Die Reduktionen des Gran Chaco:
Obwohl der Gran Chaco
mit seinen Dornbüschen, Trockenwäldern und Sümpfen wenig Anziehung
auf die Conquistatoren ausübte, zählte er doch zu jenen Gebieten im
Inneren des Kontinents, die als erste erforscht wurden. Für die Spanier
am Rio de la Plata war diese weite Ebene der Zugang zum Land der Reichtümer
im fernen Westen, woher die goldenen und silbernen Gegenstände stammten,
die sie bisweilen bei den Guarani-Indianern zu Gesicht bekamen.
Seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts durchzog daher eine Vielzahl von Expeditionen
den Chaco auf der Suche nach einem sicheren Weg ins Andenhochland. Zu Ende des
Jahrhunderts, als das Gebiet von spanischen Siedlungen umschlossen war, schien
ein Erfolg gewährleistet zu sein.
Zu dieser Zeit begannen aber die Guaycuru-Stämme des östlichen Chaco,
die Abiponer, Mocovier, Mbaya und Toba, sich Pferde nutzbar zu machen, die von
den Spaniern ins Land gebracht worden waren. Sie gaben die Landwirtschaft, die
sie bisher extensiv betrieben hatten, völlig auf und widmeten sich nun
ausschließlich der Jagd und Sammeltätigkeit. Die neu gewonnene Mobilität
nutzten sie aber auch für kriegerische Aktivitäten und Überfälle
auf spanische Städte, die oft hunderte von Kilometern von ihren Jagdrevieren
entfernt waren. Von der Kolonialmacht organisierte Strafexpeditionen stießen
meist ins Leere, die Siedlungen am Rio Paraguay, aber auch Santa Fe und Corrientes
am Rio Parana sowie Tucuman und Santiago del Estero im fernen Westen, wurden
regelmäßig geplündert und die lebenswichtige Handelsverbindung
mit Peru immer wieder unterbrochen.
Deshalb wurde, nach bewährtem
Vorbild, die Gesellschaft Jesu eingesetzt um die wilden Reitervölker sesshaft
zu machen und zu pazifizieren. Zu ersten kurzlebigen Reduktionsgründungen
kam es bereits 1628 am Südwestrand des Chaco und 1641 bei den Mocoviern
und Abiponen im Osten, dauerhafte Erfolge begannen sich aber erst ein Jahr später
einzustellen.
Nachdem der große Aufstand der Chaco-Indianer von 1734-1736 mit Hilfe
von Gueranie-Truppen der paraguayischen Mission niedergeschlagen worden war,
verlangten die unterworfenen Stämme zum Teil selbst nach der Übersendung
von Missionaren. 1740 wurde bei den Mocoviern die Reduktion San Javier gegründet,
in der ab 1448 der Schlesier P. Florian Paucke, Autor des berühmten "Zwettler
Codex 420", sehr erfolgreich tätig war, der 1763 mit demselben Stamm
auch noch das Dorf San Pedro y Pablo aufbaute. 1748 gründete der Steirer
P. Martin Dobrizhoffer, der eines der wichtigsten ethnographischen Werke des
18. Jahrhunderts verfasste, San Jeronimo im Gebiet der Abipones. Auch bei den
Toba sowie im Norden bei den Zamucos, am Weg zur florierenden Chiquito-Mission,konnten
sich die Jesuiten zu dieser Zeit dauerhaft festsetzen. Die Siedlungen befanden
sich aber alle am Rande des Chaco und blieben von den benachbarten Missionszentren
abhängig. Bis zur Vertreibung 1767 gelang es den Patres nicht, ein geschlossenes
Missionsgebiet auszubauen, wie es bei den Guarani oder Chiquitanos der Fall
war. Das Landesinnere blieb weitgehend frei von ihren Einflüssen.
Die indianische
Bevölkerung des Chaco gliederte sich im 17. und 18. Jahrhunderts in zwei
Gruppen mit sehr unterschiedlichen Lebensformen: in berittene und nicht berittene
Stämme. Die nicht Berittenen hatten die ursprüngliche Wirtschaftsform
beibehalten, in der ein rudimentärer Feldbau Jagd, Fischfang und Sammeltätigkeit
ergänzte und die jeweiligen Aktivitäten stark vom Gegensatz zwischen
Regenzeit und Trockenzeit bestimmt waren. Das Wild - vor allem Guanacos, Hirsche,
Wildschweine, Strauße und verschiedene Nagetiere - wurde mit Speeren oder
Pfeil und Bogen gejagt, in Fallen gefangen oder bei Treibjagden in Netze oder
Zäune getrieben. Gesammelt wurden vor allem die Früchte des Algarroba-Baumes
sowie verschiedene Samen, Wurzeln und wilder Honig.
Zur Zeit der Wanderungen wurde der gesamte Hausrat in Netzen oder Körben
mitgetragen, die einfachen Behausungen konnten aus lokal vorhandenen Materialien
rasch hergestellt werden.
Die sozialen Einheiten bildeten Familiengruppen, die sich zu Zeiten größeren
Nahrungsaufkommens zu "Bands" von 50 bis 200 Personen zusammenschlossen.
Die Führer dieser Gruppen hatten nur wenig Autorität und waren von
ihren Erfolgen bei der Jagd und im Krieg abhängig. Vor allem waren es Angehörige
der Sprachgruppen der Zumuco, Mataco und Mascoia, die aufgrund der geographischen
und klimatischen Gegebenheiten den Gebrauch des Pferdes nicht übernahmen.
Die berittenen Stämme, die mit wenigen Ausnahmen zur Sprachfamilie der
Guaycuru gehörten, konnten Dank des vergrößerten Aktionsradius
die Produktivität ihrer Jagd- und Sammelzüge enorm erhöhen. Gemeinsam
mit den Erträgen der Überfälle auf spanische Siedler und Bodenbauern,
die durch die Verwendung des Pferdes erst ermöglicht wurden, erlaubte das
den Verzicht auf eigene landwirtschaftliche Aktivitäten.
Diese wirtschaftliche Umwälzung hatte auch Auswirkungen auf die Sozialstruktur.
Mit der zunehmenden Bedeutung der Kriegszüge stieg auch das Prestige der
Krieger, die sich in eigenen Bünden zusammenschlossen, die bald den Charakter
von Klassen erhielten. Bei den Abiponern sprachen deren Angehörige einen
eigenen Dialekt und versuchten, sich auch in Kleidung und Schmuck von den einfachen
Stammesmitgliedern zu unterscheiden. Kriegsgefangene bildeten als Sklaven die
unterste Schicht der Gesellschaft.
Diese Ansätze zu einer Klassenorganisation zeigten sich besonders deutlich
bei den Mbaya im nordöstlichen Chaco, dem kriegerischsten der Guaycuru-Stämme.
Sie hatten schon vor Ankunft der Spanier die Oberhoheit über die Guana
erlangt, Angehörige der Sprachfamilie der Arawaken, die als einzige im
Chaco einen höher entwickelten Bodenbau betrieben. Nach der Übernahme
des Pferdes entstand dann ein System mit vier kastenähnlichen Klassen:
Adel, Krieger, Hörige und Sklaven. Die oberste Klasse war in sich noch
in viele Abstammungslinien unterschiedlicher Bedeutung gegliedert, aus ihr stammten
die Häuptlinge, deren Amt erblich war. Dann folgten die Krieger, die Hauptgruppe
der eigentlichen Mbaya. Die dritte Schicht bildeten die Guana, die von den einzelnen
Adelssippen abhängig waren, denen sie Tribute in Form von landwirtschaftlichen
Produkten abliefern mussten, wofür sie Anspruch auf Schutz vor feindlichen
Überfällen hatten. Gekaufte und bei Kriegszügen gefangene Sklaven
befanden sich meist im Besitz der Adeligen, ihre Kinder konnten aber bisweilen
diesem grundsätzlich erblichen Status entrinnen und in die Klasse der Krieger
aufsteigen.
Die Mbaya übernahmen die sesshafte Lebensweise der Guana und kehrten nach
ihren Kriegszügen immer wieder in ihre Dörfer zurück, die aus
festgefügten Häusern bestanden. Die meisten anderen Guaycuru-Stämme
wurden zu Reiternomaden, die den gesamten Hausrat und die Matten, aus denen
sie ihre Hütten bauten, auf Lastpferden mit sich führten.
Die Payagua, die auch dieser Sprachfamilie angehörten, entwickelten eine
ganz eigenständige Lebensform. Sie bewohnten die Ufer des Rio Paraguay
und ernährten sich hauptsächlich von Fischen und wildem Reis, den
sie vom Kanu aus ernteten. Mit ihren Booten, die bis zu 40 Mann fassten, unternahmen
sie immer wieder Überfälle auf spanische Siedlungen entlang des Flusses.
Die jesuitischen Reduktionen im Gran Chaco erreichten zwar bisweilen ansehnliche
Bevölkerungszahlen, waren aber bei weitem nicht so wohlorganisiert und
prächtig ausgestattet wie jene östlich der Flüsse Parana und
Paraguay. P.Paucke beschreibt den Zustand von San Javier zur Zeit seiner Ankunft
folgendermaßen:
"Die Hütten der Indianer waren etwas weniger unförmlich als die
unsere, stunden in keiner Ordnung, alle über einen Haufen und wir mitten
unter ihnen. Im ganzen Dorf war kein Flecklein, welches einem Platz ähnlich
gewesen wäre, keine Gassen formirt, die Hütten von Stroh, und samt
den Dach 3, auch weniger Ellen hoch, also daß niemand darinnen stehen
kunnte. Zwischen den Hütten Morast und Gestank genug, weil alles Vieh zur
Nahrung des Volkes bey ihren Häusern geschlachtet wurde..... meine Wohnung
samt der Kirche hatte keine Maur, sondern war mit frischen Ochsenhäuten
umzogen, doch das Dach der Kirche war von Stroh und das Dach meiner Wohnung
war auch von roher Haut. An einem bey der Kirche aufgerichteten Galgen hiengen
zwey Glöklein neben welchen die Schulle für die Kinder stund.....
das Altar in der Kirch war von ägyptischen Zieglein zusammengesetzt auf
welchen ein Crucifix Bild und 2 Kerzen stunden. Die Leuchter waren zwey Ochsen
Hörner mit Sand angefüllet, in welchen diese zwey Kerzen eingestecket
waren."
Wie man an einigen eigenhändigen Zeichnungen P. Pauckes erkennen kann,
bestand die Reduktion eigentlich aus mehreren Dörfern in denen sich die
Häuser der Gefolgsleute formlos um das ihres Kaziken gruppierten. Zusammen
bildeten sie in lockeren Reihen 3 Seiten eines unregelmäßigen Gevierts,
dessen vierte Seite die Kirche mit Pfarrhaus, Friedhof, Obstgarten und Webschule
bildeten. Ringsum lagen die Felder und "Viehhaltereyen" der Dorfgemeinschaft
und der einzelnen Kazikenschaften.
Wie in den Guarani-Redutkionen gelang es hier den Missionaren, Pflugbau und
Rinderzucht erfolgreich einzuführen und so das sesshafte Zusammenleben
tausender Menschen zu ermöglichen. Zur Zeit seiner Blüte besaß
das Dorf San Javier insgesamt 48.000 Rinder, San Pedro y Pablo erhielt bei seiner
Gründung einen Grundstock von 700 Zuchtrindern, und auch an pflanzlicher
Nahrung herrschte kein Mangel.
Diese Absicherung der Subsistenz war offenbar das Hauptmotiv für die Reitervölker
der Abiponer, Mocovier und Mbaya, sich in den Reduktionen anzusiedeln. Sie ermöglichte
es ihnen, jetzt noch längerdauernde Raubzüge durchzuführen, ohne
die Nahversorgung der Familien zu gefährden. Außerdem stellten die
Dörfer nah der spanischen Städte, mit deren Behörden sie Friedensverträge
abgeschlossen hatten, sichere Regionen dar, in die sie sich nach erfolgreichen
Überfällen mit ihrer Beute zurückziehen konnten. Die Raubzüge
führten nun meist in weit entfernte Gebiete, die nähere Umgebung der
Reduktion und der Einflußbereich ihrer spanischen Vertragspartner wurden
verschont.
Die Patres versuchten zwar, diese Plünderungen zu unterbinden und die Krieger
ständig in der Reduktion zu halten, waren darin aber meist wenig erfolgreich.
1767 beklagt sich der Gouverneur Morphy in einem Brief an den Vizekönig
über die Abipones:
".... ständig ziehen sie aus auf Überfälle auf andere Städte
und lassen dabei den Priester mit einigen sehr alten Indianern und Indianerinnen
der gleichen Qualität zurück, und wenn sie in die Reduktionen heimkehren,
so nur, um Hilfe zur Ernährung zu erbitten und den Schutz der Spanier unter
dem Vorwand, daß sie Angst hätten vor anderen Nationen."
Nach der Vertreibung der Jesuiten und der Übernahme der Reduktionen durch
weltliche Verwalter fühlten sich die Chaco-Indianer in ihrer Sicherheit
bedroht und zogen sich ganz aus den Siedlungen zurück, wobei sie sogar
die Gebeine ihrer Toten ausgruben und mitnahmen in die Freiheit ihres ursprünglichen
Wanderlebens.