© Heinz
Dieter POHL (Klagenfurt)
(zuletzt bearbeitet
19.6.2016)
Erinnerungen
an die Tage der Gründung der Republik Slowenien
Bericht
vom Symposium zum 100. Todestag Franz von Miklosichs (Franc Miklošič) –
als die jugoslawische „Volks“armee
Krieg gegen das Volk Sloweniens führte
Vom 26.-28. Juni 1991 fand an der
Universität Ljubljana/Laibach aus Anlass des 100. Todestages des
Altösterreichers slowenischer Abstammung, Franz von Miklosich, des Begründers
der Slawistik in Österreich, ein wissenschaftliches Symposium statt. Dieses
Symposium war ausschließlich dem Lebenswerk dieser großen
Forscherpersönlichkeit gewidmet; ich selbst habe über Miklosichs Forschungen
zur slawischen Personennamengebung referiert. Von der Universität Klagenfurt
war ich der einzige, auch sonst war Österreich nicht gerade zahlreich vertreten
(Kronsteiner, Salzburg; Mareš, Wien; Hafner, Graz; Lukan, Wien; Sturm-Schnabl,
Wien; sowie der Leiter der neu eingerichteten Außenstelle Laibach des
Österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts, Bister). Offensichtlich hat
die bevorstehende Unabhängigkeitserklärung der Republik Slowenien viele
Kollegen abgehalten, an der Tagung teilzunehmen; viele auf dem Programm
stehende Vortragende waren gar nicht erschienen. Es scheint so, dass manche
Kollegen das erwartet haben, was viele, wie ich, nicht glauben wollten.
An sich ist das Datum des Miklosich-Symposiums bereits
festgelegt worden zu einer Zeit, als das Datum der Unabhängigkeitserklärung
Sloweniens noch nicht feststand. Der parallel und unabhängig stattfindende
„Weltkongress der Slowenen“ wurde wohl mit der Unabhängigkeitserklärung
koordiniert, was durchaus verständlich ist. Ursprünglich war die
Unabhängigkeitserklärung für den 26. Juni 1991 vorgesehen, aber bekanntlich
erfolgte sie dann bereits am Dienstag, den 25. Juni 1991.
Als ich gemeinsam mit meinem Koll. Kronsteiner am Morgen
des Mittwochs, 26. Juni 1991, über den Loiblpass in das ehemalige Jugoslawien
einreiste, wurden wir von der slowenischen Fahne, von der Tafel „Republika
Slovenija“ und von Soldaten der slowenischen Territorialverteidigung („TO“)
begrüßt. Wir betraten also einen de facto neu errichteten Staat. Der Mittwoch
verlief ganz normal. Bei der Bevölkerung herrschte eine gewisse feierliche
Stimmung. Die Tagung wurde in der Universität feierlich um 10 Uhr eröffnet. Die
politischen Umwälzungen konnte man u.a. auch daran erkennen, dass an der
Eröffnung der Bischof teilnahm. Ab 11 Uhr fanden dann im Gebäude der
Philosophischen Fakultät die Vorträge statt. Der einzige Wermutstropfen, der
dunkle Vorahnungen aufkommen ließ, war das mehrmalige Überfliegen der Stadt
Laibach durch Düsenjäger der jugoslawischen Armee im Tiefflug, was man aber
zunächst mehr als Belästigung und weniger als Gefährdung betrachtete. Gegen
Abend versammelte sich in den Straßen rund um die Franziskanerkirche und das
Prešerendenkmal die Bevölkerung. Ähnlich wie bei einem Volksfest waren dort
Stände mit Souvenirs und anderen Dingen errichtet worden. Es gab Bier, Würste,
Eis, slowenische Fahnen, T-Shirts mit der slowenischen Fahne, ganze Serien von
Ansichtskarten etc. etc., auch Musikkapellen spielten auf. Es herrschte gute
Stimmung und Fröhlichkeit. Der Vergleich mit ähnlichen österreichischen
Festivitäten ist sicher angebracht.
Obwohl
ich mich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag unter das feiernde Volk
gemischt hatte und irgendwann zwischen 1 und 2 Uhr Früh ins Hotel zurückkehrte,
war ich schon um 6 Uhr wieder munter und hörte die Nachrichten. Und was man
hier zu hören bekam, war zwar beunruhigend, ließ einen aber den Ernst der Lage
noch nicht richtig erkennen. Es wurde von Bewegungen der jugoslawischen
„Volks“armee berichtet und den immensen Schäden, den sie an Straßen und
parkenden Autos angerichtet hätte. Von Kampfhandlungen war noch nicht die Rede.
Davon hörte man erst zu Mittag, und konnte sie am Nachmittag auch tatsächlich
hören. Das Leben verlief am Donnerstag ganz normal, die Menschen waren gefasst,
aber bedrückt, und nach und nach sickerten im Laufe des Nachmittags die
Informationen durch, dass es zu schweren Kampfhandlungen am Flughafen, an den
Grenzstationen und rund um Kasernen gekommen sei. Die slowenischen
Territorialverteidiger prägten das Straßenbild und errichteten mit angehaltenen
Bussen und LKWs Barrikaden, vor allem im Zentrum der Stadt und rund um das
Regierungsviertel. Auch der Weg vom Hotel zur Universität war behindert, aber
durch gute Ortskenntnis fand ich immer einen Weg, in jeden gewünschten
Stadtteil zu kommen. Gegen Abend brach dann der öffentliche Verkehr zusammen,
weil die Kampfhandlungen bereits die Stadt erreicht hatten. Um ca. 17.30 Uhr
(ich hörte gerade einen Vortrag auf dem Symposion) erschütterte eine schwere
Detonation die philosophische Fakultät; wie wir später erfuhren, wurde im
Stadtgebiet in der näheren Umgebung ein Hubschrauber der Armee abgeschossen.
Kurz danach wurde die Tagung abgebrochen und die noch ausstehenden Vorträge auf
Freitag verschoben.
Für Donnerstag Abend war ich zu einem Besuch bei
einem Kollegen eingeladen, aber beim Abbruch der Tagung waren wir nicht mehr in
der Lage, mit einem öffentlichen Verkehrsmittel in seine Wohnung zu fahren und
die Fahrt mit dem eigenen PKW wäre zu riskant gewesen. So machte ich mich mit
dem Kollegen zu Fuß auf. Der Zufall wollte es, dass wir ein Taxi fanden,
welches uns durch die leergefegten Straßen in den Norden der Stadt brachte. Am
nördlichen Horizont sah man wie fernes Wetterleuchten den Feuerschein von
Kampfhandlungen. Der Taxifahrer, ein Serbe, konnte überhaupt kein Verständnis
für das Vorgehen der serbisch dominierten jugoslawischen Armee aufbringen. Für
mich war dieser abendliche Besuch ein gewisses Risiko, weil ich nicht wusste,
wie ich wieder ins Hotel in der Innenstadt zurückkommen sollte. Andererseits
sind solche ernste Situationen ein Anlass, jetzt erst recht private Kontakte zu
pflegen. Ich konnte auch meinen Informationsgrad wesentlich erweitern, da man
im Fernsehen den Krieg gegen Slowenien verfolgen konnte. Wie schwierig die
Verhältnisse am Donnerstag Abend in Laibach waren, konnte man u.a. daran
erkennen, dass – wie ich von meinen slowenischen Bekannten hörte – deren
Angehörige nicht zum geplanten Besuch kommen konnten, da es nicht möglich war,
vom Süden der Stadt in den Norden zu gelangen. Somit ist mir erst am
Donnerstag Abend der Ernst der Lage so richtig bewusst geworden, zumal Gerüchte
aufgetaucht sind, die Armee bereite sich auf einen entscheidenden Schlag vor.
Überall tauchten Hinweisschilder auf, wo auf Schutzräume u. dgl. hingewiesen
wurde. Trotzdem verbrachte ich bei meinen Freunden einen sehr netten Abend und
gegen 23 Uhr gelang es mir mit dem Taxi ins Hotel zurückzukehren. Dies war
übrigens die schnellste Taxifahrt meines Lebens, weil die Taxifahrer über den
Funk genau Bescheid wussten, wo und wann Truppenbewegungen zu erwarten waren,
und man Angriffe befürchtete. Im Hotel traf ich die anderen Tagungsteilnehmer
und wir saßen noch bis ca. 1 Uhr im Restaurant und erörterten die Lage; um 3
Uhr Nacht wurden wir aus dem Schlaf gerissen – aber es ging nur ein heftiges
Gewitter über Laibach nieder. Wir wagten es nicht mehr, den Lift zu benützen –
was ist, wenn der Strom ausfällt?
Am
Freitag war die allgemeine Stimmung bereits sehr gedrückt, die bewaffneten
Territorial-Verteidiger beherrschten eindeutig das Straßenbild, was einem das
Gefühl der Sicherheit verlieh, zumal man bereits von militärischen Erfolgen der
Territorialverteidigung hörte. Unsere Gastgeber waren über unser Ausharren und
über die Tatsache, dass wir trotzdem an der Tagung weiter teilgenommen und
unsere Vorträge gehalten haben, sehr glücklich, wenn unser Bleiben auch kein
freiwilliges war, denn es gab keine Möglichkeit abzureisen. Aber es war uns ein
Bedürfnis, den Kollegen beizustehen, und als dann am späteren Vormittag des
Freitags aus Sicherheitsgründen die Universität geschlossen wurde, wurde die
Tagung nur unwesentlich vorzeitig beendet; zu dem geplanten Ausflug am Freitag
Nachmittag konnte es wegen der Kampfhandlungen und Blockaden ohnehin nicht mehr
kommen. Einer meiner Kollegen sagte mir noch zum Abschied: „Wir danken Ihnen,
dass Sie bis zum Schluss bei der Tagung geblieben sind!“
Am Freitag Nachmittag erfuhren wir,
dass trotz gegenteiliger Meldungen der Zugverkehr z.T. noch funktionierte, und
meinem Kollegen Kronsteiner gelang es, den (angeblich) letzten Platz auf dem
Autozug, der von Dalmatien kam, zu ergattern, und gegen Freitag Abend trafen
wir wieder in Österreich ein. Die Fahrt verlief ohne besondere
Vorkommnisse, man sah aber überall die Spuren der Kämpfe, aber Jesenice
(Assling), der Grenzbahnhof, war fest in slowenischer Hand. Wir winkten noch
den Territorialverteidigern am Karawankentunnel zu, denen am Vidov Dan 1991
eine noch ungewisse Zukunft bevorstand.
Dies schrieb ich Anfang Juli 1991. –
Nachtrag Anfang September:
Inzwischen hat sich der jugoslawische Bürgerkrieg ja
verschärft, und mein Wunsch für das kleine Slowenien kann nur der sein, nicht
nochmals solche Tage zu erleben wie die Tage vom 27. Juni bis 2. Juli 1991. Und
irgendwann einmal wird die Unabhängigkeit wohl auch international abgesegnet
werden, denn das Selbstbestimmungsrecht ist ein Grundrecht! Den baltischen
Staaten wurde bereits die Unabhängigkeit gewährt, und dies ist gut so! Aber die
Frage ist legitim, wann Slowenien ebenfalls in den Kreis der internationalen
Staatengemeinschaft aufgenommen wird. Noch 1991? Ich hoffe es (und nicht nur
ich ... ).
Mein Kollege Kronsteiner und ich
fassten den Entschluss, unsere Erlebnisse in Österreich bekanntzumachen. Auf
Grund dieser Erlebnisse haben wir am 1.7.1991 eine „Erklärung österreichischer
Wissenschaftler zur Lage in Slowenien“ initiiert und veröffentlicht, mit über
90 Unterschriften. Sie wurde in der Zeitschrift „Die slawischen Sprachen“
(Salzburg, Bd. 27/1991, S. 3-5) und im Tagungsband „Miklošičev zbornik“ (Obdobja
13, Ljubljana 1992, S. 633f.) in slowenischer Sprache veröffentlicht.
Nachwort
2011 und 2016:
Inzwischen
ist Slowenien gemeinsam mit Österreich EU-Mitglied mit gemeinsamer Währung. Der
Krieg in Jugoslawien ist schon lange beendet. Der Zerfall des Staates, der zwei
Mal auf falschen Voraussetzungen aufgebaut wurde, war nicht zu verhindern, auch
die Verklärung des Staatsgründers Tito mit seinem „blockfreien Jugoslawien“ ist
heute Geschichte und einer sachlichen Aufarbeitung dieser Zeit gewichen, wenn
auch es auch noch einige unbelehrbare Nostalgiker gibt. Inzwischen ist ein
Vierteljahrhundert seit der Unabhängigkeit vergangen und Slowenien ist ein
erfolgreiches Mitglied der Europäischen Union geworden.