Heinz-Dieter Pohl

Vor 40 Jahren starb Eberhard Kranzmayer

Zum Gedenken an einen bedeutenden Kärntner Wissenschaftler

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Kärnten hat drei große Germanisten hervorgebracht: Matthias Lexer (1830–1892), Primus Lessiak (1878-1937) und Eberhard Kranzmayer (am 15.5.1897 in Klagenfurt als Sohn eines Kupfer­schmiedes geboren, gestorben am 13.9.1975 in Wien als Emeritus). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Sprachwissenschaftlern, Dialektologen und Namen­forschern. Lange Zeit prägte er als Professor an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die „Wiener Schule der Dialektologie“.

In seiner jungen Jahren nahm er zunächst 1916-1918 am Ersten Weltkrieg und danach auch  am Kärntner Abwehrkampf teil. Danach studierte er an der Universität Wien Germanistik und promovierte im Jahre 1926 mit der Dissertation „Laut- und Formenlehre der zimbrischen Mundart“ (in Druck posthum erschienen als: Kranzmayer, Eberhard: Laut- und Flexionslehre der deutschen zimbrischen Mundart (Beiträge zur Sprachinselforschung, hg. Maria Hornung, Bd. 1/1), Wien 1981.). Im Jahre 1933 habilitierte er sich bei Rudolf Much mit seiner erst viel später (1944) in Druck erschienenen Arbeit „Die deutschen Lehnwörter in der slowenischen Volkssprache“ (Laibach/Ljubljana, Verlag Kramarič 1944. – Dies brachte ihm nach 1945 so manche Kritik ein, lt. H. Striedter-Temps, Deutsche Lehnwörter im Slovenischen. Berlin 1963, S. VII sei „die kulturhistorische [Seite] … den Umständen der Erscheinungszeit entsprechend mit Vorsicht zu betrachten“). Von 1926 bis 1933 war E. Kranzmayer Mitarbeiter am Bayerischen Wörterbuch in München, wo er 1938 die Venia legendi als Dozent auch an der Universität München erwarb und wo er als außerplanmäßiger Professor Leiter der Bayerischen Wörter­buch­kommission wurde. Dies war der Beginn des Entstehens zweier „Bayerisch-Österreichischer Wörterbücher“: I. Österreich „Wörterbuch der bairischen Mundarten Österreichs“ (WBÖ, Wien 1963ff., 41 Lieferungen, bis jetzt die Buchstaben A-E einschließlich P u. T umfassend) und II. Bayern „Bayerisches Wörterbuch“( BWB, München 1995ff., 19 Hefte, Buchstaben A-Bri einschl. P.).

Als am 10. Oktober 1942 das „Institut für Kärntner Landesforschung” als Teil des SS-Ahnenerbes in Klagenfurt gegründet wurde, bestellte man E. Kranzmayer zu dessen Leiter. Im gleichen Jahr wurde er auch außerordentlicher Professor für Germanistik an der Universität Graz und bald darauf korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er war – wie viele seiner Zeitgenossen auch – Mitglied der NSDAP und wurde daher nach 1945 entlassen, hat sich aber zur NS-Zeit nichts zu Schulden kommen lassen, außer dass er in aus heutiger Sicht äußerst problematischen Institutionen mitgearbeitet hat. Daher konnte er schon ab dem Jahre 1949 wieder in der (österreichischen) Wörter­buchkommission an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mitarbeiten, seit den 1990er Jahren Institut für Dialekt- und Namenlexika (DINAMLEX) genannt, heute Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie (ICLTT). Die Wörterbuchkommission ist in der Zwischenzeit von seiner ehemaligen Studentin und Schülerin Maria Hornung (1920-2010) geleitet worden. Im Jahr 1964 wurde er dann Leiter der Wiener Wörterbuchkanzlei, wo das „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreichs“ bearbeitet und herausgegeben wird. 1967 wurde er Wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 

Im Jahre 1958 wurde er auf den Lehrstuhl für Germanistik an der Universität Wien berufen und unter seiner Patronanz sind dann eine ganze Reihe von Dissertationen zu allgemeinen und regionalen dialektologischen Themen entstanden. Einige von diesen Arbeiten habe auch ich immer wieder für meine Forschungen und Darstellungen zur Kärntner Mundart herangezogen. Hier hat mir auch meine gute Bekanntschaft und die Zusammenarbeit mit Kranzmayers bedeutendster Schülerin Maria Hornung viele Einblicke eröffnet, zumal ich Kranzmayer zwar persönlich gekannt habe (und während meines Studiums auch einige Vorlesungen besucht hatte), aber ich mich Kärntner Themen erst nach seinem Tod in den 1970er Jahren zugewandt habe. Maria Hornung habilitierte sich 1964 mit einer Arbeit zur „Mundartkunde Osttirols (Wien, Böhlau 1964) bei E. Kranzmayer im Fachgebiet „Ältere deutsche Sprache und Literatur mit besonderer Berücksichtigung der Mundartkunde  und wurde  dann im Jahre 1969 zur Titularprofessorin und 1980 zur außerordentlichen Univer­sitätsprofessorin an der Universität Wien ernannt (bis zum Eintritt in den Ruhestand 1985). Das Interesse für die deutschen Sprachinseln in Norditalien und in Slowenien wurde bei ihr von E. Kranzmayer geweckt und dieses Thema sollte dann zu einem ihrer Hauptgebiete werden (auf diese gemeinsame Arbeit geht u.a. folgendes Werk zurück: Kranzmayer, Eberhard: Wörterbuch der deutschen Sprachinselmundart von Zarz/Sorica und Deutschrut/Rut in Jugoslawien, hg. von Maria Hornung u. Alfred Ogris [Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 68], Klagenfurt, Geschichtsverein für Kärnten 1983).

Mundartkundlich gesehen ist E. Kranzmayers HauptwerkHistorische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes“ (Graz-Wien, Böhlau 1956. Mit 31 Karten zur Lautlehre und zur Gliederung), auf ihn geht auch der Begriff „Bairische Kennwörter in der Dialektologie zurück (in seinem Buch Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte. Graz-Wien, Böhlau 1960. – Die für Kärntnen relevanten Kennwörter sind in meinem „Kleinen Kärntner Wörterbuch“ [Klagenfurt, Heyn 2007] S. 20f. nachzulesen).  Die Lautgeographie ist bis heute ein Standard­werk, das grundsätzlich noch immer Gültigkeit hat, auch wenn jetzt manche Details anders gesehen werden. Darin findet man nahezu jede lautliche Eigentümlichkeit der einzelnen Mundarten. Für Kärnten typisch ist insbesondere die sogenannte „Kärntner Dehnung“ (z.B. wīsn ʻwissenʼ laut gleich wie Wīsn ʻWieseʼ), der Erhalt der Vorsilbe ge- vor Verschlusslauten im Partizip Präteritum (z.B. i håb gebråcht/getrunkn statt …bråcht/trunkn wie u.a. in Wien)  und das vorwiegend verbreitete ā (statt gemeinbairisch oa) für mittelhochdeutsches ei (z.B. klān ʻkleinʼ, hās ʻheißʼ, in Wien ebenso, aber u.a. im Metnitztal, Görtschitztal so wie in den meisten anderen bairischen Mundarten kloan, hoas). 

Für die Namenkunde ist das zweibändige „Ortsnamenbuch von Kärnten“ (2 Bände in: Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 50 u. 52, Klagenfurt, Geschichtsverein für Kärnten 1956-58. – Ein „Bruder“ dieses Werkes ist Kranzmayer, Eberhard – Bürger, Karl: Burgenländisches Siedlungsnamenbuch [Burgenländische Forschungen Heft 36]. Eisenstadt, Amt der Burgenländischen Landesregierung 1957) nach wie vor ein Grundlagenwerk, auf das alle nachfolgenden onomastischen Publikationen Bezug nehmen. Einige im „Ortsnamenbuch“ vertretene Ansichten sind allerdings heute obsolet geworden (wie z.B. Kranzmayers Deutung des Namens Kärnten als ʻLand der Befreundetenʼ, vielmehr ist er vom Ulrichsberg ausgegangen, der einst den Namen Mons carentanus geführt hat, etwa ʻSteinberg, felsiger Bergʼ), v.a. bezüglich des Nachwirkens der durch das Lateinische bzw. Romanische vermittelten vordeutschen/vorslawischen Namengutes. Die älteste Namenschicht wird in der Fachliteratur heute „voreinzelsprachlich“ genannt. Sie umfasst jenes Namengut, das wir keinem „Stamm“ oder „Volk“ und somit auch keiner „Sprache“ eindeutig zuordnen können. Darunter finden sich auch einige, die in eine sehr alte Zeit zurückreichen und nicht indogermanisch sind. Es sind aus den Alpen eine ganze Reihe von Wörtern und Namen bekannt, die man als vorindogermanisch einstufen muss, aber keiner Einzelsprache eindeutig zuordnen kann. Solche Relikte nennt man in der Sprachwissenschaft Substrat, also sehr altes Sprachgut, das erhalten blieb und in die jeweils nächste Sprachschicht übernommen wurde. Dazu gehören u.a. Wörter wie Alpe, bairisch-österreichisch Ålm aus Alben, krapp- ‘Stein’ in Krappfeld, weiters Gämse (über lateinisch camox) und Lärche (über lateinisch larix). Daran schließt sich nun eine indogermanische Schicht an, die ebenfalls noch nicht direkt einer bestimmten Sprache zugeordnet werden kann. Dies sind v.a. die „alteuropäischen“ Gewässernamen unserer ältesten sprachlichen Vorfahren. All diese Namen sind dann in der romanischen Periode erstmals greifbar und oft auch belegbar. Diese sind dann der Romanisierung unterlegen – in den 400 Jahren römischer Herrschaft über ein blühendes Land von größter wirtschaftlicher Bedeutung. Erst das Eindringen der Awaren führte zum Untergang gehobener Lebensformen und somit zum Abbruch der historischen Überlieferung, die mit dem Auftreten der karantanischen Slawen (7./8. Jhdt.) und deren Christianisierung wieder einsetzt.

E. Kranzmayer, der Altmeister der Kärntner Ortsnamenforschung, hat in seinem Ortsnamenbuch eine ganze Reihe von vorslawischen Namen aufgeführt; bezüglich des Romanischen war er aber davon überzeugt, dass es östlich der Linie Linz-Villach kaum romanische Ortsnamen gibt. Für Kärnten hat er westlich dieser Linie nur einige wenige vorrömische bzw. romanische Toponyme akzeptiert und das vorbairische bzw. vorslawische Namengut dem Keltischen u. „Illyrischen“ zugeschrieben, welche beiden Sprachen noch nach der Völkerwanderungszeit in einigen Rückzugsgebieten gesprochen worden sein sollen (in Oberkärnten sogar bis um 740). Inzwischen ist es aber um das „Illyrische“ im alpinen Raum recht still geworden. Hingegen sind seine „Bergnamen Österreichs“ auch heute noch ein aktuelles Grundlagenwerk – klein, aber fein (Die Bergnamen Österreichs. Wien, Verein Muttersprache 1955, 2., erweiterte Auflage 1968 [nachgedruckt in den „Kleinen namenkundlichen Schriften“ S. 465-482]).

Hier nun eine kleine Auswahl weiterer Arbeiten:

Die Namen der Wochentage in den Mundarten von Bayern und Österreich (Arbeiten zur Bayerisch-Österreichischen Dialektgeographie), Wien-München. Hölder-Pichler-Tempsky 1929.

Die wichtigsten Kärntner Ortsnamen. I. Das Zollfeld.(Veröffentlichungen des Instituts für Kärntner Landesforschung der Universität Graz in Klagenfurt, Bd. 2), Klagenfurt, Raunecker 1944.

Kärntner Bauernkost und ihre Geschichte. In: Carinthia I, 139 (1949), S. 448-462.

Der niederösterreichische Dialekt. In: Jahrbuch für Landeskunde. von Niederösterreich 31.(1954), S. 198-237.

Die österreichischen Bundesländer und deren Hauptstädte in ihren Namen. Wien, Sexl 1956; 2., verbesserte Auflage, Wien, Verein Muttersprache 1970.

Kleine namenkundliche Schriften (1927 - 72), hg. von Maria Hornung, Praesens, Wien 1997 [enthält 54 namenkundliche Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken sowie einige kleine Publikationen].

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