nur im Rahmen einer derart weitsichtigen Planung mit Sicherheit zu erreichen ist. Aber selbstverständlich hätte sich Karajan nicht allein auf ein solches Stagioneprinzip stützen können und wollen. Nicht minder klar suchte er für die Wiener Staatsoper auch sein zweites Ziel zu erreichen. Die Pflege des eigenen Ensemble-Theaters. Und das wäre nur mit O. F. Schuh möglich gewesen, dem heute wohl profiliertesten Opernfachmann mit Qualifikationen… Wie sich die leitenden Herren an der Wiener Staatsoper die Weiterführung des künstlerischen Betriebes vorstellen, konnten (oder wollten) sie so kurz nach Karajans Rücktritt nicht präzisieren. Man wird natürlich versuchen weiterzuspielen. Aber in jedem Fall werden dabei die Vorstellungen, die Karajan bisher geleitet hat, verwaist bleiben. Denn auch die Verpflichtung noch so berühmter Gastdirigenten wäre keine künstlerisch vertretbare Lösung, weil Karajan seine Aufführungen meist nicht nur musikalisch einstudiert und dirigiert, sondern auch inszeniert hat. Außerdem ist anzunehmen, daß prominente Dirigenten genauso, wie Karl Böhm es vor kurzem schon tat, es ablehnen werden, ihrem Kollegen in den Rücken zu fallen.“

Ebenfalls in der Welt vom 25. 6. schreibt der Wiener Korrespondent E. G. Wickenburg: „Provinzialismus hat gesiegt. Die Hoffnung, einmal werde ein Künstler dank seines strahlenden Weltrufs über die Bürokratie triumphieren, bleibt weiter Schimäre. Es duldet leider keinen Zweifel, daß Karajan mit diesem Eklat in Zukunft für sämtliche Veranstaltungen in Österreich ausfällt.“

Die süddeutsche Zeitung in München brachte am 25. 6. 1964 ebenfalls einen Kommentar zur Opernkrise in Wien: „Die Wiener Oper, die Salzburger Festspiele ohne Herbert von Karajan – es scheint immer noch undenkbar, obwohl die Entscheidung des Maestros unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht zurückgenommen werden dürfte. Er ist der Unterlegene, aber er tritt als Sieger ab; sein Gegenspieler, Unterrichtsminister Piffl-Percevic, wird es bald zu spüren bekommen… Der „Apparat“, die Ministerialbürokratie, hat – scheinbar – gesiegt. Doch dürfte es nur ein Pyrrhussieg sein. Denn der Minister, der das Haus am Opernring nicht führerlos lassen kann, dürfte sich sehr bald gezwungen sehen, seine organisatorischen Reformpläne fallenzulassen und beim gegenwärtigen, von Karajan bisher gerade noch akzeptierten Status zu bleiben, wie immer der Nachfolger heißen mag. Die Verhandlungstaktik des Ministers war so plump, so uneinsichtig, daß schon jetzt die Wiener Presse heftig an Piffl-Percevic Kritik übt. Wer könnte ein Nachfolger Karajans werden, wer ohne Gefahr an seine Stelle treten? Wer immer es sein wird, wenn er die Forderungen der Ministerialbürokratie erfüllt und sich selbst zum abhängigen, ausführenden Organ erniedrigt, hätte er für alle großen Theater ein verhängnisvolles Beispiel gegeben. Denn Karajan kämpfte keineswegs nur für seine eigene Person. Er kämpfte um der Sache willen, um die Befreiung der künstlerischen Tätigkeit von den Schlingarmen einer meist amusischen, fast immer kleinlichen Ministerialbürokratie. Es gibt sie keineswegs nur in Wien.“

Die Ruhr-Nachrichten in Dortmund schreiben zum Abgang Karajans: „Der Bundestheaterverwaltung war es schon lange ein Dorn im Auge, daß Karajan als Operndirektor namentlich bei der Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala souverän schaltete und waltete. Diese Freiheiten sollen dem künftigen Direktor nicht mehr eingeräumt werden, nachdem der Rechnungshof an der Finanzgebarung der Operndirektion heftig Kritik geübt hat. Man wird dabei dem Staatssäckel wohl einige Millionen Schilling einsparen. Aber was zählt das gegenüber dem künstlerischen Verlust, der Österreich durch den endgültigen Abgang Karajans von der Musikbühne dieses Landes zugefügt wird?“

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb am 25. 6. u.a. folgendes: „Die Nachricht, daß Herbert von Karajan nach diesem Sommer nicht nur der Staatsoper, sondern dem gesamten Musikleben Österreichs den Rücken kehren will, hat die Wiener Festwochen mit einem donnernden Paukenschlag beendet. Nach einem Kulturbetrieb von traumhafter Brillanz… ist dies ein rüdes Erwachen. Als vor sieben Wochen dem neuen Unterrichtsminister Dr. Piffl-Percevic die jüngste Karajan-Krise in den Schoß gefallen war, hatten auch die schwärzesten Pessimisten diesen Ausgang nicht befürchtet… Der Meinungsstreit über Karajans Abgang hat Wien in zwei Lager geteilt. Hinter dem Maestro steht, angeführt von den beiden Boulevardblättern Kurier und Express, fast das gesamte Opernpublikum – also jener glückliche Haufen inmitten des steuerzahlenden Volkes, dem es gelingt, sich Eintrittskarten zu dem exquisiten Vergnügen einer von Karajan geleiteten Aufführung zu verschaffen. Gegen ihn wendet sich die Mehrheit der aufrechten, gradlinigen, aber phantasiearmen Bürger – vor allem in den Bundesländern –, denen seit Jahren das im Wiener Musikleben herrschende Intrigenspiel und kulturpolitische Jongleurtum mißfällt. An ihrer Spitze steht der Unterrichtsminister… Um die magische Persönlichkeit des großen Dirigenten nicht gänzlich zu verlieren, hätte man ihm doch etwas weiter in den irrealen, wenn auch nicht irrationalen Bereich der Kunst folgen sollen, wo nicht das Gesetz, sondern die Leistung gilt. In der Ernennung Schuhs zum Wiener Operndirektor bot sich in letzter Stunde ein annehmbarer Ausweg… Dazu schien jedoch der Unterrichtsminister, der sich von bevorstehenden Budgetschwierigkeiten hinsichtlich der Bundestheater bedroht sieht, nicht geneigt. An der Unvereinbarkeit der beiden Standpunkte scheitere diese in Wien bereits enthusiastisch begrüßte Möglichkeit. Der Krieg ist erklärt. Beide Seiten sind gerüstet. Dr. Hilbert, dessen Rücktritt den gordischen Knoten hätte durchhauen können, schickt sich zum Belagerungszustand an. Ob man sich für oder wider ihn erklärt – in seinen Schuhen möchte niemand stecken. Wer die lautstarken und wild entschlossenen Parteigänger Karajans kennt, ist darauf gefaßt, daß sie jetzt  geradewegs vom Stehparterre auf die Barrikaden gehen.“

Der Spiegel schreibt u.a.: „Österreichs neuer Kultur-Oberer, ein Jurist aus der Provinz Steiermark, war entschlossen, stark zu sein und zu bleiben, und zeigte nur das amtliche „große Bedauern“, als Karajan Anfang Mai dieses Jahres „mit größten Bedauern“ die künstlerische Leitung der Wiener Oper niederlegte. Vollends frostig reagierte Piffl als Karajan seine weitere Dirigententätigkeit an der Wiener Oper von der Entlassung seines Mitdirektors Dr. Hilbert abhängig machte… Bitterkeit griff im singenden, klingenden Wien um sich.“

 

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