25. Nickelsdorfer Konfrontationen Jazzgalerie Nickelsdorf, 23.-25.7.2004
Geduld, Geduld! Auch wenn hartnäckig von einem Vierteljahrhundert Konfrontationen geschwärmt wurde, vollendet es sich doch erst im nächsten Jahr. Vorerst gab es die 25. Festivalausgabe zu feiern, das ist doch nicht nichts. Künstlerisch, klimatisch und besuchermäßig kann man nicht klagen, was will man eigentlich mehr. Höchstens zwei Gruppierungen merkte man ihre Deplatziertheit auf dem nordburgenländischen, hart an der Grenze zu Ungarn gelegenen Umschlagplatz an: der musikalisch erschreckend substanzlosen Kleinkunstformation Kollegium Kalksburg mit dem für artistische Störgeräusche zuständigen Josef Novotny als avantgardistischem Feigenblatt vor den kabarettistischen Geschlechtsteilen. Und die altväterische Coltrane-mit-Holzhammer-Nachbildungsversuch durch James Lewis, Bobby Few & Co. Wo es doch schon Schallplatten und so Sachen gibt, darauf kann man das authentische Zeug nachhören und ist nicht auf Billigimitationen angewiesen, die live keinen Sinn ergeben – schon gar nicht hier, wo man sich der (Geistes-)Gegenwart der Moderne verschrieben hat ...
Ausrutscher waren die Ausnahme, Trittsicherheit und hohes Niveau das Prinzip der Konfrontationen #25. Wertgesteigert durch die prächtige Vielfalt der Musiken und Stile, minimal abgeschwächt durch die etwas lieblose Kraut-und-Rüben-Programmierung und schier endlose Verzögerungen am Samstag, an dessen Ende um 4 Uhr Früh Helmut Neugebauer sein schablonenhaftes Drum’n’Bass-Jazz-Trio Lop Nor vor schütterer, weil erschöpfter Kleinstkulisse im Keller zu absolvieren hatte. Wenigstens mündete der Marathonabend in ein skurriles Finale in Person von Ronni Urini und seinem kurzen, wüst danebenen Jazzkaraoke-Set.
Davor und danach hieß es allerdings die Ohren spitzen, etwa beim kurzfristig eingeschobenen Duo von Han Bennink & Marco Eneidi. Han zeigte von der unmittelbar vorhergehenden Mitarbeit im Eric Boeren Quartett kaum Verschleißerscheinungen, und der kalifornische Altsaxofonist hinterließ mit riskanter Reduktion und phänomenalem, so scharfem wie seelenvollem Ton einen sehr starken Eindruck. Schade nur, dass die Lewis/Few-Partie auf Eneidis Mitwirkung leichtfertig verzichtete, er hätte doch den einen oder anderen Schaden vom Nostalgikerverein abwenden können. Schön auch das Wunschteam von Paul Lovens, der sich Tobias Delius und Wilbert de Joode ins Boot holte. Meisterhafte Feinmechanik, der Rückgriff auf die Tradition und ihre gleichzeitige Überführung in eine unverbrauchte, unerhörte Gegenwart, alles vor dem Hintergrund alles überstrahlender Freundlichkeit. Also in gewisser Hinsicht genau die Attribute, um die sich seit bemerkenswert langer Zeit Hans Koch, Martin Schütz & Fredy Studer verdient machen. Noch verstärkt um den genialen, sich offenbar in der Form seines Lebens befindlichen Phil Minton, regierten in jeder Phase blindes Verständnis, ein ruhiges, konzentriertes, extrem homogenes, in seiner Homogenität vielgestaltiges Spiel, auch unter dem Einsatz durchwegs zweckdienlicher Elektronik. Das ist die Konsequenz einer dauerhaften Beziehung. Wem gemeinsame Lebens- und Musiziererfahrung noch zu Gute kommt? Les Diaboliques natürlich. Der theoretische Alterungsprozess von Irene Schweizer, Joelle Leandre & Maggie Nichols prallt den Teuflischen praktisch an der Oberfläche ab, dahinter sind die drei Girlies jünger und närrischer als je zuvor – und umso überschäumender angesichts der beim Konzert mitlaufenden Kameras für einen Film über Irene.
Die auch körperlich Jungen ließen sich da nicht lange lumpen: R im Kreis fegten Das Fax Mattinger im Double-Trio mit Leinwand dazwischen, auf das Billy Roisz Bilder projizierte, souverän vom Feld, Dieb 13 & Erik M, die zwei wilden Hunde an den Turntables, polterten und krachten, dass es eine Freude war, zogen aber auch rhythmische Spuren durch stilles Gelände, Noid (Arnold Haberl) erzählte in seinen "monodigmen" die schöne Geschichte von der Kunst der Wiederholung, von sich verändernder Wahrnehmung und unausweichlicher Abweichung, ganz in der Tradition von Thomas Bernhard, Morton Feldman und The Necks. Manfred Hofer nahm den Kontrabass zur Hand, um Elektronik nachzuahmen, und den Mund zu dessen Erklärung etwas voll.
Erwartungsgemäß laut und leidenschaftlich rackerten sich die Drummer Paul Lovens & Tony Buck mit den "The Ex"-Gitarristen Andy & Terrie ab, in vorhersehbar alternierender Auf- und Abschwellung des Pegels; heftig, hart, herzlich. Krönender Abschluss der von treuen Wegbegleitern, jungen Stilbildnern und das angespannte Budget schonenden Mehrfachpersonaleinsätzen geprägte Konfrontationen-Jubiläumsausgabe war allerdings die 140. Conduction von Lawrence Butch Morris mit einem Dutzend Festival-Allstars samt dem mit einer Green Card für völlige Aktionsfreiheit versehenen Hans Falb am Plattenspieler. Erstaunlich, wie Morris den heterogenen Haufen nach seinen akustischen Bedürfnissen zurichtet. Ambivalent, wie sich Größen der Improvisierten Musik den restriktiven Anordnungen des Alten Meisters unterordnen. Paradox, wie Freiheit behauptet und Diktatur gespielt wird. Faszinierend, welche Facetten nach nur dreitägiger Proben- und Regelkunde-Arbeit Butch Morris aus dem Schlagzeug-Computer-Gitarren-Saxofon-Flöte-Cello-Konglomerat herauskitzelt. Und extrem spannend, wie der Weg dorthin verläuft. Obwohl: Die ohnehin eingeplante Pause zwischen zwei Blöcken hätte etwas besser mit dem Publikum kommuniziert werden wollen – dann wäre der Eindruck erst gar nicht entstanden, Morris lasse seine ganze Autorität spielen und schicke ein nicht parierendes Team zur Strafpredigt in die Kabine. In Wahrheit wurden nur ein paar Auffassungsunterschiede besprochen, Vorschläge ausgetauscht und mit neuem Elan in die 2. Halbzeit gegangen. Da waren sie vielleicht erstmals seit langer Zeit: die namensgebenden Konfrontationen. Daran beteiligt: Musiker, Zuhörer, Konzepte, Emotionen. Wie es sich gehört, ist dafür keine (Schein-)Harmonie aller Beteiligten vonnöten, Idylle schon gar nicht, dafür ein hartes, in aller Härte freundliches und lustvolles Arbeiten am Material Musik und seinen Möglichkeiten. Conduction #140, Konfrontationen #25, Nickelsdorf 2004, eine Sternstunde. (felix) |