DIE MÜHEN DER EBENE
Einige Anmerkungen zur Entstehung von PERRY RHODAN-Band 2016,
»Die Einsamen der Zeit«

Der RUF ereilte mich an der Bar eines neben die Autobahn hingeklotzten Hotels irgendwo im Niemandsland zwischen Frankfurt und Wiesbaden.
   Man schrieb den 15. Oktober 1999. Es ging rasant auf Mitternacht zu, und die Herr- und Damenschaften der »Verlagsunion Prächtige Meisterwerke«, denen das Hotel als vorübergehende Bleibe während der Frankfurter Buchmesse diente, waren schon etwas zwangloser drauf.
   Man hatte nach einem ertrusischen Nachtmahl die Krawattenknöpfe und Gürtel gelockert und besprach bei einigen Verdauungsschnäpsen und edleren Digestifs die bevorstehende feindliche Übernahme des Disney-Konzerns durch VPM, erging sich in firmeninternen Hinterfotzigkeiten, prahlte mit den millionenschweren Abschlüssen des Messetages und den haarsträubenden Abenteuern der vorangegangenen Nacht.
   Die Kellner im Speisesaal, durch ebenjene Nacht bereits vorgewarnt, wurden zunehmend unruhiger und versuchten mit energischer Unterwürfigkeit, die entfesselte Meute aus Rastatt in die nebenan liegende Hotelbar zu komplimentieren.
   Was ihnen vorderhand nicht gelang.
   Der staunende Schreiber dieser Zeilen, als Autor des ersten GUCKY-Kinderbuchs urplötzlich aus seinem Wiener Schriftstelleridyll in die Hauptstadt der Büchermacher katapultiert, nickte wissend, wo er das für angebracht hielt, lachte, wo es von ihm erwartet wurde, bestellte ein Bier, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ und versuchte ansonsten, artig und harmlos dreinzuschauen.
   Was einem Autor unter Kaufleuten immer gelingt - jedenfalls letzteres.
   Zugegeben: Ein paar andere Autoren, die sich genauso verhielten, waren auch noch da, aber was den Schreiber dieser Zeilen wirklich interessiert hätte, geschah ein paar Tische weiter.
   Dort nämlich, abgesondert von den eitlen Turnierplätzen der freibeuterischen Marktwirtschaft, saßen seit Stunden zwei Herren, die in konspirativer Zweisamkeit ihre Köpfe zusammensteckten und, wie der Autor wußte, gerade über das Schicksal ganzer Galaxien (wenn nicht gar ganzer Universen) entschieden.
   Die beiden - krawattenlosen! - Herren hießen Klaus N. Frick und Robert Feldhoff.
   Unnötig zu sagen, daß sich der Autor wer weiß was abgebissen hätte, um da Mausbiber spielen zu können. Unnötig zu sagen, daß das nicht ging.
   Irgendjemand erzählte gerade eine erbauliche Fabel über Weltbild-Hechte im Bertelsmann-Teich, und der Autor begann sich ernsthaft mit dem Gedanken zu beschäftigen, andere, völlig andere Gewässer anzusteuern (was in der trostlosen Wüstenei der Hotelumgebung nicht eben leicht geworden wäre), als ihn eine Spieglung in seinem Bierglas aufschrecken ließ.
   Sie zeigte die winzigen Abbilder zweier krawattenloser Herren, die direkt auf ihn zugeschwommen kamen ...

   *

   Ich bin nicht schreckhaft, aber wenn KNF »Andreas!« auf kursiv und mit Ausrufezeichen sagt, dann führt er was im Schilde. Und wenn Robert Feldhoff, den ich als noblen, zurückhaltenden Hanseaten kennengelernt habe, plötzlich ein noch viel nobleres, noch viel zurückhaltenderes Gesicht aufsetzt, dann ist was im Busch.
   »Andreas!« sagte KNF, strahlte mich an (Achtung: Jovialitäts-Alarm!) und haute mir herzlich auf die Schulter. »Gehen wir ein bißchen an die Bar?«
   Schluck.
   Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich gehe gerne mit KNF an beinahe jede Bar, aber normalerweise läuft dergleichen ein wenig formloser ab. Ein wenig weniger mysteriös.
   Ganz offensichtlich sollte ich vom Tisch weggelockt werden, und wenn ich mich nicht völlig täuschte, steckte eine wohlüberlegte Absicht dahinter.
   Sollte es möglich sein ... ?
   Nein, schalt ich mich selbst ein Narren. Du phantasierst.
   Daß ich nicht phantasierte, wurde mir klar, als ich Klaus und Robert unsicher an die Bar gefolgt war und die beiden überfallsartig begannen, mir die Handlung der nächsten 20, 30 PERRY RHODAN-Bände zu erzählen.
   Mo ... moment, meldete sich mein Blitzgneißersinn (für alle, die nicht wissen, was das ist: Toni Polster fragen.) Die verraten dir gerade streng geheime Dinge! Die machen dich zum Geheimnisträger. Und was bedeutet das? Denk nach, Narr!
   Ich dachte nach.
   Das heißt, ich versuchte nachzudenken, während Begriffe wie »Nacht-Acht«, »Galaktische Krone«, »Blaues Blond«, »Aagenfelt-Barriere«, »Mundänen«, »Solare Residenz«, »Kym-Jorier«, »Morkhero Seelenquell« und - besonders alarmierend - »Mutantenschwemme« auf mich einhagelten. Das Stakkato gipfelte in einer schon nicht mehr ganz unerwarteten Frage: Ob ich vielleicht Lust und Zeit hätte, einen Gastroman für PERRY RHODAN zu schreiben?
   Ha! Was hättet denn ihr gesagt, liebe Terranerinnen und Terraner?
   Genau.
   Ich wollte mir doch den Genuß, PERRY RHODAN zu lesen, nicht dadurch verderben lassen, indem ich selbst daran mitschrieb! Also lehnte ich selbstverständlich ab - und konnte nur durch inständiges Flehen und Bitten des Expokraten und des Meisters der Redaktion sowie durch eine erkleckliche Bestechungssumme zu einer Änderung meiner Meinung bewogen werden.
   Ihr müßt natürlich nicht alles glauben, was ich euch hier erzähle ...
   Aber eines könnt ihr mir glauben: Als ich in dieser Nacht (die etwas länger dauerte, da sich kurz danach ein zweiter, SOL-Lesern bestens bekannter Klaus zu uns an die Bar gesellte und gegen meinen heftigen Widerstand darauf bestand, den glücklichen Abschluß ausgiebig zu feiern), ... als ich also in dieser denkwürdigen Nacht beziehungsweise an diesem denkwürdigen Morgen wieder auf meinem Hotelzimmer war, schaute ich mir im Badezimmerspiegel lange und tief in die Augen.
   Irgend etwas mußte doch anders sein ...
   War ich wirklich noch immer derselbe?
   Ich würde einen PERRY RHODAN-Roman schreiben! Eines jener wundervollen Hefte, die ich schon mit 12 unter der Schulbank auf meinen Knien balanciert hatte, weil ich mit dem Lesen nicht bis zur Großen Pause warten konnte - während uns die Mathematiklehrerin mit schnöden Dingen wie dem pythagoräischen Lehrsatz oder dem Wurzelziehen behelligte. (Vielleicht habe ich ja damals schon geahnt, daß es dereinst für Dergleichen einen Michael Marcus Thurner geben würde ... )
   Es war, als hätte man schon als Junge davon geträumt, Astronaut zu werden, und sollte nun tatsächlich ins All fliegen.
   Es war wunderbar.
   Aber da hatte ich die Mühen der Ebene noch vor mir ...

   *

   Zurückgekehrt nach Wien, stürzte ich mich gleich mit Feuereifer in die Recherchierarbeit. Allzu viel wußte ich zu diesem Zeitpunkt über den Roman, den ich schreiben sollte, noch nicht. Er würde in der Vergangenheit angesiedelt sein, in einer sehr fernen Vergangenheit: vor 18 Millionen Jahren. Der Schauplatz würde eine bis dato unbekannte Galaxis sein, deren Name den Verdacht aufkommen ließ, VPM habe eine Vertrag über »product placement« mit einer bestimmten Kaffeefirma abgeschlossen (»person placement«, wenn auch verbrieftermaßen unfreiwilliges, hatten wir ja schon mehrere Male). Und der Roman würde zum Teil auf der SOL spielen. Das war alles, was ich vor Eintreffen meines Exposés, das ja von Robert Feldhoff erst geschrieben werden mußte, wußte.
   Was mich aber nicht daran hinderte, schon mal loszulegen.
   Ich hängte ein großes Farbposter der SOL über meinen Schreibtisch, besorgte mir das Revell-Modell (ich gestehe: zum Zeitpunkt, da ich das schreibe, Anfang Februar 2000, habe ich es immer noch nicht geschafft, es zusammenzubauen ...), formulierte für mich selbst, als autosuggestiven Ansporn, einen griffigen, um nicht zu sagen größenwahnsinnigen Arbeitstitel (»Jenseits von ES«), eröffnete eine Datei und begann alles zu sammeln, von dem ich annahm, daß es auch nur irgendwie für den Roman brauchbar sein könnte.
   Als erstes las ich alle Bände wieder, in der die neue, caritummantelte SOL vorkam (die ich ja immer noch - ohne hier irgendwelche »Insiderinformationen« preiszugeben - in Verdacht habe, ein »Trojanisches Pferd« Shabazzas zu sein).
   Erste Fragen tauchten auf, die sich im Lauf der Arbeit konkretisierten und zu einem langen Fragenkatalog auswuchsen.
   Zum Beispiel: Ist der ZIC, der »Zentralen Intern-Check« SENECAS, nun reaktiviert oder nicht? Oder: Wie sieht die Kommandostruktur der SOL eigentlich genau aus? (Immerhin war es doch merkwürdig, daß Fee Kellind, die offizielle Kommandantin der SOL, ständig klaglos hinter andere zurücktrat - zuerst hinter Rhodan, dann hinter Atlan und Ronald Tekener.) Aber auch: Könnte das Roboterpärchen Romeo und Julia, beziehungsweise ein vergleichbares Nachfolge-Duo (sagen wir: Mulder und Scully ...) vielleicht doch noch irgendwo herumgeistern?
   Eine wertvolle Quelle stellte in dieser Anfangsphase Michael Thiesens großartige Geschichte der SOL in den PERRY RHODAN-Reports dar - obwohl ich dann beinahe nichts davon für den Roman brauchen konnte. Trotzdem: Tolle Arbeit, Michael!
   Ich ging der Frage nach, was vor 18 Millionen Jahren im Perryversum wo geschehen war. (Wie sich später herausstellen sollte, würde mir auch das überhaupt nicht weiterhelfen - obwohl ich mir den Hinweis auf die Loower im Roman dann doch nicht verkneifen konnte.) Und ich sammelte verstreute Notizen, die man für eine SF-Geschichte immer brauchen kann: Ideen zu Fremdvölkern, Ideen zu möglichen Schiffen und Planeten, ein kurzgefaßtes Kompendium der vergleichenden Alien-Trachtenkunde - und so weiter.
   Ich war gewappnet.
   Vor Jahren hatte ich einen längeren Artikel für die auch und gerade unter Germanisten angesehene Wiener Literaturzeitschrift »Lesezirkel« geschrieben. Er hatte »Vom Weltraumlandser zum kosmischen Grünen« geheißen und den Untertitel »Eine Ehrenrettung für PERRY RHODAN« getragen. Unter anderem hatte es in dem Artikel eine Fußnote gegeben, die folgende Aufforderung an Ernst Vlcek enthielt: »Vlcek, Vlcek, gib uns unsere Ennox wieder! Und den Mars! Und Sato Ambush! Und die SOL! Und Moira! Und ...«
   Zumindest der Wunsch mit der SOL war also erfüllt worden. Und nicht nur das: Nun sollte ich selbst als »Literanaut« die SOL fliegen.
   Aber wo blieb das »Lift off!« aus Rastatt?
   Wo blieb das Exposé?
   Das hatte noch Robert Feldhoff im fernen Oldenburg in Arbeit - und Rainer Castor im auch nicht so nahen Andernach sollte danach noch die dazugehörigen Datenblätter überarbeiten, ergänzen und gegebenenfalls erweitern.
   Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Was der verdiente »Chefautor« der Serie bei der Erstellung der Exposés leistet - und zwar, nach dem beklagenswerten Ausstieg Ernst Vlceks aus der Exposé-Redaktion, auch noch im völligen Alleingang -, davon macht sich kein Mensch eine Vorstellung. Das heißt, die Autorenkollegen hoffentlich schon. Und KNF sicherlich auch.
   Mir selbst blieb jedenfalls die Spucke weg, als ich die ersten Exposés aus Rastatt bekam: alle von PR 1999 bis PR 2015 (»mein« Heft sollte PR 2016 sein, das erste einer neuen »Exposé-Staffel«). Nicht nur wegen ihres Inhalts (da taten sich Abgründe auf ...), sondern besonders auch wegen ihres Umfangs und wegen der unglaublichen Akribie, mit der sie erstellt waren.
   Da hatte ich schon mal einiges zu verdauen.
   Aber der wirkliche Hammer waren die Datenblätter.
   Was heißt hier »Datenblätter« - die Redaktion deckte mich mit ganzen Datenwälzern ein. Rainer Castors Sammeldatenblatt über Terrania hatte 22 eng beschriebene Seiten, seine unglaubliche (und über weite Strecken wahrscheinlich nur für Absolventen des »Terrania Institute of Technology« verständliche) Abhandlung über das Hypertakt-Triebwerk der SOL immerhin 17, und das detailverliebte Handbuch des tragisch früh verstorbenen Wolf-peter Ritter zum terranischen Alltagsleben im Jahr 1300 NGZ brachte es sogar auf über 120 Seiten an dicht gepackter Hintergrundinformation. (Übrigens habe ich nicht vor, hier über Interna Auskunft zu geben, die nicht an die Fan-Öffentlichkeit gelangen sollen. Deshalb hat KNF diese Werkstattnotizen auch vorher gelesen, Und deshalb sind sie jetzt auch viel kürzer, als geplant. Wenn ihr wüßtet, was ursprünglich alles drinnen gestanden ist ...)

   *

   In Österreich und den anderen mehr oder weniger zivilisierten Ländern des Planeten (siehe Fußnote 2) schrieb man den 30. November 1999, als das heißersehnte Exposé endlich eintraf.
   »Wir begrüßen Andreas Findig, der als Gastautor einen Roman zur PERRY RHODAN-Serie beisteuern wird!« stand in dicken Lettern auf dem Deckblatt. Aber es stand noch etwas anderes da: »Abgabetermin: 19. November«.
   Also, Augenblick mal, meldete sich mein Blitzgneißersinn. Entweder haben die in Rastatt - vielleicht im Hinblick auf eine Korrektur der bevorstehenden »Millenniums«-Idiotie - eine andere Zeitrechnung eingeführt, oder wir haben ein echtes Problem. Den verschämt in Klammern hinzugefügten handschriftlichen Zusatz »theoretisch« hatte ich im ersten Schreck übersehen. Eine telephonische Rückfrage bei Sabine Bretzinger ergab, daß ich den Strick über meinem Schreibtisch wieder abmachen konnte. Die »gute Seele« des Verlags versicherte mir, ich hätte sehr wohl die vereinbarten sechs Wochen Zeit, um den Roman zu schreiben.
   Ich konnte mich also einigermaßen beruhigt den 18 Seiten des Exposés zuwenden, von denen immerhin 8 nur Datenblätter waren. Schließlich sollte ein neues Volk, die Tharoidoner, erstmals »von innen« geschildert werden - noch dazu ein Volk, das die tonangebende Zivilisation einer ganzen Galaxis war. Die Datenblätter entwarfen ein komplexes Bild der tharoidonischen Zivilisation, des Planeten Orllyndie und seiner Hauptstadt Pur Straviente - ein so komplexes Bild, daß mir Robert Feldhoff auf der ersten Seite eigens raten mußte: »Der Autor möge sich von der Faktenfülle nicht blenden lassen ...«
   Was gar nicht so leicht war.
   Und noch etwas anderes war nicht leicht: das Meistern einer für mich - jedenfalls als Autor - völlig neuen literarischen Form. Ich hatte zuvor noch nie einen Heftroman geschrieben, und ich kann euch sagen, liebe Terranerinnen und Terraner: Was ihr euch da jede Woche auf 60 Seiten »reinzieht«, ist schwerer zu schreiben, als ich mir je gedacht hatte. Hut ab vor den Autoren, die das ständig machen!
   Ich hatte immer geglaubt, das Schreiben nach einem vorgegebenen Exposé müßte einfacher sein als das Schreiben einer komplett eigenständig entwickelten Geschichte.
   Das Gegenteil ist der Fall.
   Gerade, wenn es gilt, zahlreiche Muß-Informationen einzubauen, an die in den vorangegangen Bänden aufgebauten Handlungsstränge anzuknüpfen und Ereignisse und Szenarien in den nachfolgenden vorzubereiten, dann kann man eines ganz sicher nicht: wild drauflosphantasieren. Mein erstes gröberes Problem ergab sich also schon daraus, daß ich nicht wußte, wie eng ich mich an die Vorgaben des Exposés zu halten hatte. Wie weit durfte ich meiner Phantasie freien Lauf lassen? Wie weit konnte ich das überhaupt, ohne geplante und mir vielleicht noch nicht bekannte Entwicklungen in den darauffolgenden Bänden zu beeinträchtigen?
   Im Gegensatz zum Gastroman Andreas Eschbachs, der doch relativ solitär und für sich allein stehend angelegt gewesen war, sollte PERRY RHODAN 2016 sehr stark in die vorangegangene und nachfolgende Handlung eingebettet sein.
   In meinem Bemühen, da nur ja nichts zu verbocken, neigte ich dazu, mich allzu sklavisch an das Exposé zu halten - was mir Robert Feldhoff in einigen sehr hilfreichen Telefonaten rasch klarmachte.
   Überhaupt »hilfreich«: Nach meinen Erfahrungen mit Band 2016 kann ich nur bestätigen, was von Redaktions- und Autorenseite immer wieder gesagt worden ist. PERRY RHODAN ist Team-Arbeit. Und die Freundlichkeit, die Hilfsbereitschaft und Geduld, mit der einige Teamautoren auf die Anrufe reagiert haben, mit denen ich sie während meiner Arbeit an »Die Einsamen der Zeit« mehrmals belästigt habe, suchen wirklich ihresgleichen. Danke, Rainer Castor! Danke, Uwe Anton! Danke, Ernst Vlcek! Danke, Hubert Haensel! Und natürlich: Danke, Robert Feldhoff!
   Von Uwe Anton, mit dem ich öfter telefonieren mußte, weil mein Band direkt an seinen Band 2007 anschließen sollte (hauptsächlich ging es um einige Unstimmigkeiten bezüglich der Belastbarkeit von Paratron- und HÜ-Schirmen sowie des Caritmantels der SOL), kam zum Beispiel der sehr nützliche Tip, auf der Basis von Roberts Exposé mein ganz persönliches Exposé zu schreiben. Nur so könnte ich die Story - oder das Story-Skelett - wirklich zu meiner eigenen Geschichte machen. Das hat funktioniert, und es hat mir über einige gravierende Anfangsschwierigkeiten hinweggeholfen ...
   Die allerdings immer noch beträchtlich waren.
   Zumal ich mir einiges vorgenommen hatte.
   Ich hatte mir vorgenommen, ein wenig mehr Humor als üblich einzubringen - was angesichts einer 18 Millionen Jahre in der Vergangenheit gestrandeten SOL, die in einer von kriegslüsternen Invasoren heimgesuchten Galaxis kurz vor ihrer totalen Vernichtung steht, nicht gerade leicht war. Ich hoffe, es ist mir dennoch gelungen - besonders durch die verstärkte Einbringung von Atlans Extrasinn als vorlauten »Nörgelsektor«. (Hach, die wunderschönen Taschenbücher, die man nach diesem Prinzip schreiben könnte! Aber wir wissen ja, wie es um die Taschenbücher bestellt ist. Beziehungsweise nicht bestellt ist. Schnief.)
   Ich hatte auch vor, die Sache ein wenig »atmosphärischer« anzulegen. Der Roman sollte nicht hauptsächlich aus Dschinn-Bumm-Krach-Action bestehen (was er aufgrund des Exposés auch gar nicht konnte), sondern auch ruhige, nicht gerade beschauliche, aber doch anschauliche Passagen enthalten - sogar auf die Gefahr hin, daß die dann etwas zu langatmig wirken könnten.
   Und diese Gefahr ist bei einem Text, der aus lediglich 140.000 bis maximal 160.000 Anschlägen besteht und einiges an Inhalten zu transportieren hat, ziemlich groß.
   Was diese Inhalte und die oft gestellte Frage betrifft, was in einem Roman vom Exposé vorgegeben und was vom Autor dazu erfunden worden ist, will ich mich nicht allzu sehr verbreitern. Nur soviel: KNF hat in Interviews und eigenen Artikeln mehrfach darauf hingewiesen, wie sehr es ihn ärgert, wenn besserwisserische Fans anmaßende Platitüden wie »gutes Exposé, schlecht ausgearbeitet« oder »schlechtes Exposé, vom Autor XY gerade noch gerettet« von sich geben. Im Normalfall, so KNF, könne ein noch so gründlicher Leser dergleichen unmöglich wissen.
   Ich kann ihm da nur voll und ganz zustimmen.
   Und ich wiederhole: PERRY RHODAN ist Team-Arbeit.
   Was allerdings nichts an der Einsamkeit des Autors vor seinem Computer ändert.
   Schreiben, wirklich schreiben, muß man das Ding ganz allein.
   Das fiel mir manchmal durchaus schwer. Hauptsächlich wegen der Form. Weil ich zu wenig Platz hatte. Besser: weil ich glaubte, zu wenig Platz zu haben.
   Immerhin sollte, wie oben erwähnt, neben der SOL-Handlungsebene, das bestimmende Volk einer ganzen Galaxis neu eingeführt und der Werdegang eines seiner exponiertesten Vertreter, des Verwysen und späteren Prinzipals der Galaktischen Krone La-Pharoke, zumindest in Bruchstücken erzählt werden. In der PR-Historie ist in einem solchen Fall meist ein Doppelband erschienen. Nun, ein Doppelband stand mir nicht zur Verfügung. Ich mußte straffen. Und Straffen, Verdichten, Auf-den-Punkt-bringen ist die aufwendigste, besonders die zeitaufwendigste Arbeit bei jeder Form ernsthaften Schreibens.
   Und die Zeit verging viel zu schnell.
   Ich blätterte den Kalender um, und da stand in großen, roten Buchstaben: MAINZ, WELTCON!
   Dort mußte ich hin. Dort war ich als Ehrengast eingeladen und sollte gemeinsam mit Reinhard Habeck unser »Lausbiber«-Buch präsentieren.
   Hieß also: Computer ausschalten, Koffer packen und ab zum Bahnhof ...

   *

   Mainz, der lange erwartete, der große Weltcon:
   Die Zugfahrt nach Mainz war elendslang.
   Der Con verging wie im Flug.
   Die Zugfahrt zurück war wieder elendslang.
   Sorry, aber ihr wißt ja im großen und ganzen alle, was in Mainz los war - und das, was ihr nicht wißt, werde ich euch hier auch nicht verraten ...
   Alles in allem, so phantastisch der Con (mein erster Großcon überhaupt) gewesen ist , habe ich durch den Weltcon sicher eine Woche verloren - für das Schreiben an Band 2016, meine ich. Schließlich muß man sich in eine Arbeit auch wieder reinfinden. (Na ja, Robert Feldhoff muß das anscheinend nicht - wie jeder weiß, der ihn schon einmal mitten im lautesten Trubel an seinem Laptop gesehen hat.) Außerdem litt ich nach insgesamt neun Stunden wettkampfmäßigen Autogrammschreibens an einer ziemlich schlimmen Sehnenscheidenentzündung. (Zugegeben: Nichts gegen die Verletzungen, die Uwe Anton aus der Schlacht von Mainz davongetragen hat ...)
   Also eine Woche futsch. Nur hatte ich in meiner Schreibplanung nicht bedacht, daß gleich danach auch noch Weihnachten war. Und dann Silvester.
   Einige Präsentationslesungen für mein neuestes Buch »Gödel geht« waren auch noch zu absolvieren - samt der dazugehörigen Fahrten kreuz und quer durch Österreich.
   Um es kurz zu machen: Irgendwann in der zweiten Jännerwoche, also ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das Manuskript abliefern sollte, saß ich da und hatte erst die Hälfte des Romans geschrieben.
   Panik!
   Da half es mir auch nichts, daß mir Hubert Haensel in Mainz gestanden hatte, er würde mit seiner Nummer 2015 überhaupt erst in der zweiten Jännerwoche beginnen. Der hatte wenigstens eine gute Entschuldigung, die Arbeit an Band 1 der »Kosmos-Chroniken«. Und außerdem, O-Ton Hubert Haensel: »Du mußt nicht unbedingt meine schlechtesten Züge kopieren.«
   Wollte ich auch nicht. Bloß war ich nicht nur in Zeitnot, sondern auch an einem toten Punkt angelangt. An dem Punkt, an dem man alles, was man bis jetzt geschrieben hat, nun ja, nicht unbedingt für Mist, aber zumindest für nicht gut genug hält. Hatte ich mich verrannt? Hatte ich zum Beispiel die SOL-Ebene zu umfangreich angelegt, hatte ich die »Pilzer von Uum«, auf deren Entwicklung ich viel Zeit verwendet hatte, zu detailreich beschrieben? War Pur Straviente, die Stadt in der Gischt, eine schöne Stadt, ein Bild, das sich dem Leser einprägt - oder war sie einfach nur langweilig?
   Konnte ich überhaupt schreiben?
   Für solche schriftstellerischen Notfälle gibt es in einem funktionierenden Verlag einen Redakteur, der auch wirklich für »seine« Autoren da ist. KNF ist so einer. Der eher verzagte Brief, den ich ihm zusammen mit der ersten Roman-Hälfte schickte, hat ihn wahrscheinlich ziemlich erschreckt. (Drei Wochen danach hat er mir gestanden, er habe sich ernsthaft gefragt: »Was mache ich jetzt bloß - wenn mir dieser Findig einfach ausfällt?«)
   Zwei Telefonate und einen ersten Redigierdurchgang später war die Welt wieder in Ordnung. Was ich bisher geschrieben hatte, fand KNFs Zustimmung - abgesehen von einigen wenigen Passagen, die ich sowieso schon in starkem Verdacht gehabt hatte, von jemand geschrieben worden zu sein, mit dem ich unmöglich verwandt sein konnte. Sogar der von mir vorgeschlagene Titel »Die Einsamen der Zeit«, samt des dazugehörigen, PERRY RHODAN-üblichen Untertitels wurden für gut befunden. (Die Alternativtitel, die ich sowieso nur zum Schein vorgeschlagen hatte, lauteten: »Mundänensturm«, »Die Stadt in der Gischt«, »Die letzte Flotte«, »SOS für die SOL« und »Minus 18 Millionen«.)
   Die Sache kam wieder ins Laufen. Wahrscheinlich muß unsereins nur ab und zu ein bißchen gestreichelt werden - und sei es sogar fernmündlich ...
   Arbeit war's zwar immer noch - aber sie machte wieder Spaß.
   Es machte sogar Spaß, stundenlange Telefongespräche mit Rainer Castor über Semi-Manifestationen, Paratron-Technologie, ultrahochfrequente Aufladungen etc. etc. zu führen (bzw. Rainers eloquenten Vorträgen darüber zu lauschen) - nur, um in zwei nur wenige Zeilen langen Absätzen bloß keinen Blödsinn zu schreiben, der die Technik-Puristen unter den Lesern vor den Kopf stoßen könnte. (Noch einmal: Vielen Dank, Rainer!)
   In der Nacht vom 30. auf den 31. Jänner saß ich lange nach Mitternacht an meinem Computer und sah endlich Land. Das Wort mit den vier Buchstaben, das Lieblingswort aller Schriftsteller, das mit »E« anfängt und mit »E« aufhört, war in greifbare Nähe gerückt.
   Wenn die Sonne aufging, würde ich den PERRY RHODAN-Roman »Die Einsamen der Zeit« beendet haben. Wenn die Sonne aufging, würden die Mühen der Ebene endlich hinter mir liegen ...
   Das heißt, nein, nicht ganz: Es galt ja da auch noch den Werkstattbericht zu schreiben, den ich Klaus Bollhöfener in einem Anfall selbstausbeuterischen Übermuts versprochen hatte. Kaum der Schreibsklaverei entkommen, setzte ich mich wieder an die elektronische Galeere, kettete mich mit ausrangierten Mauskabeln an und begann mit verschwimmendem Blick und zitternden Fingern zu tippen: »Die Mühen der Ebene« ...

   *

   Wenn ihr das hier lest, liebe Terranerinnen und Terraner, ist PERRY RHODAN 2016 gerade erschienen. Ich weiß also noch nicht, wie ich mich gefühlt haben werde, als ich das fertige Heft zum ersten Mal in der Hand hatte. (Oder sollte das vielleicht doch ein wenig anders formuliert werden? Ach, die Zukunft! Ach, die Vorzukunft!)
   Aber ich weiß, wie ich mich gefühlt habe, als ich den Roman zwei Monate nach Erhalt des Exposés endlich an KNF mailen konnte - und als mir der Meister der Redaktion am nächsten Vormittag telefonisch mitteilte, glaubhaft mitteilte: »Das Ding ist gut!«
   Ich fühlte mich wie jemand, der als kleiner Junge immer davon geträumt hat, Astronaut zu werden, und plötzlich wirklich auf dem Weg zu den Sternen ist.
   Obwohl ihr, die Leser, mich da ganz schnell wieder runterholen könnt ...
   »ZU NEUEN UFERN!« liebe Terranerinnen und Terraner. Und: Laßt was von euch hören ...

   *

   Postscriptum:

   Ich habe den Meister der Redaktion gefragt, wie oft man eigentlich »Gast« bei PERRY RHODAN sein kann. Seine Antwort bestand aus drei Gegenfragen und hatte etwas von der ultimaten Rätselhaftigkeit des Orakels von Wanderer - oder von Rastatt:

   1) Was ist ERFOLG?
   2) Wo beginnt und wo endet die ENDLOSE ERZÄHLUNG?
   3) Wer hat das FANDOM initiiert - und wonach giert es?

   »Da ich steh ich nun, ich armer Held,
   und weiß nicht, was dem Volk gefällt.«

   (Perry Rhodan am Berg der Schöpfung)

*






Copyright © Andreas Findig
Erstmals erschienen in Sol Nr. 18
Bezug: Perry Rhodan Fanzentrale e. V.
Klaus Bollhöfener, Postfach 2352, 76413 Rastatt