Modern Jazz Festival Rudersdorf

10. – 12. September 2004

 

 

Es klingt fast schon wieder sympathisch, unter welchem fantasielosen Titel Udo Preis vom Verein Limmitationes zum zweieinhalbtägigen Meeting ins südburgenländische Rudersdorf lud. Modern Jazz Festival, modern mit Betonung auf der zweiten oder ersten Silbe? Wurscht, wenn nur der Inhalt zufriedenstellt. Content, wie wir Engländerinnen sagen. „Knackig und kompromisslos“, wie Preis nicht müde wird, seinen Jazz zu reklamieren.

Aber wie klingt das konkret? Zur bedächtigen, allgemein sichtbare Phänomene des Außen- und Innenlebens beschreibenden Prosa von Judith Pouget streicht und zupft Paul Rogers den von ihm entwickelten, angeblich ganztägig strapazierten 7-saitigen Bass, dass es eine Freude, zugleich aber auch eine infolge Harmoniesucht zunehmend langweilig werdende Angelegenheit ist, die Rogers im Duo mit dem Schlagzeuger Joe Gallivan noch zu steigern vermag.

Wie überhaupt Gallivan in die Rolle des freundlichen, in seiner musikalischen Deplatziertheit jedoch allseits ungeliebten, weil fortwährend wild drauflos scheppernden Mitwirkenden hineinwächst – was am Ende des 1. Abends im Quintett mit Dieter Glawischnig, Frank Gratkowski, Andi Schreiber und Ewald Oberleitner zum unterhaltsamen Gesellschaftsspiel „vier gegen einen“ gipfelt ...

Das kommt vielleicht zwangsläufig dabei heraus, wenn Veranstalter Ensembles nach ihrem stil- und geschmacksunsicheren Gutdünken formieren, ohne auf deren Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Nützen tut das keiner und keinem. Schade drum, weil innerhalb der restlichen vier Fünftel bemerkenswertes vor sich ging: Glawischnigs lässig transportierte Kraft des Free Jazz bei gleichzeitig waghalsiger Neigung zu neuer Kammermusik, die leidenschaftliche Power-Experiment aus Gratkowskis Rohren, der dadaistische Gesang zur expressionistischen Geige Schreibers, Oberleitners teils erdige, teils kühne, wie von einem William Parker geschnitzte Figuren. Das macht schon was her.

Durch die Bank fabelhaft allerdings: der 2. Vorabendparcours, bestritten von Gerhard Altmann und Frank Gratkowski. Altmann verkörpert in seiner Literatur vielleicht am besten, was die Qualität dieser Region und damit dieses Festivals ausmacht, nämlich die mehrdeutige Mischung aus burgenländischen, kroatischen, ungarischen, steirischen und zigeunerischen Bestandteilen. In Dialektgedicht, lyrischer Erzählung und astreinem Rap hält er die Balance zu Frank Gratkowskis virtuoser, in seiner Virtuosität immer seelenvollen Solo-Bearbeitung von Altsax & Klarinette.

Entzückend auch, dass sich die jungen Jazzer jetzt an die Fersen der Avantgarde des vorigen Jahrhunderts heften: „Dirt Stream“ nennt sich das jugendliche Quintett rund um Andreas Mayerhofer, und es übersetzt Hindemith, Skrjabin und Schönberg ins Eigensinnige, erst wenn es vom strengen ins lockere Fach wechselt, fehlt es ihm an zwingender Groove. Ein Hoch aufs Musikantische zündete letztlich auch das Istvan Grencsö Kollektiv aus Budapest. Eine vergnügliche Panoramafahrt durch den aktionistischen Zirkus, das fröhliche Experiment und den swingenden Jazz – steuerbord in Richtung Mehrwert. Famos und voller Überraschungen.

Überraschungen lauerten auch sonst, wohin das Auge reicht: Gallivan war für Glawischnigs Quartett nicht vorgesehen, spielte aber trotzdem, Armin Pokorn war vorgesehen, spielte aber nicht, wegen Problemen mit den Bandscheiben, wie es hieß, der Nebenschauplatz mit propagiertem Haubenessen, das GH Leitgeb, fiel (krankheitsbedingt) ins Wasser, alles fand im GH Schabhüttl statt, Andreas Mayerhofer, der Komponist, Arrangeur und Kopf von „Dirt Stream“, wurde im Programm gar nicht angekündigt, dafür war der angekündigte Frauenchor in Istvan Grencsös Kollektiv nicht vorhanden, die finale mittägliche „Session mit fast allen Teilnehmern“ reduzierte sich auf Glawischnig, Oberleitner, Gratkowski, Rogers und Gallivan.

Rudersdorf im Spätsommer: eine Reise mit Hindernissen und dennoch (fast narrisch) gut fürs Gemüt. Und nächstes Jahr, wenn dann auch so richtig Publikum herfinden wird, wird alles noch besser. Womöglich. (felix)