Der schlafende Drache Graf Hombug stand gerade in einem Eissalon von Brasilia und überlegte ob Pistazien oder Vanille wohl besser sei. Leider konnte er diese Frage weder theoretisch noch praktisch zu Ende führen, da zwei dezent gekleidete Herren ihn in die Mitte nahmen. "Wir sind von den Babysittern" murmelte der Linke. "Das Baby weint" flüsterte der Rechte. Hombug hatte natürlich kein Baby, dennoch wußte er genau was gemeint war. McFertig war gerade dabei, in einer Kneipe am Rande des Raumhafens von Brasilia eine kleine Diskussion durchzuführen. Er duckte sich gerade unter einem linken Haken seines Diskussionspartners weg, als dieser, völlig unsportlich, von einem grau gekleideten Herrn von hinten niedergestreckt wurde. McFertig holte kräftig aus, wurde aber durch das Wort "Babysitter" sofort wieder ruhig. Hombug, sowie auch McFertig wurden von den Geheimdienstleuten in schnelle Verkehrsgleiter gestopft, und in rasender Fahrt zum Raumhafen gebracht. Hombug musterte den Himmel, ob er vielleicht eine fremde Raumflotte erblicken konnte. "Weint" war jedenfalls Vollalarm. Dennoch wirkte der Raumhafen ganz nach normalem Dienstbetrieb. Das konnte nur ein äußerst dringender Einzelauftrag sein, dachte er sich. Bei der Flugleitung bekam er Flugdaten und Schiff zugewiesen, sowie ein rotes Kuvert überreicht, mit der Aufschrift: "Nach dem Start öffnen". Das Schiff war ein schneller Kurierkreuzer, der Kurs führte zu Barnards Stern, sechs Lichtjahre vor der Haustür der Erde. Dem Brief zufolge übernahmen sie im Raum von einem anderem Kurierschiff einen Mann. Beide Schiffe beschleunigten während des Rendezvousmanövers weiter, dann drehte das andere ab. Der Mann entpuppte sich anschließend als Historiker mit dem Spezialgebiet Raumfahrtgeschichte. McFertig bemerkte, daß jetzt auch die letzte Klarheit beseitigt war: "Das Gebiet um Barnards Stern, drei Lichtjahre im Radius, ist doch schon seit Alters her militärisches Sperrgebiet. Ein Exerzierplatz in der Nähe des Zentrums des Terranischen Imperiums." Der Historiker Dr. Kriebel erklärte: "Bis vor kurzem habe ich das auch gedacht. Nur wenige Eingeweihte wissen, daß in diesem Sperrgebiet noch niemals jemand exerziert hat. Barnards Stern ist eine uralte Sonne. Auf den zehn Monden des einzigen Planeten, der übrigens sehr groß ist, existiert intelligentes Leben. Diese Rasse ist der Menschheit um ein paar Millionen Jahre voraus. Sie hatte früher auch die Kontrolle über die Galaxis, zog sich später aber in einige ausgesuchte Systeme zurück, und wünscht nicht gestört zu werden. Das erste Raumschiff der Erde wurde drei Lichtjahre vor Barnard von ihnen eingefangen. Die Leute wurden informiert und auf Gegenkurs gesetzt. Mit dem Hinweis allerdings, daß, wenn ein von Menschen gefertigtes Objekt sich näher als drei Lichtjahre Barnard nähern würde, man die Erde zu Staub zerblasen würde. Das gilt auch jetzt noch, und ansonsten sind die Barnards offenbar friedlich. Unsere Raumüberwachung patrouilliert etwa dreieinhalb Lichtjahre von Barnard, auf einer Raumkugel verteilt, und knallt natürlich alles ab was nach Raumschiff aussieht. Dieser Teil der Geschichte ist auch der Öffentlichkeit bekannt." Graf Hombug fand den Gedanken an den großen Bruder irgendwie beunruhigend. Immerhin gab es keinen vernünftigen Grund, warum es keine alten Rassen geben sollte. "Und jetzt", so dachte er, "rasen wir ihnen direkt in die Fänge". Dr. Kriebel war noch nicht fertig. "Ich selbst stieß auf die Barnard-Geschichte nur auf Umwegen. Ich untersuchte die Frühgeschichte der terranischen Raumfahrt, besonders aber die dunklen Jahrhunderte. In alten Dokumenten fand ich, daß man schon im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert interstellare Sonden gestartet hatte. Aufgrund ihrer außerordentlichen Langsamkeit würden sie Jahrzehntausende bis zu irgendwelchen Fixsternen brauchen. Leichtfertigerweise hatte man ihnen Schrifttafeln mit der Position der Erde, und andere militärisch wichtige Daten mitgegeben. Diese naiven Romantiker dachten natürlich nicht an die Folgen ihres Leichtsinns. Immerhin sind die Dinger so langsam, daß wir sie bequem einsammeln können, bevor irgend jemand bemerkt was da los ist. Außerdem sind sie von historischem Wert. Wissen wir doch noch sehr wenig über diese finstere Epoche. Ich errechnete die Positionen von Pioneer 10 bis 18 und marschierte ahnungslos zum Büro der Raumüberwachung. Normalerweise bekommt man als Geschichtsforscher weder leicht noch schnell eine Regierungssubvention. Die Beamten der Raumüberwachung wurden jedoch sehr aufmerksam, als ich ihnen die Geschichte mit den Schrifttafeln vorlegte. Ich wanderte zum Chef persönlich. Dieser blätterte die Positionsdaten durch und wurde blaß. Er brüllte: 'Wo, sagten sie, soll Pionier 17 sein?' Ich erläuterte: 'Pioneer 17 war eine von den letzten, relativ schnellen Sonden. Er funkte Bilder von Pluto zur Erde, und wurde von Pluto in Richtung Barnards Stern gelenkt. Nach zweitausendsiebenhundert Jahren wird er rund drei Lichtjahre geschafft haben, und daher ziemlich genau auf halbem Weg sein. Dort passiert ihm bestimmt nichts, es ist sowieso militärisches Sperrgebiet.' Der Chef sprang auf und brüllte: 'Wahnsinn!' Dann betrachtete er mich, und erklärte: 'Die Geschichte dieses Sperrgebietes schaut etwas anders aus als sie glauben.' So erfuhr ich das Barnard-Geheimnis." Graf Hombug äußerte die Ansicht, daß das alles von der Wachflotte thermonuklear bereinigt werden könnte. Dr. Kriebel meinte: "Was die Raumüberwachung so nervös macht, ist die Tatsache, daß sie die Sonde nicht finden können, obwohl sie nachweislich schon innerhalb des Abwehrringes sein muß. Dort wimmelt es natürlich von Suchschiffen, jedoch ist die Ortung ungeheuer schwierig. Das Suchvolumen hat immerhin einige Lichttage Ausdehnung. Die Sonde ist nur wenige Meter groß, wenig für eine Reflexortung. Sie hat nur wenige Tonnen Masse, wenig für eine Masseortung. Sie hat garantiert genau die Strahlungstemperatur des leeren Raumes, also keine Infrarotortung. Sie wurde wahrscheinlich vom kosmischen Staub matt und dunkel gescheuert, also wenig optische Ortung. Sie ist zur Staubmaterie aber so langsam, daß sie in ihr keine Bremsstrahlung erzeugt, wieder nichts. Zu allem Überfluß besitzt sie keine Spur gespeicherter Energie mehr, und fliegt natürlich ohne Triebwerksemission, was beide Arten der Energieortung unmöglich macht. Die Flotte hofft auf einen Zufallstreffer der Reflexortung, wenig genug, denn Radarimpulse kann man nur bei langsamen Flug wieder einfangen, andererseits brauchen diese minutenlang zur Erfassung kleinerer Volumina." McFertig zitierte: "Jetzt kann uns nur noch ein Wunder retten," sagt der Chef, und er läßt Graf Hombug und McFertig kommen. Graf Hombug betrachtete den kombinierten Ortungsschirm, auf dem er das gesamte Suchgebiet überblicken konnte. Dieses war ein wahres Dickicht aus Reflexen, Triebwerksemissionen, Masseimpulsen, und so weiter. "Die können ja auch gar nichts finden," meinte er, "die steigen sich ja gegenseitig schon auf die Zehen." McFertig erwähnte das alte Sprichwort vom Wald und den Bäumen, die man nicht sehen konnte. "Das ist ja nicht mehr mit anzusehen," murmelte Graf Hombug. Er nahm sein rotes Kuvert zur Hand, es waren alle Sondervollmachten drinnen. "Was immer wir auch machen," meinte er, "wir brauchen völlige Ortungsstille." Graf Hombug übernahm das Kommando nach Dienstvorschrift, dann brüllte er die Kommandanten der Suchflotte an, sie mögen gefälligst verschwinden, bevor er ernstlich böse werden würde. Als er den sich langsam klärenden Bildschirm betrachtete, sagte er zu McFertig: "Siehst Du, hier hast Du mal ein Problem, das Du nicht durch den Abschuß von Gigatonnenbomben lösen kannst." McFertig sprang auf und rief: "Wer sagt es denn?" Er fixierte Graf Hombug und setzte fort: "Danke für die Anregung." Graf Hombug begann schon das schlimmste zu befürchten. McFertig setzte sich wieder und fuhr fort: "Wenn wir ungefähr in der Mitte der Suchregion eine Hundertgigatonnenbombe zur Explosion bringen, dann muß der verdammte Pioneer 17 selbst dann etwas wärmer werden, wenn er sich am Rand der Suchregion befindet. Dann gehen wir auf Infrarot, und haben ihn." Er blickte Beifall heischend in die Runde. "Wenn wir ihn aber versehentlich getroffen haben sollten," er lächelte tückisch, "dann sind wir ihn ebenfalls los." "Die Idee hat etwas für sich," meinte Graf Hombug, "aber woher nehmen wir in diesem Fall die Gewißheit?" Dr. Kriebel warf ein: "Durch Spektralanalyse. Pioneer 17 enthält unsinnige Mengen Aluminium. Damals hatte man sehr kuriose Bauweisen." McFertig klappert auf der Tastatur der Feuerorgel herum, dann raste das Fusionstorpedo in das Zentrum der Suchzone. Anschließend zog er aus einem abgeschabten Seesack eine Flasche Wodka hervor, und meinte: "Jetzt gebe ich ein paar Runden aus." Dr. Kriebel war entsetzt, Graf Hombug klärte ihn aber auf: "Das nahezu lichtschnelle Torpedo braucht ein paar Stunden hinein. Das Licht braucht ein paar Stunden heraus. Das Infrarot messen wir noch später, wenn die Gaswolke der Bombe dünn genug geworden ist." Dr. Kriebel machte beruhigt mit. Am nächsten Normtag erwachte er mit einem entsetzlichen Kater. Er fragte sich wie McFertig eine so gewaltige Menge dieses furchtbaren Fusels lebend überstehen konnte. Dieser aber werkte schon munter in der Steuerzentrale, als Dr. Kriebel eintrat. Graf Hombug erläuterte: "Im Blitz der Bombe war kein Aluminium." McFertig suchte zuerst mit dem Infrarotteleskop jenen Teil des Suchgebietes ab, der Barnards Stern am nächsten war. Schließlich war eine etwaige Sonde dort am gefährlichsten. Es war ein schlechtes Zeichen, daß er bald Erfolg hatte. Er wies auf ein winziges rötliches Pünktchen und meldete: "Grenzverletzung steht unmittelbar bevor." Graf Hombug überlegte halblaut: "Wenn wir jetzt hin donnern und das Ding in die Luft jagen, dann liegt unser Bremsweg nachher in der Barnard-Region. Also machen wir vorher eine große Kurve, und fliegen das Ziel tangential zur Grenze an. Mit voller Kraft müßten wir das schaffen." Das Triebwerk donnerte mit Vollast, und McFertig begann seine Feuerorgel abzustimmen. Solche Aktionen waren sein Lebenselement. Bald hatte er den Ortungspunkt im Zielkreuz. Bei dem Abschlußcheck bemerkte er das Furchtbare. "Waffenfunktionsstörung in allen Teilsystemen." Graf Hombug brüllte durch den Lärm des Triebwerks: "Riesiger Ortungsreflex aus Richtung Barnard, rasche Annäherung, Kollisionskurs!" McFertig versuchte das Kreischen des überlasteten Schutzschirmgenerators zu überschreien: "Die Störung der Waffenfunktionen wird von außen induziert. Starker Abfall in der Schutzfeldenergie." Graf Hombug vermutete pessimistisch: "Es sieht fast so aus, als würden wir Ärger mit den Barnards bekommen." Graf Hombug programmierte den Autopiloten exakt auf Pioneer 17, und freute sich, daß die Barnards nur das Waffensystem blockiert hatten. Dann zog er die Reaktorsicherungen heraus. Beim Aufschlag wurde das Schiff zur Bombe werden, und zu keiner kleinen. Sie hechteten im Schutzanzug aus der Luftschleuse, wobei sie darauf achteten die Richtung von Barnard weg zu erwischen, und drehten die Anzugtriebwerke auf volle Kraft. "Hoffentlich kommen wir aus der Explosionszone rechtzeitig heraus," dachte Graf Hombug, dann verlor er das Bewußtsein. Graf Frederik Hombug erwachte in einer großen Halle, die ganz typisch nichtterranischer Bauart war. Er rüttelte McFertig und Dr. Kriebel wach, die beide neben ihm auf dem Fußboden gelegen hatten. Nach einiger Zeit erschien ein barnardischer Kommunikationsroboter, in Form eines etwa metergroßen Käfers, der in fehlerfreiem Angloterranisch verkündete: "Wir haben eure Aktion mit großer Belustigung verfolgt. Ihr seid zwar recht tollpatschig, habt aber guten Willen gezeigt." "Es gab doch gar keine Grenzverletzung," bemerkte Graf Hombug. "Das ist richtig," krächzte der Käfer, "es haben noch zweihundert Kilometer gefehlt. Da wir euren Friedenswillen anerkennen, wurden wir auch über eine humanere Formulierung unseres Vertrages verhandeln. Die Grenze bleibt natürlich." Graf Hombug feilschte also mit dem Roboter, der als Teppichhändler in Bagdad große Gewinne erzielt hätte. Immerhin gelang es Graf Hombug eine Richtfunkstrecke für Notfälle, eine Unfallklausel und sonst noch einiges an Sicherheiten herauszuschinden. In der Nachbarhalle fanden sie dann noch zwei unerwartete Dinge. Ihr Kurierschiff und Pionier 17. Der Käfer erläuterte: "Da wir mit Gammastrahlenleichen nicht verhandeln konnten, haben wir den ganzen Vorgang etwas abgekürzt. Außerdem hat Pioneer 17, wie sie schon sagten, historischen Wert. Allerdings steht eine Kopie davon schon seit zweitausend Jahren in unserem Museum. Nehmen sie ihn also mit." Der Chef der Raumüberwachung empfing Graf Hombug mit den Worten: "Ich dachte schon, Sie wollen das halbe Universum in die Luft jagen, und das noch dazu unter der Nase der Barnards. Was um Himmelswillen haben sie jetzt wieder angestellt?" Graf Hombug erklärte ihm kurz: "Rick McFertig hat ein neues Ortungssystem erfunden. Ich habe einen neuen Vertrag mit den Barnards ausgehandelt. Es besteht also kein Grund zur Unruhe." Der Chef ging zum Tresor in der Rückwand des Raumes, und nahm eine Wodkaflasche heraus. "Jetzt gebe ich ein paar Runden aus," meinte er. Dr. Kriebel begann sich langsam an die Sitten der Raumfahrer zu gewöhnen.