Was bisher geschah

 

Sanft dümpelt das Hausboot und der leichten Dünung hervorgerufen durch vorbeifahrende Boote. Aus dem Heck ist leise schnatternd das Radio zu hören. Wir haben das leichte Mittagsmahl aus Fisch und Gemüse erfolgreich hinter uns gebracht. Es ist heiß, über 30 Grad im Schatten und die fächelnde Brise ist mehr als willkommen.

Wir sind in den Backwaters, dieser riesigen und vielfach verzweigten Wasserfläche im süden Keralas. Einen ganzen Tag und eine Nacht lang dürfen wir uns fühlen wir die Briten zur Zeiten des Raj. Luxus pur, man wird bedient und braucht sich um nichts zu kümmern. Nur der Moment entscheidet ob man dösen, auf die vorbeiziehende Landschaft schauen oder nur in die Luft blicken will.

Zeit verstreichen lassen.

Es ist jedoch seit meiner Landung im bunten Hexenkessel Bombays einiges geschehen das bisher noch keinen Niederschlag in meinen Reisegeschichten fand.

Dem möchte ich nun etwas Abhilfe schaffen.

Der Flieger landete spät Nachts in dieser Vielfalt an Stimmungen und Eindrücken, die ich bereits an anderer Stelle beschrieben habe. Von Bombay machten wir uns schon nach 2 Tagen auf nach Aurangabad. Der Plan war, die dortigen Höhlen anzuschauen und in das "richtige Indien" einzutauchen. Jenes Indien, das sich noch nicht verwandelt von der Globalisierung und zerrüttet von der weltweiten Einheitskultur, ein Eigenes bewahrt hat.

Wir fuhren 2ter Klasse. 5 Stunden Zugfahrt sollten auch wir verwöhnten Globetrotter so zubringen können. Leider hatten wir nicht bedacht, dass gerade eines der größten Feste der Inder zu Ende gegangen war. Diwali, vergleichbar in der Bedeutung mit dem westlichen Weihnachten was sehr viele Inder veranlasst die Reise zu ihren Verwandten in anderen Städten antreten und danach wieder zurück fahren.

Jetzt war Rückreisewelle angesagt und wir mitten drin.

Jedenfalls war der Zug voll und wir hatten das Glück eine Sitzplatzreservierung zu haben, ansonsten wären wir auch mit den anderen in dieser Hitze über Stunden im Gang und auf jedem freien Platz gestanden ohne die Möglichkeit sich irgendwo auszuruhen.

In Aurangabad angekommen sagten wir ein inbrünstiges Halleluja und bezogen wir das vorreservierte Zimmer. Wir wurden sogar vom Bahnhof abgeholt, damit wir nicht noch im letzten Moment von irgendwelchen Schleppern wo anders hingebracht werden konnten. Wir mieteten auch gleich einen Ambassador (bis sich hier auch die westlichen Marken von BMW, Mercedes und co durchsetzten DAS indische Nobelauto) mit Fahrer und machten nächsten Tags einen Ausflug zu den Höhlen von Ellora und der nahe gelegenen Festung von Daulatabad.

Die Festung muss zu ihrer Zeit einmal ein äußerst beeindruckendes Bauwerk gewesen sein. Mit einer mehrere Kilometer langen äußeren Umfassungsmauer und drei gestaffelten Verteidigungswällen, verbunden durch raffinierte konstruierte Tore und andere Verteidigungsmechanismen bot sie mehreren 10 000 Menschen Schutz und war im 17 Jhdt das Zentrum eines großen Reiches der Mogule.

Wie die Geschichte so spielt, fiel auch diese unüberwindliche Anlage letztendlich durch Verrat und alle wurden getötet. Seltsamerweise scheinen die Verräter aus der Geschichte nicht zu lernen, denn auch in diesem Fall wurde Verrat mit Verrat bestraft und letztlich profitierten nur die Sieger (um zu einem späteren Zeitpunkt auch zu fallen, aber das ist eine andere Geschichte)._Die Höhlen von Ellora sind da eine andere, friedlichere Story. Irgendwann im 5 Jhdt kamen buddhistische Mönche und schlugen mit Hammer und Meissel ein Loch in den Hang. Warum sie das machten, lässt sich nur vermuten, denn schließlich gibt es leichtere Methoden zu einer Unterkunft zu kommen. Aber ihre Höhle, wahrscheinlich die Versammlungshalle dieses Klosters, ist heute noch da. Ein paar angefügte Kavernen waren wohl Eremitagen und vor dem Eingang ergießt sich immer noch ein Bächlein den Hang herunter.

Die Höhle machte Beispiel und gleich ein paar Meter weiter findet sich eine weitere Höhle, nur kurze Zeit Später geschaffen. Diese ist schon größer und schöner, mit Reliefen und mehr Nebenhöhlen ausgestattet.

Anscheinend war diese Idee ein Erfolgsmodell, denn im Laufe der Jahrhunderte kamen immer mehr Höhlen dazu. 36 Insgesamt, wobei den späteren Bauwerken mit der Bezeichnung "Höhle" sehr unrecht getan wird. Dazu kommt noch, dass es sich nur in den Anfängen um buddhistische Höhlen handelte, denn irgendwann fingen auch die Hindus und die Jains damit an ihre Meissel durch den Stein zu hauen.

Das bekannteste Werk dieser Gruppe ist der Shiva Tempel. Hier wurden in einem Zeitraum von 200 Jahren mit der Hand 200 000 Tonnen Stein entfernt. Mehr als 30 m tief gruben sich die Baumeister in den harten Fels und erschufen ein Kunstwerk, indem sie einfach, wie ein Steinmetz, entfernten was nicht da sein sollte. So steht jetzt auf einem Platz mit etwa 40 m Tiefe ein Shiva Monolith und ein Shiva Tempel mit Türmchen, Treppen, mit im umgebenden Steinwall umlaufender Balustrade, die zu weiteren, tief im Stein liegenden Kammern und Sälen führt. Rundherum ragen die Steinwände hoch, immer noch die Spuren vergangener Bearbeitung zeigend.

Dieser Tempel ist auch heute noch im Vollbetrieb und so kann man sich gut einfinden in den Zauber vergangener Zeiten wenn die Gesänge ertönen, bunt gekleidete Menschen sich vor dem Lingam niederwerfen und der Weihrauch träge durch das Halbdunkel zieht.

Hier habe ich nur den einen Versuch gemacht die berühmteste Höhle zu beschreiben, aber auch die Jain Bauwerke und die späteren buddhistischen Höhlen sind mehr als sehenswert. Doch das sprengt diesen Rahmen.

Wie gesagt, Niemand weiß heute warum begonnen wurde den Stein aus dem Hang zu schlagen oder, warum damit letztlich aufgehört wurde. Sicher ist nur, dass hier für viele Jahrhunderte ein Zentrum religiöser Toleranz florierte und interkulturellen Austausch förderte, das es heute auf diesem Planeten so nicht mehr gibt.

Aus Zeitmangel versagten wir uns den Besucht der Ajunta Höhlen in der Nähe, die im Unterschied zu den Ellora Höhlen an einem Fluss liegen und auch heute noch Spuren der ehemaligen Bemalung aufweisen.

Von Aurangabad ging es mit dem Nachtzug (wie bereits beschrieben) nach Haiderabad. Die Stadt ist ein Whirlpool und beginnt sich als 2tes Bangalore zu etablieren. Ihre verschmolzene Schwesterstadt - Secundarabad - wird bereits als Cyberabad bezeichnet. Aber uns interessierte hier auch wieder nur das Mittelalter, besonders die Festung von Golkonda. Same Story wie Daulatabad. Eigentlich unüberwindlich, doch mittels Verrat erobert und zerstört.

Golkonda muss zur Blüte eine lebendige Verkörperung von 1000 und einer Nacht gewesen sein. Intelligent geplant, kunstvoll ausgeführt, ein bemalter Garten aus martialischem Stein mit Blüten aus Edelsteinen in den Wänden, mit Spiegeln, Wasserspeiern und ausgeklügelten Kommunikations- und Beleuchtungssystemen. Alles geplündert.

Panta Rei.

Da uns in diesem heissen und quirrligen Haiderabad nichts hielt wollten wir so schnell wie möglich nach Bijapur, um uns die dort erhaltene Mogul Architektur anzusehen, aber Mother India wollte nicht so wie wir. Alle Züge waren ausgebucht und einen weiteren Tag in dieser Großstadt wollten wir uns nicht antun, also buchten wir den Buss nach Hampi.

Nun, das Busreisen in Indien!

Darüber kann man Bücher füllen und immer wieder versuche ich die Busse zu vermeiden, aber das geht eben nicht so ohne Weiteres. Jedenfalls hatten wir eine schlaflose Nacht in einem schwankenden Bus, eingeklemmt zwischen den problemlos schlafenden Indern, die schon mal kuschelbedürftig werden und den unbedarften Touristen im Schlaf als Kopfpolster missbrauchen. Mein kotzender Sitznachbar in der Früh machte das Mass voll.

Schwamm drüber!

Hampi, über das ich auch an anderer Stelle schon geschrieben habe, war alles das, was ich mir erhoffte und noch mehr. Mango Tree und verzauberte Landschaft, Dachgartenrestaurants mit Affenvigilanten und "the hippy way of life". Doch alles geht zu Ende und so war wieder ein Nachtzug angesagt, diesmal nach Bangalore. Von dort gleich in den Flieger nach Madurai, das auch schon seinen Niederschlag in meinen Geschichten fand.

Von Madurai mit demTaxi nach Kumily (auch schon beschrieben), da Knud genug hatte von Busfahrten und so was wie allergische Reaktionen zeigt jedes mal, wenn ich das Wort Bus in den Mund nehme.

Leider war Kumily dieses mal einfach nur kalt (20 Grad) und regnerisch. Der über Südindien liegende Zyklon machte sich unangenehm bemerkbar. Allerdings war das Essen köstlich und auch das Guest House ein Highlight.

In Kumily ereilte uns beide Montezumas Rache, doch Knud scheint der Inka Gott ganz besonders nicht zu mögen. Jedenfalls war die Taxi fahrt nach Fort Cochin für ihn eine Tortur. Kurven und Schlaglöcher zwangen uns mehrmals stehen zu bleiben und wieder festen Boden unter die Füße zu kriegen. Aber letztendlich trat auch hier wieder das universale Prinzip ein, dass alles vorbei geht.

Fort Cochin entschädigte uns vollauf für die erduldeten Strapazen. Das Guest House war ein viktorianisches Juwel mit makellosen Fliesenböden und Teakholz Decke. Leider attackierte uns hier Indien in Form kleiner, krabbelnder Quälgeister. Erst führte ich das Jucken und Stechen auf Mosquitos zurück, die sich unter das Mosquitonetz verirrt hätten. Ich konnte nicht einschlafen, weil es mich ständig irgendwo brannte, zwickte und stach, suchte immer wieder das Netz innen nach den geflügelten Mikrovampiren ab und war schon am verzweifeln, als ich dann doch einnickte nur um am nächsten Morgen übernächtig und mit einem völlig verquollenen Gesicht aufzuwachen.

Wir versprühten Unmengen von Gift im Zimmer und erhofften uns besseren Schlaf, doch auch das verteilte Gift schien nicht zu helfen. Vor lauter Wut begann ich das Bett in der zweiten Nacht zu zerlegen und entdeckte dann den Grund des Übels - Bettwanzen. Kleine, schnell krabbelnde Dreiecke, deren Bisse wie Feuer brannten. Jedenfalls bei mir, denn Knud schienen sie nicht zu mögen.  Wahrscheinlich waren das alles Männchen....

Ich fing mehrere der Bösewichter und ersäufte sie im Waschbecken, zerdrückte noch etliche von den Kleinen und meldete dem Manager am nächsten Tag völlig erschöpft meine Entdeckung.

Der reagierte völlig unindisch. Wir erhielten ein neues Zimmer, das Bett wurde zerlegt, in Gift ertränkt und die Matratze erneuert. In dieser Nacht schlief ich tief und traumlos, den Schlaf des gerechten Reisenden.

Cochin war auch der absolute lukullische Höhepunkt und dürfte das auch bleiben. Im "old Cortyard" (wir waren sogar 2 mal dort!) war alles, was wir von der Speisekarte probierten, ein Gedicht - Chicken in Saffransauce, Spaghetti Marinara, Gambas aijio, Mousse au Chocolate, Mango Sahnetorte und Bananen auf Kerala Art mit Eis. Dazu noch diese romantische Atmosphäre aus viktorianischem Gemäuer und Zerfall, die freundlichen, höflichen und aufmerksamen Kellner und die indische live Musik, die zum gustatorischen Erlebnis den auditiven Konterpart dazu gaben.

Dass es für Indien schon absurd teuer war zogen wir vor zu ignorieren.

Cochin ist gemütlich und lädt zum Schlendern ein. Sogar der Ausflug mit der Fähre nach Ernakulam war ein Spaß. Dort ist Indien von seiner organisierten und sauberen Seite kennen zu lernen.

Seit gestern also sind wir in Alleppey und seit heute Mittag am Boot. Palmen und Wasser und nichts Tun - wenn das nicht Luxus ist.....

Morgen geht es nach Varkala. Knud wird dann wieder nach Vorarlberg fliegen und mein Abenteuer geht weiter. Schnee und Minus Grade in Österreich bestätigen mich in meinen Reiseabsichten.

Namaste!

 

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Das Recht des Stärkeren

 

Eines der einprägsamsten Erlebnisse einer Indien Reise ist immer noch der Straßenverkehr. Wer dieses Durcheinander einmal erlebt hat, der vergisst es so schnell nicht mehr. Hier ist alles so völlig anders, so völlig verschieden von dem, was man so auf den Strassen des "alten Europa" erleben kann. Es ist ein unüberschaubares Gewimmel und Gewusel, ein Hupen und Läuten, eine Kakophonie an Geräuschen vermischt mit einem ebensolchen Durcheinander an Gerüchen, deren Stärkster jedoch jener nach mehr oder weniger verbrannten Abgasen ist.

Dem Straßenverkehr in Indien stehen wir als unbedarfte Touristen erst einmal völlig hilflos gegenüber. Hier herrscht, zumindest nach oberflächlicher Betrachtung, das absolute Chaos.

Nun kann das aber so nicht sein, denn dann würde auf dem Subkontinent alles stehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es Regeln geben muss, welche auch befolgt werden. Unsichtbare Regeln eben.

Nur welche sind das?

Es gibt in Indien mindestens ebenso viele Verkehrsregeln wie irgendwo anders. Schließlich gibt es ja Strassen, jede Menge Verkehrsschilder, es gibt die Verkehrsteilnehmer, es gibt die Polizei und es gibt auch Ministerien, Beamte, Systemerhalter und die wollen ja auch beschäftigt sein. Wenn man also von Außen und als Fremder nach der Einen Regel sucht, die alles verbindet, die alles weitere overruled, die alle anderen Regeln obsolet macht, dann ist es dies; "der Stärkere hat Recht"

Es gibt eine klare Rangordnung im System. Ganz oben stehen erst mal Regierungsfahrzeuge, vor allem, wenn die mit Horn und wehenden Fahnen daher kommen. Sozusagen die Jokerkarte im Spiel aus lauter Jackasses.

Von sich aus mächtig aber sind die Lorries und die Busse. Masse ist da gleich Kraft. Dann kommen die Autos, je nach Alter und Bauart, die kleinen Transporter, die Rikschas, die Fahrräder und ganz unten in diesem Kastenwesen der Mobilität die Fußgänger, jene weichen und verletzlichen Wesen, die wir ja alle sind, wenn wir der Sache nur tief genug auf den Grund gehen und dem Pudel den Kern entlocken.

Eine Beschreibung dieses Systems, das da offenbar doch funktioniert ist eine Sache, eine andere ist das Erleben dieser beinharten Realität.

Perspektivenwechsel:

Ich sitze hinten in der Rikscha. Die Klaustrophobie im Nacken. Der Fahrer ist hochkonzentriert und nur zu oft auch hochaggressiv. Ich sehe seinen Rücken und manchmal die umherflitzenden Augen in den kleinen Rückspiegeln an den Türöffnungen. Er wirbelt das Fahrzeug lässig herum, gekonnt wie ein Artist seine Kegel beim Zirkus Knie. Dabei plaudert er gestikulierend in sein Handy und mir wird schon beim Zuschauen Angst. Leider habe ich ihm gerade vorher mein in einem Anfall geistiger Umnachtung Leben und meine Gesundheit anvertraut.

Aber da ist jetzt nichts zu machen.

Das Gefährt holpert über und durch Kochtopfgroße Schlaglöcher, dreht sich auf der Stelle (eine Rikscha kann sich wirklich um sich selber drehen!); oft wirft mich eine abrupte Bremsung nach vor um mich gleich darauf wieder in den Sitz plumpsen zu lassen, weil das Gefährt mit einem Satz nach vorne springt um die mikroskopische Lücke im Fliessverkehr zu nutzen die der Asphaltartist gerade eine entdeckt hat und in die er uns jetzt hineinwuchtet. Er drängelt, flucht und hat keinerlei Mühe einen der als "schwächer" etikettierten Verkehrsteilnehmer abzudrängen oder zu einer Vollbremsung zu nötigen.

Dazu umspült mich in einer Tour ohrenbetäubender Lärm aus unzähligen Hupen, Klingeln und Hörnern für deren Benutzung auf den Rückseiten vieler Vehikel sogar ausdrücklich geworben wird. Wenn einmal gar nichts mehr geht, kann man ja immer noch hupen und dies dürfte von der Gilde der Rikschafahrer zum Lebensmotto erhoben worden sein.

Um das Bild abzurunden muss man sich noch eine dichte Wolke aus graublauen Auspuffgasen vorstellen, die in der Hitze der Stadt gefangen sind und das Atmen zu einem Abenteuer machen, die einem Anflüge von Atemnot und ein hinterhältiges Kratzen im Hals bescheren. In der Nacht bildet das Ganze in Verbindung mit dem aufgewirbelten Staub einen Nebel, der sich in Endzeitstimmung über die Szenerie legt, ausgeleuchtet durch die vielen Scheinwerfer derer, die funktionierende Scheinwerfer haben. Die anderen fliegen eben blind.

Perspektivenwechsel:

Der Bus verlässt unter lautem Hupen und Getöse die hell erleuchtete Busstation, wo eben noch das Gewimmel der Passagiere um uns wuselte. Ich sitze am Fenster und blicke gelassen auf das herab, was sich "da unten" abspielt. Von hier oben ist alles leicht. Der Bus ruckelt und bockt, aber es geht stetig vorwärts. Falls einmal nichts mehr geht, gibt es ja die Hupe, von der ja sowieso andauernd Gebrauch gemacht wird.

Die spannenden Stellen im Leben eines Busfahrers sind sicher die Übernachtfahren über Land. Hier wird schon mal aufgeblendet, wenn der Gegenverkehr der Meinung ist, man (wir) sollen etwas mehr Platz machen. Immer wieder fährt der Bus im müden Licht der Scheinwerfer durch die Nacht, um ganz plötzlich zu verlangsamen, da Speedbumps das Rasen bremsen, nur um gleich wieder mit voller Geschwindigkeit dahinzubrausen.

Die Beschaffenheit der Strasse ist auch so ein unvorhersehbarer Parameter. Stellenweise sind es glatte Autobahnen ohne Fehler, dann wieder verwandelt sich die Strasse in etwas, das mehr Ähnlichkeit mit einem Bachbett hat und der Bus schaukelt wie das Schiff des Fliegenden Holländers im Orkan.

Irgendwann kommt man entgegen aller Befürchtungen doch noch zum Ziel. Vermutlich wurden die Fahrer ohne Schlafgene oder so was in heimlichen hiTech Retorten gezüchtet. Sonst ist mir nicht klar, wie sie dieser Belastung Tag für Tag so meisterlich standhalten.

Perspektivenwechsel:

Das Ziel des Spieles ist es, die 6 oder 8 spurige (je nach Zählung) Strasse unbeschadet am Zebrastreifen (ja, das gibt es hier auch, es wird nur nicht beachtet) zu überqueren.

Die Strategie ist so einfach wie furchteinflösend. Man begibt sich, sans Knautschzone oder sonst einen Schutz, mit Todesverachtung in den fließenden/strömenden/lärmenden Verkehr und navigiert seine Geschwindigkeit derart, dass man

- erstens den anderen/stärkeren mitteilt, wo man hin will und wie schnell man unterwegs ist während man

- zweitens die Lücken im Strom entdeckt und sich jeweils hinter wechselnden Fahrzeugen Deckung suchend zum Ziel der Wünsche vorarbeitet.

Wer ankommt und unbeschädigt ist hat 100 Punkte

Dieses lustige Spiel spielt die indische Stadtbevölkerung vom Kleinkind bis zum Greis jeden Tag mehrmals.

Kein Wunder, dass Indien in Sachen Verkehrstote absolute Spitze ist.

Nun muss man sich dazu noch Fahrräder, Viehzeug jeder Größe und andere motorisierte sowie nicht motorisierte Fahrzeuge vorstellen. Ampeln und vereinsamte Verkehrspolizisten stellen jeweils zusätzlich ganz besondere Handicaps im Verkehrsfluss dar; ganz zu schweigen von Baustellen und simplen Löchern im Asphalt. Alles ist gleichzeitig in einer brownschen Bewegung, durcheinander und trotzdem choreographiert. Mit Galilei möchte man ausrufen: und es bewegt sich doch! Jeder ist sich gleichzeitig aller Anderen bewusst, bezieht diese als Vektoren in seine umfassende Berechnung mit ein und verhält sich entsprechend. Irgendwie scheint die Sache ja doch zu klappen.

Mehr oder weniger jedenfalls.

Nur Eines möchte ich keinesfalls versuchen: selber fahren. Da vertraue ich lieber auf die erprobte Expertise der indigenen Verkehrsakrobaten und glaube an die Statistik: es wird schon gut gehen!

 

 

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the barber shop

 

Es gibt in Indien viele gute Gründe ein Mann zu sein. Das Leben als solcher ist sicher ein Leichteres als das Leben der Frauen. Nur zu oft machen diese die schwere Arbeit, manchmal sind diese auch die ErhalterInnen der Familie. Viele Männer ziehen es vor das Verdiente in der Spelunke mit billigem Alkohol zu vertrinken; nicht umsonst vergibt die Gramin Bank ihre Micro Kredite zum allergrößten Teil an Frauen.

Aber es gibt noch einen anderen, unverdächtigen Grund in Indien ein Mann zu sein. Mann kann sich rasieren lassen!

Indien ist das Land der Barbiere. Kein Kaff ist zu klein für nicht mindestens ein Barber shop. Oft ist es nur ein windschiefer Holzschuppen, in dem ein Stuhl steht wovor ein Spiegel hängt. Viele Barbiere besitzen nicht mehr als das und das Messer, in das die Klingen gespannt werden. Ich habe es schon erlebt, dass der Barbier sich eine neue Klinge erst besorgen musste, denn um Infektionen mit weiß Gott was zu vermeiden ist das immer meine erste Forderung: "new blade".

Wenn ich HIV oder Hepatitis möchte könnte ich mich ja gleich in Thailand am Strand tätowieren lassen.

Die Indischen Barbiere aber sind wahre Künstler ihres Fachs. Für 10 Rupies (20 cents) wird man im Gesicht nass gemacht, dann eingeseift; hierzu wird meist ein altersschwacher Rasierpinsel verwendet. Dann kommt das sanfte abschaben des Gestrüpps, das völlig ohne Schmerzen, völlig ohne Wunden vonstatten geht, obwohl die Klingen so scharf sind, dass einem damit auch problemlos der Hals durchgeschnitten werden könnte.

Diese Mischung aus Hilflosigkeit, völligem ausgeliefert Sein und einem quasi absoluten Vertrauen hat auch seine eigene Qualität. Entspannung ist die unmittelbare Folge.

Man liegt da also in diesem Stuhl, Augen geschlossen und das Gesicht voller Schaum, während ein Mann, den man nicht kennt, niemals im Leben vorher gesehen hat und auch niemals wieder sehen wird mit einem scharfen Instrument and der Karotis herumfummelt...

Die Rasur wird abgeschlossen indem einem der Restschaum mit einem Tuch vom Gesicht gewischt wird, das sehr zweifelhafte Flecken ausweist und eindeutige Spuren von Alter trägt. Dann kommt die unbedingt notwendige Erstversorgung mit Alaun, einem giftigen Salz, das sonst zum Gerben von Tierhäuten verwendet wird. Darauf zu verzichten wäre aber äußerst unweise, da diese Behandlung letztlich Infektionen verhindert und damit auch Rötungen entgegen tritt.

Wenn man Glück hat (oder Pech - wie man's nimmt), dann wird einem noch ein undefinierbarer Duft nach orientalischem Puff oder vertschadorisierter Matrone auf die Wangen geworfen. Zum Glück gewöhnt man sich daran und nur die Umwelt muss damit leben.

Ganz zum Schluss und ohne Aufpreis gibt es immer mal wieder eine Kopfmassage, ein wildes und kräftiges Herummassieren im Haar, das einem das sprichwörtliche Erdbeben erfahren lässt.

Alles in Allem eine vielfältige, meist aber gute Erfahrung.

Es ist jeweils ratsam den Preis im Vorab fest zu machen, denn der Unbedarfte bezahlt schon mal das 10 Fache vom gemeinen Inder, was aber den Barbier freut und dem Touristen nicht wirklich weh tut.

Immer wieder mal aber trifft man auf schwarze Schafe, vor allem an Orten, wo viele Touristen herumstreunen. Die schwafeln das Blaue vom Himmel herunter und liefern nicht, wofür sie bezahlt werden.

In Madurai hatte ich ein Erlebnis mit einem besonderen Exemplar dieser Sorte, die der dunklen Seite der Kunst angehören.

Schon auf dem Weg zu Tempel wurden wir von ihm angesprochen, von den Stufen zum Eingang seines Ladens herunterwinkend, uns anstrahlend als wären wir die lange verloren geglaubten Freunde seiner Seele. Na ja, einer zärtlichen Rasur niemals abgeneigt verwiesen wir ihn auf den nächsten Tag, da zu dem Zeitpunkt gerade die Tempel Besichtigung auf dem Plan stand.

Und wir vergassen den Herrn wieder.

Am nächsten Tag, grade dem Dunklen Loch des Internetcafes entkommen verlangte mein Bartwuchs nach Entsorgung. Also erinnerte ich mich des barber shops und trat dort ein.

Seltsamerweise war der Preis keine Diskussion und die 20 Rupies (40 Cents), das Doppelte des normalen Preises, aber in einer indischen Stadt durchaus angemessen für einen Touristen, kein Thema.

Also die übliche Prozedur.

Irgendwann hält er mir eine Plastikdose vor meine kurzsichtige Nase und fragt, ob das OK wäre. In meinem rasurinduzierten Entspannungsnirvana nahm ich mal an, dass es hierbei um eine Variation von Duft (orientalisches Puff oder Matrone) ging und stimmte zu.

Der Bartzauberer schmierte mir eine kühle Paste ins Gesicht und ließ dabei nicht das kleinste Fleckchen aus.

"Na ja, mal wieder eine neue Variante" war meine Interpretation der ungewohnten Behandlung. Dann packte er noch was aus und plötzlich fand ich mich mit einer seltsamen Gesichtsmaske vor dem Spiegel sitzend. Lediglich das Fehlen meiner Augengläser verhinderte eine sofortige Lachattacke.

Dann ging er weg zu seinen Kumpels vor die Türe und ließ mich sitzen. Schon langweilig. Irgendwann kam er wieder rein und drückte ein wenig im Gesicht herum, wollte auch gleich wieder gehen, murmelte etwas von "dust" und "good for your skin". Und weg war er. Na ja, spätestens da wurde mir klar, dass der Typ mir völlig neue Erfahrungen verschaffen wollte, die den Gurkenmasken und metrosexuellen Gesichtspeelings in nichts nachstehen.

Aber bestellt hatte ich das nicht und ich hatte auch keine Lust hier alleine in einem indischen Barbershop herumzuliegen und auf die Erlösung durch den Gesichtsfuzzi zu warten.

Ich schritt also zur Selbsthilfe und zog mir die (viel zu kleine) Maske vom Gesicht. Aber Hallo! Da war bei ihm die Empörung groß und er musste einschreiten. Unter englischen Kauderwelsch und viel unverständlichem Hindi Vokabular erklärte er mir nochmals, dass das gut für mich sein.

Ich hingegen erklärte ihm, dass ich das überhaupt nicht wollte. Und überhaupt, immer mehr wurde mir klar, dass der Typ gerade dabei war mich reinzulegen. Er probierte an mir vermutlich das Geschäftsmodell "Tourist" aus, das dazu angetan war ihm Umsatz zu bringen indem er Leuten, die sich nicht wehrten etwas verordnete, das diese nicht wollten.

In mir begann es langsam zu kochen denn wenn ich etwas nicht ausstehen kann ist es für dumm verkauft und genötigt zu werden.

Höflich, aber bestimmt erklärte ich ihm nochmals, dass ich das nicht wollte. Er begann also mich abzuwischen, fummelte mit fusselnden Papiertüchern in meinem Gesicht herum, nur um nach der Beseitigung einer Misere mir gleich mit der nächsten Paste ins Gesicht zu fahren.

Jetzt war es genug! Ich ergriff das umgehängte, egal wie schmutzige Tuch und wischte mir den Seim selber aus dem Gesicht. Er stand protestierend daneben, konnte mich aber ja schlecht festbinden. Selbsthilfe war vermutlich in seinem zweifelhaften Businessplan nicht enthalten.

Jedenfalls hatte ich glücklicherweise die vereinbarten 20 Rupies parat und hielt sie ihm hin. Der verhinderte Klingenakrobat hatte inzwischen einen Block gezückt und wollte mir aufzählen, welche Leistungen er mir zu verrechnen gedachte.

Mei, mei, der kannte mich halt noch nicht.

Jetzt kam mir der Dampf aus den Ohren und die Entspannung hatte sich wieder ins Nirvana verflüchtigt, wo ich sie erst kurz zuvor eingesammelt hatte. Ich erklärte ihm nochmals, in sehr klaren und kurzen Worten, dass ich keineswegs daran dachte nicht georderte Leistungen zu bezahlen, steckte ihm die Rupies in die Hemdtasche und stolperte jetzt so richtig wütend aus dem Laden.

Hinter mir hörte ich noch seine entrüstete Stimme etwas von "corruption" murmeln und weg war ich.

Ein wütender Pflug der seinen Weg durch die Menge der Menschen, Kühe, Rikschas und was da sonst noch so herumfährst, steht, liegt in Richtung Hotel bahnt.  Das Kielwasser konnte man fast sehen....

Man lernt nie aus in Indien!

 

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Noch eine Zugfahrt

 

Ajanta Express 7063. Von Mumbai nach Haiderabad, in Aurangabad wollten wir Abends zusteigen. So klar, so einfach.

Das Zugsystem in Indien ist das größte der Welt. Jeden Tag befördert dieses berühmteste und effizienteste Erbe der britischen Anwesenheit in Indien über 40 Millionen Passagiere. Die Indien Railway ist der größte Arbeitgeber der Erde und beschäftigt 1,6 Millionen Menschen.

Das sind beeindruckende Zahlen!

Davon, dass jedes Jahr über 800 Menschen bei Zugsunfällen sterben möchte ich lieber nicht reden.

Nachdem unsere Anreise von Mumbai nach Aurangabad aufgrund von Überfüllung des Zuges nicht gerade eine sehr angenehme Erfahrung war (wir hatten zwar unseren Sitzplatz, waren darauf aber mehr oder weniger festgenagelt), sahen wir unserer ersten Übernacht Fahrt mit Spannung entgegen.

Schon der Kauf der Karten ist ein Erlebnis. Man kann inzwischen Fahrkarten auch online lösen, aber das geht nur zu den Schalteröffnungszeiten. Na ja, dazu kommt aber noch, dass die keine Ausländische Karte zur Bezahlung akzeptieren und schon sind wir wieder an den Schalter verwiesen.

Zuständig für mich ist Schalter 3, dort heißt es für Behinderte, Armeeangehörige, Touristen, Bahnpensionäre und noch ein paar Bevorzugte. Allerdings ist diese Reihe genau so lang wie alle anderen.

Also stelle ich mich morgens 9 30 in die Schlange, fülle das erforderliche Formular aus (in Indien geht überhaupt nichts ohne Formular, Passnummer, Alter, Haarfarbe...) und warte, bis ich endlich drankomme. Vor mir am Schalter gibt es Diskussionen. Ein bärtiger Sikh in Armeeuniform schaut schon völlig verzweifelt aus, telefoniert immer wieder und rauft sich die Haare/Turban. Meine Mitleidenden in der Schlange werden nach einer haben Stunde auch langsam nervös, nur der Beamte hinter der Scheibe hat die Ruhe weg.

Na ja, er wird ja auch dafür bezahlt.

Jedenfalls habe ich nach einer Stunde das Ticket, nachdem der nachsichtige Beamte mir geholfen hat die fehlenden Teile auszufüllen; also alles Wesentliche.

Am Abend der Abreise sind wir dann 30 Minuten vor Abfahrt am Bahnsteig. Geschniegelt und geschneuzt. Alles sehr effizient. Auf dem Ticket steht sogar wo genau am Bahnsteig wir warten müssen um unseren Waggon zu finden. Wir setzen uns auf eine Bank und harren der Dinge, während wir den stetigen Strom der Bettler weiterleiten.

Dann kommt der "Patriarch". So nennt ihn Knud, denn nicht nur sein Gehabe wirkt entsprechend, auch seine weiße Kurta, sein weißer Bart und der Gehstock verstärken diesen Eindruck. Er setzt sich neben mich auf die Bank und schickt einen anderen Inder grob weg, der ebenfalls dort sitzen wollte. Genau so verfährt er mit den weiteren Bettlern, die da noch vorbeitreiben sollten.

Wir reden und erfahren, dass der Patriarch Architekt ist und gerade auf Besuch in der Stadt. Als weitgereister Mann entpuppt er sich, USA, Europa und überhaupt ein Mann von Welt. Auch ein paar deutsche Floskeln hat er auf Lager. Jemand, der weiß war falsch, und was richtig ist. Offenbar passieren wir seinen Test und finden Gnade unter den Augen dieses Herrn.

Als der Zug dann mit einer kleinen Verspätung doch noch einrollt sind wir schon recht müde. Wir lassen den drängelnden Indern den Vortritt, da wir ja ohnehin eine Reservierung haben und ich weiß, dass ich mich auf die Bahn verlassen kann. Das hat bisher immer funktioniert.

Als wir in den Waggon kommen merken wir gleich, dass dies nicht das ist, was wir uns vorgestellt hatten. 2nd class sleeper ist nicht ein Schlafwagen in unserem Sinne. Der Waggon ist in offene Abteile getrennt, die jeweils auf 6 Liegen bestehen. Am Gang Stirnseitig sind noch 2 Liegen, allerdings mit mehr Höhenabstand zu finden. Die Fenster sind vergittert und alles ist mit diesem schummrigen typisch Indischen Energiesparlicht erleuchtet, das ich schon seit jeh her kenne. Einfach mickrige Glühbirnen, die kaum Strom brauchen, dafür aber auch kaum Licht liefern.

Das erste, was ich sehe, ist die alte Frau auf meiner Liege und gleich danach die Kakerlaken, die den Waggon ebenfalls als günstige Reisegelegenheit zu betrachten scheinen. Die alte Frau macht mir auf Aufforderung hin Platz, die Kakerlaken wuseln nur. Als wir das Gepäck unter dem Sitz verstaut haben entdecke ich auf Knuds Tasche etwas, das ich entweder als große Maus oder als kleine Ratte erkenne.

Schnell überlege ich, was wir an Essbaren da drin haben, denn diese Viecher würden sich auch durch die Tasche beißen um dessen habhaft zu werden. Aber da kann ich dann Entwarnung geben und hoffe, dass sie das mitgebrachte Nutella nicht riechen können.

Bald machen wir uns bettfein. Knud in der Mitte und ich ganz unten. Ich ziehe meinen Reisesweater an, bin froh über die langen Hosen und stöpsle mir die Ohren zu. Ich hole mir auch noch mein Kissen aus der Tasche und mache es mir halb auf meinem Rucksack bequem, denn meine körperliche Präsenz ist alles zwischen meiner Elektronik und den potentiellen Dieben in diesem Zug. Ich meine, eines ist klar: verglichen mit den Mitreisenden sind wir doch kleine Krösusse und immer wieder lohnende Ziele für Absichten aller Art.

Irgendwann wird die schummrige Beleuchtung ausgedreht, dafür gibt es offenbar aber immer wieder Anlass und Grund irgendwelche Dinge mit Lautstärke und Hingabe zu diskutieren. Das Geschnatter will erst kein Ende zu nehmen, aber irgendwann wird es dann doch ruhiger im Abteil.

Mehrmals wache ich in der Nacht auf. Einmal weil die Inder wieder ganz in der Nähe etwas Wichtiges diskutieren müssen. Ein ander mal stelle ich fest, dass es sich jemand auf dem Boden zwischen den Liegen bequem macht, aber das ist mir ganz recht so, denn so haben es die potentiellen Diebe schwerer. Noch später bemerke ich kleine Pfoten auf meinem Kopf, vermutlich die Maus/Ratte auf Erkundungsreise. Ich habe aber zum Glück die Kaputze auf und bin zu müde um mich aufzuregen.

Jedenfalls kommen so doch ein paar Stunden Schlaf zusammen, aber nur allzu früh beginnen die Inder wieder mit ihrer Geschäftigkeit, mit Geschnatter und Lachen und einer setzt sich dann auch auf meine Liege, damit er besser mit seinem Gegenüber reden kann. Aber das ist OK, denn in Indien herrschen andere Grenzen zwischen den Menschen. Und der Gast hier bin ich.

Ein Chaiwallah kommt vorbei und versöhnt mich wieder mit der Welt indem er mir einen Kaffee serviert. Hauptsächlich Milch, SEHR viel Zucker und zum Glück auch etwas, das man durchaus als Kaffee bezeichnen möchte. Jedenfalls werde ich davon doch etwas wacher. Auch Knud schaut zerknautscht drein, aber wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben.....

Am Bahnhof dann wieder der Taxi-Spiessrutenlauf. Schliesslich einigen wir uns mit einem alten Mann, der aber nicht so wirklich zu verstehen scheint, wo genau es hingehen soll. Dafür erscheint wieder der "Patriarch". Unser Fahrer wird immer aggressiver und so steigen wir aus und werden vom Patriarchen "eingeladen" mit ihm zu fahren. Dass wir dann trotzdem den schon mit dem anderen Fahrer vereinbarten exorbitanten Preis bezahlen müssen lässt mich dann doch ein wenig an den Motiven unseres Wohltäters zweifeln.

Aber, wie auch immer. Haiderabad hat uns geschluckt. Mit Haut und Haaren. Eine wirklich quirlige und überfüllte Stadt die uns unterhält bei großartigen Bauten, Luft, die wir sehen ehe wir sie atmen und den Köstlichkeiten aus der Küche Südindiens.

Indien, wie aus dem Bilderbuch.

 

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Food

 

Ich wiederhole nur das Offensichtliche, wenn ich sage, Indien ist riesig. Trotzdem muss das nochmals ausgedrückt werden, denn eine solche Aussage ist erst einmal abstrakt, nur die persönliche Erfahrung der Räume kann einem annähernd den Sinn dessen erschließen.

Riesig und vielfältig. Bunt und sehr gegensätzlich.

Diese Buntheit spiegelt sich natürlich auch in einem meiner Lieblingsthemen wider: dem Essen.

Bilder von Indien, die uns in Europa begegnen sind oft friedliche Agrarlandschaften mit Kühen und prächtigen Sonnenuntergängen, chaotische Riesenstädte oder schmutzige, hungernde Kinder deren Auftritt unseren Geldbeutel für das Eine oder andere Spendenprojekt öffnen sollen.

Indisches Essen kennen wir üblicherweise nur vom Inder um die Ecke oder aus den farbenprächtigen Kochbüchern, die meist ungeschaut in einer finsteren Ecke der Küche ihrem Gebrauch entgegendämmern.

Dabei ist die Cuisine hier so vielfältig wie das Land Völker hat. Im Grunde genommen gibt es hunderte unterschiedlicher Sprachen und ebenso viele unterschiedliche Küchen. Es gibt die sämigen und köstlichen Speisen aus Kaschmir, die leichten vegetarischen Curries aus Rajastan, europäisch angehauchtes Essen aus Goa oder scharfe, mit Tamarind gewürzte Saucen aus Kerala, die simple Küche des tibetischen Hochlandes (das ich der Einfachheit halber hier auch dazu zähle) und immer wieder die jeweils lokalen oder persönlichen Abwandlungen jener Gerichte, die mehr oder weniger in ganz Indien zu erhalten sind wie die unendliche Vielzahl der Birianis oder die Variationen von Dal.

Eine Reise durch den Subkontinent ist eben auch ein äusserst vielfältiges Abenteuer für die Geschmacksnerven. Dazu kommen jeweils noch die Variationen der Präsentation, denn gegessen werden kann am Strassenrand in der Gesellschaft von Affen und Kühen oder in den teuren und etablierten Restaurants der indischen Städte, die normalerweise so voll sind, dass es üblich ist nach dem letzten Bissen die Rechnung zu erhalten und mehr oder weniger hinauskomplimentiert zu werden.

Und nun: es ist angerichtet

Angeregt durch den Eintrag im Reiseführer wollen wir vor unserer Abreise aus Bombay noch gut essen und lassen uns vom Taxi zur GPO fahren, denn dort gegenüber soll dieser Geheimtipp liegen. Britannia & Co ist der etwas ungewöhnliche Name. Eine erste Hürde stellt sich uns in den Weg, weil niemand, den wir fragen, das Restaurant kennt. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich, denn die Leute auf der Strasse verkehren üblicherweise in anderen Preisklassen. Nach einigen hundert Metern schweisstreibender Schlepperei (wir haben ja all unser Gepäck dabei, weil es danach gleich zum Zug geht) und sehr vielen Gesprächen mit hilfsbereiten Indern finden wir dann den Laden.

Und wir entdecken: es gibt 2 GPOs in Bombay. Wer's gewusst hätte....

Bei der Ankunft werden wir vom Geschäftsführer auf's herzlichste empfangen. Wir deponieren unser Gepäck und erhalten die Speisekarte. So weit, so normal.

Dann kommt der Kellner. Ein weißhaariger Tattergreis, der sich als der Seniorchef und Vater des Geschäftsführers vorstellt. Dazu erhalten wir die Kurzfassung seiner Lebensgeschichte. Mit 9 Jahren aus dem Iran mit Familie aber ohne Sprachkenntnisse hier her gekommen, Ausbildung erhalten und sich durchgesetzt. Er fragt nach unserer Herkunft und spricht uns dann gleich auch mit ein paar deutschen Frasen an, er war schon in Wien, kennt die Welt und ist keineswegs zurückhaltend.

Er erlaubt uns keine Cola zum Essen (are you americans or what?) und macht uns klar, dass wir besser gleich einen Nachtisch bestellen, er wäre sowieso nur sehr klein.

Irgendwann kommt er mit einem Brief von der Queen daher, denn er hat der Königin geschrieben, nachdem eine ihrer Hofdamen bei ihm gespeist hat. Der hat er dann einen Brief mitgegeben, wollte der Königin seine untertänigste Loyalität mitteilen und, dass früher alles besser war. Ihre Hoheit hat geruht zu antworten.

G.W. Bush hat er auch mitteilen lassen dass nicht alles so gut sei mit Amerika und auch der hat von sich lesen lassen. Wir haben die Briefe gesehen.

Zuletzt macht er uns noch klar, was wir in Bombay unbedingt noch sehen müssen. Dass er dabei besondere Betonung auf das Rotlichtviertel legt erregt angesichts seines fortgeschrittenen Alters dann doch unsere Erheiterung.

Ach ja, der Berry Pulao Mutton mit extra aus dem Iran importierten Trockenbeeren ist eines der köstlichsten Reisgerichte, die ich jemals gegessen habe....

.....und weiter geht die Reise......

Im Schadap in Haiderabad ist irgendwie die Zeit stehen geblieben. Oder sie hat sich verzerrt, sowas wie ein Time warp? Oder ist es gar der lukullische Trip in ein völlig anderes Universum?

Das Restaurant liegt an der High Court rd. Man kann die Luft wieder sehen und auf der Strasse ist die Hölle los wie überall in dieser Stadt. Wenn man allerdings in den ersten Stock hochsteigt ändert sich alles. Plötzlich wird es ruhig und die Atmosphäre verändert sich, wird samten, auf eine Weise sogar gediegen. Im Stiegenhaus, zwischen auffälligen Plastikblumen steht eine riesige Standuhr; vermutlich versteckt sich darin noch immer der Wolf auf der Lauer nach den sieben Geisslein. Nur die Luft kommt von draussen und erinnert uns, wo wir sind.

Der Boden ist massives Holz auf dem die vielen kleinen Tischchen stehen und dem Lokal einen vollgestopften Eindruck geben. Die Sitze sind kleine Polstersessel mit einem plüschigen Raubtierfellbezug; Tiger oder Leopard stehen zur Auswahl. Bequem sind sie allemal.

Die Kellner im schwarzen Anzug sind auf Zack, höflich und sich ihrer Wichtigkeit bewusst. Die Speisekarte ist endlos, aber nachdem im Reiseführer die Biriani empfohlen werden ist die Wahl schnell getroffen. Ein Item auf der Karte allerdings hat unsere vorsichtige Neugier geweckt und so bestellen wir zusätzlich das "chocolate chicken".

Da kann nichts schief gehen.

Um es kurz zu fassen, die Birianis waren wirklich gut, aber das Schokolade Hühnchen hat alles übertroffen. Schokolade haben wir darinnen oder darauf zwar keine entdeckt, aber die süsse Sauce mit Trockenfrüchten zum gefüllten Hühnerschnitzel mit zartbrauner Kruste ist das Wagnis immerhin wert.

.....und weiter geht die Reise......

Hampi ist alt. In der Antike war das hier eine blühende Metropole und sogar der griechische Botschafter von 2000 Jahren beschwerte sich über die Hohen Lebenshaltungskosten. Im 15 Jhdt dann kamen die Mogulkrieger mit viel Zerstörungswut.....

Jetzt ist Hampi klein, verschlafen und liegt verträumt und zeitlos in dieser großartigen Landschaft, die aussieht, als hätte ein Riesenkind mit Murmeln gespielt und diese einfach liegen lassen.

Ein ruhiger Fluss durchzieht das Tal und an dessen Ufern liegt leicht erhöht das Mango Tree Restaurant. Jeder Indien Reisende kennt Hampi und wer nach Hampi kommt, kommt am Mango Tree nicht vorbei.

Unter einem riesigen Baum sind die niederen Tischchen auf betonierten Terrassen angeordnet. Die Kundschaft sitzt auf Schilfmatten und als Lehne dient die betonierte Terrassenabschrägung, in langen Jahren von tausenden Touristenrücken zu spiegelnder Glätte poliert. Man blickt über Baumwipfel und Sträucher ins Tal hinein, schaut auf den Fluss und den weiß gewandeten Bauern beim Arbeiten zu. Alle möglichen tropischen Vögel kommen auf Besuch und bilden mit ihren Gesängen den urigen Kontrast zur leisen Musik auf den Lautsprechern.

Es ist, einfach ausgedrückt ein Ort, der einem Paradies auf Erden recht nahe kommt. Sogar die Schlange gibt es hier. Sie fiel uns am Nachmittag grün und dünn, halbmeterlang mit einem Platsch fast in den Kaffee. Offenbar war sie genau so erschrocken wie wir, denn sie musste sich erst ein paar Momente orientieren und verschwand dann mit gleitender Eleganz hinter der Mauer zum Fluss.

Die Speisekarte ist riesig und die Entscheidung fällt schwer. Ich lasse mir in so einem Fall gerne von den Kellnern etwas empfehlen und bin bisher nicht enttäuscht worden.

In der Nacht stehen flackernde Petroleumfunzeln auf den Tischen, fast wie um das blitzende Leuchten der herumschwirrenden Glühwürmchen zu imitieren.

Hier, an diesem friedlichen Ort weiss man wieder, warum man sich das mit dem Reisen überhaupt antut.

Der Haiderabad Curry war scharf, sämig und köstlich. Auch der Cashewnut Curry passte ausgezeichnet zu den Capati, ergänzt mit Lemon Soda und dem köstlichen Banana Kokos Lassi.

In der Kürze habe ich nicht die vielen Hawker an den Strassenrändern, Busstationen und in den Parks Indiens erwähnt. Köstliche Pakora, Süsses und Gebratenes werden angeboten, Früchte und unbeschreibliche Seltsamkeiten. Das muss dann halt jeder einfach selber erleben.

Mahlzeit!

 

 

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Der Turm

 

50 m hoch ragt er auf in dieser rotgelben Landschaft. Ein Monolith von Menschenhand zwischen den bunten Häuserwürfeln der Dorfbewohner. Ein pittoreskes Überbleibsel einer untergegangenenen Kultur und trotzdem noch heilig über alle Maßen, Ziel von hunderten von Pilgern jede Woche. Er steht im Zentrum dieser großen Tempelanlage die ihrerseits vor Jahrhunderten das Zentrum einer sehr lebendigen Stadt war, diese wiederum der Brennpunkt eines mächtigen Reiches.

Jetzt ist er nur noch umgeben von den Wohnstätten der Menschen, die ihre Häuser mit den steinernen Überresten der antiken Anlagen verschmolzen haben wie ein Pilz, der ins Holz wächst, ein zivilisatorischer Reisverschluss sozusagen.

Ich sitze hier gemütlich auf der Dachterrasse des Guesthouses und frühstücke, schaue den Affen zu, die über die niedrigen Dachgärten turnen und ihren verspielten Tätigkeiten nachgehen. Hinter der Ansammlung von Dächern, keine 100 m entfernt ragt dieser spitze, etwas unregelmäßig geformte Kegel über die ihn umgebenden Häuser in den leicht wolkigen Himmel.

Es ist friedlich, die Vögel zirpen und zwitschern ihre geheimen Botschaften und im Hintergrund sind die Stimmen der Kinder und Erwachsenen auf den Straßen zu hören. Manchmal wird geschumpfen oder auf Töpfe geschlagen wenn die Affen denn gar zu frech waren.

Es herrscht exotischer Alltag.

Auf einmal ertönen Trommelschläge; dumpf, Schläge auf Holz und der beißende, scheppernde Ton von Tschinellen. Ein einfacher Rhythmus erst, der sich wiederholt, dann immer schneller wird und sich in Schleifen mehr und mehr zu einem Crescendo steigert, dann immer langsamer, von vorne beginnend. Typisch indisch wird der Rhythmus immer komplizierter, dann beginnt die Quelle der Töne zu wandern, mäandert unsichtbar hinter der Häuserfront. Schallend wird das Echo von den umliegenden Gebäuden und den das Tal säumenden Felsen zurückgeworfen.

Nach 10 Minuten ist der Spuk vorbei und es ist wieder ruhig wie zuvor.

Der Turm ist davon völlig unberührt.

Schon 1442 erbaut hat er auch den Untergang seiner Erbauer unbeschadet überstanden. Die Moguln konnten plündern, morden und den Statuen Köpfe, Arme und Brüste abschlagen, aber gegen diesen riesen Haufen Stein war nichts auszurichten.

Und so steht er da immer noch wie ihn sich seine Schöpfer gedacht hatten. Von Unten bis oben mit Statuen bedeckt, die in Nischen und Kavernen dieses gelben Riesen zu ruhen scheinen. Säulen tragen kleine Dächer und so erweckt der Turm den Eindruck eines sehr hohen Palastes, bewohnt von Gestalten in anbetender, tanzender oder ruhender Haltung.

Inzwischen turnen die allgegenwärtigen Affen über die Fresken. Mit traumwandlerischer Sicherheit klettern sie ebenso schnell nach Oben wie nach unten. Ganz oben wird er Turm gekrönt von einem steinernen Baldachin, halbrund und mit zierenden Spitzen gesäumt auf dessen Oberseite der übliche Abschluss eines Hindu Tempels trohnt, die Kupferne Spitze aus Ellipse, Kreis und Kegel.

In den Löchern und Spalten dieses Götterpalastes wohnen hunderte von Vögeln und so ist um den Turm herum immer etwas los. Tauben sitzen auf den Simsen, gurren, brüten und hinterlassen ihre stinkenden Spuren in fließenden Streifen. Andere Tiere segeln in halsbrecherischen Manövern durch die Spalten nach unten, nach oben oder einfach in engen Spiralen um das Bauwerk herum.

Doch den steinernen Göttern ist das alles egal. Sie schauen gleichmütig auf das Treiben da unten. Vielleicht wundern sie sich manchmal etwas über diese schnellen Veränderungen in ihrer Umgebung, aber mit der Perspektive eines Gottes gesehen ist das alles nur der Tanz Shivas, das ewige "Stirb und Werde", das unserer Welt seit Anbeginn eigen ist. Nichts bleibt gleich, alles wandelt sich und nur manchmal dauert etwas eben ein wenig länger.....

 

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Der Duft der Exotik

 

Jedes Land hat einen ganz eigenen Geruch. Wie ein Land eine Sprache hat, Berge, Seen und das ganz spezielle Gebaren der Bewohner, hat es auch einen Duft, der diesem Land zu Grunde liegt wie eine Seele aus Flüchtigkeit.

Dieser Geruch ist immer wieder das Erste, was mir bei der Ankunft auf fremdem Boden begegnet. Man reist im Flieger wie in einem Kokon aus Gewohntem, einer Gebärmutter aus Stahl und Kerosin, die einen je nach Dauer freundlich oder unfreundlich in eine neue Welt entlässt. Geboren in Überwältigung, hinein in fließende Umschlingung, in ein Zusammenschlagen olfaktorischer Wellen über einem reiseermüdeten Bewusstsein.

Manchmal ist es ein Heimkommen, ein Willkommen und eine Umarmung; manchmal ist es hingegen wie ein fast feindlicher Unterton in der ansonsten glatten Erscheinung einer Nation.

Indonesien beispielsweise riecht nach Kretek, den Gewürzzigaretten, die dieses Land zu einer Herausforderung für die Nase machen. Australien hingegen riecht trocken, riecht nach Sand und Sonne. In Thailand habe ich schon am Flughafen die erste, weil geruchliche, Begegnung mit dem hintergründigen Lächeln, das mich immer wieder so ratlos macht. Bali riecht hell und sanft, Frangipani und Jasmin.

Und dann gibt es noch Indien.

Indien ist eine Offenbarung für jene Nerven, die den "kürzesten Draht" ins Hirn haben. Die Nerven, deren Meldungen wir uns nicht erwehren können, nicht einmal, wenn wir wollten. Diese Nerven plaudern auf uns ein wie eine 7jährige und erzählen uns schöne Geschichten, aber auch jene Dinge, von denen wir niemals etwas wissen wollten. Und nichts können wir dagegen tun. Nur die Gewohnheit gibt uns frei; oder so. Denn frei werden wir nicht, nur vergessen wir nach einer Weile diese andauernde Anwesenheit der olfaktorischen Plaudertasche.

Der Flughafen in Bombai riecht nach Monsun, riecht feucht und dampfend. Er riecht nach Moder und den kleinen Tieren die dort leben, wo niemand hinschaut. Er riecht nach Essen, nach Gewürzen und Gebratenem, nach dem Schweiß der Menschen und dem Kokosöl in deren Haar. Er riecht nach der brutalen Kraft von verbranntem Kerosin, das diese vielen Tonnen von Stahl und Blut durch diesen immensen Raum katapultiert haben

Die Stadt empfängt die ungewohnte Nase angeweht durch das Fenster des Taxis mit dem metallenen Nebel erzeugt aus dem, was aus den Motoren ungezählter Fahrzeuge ausgestoßen wird. Und immer wieder Essen, Gewürze und die penetrante, überwältigende Decke aus sich zersetzendem Urin und noch etwas Anderem, Dunklerem.

Niemals wird man in Indien müde sich mit den Gerüchen des Landes auseinander zu setzen. Das geht schon deshalb nicht, weil diese wie die Kinder im Ringelspiel sich die Hände reichend, nacheinander am offenen Fenster des Bewusstseins vorbeiziehen. Alle sind da. Immer, aber es ist immer ein anderes Kind, welches das Bewusstsein gerade um seine geneigte Aufmerksamkeit bittet. Und der Reisende spielt mit. Schon, weil es gar nicht anders geht und auch deswegen, weil dieses Ringelspiel nur ein Aspekt der Buntheit des Lebens hier ist.

1 100 000 000 Menschen leben in diesem "Land". Oder so. .... und wuerde man nur ein Leben retten, man hätte das ganze Universum gerettet. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat. Aus dem Talmud vielleicht? Egal.

Sich das vorzustellen. Dieses Land, dessen uralte Lehren schon immer mit der Unendlichkeit liebäugelten, die die Zeiten in Kalpas messen, in Spannen, die unsere Geschichtsschreibung zu blässlichen Abbildern von Augenblicken degradieren. Zeitspannen und Zeiträume gefasst im Juwel von Welten, die von einem tanzenden Gott geboren, fuer einen Moment erhalten um dann wieder unter seinem Fuß zerstoßen zu werden zu dem Staub, aus dem sie letztendlich sind. Einatmen und Ausatmen des großen Brahman, des Einen, der sich in der Unendlichkeit der Götter, der Menschen widerspiegelt.

Und hier, ganz am unteren, detaillierten Ende der Erfahrung liegen die Menschen, die Wesen mit einer gewissen Bewusstheit ihrer selber. Wesen, die in all ihrer Verschiedenheit alle nur das Selbe, das Eine wollen: ein gutes Leben fuer sich und jene, die ihnen in diesem Moment, in diesem Leben wichtig sind.

Hier ist die Buntheit wieder ueberwältigend, spiegelt all das, was möglich ist. Ohne Angehobenheit, ganz konkret.

Ein 88 jähriger Mann kam als 9 jähriger Fluechtling aus dem Iran, lernte, war erfolgreich mit seinem Restaurant, gibt dieses an seinen Sohn weiter und erhält jetzt Briefe von der Queen und G.W. Bush, weil er echt ist, ernsthaft und ehrenwert.

2 kleine huebsche Straßenkinder, Geschwister, 7 jährig mit strahlenden, schwarzen Augen, ohne Schulausbildung  aber mit rudimentärem Englisch legen reihenweise die erfahrenen Touristen rein indem sie nicht um Geld bitten, sondern um Reis, diesen auch bekommen, zum Händler zurueckbringen und mit ihm halbe/halbe machen. Ich hätte es mir denken sollen, nachdem sie die Einladung zum Mac Donalds ablehnten.

Und die vielen Millionen Muetter und Väter, die ihre Kinder lieben, ihnen das Beste nach ihren Kräften zukommen lassen und diese Kinder behueten in einer Welt, die doch so voller Gefahren ist, so undurchschaubar und doch so geregelt durch die Gesetze von Kaste, Religion und sozialem Status.

Hier existiert Ehrenhaftigkeit noch als Wert der anzustreben ist. Und Toleranz ist trotz der periodisch wiederkehrenden Progrome eine täglich gelebte Größe, denn sonst wäre jeden Tag das Blut auf der Straße.

Es gibt noch unzählige andere Geschichten von Witz, Mut und Ausdauer. Der Erfolg hat viele Gesichter. Jammerer gehen unter in diesem Land. Und die Schwachen. Dieses Land hat kein Mitleid, Es ist, wie es ist.

Jetzt weht ein neuer Duft das Gesicht von Mutter Erde. Ein Duft, der von Reichtum singt, von Veränderung, von Wohlstand und einer Zukunft, wo es vielleicht einmal fuer jeden, jeden Tag genug zu essen gibt. Indien bricht auf, holt Atem um bereit zu sein fuer das, was da kommen mag.

Ein neuer, alter Duft.