Jazz and Other
04.06.-12.06.2004
Bolzano / Bozen
In neun Tagen wurden 36 Konzerte an den verschiedensten
Veranstaltungsortendem geneigten Zuhörer dargeboten. Möglich machte diese
Vielzahl an Konzerten eine engagierte Gruppe von Jazzfanatikern (der
harte Kern besteht aus sechs Personen), die bereit sind viel Freizeit und
persönlichen Einsatz für das Zustandekommen dieses Mammutprogramms zu
opfern. Die Kommune (heuer mit 60 %beteiligt) und viele andere Sponsoren
helfen mit, den finanziellen Rahmen zu schaffen. Die Bandbreite der
Konzerte war enorm, ohne dabei geschmäcklerisch darauf zu schielen, dass
damit für 'jeden' etwas sein wird. Heimische Bands, die man in unseren
Breiten wahrscheinlich nicht kennt, hatten Auftrittsmöglichkeiten (Tiger
Dixie Band, Helga Plankensteiner & Walter Civettini Quintet, Rotalibera,
Hot Trio & Fiorenzo Zeni, Gaetano Partipilo Quintet ....) und schufen so
einen sympathischen Rahmen und eine Identifikationsmöglichkeit für das
Südtiroler Publikum. Paolo Conte durfte im ausverkauften Stadttheater
seiner alten Vorliebe für Jazz frönen. Das Duo Bakken & Muthspiel wurde
heftig akklamiert, Vincente Courtois wagte mit seinem Cello einen
Soloauftritt im Museum Moderner Kunst. Die beiden letzten Tage des
Festivals waren amerikanischen Musikern gewidmet. Die Konzerte fanden im
Schloss Runkelstein statt. Wer den steilen und steinigen Aufstieg
geschafft hat, dem bot sich ein schön und geschmacksicher renoviertes
Schloss zum Schauen und Gruseln an. Leider spielte der Wettergott nicht
mit. An beiden Tagen regnete es und die Temperaturen waren gar nicht
sommerlich. Aber dafür sorgten die Musiker für heiße Rhythmen und waren
ein Höhepunkt des Festivals (hätten wohl für jeden anderen Ort dafür
gereicht..!) Matt Darriau's Paradox Trio eröffnete den Reigen am Freitag.
Das Trio, das aus einem Quartett besteht (paradox), spielte einen hoch
konzentrierten Act. Darriau, der Chef, auf Dudelsack, Altsaxophon,
Sopranino und Flöte und gab mit dem Einsatz des jeweiligen Instruments die
folgende musikalische Richtung vor: zwischen Weltmusik, Jazz, und fast
rockigen Grooves tänzelte die Gruppe mit Leichtigkeit und souveräner
Grazie. Brad Shepik, der Gitarrist, schuf mit eigenwilliger und
eigenständiger Spielweise Reibeflächen für den Cellisten Rufus Cappadoccia.
Der tolle mazedonische Perkussionist Seido Salifoski war bei allen geraden
und ungeraden Metren zuhause, zeigte Trommelkunst, die die Zuhörer zum
Mitschnipporchester machte (für eigene Auftritte ist ein wenig Üben noch
notwendig). Manchmal hätte ich mir beim Paradox Trio einen etwas weniger
perfekten und genormten Ablauf gewünscht aber das sei nur erwähnt und ist
natürlich sehr subjektiv. Die zweite Band dieses Abends war dann das
Reggie Workman Trio. Die großen Namen des freien Jazz boten dann auch
tatsächlich das, was man von ihnen erwarten durfte. Eine authentische,
radikale Darbietung, die routiniert (altersweise) ihr Instrumentarium
nützten, die Möglichkeiten des Solo- und Duospiels miteinbezogen;
spannende Abläufe, die nicht kleine, vordergründige Erfolge suchten. Ein
wichtiger menschlicher Aspekt war der verschmitzte Humor und das nicht
ganz Ernst nehmen der scheinbaren Notwendigkeit, Pathos und Anteilnahme zu
zeigen, ob der vielen namhaften Kollegen, die leider in letzter Zeit
verstorben sind Ray Charles, Steve Lacy, Mal Waldron, Elvin Jones,
Malachi Favors....); Reggie Workman meinte dazu, lapidar, meine Schwester
und der Bruder von Andrew Cyrille sind auch kurz vor Tourneebeginn
verstorben, rückte damit menschliche Dimensionen wieder zurecht. Die kühne
Retromusik (natürlich hat man das alles schon irgendwie und irgendwo
gehört) heizte dem frierenden Publikum ordentlich ein. Besenderwisch
Cyrille, der gut gelaunte und spielfreudige Oliver Lake waren dem Leader
kongeniale Partner. Fein! Am Samstag war mit dem Henry Grimes Trio ein
weiterer Knüller angesagt. Die Geschichte des lange verschollenen
Bassisten ist ja wie eine billige Erfindung Hollywoods. Zufällig wurde der
scheue und bescheidene Musiker wieder entdeckt. William Parker schenkte
ihm einen Bass und schon konnte die Wiedergeburt musikalisch gefeiert
werden. Mit David Murray (ts, bcl) und Hamid Drake am Schlagzeug, Ikonen
des Jazz, bildete er ein Ensemble von besonderer Güte. Grimes spielte wie
Hermann Maier nach langer Verletzungspause den Hang hinunter raste: Voller
Dynamik und Spaß am Agieren. Da wird nicht ein bezahlter Gig abgeliefert
sondern mit Herzblut und ehrlichem Schweiß gearbeitet. Es macht den
Musikern offenbar Freude gemeinsam auf der Bühne zu stehen; die Post geht
ab, Gänsehaut frei Haus! Murray packt die Bassklarinette aus und brilliert
... spielt am Tenor die unwahrscheinlichsten Dinge, ganz natürlich (ich
habe den Saxophonisten in den letzten Jahren selten so gut gehört wie in
Bozen!). Hamid trommelt die beiden Kollegen ohne Schamgefühl vor sich her.
Kraftvoll, wendig, allumfassend, rotzfrech, seidenweich, so wie es eben
gerade gebraucht wird. Grimes ist nicht Begleiter sondern emanzipierter
Mitspieler, einer der behutsam auf seinen Einsatz wartet, dann loslegt und
in alter Manier seine Bassfiguren und Verzierungen auspackt. Der Leader
ist von einer störrischen Zurückhaltung geprägt. Ökonomisch geht er an
seine Aufgaben heran. Überflüssiges wird selbstverständlich ausgespart.
Hoffentlich wird diese Sternstunde des Jazz auch bald auf Tonträger
konserviert, damit der Nachwelt erhalten bleibt, was da an fragiler
Zerbrechlichkeit kurzfristig möglich wurde. Nach diesem Hammer hatte es
die folgende Band schwer vom Boden abzuheben. Das Michael Marcus Trio
machte jedoch das Beste aus der Situation und zeigte nach zögerlichem
Beginn eine gelungene Vorstellung. Marcus, vor allem durch seine
Zusammenarbeit mit Sonny Simmons bekannt (nachzuhören auf dem Label
Boxholder; erwähnenswert auch eine großartige CD auf Ayler Records mit
William Parker und Denis Charles als Sidemen, beide Label in Österreich
von Gerhard Woratschek vertrieben), hat sich da mit zwei jungen
dynamischen Kräften Tarus Mateen (bg, perc) und Nasheet Waits (dr) zu
einem Trio vereinigt, das vom Blues bis zu 'Modern Music' alles in
erfrischender Art und Weise abspulte. Zum Schluß hatte auch das Wetter mit
den Fans ein Einsehen. Alle kamen trocken heim.
Ernst Mitter
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