An den 'Service Registering Officer' für Nordwesteuropa
in Sachen des Gesetzes von 1957 über Geburten, Todesfälle und Eheschließungen
(Sonderbestimmungen)
UND in Sachen der Eintragung von RUDOLPH WALTHER RICHARD HESS im
Sterberegister
Ich, ABDALLAH MELAOUHI, wohnhaft [gesperrt wegen Datenschutz], gebe folgende
feierliche und aufrichtige Erklärung ab:
- Als Krankenpfleger sorgte ich für Rudolph Hess vom 1. August 1982 bis zu
seinem Tod am 17. August 1987 im Militärgefängnis.der Alliierten in
Spandau. Von 1967 bis 1970 praktizierte ich als medizinisch-technischer
Assistent für Tropenkrankenheiten am Institut für Tropenmedizin in
Hamburg. Ab 1970 setzte ich meine Ausbildung als qualifizierter
Krankenpfleger bis 1973 fort, als ich mein Diplom in Krankenpflege erhielt.
1974 zog ich nach Berlin und arbeitete bis 1976 auf der Intensivstation des
Krankenhauses Hohengatow. Danach besuchte ich auf Empfehlung der
Gesundheitsbehörde beim Berliner Senat bis 1977 die medizinische Fachschule
Gauschule Wedding und erhielt nach Abschluß dieser Ausbildung ein Diplom in
Anästhesie und Krankenintensivpflege.
Ich wurde dann zum Oberpfleger befördert und arbeitete bis 1. August 1982
auf der Intensivstation des Krankenhauses Spandau; danach war ich im Militärgefängnis
der Alliierten in Spandau als Pfleger für Rudolph Hess tätig.
- Am Todestag von Herrn Hess, 17. August 1987, begann ich meinen Dienst, zu
dem die Betreuung von Herrn Hess gehörte, wie gewöhnlich um 6.45 Uhr
morgens. Ich half ihm wie gewöhnlich beim Duschen und Ankleiden und war
dabei, als er um 10.30 Uhr eine Mahlzeit zu sich nahm. Zu keinem Zeitpunkt
gab es irgendeinen Hinweis, daß sein Geisteszustand gestört oder er übermäßig
deprimiert gewesen wäre. Kurz nach der Mahlzeit bat er mich, im
nahegelegenen Spandau einen Keramiktopf als Ersatz für einen schadhaften
Topf kaufen zu gehen. Herr Hess hätte eine solche Bitte nicht nur deswegen
geäußert, um meine Abwesenheit sicherzustellen, da ich ohnehin immer ab
Mittag während meiner Mittagspause abwesend war.
- Um 14.00 Uhr wurde ich aus meiner Wohnung, wohin ich mich nach meiner Rückkehr
aus Spandau begeben hatte und die außerhalb, aber in unmittelbarer Nähe
des Gefängnisses lag, ins Gefängnis gerufen. Mit einiger Verzögerung
erreichte ich das Gartenhaus im Gefängnisgarten, wo man mir sagte, es sei
etwas vorgefallen. Die kleine Vordertür des Gartenhauses war geschlossen.
- Als ich das Gartenhaus betrat, sah es dort wie nach einem Ringkampf aus,
alles war durcheinander. Die Strohmatte, die als Bodenbelag diente, lag
unordentlich herum, obwohl ich den Fußboden noch am Tag davor gereinigt und
die Strohmatte ordentlich an ihrem üblichen Platz zurück gelassen hatte.
Eine hohe Lampe war umgefallen, aber ich erinnere mich deutlich, daß das an
der Lampe befestigte Kabel noch an die Netzsteckdose angeschlossen war. Mit
diesem Lampenkabel soll sich Herr Hess nach späteren Angaben der Behörden
selbst erhängt haben. Ein runder Tisch und der Sessel von Herrn Hess waren
ebenfalls umgekippt. Kurz und gut, keine der Möbel oder Einrichtungsgegenstände
befanden sich an ihrem üblichen Platz, und für mich steht außer Frage, daß
im Gartenhaus ein Kampf stattgefunden hatte.
- Der Körper von Herrn Hess lag, scheinbar leblos, auf dem Fußboden des
Gartenhauses. Neben ihm standen zwei in Uniformen der US-Armee gekleidete
Soldaten. Keinen von beiden hatte ich je zuvor gesehen. Außerdem sah ich
einen amerikanischen Wärter, den ich als Mr. Tony Jordan kannte. Ein Kabel
war nirgendwo neben dem Körper von Herrn Hess zu sehen; wie ich schon
gesagt habe, war das einzige Kabel an der umgefallenen Lampe befestigt und
steckte noch in der Wand.
- Ich machte mich sofort daran, Herrn Hess zu untersuchen. Ich konnte weder
eine Atmung noch einen Puls oder Herzschlag feststellen. Nach meiner Schätzung
war der Tod 30 bis 40 Minuten davor eingetreten.
- Der Wärter, den ich als Jordan kannte, stand zu Hess' Füssen und wirkte
überanstrengt. Er schwitzte stark, sein Hemd war von Schweiß durchtränkt,
und er trug keine Krawatte. Ich sagte zu Jordan: "Was haben Sie mit ihm
getan?" Er antwortete: "Das Schwein ist erledigt, Sie brauchen
keine Nachtschicht mehr zu arbeiten". Ich befahl ihm, den Notfallkoffer
(in dem sich eine Erste-Hilfe-Ausrüstung befand) und das Sauerstoffgerät
zu bringen, während ich mit der künstlichen Beatmung begann. Als Jordan
mit der Ausrüstung zurückkehrte, bemerkte ich, daß er als erstes die
Gelegenheit genutzt hatte, um seine Kleider zu wechseln. In die Ausrüstung,
die er brachte, war ganz klar eingegriffen worden. Das Siegel am
Notfallkoffer war aufgebrochen, und sein Inhalt war in Unordnung. Die
Intubationsausrüstung hatte keine Batterie, und das Rohr war durchlöchert.
Das Sauerstoffgerät war außerdem ohne Sauerstoff. Ich bin aber sicher, daß
beide, als ich den Notfallkoffer und das Sauerstoffgerät noch am Morgen im
Rahmen meiner üblichen Pflichten überprüft hatte, voll funktionsfähig
waren.
- Da ich keinerlei erforderliche Ausrüstung hatte, tat ich das Beste, was
ich tun konnte, und zwar versuchte ich, Herrn Hess durch
Mund-zu-Mund-Beatmung wiederzubeleben, und bat einen der Soldaten in
amerikanischer Uniform, eine Herzmassage bei ihm vorzunehmen. Dies geschah
um etwa 15.20 Uhr. Diese Bemühungen zeigten keine erkennbare Wirkung.
- Vom englischen Militärhospital trafen in einem Krankenwagen ein Arzt und
ein Krankenwärter, die ich nicht kannte, ein. Sie brachten eine
Herz-Lungen-Maschine in das Gartenhaus. Ich versuchte, das Gerät zu betätigen,
aber es schien nicht zu funktionieren. Herr Hess wurde ins Krankenhaus
gebracht. Ich begleitete ihn und unternahm im Krankenwagen weitere
erfolglose Versuche, ihn wiederzubeleben. Abschließend versuchten noch die
Ärzte im Krankenhaus erfolglos, ihn wiederzubeleben. Um 16.10 Uhr wurde er
im Krankenhaus für tot erklärt.
- In den fünf Jahren, in denen ich Herrn Hess täglich versorgte, konnte
ich einen klaren und genauen Eindruck von seinen physischen Fähigkeiten
gewinnen. Angesichts seiner körperlichen Verfassung halte ich es nicht für
möglich, daß Herr Hess in der später von den Alliierten bekanntgegebenen
Weise Selbstmord begangen hat. Er besaß weder die Kraft noch die
Beweglichkeit, um sich eine elektrische Schnur um den Hals zu legen, sie zu
verknoten und sich entweder zu erhängen oder zu erdrosseln. Herr Hess war
so schwach, daß er einen Spezialstuhl zum Aufstehen benötigte. Er lief
gebeugt mit einem Stock und war nahezu blind. Wenn er zu Boden fiel, konnte
er nicht wieder aufstehen. Vor allem aber waren seine Hände von Arthritis
verkrüppelt; zum Beispiel war er nicht in der Lage, seine Schuhsenkel zu
schnüren. Ich halte ihn der manuellen Geschicklichkeit nicht für fähig,
die notwendig gewesen wäre, um mit der Elektroschnur so wie vermutet
umzugehen. Darüber hinaus konnte er seine Arme nicht über die Schultern
heben; es ist daher meines Erachtens nicht möglich, daß er die Schnur am
Fensterhaken, an dem er sich angeblich aufgehängt haben soll, angebracht
haben kann.
- Im Hinblick auf erstens die Körperverfassung von Herrn Hess, zweitens den
Schauplatz, den ich im Gartenhaus vorfand, insbesondere die Lage des Kabels,
und drittens die Begleitumstände, so wie ich sie beschrieben habe, bin ich
der festen Meinung, daß Herr Hess keinen Selbstmord, wie behauptet,
begangen haben kann. Aus meiner Sicht ist klar, daß er durch Strangulation
durch die Hände eines Dritten zu Tode kam.
UND ich gebe diese feierliche Erklärung auf Grund der Bestimmungen des Gesetzes
von 1835 über eidesstattliche Erklärungen in der Überzeugung ab, daß sie der
Wahrheit entspricht.
Erklärt vor mir in: [handschriftlich "Berlin"]
Unterschrift des Erklärenden: [Unterschrift Abdallah Melaouhi]
am: [handschriftlich "17.2.1994"]
Bezeichnung der Person bzw. Amtsperson, die die Erklärung entgegennimmt: Notar
Reinhard Gizinski, Berlin
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