Parallelen Es war einmal ein Chemotechniker, der in einem großen pharmazeutischen Forschungsinstitut arbeitete. Er hatte das Ziel, eine Substanz zu entwickeln, die Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme tötete, ohne die Patienten ebenfalls umzubringen. Der letztere Teil war der schwierigere Teil dieser Aufgabe. Dieser Chemotechniker hatte durch das Studium zahlreicher spannender Science-Fiction-Romane, und auch von einigen wenigen langweiligen Physikbüchern, Kenntnis von der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik von Hugh Everett, die er für ziemlich überzeugend hielt. Weil so ein Chemotechniker aus ungefähr 10 hoch 28 Atomen besteht, gibt es in den vielen parallelen Welten bereits 10 hoch 28 Chemotechniker, die sich nur durch ein Atom von einander unterscheiden. Weil solche Chemotechniker ungefähr 10 hoch 14 Synapsen besitzen, und weil jeder synaptischer Spalt aus ungefähr 10 hoch 10 Atomen besteht, würde der Austausch von einigen wenigen Atomen praktisch keine Unterschiede im körperlichen und geistigen Verhalten bewirken. Jetzt haben wir eine wirklich sehr große Anzahl von Chemotechnikern, die haargenau das Gleiche denken und planen, und die natürlich keinesfalls alle die gleiche Substanz synthetisieren, derivatisieren und testen wollen, nur weil sie ihnen allen zugleich einfällt. In einem dickwandigen Bleibehälter lagert 1 Millicurie Chrom 51 Natriumchromat-Lösung von Amersham, und in einem Nebenraum steht ein Packard Cobra 5005 Gamma Counter, der seine Zählergebnisse praktischer weise auf Computerdisketten schreiben kann. Vermutlich werden diese Zählergebnisse in jeder parallelen Welt unterschiedlich sein, weil sich jeder Chrom 51 Atomkern frei entscheiden kann, ob und wann er ein Elektron einfängt. Aus diesen echten, quantenmechanischen Zufallszahlen erzeugt man dann Chemical Abstracts Service Registrierungsnummern für chemische Verbindungen. Natürlich wird man einige dieser Verbindungen nicht verwenden können, wie zum Beispiel Plutoniumchlorid, Kaliumcyanid oder Trinitrotoluol. Dann synthetisiert, derivatisiert und testet jeder der vielen Chemotechniker einige der von den Chrom 51 Atomen ausgewählten Substanzen, die von manchen Leuten Schrödinger-Katzen-Moleküle genannt werden. Nun organisiert sich jeder Chemotechniker aus dem Vortragssaal einen großflächigen, hochauflösenden, transparenten Flüssigkristallbildschirm, der normalerweise zum Auflegen auf den Overheadprojektor verwendet wird, und der praktischer weise von einem Computer angesteuert werden kann. Außerdem liegen in diesem Vortragssaal auch einige Laserpointer herum, deren Verschwinden ohnehin keiner bemerken wird. Der Computer erzeugt auf dem transparenten Flüssigkristallbildschirm ein holografisches Beugungsgitter, und mit dem Laserpointer, einer Lupe und einem weißen Blatt Papier bekommt man ein schönes Beugungsmuster. Nur die wenigen Chemotechniker, deren Substanz erfolgreich im Test war, codieren die Bezeichnung dieser Substanz in das Beugungsgitter ein, während die vielen Chemotechniker mit den erfolglosen Substanzen das Beugungsgitter völlig ungestört lassen. Weil die Photonen viele Wege in vielen Welten gehen, sollten sich diese Störungen des Beugungsmusters ebenfalls in vielen Welten zeigen. Natürlich müssen sich alle diese Chemotechniker auf die gleiche Zeit und den gleichen Ort für diese Kommunikation zwischen den Welten einigen, weil das Synthetisieren, Derivatisieren und Testen der verschiedenen Substanzen auch unterschiedlich lange dauern wird. Die stillschweigende Kooperation und Koordination von praktisch identischen Chemotechnikern stellt absolut kein Problem dar. Jene Chemotechniker, die inzwischen gestorben sind, erzeugen ohnehin kein Beugungsbild mehr. Für den Fall, dass es ein mehrdeutiges Ergebnis gibt, dann kommen in einem zweiten Durchlauf diese Substanzen in die engere Wahl. Nach einigen Durchgängen besitzen dann alle Chemotechniker in allen Welten die wirksamste Substanz. Alle diese Chemotechniker erhalten eine Gehaltserhöhung und freie Hand bei der Auswahl ihres Forschungsthemas. Ihr Forschungsthema wird natürlich sein, eine Substanz zu suchen, die die biologische Unsterblichkeit bewirkt. Und eventuell könnten für sie als angenehme Nebenprodukte noch ein Physik-Nobelpreis und ein Medizin-Nobelpreis heraus kommen. (Jede Ähnlichkeit mit lebenden Chemotechnikern und existierenden pharmazeutischen Forschungsinstituten ist reiner Zufall.) Nachbemerkungen: Die wenigen Chemotechniker, deren Substanz erfolgreich im Test war, dürfen ihr Beugungsgitter nur geringfügig modifizieren, damit das Beugungsmuster in allen Welten zum größten Teil erhalten bleibt. Streng genommen ist das beschriebene Gesamtsystem ein Quantencomputer aus vielen überlagerten Chemotechnikern. Nitroglycerin wurde als Medikament gegen Angina pectoris eingesetzt. Deshalb sollte man auch das Trinitrotoluol nicht vom Test ausschließen. Die Chemical Abstracts Service Registrierungsnummern für chemische Verbindungen sind nicht die einzige Methode um die echten, quantenmechanischen Zufallszahlen zu verwenden. Man könnte damit Peptide codieren, was 20 hoch der Anzahl der im Molekül verwendeten Aminosäuren an möglichen Molekülen ergibt. Man könnte damit Nukleinsäuren codieren, was 4 hoch der Anzahl der im Molekül verwendeten Nukleotide an möglichen Molekülen ergibt. Parallel-Universen, von Max Tegmark, deutscher Text, keine Bilder: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2003, Seite 34, https://www.spektrum.de/magazin/parallel-universen/830044 Parallel-Universen, von Max Tegmark, englischer Text, bunte Bilder: http://space.mit.edu/home/tegmark/crazy.html Zeitreisen im Multiversum: Die Quantenphysik der Zeitreise, David Deutsch und Michael Lockwood, Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 50, https://www.spektrum.de/magazin/die-quantenphysik-der-zeitreise/821917 Jedes Teilchen hat am Start mehrere verschiedene Zukünfte, und hat auch am Ziel mehrere verschiedene Vergangenheiten, die zusammen das Interferenzmuster erzeugen. Es gibt nicht nur mehrere Zukünfte zu einer bestimmten Gegenwart, sondern es gibt auch mehrere Vergangenheiten zu einer bestimmten Gegenwart. Das ganze Multiversum ist deshalb kein verzweigter Entscheidungsbaum, sondern ein höherdimensionaler Block. http://members.chello.at/karl.bednarik/MULTIVER.jpg (Die Bezeichnung der waagrechten Achse ist unglücklich gewählt.) Glücksspiel im Multiversum: Die Wahrscheinlichkeit für einen Sechser im österreichischen Lotto 6 aus 45 beträgt eins zu 8145060. Wenn man 1000-mal spielt, dann ist die Gewinnwahrscheinlichkeit eins zu 8145. Daher wäre dann in einem von 8145 aller Paralleluniversen jeder Mensch, der sich so verhält, sehr reich, denn geistig ähnliche Menschen verhalten sich auch ähnlich, was deren stillschweigende Kooperation ermöglicht. Bei meinem Alter und bei meiner früheren Lebensweise lebe ich vermutlich nur noch in 1/4 jener Welten, in denen ich im Alter von 10 Jahren existiert habe. Aber in 1/8000 aller dieser Welten bin ich sehr reich.