DER LANGE REGEN
Es ist ein Tag und dann noch einer, und der lange Regen regnet auf das Dach. Der lange Regen regnet auf das Dach, und der Zauberer sitzt zu Hause und strickt einen Schal. Im Kamin brennt ein rauchloses Feuer, der Kater, schwarz, dreibeinig, hockt auf einer Diskette und brütet sie aus, und der lange Regen regnet auf das Dach. »Was für ein Regen«,
sagt der Computer und spielt ein paar Takte eines alten amerikanischen
Schlagers. »Was für ein überaus bemerkenswerter Regen.« Der Kater schnurrt und
wechselt seine Lage, der Zauberer, strickend, schaukelt vor sich hin, und der
Computer, gelangweilt, erfindet ein Spiel. Draußen, vor der Veranda, biegen
sich haushohe Tannen im Wind. Ein dunkler Ast wischt über das nasse Fenster,
und in der Ferne grollt ein verwaistes Gewitter. »Ich will dich nicht
kritisieren«, sagt der Computer und spielt drei Akkorde aus Mozarts Requiem,
»aber du hast soeben eine Masche fallen lassen!« »Macht nichts«, sagt
der Zauberer. »Wenn ich fertig bin, verwandle ich alle verlorenen Maschen in
eine Hausjacke.« »Und der Schal?« fragt
der Computer. »Den verwandle ich in
ein Wollknäuel«, sagt der Zauberer und läßt den Computer für eine Weile
verschwinden. »Damit ich was zu tun habe. Du weißt doch, wie gern ich
stricke.« »Mach mich wieder
sichtbar!« bettelt der Computer, und der Zauberer macht den Computer wieder
sichtbar, aber jetzt ist sein Bildschirm aus Bergkristall, seine Tastatur ist
aus Rosenquarz, und aus seinem Diskettenlaufwerk sprießen weiße
Buschwindröschen. »Fein!« sagt der
Computer, der Kater, schlafend, schnurrend, wechselt seine Lage, und der lange
Regen regnet auf das Dach. Der lange Regen regnet
auf das Dach, und im Gebirge tanzen die Blitze. Verhaltener Donner rollt über
Felsen und schlammige Wege ins Tal, und ein schwerer, ein müdegewehter Wind
schwimmt durch die grauen Wälder. »Bald ist es Nacht«,
sagt der Zauberer und schnippt nach seiner Fernbedienung, und die
Fernbedienung, ein schlichter, versilberter Kinderkreisel, schwebt durch das
Zimmer und landet auf dem Tisch. »Speck und Brot«, sagt
der Zauberer, »eine Schale Milch für den Kater und ein neues Betriebssystem
für den Computer«, und sogleich erscheinen Speck und Brot auf dem Tisch, eine
Schale Milch unter der Ofenbank, und der Computer, zufrieden brummend,
durchwandert die leeren und hohen Räume seines erweiterten Speichers. »Du bist zu gierig«,
sagt der Zauberer. »Man muß den Dingen Zeit lassen. Man muß auf sie warten.« »Verzeihung, Meister«,
sagt der Computer. »Ich werde warten, bis es dunkel ist.« »Gut«, sagt der
Zauberer, und dann wird es dunkel, und die Welt ist ein fallender Schleier,
und die Dämmerung sinkt wie ein lockerer Baldachin langsam auf sie nieder. »Eck!« sagt der Kater,
macht einen Buckel und springt in die Luft. Das Gewitter kommt näher, und der
Kater, mit seinen gelben, mit seinen zu Schlitzen verengten Augen, springt in
die Luft und greift nach den Blitzen, springt in die Luft und greift nach den
Blitzen, und er springt in die Luft und greift nach den Blitzen, bis er sie
fängt. »File successfully opened«, sagt der Computer. »Touché!« sagt der
Zauberer, und die Wanduhr rieselt auf den Boden. Ein triefend nasser Engel
geht durch das Zimmer, der Kater, im blauen Glanz einer elektrischen Aureole,
kehrt auf seine Diskette zurück, und es ist Nacht in den Bergen, und der
lange Regen regnet auf das Dach.
Copyright
© Andreas Findig Copyright © der Illustration: Michael Wittmann |