BRECHUNG
DER BLICKE
Zur Sichtbarkeit von Unsichtbarem in der neuen Photoserie
„View-Finder“ von Michael Michlmayr
von Carl Aigner 1996
Je genauer „realistischer“ wir etwas
darstellen wollen, um so komplexer die Instrumentalien,
derer
wir dafür bedürfen. Die Photographie ist
ein exzellentes Beispiel für den Bereich der
Bilder. Als
erstes apparatives Bildmedium pikturalisiert sie
visuelle Wirklichkeit wie kein anderes Medium
zuvor und liefert uns den Effekt einer (scheinbar)
unmittelbaren „Durchsicht“ auf eine
Realität. Das
Zeitalter der Photographie eröffnet damit die
Gleichschaltung von Bild, referierter Wirklichkeit
und
Blick; die apparative Mediatisierung der Bilder
qua Photographie bedeutet so gleichzeitig aber auch
eine apparative Mediatisierung unserer Blicke.
Daraus resultierte eine fundamentale Veränderung
dessen, was wir als „Schauen“ bezeichnen:
seit
und durch die Erfindung der Photographie findet
ein Transformationsprozeß vom Schauen zum
Sehen, von der Anschauung zur Wahrnehmung statt.
Die (Un-) Möglichkeit des Schauens im
Angesicht apparativer Blicke ist wichtigstes Thema
der 1996 entstandenen Photoserie „View-
Finder“ von Michael Michlmayr. Die konzeptuelle
Verfahrensweise auf der diese neue Arbeit fußt,
scheint auf den ersten Blick simpel zu sein: wir
sehen im Zentrum jedes Bilds zunächst eine
Kamera, genauer das Sucherbild einer 6 x 6 Kamera;
als Rahmung dieses Apparates ist die
jeweilige Bodenumgebung, in der der Photoapparat
situiert ist, erkennbar.
Diese Bild im Bild-Situation birgt ein zweifaches
mediatisiertes Schauen; einerseits ist es das
photographische Bild, welches eine Kamera zeigt,
andererseits ist das Sucherbild, das selbst
bereits durch den apparativen Blick mediatisiert
ein Bild im Bilde bildet. Für den Betrachter
ergibt
sich durch diesen Diskurs der Bilder auch eine zweifache
Referenz: die räumliche Situation der
Kamera und der Blick dieser Kamera auf das jeweilige
im Sucherbild erkennbare Sujet.
„View-Finder“ ist eine medienreflexive
Studie sowohl über die Apparatur der Photographie
als auch
über das mediatisierte Sehen mittels der Optik
dieser Bildapparatur. Die Raffinesse dieser Bilder
liegt in der Thematisierung von Sehen und Nichtsehen.
Wir sehen Photographien und auf diesen
wiederum photographische Bilder, die allerdings
etwas zeigen, was wir eigentlich im Bild nicht
sehen und nur durch Kraft der photographischen Apparatur
wahrnehmen können. Der Effekt der
großformatigen Spiegelkamera bringt uns (seitenverkehrt)
ein Bild ins Bild, dessen Referenz
irgendwo vor der abgebildeten Kamera sich befindet.
Der situative Kontext der Photographie
erschließt sich erst aus dem Text (dem Sucherbild
der Kamera) dieser Photographie. Diese Ver-
schränkung der Bilder ist Ergebnis einer zweifachen
Verschränkung von apparativen Blicken,
insoferne sich der Blick der abgebildeten Kamera
durch das Sucherbild und diese durch den Blick
der photographisch realisierten Aufnahme wiederum
bricht.
Michael Michlmayr reflektiert damit nicht nur das
Apparative einer Kamera bzw. den Status des
photographischen Bildes, sondern gleichzeitig auch
den Blick des photographischen Apparates
bzw. dessen mediale Brechung. Die Lichtbrechung
der Photooptik wird zu einer Blickbrechung des
Schauens. Nicht der Durchblick auf etwas mittels
photographischer Bilder ist Thema der Arbeit,
sondern das Hineinschauen sowohl in das Bild als
auch in die Bildapparatur. Das Erkenntnis-
moment findet sich allerdings nicht (nur) im Schauen,
sondern in der Verschiebung des Status
dieses Schauens; es ist nicht mehr per se auf Sichtbares
gerichtet, sondern vermag in seiner
Transformation das Nichtsichtbare zu zeigen; Sehen,
was man ohne den Sehapparat Photographie
hier nicht sehen könnte, wenn das Bild nicht
ein anderes zeigen würde, welches wiederum
auf ein
abwesendes verweisen könnte (und nicht nur
auf die pikturale Präsenz einer referentiellen
Absenz).
So können wir diese Serie „View-Finder“
auch als Parabel über die Welt als Photographie
lesen,
indem sie uns zeigt, daß jedes photographische
Bild immer schon auf ein andere verweist und das
jedes Darstellungsmedium auch in der Darstellung
selbst als implizites Thema zum Vorschein
kommt. Um so schöner, wenn dies auch noch mit
einem poetischen Gestus (wie das hier der Fall
ist), der uns zu sagen scheint, das jedes photographische
„Schauen“ letztendlich eine symbolische
Form von Aneignung von Welt ist.
Carl Aigner
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