DER KÖNIG

 

 

»Have you forgotten the key for the kingdom?«

 

(James Douglas Morrison:
»An American Prayer«)

 

 

Da ist ein König, und er hat eine gläserne Kugel. Er spielt mit ihr. Er setzt sich drauf. Die gläserne Kugel zerspringt in tausend Splitter. Der König schaut verdutzt auf die Splitter. Tausend Könige schauen verdutzt auf den König.

     So beginnen Geschichten.

 

     Tausendundein Könige gehen durch den Wald. Einem tut der Hintern weh. Sie treffen einen Raben, der weiß ist. »Krah«, sagt der weiße Rabe. »Wer seid ihr?«

     »Ich bin der König«, sagt der erste König.

     »Und wohin geht ihr?« fragt der Rabe.

     »Wir gehen ins Königreich«, sagen alle Könige wie aus einem Mund, und die Tiere des Waldes flitzen erschrocken aus ihren Höhlen und fliegen von ihren Ästen auf und machen sich davon. Nur der weiße Rabe bleibt. Er schaukelt auf einer Rabenschaukel.

     »Krah!« sagt der weiße Rabe. »In welches Königreich wollt ihr denn?«

     »Ins Königreich der tausendundein Könige«, sagt der König, dem der Hintern weh tut.

     »Krah!« sagt der Rabe. »Ich bin der weiße Rabe. Wer gibt mir die Ehre?«

     »Ich bin der König«, sagt der König, dem der Hintern weh tut.

     »Angenehm«, sagt der weiße Rabe.

     »Ich bin der König«, sagt der zweite König.

     »Angenehm«, sagt der weiße Rabe.

     »Ich bin der König«, sagt der nächste König.

     »Angenehm«, sagt der weiße Rabe.

     Die Vorstellung dauert eine Stunde und dreiundzwanzig Minuten, und die Könige bekommen Hunger.

 

     »Ich nehme an«, sagt der weiße Rabe, »ihr wollt mich jetzt essen.«

     Die tausendundein Könige schauen betreten auf den Boden, und weil es ein Waldboden ist, ist er voller Ameisen.

     »Das sind rote Waldameisen«, sagt der weiße Rabe, »und sie haben das gleiche vor.«

     »Was?« fragt der erste König.

     »Essen«, sagt der weiße Rabe.

     »Euch«, sagt er. »Krah!«

     Die tausendundein Könige lachen. Einem platzt der Bauch vor Lachen. Die Könige schauen betreten auf seinen geplatzten Bauch.

     »Jetzt essen sie«, sagt der weiße Rabe. »Wollt ihr euch beteiligen?«

     Die tausend Könige schütteln ihre tausend Köpfe. Sie sind beleidigt.

     »Ach ja«, sagt der weiße Rabe. »Ich vergaß, daß der Hochadel zusammenhält. Jedenfalls, wenn es ihm in toto an den Kragen geht.«

     Da sagt der König, dem der Hintern weh tut:

     »Warum sollte es uns an den Kragen gehen, noch dazu in toto? Wir haben Hunger, das stimmt, aber im Königreich der tausendund ... , im Königreich der tausend Könige wird sich genug für uns alle finden.«

     »Krah!« sagt der weiße Rabe, der von seiner Rabenschaukel heruntergeflogen ist und ein wenig in der Gedärmen des einen, geplatzten Königs pickt, »... und kannst du mir sagen, wo das liegt, das Königreich der tausend Könige?«

     »Nein«, sagt der König, dem der Hintern weh tut.

     »Aha!« sagt der weiße Rabe. »Dann Mahlzeit!«

     Da werden die tausend Könige wütend und wollen sich alle zusammen auf den weißen Raben stürzen.

     »Krah!« macht der weiße Rabe und fliegt auf seine Rabenschaukel zurück. »Das geht nicht«, sagt der weiße Rabe. »Hier bin ich, und da unten seid ihr, und rundherum ist der Wald, was macht ihr da? Krah?«

     Da denken die tausend Könige nach.

     »Wir gehen aus dem Wald hinaus!« sagt der erste König. Und alle Könige vom zweiten bis zum tausendsten sagen:

     »Fürwahr, das werden wir tun!«

     »Krah!« sagt der weiße Rabe. »Versucht es doch!«

     Und der erste König, dem der Hintern weh tut, nimmt das königliche Siegel des einen Königs, der geplatzt ist, und sagt:

     »Mir nach, ehrenwerte Herren!«

 

     Und alle neunhundertneunundneunzig Könige folgen dem einen König, dem der Hintern weh tut, durch den Wald, bis sie ins Königreich der tausend Könige gelangen.

     Da sagt der weiße Rabe: »Krah!«

     Da nimmt der König, dem der Hintern weh tut, das königliche Siegel des einen Königs, der geplatzt ist, und setzt sich drauf.

     Da ist es platt, das Siegel, und alle neunhundertneunundneunzig Könige vergehen vor Scham.

 

     So enden Geschichten.




 

 


 

Copyright © Andreas Findig
Erstmals erschienen in »Gagarins Galaxis«, Resistenz Verlag 1997

Copyright © der Illustration: Michael Wittmann