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WIRTSCHAFT

Freitag, 10. August 2001

Selbst gedrucktes Geld

Immer mehr Provinzen Argentiniens drucken ihr eigenes Geld. Damit kann der Kollaps des finanziell am Abgrund stehenden Landes noch verhindert werden.

ULRICH ACHERMANN

LA PLATA (SN). Und jetzt Patacones. Die Stirn in Falten gelegt, steht Jose Martinovic hinter dem Ladentisch seines Fotogeschäftes in La Plata. Soll er sie annehmen als Zahlungsmittel, die Patacones? Mit einem Umsatzverlust von 60 Prozent selbst näher am Bankrott als am Wohlstand, hat Martinovic wenig Spielraum. Dramatisch ist die Lage nicht nur für ihn: Erst in der zweiten Augustwoche konnte die Provinzverwaltung die Juligehälter entrichten. Alles, was über 500 Pesos (Landeswährung) liegt, kriegen die Beamten in Patacones, dem Ersatzgeld. Bald wird also auch der erste Kunde sein Passbild mit dem Gauchogeld bezahlen wollen.

Die Provinz Buenos Aires (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Landeshauptstadt) ist der zehnte Gliedstaat Argentiniens, der mit eigenem Geld den Kollaps des Wirtschaftskreislaufs zu verhindem sucht. Seit Anfang der Woche sind Patacones im Wert von 200 Mill. US‑Dollar in Umlauf Weil der Zentralstaat seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Provinz Buenos Aires vernachlässigt, stand Gouvemeur Carlos Ruckauf der kalte Schweiß auf der Stim, als Ende Juli näherrückte: Für Löhne und Gehälter war zu wenig in der Kasse. Erst per Dekret und hinterher per Gesetzesbeschluss genehmigte er sich 500 Mill. Dollar Schulden ‑ stufenweise verwandelbar in Patacones.

"Genau genommen handelt es sich um Emission von Binnenschuld durch einen illiquiden Teilstaat“, erklärt der Volkswirtschafter Enrique Cerda. Umlaufcharakter motzt die Titel zu richtigem Ersatzgeld auf, die Monetärfunktion ist an der Kettenbestimmung einsehbar: Wer in Patacones kassiert, bezahlt den Einkauf im Supermarkt, der Handel begleicht überregionale Verpflichtungen oder Steuern auf diese Weise. Und der Fiskus erbringt seine Finanzausgleichsleistungen in Form von Ersatzgeld gegenüber der emittierenden Provinz, womit sich der Kreislauf schließt.

Die Argentinier verstehen sich aufs Improvisieren: je nach Vertrauensstand in die Provinzfinanzen werden die Bonds eins zu eins gehandelt, oder eben mit Abschlag. Mit andem Worten: Die Packung Spaghetti, die in Landeswährung für einen Peso über den Ladentisch geht, kann 1,50 Patacones kosten.

Der mittlerweile in der Hälfte aller Provinzen angewendete Trick mit Ersatzgeld verrät einiges über die Befindlichkeit Argentiniens: Nachdem das Leben auf Pump schon den Zentralstaat in den Ruin getrieben hat, geht die Schuldenmacherei nun in den Teilstaaten los. Lange dauern wird dieser Zustand nicht, meint der angesehene liberale Volkswirtschafter Carlos Perez in Buenos Aires. Für ihn dauert es nur noch "kurze Zeit, bis das Land die Zahlungsunfähigkeit eingestehen muss".

Die politisch wie sozial enorm umstrittene "Nulldefizit"‑Strategie der Regierung kam nicht nur zu spät; für Perez verfehlt sie auch das Ziel: Die Sparmaßnahmen sind eine neue Wertabschöpfung in einer seit drei Jahren rezessiven Volkswirtschaft. Sie zwingen zu laufend stärkerem Anziehen der Fiskalschraube." Schnell kann dies in die soziale Anarchie führen.

Wieso stürzt eine Volkswirtschaft ab, die noch Anfang der neunziger Jahre Hätschelkind der Finanz‑ und Bankenwelt war? Hatte der damalige und auch heutige Wirtschaftsminister Domingo Cavalla mit dem Konversionssystem nicht die Hyperinflation besiegt?

Wohl legte sein Prinzip, dass für jeden Peso in Umlauf ein Reservendollar als Deckung vorhanden sein muss, die inflationäre Hauptquelle Argentiniens postwendend trocken: Die Unsitte der Politiker, gewaltige Haushaltsdefizite über die Notenpresse zu finanzieren. Nur erwies sich das Instrument zur Disziplinierung als weniger genial als geglaubt: Denn nun ging die Ausgaben‑Fiesta einfach über Verschuldung an den Kapitalmärkten weiter. Von 60 auf 160 Mrd. Dollar schnellten die Schulden innerhalb eines Jahrzehnts.

Heute herrscht mehr Verbitterung als Einsicht. Leitartikler und Politiker suchen die Schuld einmal mehr bei den andern. Den Schluss, dass das ewige auf Pump leben als Philosophie aus der politischen Kultur verschwinden muss, ziehen die wenigsten. Auch für Jose Martinovic im Fotogeschäft in La Plata bleibt die unverrückbare Wahrheit die: "Wall Street hat uns Argentinier wieder im Stich gelassen."

Quelle: Salzburger Nachrichten, Fr-10.08.2001

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