MUSIC UNLIMITED Alter Schl8hof Wels 5. - 7. 11. 2004
Ein Himmel voller Geigen wölbte sich über den Alten Schl8hof und mit ihm befreundete Welser Spielorte, wie das Medien Kultur Haus, den Pavillon, das Programmkino im Stadttheater und die Minoriten, als die dreiköpfige Waschaecht-Crew mit einer Hundertschaft an Helferleins das 18. “music unlimited”-Festival ausrichtete. Und das, wie es sich für einen Himmel gehört, der seinen Namen verdient, mit einem gehörigen Frauenanteil, nämlich gut 20 der rund 50 beteiligten Musiker/innen von 4 Kontinenten.
Geigen- und Frauen-mäßig ging’s gleich am Anfang zur Sache: mit dem Dafo-Streichquartett aus Krakau, das sich nach einem Warm-up auf Erwin Schulhoff-Basis dem 2. Streichquartett von Henryk Gorecki verschrieb. Dem emotional sehr aufgeladenen, ja aufwühlenden Stück wurden die vier jungen Polinnen in erstaunlicher Weise gerecht. Zwischendurch rockte es richtig. Nur gut, dass zum Drüberstreuen eine kleine Penderecki-Pièce die Gemüter wieder zu beruhigen wusste. Wer spielte sonst noch die erste Geige (in diversen Verwandtschaftsgraden)? Auf jeden Fall Ernst Reijseger, dessen Cello sich sämtlichen Windungen und Verästelungen seiner senegalesischen Partner des Système D, Mola Sylla & Serigne C. M. Gueye, bis ins Detail folgte, in der Improvisation die Spitze übernahm und in den bis zur Zärtlichkeit stillen Liedern die perfekte Begleitung. Immer auf niederer Stufe köchelnd und, wie von Reijseger gewohnt, mit originellen theatralischen Einschüben. Menschlich berührend, zumindest wenn man die Scherereien, mit denen Reijseger im Konzertvorfeld den Tontechnikern zu schaffen machte, gering achtet.
Von Mark Feldmans Trio mit Wilbert de Joode (mit einem prima Solo im Pavillon zusätzlich im Einsatz) und Michael Vatcher hätte man vielleicht etwas mehr als Perfektion und Virtuosität erwartet; eine Schlappe - wie dem völlig verunglückten Schlusskonzert des Robert-Wyatt-Fanprojekts Dondestan! - kann man ihm dennoch nicht attestieren. Allerdings kein Vergleich zu den heimlichen Winnern von unlimited XVIII: Two Foot Yard aus Neu York. Da verdichtete sich die Ahnung, warum Herr John Zorn Frau Carla Kihlstedt so fördert, zur Selbstverständlichkeit. Kihlstedts Performance, herzallerliebst attestiert von Marika Hughes (Cello) und Shahzad Ismaily (Drums, Gitarre) ließ keine Wünsche offen. Songs, sowohl politisch als auch privat berührend, reihten sich fast nahtlos aneinander - gipfelnd in einer E. E. Cummings-Vertonung, für die als flirtende Männerstimme jene von Festival-Mastermind Wolfgang Wasserbauer mobilisiert wurde. Entzückend, Baby.
Apropos Geigen: Auch nicht übel, mit welch selbstbewusstem Dilletantismus die Twenty-Somethings der britischen Girlies-Band Electrelane am Samstags-Finale geigten. Unnachahmlich unbedarft und charmant, woran auch die routinierten Gäste Terrie & Andy von “The Ex” nichts grundlegend änderten, sie halfen nur unaufdringlich mit prächtigem Vorschub, auf dass der Abend im Soundgewitter unterging. Zwischen prächtig und mittelprächtig pendelten ferner - von oben nach unten gesehen - das Trio von Susie Ibarra, die französischen Beiträge von Mis à part und Volapük und Hannes Löschels Krakty Baschik. Während der gute alte Fred Anderson von seinem einstigen Schützling Hamid Drake schon wesentlich profitierte. Eigentlich unfassbar, mit welcher Leichtigkeit Hamid die Sache mit fünf Stockhieben resp. Streicheleinheiten auf höchstem Niveau ins Schweben bringt - und dort für die Fortdauer des Konzerts in der Schwebe hält, selbst wenn seinem Partner längst die Luft ausgegangen sein wird.
Ein Kunststück, das mit gänzlich anderen Mitteln The Necks zuwege bringen. Im sakralen Raum des ehemaligen Minoritenklosters meditiert man minimalistisch, bis den Hörer/innen der Atem stockt. Wenn so viel zu hören ist, wo so wenig gespielt wird, muss man Abrahams, Swanton & Buck ins Reich des Phänomens rücken. Überraschend gelingt Ähnliches selbst dort, wo die Chemie offensichtlich weniger stimmt - wie beim Quartett von Ikue Mori, Catherine Jauniaux, Sylvie Couvoisier & Christian Fennesz. Klimatische Störungen hindern die Klavier-Stimme-Computer-Gesellschaft offenbar keineswegs am reibungslosen Funktionieren. Müssen wir uns neuerdings nicht mehr gut verstehen, um gute Arbeit abzuliefern? Es hat ganz den Anschein. Insbesondere die Breitwand-Effekte von Fennesz’ Effekten an Notebook und (jetzt wieder öfter) Gitarre erheben die Analog-Digital-Partie zum akustischen Ereignis.
Blieb noch eine, wie man hört, nennenswerte Spezialität nicht besucht - das mittägliche Galerie-Meeting von Noid & Manfred Hofer alias Nima (irgendwann, so leid es mir tut, muss der Mensch auch schlafen) - eine andere dafür sehr wohl: die Manuela von Hans Reichel, Rüdiger Carl und Carlos Zingaro. Meine Güte, so bittere Lieder (nur ein Beispiel: “People in whirlpools never fail”) zu melancholischen Miniaturen verdichten, wer brächte das sonst zustande? Manuelas Grundstimmung ist schnell skizziert: Sie bewegt sich zwischen Aussichtslosigkeit und Fernweh, beides hübsch maßlos. Fragt sich bei der Gelegenheit, ob sich Rüdiger Carl eigentlich zum Hans Albers unserer Tage eignet. Antworten bitte an die Redaktion senden!
Ach ja, noch ein Indiz für die anziehende Wirkung von “unlimited”: Weil sie mit den Schweiz-Konzerten gerade fertig wurden und jene in Österreich noch bevorstanden, nutzten Lucas Niggli, Barry Guy und Jacques Demierre ihren freien Tour(sonn)tag zum Festivalbesuch in Wels. Hm, wer könnte es ihnen verdenken.
felix
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