HOME --> Themen -> LAND -> 100 Jahre Tram Triest - Opicina


100 Jahre Tram Triest - Opicina, Gerald Kerschbaum


Die Triestiner Sraßenbahnlinie No.2 beging am 9. September 2002 mit einem Festakt das 100 jährige Betriebsjubiläum. Der Triebwagen No 1 nahm die Jubelfahrt vor.

Derselbe TW No.1, im Jahre 1901 bei der Weitzer Waggonfabrik in Graz fertiggestellt, war schon am 9. September 1902 der Eröffnungswagen der Strecke. Die elektrische Ausrüstung stammt von der "Österreichischen Union Electricitäts Gesellschaft in Wien". Nach der Anschaffung neuer Drehgestellfahrzeuge diente er etwa ab 1939 bis 1991 als Arbeits- und Turmtriebwagen. Bereits zur 90-Jahr-Feier 1992 liebevoll restauriert und in den Bauzustand der 20er Jahre rückgebaut, zählt er heute zu den ältesten betriebsfähigen Straßenbahnfahrzeugen.

Triebwagen 1 in Opicina Triebwagen 1 innen
Triebwagen 1 in Opicina
Triebwagen 1 innen

Es war wohl der Zug der Zeit und ihrer Technik, daß in den Metropolen der Donaumonarchie Bergbahnen zu Ausflugszielen auf den Hausbergen errichtet wurden.

Die unvergessene Wiener Zahnradbahn auf den Kahlenberg (1874) und die Standseilbahn auf den Leopoldsberg (1873) wurden bedauerlicherweise 1924 und 1877 abgetragen und sind wohl für immer verschwunden.

Wer mit den baugleichen Gegenstücken in Budapest auf den Schwabenberg (heute Szabadsag - hegy, Szechenyi- hegy) und auf den Burgberg gefahren ist, weiß um den unersetzbaren Verlust für Wien.

Auch in Triest beschäftigte man sich seit 1879 mit der Idee einer Bergbahn. Es brauchte wohl einige Jahre um die Voraussetzungen technischer und finanzieller Art zu schaffen - auch die politische Meinungsbildung geht ja nicht von Heut´ auf Morgen. Die Planung sah die Errichtung einer Straßenbahn zwischen dem Casermaplatz (heute Piazza Oberdan) und dem 326 m höher gelegenen Dorf Opicina, einem Weinort und großen Güterbahnhof der k.&.k. Südbahn (Wocheiner Bahn) vor. Am Casermaplatz kreuzten einander zwei Straßenbahnlinien. Zur Jahrhundertwende wurde begonnen, von der Pferdetramway auf elektrischen Betrieb umzustellen. So wurde auch die ursprüngliche Planung einer Dampftraktion nach Opicina zu Gunsten des elektrischen Betriebes verworfen. Der endgültige Entwurf stammt von den Ingineuren Geiringer und Seligmann.

Die Kommissionierung zur Trassen- und Stationsrevision für die : "projectirte mit der Spurweite von 1,00 m auszuführende elektrisch zu betreibende Kleinbahn gemischten Systems von Triest über Scorcola nach Opicina" (Zitat) fand am 15. Juli 1899 statt. Der Grundeinlösungsplan ist mit 7. Juni 1900 datiert.

Das Triest des Jahres 1901 war "die" blühende österreichische Hafenstadt. Seit Karl VI (1717) Freihafen, hatte die Stadt in der Regierungszeit Maria Theresias einen sagenhaften Aufschwung erlebt und war zum wichtigsten Handelshafen der Donaumonarchie avanciert.

Weshalb ist diese "Ausflugstram" jetzt eine kleine Abhandlung wert ?

In den besseren Reiseführern erwähnt, wird die Bahn als "Zahnradbahn" deklariert, obwohl diese Angaben seit 1927 (!) überholt sind.

Begeben wir uns an den Ort des Geschehens !

Auf dem Weg nach Triest, man befahre ab Monfalcone die A4 / E 70 findet man die Ausfahrt Prosecco - leicht zu merken - und folgt den Wegweisern nach "Villa Opicina". Bei dem letzten Kreisverkehr vor dem Ortszentrum überfährt man erstmals die Meterspurgleise und folgt diesen nach Norden. Nach wenigen hundert Metern findet man linkerhand die Remise und Endstation (seit 1936) der Bahn. Biglietti gibt´s beim Automaten. Die einfache Fahrt zwischen den Endstationen kostet 85 €-Cent und die Tram fährt alle 20 Minuten.

Nach kurzer Zeit fährt ein blau-weiß lackierter Zweirichtungswagen in das Stockgleis der Haltestelle ein. Er fährt auf zwei Drehgestellen, besitzt einen Scherenstromabnehmer und drei Türen. Interessant ist der zentrale Puffer, der dick mit Schmierfett belegt scheint. Das einfache Fahrgastleitsystem weist die mittlere Türe als Ausstieg aus. Bei den Einstiegen befinden sich die Entwerter und die verglasten Fahrstände. Der Triebfahrzeugführer verrichtet seinen Dienst im Stehen. Nach einem kurzen Schwätzchen mit einem Kollegen nimmt der Fahrer seinen Platz ein, steckt seine Kurbel und seinen Bremshebel an, schaltet den Hauptschalter ein - ein Kompressor springt an - schließt die Türen und fährt pünktlichst aus der Station aus.

Triebwagen 404 vor der Abfahrt Triebwagen 404 innen
Triebwagen 404 vor der Abfahrt
Triebwagen 404 innen

Die Strecke ist eingleisig und die Haltestellen scheinen grundsätzlich Bedarfshaltestellen zu sein.

Die Stationen "via Nazionale" und "Campo Romano" werden zügig durchfahren. Der erste Halt nach 893 m auf fast ebener Strecke ist der "Obelisco", der höchste Punkt der Strecke. Es eröffnet sich eine wunderschöne Aussicht auf den Golf von Triest und die Stadt selbst.

Blick vom Obelisco auf den Golf von Triest
Blick vom "Obelisco" auf den Golf von Triest

Unmittelbar nach diesem Aussichtspunkt, der an Kaiser Franz (richtig, den "Guten") und die Eröffnung der Via Germania Triest - Wien erinnert, beginnt das erste stärkere Gefälle. Bis zur nächsten Haltestelle, "Banne" sind es 709m Schiene und 38m Höhenunterschied. Hier findet sich auch eine Ausweiche. Ein Triebwagen bei der Bergfahrt kommt entgegen. Über dem Stirnpuffer sind zwei Fahrräder als Außenlast montiert, zweifellos eine originelle Transportmethode.

Durch Wald- und Villengebiet geht es talwärts. Vor den unbeschrankten Straßenquerungen kommt ein schrilles Druckluftpfeiferl zum Einsatz. Die Haltestellen "Conconello" (263m), "Cologna Chiesetta" (221m) und "Cologna Campo Sportivo" (210m) werden bedient. Der Fahrgastwechsel erfolgt sehr zügig. Es folgt eine lange Gefällestrecke bis Scorcola.

Die Haltestelle Vetta Scorcola befindet sich auf einem kleinen Plateau und fällt durch ein Stockgleis auf einem steil ansteigenden Gegenhang auf. Ähnlich der Ausrollstrecken auf Paßstraßen stellt dies wohl die letzte Rettung bei Bremsversagen dar. Hier befindet sich auch die burgartige Villa Geiringer. Bis 1927 wartete hier eine kleine E-Zahnradlok mit zwei Lyrabügeln auf einem kurzen Parallelgleis.

Heute befindet sich hier die Bergstation der STANDSEILBAHNSTRECKE:

Bergstation der Standseilbahn Villa Geiringer
Bergstation der Standseilbahn
Villa Geiringer

Der Wechsel von der Adhäsionsstrecke zur Standseilbahn vollzieht sich dergestalt, daß sich der Triebwagen bergseitig an den orangenfarbig lackierten Standseilwagen "carro scudo" anlehnt und mit einer Steuerleitung verbunden wird. Der Führer des "carro scudo" steuert die Talfahrt und der Triebfahrzeugführer betätigt lediglich die Türfreigabe in den Stationen "Romagna" und "S.Anastasia".

Auf halber Strecke begegnen einander die tal- und die bergfahrende Kombination. Jetzt sitzt es sich am besten gegen die Fahrtrichtung, da man bei maximal 26% (Prozent !) Gefälle auf den Sitzbänken ein wenig ins Rutschen kommt.

Begegnung Die letzten Meter mit 26 % Gefälle
Begegnung
Die letzten Meter mit 26 % Gefälle

Aus der gartenähnlichen Streckenumgebung kommt man in einer engen Linkskurve auf die "Piazza Scorcola" und ist mitten im Triestiner Verkehrsgewühl. Hier löst sich der Triebwagen über eine Parallelweiche rückwärts vom Standseilwagen und legt die letzten 405 Schienenmeter zur Endstation zurück. Man ist jetzt nur mehr 400 m vom Hafen entfernt.

Einfahrt in die Triebwagen löst sich vom Standseilwagen
Einfahrt in die "Piazza Scorcola"
Triebwagen löst sich vom Standseilwagen

Die Kombination aus Adhäsionsstrecke und Standseilstrecke machen diese Strecke einzigartig.


Die Zahnradstrecke war von 1902 bis 1927 in Betrieb. Die Streckenführung entsprach der heutigen Standseilstrecke. Zwei elektrische Zahnradloks versahen ihren Dienst. Die Lokomotiven leisteten je 200 PS und waren auf das Zahnstangensysten Strub ausgelegt.

Auf den Straßenstrecken, Piazza Oberdan bis Piazza Scorcola und vom "Obelisco" bis zur Endstation fanden Rillenschienen System "Teplitz" mit 35kg/m Verwendung. Auf der eigenen Trasse wurden Vignolschienen Muster "Bosna Bahn" mit 21,8 kg/m verbaut. Die Zahnstange wog 33,5 kg pro Laufmeter.


Steckenpanorama mit Fahrzeugen
Steckenpanorama mit Fahrzeugen,
Ansichtkarte 1913, Verlag unbekannt
Kombination bei der Bergfahrt,
Ansichtkarte 1913, Verlag Mandich, Triest,
Inhaber oder Verlag konnten nicht gefunden werden

Läßt man den Kfz-Verkehr kurz auf sich einwirken, so hofft man inständig auf einen Fortbestand der Tram. Unser privates "Park-and Ride" bewährt sich schon ein paar Jahre, denn im Regelfall ist ein Einfahren mit dem Kraftfahrzeug nach Triest auch im übertragenen Sinne ein Solches.

Die 100 Jahre alte Straßenbahn "Linie 2" ist die letzte Überlebende des schienengebundenen Nahverkehrs in Triest und hat heute einen festen Platz als ordentlich frequentiertes Regionalverkehrsmittel.

Wahrscheinlich wäre die Verkehrsentwicklung in Triest mit Straßenbahnen anders verlaufen. Heute präsentiert sich Triest als komplett überparkte Stadt mit wenig Möglichkeiten aus dem Umland per "Park & Ride" in die Stadt einzupendeln.

Ein Nebeneffekt, geboren aus der Parkraumnot, ist eine unglaubliche Population an Motorrollern aller Klassen und Typen die von Jung bis (sehr) Alt zügig bis tollkühn durch das Verkehrsgewühl bewegt werden.

Über einige Museen und Sehenswürdigkeiten an der nördlichen Adria wird weiter an dieser Stelle berichtet werden. Bitte um ein wenig Geduld, denn ein bis zwei Finger brauchen eben etwas Zeit.

Die wichtigsten Ereignisse:

09.09.1902 Eröffnung
1906 - 1936 Streckenverlängerung bis zur Eisenbahnstation Opcina
1927 - 1928 Umbau von Zahnradbahn auf Standseilbahn
26.04.1928 Wiedereröffnung als Standseilbahn
1935 - 1942 Ersatz der Grazer Zweiachser durch die Drehgestelltype
1978 Generalsanierung der Strecke und Beschaffung zweier neuer Standseilwagen
09.09.1995 90-Jahrfeier
09.09.2002 100-Jahrfeier

Nur zwei Zweiachser bleiben erhalten, TW 1 in Betrieb und TW 6 bis 2001 im "Museo Campo Marzo" -seither in Rekonstruktion.

Anlässlich der 100-Jahrfeier wurden einige nette Souveniers aufgelegt. Leider gab es kein Modell der Tram analog Wiener Linien. Neben Leibchen, sogenannten "mousepads" und Anstecknadeln wurde auch ein Falter und das Buch "Cent´ anni col Tram" sowie ein Bildband mit Aquarellen aufgelegt. Modelle existieren leider nur in der Sammlung des "Museo Campo Marzo" und ein Prototyp in 1:22,5 von einem Sign Russo. Ob hier eine Serienfertigung geplant ist, war nicht eruierbar.

Technische Daten

Die technischen Daten stammen aus der Festschrift zum 100 Jahr-Jubiläum und den Büchern "Tramway Trieste-Opicina" und "Cent´ anni col Tram".

Technische Worte:

Italienisch - Deutsch
cremagleria Zahnradbahn
funicolare Standseilbahn
tratto Strecke
pendenza Neigung
fermata Haltestelle
ferrovario Eisenbahn
ferroviere Eisenbahner
freni Bremsen

Quellen:

"Cent´ anni col Tram", Stella Rasman, 2002
"100 anniversario Linea Tranviaria Trieste Villa Opicina", Trieste Trasporti 2002
"I cento anni del "Tram de Opicina", Roberto Puccioni, 2002
"Tramway Trieste-Opicina", 1996

Literatur in deutscher oder englischer Sprache ist mir leider nicht bekannt. Für weiterführende Informationen bin ich sehr dankbar. Wenn Sie in der Gegend sind, dann nehmen Sie sich unbedingt die Zeit für eine Fahrt ! Viel Spaß dabei !

Bildnachweis:
Alle Photographien:
Coll. Kerschbaum (1997 - 2002)
Postkarte 1913, Verlag unbekannt, Triest
Postkarte 1913, Verlag Mandich, Triest
Inhaber oder Verlag konnten nicht gefunden werden

Zahnstangensysteme:

Die Zahnradbahn nach Opicina verfügte über das Zahnstangensystem "Strub", nach Emil Strub, einem Schüler und Mitarbeiter von Roman Abt.
Als älteste Zahnradbahn gilt die Bahn auf den Washington Mountain, USA. Die Bahn wurde 1869 errichtet. Ein Schweizer Techniker verfaßte während des Baues eine detailierte Abhandlung. Diese wurde von Niklaus Riggenbach ausgewertet.
Man unterscheidet heute vier Zahnstangensysteme:

System Riggenbach, Nikolaus Riggenbach
Ein in Gleismitte verlegtes, nach oben offenes U-Profil verfügt über Quersprossen in welche das Zahnrad eingreift. Es ist das Älteste der vier Systeme und wurde erstmals 1870 für die Bahn auf den Vitznau-Rigi (Schweiz) montiert. Die erste Zahnradbahn in Europa
Die Bahnen auf den Kahlenberg in Wien und auf den Schwabenberg in Budapest wurden mit diesem System erbaut. Der Nachteil ist, daß die Zahnstange über das Schienenniveau steht und keine Weichen möglich sind. Die Umsetzung der Fahrzeuge erfolgt mit Schiebebühnen.


System Abt, Roman Abt
Zwei oder drei in stehende Zahnstangen sind in Gleismitte jeweils um eine Zahnstärke versetzt (auf Lücke), verlegt. Weichenbetrieb ist möglich.

System Strub, Emil Strub
Eine stehende Zahnstangen in Gleismitte, ab etwa 1896

System Locher, Eduard Locher
Diese Art wurde 1889 eigens für die Pilatusbahn (Schweiz) entwickelt und ist nur auf dieser in Gebrauch. Zwei liegende Zahnstangen sind in Gleismitte verlegt, die Zähne zeigen nach außen. Das Zahnradtriebwerk greift mit waagrecht liegenden Zahnrädern ein. Die Grundidee basiert auf der Überlegung, ein "Ausheben" des Fahrzeuges aus der Schiene zu verhindern. Pilatusbahn ist die steilste Bahn mit einer Steigung von 48 Prozent.

Zurück zu:
Die Lokomotiven leisteten je 200 PS und waren auf das Zahnstangensysten Strub ausgelegt.


send mail

nach oben

themen

home