Gesellschaft der Lyrikfreunde
(Repräsentanz Wien)

 

 

Gedichte Ruth-Maria Schanovsky

aquarius

aus tiefen brunnen
sehen wir auf zu den sternen
die so ferne und eisig funkeln
in der kalten nacht
unnahbar sind sie und schweigen

könnte ich doch
eine sternschnuppe pflücken
für uns alle
für die ganze welt
eine wassermann – sternschnuppe
zu beginn des jahrtausends

dann wär
unser aller leben
wohl auch
kein bett von rosen
aber vielleicht
eine freundliche warme stube
groß wie unsere mutter erde
da wir alle platz hätten
und speise und trank in fülle

und nicht mehr aufblicken müssten
zu den eisigen sternen
aus tiefen brunnen

 


 

baum der erkenntnis

vom baum der erkenntnis hab ich gegessen
und seine früchte schmeckten mir bitter
nicht mehr den granatapfel esse ich nun
sondern die äpfel des todes

an mir hinabsehend
bemerke ich, dass ich nackt bin
bar jeder zierde

und die erkenntnis wird mir
dass ich nichts bin und
nichts sein werde
in dieser welt
als eine zerrissene

vom sturm hinweggefegt
wie ein herbstblatt

vom tag verraten

von der nacht nicht aufgenommen
unter ihren schützenden sternenmantel

die kerze

wir hatten eine kerze
und ein zündholz

aber die flammme
wollte nicht brennen
denn es wehte
ein scharfer wind

da legten wir beide
unsere hände um die kerze
meine hände
auf deinen händen
eine sanfte mauer
gegen den wind

die kerze brannte
und es wurde licht und warm

ja
nur so wird es licht und warm

 

© Ruth-Maria Schanovsky

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