Freie Musik in freier Gesellschaft: Anarchie & Improvisation

Buenaventura Durruti

"Keine Regierung der Welt kämpft gegen den Faschismus bis zu seiner vollständigen Niederwerfung", antwortete Durruti. "Wenn die Bourgeoisie sieht, dass ihr die Macht aus den Händen gleitet, dann greift sie auf den Faschismus zurück, um ihre Privilegien zu erhalten." Könnte es sein, dass genau das gegenwärtig in Österreich geschieht, und nicht nur hier, sondern in weiten Teilen Europas? Durruti, 1936: "Und das ist es, was in Spanien geschieht. Wenn die republikanische Regierung mit den faschistischen Elementen hätte Schluss machen wollen, hätte sie das schon längst tun können. Stattdessen fügte sie sich, gab nach und vergeudete ihre Zeit damit, Kompromisse mit ihnen zu suchen."

Soviel zur unverminderten historischen Haltbarkeit der politischen Analysen des katalonischen revolutionären Anarchisten Buenaventura Durruti (1896-1936). Dessen monumentale, 1978 von Abel Paz veröffentlichte, 1984 ins Deutsche übersetzte, aber wieder verlorengegangene Biografie liegt jetzt endlich in einer Neuauflage der Edition Nautilus vor.

Die Stationen im vierzigjährigen Leben des Verfechters eines libertären Kommunismus, schnell skizziert: geboren in Leon, Metallarbeiter, Gewerkschafter, beteiligt sich – inspiriert von den Schriften Bakunins, Kropotkins und des ukrainischen Anarchisten Nestor Machno – auf anarchistischer Seite am Generalstreik 1917, Flucht nach Gijon, Desertion vom Militärdienst, Exil in Marseille, einem Epizentrum katalonischer Anarchisten, Arbeit bei Renault in Paris, Differenzen zwischen Bolschewisten und Anarchosyndikalisten unter dem Eindruck der Russischen Revolution, 1922 zurück nach Spanien, San Sebastian, Saragossa, Barcelona, aktiv in der linken Gewerkschaft CNT, Gründung ihres anarchistischen Flügels FAI, Banküberfälle zur Geldbeschaffung für politische Aktionen, 1924 nach Lateinamerika, Kuba, Mexiko, Chile, nach der Rückkehr wiederholt im Gefängnis, im Untergrund Berlins und Brüssels. Dann, als Spanien endlich die Monarchie abschüttelt, 1931 zurück nach Barcelona.

Durruti bewährt sich als Redner und Agitator, seine Sprache ist klar, präzise, direkt. Er forciert die Koalition vormals kontroverser anarchistischer Gruppierungen, die am 1. Mai 1931 erstmals unter der gemeinsamen, jetzt schwarz-roten Fahne auftreten. 1933 spaltet sich die CNT wieder, Streiks begleiten die Wirtschaftskrise, die Faschisten unter Gil Robles gewinnen mit anderen rechten Gruppen die von den Linken boykottierten Wahlen. Zwei Blöcke bilden sich heraus: Rechte, Militärs und die Bourgeoisie jenseits, Linke, Gewerkschaften, Republikaner und Anarchisten diesseits der Trennlinie. Es kommt zur Mobilmachung der Arbeiter, die "Kolonne Durruti" formiert sich. Gewinne in Barcelona, Aufbruch nach Saragossa, während von Südspanien und Nordmarokko her die Truppen des faschistischen Generals Franco vorrücken. Selbstbestimmte Kollektive bilden sich im ganzen Land, Sozialisten und Kommunisten drängen auf Vereinnahmung der Autonomen, die Waffenhilfe für die Anarchisten scheitert an Stalin, der die spanischen Revolutionäre verrät, im Stich und letzlich zu Grunde gehen lässt.

Durrutis Kolonne kämpft mittlerweile in der Hauptstadt Madrid. Um nichts in der Welt werden die faschistischen Tyrannen hier, wo wir sind, durchkommen, sagt Durruti in einer seiner berühmten Reden. Das ist die Parole der Front, und wir sagen ihnen: Hier kommt ihr nicht durch! – Und zu euch: Sie werden nicht durchkommen! No pasaran! In der Zeit verheerender Bombenangriffe der Franco-Faschisten wird Buenaventura Durruti bei einem Schusswechsel verwundet und erliegt der Verwundung einen Tag später, am 20. November 1936. Seinen Verlust für die revolutionäre Arbeiterbewegung und seine Beliebtheit bei ihr dokumentieren die rund 500.000 Menschen beim Begräbnis in Barcelona, in dessen Arbeitervierteln sich die Kolonne Durruti formiert hatte. Was danach folgte, ist bekannt: die Machtübernahme Francos, die nicht enden wollende, 40 Jahre währende faschistische Diktatur.

Auf den letzten vierzig Seiten klärt Paz schließlich den Titel der Durruti-Biografie auf. Warum Tode, nicht einfach Tod? Weil die Umstände des am 20. November 1936 ums Leben gekommenen Durruti bis heute ungewiss sind, und weil drei bis vier seriöse Todesdarstellungen in Frage kommen. Anstelle eines unantastbaren Mythos aber entwirft Paz vor den Augen der Lesenden ein detail-, kenntnis- und facettenreiches Bild des groß gewachsenen Anarchisten, seine Ablehnung von Bürokratismus auf der einen und Personenkult auf der anderen Seite, die Notwendigkeit der Militanz bei gleichzeitiger Verachtung des Militarismus, den Siegeswillen von Intelligenz, Schönheit und Solidarität der revolutionären Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Mit einem Wort: Abel Paz, ein Zeitgenosse und Mitstreiter Durrutis, dokumentiert vieles davon, was sich heutige und künftige Linke in Europa ungeniert hinter die Ohren schreiben können. (felix)

 

Buch: Abel Paz, DURRUTI, Leben und Tode des spanischen Anarchisten, Biografie, aus dem Spanischen übersetzt von Luis Bredlow, Verlag Nautilus, 736 Seiten, 166 S/W-Fotos, 25,80 Euro

 

Den perfekten Soundtrack zur Biografie hat schon 1996 Jean Rochard fürs wegweisende nato-Label produziert. Stilbildende Anarchosyndikalisten aus der Impro-Szene ziehen da an einem Strang: von Evan Parker, Tony Coe und dem glücklicherweise seit einiger in Wien musizierenden und schreibenden Noel Akchote über Michel Godard, Helene Labarriere und Steve Argüelles bis hin zu Benat Achiary, Phil Minton und Sylvain Kassap, ganz zu schweigen von den vielen (mir) kaum bekannten, mehrheitlich französischen Sound-AktivistInnen. Eine umwerfend schöne und kluge Doppel-CD, vielfach auf Basis von Texten zur Revolution, seien sie von Durruti selbst, seien sie von seinem Biografen Abel Paz oder dem Spanienkämpfer George Orwell, seien sie von Federico Garcia Lorca, dem Chiapas-Revolutionär Subcommandante Marcos – oder eben wieder Noel Akchote. Zwei sachdienliche Booklets, eines mit den Liedtexten, eines mit dem historischen Abriss von Durrutis Leben und Wirken, komplettieren das aufrührerische Gesamtvergnügen. Auf diesem Niveau und bei diesem Bewusstsein hat die Zukunft schon begonnen. Es gibt viel zu tun, packen wir’s an!  (felix)

 

2 CDs: Various Artists, Buenaventura Durruti, nato 777 733