JOE J. HEYDECKER


Journalismus

 

Herr Straßenbahn nennt seinen Sohn Eins-zwei-drei“
aus „Rundschau am Wochenende“, 31. August 1968

„Guten Tag, Herr Straßenbahn. Ist Luzifer zu Hause?“ – „Nein, er ist gerade mit Jesusbart und Zementeimer zu Onkel Wehweh gefahren.“ – „Danke! Sagen Sie ihnen, Kugellager war hier und läßt sie grüßen.“
Dieses absurde Gespräch ist in Brasilien, dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, durchaus denkbar. Nach den Gesetzen können Eltern ihren Kindern jeden beliebigen Namen geben; ein Einspruch der Behörde ist nicht möglich. So kommt es, daß in diesem großen Land Südamerikas viele Menschen mit den kuriosesten Vornamen herumlaufen, amtlich und ein Leben lang, denn Namensänderungen werden von den Gerichten so gut wie nie gestattet.
Der einzig bekannte Fall ist der eines Kaufmannes, dem seine Eltern in schöner Bewunderung einst den Vornamen Hitler gegeben hatten. Nach jahrelangen Bemühungen gelang es dem Unglücklichen kürzlich, die amtliche Löschung dieses Fehlgriffs durchzusetzen, doch wurde ihm vom Gericht als neuer Name Adolfo auferlegt.
Vornamen spielen in Brasilien eine viel größere Rolle als in Europa, denn hier sprechen sich die meisten Menschen nur mit Vornamen an, während der Familienname in den meisten Fällen ungenannt bleibt. Das gilt für Gleichgestellte ebenso wie für Vorgesetzte oder Untergebene. „Seu Artur“ (das Seu steht für Senhor) kann der Chef oder der Pförtner sein.
In der Schule lernen die Kinder die verflossenen Präsidenten des Landes nur nach Vornamen, und für Uneingeweihte ist es schwierig, herauszufinden, unter welchem Familiennamen zum Beispiel die Expräsidenten Washington Luiz oder Juscelino Kubitschek in einem Lexikon stehen. Das wissen nur Historiker, und lediglich der Gründlichkeit halber sei es hier angemerkt: unter Souza der erste, unter Oliveira, der zweite. Denn die portugiesisch-brasilianischen Familiennamen sind fast alle so häufig, daß sie zur Unterscheidung kaum dienen.
Von den 85 Millionen Brasilanern heißen die meisten – ins Deutsche übersetzt – Wald, Küste, der Heiligen, Birnbaum, Olivenbaum, Hase Feile, Fahne, Holz oder Burg. Auch Brasiliens derzeitiges Staatsoberhaupt, Marschall Costa e Silva würde übersetzt Küste und Wald heißen.
Deshalb ist die Volksphantasie eifrig am Werk, um die so wichtigen Vornamen individuell zu gestalten. Die Maria, José und Pedro kommen immer mehr aus der Mode. Dafür liefert die weltgeschichte eine Fülle von Vorbildern.
Und so gibt es ungezählte Brasilaner und Brasilanerinnen, die Pericles, Nelson, Wilson oder Edison heißen, Casandra, Suleika, Conçeicão (Empfängnis) oder Penelope. Geläufige Vornamen sind Wagner, Washington, Homer, Mozart, Jesus, César, Napoleon, Lincoln, Christus, Bismarck.
Aber auch der freien Erfindungsgabe sind vom Gesetz keine Grenzen gezogen, In einer kürzlich veröffentlichten volkskundlichen Studie finden sich die unglaublichsten Namen. Sicher ist es müßig, sich bei den nachfolgenden Beispielen den Kopf darüber zu zerbrechen, was sich die Eltern wohl dachten, als sie Namensgebilde ihrer Wahl beim Standesamt eintragen ließen: die schon erwähnten Zementeimer, Jesusbart, Kugellager, Wehweh und Straßenbahn, die auf Portugiesisch vielleicht angenehmer aber nicht weniger lächerlich klingen, nämlich Cacamba, Barba de Jesus, Rolemã, Doidoi und Bonde.
Viele Vornamen sind aus ganzen Sätzen gebildet, wie etwa José Casou de Calças Curtas, zu deutsch: Josef-Heiratete-Mit-Kurzen-Hosen. In diesem Stil gibt es eine ganze Reihe kurioser Vornamen, darunter Maria-Geht-Singend-Vorbei (Maria Passa Cantando), Manuel-Immer-Pünktlich, Erinnerung-Eines-Anderen (!), Gelobt-Der-Tag-Meiner-Geburt oder, was immer den Vater inspiriert haben mag: Von-Oben-Nach-Unten. Ein sehr sinnig zusammengesetzter Vorname lautet Eins-Zwei-Drei-Olivenbaum-Vier.
Dagegen liebten andere Eltern die Kürze und nannten ein Kind Abc, ein anderes Abecè und ein drittes aus unerfindlichen Gründen einfach 85 (in Ziffern, nicht in Worten geschrieben).
Weitere Beispiele zeigen, daß manchen Eltern offenbar nichts anderes eingefallen ist als der nächstbeste Gegenstand, der ihnen vor die Augen kam; wie Kodak, Maultier, Kirchturm, Kochtopf (Panela), Metallschaber, Eisenbahnstrecke (Estrada de Ferro) oder Polizei (Policia, als Vorname eines Mädchens). Daneben wirken Fordia, Filosofina, Terpentina, Aspirina, Revoltina, Eheschmerz und Götterliebe geradezu harmlos.
Sinnige Überlegungen kommen in folgenden brasilianischen Vornamen zum Ausdruck: Letzter Kuhhirt, Letzter Rest, Unschuldiger Armer, Heil Vaterland und –ob man es glauben will oder nicht- Fleisch-und-Knochen (Carne e Osso) und Sterbliche-Reste-Katharinas (Restos Mortais de Catarina).

---- „Sehr geehrter Herr Kollege! Bitte glauben Sie nicht, der heutige Artikel enthalte Erfindungen Ihres plötzlich wahnsinnig gewordenen Korrespondenten; alles ist Wort für Wort richtig.“ (Anschreiben des Autors dieses Berichtes, Joe Heydecker, an die Redaktion der „R“) -----

Die ganze Dramatik einer Zwillingsgeburt spiegelt sich in den zwei Vornamen Johann Kolik und Johann-Vom-Selben-Tag. Was die Eltern dazu bewegte, einen ihrer Söhne Januar-Februar-von-März-April zu nennen, wird ewig ihr Geheimnis bleiben. Wohltuend sind dagegen Pazifischer Ozean, Atlantischer Ozean, Südbrasilien und Nordbrasilien, was geographische Interessen des Vaters vermuten läßt.
Ein Elternpaar im Bundesstaat Minas Gerais nannte seine sieben Kinder Smaragd, Rubin, Topas, Saphir, Beryll, Turmalin und Amethyst. Und ein Millionär fühlte sich gedrängt, die Herkunft seines Reichtums im Namen des Alleinerben zum Ausdruck zu bringen, indem er ihn Mangan-Manganerz-National nannte.
In mehreren Großstädten haben die Standesämter jetzt Beratungsstellen eingerichtet, die Eltern davon abhalten sollen, ihren Kindern allzu verrückte Vornamen zu geben. Sie weisen vor allem auf die Schwierigkeiten hin, die solche Namensträger später in Schule und Berufsleben haben.Die Behörden können es aber nicht verhindern, wenn Eltern auf der Eintragung eines ausgefallenen namens bestehen.
So erhielt ein Junge den Vornamen Luzifer und ein Ehepaar in der nordbrasilanischen Stadt Salvador da Bahia nannte seine Tochter wahr und wahrhaftig Prostituta – was sich von selbst ins Deutsche übersetzt.

Die Datei zum download (PDF) gibt´s hier.

 

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