4) Endsieg der Farbe
Das großartige olympische Geschehen hat seine Wellen in die entlegendsten Orte der Erde entsandt. Der wundervolle
prachtvolle Ausbau der Spiele, ihre Größe und Erhabenheit sind tief in das
Wissen der Menschen gedrungen. Weit über Deutschlands Grenze hinaus hat der
Begriff Olympia neue mächtige Antriebe entfalte, und unverlierbar erscheinen
die Wirkungen, die von so gewaltigen Anstrengungen ausgehen müssen. Aber nicht
alleine die Großtaten des Sports, die vorbildlichen Kampfstätten sind es, die
Bewunderung verdienen, sondern neben sie tritt ein riesiges Reich der Technik,
das die Erfassung und Verarbeitung, Vorbereitung und Ausführung in mancher
Beziehung erst ermöglicht.
Vergessen sind scheinbar die Missachtungen des Versailler
Friedensvertrages, die Bücherverbrennungen und das Gesetz zum Schutz deutschen
Blutes, als das neue Deutschland 1936 zum „Fest der Völker“, den Olympischen
Spielen in Berlin, lädt. Die neue Macht im Staate gibt sich weltoffen und kulturbeflissen, verleiht neben den Sportauszeichnungen
Planketten für internationale Lyrik und Musik und inszeniert ein
Medienspektakel von bis dahin ungeahnten Ausmaßen. Leni Riefenstahl darf aus
den beinahe grenzenlosen Etat des Propagandaministeriums schöpfen und ihre
beiden Olympiafilme mit allen erdenklichen filmtechnischen Raffinessen und
einem Heer von Kameramännern realisieren. Das Radio und erstmals auch das
Fernsehen ist vor Ort und berichtet live den
Daheimgebliebenen die am Volksempfänger kleben, oder in den Fernsehstuben
hocken. Abseits dieses Großaufgebots von moderner Medientechnik wird ein kurzes
Stück Schmalfilm belichtet, das im Herbst des selben
Jahres einer handverlesenen Gruppe von Vertretern der deutschen Filmwirtschaft
und der Fachpresse vorgeführt wird. Es ist eine der ersten Aufnahmen mit dem
neuen Agfacolor-Material. Am Tag nach dieser
Pressevorführung in der Tiergartenstraße in Berlin schreibt der Berliner
Lokal-Anzeiger:
Am Sonnabend führt die Agfa nun erstmalig ein
Verfahren vor, das in seiner technischen Durchführung geradezu als das Ei des
Kolumbus bezeichnet werden muss. Man hat nämlich aufgrund der Arbeiten, die der
damals bei der Neuen Photografischen Gesellschaft tätige Dr. Fischer – Berlin
bereits im Jahre 1911 entwickelt und zum Patent angemeldet hat, nach
Überwindung aller noch vorhanden Schwierigkeiten ein Filmmaterial entwickelt,
das – grob besprochen – alle Zusatzteile enthält, die bisher neben der Kamera
für Farbaufnahmen noch notwendig waren. Die lichtempfindliche Schicht besteht
aus mehreren Schichten, die auf verschiedene Farben reagieren und außerdem
mehrere Stoffe enthalten, die mit bestimmten Entwicklern richtige Farben
entstehen lassen.
Obwohl die Amerikaner mit dem Kodachrome-Schmalfilm
bereits im April 1935 ein ähnliches Produkt auf den Markt gebracht haben, sollte
Agfacolor das erste moderne Farbfilmverfahren werden,
das für den kommerziellen Kinofilm Verwendung fand. Die großen Hollywood
Studios schwelgten zu dieser Zeit gerade im Technicolor-
Farbenrausch und so musste erst eine marktwirtschaftliche Situation geschaffen
werden, in der sich das neue Kodak-Material ab 1941 langsam gegenüber dem Konkurrenten
durchsetzen konnte. Die Vorteile der neuen Technik waren allerdings bestechend.
Anders als bei Drei-Farben-Technicolor, konnten
herkömmliche Filmkameras benutzt werden und die aufwendige Nachbereitung der
separaten Farbauszüge entfiel.
Aufbauend auf Patente aus der Vorkriegszeit hatte man
bei der Agfa in Wolfen in nur zwei Jahren Arbeit unabhängig von der
amerikanischen Konkurrenz die lange herbeigesehnte Lösung des so genannten
Normalfilms umsetzen können. Die wesentliche Neuerung bestand darin, daß es einerseits gelang drei, durch Filterschichten
getrennte lichtempfindliche Emulsionen übereinander aufzubringen und anderseits
die später farbgebenden Stoffe, die so genannten
Farbkuppler einzulagern. Das Hauptproblem bestand darin, diese Farbkuppler
diffusionsfest in den Schichten zu verankern, d.h. das Abwandern in andere
Schichten zu verhindern. Das Agfacolor-Verfahren
ermöglichte, je nach Filmemulsion und Entwicklungsprozess eine für damalige
Verhältnisse einzigartig universelle Verwendung und konnte prinzipiell für
fotografische Diafilme, Negativfilme und Colorpapiere,
sowie Schmalfilme und für 35mm Kinofilme eingesetzt werden. Für den Kinofilm
stand das neue Material vorerst in direkter Konkurrenz zum Siemens-Berthon
Linsenrasterfilm, der zur selben Zeit marktreif wurde, sich aber nicht
durchsetzen konnte.
Kurz vor Kriegsbeginn, im Sommer 1939, konnte das Agfacolor-Verfahren
endgültig der Filmindustrie übergeben werden, doch äußerte sich Goebbels im
Jahrbuch der Reichsfilmkammer dieses Jahres offiziell noch zurückhaltend und
schrieb:
Die Fortschritte des deutschen Farbfilmes lassen
erkennen, dass wir uns mit deutschen Verfahren dem Ausland gegenüber
durchsetzen können. Die Arbeiten sind aber noch nicht so weit, dass man die
Einsatzfähigkeiten namentlich beim Spielfilm schon jetzt absehen kann.
In Widerspruch zu dieser Stellungnahme wurde aber bereits seit Juni 1939
an der ersten Ufa Produktion in Farbe „Frauen sind doch die besseren
Diplomaten“ gedreht und es waren scheinbar seine berechtigten Zweifel an der
Ausgereiftheit des Verfahrens, die den Propagandaminister hier ungewohnt
kleinlaut werden ließen. Die Dreharbeiten zu diesem Spielfilm zogen sich dann
tatsächlich aus technischen Gründen über zwei Jahre hin und die geplanten
Produktionskosten verdoppeln sich in dieser Zeit. Einen Eindruck von den
damaligen Schwierigkeiten gibt der Star des Films, Marikka
Röck, in ihren Memoiren:
Bei Babelsberg stand ein altes Schloss. Eine
herrliche grüne Wiese lag davor... Auf der Wiese drehten wir auch unseren
großen Clou: „Einen Walzer für dich und mich“. Im Freien, mal was anderes. Und
diese Farben! Erwartungsvoll sahen wir uns die Kopien an. Die Wiese war gelb
wie eine Butterblume. Dann wurde umkopiert und umkopiert, bis schließlich ein
schwächliches Grün herauskam.
Goebbels soll nach der Probeaufführung des Films
einen Tobsuchtsanfall bekommen haben und geschrieen haben: bringt diese Scheiße raus hier und verbrennt sie. Nach einem
vorübergehenden Verbot kam der Film aber 1941 doch in die Kinos, zu einem
Zeitpunkt also, zu dem bereits die Vorbereitung zum zweite Farbfilm in Agfacolor, Veit Harlans „Die
Goldene Stadt“, anliefen. Trotz offensichtlicher Mängel wurde „Frauen sind doch
die besseren Diplomaten“ beim deutschen Publikum ein durchschlagender Erfolg
und die damalige Presse schrieb wohlwollend:
Wunderbare Bilder in Fülle, das Auge schwelgt
in farbiger Schönheit, und obwohl die Fachleute erklären, sie könnten das heute
schon alles viel besser machen, ist der unvoreingenommene Zuschauer hell
entzückt von den Seidenkostümen der Tänzerinnen, den schwarzen Husaren, den
eleganten Biedermeiermöbeln.
Mit diesem ersten Erfolg, ist die Rolle des
Farbfilmes innerhalb der nationalsozialistischen Propagandamaschine bis knapp
vor Kriegsende festgelegt. Was noch kommen sollte, war hochwertige Unterhaltung
jenseits der politischen Realität. Immer größere Mitteln wurden für die
Produktionen aufgebracht um den Krieg, der sich in diesen Jahren zum Weltkrieg
ausweitete, in den Kinosälen fortzuführen. Hierbei ging es aber nicht darum,
wie in den einschlägigen Hetz- und Parteifilmen in Schwarzweiß, das Volk
aufzustacheln oder zu beeinflussen, sondern mit filmtechnischen
Materialschlachten „den Amerikanern“ die Überlegenheit des deutschen
Filmschaffens vorzuführen. Ich denke, man greift zu kurz, wenn man in den
Farbfilmen dieser Zeit nur den Aspekt der bunten Illusionen sieht, die vom
zunehmend trister werdenden Alltag ablenken sollten, sondern muss auch das
Ansehen und die Devisen berücksichtigen, die mit diesem Mitteln erwirtschaftet
wurden. So war zum Beispiel Veit Harlans „Die goldene
Stadt“ im Ausland, vor allem in Frankreich, extrem erfolgreich und spielte bei
1,3 Millionen Mark Produktionskosten 43 Millionen Mark ein.
Für den Film ergibt sich so ein Dilemma, dass in den
anderen Spaten nationalsozialistischer Kulturpolitik nicht so deutlich hervor
tritt. Da die Filmproduktion, und insbesondere der Farbfilm, zum Ideologie- und
Kulturträger ersten Ranges aufstieg und weder Mittel
noch Aufwand gescheut wurden um ein internationales Niveau zu erreichen,
entstanden tatsächlich eine Reihe von Filmen, deren objektive Qualität auch den
heutigen Kriterien standhält. Der Ufa-Jubiläums-Film „Münchhausen“ ist in
diesem Sinne ein gutes Beispiel. Dieser Film kann problemlos sonntags im
Nachmittagsprogramm laufen und selbst bei genauem Hinsehen und Kenntnis der Entstehungszeit
und –umstände lässt sich schwer nationalsozialistischen Gedankengut darin
finden.
Goebbels ließ für diesen Film Kopien des englischen
„Dieb von Bagdad“, von Disney-Produktionen und „Vom Winde verweht“ durch
Agenten aus dem Ausland heranschaffen, damit die Mitarbeiter der Ufa farblich
und tricktechnisch besonders hervorragende Filme studieren konnten. Erich
Kästners Schreibverbot wurde per Sonderregelung aufgehoben, damit er unter dem
Pseudonym Berthold Bürger das Drehbuch verfassen konnte und der
Publikumsliebling Hans Albers, der deklarierter Weise kein besonderer Freund
des Regimes war, spielte die Hauptrolle.
Kein Mensch fragt sich heute, ob man die
einschlägigen Bilder von Adolf Ziegler oder Rudolf Eisenmenger
ins Museum hängen soll, weil sie, abgesehen von ihrer platten
Parteiprogrammatik, drittklassige Maler waren. Die heikle Frage, wie man die
oben genannten Filme heute beurteilen soll und wo man die Grenze ziehen muss –
ob zum Beispiel Leni Riefenstahls Olympia-Filme einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden sollen oder nicht – ergibt sich nur auf Grund ihrer außergewöhnlichen
filmischen Qualität und aus der Tatsache, dass der nationalsozialistische Staat
bei ihrer Entstehung über den eigenen ideologischen Schatten springen musste.
Auch die ansonst strenge Zensur agierte gegenüber den Farbfilmen eher
mild. So kam Veit Harlans todessehnsüchtiger
„Opfergang“ sogar gegen die Bedenken Goebbels in die Kinos. Einzig Helmut
Käutners melancholisches Meisterwerk „Große Freiheit Nr. 7“ hatte erhebliche
Schwierigkeiten, da Großadmiral Dönitz und der Hamburger Gauleiter Kaufmann in
Anbetracht eines betrunkenen Matrosen das Ansehen der Kriegsmarine in den
Schmutz gezogen sahen. Der Film wurde für das Deutsche Reich verboten und
durfte nur im Ausland zur Aufführung kommen - um zumindest dort die
Produktionskosten wieder einzuspielen.
Mit dem totaler werden Krieg, wurden im selben Maße die Visionen des
Propagandaministers größenwahnsinniger und die Produktionsbedingungen extremer.
So berichtet Veit Harlans über seinen letzten
Farbfilm vor Kriegsende:
Der Film durfte kosten,
was er wollte. Und er kostete auch etwa achteinhalb Millionen Mark, das war
ungefähr das Achtfache von dem, was ein guter Film damals zu kosten pflegte.
Mit den außergewöhnlichen Vollmachten von Goebbels ausgestattet, konnte ich für
meine riesenhaften Bauten soviel Holz requirieren, wie ich wollte, obwohl Holz
damals eine Mangelware war. Ich konnte mir überhaupt jedes Material beschaffen.
Und darüber hinaus Soldaten in beliebiger Zahl von ihrem Dienst wegholen.
Goebbels wollte nämlich gewaltige Schlachten sehen. Er wollte den „größten Film
aller Zeiten“ machen, der die Massenfilme der Amerikaner in den Schatten
stellen sollte.
Für den Harlans Agfacolorfilm
„Kolberg“, einem bombastischer Historienschinken der
zur Zeit der napoleonischen Kriege spielte, wurden 187.000 Soldaten der
Wehrmacht und 6.000 Pferde abkommandiert und über 90 Stunden Negativmaterial
verbraucht. Der Film wurde unter extremen Bedingungen knapp vor Kriegsende fertig
gestellt und am 30.Jänner 1945 im zerbombten Berlin in den letzten zwei
existierenden Kinos gezeigt. Trotz der bevorstehenden Niederlage lief auch die
Rohfilmproduktion der Agfa Filmfabrik bis zuletzt noch auf Hochtouren: Zum
Jahreswechsel 1944/45 betrug die Monatskapazität 200.000m Agfacolor-Negativfilm
und 100.000m Agfacolor-Positivfilm. Im Frühjahr 1945
verarbeitete die Ufa-Kopieranstalt in Babelsberg noch rund 60.000m Negativ- und
300.000m Positivmaterial im Monat.
Mit dem Ende des Krieges war auch das weitere Schicksal der Filmfabrik,
die später an die russische Besatzungsmacht fallen sollte, doppelt besiegelt.
Im Sommer 1945, noch vor der Übernahme durch die Sowjets wurde das Gelände in
Wolfen mehrmals von anglo-amerikanische
Intelligence-Officers besichtigt und die Mitarbeiter
eingehend verhört. In einer Reihe ausführlicher Berichte veröffentlichten die
Besatzungsmächte detaillierte Einzelheiten über die Herstellung von Agfacolor. Der wichtigste Bericht war der FIAT Final report 943 der US-Regierung, veröffentlicht vom Department
of Commerce. Er enthielt die technischen Daten der Farbkuppler und Sensibilatoren – verfaßt vom Chef
der Ausarbeitung, Dr. Wilhelm Schneider. Mit der Freigabe der Schutzrechte,
konnte das zuletzt ausgereifte deutsche Farbfilm-Verfahren durch westliche
Konkurrenzfirmen wie Gevaert in Belgien, Ferrania in Italien, Fuji in
Japan und Ansco in USA kopiert und weiterentwickelt
werden.
Im westlichen Teil des später geteilten Deutschland begann man im
Oktober 1949 mit dem Bau einer neuen Agfa-Filmfabrik in Leverkusen und konnte
erst ab 1951 wieder Farbfilme ausliefern - der erster deutschsprachige Farbfilm
der Nachkriegszeit „Schwarzwaldmädel“ mußte noch mit Agfacolor-Materialien aus der russischen Besatzungszone
gedreht werden.
5) Schwere Geburt
Paradoxerweise verlor die Farbe im Film genau in dem
Moment ihren wirtschaftlichen Mehrwert, als ihre technische Realisierung
perfektioniert war. Die Zeiten, da ein Film nur deshalb Beachtung fand, weil er
farbig war, endeten ab Mitte der 50er Jahre unwiderruflich. Die zunehmende
industrielle Verfügbarkeit von Farbmaterial, neue Aufnahme- und
Projektionstechniken wie Breitwand und 3D, besiegelten den Untergang des
klassischen Technicolor-Verfahrens und der Anspruch
an die Farbe – sowohl in technischer, als auch ästhetischer Hinsicht – erfuhr
eine grundlegende Veränderung. Der Farbfilm war erwachsen geworden und das
pathetische Pioniergehabe der Anfangszeit, wich einer nüchternen
Selbstverständlichkeit.
Die rasante Entwicklung und flächendeckende
Verbreitung des Fernsehens seit Beginn der 50er Jahre trug das ihre zum
Verblassen des ersten Farbenrausches bei und änderte die Arbeits- und
Marktsituation der großen Studios nachhaltig. Farbe im Film reichte nicht mehr
aus um das wirtschaftswunderverwöhnte Publikum vom Nierentisch zu locken und
manövrierten das Kommerzkino in eine schwere, beinahe lethale
Krise. Immer neue Gimmicks wurden aus der filmtechnischen Trickkiste
hervorgekramt und als Beginn einer neuen Kinoära postuliert. Warner Bros., die Anfang der 30er Jahre schon einmal kurz vor dem
Konkurs standen, versuchten das hausgemachte Tonfilmwunder von 1926 zu
wiederholen und überboten sich, wie andere Studios auch, mit leinwandsprengenden Superlativen. Aber auch die, ab 1953
einsetzende Flut von mehr oder minder ambitionierten färbigen 3D- und
Breitwand-Filmen, konnte die Talfahrt des Kinos nicht stoppen. „Mit Cinemascope
kann man Schlangen filmen, aber keine Menschen“ sagt Fritz Lang in Jean Luc
Godard´s Le Meprise und drückt damit seine Verachtung für eine
Filmkunst aus, das nur noch auf billige Effekte setzte.
Of God and Man
Die Industrialisierung der Farbfilmproduktion ist
untrennbar mit dem Namen Kodak verbunden. Mit der Ankündigung des Eastman Color Filmmaterials im Herbst
1950, sollte sich die bis dahin bestehende Aufteilung des Farbfilmmarktes
gründlich ändern. Eastman Kodak stieg mit seinem neuen Mehrschichtenfilm
relativ spät in das Kinogeschäft ein, das in Amerika bis dahin unangefochten
von Technicolor beherrscht und in Europa durch Agfacolor, bzw. dessen Weiterentwicklungen dominiert wurde.
Diesem Zuwarten gingen allerdings nachvollziehbare strategische Überlegungen
und eine intensive Entwicklungsarbeit voraus.
My work is done,
why wait? war die letzte Frage, die sich George Eastman selbst
beantwortete - 1932 nahm er sich im Alter von 78 Jahren das Leben. In Bezug auf
den Farbfilm war zu dieser Zeit die Arbeit allerdings keineswegs getan. Die
Kodak-Labors in Rochester verfügten zwar seit den frühen 30er Jahren über das
nötige Wissen, einen hochwertigen Mehrschichtenfilm herzustellen, die ersten Schrittte in Richtung 35mm erfolgten aber erst 1946. Die
Grundlagen für die Entwicklungen der Kodak hatte denselben Ausgangspunkt, wie
die Forschung bei Agfa in Wolfen - ein Patent des Berliners Dr. Rudolf Fischer
aus dem Jahre 1912. Mit seinem Verfahren
zur Herstellung farbiger photographischer Bilder hatte Fischer die
chemische Grundlage beschrieben, auf der bis heute alle modernen Farbfilme
beruhen. Die Schlüsselrolle bei dieser Technik spielen die so genannten
Farbkuppler, farblose chemische Substanzen, die erst bei der Entwicklung des mehrschichtigen
Filmmaterials zum sichtbaren Träger der Farbinformation werden. Unerwartete
Hilfe bei der Suche nach geeigneten Kupplern erhielt die Kodak von zwei Barpianisten, den Hobby-Forschern Leopold Mannes und
Leopold Godowski. Seit 1921 tüftelten die beiden
während ihrer Tourneepausen in den abgedunkelten Badezimmern zwielichtiger
Motels herum. Ihr endgültiger Wechsel vom Smoking zum Chemiker-Kittel, sicherte
nicht nur ihren neuen Auftraggebern das nötige know-how,
sondern trug ihnen auch die ehrfürchtigen Kosenamen "God
and Man" ein. In Zusammenarbeit mit Mannes und Godowski
gelang es Kodak 1935 schließlich einen 16mm Farbumkehrfilm auf den Markt zu
bringen, dessen Eigenschaften bereits wesentliche Voraussetzungen für den
späteren Erfolg des Kodak-Konzepts in sich vereinte.
Anders als beim fast zeitgleich vorgestellten Agfacolor-Kinofilm, bei dem die Farbkuppler bereits in der
Emulsion integriert waren, entschloss man sich bei Kodak die Farbstoffe erst
bei der Filmentwicklung zuzusetzen. So konnte fortan zwar jeder mit Kodak
Farbmaterial filmen, doch nur Kodak konnte es entwickeln. Die scheinbare
Gelassenheit Technicolor gegenüber hatte andere
Gründe. Erstens verdiente Kodak indirekt an der Arbeit des Konkurrenten, dessen
Verfahren ja den dreifachen Bedarf an schwarz-weiss
Filmmaterial bedingte und zweitens war ein Ende der komplizierten und
geheimniskrämerischen Technik langfristig abzusehen. Der dritte, nicht so
offensichtliche Schachzug, war die anfängliche Beschränkung auf den
Amateurmarkt. Neben den Einnahmen aus diesem nicht unerheblichen Segment, schuf
man sich die Möglichkeit die Qualität des neuen Materials ausgiebig zu testen
und schrittweise zu verbessern. Wie der voreilige Einsatz des Mehrschichtfilmes
von Agfa zeigte, war diese Technik in den 40er Jahren keinesfalls ausgereift
und den hervorragenden Ergebnissen von Technicolor
sichtbar unterlegen.
Obwohl das Eastman Color Filmmaterial Anfang der 50er
Jahre nur zögernd angenommen wurde, kam es doch zur rechten Zeit. Kodak bot es
neben dem konventionellen 35mm-Format auch als
Breitwandnegativ (65mm) und –positivmaterial (70mm) an und schuf damit eine
wesentliche Voraussetzung für den Überlebenskampf gegen das Fernsehen. Die
Hollywood-Studios konnten oder wollten anfänglich kein Risiko eingehen und es
war bis in die 60er Jahre üblich, dass aufwendige und prestigeträchtige
Produktionen in Technicolor gedreht wurden. Für die B-Movies, billige Western und Kriegsfilme, griff man aber
gerne auf die unkompliziertere und kostengünstige Alternative zurück. „Technically this is a very
uneven film, but the horses behave
beautyfully even if the colour
process doesn´t”
urteilte dann auch ein Filmkritiker über Der
König der Wildnis, dem ersten abendfüllenden Spielfilm, der vollständig in
Eastman Color gedreht wurde.
Bis zum endgültigen Verschwinden der anderen
Farbprozesse Anfang der 70er Jahre, gab es unzählige Allianzen und
Kombinationen, deren vollständige Aufzählung mehr als verwirrend wäre. So war es durchaus üblich Filme auf Eastman-Negativ zu
drehen und bei Technicolor kopieren zu lassen. Auch
gab es zahllose Kooperationen mit diversen Studios und Labors, die klingende
Namen wie „SUPERCineCOLOR“, „Warnercolor“,
Pathécolor“ oder „Metrocolor“
hervorbrachten, hinter denen aber immer das technische know-how von Kodak steckte. Diese Vorgangsweise ist signifikant für das
gesunde Selbstbewusstsein, daß sich Kodak als größter
Rohfilmhersteller der Welt leisten konnte. Die Firmenpolitik von Technicolor ging von einem umfassenden Konzept aus. Um
optimale Ergebnisse zu gewährleisten wurde eine Produktion umgehend betreut: Technicolor schickte monströse Spezialkameras, eigens
geschulte Kameramänner und Farbberater zum Set und überwachte alle Prozesse der
Negativentwicklung und Kopie unter strengsten Auflagen und Geheimhaltung. Der
Markennamen Technicolor sollte für höchstes Niveau
stehen Die Kodak agierte hingegen als Konzern, der sich darauf beschränkte
Filmmaterial herzustellen und Lizenzen zu vergeben. Im Gegensatz zu Technicolor wurden so die Entwicklungskosten vergleichsweise
gering gehalten und die Verantwortlichkeit für die Farbgestaltung beim
jeweiligen Kameramann oder Setdesigner belassen. Mit der ausreichenden
Bereitstellung von Farbfilmmaterial schuf Kodak sukzessive eine
Produktionssituation, die nicht mehr exklusiv an eine Autorität gebunden war.
Mit dem langsamen Auflösen des defacto Monopols von Technicolor konnte eine neue Freiheit in puncto Farbe entstehen, die der Qualität allerdings nicht
immer zuträglich war.
The observer should never be conscious of colour at
all until it means something.
Major A. Cornwell-Clyne
"What´s Wrong With Colour?",
1949
Die Fachartikel und Filmbücher der 50er Jahre
strotzen in Anbetracht der um sich greifenden Farbinflation nur so vor
Ermahnungen zum „richtigen“ Gebrauch der Farbe. In Farbenfilm und Farbenphoto, einem Lehrbuch aus dem Jahre 1949, hört
sich das ungefähr so an:
Das Farbmaterial ist während der letzten Jahre auf eine technisch und
qualitativ sehr hohe Stufe entwickelt worden, wodurch dem fachlichen Könner das
Mittel in die Hand gegeben ist, Licht- und Farbbildner zu sein. Durch eine
allgemeine Verwendung des Farbmaterials entsteht aber auch die Gefahr, dass insbesondere
von ungeschulten Kräften aus lauter Begeisterung alles geknipst wird, was
irgendwie farbig ist. Je knalliger die Farben sind, desto größer wird für viele
die Freude sein. Ein solcher Farbenrausch widerspricht jedoch durch seine unvermeidlichen
Disharmonien dem Wesen des farbigen Lichtes und dem Gesetze der Farbenharmonie.
Solch allzu farbige Bilder können kaum eine tiefe, echte Freude erwecken und
sind daher auch von keinem bleibenden Wert. Diese Gefahr für die gesamte Film-
und Photogilde - ja in kultureller Beziehung weit darüber hinaus - zu bannen,
ist die Aufgabe der besten Fachleute, deren Können ja auf dem Wissen und der
Erfahrung beruht. Sie müssen das Steuer und die Verantwortung für die
fachgerechte Anwendung der verschiedenen Verfahren selbst übernehmen, um dem
neuen Gebiet eine bestimmte und würdige Richtung zu geben
Der rechte Umgang mit Farbe wurde als ein Gradmesser
für Kultur verstanden - und um deren Wahrung war es aus europäischer Sicht in
Amerika immer schlecht bestellt. Schon beim Ufa Jubiläumsfilm Münchhausen hat sich die
nationalsozialistische Propaganda um nuancierte Abgrenzung zu Hollywood bemüht.
Jeder Szenenkomplex des Filmes sollte eine spezifische, Renaissancemalern und
Rembrandt nachempfunden Tönung haben: der venezianische Karneval dunkelleuchtend, der Ball im russischen Hof winterlich
Blau, die Residenz in Braunschweig herbstfarben. Die gedämfteren
und weicheren Farben des Agfa-Materials wurden auch nach dem Krieg noch als
vornehmer empfunden und vor allem deswegen von europäischen Regisseuren
bevorzugt. Die teilweise schreienden Farben der Technicolor-Musicals
hingegen wurden als vordergründiger Effekt abgelehnt und ein Produzent von Pathé ließ 1947 verlauten, dass die Franzosen weder für Farbe, noch für Musicals zu
haben wären. Nicht nur in Anbetracht der deutschen Heimatfilmwelle wurden
besorgte Stimmen laut, die den ästhetische Wert des Farbfilmes generell in
Frage stellten und der reduzierten Klarheit des tonwertreichen Grau
nachtrauerten. Auch die Begeisterung der nouvelle vague für den film noir und die mahnenden Worte des dänische Regisseurs Carl
Theodor Dreyer lassen sich in diesem Zusammenhang
verstehen: „An wie viele [Farbfilme]
erinnern wir uns ihres ästhetischen Werts wegen? Zwei-drei-vier-fünf?
Vielleicht fünf – aber sicher nicht mehr.“
Dem kontinentalen Vorurteil zum Trotz entwickelte
sich gerade im Amerika der 50er Jahre ein differenzierterer Umgang mit den
Möglichkeiten der Farbgestaltung. Regisseure wie Vincente Minelli,
Douglas Sirk oder Alfred Hitchcock fanden früh eine
eigenständige Farbdramaturgie, die einerseits die bestehenden Genrecodes
revolutionierten und anderseits den Major-Studios half, sich von der
zunehmenden Zahl billiger Farbproduktionen abzuheben.
Langsam und tief greifend stellte sich die gesamte
Filmbranche beider Seiten des Ozeans auf die unaufhaltsame Durchsetzung des
Farbfilmes ein. Kostüme, Beleuchtung und Make-up hatten sich den veränderten
Anforderungen unterzuordnen und verlangten einiges an Improvisationstalent,
denn auch Eastman Color war anfänglich nicht wirklich als „Naturfarbenfilm“ zu bezeichnen.
So erinnert sich der Filmarchitekt Léon Barsaq an
seine erste Begegnung mit dem neuen Material: „Eine grau gestrichene Dekoration erschien als kräftiges Blau. Um ein
brauchbares Grau zu erhalten, musste ein beiger
Anstrich verwendet werden. Ich erinnere mich noch an eine zweifelsohne harmlose
Flasche, die der Ausstatter mehr zufällig auf die Bar in „Le Grand Jeu“ platziert hatte. Als der Film gezeigt wurde, war das
einzige Ding das auffiel, die Flasche: Sie war der Star, und jedermann wartete,
dass etwas mit ihr geschehen müsse, aber nichts passierte ...“
Die produktionsbedingten Fehlfarben, wie auch die
mangelnde Haltbarkeit und Filmempfindlichkeit sind mit der Zeit ebenso
verschwunden wie die merklich unterschiedlichen Charakteristika der wenigen
verblieben Filmfabrikate und die Skepsis gegenüber dem bunten Kino. Das
Spektrum dessen, was seit den Anfangstagen von Eastman Color als farbige Bilder
auf die Leinwand kam ist zu vielfältig, um es hier auch nur anzureißen. Sicher
ist jedenfalls, daß die Vereinheitlichung und
Standardisierung der technischen Farbprozesse half, den Farbfilm endgültig aus
seiner Rolle des kommerziellen Zugpferdes zu emanzipieren. Nach mehr als eine
halben Jahrhundert konnte die Farbe zu einem selbstverständlichen
Gestaltungsmittel des Films werden, dem man seine schwere Geburt nicht mehr
anmerkt.