Als »unentwirrbar« beschreibt der tschechische Philosoph
Vilém Flusser die Dimensionen Raum und Zeit. Gleichsam unentwirrbar
verknüpft der Künstler Michael Michlmayr in seinen Digitalfotografien
fragmentierte reale Zeitmomente und Orte mit dem Imaginären. Das Aufeinandertreffen
dieser Dimensionen arrangiert der Künstler bisweilen wie auf einer Bühne
und setzt seine Figuren und architektonischen Segmente scheinbar zufällig
neu zusammen. Dabei ist die Referenz an die außerbildliche, reale Existenz
von Stadträumen, Menschen oder Gebäudeteilen bei Michlmayr zwar vorhanden,
doch die Beweisfunktion scheint der Fotografie auf immer entronnen.
Die FOTONOVIEMBRE 2009 fasst Arbeiten zusammen, in welchen Michlmayr
Menschen und Bauwerke im Stadtraum entweder vermeintlich zufällig positioniert,
ein anderes Mal geometrisch anordnet oder in horizontalen wie vertikalen
Streifen aufreiht. Wir werfen den Blick hoch von oben wie auf einen
Stadtplan hinunter, stehen einem Gebäude en face gegenüber oder begegnen
der (urbanen) Raumerfahrung vom Boden her.
In Arbeiten wie La Place (2005) oder Fußgänger (2005) eröffnet Michlmayr
den Blick aus der Vogelperspektive auf den Stadtraum: Für La Place (2005)
konstruiert der Künstler Bodenmuster und Passanten(gruppen) zu einem
imaginären Stadtraum. Einem unfreiwilligen Suchbild gleich, wiederholen
sich einige der beiläufig ausgestreuten Figuren(paare). Nicht die Passanten
besetzen den Stadtraum, wie einst beim ›Vie de Flaneur‹, sondern mit
der digitalen Fotografie verschmelzen die Puzzlestückchen zu einer unsichtbaren
Montage, so wie Flusser das Ineinandergreifen als »Merkmal alles Räumlichen«
(Flusser) setzt. In Fußgänger montiert Michlmayr seine Figuren in stärkerer
Nahansichtigkeit und fixiert diese multipel in hochgeklappter Perspektive,
so als würden sie die Wand herunterrutschen. Dabei erzeugt der dreieckige
Schattenumriss, den die eilenden Menschen nach sich ziehen, eine kinematographische
Perspektive auf den Körper in Bewegung.
Michlmayrs Werke wie Skyline (2007) oder Skyscraper (2008) entwickeln
sich aus architektonischen Fragmenten. Als Ausgangspunkt seiner Montagen
nimmt er uniforme Einzelmotive, die er später in Serien oder Rastern
anordnet. Die hierfür verwenden Gebäudeteile erscheinen zunächst alles
andere als spektakulär, Menschen und Objekte sind ornamental positioniert.
In Skyline verzerrt der Künstler bewusst die Perspektive und fügt zudem
sechs Stockwerke rechts und links (zweifach) hinzu, das Gebäude könnte
sich in seiner Piktorialität beliebig erweitern. Auch die in Skyscraper
abgebildeten Stockwerke vervielfacht Michlmayr scheinbar endlos, um
das architektonische Emporstreben der Metropole New York zu illustrieren.
Die von Michlmayr vorgenommene Erweiterung von Größen, Formen und Farben
in heterogenen Perspektiven verweist zudem insbesonders auf die Entgrenzung
des Raumes unserer sich in Auflösung befindlichen Welt.
»Gleichwohl berührt die PHOTOGRAPHIE sich [...] nicht über die MALEREI
mit der Kunst, sondern über das THEATER«, schreibt der französische
Philosoph Roland Barthes. Spuren einer theatralen Inszenierung zeigt
Michael Michlmayrs Heldenplatz (2005), denn vor einer kulissenartigen
Backsteinmauer laufen Spaziergänger multipel wie auf einer Figurentheaterbühne
von rechts nach links und umgekehrt. Gleichsam wie Papierfiguren scheinen
die Personen wie von einer Schnur parallel hin und her gezogen zu werden.
Michlmayrs szenographische Raumvorstellung findet sich ebenso in seiner
Arbeit Monument (2007). Einem Theater der Fotografie gleichend, treten
die Touristen in Schönbrunn in doppelten Rollen bildparallel an unterschiedlichen
Positionen auf, während sich die Jogger dazwischen wie Nebenfiguren
bewegen.
Infolge der multiplen Anwesenheit von Personen und Baukörpern entfaltet
sich in Michael Michlmayrs Kunst nicht nur Skepsis am Wahrheitsgehalt
des menschlichen Bildeindrucks, sondern vor allem das Potential des
Bezweifelbaren des Mediums Digitalfotografie, so wie schon Barthes konstatierte:
»die Zufälligkeit und das Rätselhafte, lehrten mich, daß die PHOTOGRAPHIE
eine ungewisse Kunst ist«.
© Claudia Marion Stemberger | artandtheory.net (2009)
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