Teil einer Jugendbewegung

Mit ihrem fünften Album "K.O.O.K." nehmen Tocotronic, Deutschlands wohl wichtigste Gitarrenband der 90er Jahre, eine leichte Kurskorrektur in ihrem Sounduniversum vor.

Hamburg. Irgendwann im Sommer 1993 haben sich die Hamburger Musiker Jan Müller (Bass) und Arne Zank (Schlagzeug), beide waren in den Punk-Kombos "Meine Eltern" und "Punkarsch" tätig, mit dem Freiburger Gitarristen und Sänger Dirk von Lowtzow zusammengetan und die Band Tocotronic gegründet. Ein Jahr später waren sie bereits ein vielversprechender Geheimtip bei Liebhabern von Punkpop angloamerikanischer Prägung. Die erste Single erschien auf dem eigenen Rock-o-Tronic-Label und Blumfeld-Boss Jochen Distelmeyer war vom Tocotronic-Song "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" so fasziniert, dass er ihn im Song "Sing Sing" einbaute, den Dirk auf dem ersten Blumfeld-Album sang.

Cordhosen. Die Tocos wurden schnell über die Landesgrenzen bekannt und noch Ende '94 erschien das erste Album "Digital ist besser". Die Mischung aus unkomplizierten Punkmelodien, Dinosaur-Jr.-mäßigem Noise-Pop und leicht melancholischen, klugen und geradlinigen Texten traf den Nerv einer nach ehrlicher, direkter Popmusik hungernden Generation. Außerdem boten die drei Musiker mit ihrem Hang zu Cordhosen und engen Trainingsjacken aus den 70er Jahren einen eigenwilligen Stil an, der dankbare Nachahmerschaft fand.

Klischees. Die ausnahmslos junge Anhängerschaft wuchs auch in unseren Breiten rasant. Daran hatten auch die beiden Alben "Wir kommen um uns zu beschweren" und "Es ist egal, aber" nichts geändert. Im Gegenteil, Tocotronic wurde mit Bands wie Die Goldenen Zitronen, Die Sterne, 5 Freunde und Blumfeld die wichtigsten Vertreter der Hamburger Schule, die sich in den vergangenen Jahren in aufgeschlossenen Popkreisen vermehrter Beliebtheit erfreute. Die Gefahr, dadurch selbst zum Klischee zu werden und immer wieder gleiches zu produzieren, haben sie erkannt und steuern mit ihrem neuen Werk gegen.

Rock? K.O.O.K. ist eine breit angelegte Platte, die Songs sind länger und etwas sperriger. Auf die schon traditionellen Mitsing-Refrains wurde großteils verzichtet, unter die Gitarren mischen sich Synthesizer und Vocoder-Effekte. Jan Müller erklärt: "Wir wollten keine völlig andere Musik machen. Es ist immer noch Gitarrenmusik mit Gesang, Texten und Songstrukturen, dennoch mussten wir vermeiden, in einer Sackgasse zu landen." Allein der Titel K.O.O.K. ist ein wenig verwirrend, wenn nicht sogar resignativ? "Nein, das auf keinen Fall", meint Jan, "wir haben einen Titel gesucht, der möglichst weit interpretierbar und vieldeutig ist. Das spiegelt sich auch in unseren Texten wider, bei denen einen die Parolen nicht mehr so anspringen, sondern sich der Inhalt erst mit der Zeit erschließt." Über die Rockmusik, der Tocotronic mit ihrer großartigen Single "Let there be Rock" eine Hymne mit Fragezeichen geschrieben haben, meint der Bassist abschließend: "Wenn man sich eine Sache wie Rock, die einmal wild und rebellisch war - oder angeblich war - anguckt und sieht, was dabei übrig geblieben ist, muss man sich schon wundern." (Gernot Kremser)

Bericht aus Libro-Journal 8/99