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Finanzexperte Wilhelm Hankel zum Euro: „Man sitzt in einer doppelten Falle“.

 

Ist „Euroland“ auf Absturzkurs?

 

Von Beatrix Neiss

 

Ist der totale Absturz des Euro voraussehbar? Eine Frage, über die Finanzexperte Wilhelm Hankel im Zuge des diesjährigen Welt-Ethik-Gipfels in Kühlungsborn an der Ostsee referierte. Hankel sieht im Zeitfaktor den „Joker" und warnt vor überstürzten Handlungen innerhalb der Währungsunion.

 

Denn "langfristig gesehen könnte sich der Euro bewähren, er braucht nur eine Chance und geeignete Rahmenbedingungen, wie etwa eine parallel existierende Währung als Standard", stellt Hankel die Rute ins Fenster der EZB und sprach mit der "Wiener Zeitung" u.a. auch über die Rolle Österreichs als "Euroland".

 

"Wiener Zeitung": In den 70-er Jahren war der AustroKeynesianismus die österreichische Antwort auf die Währungsproblematik. Wie sehen Sie Österreichs heutige Situation im Verhältnis zum Euro?

 

Wilhelm Hankel: Es stimmt, dass Österreich nach der ersten Ölkrise eine sehr österreichische Antwort parat hatte. Damals hat man vielfach in der EU eine falsche Diagnose gestellt. Man glaubte, die hohen Ölpreise werden zu einer Art Kosteninflation führen. Man hat nicht bedacht, dass es ein Deflationsfaktor wird. Der Austro­Keynesianismus war damals eine brillante Kombination, Inflation draußen zu belassen und Beschäftigungswachstum anzukurbeln. Der Pferdefuß dieser Politik war immer erkennbar: Man durfte die Staatsschulden nicht aus dem Ruder laufen lassen. Aber genau das hat man in der Ära nach Kreisky und Androsch so weit ich das erkennen kann total verloren. Die Schulden sind weitergelaufen, und heute ist es schwer, den alten Wachstumspfad wiederzugewinnen.

 

WZ: Wie müsste sich Ihrer Meinung nach die Gemeinschaft verhalten, um das Problem des "kleinen Globalismus vor der Haustüre ", zu lösen ?

 

Hankel: Wir müssen erkennen, dass wir in Europa mit einer doppelt falschen Politik fahren. Die Einführung des Euro hätte niemals zum Zeitpunkt fallender Wechselkurse stattfinden dürfen, weil das zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung und den internationalen Finanzmärkten geführt hat. Hinter dieser Fehlvorstellung steht das einseitige Europa-Bild einer geschlossenen Volkswirtschaft. Diese Betrachtungsweise übersieht, dass Europa in der Finanzwelt, am Kapitalmarkt, eine 100%ige offene Flanke hat. Der Euro ist eine konvertible Währung, und wenn die Menschen kein Vertrauen zu ihm fassen, ist der Euro zwar eine Währung zum Geld ausgeben, aber nicht zum Sparen und Anlegen. Aber genau das ist eingetreten; es ist natürlich nicht die Schuld Österreichs, sondern der Gemeinschaft - auch der EZB - die dieser Fehlvorstellung aufgesessen ist. Die Europäische Zentralbank müsste heute eine harte Währungspolitik betreiben durch Straffung der Geldmenge. Andererseits müssen die Zinsen so attraktiv gestaltet werden, dass die Menschen nicht in Dollar oder anderen Währungen anlegen. Diese Politik würde der Konjunktur nicht schaden, denn der Konjunktur in Europa schadet vielmehr der derzeitige Geldabfluss. Seit Beginn des Euro existiert ein erschreckender Kapitalabfluss aus Euroland. Die Zahlen reichen bis zu einer halben Billion Euroabfluss. Und was noch erschreckender ist: Euroland hat seinen Leistungsbilanzüberschuss verloren. Inzwischen hat die Gemeinschaft sowohl ein Defizit in der Leistungsbilanz und ein noch größeres in der Kapitalbilanz. Damit lässt sich kein starker Euro fixieren. Diese Defizite müssen beseitigt werden, aber nicht dadurch, dass man "zu Hause", eine "austerity-Politik", d.h. Sparpolitik, durchführt. Ein Finanzminister kann mit einer harten Budgetpolitik im eigenen Land keinen weichen Euro kompensieren.

 

WZ: Es wird argumentiert, dass die hohen Lohnnebenkosten schuld daran seien, dass Arbeitsplätze verloren gingen. Die Ansiedelung von ausländisehen Investoren (FDI's) könnte das Problem verringern, vielleicht sogar lösen, wenn Österreich noch günstigere Rahmenbedingungen dafür schafft, also Anreize für FDIs.

 

Hankel: Ein Investitionsboom in Österreich mit Wachstumsraten von 3% und mehr würde auch die Produktivität steigern und dadurch wären die Lohnnebenkosten durchaus finanzierbar. Man sitzt in einer doppelten Falle: Einerseits ist man an den Euro gebunden, und die Abwertung des Euro ist ein schwerer Eingriff in die wirtschaftspolitische Gestaltungsfreiheit. Inflation wird importiert, zwar unschuldig, aber das verbietet zu Hause eine expansive Politik: Andererseits verlässt man sich statt auf eigenes Tun auf ausländische Investoren und die werden mit Sicherheit nicht kommen. Euroland wird erst dann ein Land für Auslandsinvestoren, wenn der Euro stabil und hart ist. Davon sind wir aber weit entfernt.

 

WZ: Die hohe politische und ökonomische Sicherheit Österreichs gilt als Pluspunkt für ausländische Investoren.

 

Hankel: Osterreich als Wirtschaftsstandort ist nicht sicherer als die anderen Standorte der EU. Wir haben eine Währungsunion - die Standorte innerhalb der Union sind gleich sicher und unsicher. Es gibt keine Vorzugsbehandlung. Auslandsinvestoren lockt man nicht durch einmalige Geschenke an. Im Prinzip läuft es auf eine "beggar-myneighbour-policy" hinaus, d.h. die Nachbarn werden sich das nicht nur verbieten, sondern sie werden dasselbe unternehmen und dann hat man Steuerausfälle, aber nicht die erwarteten Ertragssteigerungen.

 

WZ: Wie sehen Sie das Instrument der Volksbefragung im Falle des Euro?

 

Hankel: Wenn demokratische Politiker mit ihrem Latein am Ende sind, dann kommen sie auf eine Volksbefragung, die sie vorher strikt ablehnten - das Volk wird als Nothelfer entdeckt. Es ist zwar ein Kompliment an das Volk, aber gleichzeitig auch eine Bankrotterklärung der parlamentarischen, repräsentativen Demokratie.

 

WZ: Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach geeignet, um das Schiff auf Euro-Kurs zu halten?

 

Hankel: Durch die Globalisierung der Märkte sind die alten Staaten, die Nationalstaaten, mit ihren sozialen Korrekturfunktionen fast ausgehebelt worden. Der Markt bestimmt und der Staat reagiert. Deshalb benötigen wir in der globalisierten Welt neue Formen der Marktstabilisierung. Ebenso brauchen wir etwa auf den Finanzmärkten eine Bank‑ und Kreditaufsicht und eine Liquiditätskontrolle, so wie wir sie durch die inzwischen entmachteten Zentralbanken vorfinden. Darüber hinaus sind Standards für fairen Wettbewerb und sozial gerichtetes Handeln notwendig. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Europäische Währungsunion dafür einen Ersatz geschaffen hat. Wir sehen immer deutlicher, dass wir mit dem Euro unseren kleinen Globalismus vor der Haustüre hereingebracht und sogar verschärft haben. Denn im gemeinsamen Markt gibt es auch keine Gegenkräfte, die das viel zitierte soziale Wohl der BürgerInnen zu ihrer Aufgabe erkoren haben. Wir bekommen einen gemeinsamen Arbeitsmarkt, der wie jeder Arbeitsmarkt dazu tendiert, dass das Land mit den niedrigsten Löhnen den Ton angibt. D.h. es findet im gemeinsamen Markt durch die gemeinsame Währung ein permanenter Abbau von sozialen Strukturen statt.

 

WZ: Sehen Sie das Experiment Euro als gescheitert?

 

Hankel: Ich befürchte, dass das Experiment Währungsunion unter Starken und Schwachen und Reichen und weniger Reichen früher oder später nicht nur aufgegeben werden muss, es wird zu einem unnötigen Rückschlag in der europäischen Integration führen. Die Leute, die wie ich davor warnen, sind keine Antieuropäer, sondern uns treibt die Sorge. Aber es zeigt sich immer wieder, dass heutige Politik nicht lernfähig zu sein scheint.

 

WZ: Wofür plädieren Sie in dieser Situation?

 

Hankel: Ich plädiere erstens dafür, dass man die Währungsunion nicht auf die Spitze treibt. Noch haben wir in ganz Europa, auch in Österreich, einen Doppelstandard, d.h. den Schilling und den Euro, verbunden durch einen Umrechnungskurs, der zunehmend falscher wird. Schiebt man den für 2002 geplanten Umtausch auf unbegrenzte Zeit hinaus und führt den heutigen Parallelstandard weiter, hätte der Euro eine Chance. Er könnte sich einerseits bewähren und andererseits würden die schwach strukturierten Länder langsam in die Währungsunion hineinwachsen. In der Zwischenzeit könnte man die Umrechnungskurse wieder anpassen: Man käme zu einem europäischen Wechselkursregime zurück, ohne die europäischen Institutionen abzubauen oder zu verlieren. Aus der EZB würde eine Art Leitstelle für die nationale Währungspolitik und das ist genau das, was wir brauchen - und nicht mehr.

 

Quelle: Wiener Zeitung, Fr-24.11.00

 

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