Martin Reinhart: Artikelreihe zum Farbfilm erschienen in der Zeitschrift Media Biz

 

 

1) Bunte Schatten, schwarzes Licht

 

Die Vorsehung hat die Luft unsichtbar gemacht,

um uns das Schauspiel der Natur zu gestatten.

Abbé Antoine Pluch, 1739

 

 

Farbe, anders als Kontur, Form und Helligkeitswert, ist ein Attribut der wahrnehmbaren sichtbaren Wirklichkeit, das sich der objektiven Beschreibung weitgehend entzieht und die theoretischen Grundlagen der Farbwahrnehmung liegen, entgegen einer weit verbreiteten Meinung, nach wie vor im Dunkeln. Die Geschichte des Farbfilms nimmt so, ungeachtet seiner technischen und marktwirtschaftlichen Durchsetzung, wechselweise den Stellenwert eines Katalysators und eines Spiegels physikalischer, chemischer und physiologischer Theorien und Erkenntnis ein. In Anbetracht der relativ kompakten Form und unproblematischen Handhabung der heute gängigen Farbverfahren, erscheint diese Behauptung ein wenig überspannt, doch betrachtet man, was ich in diesem ersten Teil einer Serie über den Farbfilm tun möchte, die Spannweite und Dichte der wissenschaftlichen Grundlagen für das bunte Kinobild, dann steht man erstmals für einem schier unentwirrbaren Knäuel menschlichen Wissens und Forschungsarbeit.

 

Im Nachdenken über das Sehen nahm das Auge spätestens seit der Renaissance die Funktion eines passiven Rezeptors ein, einer dunklen Kammer, in der sich die äußere Wirklichkeit verkleinert und am Kopf stehend spiegelt. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das menschliche Sehen und das Verhältnis des Betrachters zur Außenwelt an keinem Modell häufiger veranschaulicht als an der camera obscura. Dem Hirn oder Bewusstsein kam darin die Rolle der Interpretation und Bewertung zu, vergleichbar dem Fotografen, der durch seine Kamera schaut. So schreibt Locke in seinem „Essay on Human Understanding 1690:

 

Denn meines Erachtens ist der Verstand gar nicht so unähnlich einem Zimmer, das gegen das Licht vollständig abgeschlossen ist und in dem nur einige Öffnungen vorhanden sind, um äußere, sichtbare Abbilder oder Ideen von den Dingen der Umwelt einzulassen. Wenn nur die, in eine solche camera obscura hineingelangenden Bilder dort dauernd verbleiben würden und sich ordneten, daß man sie im gegebenen Fall auffinden könnte, so würde die Kamera hinsichtlich aller sichtbaren Objekte und der Ideen derselben, dem menschlichen Verstande außerordentlich ähnlich sein.

 

Auf diese Gedanken aufbauend hatte man mit der Erfindung des Films dann später eine Metapher der Erinnerung gefunden, in der sich das Gesehene einprägt. Diese äußerst langlebige und reichlich mechanistische Vorstellung der visuellen Wahrnehmung basiert auf den Gesetzen der Perspektive und Optik, deren Wahrhaftigkeit sich am eindrücklichsten in der Erfindung der Fotografie manifestierte.

 

Wie lange sich diese Vorstellung gehalten hat, belegt ein Zitat von Hermann von Helmholtz, einem der Väter der nach ihm benannten Theorie des Farbsehens, aus dem Jahre 1905:

 

Das Auge ist ein von der Natur gebildetes optisches Instrument, eine natürliche Camera obscura... der einzige wesentliche Unterschied von demjenigen, welche beim Photographieren gebraucht wird, besteht darin, dass, statt der matten Glastafel oder lichtempfindlichen Platte, im Hintergrund des Auges die empfindliche Nervenhaut oder Netzhaut liegt, in welcher das Licht Empfindungen hervorruft, die durch die im Sehnerven zusammengefassten Nervenfasern der Netzhaut dem Gehirn, als dem körperlichen Organ des Bewusstseins, zugeführt wird ... Die Kristalllinse im Verein mit der gekrümmten Fläche der Hornhaut vertritt im Auge die Stelle der Glaslinse in der Camera obscura des Photographen. Sie entwerfen verkleinerte, natürlich gefärbte, aber auf dem Kopf stehende Bilder der äußeren Gegenstände auf die Fläche der Netzhaut...

 

Erst die physiologische und neurologische Grundlagenforschung des Farbensehens hat in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts gezeigt, daß ein derart vereinfachtes Modell des Sehens unhaltbar ist. Ohne aber allzu große historische Sprünge machen zu wollen, will ich an der Stelle beginnen, wo Farbe als das erkannt worden ist, was sie auch der Meinung der heutigen Physik nach ist: ein Bestandteil des Lichtes.

 

Spaltet immer das Licht! Wie öfters strebt ihr zu trennen,

was euch allem zum Trutz Eins und ein Einziges bleibt!

Johann Wolfgang v. Goethe

 

Anhand der einfachen und später von Goethe mit beinahe krankhaftem Hass verfolgten Versuchsanordnung, die Sir Isaak Newton 1704 in seinen „Opticks beschrieb, wurde erstmals sauber und bunt getrennt, was vorher als gottgeschaffen und rätselhaft gegolten hatte: das Licht. Sonnenlicht tritt dabei durch einen schmalen Spalt in einen dunklen Raum, geht durch eine Sammellinse und wird dann durch ein Prisma in die Regenbogenfarben zerlegt, die auf einem weißen Schirm erscheinen. Zwar wurde Newtons Experiment mit allgemeiner Begeisterung aufgenommen, doch lieferte es keine einleuchtende Erklärung für die dabei entstandenen Farben, geschweige denn für die Vorgängen, die uns diese Farben sehen lassen. Als Vertreter der Korpuskulartheorie war Newton der Meinung, das weiße Licht wäre einer Mischung verschieden großer Teilchen, wobei die kleinsten violette und blaue, die größeren grüne, gelbe, orange und rote Farbeindrücke hervorriefen. Mit der Behauptung, das Licht hätte Teilchencharakter, schloss er sein über 200 Jahre gültiges Universum mechanischer Gesetzen, die er bereits für die Bewegung von Planeten und Äpfel entdeckt hatte.

 

1746 legte Leonhard Euler mit seiner Schrift „Neue Theorie des Lichtes und der Farbe“ als erster eine sorgfältig begründete Wellentheorie des Lichtes vor und machte seine Kritik an den Newtonschen Lichtteilchen vor allem am Beugungsverhalten fest.

 

Thomas Young, ein vehementer Vertreter der Wellentheorie, zog aus Eulers Ansichten einen scheinbar absurden Schluss und behauptete, dass man Teile eines gleichmäßig beleuchten Schirms verdunkeln könne, indem man Licht hinzufügt – Licht plus Licht ergibt Dunkelheit! Neben seinen bahn brechenden Arbeiten zu Interferenz und Polarisation lieferte Young auch einen wesentlichen Beitrag zu den physiologischen Grundlagen der menschlichen Farbwahrnehmung. Er stellte aufgrund theoretischer Überlegungen die Behauptung auf, dass das Farbsehen auf der Empfindlichkeit der Netzhaut für die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau beruhen müsse. In einem Brief an die Royal Society 1802 schrieb er dazu:

 

Da es beinahe undenkbar erscheint, daß jeder empfindliche Punkt der Retina eine unendliche Anzahl von Partikeln enthält, die jeweils gleich schwingend mit jeder möglichen Wellenlänge des Lichtes sind, ist es notwendig von einer beschränkten Partikelanzahl auszugehen; zum Beispiel für die drei Grundfarben, Rot, Gelb und Blau.

 

Obwohl das Vorhandensein der von Young postulierten Farbrezeptoren erst 1893 durch den spanischen Mediziner Santiago Ramón y Cajal belegt wurde und der Wellen-Teilchen-Streit bis heute nicht restlos geklärt ist, legte Thomas Young - bereits vor der Erfindung der Fotografie - die wesentlichen theoretischen Grundlage für sämtliche künftige Farbverfahren. So beruht eine der sehr frühen Farbfotografie-Techniken, das Lippmann-Verfahren (1891), auf dem Prinzip der „stehenden Lichtwellen“ – der Interferenz - und  sämtliche im weiteren besprochenen Versuche zum Farbfilm auf der Mischung der Grundfarben nach Young.

 

Einer der ersten, der den praktischen Wert der Farbmischung für die Fotografie erkannte, war der schottische Physiker James Clerk Maxwell. In seinem klassischen Experiment vom 17.Mai 1861 vor der Royal Institution in London projizierte er durch drei färbige Flüssigkeitsfilter Farbauszüge eines Ordenbandes deckungsgleich auf eine Leinwand und bewies damit, dass man mit den Grundfarben – in Abwandlung der Young´schen Farben: Rot, Grün und Blau – jeden beliebigen Mischwert erzeugen kann. Damit war der Startschuss für eine unabsehbare Anzahl von fotografischen Techniken gegeben, die allesamt vom selben Prinzip ausgingen: das färbige Bild der Wirklichkeit wurde durch Filter in drei separate Schwarz-Weiß-Aufnahmen zerlegt, die im nachhinein, gefiltert oder eingefärbt, wieder zusammengefügt werden mussten.

 

Ein wesentliches Problem, dass jedem dieser Versuche im Wege stand, war allerdings die Tatsache, daß die damals gebräuchlichen Emulsionen nur auf blaues Licht ansprachen. Erst mit der Entdeckung, daß durch Beimengung gewisser Farbstoffe die Empfindlichkeit auf weitere Spektralbereiche erweitert werden konnte, gelang es ab 1882 Trockenplatten kommerziell zu produzieren, die für blaues und grünes Licht empfindlich waren. 1884 wurde ein Verfahren gefunden, die Fotoplatten sowohl für Orange als auch für Grün zu sensibilisieren, und die ersten vollpanchromatischen Platten, die gleichmäßig für alle sichtbaren Wellenlängen des Lichtes empfindlich waren, wurden von der Londoner Firma Wratten und Wainwright im Jahre 1906 auf den Markt gebracht.

 

Da ich bisher nur von fotografischen Techniken gesprochen habe, ist es notwendig auf ein paar wesentliche Unterschiede zwischen der Entwicklung der Farbfotografie und des Farbfilms hinzuweisen. Der Film hat funktionsbedingt andere technische Voraussetzungen als die Fotografie. Konnte man beim Standbild leicht längere Belichtungszeiten in Kauf nehmen, so war und ist man beim Film an eine Mindestbelichtungszeit von einer 1/32 bzw. 1/50 Sekunden gebunden. Gegenüber dem Standbild hat der Film aber auch einen wesentlichen Vorteil, den man sich bei den ersten Farbverfahren zunutze machte: er zeigt Bilder in einer raschen Abfolge. Es war also möglich die eingefärbten oder gefilterten Farbauszüge kurz nacheinander zu zeigen und so visuell verschmelzen zu lassen. Ob man nun aber, wie im Technicolor-Verfahren, drei Filmstreifen simultan belichtete oder den Film mit dreifacher Geschwindigkeit durch die Kamera jagte, wie es für die diversen Filterverfahren geplant war, das Ergebnis war immer das selbe: die Aufteilung in die drei Grundfarben bedeutete immer eine Multiplikation des Filmmaterials und somit der Kosten.

 

Der Kinofilm hat von Beginn an unter einem wesentlich stärkeren kommerziellen Druck als die Fotografie gestanden und schon sehr früh nach einer effizienten Logistik verlangt um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Prämissen, unter denen ein markttaugliches Farbfilmverfahren entwickelt werden mußte, waren daher: kostengünstiges und leicht handhabbares Aufnahmematerial, kontrollierbare und standardisierte Prozesse bei Entwicklung und Kopie, sowie eine Projektionstechnik, die sich vom Schwarzweißfilm nicht unterschied. Jeder Verstoß gegen diese Vorgaben hatte einen Rattenschwanz von produktionstechnischen Problemen und immensen Mehrkosten zur Folge und - das kann ich gleich sagen - gegen jede dieser Prämissen wurde im Laufe der Filmgeschichte verstoßen.

 

Das Problem, mit dem sich die folgende Generation von Erfindern also herumschlagen mußte, war eine Möglichkeit zu finden, die drei Farbauszugsnegative in einem einzigen Belichtungsvorgang zu erzeugen. Die Lösung dafür, den sogenannten integralen Tripack, können wir heute im Supermarkt kaufen, doch liegen zwischen Maxwells Versuch von 1861 und der Einführung des ersten modernen Farbfilms, 1936 durch die Agfa, eine Reihe teils verwegener Methoden, die ich im Laufe dieser Serie vorstellen möchte.

 

Bevor ich mich allerdings diesen größtenteils folgenlos gebliebenen Techniken widme, möchte ich den eingangs skizzierten Faden wieder aufnehmen und noch ein paar Zeilen zu der Gleichsetzung zwischen Filmkamera und visueller Wahrnehmung schreiben. Mit der technischen Realisierung des Farbfilmes schien das Ensemble Kamera-ist-gleich-Auge vollständig umgesetzt. Die Technik stand dem natürlichen Sehen in nichts mehr nach, im Gegenteil, sie übertraf es scheinbar noch. Das „Kameraauge“ wurde zum Synonym für objektive und unbestechliche Wahrnehmung; der technische Blick, ganz im Sinne der „Neuen Sachlichkeit“, erschien wahrhaftiger und damit schöner als das gefühlsbeduselte Augenlicht der Romantik. So dichtete der französische Avantgardefilmer Jean Epstein 1921 in „Bonjour Cinema“:

 

Der BELL&HOWELL ist ein metallenes Gehirn.

Standardisiert, in einigen tausend Exemplaren

hergestellt, verwandelt er in sich

die äußere Welt in Kunst

 

Ein wesentlicher Impuls, die visuelle Wahrnehmung doch nicht nur als passives opto-chemisches Regelsystem mit nachgeschaltenem Bewußtsein zu verstehen, kam interessanter Weise – und wohl kaum zufällig – ebenfalls von einem Farbfotografie-Pionier, dem Erfinder des Polaroid-Verfahrens Edwin Land. Mit seinem später als Land´sche Demonstration bekannt gewordenen Versuchsanordnung brachte er 1957 die überschaubare Young-Helmholtz-Theorie kräftig zum Schwanken. Ging die traditionelle Vorstellung davon aus, daß es im Auge drei Rezeptoren für Farbeindrücke geben müsse, die diese in diskrete Signale umwandeln und dem Hirn zur Interpretation weiterleiten, so lenkte Land die Aufmerksamkeit auf eine Reihe schwer erklärbarer Phänomene. So paßte zum Beispiel das Sehen farbiger Schatten, das bereits vor Goethe durch den französischen Geometer Monge beschrieben wurde, nicht in den engen Raum der Young-Helmholtz´schen camera obscura und legten eine weitaus größere Beteiligung des Gehirns am Farbensehen nahe. Arthur Zajonc, Autor des äußerst empfehlenswerten Buches „Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein“ schildert seine erste Begegnung mit den Land´schen Versuchen wie folgt:

 

Nichts von dem, was ich an der Universität gelernt hatte, vermochte zu erklären, was ich da sah. Die üblichen Grundlagen zum Verständnis der Farbe gingen auf Newton zurück. Mit der nachfolgenden Entwicklung der Wellentheorie des Lichts wurde die Verbindung zwischen Farbe und Wellenlänge zum Gemeinplatz. Zusammen bildeten sie den orthodoxen Rahmen des Farbverständnisses. Während sie für den Regenbogen ausreichten, konnten sie das, was ich nun sah, einfach nicht erklären. Lands Experimente schienen die wissenschaftlichen Farbbegriffe radikaler in Frage zu stellen als alle Experimente zuvor.

 

Was Zajonc sah, hätte er eigentlich gar nicht sehen dürfen. Land erzeugte Farbeindrücke, die meßbar nicht vorhanden waren, vom Betrachter aber zweifelsfrei wahrgenommen wurden. Der Versuch, an dem Zajonc teilnahm, zeigte, daß man Farbe nicht als diskretes Signal interpretiert, wie es nach der Young-Helmholtz-Theorie logisch wäre, sondern in einer bisher nur teilweise geklärten Abhängigkeit zueinander wahrnimmt und lief folgendermaßen ab:

 

Wenn man aus dem prismatisch erzeugten Spektrum eine Farbe, beispielsweise Gelb, isoliert und sie mit einer anderen, sagen wir Orange, mischt, die man auf die gleiche Weise gewonnen hat, dann entsteht, wie Newton gezeigt hat, eine Farbe zwischen den beiden - ein Gelb-Orange. Die spezifische Tönung hängt davon ab, welche Farbe in der Mischung vorherrscht, Orange oder Gelb. Land hat das gleiche Experiment durchgeführt, allerdings mit einer wesentlichen Modifikation. Er projizierte die gelben und orangen Lichtstrahlen durch fotografische Schwarz-Weiß-Transparente. Die Transparente zeigten das gleiche Stilleben, nur waren sie durch verschieden-farbige Filter aufgenommen. Wenn er nur das gelbe Bild projizierte, sah man ein einfarbig gelbes Stilleben auf der Leinwand. Die Originalfarben der Vorlage waren verschwunden, so daß nur Gelbschattierungen übrigblieben. Das gleiche galt, wenn das zweite Bild allein durch den Orangefilter projiziert wurde, nur daß jetzt das Stilleben natürlich in Orangeschattierungen abgebildet war. Was für ein Bild mußte man, mit Newton im Hinterkopf, erwarten, wenn beide Bilder übereinander projiziert wurden? Farbtöne irgendwo zwischen Gelb und Orange wie zuvor? Jedenfalls erwartete ich das - und die meisten Mitglieder der National Academy of Sciences ebenfalls. Doch weit gefehlt: Man sieht keine gelben Orangetöne. Ich erblickte, wie mir schien, das gesamte Farbspektrum, einschließlich der Rot-, Blau- und Grüntöne. Dabei «wußte» ich ganz genau, diese Farben konnten nicht auftreten! Meine Augen vermittelten mir einen Sachverhalt, meine physikalische Ausbildung an der Technischen Universität einen ganz anderen. Was ging da vor?

 

Land hatte selber keine ausreichende Erklärung für dieses Phänomen und konnte erst anhand von weiteren Versuchen, die unter dem Namen "Mondrian-Experimente" bekannt wurden, seine Vermutung, daß das Gehirn Farbe nach einer komplexen Vergleichsoperation verarbeitet, quantitativ bestätigen. Anhand von Farbtafeln, die aus unregelmäßig aufgeteilten Feldern zusammengestellt waren, zeigte er, daß einzelne Farben nicht streng entlang ihrer Wellenlänge wahrgenommen werden, sondern im Verbund mit anderen Farbwerten gegen das gesamte Beleuchtungsspektrum ausgemittelt werden. Damit gab es erstmals ein brauchbares Denkmodell für das Phänomen der Farbkonstanz, die in unserer alltäglichen Wahrnehmung dafür verantwortlich ist, daß gesehene Farben auch in stark schwankenden Beleuchtungssituationen als solche konstant und erkennbar bleiben - einer Eigenschaft, die sich durch das Young-Helmholtz´sche Modell nicht erklären läßt.

 

Dem heutigen Stand der kognitiven Wissenschaft nach ist Farbe demnach eine Eigenschaft unseres Gehirns und nicht der Außenwelt - der Neurologe Rushton faßt diese Erkenntnis schlüssig zusammen:

 

There´s nothing either green or grey, just the thinking makes it so.

 

 

 

2) Bunt oder Wirklich

 

Der Weg zum farbgetreuen Bild begann nicht mit einem plötzlichen Erstaunen, wie es die ersten bewegten Aufnahmen hervorriefen, sondern war eine mühsame und anstrengende Angelegenheit, die Produzenten und Publikum gleichermaßen strapazierten. Weder die Bewegungsdarstellung, noch das sprechende Lichtbild hatte mit ähnlich offensichtlichen Problemen zu kämpfen und an keiner filmtechnische Neuerung wurde unter den Blicken der Öffentlichkeit so lange herumgebastelt wie an der Farbe. Es ist allerdings fraglich, ob von Seiten des Publikums tatsächlich ein Verlangen nach dem Farbfilm, wie wir ihn heute kennen, bestand, oder ob die entzückende Buntheit der kolorierten und viragierten Bilder der Anfangszeit nicht bereits ausreichend über den Schock der tristen Schattenwelt hinweggetröstet haben.

 

Hinter der Idee des Farbfilms steht die zu hinterfragende Behauptung, dass dem Film, wie ihn die Brüder Lumière realisierten, etwas fehlt. In Hinsicht auf den Ton hatte sich seit Edisons Phonographen von 1877 eine erste Tonkonserve etabliert und rasch zum Massenerfolg entwickelt. Die schätzungsweise 2,5 Millionen Phonographen, die bis 1910 in Amerika verkauft wurden, legen den Schluss nahe, dass die Möglichkeit der Tonaufzeichnung und –wiedergabe bereits bei der Vorstellung des Films, 1895, Teil des allgemeinen Bewusstseins war. Die Forderung nach dem Tonfilm war damit nicht der Ruf nach einer Neuerfindung, sondern nach der Verschaltung zweier bereits bekannten Techniken. Hinter den Versuchen, die farbige Wirklichkeit auf die Leinwand zu bringen, stand dem entgegen ein hypothetisch konstatierter Mangel: der Film müsse Farben zeigen, weil er die Wirklichkeit abbilde und die Wirklichkeit war nun einmal nicht schwarz-weiß. Diese scheinbare Folgerichtigkeit ist aber brüchig, denn ihr Ausgangspunkt ist der Anspruch auf Realismus, einem Vorzeichen, von dem sich die filmische Praxis schon sehr früh entfernte und dem der später gebräuchliche Umgang mit Farbe oft widersprach. Obwohl von Seiten der Industrie die Argumentation für den Farbfilm immer unter dem Paradigma der möglichst wirklichkeitsgetreuen Darstellung geführt wurde, lässt sich genau genommen nur ein einziges relevantes Motiv für die kostspielige und langwierige Entwicklung des Farbfilms heraushören und zwar das des marktwirtschaftliche Triumphes über die Schwarz-Weiß-Produktionen, bzw. seit den 50er Jahren, der Konkurrenzfähigkeit gegenüber des Fernsehens.

 

Ich möchte diesmal, kurz und unvollständig, einer Anzahl folgenlos gebliebener Techniken vorstellen, die alle bis zur Einführung von Drei-Farben-Technicolor, 1932, entweder verschwunden sind oder zumindest stark an Bedeutung verloren haben. Die meisten dieser insgesamt über fünfzig Verfahren sind inzwischen vergessen und ihre Ergebnisse sind entweder verloren oder fristen ein wohltemperiertes Dasein in den Archiven der Filmmuseen. Das heute so selten einer dieser frühen Versuche seinen Weg auf die Leinwand findet, hat neben der mangelnden Verfügbarkeit noch andere Gründe. Viele der frühen Techniken, wie die Filter- und Linsenrasterverfahren, funktionieren nur im Zusammenspiel mit speziellen Projektoren oder Optiken. Von den kolorierten oder viragierten Filmen sind oft nur schwarz-weiß Kopien erhalten, oder die Farbstoffe haben sich vollständig zersetzt. Wieder andere Verfahren sind im Versuchsstadium stecken geblieben und nicht oder nur schwer reproduzierbar. Trotz einer begrüßenswerten Tendenz, historisches Filmmaterial in seiner ursprünglichen konzipierten Form zu rekonstruieren und aufzuführen, ist der Öffentlichkeit so ein wesentlicher filmgeschichtlicher Aspekt leider schwer nachvollziehbar geworden.

 

Der Film wird bunt

 

Eine gleichermaßen nahe liegende, wie mühevolle Art, den Filmbildern etwas von ihrer Farblosigkeit zu nehmen, war das Handkolorieren. Diese Technik war seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem im Bereich der Portraitfotografie gebräuchlich und wurde ab 1896 auch für den Film verwendet. Edisons Annabell´s Butterfly Dance gilt - noch vor den phantastischen Kurzfilmen Meliés - als erster Film dieser Art. In konzentrierter Kleinarbeit wurde Bild für Bild von billigen, fast ausschließlich weiblichen, Arbeitskräften händisch aufgetragen, wobei für jede Farbe ein eigenes Fräulein zuständig war. Der wesentliche Nachteil dieser Technik bestand, neben dem immensen Arbeitsaufwand, darin, daß eine Reproduktion des einmal gefärbten Films nicht möglich war und jede neue Kopie einzeln bearbeitet werden musste. Mit der zunehmenden Länge und steigenden Vervielfältigung der Filme gelangte diese Methode bald an ihre wirtschaftlichen Grenzen und wurde um 1900 durch die Matritzentechnik abgelöst. Der meines Wissens nach letzte handkolorierten Spielfilm entstand dennoch ein viertel Jahrhundert später: Erich von Stroheim setzte die schon damals antiquierte Technik 1923 in Greed als ein subtiles gestalterisches Mittel ein und ließ in den gesamten acht Stunden seiner epochalen Parabel über Habsucht und Gier jeden goldfarbenen Gegenstand händisch hervorheben.

 

Eine direkte industrielle Weiterentwicklung des Handkolorierens war das Matritzenverfahren der französischen Firma Pathé. Um 1910 stellten bis zu 400 Arbeiter im Werk in Vincennes an speziellen Pantographen Schablonenfilme her. Dabei wurden mit feinen Messern aus jedem Einzelbild die Details herausgeschnitten, die später eine monochrome Färbung erhalten sollten. Die gewünschten Farben wurde dann nacheinander durch bis zu fünf unterschiedliche Clicheés im Kontaktverfahren auf ein schwarz-weißes Positiv gedruckt. Das Pathécolor-Verfahren hielt sich bis in die frühen 30er Jahre und erlaubte erstmals die Herstellung vervielfältigbarer mehrfärbiger Filme. Da die Herstellung der Matritzen relativ kostspielig war, wurden in längeren Filmen oftmals nur wesentliche Szenen farbig gestaltet, der restliche Film blieb entweder schwarz-weiß oder wurde viragiert. Ein in Europa kaum verwendetes Verfahren wurde von dem amerikanischen Drucker Max Handschiegl entwickelt. Ähnlich wie bei Pathécolor, wurden auch hier die Farben nachträglich auf das Positiv gedruckt, mit dem Unterschied, daß die Matritzen nicht ausgeschnitten, sondern ähnlich der Lithographie, angeätzt und anschließend eingefärbt wurden. Zu den bekanntesten Produktionen in Handschiegl´s kurzlebiger Technik zählen Griffith´s Birth of a Nation (1915) und Intolerance (1916).

 

Die günstigere und massenhaft eingesetzte Methode der Farbgestaltung war das bereits erwähnte Viragieren oder Tonen des Positivs. Im Gegensatz zu den Kolorationstechniken wurden dabei nicht mehr einzelne Bildelemente, sondern ganze Szenen monochrom eingefärbt. Technisch gesehen unterschied man zwischen silberkorn- und gelatinespezifischen Färbungen. Der Unterschied bestand darin, dass bei der einen Methode nur die geschwärzten Stellen des Films teilweise durch Farbpigmente ersetzt wurden, bei der anderen hingegen der transparent gebliebene Anteil des Bildes gleichmäßig getont wurde. Die Forschung der letzten Jahre legt nahe, dass in den 20er Jahren kaum ein Film unbehandelt ins Kino kam und es einen regelrechten Code der Tonungsfarben gegeben hat. So standen zum Beispiel Sepia- und Gelbtöne für Behaglichkeit und Stimmungen in Innenräumen, Blau und Violett verwendete man für Nachtszenen, Rot für bedrohliche oder erotische Situationen. Allgemein wird behauptet, das Verschwinden des Viragierens fällt aus rein technischen Gründen mit der Einführung des Tonfilms zusammen, da die, über das ganze Filmband verteilten Farbpigmente, die Lichttonabnahme störten. Diese Annahme wird durch die Tatsache abgeschwächt, dass Eastman Kodak 1929 mit einer Palette von sechzehn so genannten Sonochrom-Farben ein Produkt auf den Markt brachte, dass den Ton nicht beeinträchtigte. Es scheint also nahe liegend, dass die viragierten Filme Anfang der 30er Jahre bereits als Relikte der Stummfilmzeit verstanden wurden und der aufgeregten Modernität der talkies nicht mehr zu entsprechen schienen.

 

Die Welt wird Film

 

Alle bisher besprochenen Verfahren machten das Kino bunter, doch konnten und wollten sie die natürlichen Farben nicht abbilden. Bei der Gestaltung der Filmaufnahmen musste die spätere Nachbehandlung des Filmes zwar berücksichtigt werden, doch nicht in der Art, wie es für den Farbfilm später üblich wurde. Die tatsächliche Farbe eines Kostüms oder einer Kulisse entsprach so selten dem Farbwert den sie im fertigen Film erhielt. (Ein Umstand, der übrigens auch für den frühen Schwarz-Weiß-Film galt. So marschierten zum Beispiel die jungen Kommunisten in Kuhle Wampe widerwillig mit grünen Fahnen, da die roten im Film als zu hell erschienen wären.) Farbe, in diesem Sinn, ist also eher als Attraktion, als Zusatz zu verstehen, denn als Attribut der Wirklichkeit. Vor allem bei den kolorierten Filmen spiegelt sich das auch in den Sujets wieder, die oft in märchenhaftem Ambiente spielten, oder als Glamour-Ersatz für die Massen herhielten. Die technische Herausforderung, die sich aus dem eingangs erwähnten Realismus-Vorsatz ergaben, waren aber anderer Natur. Die natürliche Farbe musste in irgendeiner Weise bei der Aufnahme kodiert und bei der Projektion entsprechend wieder dekodiert werden. Wie das prinzipiell funktioniert, hat James Clerk Maxwell mit seinem Grundfarben-Experiment 1861 demonstriert, doch die konkrete Umsetzung für den Film ließ noch siebzig Jahre auf sich warten. Zeitgleich mit den „bunten“ Filmen, entstanden so seit der Jahrhundertwende auch Vorformen des „wirklichen“ Farbfilmes.

 

Eine der frühesten Lösungen dieses Problems stellte der Lee-Turner-Prozeß dar, einem auditiven Dreifilter-Verfahren, dem leider wenig Erfolg beschieden war. Die Grundidee, die das Vorbild für alle weiteren Filter-Verfahren werden sollte, erwies sich als ebenso theoretisch richtig, wie praktisch undurchführbar. Nach erfolglosen Experimenten mit einer mehrlinsigen Filmkamera, separierten die Briten Lee und Turner die Farbe eines Aufnahmegegenstandes - James Clerk Maxwell entsprechend - in die Grundfarben Rot, Grün und Blau. Anders als in der Farbfotografie taten sie das aber zeitversetzt hintereinander, so dass drei aufeinander folgende Kader mit drei unterschiedlich gefilterten Farbauszüge entstanden. Das Herzstück sowohl ihrer Kamera, als auch des notwendigen Projektors war ein dreigeteiltes Filterrad, dass sich synchron zum Film-Schaltvorgang vor dem Objektiv drehte. Projizierte man diese Farbauszüge nun durch den entsprechend manipulierten Projektor, so sollten die aufeinander folgenden Teilbilder zu einem vollfarbigen Bild verschmelzen. Das, wie gesagt war die theoretische Seite. In der praktischen Durchführung ergaben sich allerdings schwerwiegende Probleme. Um die notwendige Verschmelzungsfrequenz zu erreichen musste sowohl Kamera, als auch Projektor mit der dreifachen Geschwindigkeit laufen, eine Anforderung, der weder die Mechanik, noch das Filmmaterial lange standhielt. Weiters erwies es sich als grundlegende Schwierigkeit, wenn der Aufnahmegegenstand sich bewegte, da die zeitlich versetzten Farbauszüge dann nicht mehr exakt übereinander passten. Schließlich war auch das damals gebräuchliche Schwarz-Weiß-Filmmaterial nicht für alle Wellenlängen des Lichtes gleichermaßen empfindlich und selbst wenn es so gewesen wäre, hätte das nichts an dem unruhigen Flackern geändert, das sich aus den unterschiedlichen Helligkeitswerten der Farbfilter ergab.

 

Ein Jahr vor seinem Tod, 1901, verkaufte Turner die Patentrechte für sein erfolglos scheinendes Verfahren an Charles Urban, dem Direktor der Warwick Trading Company, einer Firma, die Filme der Brüder Lumière und George Meliès in England vertrieb. Gemeinsam mit dem Filmemacher G.A. Smith und dem irischen Farbfotgrafie-Pionier Henry Joly gelang es Urban den Lee-Turner-Prozeß soweit zu verbessern, daß er am 1.Mai 1908 ein neues, funktionierendes Verfahren in London vorstellen konnte: Kinemacolor. Die wesentliche technische Änderung, die schließlich zum Durchbruch führten und Kinemacolor zum ersten kommerziell verwertbaren Farbfilmverfahren der Welt machte, war die Reduktion auf nur zwei Filter (Rot-Orange und Grün-Blau) und die dadurch mögliche Senkung der Laufgeschwindigkeit auf 32 Bilder pro Sekunde. Trotz dieser Konzession an die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit, lieferte die neue Technik akzeptable Farbwiedergabe und war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in England ein durchschlagender Erfolg. Neben Urbans florierender Natural Color Kinematograph Company hatten andere Erfinder, wie der lebenslänglich vom Unglück verfolgte William Friese-Greene wenig Chancen. Obwohl er das Zweifilterverfahren vor und unabhängig von Urban erfunden hatte und 1915 sogar einen Patentprozeß gegen Kinemacolor gewann, starb er 1921 unbekannt und mittellos in London. Aber auch andere verwandte Techniken, wie Chronochrome (1913) und Prizmacolor (1917) erreichten niemals die Verbreitung und das Ansehen von Kinemacolor, sondern erwiesen sich als kostspielige Versuche, die früher oder später an den selben Mängeln scheiterten, wie letztlich auch der übermächtige Konkurrent. Das Grundproblem aller Filterverfahren lag einerseits im höheren Filmverbrauch und anderseits in der Inkompatibilität zur bestehenden Projektionstechnik. Anders als beim Tonfilm, der ebenfalls eine flächendeckende Umrüstung der Kinos voraussetzte, konnte man sich für die Farbe nicht auf einen internationalen Standard einigen, was in Anbetracht der Anfälligkeit und Vielzahl der unterschiedlichen Techniken auch nicht weiter überrascht.

 

Ein ähnliches Schicksal wie die auditiven Filter-Verfahren erlitt auch eine Anzahl von Versuchen die Farbe mittels spezieller Linsenrasterfilme aufzuzeichnen. Diese Methode wurde für fotografische Anwendungen erstmals 1909 von dem Franzosen R. Berthon patentiert und später von seinem Landsmann Keller-Dorian für den Kinofilm weiterentwickelt. Auch beim Linsenraster wird weißes Licht durch Filterung vor dem Objektiv in die drei Grundfarben zerlegt. Anders als bei Kinemacolor, werden die Farbauszüge aber nicht zeitlich nacheinander, sondern simultan auf jeweils einen Kader aufgenommen. Durch ein Spezialfilter mit jeweils drei vertikalen roten, grünen und blauen Streifen wird das Licht in seine Anteile zerlegt und fällt auf einen Film, dessen Oberfläche aus einer Vielzahl vertikaler, feiner prismatischer oder tonnenförmiger Linsenstreifen besteht. Ihrer Wellenlänge entsprechend werden die Lichtstrahlen von den feinen Prismenstreifen unterschiedlich abgelenkt und hinterlassen auf der darunter liegenden Emulsion ein enges Streifenmuster. Wird der Film als Positiv entwickelt, so ergibt sich für jeden Bildpunkt eine Kombination dreier unterschiedlich dicker Linien, die in ihrer Verhältnismäßigkeit, dem ursprünglichen Farbwert entsprechen. Die Umkehrung dieser  Farbkodierung bei der Aufnahme, erfolgt durch einen gleichartigen Filter vor der Optik des Projektors bei der Projektion. Da die Auflösung jedes Einzelbildes prozessbedingt gedrittelt wurde und die Rasterlinien in der Vergrößerung deutlich sichtbar waren, zeichnete sich der Keller-Dorian-Berthon-Prozeß bei seiner erstmaligen Vorführung 1923 weniger durch seine Detailschärfe, als durch eine ansprechende Farbwiedergabe aus. Der schwerwiegenste Nachteil dieser Technik bestand allerdings weniger in der Unschärfe, als in der Unmöglichkeit Kopien herzustellen. Die Linsenrasterfilme fanden dennoch eine relativ große Verbreitung als 16mm Umkehrmaterial für den Amateurmarkt und wurden zwischen 1928 und 37 von Eastman Kodak unter dem Namen Kodacolor verkauft.

 

Für eine weltweite kommerzielle Verwertung des Farbfilmes taugten weder Kinemacolor, noch die Linsenrasterfilme oder irgendein anderes Verfahren, das nicht in Qualität, Kompatibilität und Einfachheit dem bewährten Schwarz-Weiß-Films entsprach. Erst mit Technicolor wurde ab 1932 ein Standard für wirklichkeitsgetreue Farbwiedergabe beschaffen, die unserer heutigen Vorstellung des Farbfilms entspricht.

 

3) Natur Farbe Film

 

Das Publikum verspürt nicht die geringste Sehnsucht nach einem Film in Naturfarben; es ist nicht gewillt, für eine derartige Vorführung auch nur einen Groschen mehr auszugeben als für die bisher übliche. Bunte Bilder: das ist etwas ganz anderes. Das sieht das Publikum mit großem Behagen. Aber gerade bunte Bilder liefert die Kinematographie in Naturfarben kaum, sondern das bietet der kolorierte Film.“ schrieb Artur Gleichmar 1921 in der Zeitschrift Photografische Industrie und fasste damit das Dilemma der kostspieligen und langwierigen Bemühungen des farbgetreuen Films bündig zusammen.

 

Exquisite Hauttöne

 

Umso näher die Entwicklung des so genannten Naturfarbenfilms ihrer technischen Machbarkeit kam, umso evidenter wurde, neben der Kostenfrage, einerseits die gänzliche Reizlosigkeit der farbigen Wirklichkeit und anderseits die Überempfindlichkeit gegenüber der scheinbar falschen Darstellung von Hauttönen. So kann man in fast jeder Kritik zu einem historischen Farbverfahren lesen, dass die Schauspieler zu rosig, zu gelb, zu farblos oder sonst wie entstellt erschienen sind. Der endgültige, wenn auch subjektive Maßstab für Natürlichkeit wurde somit ein für alle Mal festgelegt. Auch heute noch beginnt jeder Kinofilm mit einem lächelnden Fräulein. Irgendwo ganz am Anfang der Kopie fristetet sie, eingeklemmt zwischen Farbtafeln, ein unbeachtetes Dasein und gibt den Richtwert für die Darstellung eines ansprechenden Hauttones. Der Kinofilm mit seinen strengen Standards reguliert sich, zumindest was die Farbe betrifft, also nicht durch normierte Messungen, sondern anhand weiblicher Schönheit, oder dem, was der durchschnittliche westliche Betrachter darunter versteht.

 

Das exakte Farbwiedergabe dem ästhetischem Urteil nicht gerecht wird, musste auch David MacAdam von Eastman Kodak nach einer ausgedehnten Testreihe 1951 einsehen. Um die Feinabstimmung eines neuen Farbprozesses zu testen, wurde einer Jury von Fachkundigen eine Reihe von Abzügen vorgeführt, die in ihrer Tonwertigkeit variierten. Die Aufnahme einer „young lady“ in verschiedenen farblichen Abstufungen sollte subjektiv bewertet werden und die Grundlage für die Sensibilisierung der neuen Emulsion liefern. Das Ergebnis der Befragung war eindeutig. Die Gesamtheit der Juroren empfanden die Wiedergabe der Haut im exakt ausbelichteten Muster als „beefy“ – die bei weitem favorisierte Version der jungen Dame war hingegen vergleichsweise farblos.

 

Der Naturfarbenfilm musste so gesehen zwei unvereinbare Anforderungen erfüllen: um das Publikumsbedürfnis nach farbigem Spektakel und nobler Blässe zu entsprechen, sollte er gleichzeitig bunter und farbloser als die Wirklichkeit sein. Die Strategien, die sich zu diesem Zweck etablierten, setzten teils bei der Technik, teils bei der Aufnahme an, doch in jedem Fall hatten sie nur noch wenig mit „der Natur“ zu tun. Das Farbdiktat einer Natalie Kalmus ist Legende und kann als prototypisch für den jungen Farbfilm angesehen werden. Als Ex-Ehefrau des Mister Technicolor, Dr. Herbert Thomas Kalmus, hatte sie das unumschränkte und vertraglich fixierte Recht in alle Farbentscheidungen einer Produktion einzugreifen, die sich des Technicolor-Verfahrens bediente. Das teilweise groteske Makeup der Schauspieler, die überdrehte Gestaltung der Kostüme und Requisiten leitet sich von nun an aus den Stärken und Schwächen des jeweiligen Verfahrens ab, denn nicht die tatsächliche Farbe, sondern das Ergebnis auf der Leinwand entschied über den anhaltenden Erfolg des Farbfilms – und der war keines falls sicher.

 

Poor Nature! Poor Colour!

 

Ich war darauf vorbereitet Unsinn zu sehen, aber glaubte nicht, dass der Film so schlecht sein könnte, wie er tatsächlich war“, schrieb George Eastman an den französischen Kinozaren Léon Gaumont, nachdem er die ersten Ergebnisse des Zweifarben-Kodachrome-Verfahrens gesehen hat. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Farbfilms plagten in den 20er und 30er Jahren aber nicht nur die Filmhersteller und Produzenten, sondern auch das Publikum und die Kritiker ließen sich nur schwer überzeugen. „Der Naturfarbenfilm wird kommen, gewiss; in England, Amerika und Frankreich läuft er sogar schon ziemlich regelmäßig. Aber von Begeisterung des Publikums nicht die geringste Spur“, konstatierte Artur Gleichmar im oben genannten Artikel und auch andere empörten sich über die Mängel und Aufdringlichkeit des neuen Mediums. So schrieb die Frankfurter Zeitung 1936 über das von den Nazis zum „ersten Deutschen Farbfilmverfahren“ hochstilisierte Opticolor-Verfahren: „Sturzbäche von Farbe rannen über die Leinwand. Ein so schillerndes Hoffest [...] hat die Kulturgeschichte noch nicht gesehen ... Farben, wie sie das Auge niemals vor, sondern immer nur im Kino erleben kann. Der Alltag draußen ist grauer. Selbst die Papageien sind es“. Auch die ersten Zweifarben-Technicolor-Filme schnitten nicht gut ab und wurden mit „schlecht kolorierten Filmen“ verglichen.

 

Die teils berechtigte, teils überspitzte Kritik an den Ergebnissen der frühen Verfahren hatte neben den ästhetischen Einwänden auch technische Gründe. Man hatte bis in die 30er Jahre noch keine befriedigende Lösung gefunden alle drei Grundfarben simultan aufzuzeichnen und wiederzugeben. Mit der Einsicht, dass die technischen und marktwirtschaftlichen Probleme bei den Filter-, Korn- und Linienraster-Verfahren einer sinnvollen kommerziellen Nutzung im Wege standen, wurde eine Reihe von Zwei-Farben-Verfahren erprobt und umgesetzt. Prinzipiell glichen sie sich darin, dass nur zwei Farbauszüge hergestellt wurden, die dann entsprechend eingefärbt, Rücken an Rücken, auf die beiden Seiten eines Filmstreifens aufgebracht wurden. In den meisten Fällen wurde der fehlende dritte Farbauszug dadurch kompensiert, dass man Mischfarben, zum Beispiel Blaugrün und Rotorange, verwendete.

 

Der erste Film, der nach diesem Konzept hergestellt wurde, war Concerning a 1000 Dollars von 1916, einer interne Produktion der Kodak, die niemals ins Kino kam. Aufgenommen wurde der Film mit einer speziellen Kamera, die durch ein Zwillingsobjektiv gleichzeitig ein grün- und ein rot gefiltertes Vollbild aufnahm. Diese beiden Farbauszüge wurden nachher über ein optisches System deckungsgleich auf einen beidseitig beschichteten Film kopiert, der dann reliefförmig gegerbt und auf jeweils einer Seite blaugrün und rotorange eingefärbt wurde. Eastman nannte das Verfahren Kodachrome, doch war es im Vergleich zum gleichnamigen modernen Filmmaterial kein durchschlagender Erfolg. Bis in die frühen 30er Jahre wurden vereinzelt Kurz- und Werbefilme in dieser Technik produziert, nie jedoch ein Spielfilm.

 

Trotz der mangelhaften Farbwiedergabe des Zweifarben-Kodachrom-Verfahrens wurde weiter experimentiert: Prizmacolor, Cinecolor, Magnacolor, Trucolor, Ufacolor, sahen das Licht der Leinwand und verschwanden wieder. Jedes dieser Verfahren verschlang Unsummen und trug doch nur ein Steinchen zur technischen Verbesserung bei. So wurden zwei übereinander liegende Schwarzweißfilme als so genanntes Bipack gleichzeitig in der Kamera belichtet, oder die Filme separat geführt und über einen Strahlenteiler belichtet; die Filter, Farben und das Filmmaterial wurden solange optimiert und abgestimmt, bis man teilweise überraschend ansprechende Ergebnisse erhielt. Doch trotz all dieser Verbesserungen, haftete dem Zwei-Farben-Verfahren eine Reihe grundlegender Probleme an. Da die Farbe auf der Vorder- und Rückseite des Filmbandes aufgebracht war, verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit des Zerkratzens. Außerdem hatten die Filme zwei Schärfeebenen – ein scharfes Bild war daher nicht zu erwarten und reine Farb- und Schwarztöne ließen sich prinzipiell nicht erzeugen. Die einzig seriöse Lösung für den Farbfilm, das war trotz zahlreicher erfolgreicher Spielfilmproduktionen im Zweifarben-Verfahren klar, lag im Dreifarben-Verfahren.

 

Optische Poesie – marschierende Zigaretten

 

Ein vergessener Pionier auf diesem Gebiet war der Arzt und Chemiker Dr. Bela Gaspar. 1930 gründete er in Berlin ein Unternehmen namens „Gaspacolor Naturwahre Farbenfilme G.m.b.H“, das eng mit der I.G. Farben (Agfa) zusammenarbeitet. Gemeinsam mit der Agfa hatte er den so genannten Tripo-Film entwickelt, der allerdings derart lichtunempfindlich war, dass er für Filmproduktionen scheinbar nicht in Frage kam. Der Tripo-Film basierte auf Erfahrungen mit dem so genannten Dipo-Material, das beidseitig beschichtet war und dem die Farbpigmente schon in der Emulsion beigemischt waren. Durch ein spezielles Bleichverfahren konnten so zweifärbige Positive ohne nachträgliches Aufdrucken der Farbe hergestellt werden. Beim Tripo-Film gelang es erstmals zwei Farben, Purpur und Gelb, auf der einen Schichtseite einzulagern - die dritte Farbe, Blaugrün, befand sich auf der gegenüberliegenden.

 

Gaspar ließ sich durch die Unempfindlichkeit des neuen Materials nicht irritieren und suchte nach neuen Anwendungen für seine Technik. Einen kongenialen Partner fand er dabei in einem der bedeutendsten deutschen Experimentalfilmer der 30er Jahre, Oskar Fischinger. Fischinger hat neben Ruttmann und Richter schon in den zwanziger Jahren die theoretischen Grundlagen zum abstrakten Film formuliert und sah im Animationsfilm den Weg zu wirklicher Kunst im Kino. Nach ausgedehnten Studien zum Tonfilm, gab ihm die Bekanntschaft mit Gaspar die Möglichkeit den ersten Vollspektrum-Farbfilm Europas zu produzieren. Er konzipierte ein Aufnahmeverfahren, bei dem er die Vorlagen nacheinander durch drei Filter auf Schwarzweißfilm fotografierte. Jedes dieser Einzelbilder benötigte eine Belichtungszeit von einer halben Minute, aber der Aufwand lohnte sich. Nachdem die Farbauszüge auf Tripo-Film kopiert wurden, ergaben sie Bilder von bis dahin ungesehener und dauerhafter Farbqualität. Zu den bekanntesten Filmen Fischingers in Gasparcolor zählt wohl die Zigarettenwerbung Muratti greift ein von 1933. Gaspars Firma bot in der Folge den Umbau herkömmlicher Filmkameras nach Fischingers Konzept als Dienstleistung an und obwohl die Anwendung seines Verfahrens auf Trick- und Werbefilme beschränkt blieb, erlangte es sowohl in Deutschland, als auch international große Beachtung. Ein wenig absurd ist allerdings, daß die nationalsozialistische Presse Gasparcolor 1935 unter der Schlagzeile „Die Farbe marschiert“ zum deutschen Herzeigeprodukt stilisierte: Gaspar war Ungar und Fischinger ein erklärter Regiemgegener, der Deutschland im darauf folgenden Jahr aus politischen Gründen verließ.

 

Technicolor - Adventures in Cinemaland

 

Als Becky Sharp am 13.Juni 1935 in New York uraufgeführt wurde, stand für das Publikum und die Fachpresse fest, dass der Farbfilm nun endlich seine Form gefunden habe. „Dieser Film enthält die beste Farbwiedergabe, die ich jemals sah, und wird von Bedeutung für die Entscheidung sein, ob in Zukunft alle Kinofilme ausschließlich Farbfilme sein werden“ orakelte Samuel Goldwyn von der MGM und die Fachzeitschrift Cinema verglich den Erfolg von Becky Sharp mit dem Durchbruch des Tonfilms durch The Jazz Singer. Was war die Ursache dieser einhelligen Begeisterung?

 

Nach zwanzigjähriger Entwicklungstätigkeit war es Technicolor mit Becky Sharp erstmals gelungen einen abendfüllenden Drei-Farben-Film zu realisieren. 1915 durch die MIT-Ingenieure Daniel Frost Comstock, Herbert Thomas Kalmus und W. Burton Wescott in Boston gegründet, war die Firma immer an vorderster Stelle, wenn es um Innovationen in Sachen Farbe ging. Nach einem Beinahe-Desaster mit einem auditiven Filter-Verfahren, wandte sich Technicolor ab 1919 der Zwei-Farben-Technik zu. Eine Eigentümlichkeit des Prozesses war, daß die beiden Farbauszüge auf seperate Filmstreifen kopiert wurden, die nach der Färbung miteinander verklebt wurden. Der erste Spielfilm in Zweifarben-Technicolor, The Toll of the Sea, kam 1922 in die Kinos und zeigte neben den akzeptablen Farben auch gleich eine inakzeptable Schwachstelle: durch die Hitze der Projektorlampe veränderte sich die Klebeschicht und die Teilbilder verschoben sich gegeneinander.

 

Nicht nur dieser Mangel, sondern auch die generelle Unentschlossenheit der großen Studios in Bezug auf den Farbfilm, bescherten Technicolor eine anfängliche Durststrecke. Dies änderte sich erst ab 1929 mit einer wesentlichen Verbesserung und damit verbunden Kostensenkung des Verfahrens. Die grundlegende Innovation bestand in der Herstellung der so genannten Druckmatritzen aus Gelatine-Relief-Filmen, mit denen die Farbe direkt auf Blankfilm gedruckt werden konnte. Kalmus meinte später in seinem autobiografischen Aufsatz Adventures in Cinemaland, daß die Entscheidung zum Farbfilm, durch den Tonfilm begünstigt wurde. Die großen Studios konnten nicht länger an den Produktionsbedingungen der Stummfilmzeit festhalten und mussten sich zwangsläufig umstellen. Die Bedingungen, die Farbaufnahmen nach sich zogen, erschienen gegenüber den großen Problemen beim Tonfilm als geringeres Übel und wurden fortan eher akzeptiert.

 

Technicolor schloss 1929 einen Vertrag über zwanzig Farbfilme mit Warner ab und konnte sich in der Folge durch geschickte Konzernpolitik eine Art Monopolstellung sichern. Dabei wurde penibel auf die Qualität der Produktionen geachtet, die in Technicolor drehen wollten. Sowohl die Kamera, als auch der Kameramann und Farbberatung wurden von Technicolor zur Verfügung gestellt und was in den Labors passierte unterlag strengster Geheimhaltung. In der Glanzzeit von Zwei-Farben-Technicolor waren 34 Spezialkameras Tag und Nacht im Einsatz, neue Kameras mussten gebaut und Nachwuchstechniker so schnell wie möglich ausgebildet werden. Die Kopierkapazität wurde 1930 auf fast zwei Millionen Meter monatlich erhöht und Technicolor investierte in diesem Jahr drei Millionen Dollar in Ausrüstung und Forschung. In Spitzenzeiten hatte die Firma bis zu 1200 Mitarbeiter. Eine ganze Reihe von Erfolgsfilmen trugen das Technicolor-Logo im Vorspann und brachten den Studios und den Farbmagiern in Boston dicke Rendite.

 

Nach einer kurzen Flaute in den Jahren 1931 bis 33 gelang Technicolor mit der Entwicklung der Three Strip Beam Splitter Camera ein weiterer epochaler Wurf der Filmgeschichte machen sollte. Die von Joseph A. Ball und George A. Mitchel konzipierte Kamera machte ihrem monströsem Namen alle Ehre. Durch dieses Ungetüm von Maschine liefen simultan drei Schwarzweiß-Negativfilme; zwei wurden direkt als Bipack und einer durch ein teildurchlässiges Doppelprisma belichtet. Diese drei Farbauszüge konnten dann im bewährten Druckverfahren zusammenkopiert werden und ergaben erstmals ein Ergebnis, das sich mit Recht „natürlich“ hätte nennen können – doch daran bestand längst kein Interesse mehr. Als ging es darum die endlosen Zeit des Herumexperimentierens nachzuholen, schwelgten die Produktionen der Folgezeit in wahren Farbexzessen und bewahrheiteten damit Artur Gleichmars Behauptung, dass das Publikum sich nicht nach einem Film in Naturfarben, sondern nach bunten Bildern sehne.