Volkswirtschaftliches von Mag. Thomas Hergetz
Als im Herbst 1973 der vierte arabisch-israelische Krieg, der die Öl exportierenden Staaten veranlasste, das Lebenselixier der Industrieländer als Waffe einzusetzen und ein Exportembargo gegen "unfreundliche" Länder zu verhängen (vorneweg gegen die Vereinigten Staaten), war die Folge eine Verdreifachung des Ölpreises und eine daraus resultierende Weltwirtschaftskrise.
Mit einem Anteil von 40 Prozent ist Erdöl heute vor Kohle und Erdgas (jeweils rund 25 Prozent) die weltweit wichtigste Energiequelle. Nicht auszudenken, welchen Schaden eine Störung des Nachschubs anrichten würde. Viele vertrauen auf die beiden Ölmänner an der Spitze der amerikanischen Regierung. Präsident Bush und sein Vize Dick Cheney verstünden genug vom Öl und wüssten zu gut um die Verwundbarkeit Amerikas, als dass sie beim Kampf gegen den Terrorismus die eigenen Energieinteressen gefährdeten.
Obwohl der Ölpreis nach den Anschlägen und nach Ausrufung der Kampagne gegen den internationalen Terrorismus sogar gesunken ist, wäre Entwarnung falsch. Die Terroristen würden nämlich erst Ruhe geben, wenn die Amerikaner vom heiligen Boden Saudi-Arabiens verschwunden seien, glaubt der Amerikaner Michael Klare, Direktor des Five College Program in Peace and World Security Studies (PAWSS). Die dortige US-Präsenz und das Bündnis mit dem totalitären Regime der saudischen Königsfamilie haben nach Klares Lesart aber vor allem einen Grund: den "unbeschränkten und dauerhaften Zugang" zu den größten Ölreserven der Erde.
Tatsächlich lagern unter saudischem Boden 35,8 Milliarden Tonnen Öl, ein Viertel aller bekannten Weltvorräte und noch weit mehr als im Irak, dem zweitölreichsten Land - derweil hat die US-Industrie und vor allem die amerikanischen Autofahrer den mit Abstand weltweit größten Öldurst entwickelt. Noch sind die USA zwar selbst, nach Saudi-Arabien, der zweitgrößte Ölproduzent auf Erden; derzeit müssen sie deshalb nur rund die Hälfte ihres Ölbedarfs importieren, das meiste davon stammt aus sicheren Gefilden wie Kanada und Venezuela. Doch schon seit 30 Jahren lässt die Ergiebigkeit der amerikanischen Ölquellen nach, seit Mitte der neunziger Jahre verbrauchen allein die Pkws auf amerikanischen Highways mehr Öl, als aus heimischen Quellen sprudelt.
Niemand beobachtet deshalb so penibel wie die Amerikaner die Entwicklung im Nahen Osten. 13 Lieferunterbrechungen aus der Krisenregion registrierte das U. S. Department of Energy seit 1950. Und schon vor zwei Jahren erkannte das Handelsministerium eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit".
Kurzfristige Versorgungsprobleme sind zwar ausgeschlossen; die in der OECD vereinigten Industrieländer haben sich Vorräte und strategische Ölreserven zugelegt, die einen Importausfall von mindestens 90 Tagen ausgleichen könnten.
Aber es wird Ärger geben. Der Grund: Die Nachfrage nach Öl wächst gewaltig weiter - nicht zuletzt, weil die bisher Zukurzgekommenen sich melden. Allein die wachsende Motorisierung Chinas, schätzt das US-Energieministerium, lasse den täglichen Öldurst des Landes für Straßenverkehr von derzeit einem auf fast fünf Millionen Fass im Jahr 2020 emporschnellen. Das wäre dann beinahe so viel, wie sämtliche Autos Westeuropas heute verbrauchen. Doch nicht genug damit, dass der Opec so automatisch mehr Macht zuwächst; auch die ölreichen Länder selbst werden schon bald ihr Fördermaximum erreichen.
Theoretisch gäbe es zwar schon Alternativen zum Öl - nur halten viele nicht, was sie versprechen. Das gilt etwa für Elektroautos. Abgesehen davon, dass die Stromgewinnung aus Kohleoder Atomkraftwerken Umweltund Akzeptanzprobleme aufwirft: Kein Kunde auf der Welt, meint Karl E. Noreikat, bei DaimlerChrysler für alternative Antriebe zuständig, akzeptiere die mangelhafte Reichweite und die hohen Kosten von Batteriefahrzeugen.
Da wäre es naheliegend, Ölersatz aus reichlicher vorhandenen und weniger ungleich verteilten Rohstoffen herzustellen, aus Kohle beispielsweise. Vor allem die Kohleverflüssigung sei "eine Abwehrwaffe gegen die zunehmende Abhängigkeit vom Importöl", meinte bereits vor 20 Jahren der Energieexperte Yergin - zumal die Vereinigten Staaten wegen ihrer immensen Vorkommen "ein Persischer Golf der Kohle" seien.
Kohle in Öl zu verwandeln bereitet Ingenieuren und Technikern keine Probleme. Bereits 1913 entdeckte der deutsche Privatgelehrte Fritz Bergius das Verfahren der Hochdruckhydrierung, für das er später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Die hohen Kosten sind aber womöglich nicht einmal das entscheidende Handicap. Was die Ölgewinnung aus Kohle suspekt macht: Das Verfahren ist extrem energieintensiv und deshalb klimaschädlich. Solange es nicht gelinge, das bei der Kohleverflüssigung freigesetzte C02 unschädlich zu machen, handele man sich also nur ein massives Umweltproblem ein, warnen Energiefachleute. (Anmerkung nost: Deswegen die Vehemenz, mit der sich USA gegen ein Klimabündnis wehrt - siehe Artikel nach dieser Rezension). Gegen den ansteigenden Meeresspiegel helfe dann nur noch eins: "Höhere Deiche."
Erdgas ist viel kohlenstoffärmer als Kohle. Es lagert zwar weniger reichlich in der Erdkruste als das feste Brennmaterial, immerhin sind die Vorkommen des flüchtigen Stoffes aber gleichmäßiger über den Globus verteilt als jene des Erdöls: Neben den Lagerstätten im Nahen Osten gibt es große Vorkommen in der früheren Sowjetunion. Als Antriebsenergie im Verkehrssektor eingesetzt, könnte Erdgas deshalb die Verwundbarkeit des Westens mindern. Fast alle gängigen Autos lassen sich auf Gasbetrieb umrüsten, die noch fehlende Tankinfrastruktur entsteht gerade langsam.
Allerdings: Je weiter Erdgas das Öl ersetzt, desto eher rücken auch beim Gas Engpässe in Sichtweite. Für Amerika prognostizieren Experten schon "sehr bald eine Versorgungskrise", besonders für die USA sei die Lage "höchst alarmierend". Die Gründe: Es fehlen Pipelines zu den Hauptfördergebieten in Asien - und der Transport von tiefgekühltem und verflüssigtem Erdgas in Spezialschiffen ist trotz sinkender Kosten immer noch teuer.
Dennoch könnte Gas beim Übergang zu sicherer Mobilität helfen. Als besonders wasserstoffreiche Verbindung hilft es auf dem Weg zu jenen Zukunftsvehikeln, deren Antriebsenergie dereinst allein aus Wasser und Sonne stammen soll. Das wäre in der Tat die automobile Revolution: Mithilfe regenerativ erzeugten Stroms wird aus H2O Wasserstoff erzeugt, der entweder Fahrzeuge mit modifizierten Verbrennungsmotoren oder solche mit Brennstoffzellen antreibt. Solange es am solarerzeugten Wasserstoff mangelt, können die Zellenfahrzeuge auch mit wasserstoffreichem Erdgas betrieben werden. Wegen der vielen ungelösten Technikfragen hält aber beispielsweise das Umweltbundesamt in Deutschland die Wasserstoffautos für nicht mehr als "eine interessante technische Zukunftsvision".
Bis sie - vielleicht - Realität wird, muss weniger Spektakuläres die Ölabhängigkeit mindern: nämlich Öl sparen!
Jede Aktion des Westens im arabischen Raum, ob militärisch oder politisch, berührt unweigerlich das Problem der langfristiger Ölversorgung. Würde auch der Irak zum Ziel amerikanischer Angriffe, könnte nur Saudi-Arabien die nötige Menge garantieren und der Ölpreis würde steigen. Aktuell glauben wir nicht an eine Eskalation des Krieges und gehen davon aus, dass der Ölpreis bis zur Untergrenze der Bandbreite, die sich zwischen 20 und 24 USD bewegt, sinken wird. Wir belassen daher den Ölsektor weiterhin auf neutral.
Es erinnert an den blühenden Ablaßhandel der mittelalterlichen Katholischen Kirche: das Verhandlungsergebnis der UN-Klimakonferenz in Marrakesch. Zwar kann jetzt das Klimaschutzprotokoll von Kyoto in Kraft treten - bis 2012 wollen die Industrieländer den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid um etwa 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduziert haben -, der Preis aber ist hoch. Man hat sich von Rußland, Japan und Kanada eiskalt erpressen lassen. Japan etwa hat durchgesetzt, daß die Strafen für Klimasünder nun doch weniger streng sein werden. Und die USA als weltweit größter Klimasünder machen gleich überhaupt nicht mit. Dabei ist in Amerika der Ausstoß von Kohlendioxid im vergangenen Jahrzehnt um 17 Prozent gestiegen.
Ganze Woche, 14.11.2001
Anmerkung nost: Also Leute in Old Europa - spart fest, damit die Amerikaner weiterhin "gut leben können" und hofft, dass für uns noch ein klein wenig Almosen vom Ölkuchen übrig bleibt.