Innere und äußere Kampfkunst

In unserer heutigen Zeit gewinnen die traditionellen asiatischen Kampfkünste ( und auch nicht asiat.!!) immer mehr an Beliebtheit. Überhaupt, vieles was aus Fernost zu uns kommt ist im Moment hoch im Kurs und scheint mit mehr oder weniger tatsächlichen Nutzen einige Lücken in unserer Gesellschaft zu stopfen und gewisse Sehnsüchte nach mehr Spiritualität und Inhalt zu befriedigen. Die Liste derartiger Angebote aus Asien ist lang und umfaßt gleichermaßen Lebenswege wie Produkte: Yoga, Fengshui, Puh Er-Tee, 5-Tibeter, Reiki, Zen, Ayurveda,....um nur einige zu nennen. Man könnte mühelos deine ganze Seite damit füllen!Vieles davon wirkt geheimnisvoll, manches interessant und allzuoft unseriös und aus dem Zusammenhang gerissen. Nur zu oft sind wir dann restlos überfordert wenn es gilt die Spreu vom Weizen zu trennen!

Aber genauso verhält es sich nämlich auch in den Kampfkünsten, über die ich jetzt ein wenig schreiben möchte.: Waren vor ca. 25 Jahren bei uns gerade mal so Namen wie Judo, Karate, Jujitsu und Kung Fu geläufig, so sind mittlerweile längst auch Taekwondo, Taijiquan, Sumo,Kendo, Qigong, Ving Tsun,..... selbst oft dem Laien ein Begriff. Schwieriger ist da schon die Frage zu beantworten, ob das nicht eh alles das Gleiche ist, und wenn nicht, was denn nun das Beste(für mich) sei. Da antworten dann oft diejenigen mit "Insiderwissen": "Da gibt es harte und weiche, oder innere und äußere Kampfkünste! Zum Beispiel ist Karate hart und Judo weich! Shaolin Kungfu außen und Taijiquan innen,...." Solcherlei Aussagen verwirren oft noch mehr, vorallem wo doch viele wissen, daß das Judotraining sehr hart sein kann und das Weichste dabei oft die Matten sind, und viele Karatekas bemerken, daß sie erstaunlich selten verletzt sind, anders als man meinen müßte! Oder ein anderes Klischee: Shaolin Kungfu = außen+hart, da man damit bekanntlich Eisenstangen mit dem Kopf zerbrechen kann und gut kämpft.-Taijiquan= innen+ weich, weil es so sanft ausschaut und man nie jemand damit kämpfen sieht!...Wir sehen also, auch diese Definitionen sind mit Vorsicht zu genießen und bevor wir es noch einmal probieren wollen wir uns noch ein anderes Wortspiel ansehen.:

Kampfsport- Kampfkunst- Weg

Man kann ganz allgemein sagen, daß sich vielerorts auf der Welt aus der Notwendigkeit heraus sich und andere manchmal verteidigen zu müssen da und dort regelrecht eine" Kunst der Selbstverteidigung" entwickelt hat. Zur Kunst wurde das sobald Angriffs und Verteidigungstechniken sinnvoll kombiniert, ökonomisch eingesetzt, systematisiert und beständig weiterentwickelt wurden. Das alles mit örtlich großen Unterschjieden aber auch vielen Gemeinsamkeiten, Je nach aktuellem Bedarf, Konstitution und Charakter. Mit der Zeit wurde dann oft aus der Kunst noch ein "Weg"(Dao,Do), indem man diese Künste mit philosophischen bzw. religiösen Inhalten verband. Vorwiegend waren das der Buddhismus ( Shaolin, Karate,...) und der Daoismus ( Taijiquan, Baguazhang,.....) Warum tat man das, was in aller Welt sollten Religion und Philosophie mit der " Kust zu töten" zu tun haben?! Wurden durch Religionen nicht schon zu oft sogar Kriege begonnen? Ein trefflicher Grund dafür mag gewesen sein, mittels einer Kampfkunst die Angst vor dem ( eigenen ) Tod zu transzendieren. Gute Kampfkunst lehrt uns fast zwingend in der Gegenwart zu sein und nicht mit den Gedanken inder Vergangenheit zu graben oder über eine mögliche Zukunft zu spekulieren, enthält also ein wesentliches Element der Meditation! Auf jeden Fall versucht eine gute, als Weg verstandene Kampfkunst dem Menschen in seiner Ganzheit gerecht zu werden, d.h. sowohl seinen Charakter zu formen, Geist und Körper aufeinander abzustimmen und zu entwickeln und aus den verschiedenen Abhängigkeiten (Schmerz, Gier und andere Emotonen) zu befreien, das Bewußtsein zu verfeinern und so in die Lage zu versetzen ein volleres Leben zu führen. Die Fähigkeit zur effektiven Selbstverteidigung geht dabei nicht verloren, sie tritt aber immer mehr in den Hintergrund. Wen und was verteidigen wir denn oft wirklich? Was ist denn jetzt aber als Kampfsport zu bezeichnen? Ich denke daß der Kampfsport eine zutiefst westliche Spielart ist. Keineswegs möchte ich damit westlich= schlecht und östlich= gut sagen- überhaupt nicht! Mit westlich verbinde ich vielmehr Eigenschaften wie leistungs-und konsumorientiert. Das ist keineswegs schlecht- nur eben lange nicht alles. Zum Problem wird nur wenn wenn ich vom " leisten müssen" abhängig werde, sowie vom Konsumzwang. Wenn ich es aber schaffe, mich nicht von Erfolgen und Mißerfolgen abhängig machen zu lassen und nicht dem Zwang zur Leistung unterliege, dann kann ich aus einem Wettkampf sicherlich viel lernen, denn wenn ich dabei achtsam bin kann das ein wunderbarer Spiegel für mich sein und kann weiters dabei lernen Sieg und Niederlage gelassen anzunehmen und gelassen damit umzugehen. So kann auch vernünftig betriebener Kampfsport zu meiner "Ganzheit" einen guten Beitrag leisten. ( Auch dabei geht die Fähigkeit zur Selbstverteidigung nicht verloren, trit aber in den Hintergrund, da es in erster Linie um Punkte geht!)

Da wir jetzt ein Basisverständnis von den Begriffen Kampfkunst- Kampfkunstweg- Kampfsport haben können wir uns nun weiteren wichtigen Begriffen zuwenden.:

Innere Kraft - Innere Stärke

Jeder von uns kennt sicherlich einige Menschen in seinem Umfeld von denen man sagen würde daß sie innere Stärke ausstrahlen. Das muß nicht unbedingt ein mental starker, vor Kraft (äußerer) strotzender Tennisspieler sei, das könnte ebensogut meine Großmutter sein, oder jemand, der auf der Intensivstation liegt und seinem Tod gelassen ins Auge blickt. Einige Menschen scheinen diese " Ausstrahlung" von Natur aus zu besitzen, bei anderen stellt sie sich mit Alter und Erfahrung ein, wiederum bei manchen scheint sich diese Eigenschaft ein Leben lang nicht einstellen zu wollen und bestimmte Leute beschließen sich einem intensiven Trainingsprogramm ( z.B. Kampfkunst, Meditation,...) zu unterziehen um sich mit der Zeit diese "innere Stärke" anzueignen. Wir sehen, innere Stärke hat mit der Psyche, dem Geist und dem Charakter zu tun!

Innere Kraft könnte man ganz allgemein als eine spezifische Art der Kraftübertragung bezeichnen, bei der die Kraft weniger durch Muskelkontraktionen ( äußere Kraft) freigesetzt wird, sondern durch das "koordinierte Loslassen" gestretchter Muskelketten ( z.B. im Taijiquan, Baguazhang,...u. anderen Wudangschulen), was natürlich ein gewisses Maß an innerer Stärke miteinschließt, da das ohne die richtige Konzentration und Einstellung nicht zu bewerkstelligen ist! Da dieses Betrachtungskonzept innerer Kraft für viele eher neu sein dürfte, wird hier nun etwas detaillierter darauf eingegangen.:

Nach diesem Konzept kann man drei grundsätzliche Arten der Kraftübertragung (in verschiedenen Kampfkünsten) unterscheiden.:

Typ1: Ene möglichst große Kraft wird durch möglichst starke Muskelkontraktion und Beschleunigung verfügbarer (Körper) Masse erzeugt. Gute Beispiele dafür geben etwa Boxer ab, die blitzschnell aus einer tänzelnden Bewegung herausschlagen und dabei noch das ganze Gewicht ihres Körpers ( Schulter) hinter den Schlag legen; oder ein Thaiboxer, der seinen Gegner anspringt um ihn mit z.B. dem Knie zu rammen. Beiden gemeinsam ist große Wucht, erzeugt durch starke Anspannung, Beschleunigung und Masse. Ebenfalls beiden gemeinsam ist ein eher geringer (untergeordneter) Kontakt zum Boden hin, der (scheint es) zugunsten von Geschwindigkeit und Überraschungseffekt aufgegeben wird. Kraft- Koordinations und Schnelligkeitstraining sind dafür unerläßlich!

Typ2: Es besteht in (zumindest) einem Bein eine außergewöhnlich gute Verbindung zum Boden; der Körper ist "gesunken", die Muskeln von Ober u. Unterkörper in einem "gestretchetem" Zustand. Man spricht hier von "Verwurzelung". Von dort wird die Kraft über eine Kette von Muskelkontraktonen und mit der Beschleunigung durch die Hüfte, die in horizontaler Ebene dreht von unten nach oben gebracht. Schläge mit äußerst durchbrechender Wirkung können auf diese Weise erzeugt werden. Gute Beispiele dafür geben etwa das Fujian weißer Kranich( Baihequan) und das zu großen Teilen daraus hervorgegangene "trad. okinawanische Karate" ab. Eine sehr verbreitete Technik zum erlernen dieser Kraft (u. Energie), die in den Beinen wurzelt sind dafür die vielen verschiedenen Formen des "Qigong der stehenden Säule"(Zhanzhuang), bei dem man nicht selten bis zu mehreren Stunden in einer tiefen, gesunkenen Stellung verharrt und dabei versucht den rebellierenden und kontrahierenden Körper zu entspannen, und gleichzeitig den Geist dabei zu lehren, bis sich ein Gefühl und die Fähigkeit einstellt tatsächlich nahezu unbegrenzt und mühelos dastehen zu können. (Bis dieses Stadium jedoch erreicht wurde, endete die Übung nicht selten in einem Zittern,das in Krämpfe überging und der Adept sich schließlich am Boden wiederfand!)

Typ3: Dise Art von Kraft stellt die schon zuvor angesprochene dar, welche durch gestrechte Muskelketten erzeugt wird. Biomechanische Studien neueren Datums haben beispielsweise ergeben, daß ein Muskel der gdehnt wird bis zu 10x soviel Kraft freisetzen kann, wie einer der ausschließlich kontrahiert. Ein Muskel der gestrecht wird ist außerdem dann umso kräftiger, je schneller das passiert, während hingegen ein ein Muskel der kontrahiert umso mehr Kraft erzeugt je langsamer er das tut. Das mögen Gründe sein warum in vielen trad. Kampfkunstarten so großer Wert auf Entspannung und Muskelvorspannung vor einem Schlag gelegt wird! Wie ist nun diese Art der Kraftübertragung zu erreichen? Einerseits macht man sich dabei die Schwerkraft zu Nutze und indem man völlig entspannt ermöglicht man so das gesunkene Gewicht des Oberkörpers zu verwenden die Muskeln in den Beinen zu dehnen, während danach auch der Oberkörper in sich gestretched wird. Es ist vergleichbar einer gespannten Bogensehne, die dann nurmehr losgelassen zu werden braucht. Weiters kann man die Kraft des Gegners dazu benutzen die eigenen Muskeln zu dehnen. Das verlangt, daß man sich einer Kraft nicht entgegenstellt oder sie abblockt, sondern sie annimmt, gewissermaßen diese sogar auf sich zieht. Das ist sicherlich die schwierigste und daher am langwierigsten zu erlernende Art der Koordination. Wir finden sie hauptsächlich im trad. Taijiquan und anderen Wudangschulen und sie ist sicherlich mit ein Grund warum so selten Menschen mit außergewöhnlich gutem Niveau in diesen Kampfkünsten zu finden sind.

In der Realität sieht das aber nun so aus, daß keine Kampfkunst beanspruchen kann sich ausschließlich auf einen dieser 3 Krafttypen zu verlassen( natürlich gibt es auch zahlreiche Zwischenstufen), aber meistens ist einer davon bewußt im Vordergrund, während die anderen nur minimal oder unbewußt eingesetzt werden.Zum Beispiel wird im Taijiquan sehr viel Zeit darauf verwandt "Typ3- Kraft" zu entwickeln um die Kraft des Gegners optimal ausnutzen zu können. Natürlich ist dort auch Typ2- Kraft wichtig um sich überhaupt( durch Muskelkontraktionen) vom Fleck bewegen zu können, um Distanz zu überwinden und wenn notwendig und es der Gegner an gerichteter Kraft die man nutzen könnte vermissen läßt, initiativ werden zu können. Typ1 etwa ist beim Taijiquan nicht erwünscht, da sich dieser mit Typ3 nicht besonders verträgt, tritt aber gelegentlich auch auf.(z.B. in Sprüngen, die im Taijiquan aber eine untergeordnete Rolle spielen, oder unbeabsichtigt, in Folge mangelhafter Koordination) Im trad. Karate beispielsweise wird der Schwerpunkt auf Typ2 gelegt, während natürlich Typ 1 und 3 auch gewisse, untergeordnete Rollen spielen. Nochmals möchte ich betonen, daß die Übergänge sehr fließend sind und in der gleichen Kunst sogar von Stil zu Stil schwanken, und in der Tat spezialisieren sich manche auf "Zwischentöne". Z.B. Baihequan auf Mischformen zwischen Typ 2 und 3!

Man könnte jetzt Typ 1 mit hart und Typ 3 mit weich bezeichnen und dazwischen eine zehnteilige Skala spannen und danach die Kampfkünste in eher hart oder weich einteilen! Daß zum Beispiel im Boxen mehr harte Kraft und im Taijiquan mehr weiche eingesetzt wird.

Mit "außen" und "innen" denke ich wird aber die "innere Stärke" gemeint, die wir zuvor schon besprochen haben. Etwas genauer: Unter innerer Stärke kann man eine Art von Bewußtsein verstehen, das einerseits sehr präsent und achtsam ist, andererseits fähig, eine sehr zielgerichtete Intention ( einspitziger Gedanke) zu entwickeln, der eine unweigerliche Wirkung nach sich zieht: Weiters ist die Eigenschaft wichtig nicht zu sehr an ( gewesenen ) Gefühlen zu haften ( grübeln) und auch eine gewisse Unabhängigkeit des Geistes vom Körper zu haben ( z.B. gegenüber Hunger, Kälte, Schmerzen,....) Diese Stärke kann im Prinzip jeder haben ( manchmal sogar von Natur aus), oder durch Training entwickeln; so kann beispielsweise ein Boxer, der über ein hohes Maß an äußerer, harter Kraft verfügt über große innere Stärke verfügen und ein Vertreter von Taijiquan zwar über reichlich innere Kraft, aber weniger innere Stärke. Vielleicht könnte man jetzt sogar eine Skala für die innere Stärke schaffen, die Fähigkeit den (eigenen) Geist und die eigenen Energien zu kontrollieren.

Was ist aber jetzt nun eine "äußere" und eine "innere" Kampfkunst? Eine, die viel Typ 3 und viel innere Stärke einsetzt eine innere, oder vielleicht viel Typ 1 und viel innere Stärke? - Ich denke, daß diese Klassifizierungen nicht so wichtig sind und sogar mit Vorsicht zu genießen! Hoffentlich helfen diese Gedanken ei wenig dabei dieses Thema aufzuhellen und weiterzudenken. Am Wichtigsten jedoch erscheint es mir genau zu wissen was man tut und wie( und warum!). Wenn es zu mir paßt, dann ist es auch ein "Weg" für mich, egal ob hart- weich, innen oder außen! das leichter erkennen zu können war die Intention hinter diesem kleinen Aufsatz!