DIE AMAZONEN

von Christel Scheja



"Fern im Osten, im Gebiet zwischen Sinope und Trapezus, am Flusse Thermodon, lebten die Amazonen. Jenes wehrhafte Frauenvolk lehnte jede Gemeinschaft mit Männern ab.
Um Nachkommen zu zeugen, verbrachten die zukünftigen Mütter zwei Frühlingsmonde bei benachbarten Stämmen. Neugeborene Jungen wurden getötet oder leicht verstümmelt den Vätern übergeben, damit sie nicht gegen das Volk ihrer Mütter kämpfen konnten. Mädchen wurden in den Kriegskünsten unterwiesen; man entfernte ihnen die beim Bogenschießen hinderliche rechte Brust."

So lautet die Überlieferung antiker Geschichtsschreiber. Wie so vieles aus archaischen Zeiten sind auch die Amazonen mittlerweile in Frage gestellt worden: Gab es sie - oder sind sie schlichtweg in die Welt der Fabel zu verweisen?

Dieser Artikel will beides vorstellen, die Geschichten, die sich um die Amazonen ranken, und die Spuren, die die Vergangenheit sichtbar für unsere Augen hinterlassen hat.


Sagen und Mythen

Der Ursprung der Amazonen liegt wie so oft bei den griechischen Göttern und ihrem unmoralischen Verhalten: Aphrodite, die mit dem häßlichen und buckligen Schmied der Götter, Hephaistos, verheiratet war, ließ sich nur allzu gerne von Ares, dem Gott des Krieges verführen. Zwar wurde der Ehebruch aufgedeckt, und die Schuldigen bestraft, aber das Unglück war schon geschehen: Aphrodite war schwanger und gebar bald darauf eine Tochter, die sie Harmonia nannte.

Und mit eben dieser Harmonia zeugte Ares die Amazonen, die so sein Blut gleich doppelt in den Adern trugen. Und das war nicht unbedingt schmeichelhaft für sie, verkörperte Ares, der "Menschenverderber" und "Städtezerstörer", doch die negativen Seiten des Krieges. Und in Athene, der jungfräulichen Kriegsgöttin, die Ehre und Tapferkeit vertrat, besaßen die Kriegerinnen aufgrund dieser Herkunft von Anfang an eine unerbittliche Gegnerin, denn die Göttin konnte Ares nicht besonders gut leiden. Vor Troja sollte den Amazonen diese Feindschaft zum Verhängnis werden.

Treu errichteten die Amazonen ihrem Vater Tempel: "Bei den Mosynöken vorbeifahrend, gelangten wir an eine flache Insel des Schwarzen Meeres, von welcher sich unverschämte Raubvögel erheben und sich in ungeheurer Zahl auf eine öde Insel begeben. Dort erbauten Otrere und Antiope, die Königinnen der Amazonen, dem Ares einen steinernen Tempel, als sie sich dort lagerten."

Ansonsten waren die Amazonen ein herumziehendes Reitervolk wie die Skythen, Barbarinnen, die sich nicht scheuten, auch grausame Menschenopfer zu bringen, was ihnen den Namen "oiorpata" (=Männertöterinnen) einbrachte. Ob sich die Kriegerinnen allerdings wirklich die Brüste abschnitten, darüber waren sich die Schreiber mehr als uneins. Der Volksname "Amazonen" konnte gleichermaßen als "die Brustlosen" oder "die Mondanbeterinnen" gedeutet werden.

Was ihre Kleidung anging, waren die Amazonen kaum von ihren Nachbarn zu unterscheiden: die typische enganliegende Kleidung, Hosen, ein Helm mit Ohren- und Nackenschutz aus Kupferplättchen, ein Brustpanzer, der wie Leibgurt und Beinschienen mit Bronzestücken besetzt war und Waffen: Schwerter, Wurfspieß, Schilde. Vor allem: ein kleiner kaum armlanger Bogen, der zusammen mit den Pfeilen im Köcher aufbewahrt wurde.

Das war auch kein Wunder, hatten sich doch bereits verwandtschaftliche Bande entwickelt: Nachdem die Skythen von den Raubüberfällen ihrer amazonischen Nachbarn genug hatten, schlugen sie zurück und stellten fest, daß ihre Gegner Frauen waren: "Die Skythen berieten sich nun miteinander und beschlossen, jene nicht zu töten, sondern die jüngsten Männer ihres Stammes zu den Amazonen zu senden. Diese sollten sich nahe bei jenen lagern und alles das tun, was jene tun würden. Verfolge man sie, sollten sie sich nicht in einen Kampf einlassen, sondern die Flucht ergreifen. Werde die Verfolgung abgebrochen, sollten die Männer wieder herangehen und sich in der Nähe lagern. Diesen Entschluß faßten die Skythen, weil sie wünschten, von den Amazonen Kinder zu bekommen... " (Herodot)

Und das gelang auch. Die Skythen gewannen das Vertrauen der Amazonen und ihre Herzen. Doch die kriegerischen Frauen ließen sich nicht erweichen, den Männern in ihre Zelte zu folgen. Sie verlangten das Umgekehrte.

So entstand der Stamm der Sarmaten. Herodot sagt in der Beschreibung dieses Volkes (Herodot IV,297): "Seitdem führen die Sauromaten(=Sarmaten)frauen die alte Lebensweise. Sie reiten zur Jagd mit und ohne Männer, ziehen in den Krieg und tragen die gleiche Kleidung wie Männer.

Die Sauromaten sprechen die skythische Sprache; doch haben sie darin seit alters her ihre Eigenheiten bewahrt, weil die Amazonen die Sprache damals nicht gut gelernt hatten. Bei ihrer Verheiratung besteht folgende Sitte: Nicht eher darf eine Jungfrau Heiraten, bevor sie nicht einen Feind getötet hat. Manche werden alt und sterben, ohne sich zu vermählen, weil sie das Gesetz nicht erfüllen konnten."

Die Stammlande der Amazonen befanden sich im Norden Kleinasiens, an der Küste des Schwarzen Meeres. Von der Hauptstadt ihres Reiches - Themiskyra - aus, führten die Amazonen ihre Kriege. Beherrscht wurden sie immer von zwei Königinnen, von denen Marpessa und Lampedo nur die ersten waren. Während die eine die Heere auf Eroberungszüge führte, blieb die andere zurück, verwaltete und verteidigte Themiskyra und die Stammlande. Alle paar Jahre wechselten die Königinnen einander ab.

Doch wie sorgten die Amazonen dafür, nicht auszusterben?

Denn sie hatten zwar geschworen, fern der Männer zu leben, aber für sie bestand die unbedingte Notwendigkeit, Nachkommen zu gebären. So schlossen sie mit anderen Stämmen, wie etwa den Gargariern Abkommen: Jedes Frühjahr trafen sich die Stämme, damit die Männer den Amazonen Kinder zeugen konnten. Und zwar im Dunklen, damit sie einander nicht sahen, und die Männer keine Ansprüche erheben konnten. Auch Kriegsgefangene mußten, bevor sie getötet oder geopfert wurden, als Erzeuger herhalten.

Waren die Kinder geboren, so wurden die Töchter glücklich in die Gemeinschaft aufgenommen, und wenn sie alt genug waren, zu Kriegerinnen erzogen. Ihre Ausbildung begann mit leichten gymnastischen Übungen, später kam der Reitunterricht dazu, dann der Umgang mit den Waffen: Schwert, Streitaxt und Bogen.

Die Söhne der Amazonen erwartete ein unterschiedliches Schicksal: entweder wurden sie dem Stamm ihrer Väter übergeben, oder erlitten ein grausames Schicksal: sie wurden gleich nach der Geburt getötet oder so verkrüppelt, daß sie den Amazonen nur noch als hüftlahme oder einarmige Sklaven dienen konnten.

Ein Gesetz der Amazonenkönigin Marpessa bestimmte "die Weiber zu den Werken des Krieges, erniedrigte die Männer aber zu Dienst und Knechtschaft." Die Männer führten wie etwa die athenischen Frauen ein "häusliches Leben, indem sie den Befehlen ihrer Hausgenossinnen gehorchten. An den Feldzügen nahmen sie sowenig teil wie an den Staatsgeschäften. Da sie in den öffentlichen Dingen nicht ein Wort mitzureden hatten, gelang es ihnen nicht, den Weibern zuzusetzen..." (Diodor)

Die Männer, nicht die Frauen zogen in diesem Fall die Neugeborenen und Kleinkinder auf, egal welchen Geschlechtes.

So war es kein Wunder, daß sich die größten griechischen Heroen dieser "widernatürlichen Weiber" annahmen. Hatte schon eine Amazonenvorgängerin - Atalante aus Arkadien, die "jungfräuliche Jägerin" lernen müssen, daß sie zwar zwei Zentauren, die sie bedrängten, töten durfte, sich aber nicht unter die Argonauten mischen, ohne dafür einen "gewissen Preis" zu zahlen, so war es nun geradezu die Pflicht eines stolzen Griechen, die Amazonen in ihre Schranken zu verweisen.

Herakles machte den Anfang. Durch seinen dreijährigen Sklavendienst am Hofe der Lykerkönigin Omphale erniedrigt, war er gut vorbereitet. Er haßte die Frauen.

Eine der zwölf Aufgaben, die König Eurystheus dem Sohn des Zeus auf Befehl des Orakels von Delphi hin aufgetragen hatte, bestand darin, der Amazonenkönigin Hyppolyte ihren Gürtel zu stehlen. Atmene, die Tochter des Königs, wünschte sich mit dieser Gabe von Ares zu schmücken, die ein Symbol der Herrschaft über alle Frauen war. Dahinter steckte Hera, die hoffte, daß die Amazonen ihrem ungeliebten Stiefsohn den Garaus machen würden - doch weit gefehlt: Hyppolyte von Themiskyra erwies sich sogar als sehr freundlich und wollte Herakles den Gürtel schenken.

Doch dazu kam es nicht. Hera mischte sich unter die Amazonen und schürte Unruhe und Mißtrauen gegen die griechischen Helden, die sich auf ihr Schiff zurückziehen mußten. Herakles erschlug Hyppolyte, weil er glaubte, diese hätte ihn verraten, und so geriet der Gürtel in seine Hände. In der darauffolgenden Schlacht vernichtete er die Blüte der Amazonen: "Die ausgezeichnetsten der Amazonen griffen den Herakles an. Zuerst griff ihn Aella an, die Windsbraut, die von ihrer Schnelligkeit den Namen hatte, fand aber, daß ihr Gegner noch schneller war. Er wurde dann sofort von der Phillipis angegriffen, welche aber einer tödlichen Wunde erlag. Darauf erneuerte Prothoe den Angriff, die zuvor sieben Gegner besiegte. Als aber auch sie fiel trat Eriböa an ihre Stelle. Sich ihrer Mannhaftigkeit in den kriegerischen Kämpfen rühmend, glaubte sie keiner Hilfe zu bedürfen, aber sie strafte ihrer Worte Lügen und fiel von einem stärkeren. Nach dieser kamen Keläno, Eurybia und Phöbe, die Jagdgefährtin der Artemis, deren Pfeile sonst immer trafen, diesmal aber das Ziel verfehlten. Sie alle wurden von ihm niedergehauen, trotzdem sie sich gegenseitig mit ihren Schilden zu decken suchten. Nach diesen überwand er die Deianira, Asteria und Marpe, die Tremessa und Alkippe. Diese hatte geschworen, ihr Lebtag eine Jungfrau zu bleiben; sie hielt ihren Schwur, aber ihr Leben bewahrte sie nicht." (Diodor)

Herakles hatte seinen Auftrag erfüllt, aber um welchen Preis? Er brachte den Gürtel nach Griechenland, wo er dann verlorenging.

Theseus, König von Athen, war ein begeisterter Nachahmer des Herakles. Wie dieser befreite er sein Land von räuberischem Gesindel und kämpfte gegen die Skythen. Schließlich erreichte er auch Themiskyra. So als hätten Antiope aus dem Beispiel ihrer Vorgängerin und Schwester Hyppolyte nichts gelernt, besuchte sie die Griechen mit Gastgeschenken auf deren Schiff. Theseus, eher ein Mann der List, nutzte die Gelegenheit und segelte mit der Amazonenkönigin davon. Die anderen Frauen waren so gelähmt, daß sie nichts taten um ihre Königin zu retten, und die Räuber zu spät verfolgten.

Und Antiope verliebte sich offensichtlich in ihren Entführer. Die Empörung über die Entführung schien nur gespielt, denn sie heiratete Theseus nur wenige Tage nach der Ankunft in Athen. Bald schon gebar sie ihrem gemeinsamen Sohn Hyppolytos.

In Themiskyra aber sann Orithya, die Kriegskönigin der Amazonen auf Rache für die Entführung ihrer Schwester. Sie versuchte sich mit den Skythen zu verbünden, was aber äußerst schwierig war, weil diese nur an Beute dachten. Immerhin erreichte sie ein Abkommen, in dem die Skythen den Amazonen den Rücken freihielten.

Und so marschierte ein Amazonenheer unter Orithya und Molpadia auf Athen zu. Sie trieben die Stadtbewohner bis in die Akropolis zurück. Das Blatt wendete sich aber, als die Amazonen erkannten, daß Antiope auf der Seite von Theseus focht, und vor Entsetzen wie gelähmt waren. Molpadia tötete die abtrünnige Ex-Königin mit einem Speer und wurde daraufhin von Theseus erschlagen, so daß die Gründe für einen Krieg null und nichtig wurden. Man handelte einen Waffenstillstand und Frieden aus. Die Amazonen zogen schließlich still und heimlich wieder ab, während die Athener ihren Sieg feierten und die bezwungenen Gegnerinnen fast schon zu Göttinnen erhöhten, um ihren eigenen Ruhm zu mehren.


Nur wenige Jahre später kam eine dritte Königin der Amazonen ins Spiel. Von Erynnen getrieben, zog es Penthesilea vor die Tore des belagerten Troja. Das Griechenheer war durch die lange Kriegszeit geschwächt und scheinbar ein leichter Gegner. Und es bestanden Verträge zwischen den Amazonen und Troja, auch wenn sich König Priamos an der Seite zweier Skythenfürsten in seiner Jugend mit den Kriegerinnen gemessen hatte.

Aber wieder hatten die Götter ihre Finger im Spiel. Athene - auf der Seite der Griechen und begierig darauf, Ares eines auszuwischen, gab Penthesilea in der Gestalt ihres Gegenspielers ein, gegen den größten Helden der Griechen, Achilles zu kämpfen. So könne sie den Tod ihrer Schwester Hyppolyte und die Erniedrigung Antiopes rächen.

Voller Siegessicherheit forderte die Amazonenkönigin Achilles heraus, und es kam zu einem heftigen Zweikampf. Ares hatte Penthesilea mit göttlichen Waffen ausgestattet, aber auch die halfen ihr nicht, als sie Achilles unterlag und starb.

Es war das boshafte Wirken Aphrodites, das den Griechenhelden dann mit Liebe zu der toten Amazonenkönigin schlug, und seinen Kampfesmut schwächte.

Troja wurde dadurch nicht gerettet. Die Stadt fiel, und mit ihr verschwanden auch die kleinasiatischen Amazonen vor dem Angesicht der Geschichte und tauchten fortan nicht mehr auf...

Doch auch an anderen Orten soll es Amazonen gegeben haben. Diodor weiß von dem libyscher Amazonen zu berichten, die noch vor den kleinasiatischen ihr Unwesen getrieben hatten: " Es heißt, es habe in den westlichen Teilen Libyens - an der Grenze der Welt - ein Volk gelebt, das von Frauen regiert wurde und dessen Lebensweise von der unseren völlig verschieden war. Denn dort pflegten, die Frauen die Kriegsgeschäfte zu führen; eine bestimmte Zeit mußten die auf Feldzügen verbringen und solange ihre Jungfernschaft bewahren. Wenn aber die Jahre ihres Dienens verflossen waren, vereinigten sie sich mit den Männern, um ihr Geschlecht fortzupflanzen..." Die libyschen Amazonen "bewohnten eine Insel im tritonischen See, die ihrer westlichen Lage wegen Hespera genannt wurde. Dieser See liegt nahe am großen Ozean und hat seinen Namen von dem Fluß Triton, der sich in den See ergießt. Der See liegt nahe bei Aethopien und stößt an ein Gebirge, welches das größte ist in jener Gegend und welches in das Meer hinausragt; von den Griechen wird es Atlas genannt." (Diodor)

Einer dieser Amazonenstämme, die "Gorgonen" sollen gegen den Helden Perseus gekämpft und natürlich verloren haben. Doch das hielt die anderen Amazonen nicht davon ab, sich die Libyer, die Numider und große Teile des Mittelmeers untertan zu machen, sich schließlich sogar Atlantis zuzuwenden. Daß sich später die siegreiche Amazonenkönigin Myrine die Zähne an Griechen ausbiß und ihr Volk von der Bildfläche verschwand, versteht sich von selbst...


Geschichtliche Spuren

Gab es die Amazonen wirklich, oder sind sie in das Reich der Mythen zu verweisen? Darüber streiten sich Historiker schon seit langer Zeit, und vermutlich wird die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen.

Sicher ist nur, daß es die Amazonen nicht in der Form gegeben hat, wie sie uns die antiken Chronisten überlieferten. Denn einen großen Unterschied besitzt die frühere Geschichtsschreibung zu unser heutigen historischen Forschung: Ein antiker Chronist sah die Vergangenheit aus dem Blickwinkel seiner Zeit. Es galt für ihn nicht unbedingt die nackten Tatsachen aufzuzeichnen, sondern Begründungen für die derzeitige Ordnung zu finden, aufbauend auf den Quellen, die ihm zur Verfügung standen, und die in seinen Kreisen allgemein bekannt war. Von den Verhältnissen seiner Zeit schloß er auf das Vergangene. Als treuer Untertan und Beamter seines Fürsten stellte er dessen Herrschaft natürlich in bestem Lichte dar, und Heldentaten aus der Vergangenheit erhöhten den Ruhm der herrschenden Familie.

Oft war die Geschichte ein Spiegel derzeitiger Verhältnisse. Um ein kleines Beispiel zu nennen. Das Doppelköniginnentum und das kriegerische Wesen der Amazonen erinnert teilweise an die Herrschaftsstruktur der Spartaner, die lange Zeit mit den Athenern um die Vorherrschaft in Griechenland rangen.

Indem die attischen Ahnen die mythischen Amazonen mehrfach überwanden, gewannen sie auch die Gewißheit, daß ihnen dies mit dem realen Gegner gelingen würde, der ja ähnlich wirkte.


Viele der antiken Chronisten stammen aus streng patriarchalischen Kulturen wie der Athens, in denen Frauen, wenn sie nicht gerade Sklavinnen oder Hetären waren, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und in abgeschiedene Bereiche der Wohnhäuser verbannt waren.

Wie irritiert mußten sie dann sein, wenn sie nach Sparta kamen, in denen die Frauen weitaus selbständiger agierten und nicht nur dem Namen nach die Herrinnen des Hauses waren. Wenn sie sich körperlich ertüchtigten?

Und Sparta nicht nur eine Ausnahme war? Vom, mit Sparta befreundeten, Gortyn sind liberale Gesetze bekannt, in denen die Frauen Vermögen erwirtschaften konnten, und nach der Heirat mit ihrem Mann weiter der Familie ihres Vaters zugehörte und dieser Nachkommen gebar.

Wenn Frauen auch nicht unbedingt Kriegerinnen waren, so finden sich in Kleinasien und dem Balkan doch immer noch genug Spuren, die auf mutterrechtliche Gesellschaften hinweisen, in denen ein Kind der Familie der Mutter zugeordnet und der Besitz in weiblicher Linie vererbt wurde, der Schwestersohn mehr Bedeutung als die leiblichen Söhne hatten.

Und die Amazonen? Es ist nicht auszuschließen, daß es in Kleinasien und jenseits des Schwarzen Meeres reine Frauengesellschaften gab, nur sind diese bisher nicht eindeutig nachzuweisen.


Zahlreiche archäologische Funde aus den nordpontischen Steppen belegen aber mittlerweile, daß die oben erwähnten Schilderungen Herodots einen konkreten historischen Hintergrund haben. Schon im letzten Jahrhundert entdeckte man bei den Ausgrabungen des Grafen A. A. Bobrinskoj in der Nähe des Ortes Smela Frauengräber mit Waffenbeigaben. Wie sich später zeigen sollte - bei Funden in der südlichen Ukraine in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, waren diese keine Ausnahme. "Amazonengräber" waren im gesamten Steppenraum und vermutlich auch im Kaukasus eine durchgehende Erscheinung.

Der älteste sichere Fund aus dem 4 Jh. vor Chr. stammt aus dem Cholodny Jar Hügel am linken Tjasmin-Ufer. Der Toten waren neben den üblichen Gaben wie Spiegel, Keramik, Spindel und Schmuck auch Waffen beigegeben: "Links am Kopfende lagen zwei eiserne Lanzenspitzen, 56 und 48 cm lang, unter ihnen eine glatte viereckige Schleifplatte; an der linken Seite des Skelettes befanden sich die Reste eines farbig bemalten Köchers aus Leder und Holz mit 47 bronzenen dreiflügligen Pfeilspitzen und zwei eisernen Messern. Nahe am Schädel wurden außerdem fünf sogenannte Wurfsteine gefunden."

Hatte man Gräber mit Waffen lange Zeit Männern zugeordnet,

so bewiesen anthropologische Forschungen, daß man Frauen vor sich hatte - und zwar solche, denen die Waffen nicht nur aus kultischen Gründen, oder weil sie damit gejagt hatten, ins Grab legte: "Aber deutliche Verwundungsspuren - schwere Schädelverletzungen durch Hieb und Stich, ebenso wie eine noch im Knie feststeckende verbogene Bronzepfeilspitze widerlegen diese Annahme."

Die schriftlichen Quellen betonen die Verbindung der Amazonen mit den Sarmaten im unteren Wolgagebiet, in deren Bereich die Zahl der Gräber bewaffneter Frauen tatsächlich größer ist als bei anderen Skythenstämmen - etwa ein Fünftel. Auch im westlich anschließenden Skythien hat man mittlerweile über 40 dieser Gräber gefunden - und zwar nicht nur mit Pfeil oder Bogen, sondern einer ganzen Auswahl von Waffen und Metall verstärkte Gürtel zum Schutze der Lenden. Insgesamt weist das auf eine Beherrschung der verschiedensten Kampfdisziplinen hin.: "Technisches Können und besondere Geschicklichkeit im Umgang mit den Waffen dürften gerade für die kräftemäßig ja unterlegenen Frauen von ausschlaggebender Bedeutung sein. Sicher nicht zufällig stellen Pfeil und Bogen die Grundausrüstung da und sind in allen Amazonengräbern vertreten, da sich mit der Bogenwaffen am günstigsten, die bei Frauen schwächere Muskelkraft ausgleichen läßt, die selbst dann geringer bleibt, wenn ein intensives Muskeltraining durch verschiedene sportliche und jagdmäßige Übungen vorangegangen ist. Bei dem Gebrauch von Lanze, Speer und Wurfspieß sind die Möglichkeiten der Frauen von vornherein eingeschränkt, da die meist ungünstigere Winkelstellung der Armknochen eine weniger effektive Kraftübertragung zuläßt als bei den Männern. Notwendig waren auf jeden Fall Ausdauer, Kraft Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Beweglichkeit (...) Da der Kampf sich zu Pferd abspielte und ohne Steigbügel geritten wurde, war nicht nur eine souveräne Beherrschung des Tieres in allen Situationen erforderlich, sondern auch eine gute Koordination von Auge, Arm und Atmung sowie ein präzises Entfernungs- und Zeitgefühl. aufgrund dieser vielseitigen Körperausbildung entsprach der physische Habitus dieser Kriegerinnen wohl kaum den 'Mannweibern', wie der heutige einseitig orientierte Leistungssport die hervorbringen kann. Vermutlich wird man sie sich muskulös, aber nicht allzu wuchtig vorzustellen haben.

Durch die stark fleischhaltige Kost und ihre körperliche Gewandtheit entsprachen sie wahrscheinlich eher dem Typ der heutigen Mehrkämpferinnen und Distanzreiterinnen."

Aber trotzdem waren diese Kriegerinnen sich ihrer Weiblichkeit bewußt, sonst hätten sich in ihren Gräbern nicht auch typisch weibliche Kosmetika, Schmuck und Hausgeräte gefunden, die beweisen sollten, daß sie auch durchaus die Aufgaben einer Frau beherrschten.


Die mythischen Amazonen waren mehr oder minder Kreaturen, die weniger als eigenständiges Volk, denn als Symbole für die Überlegenheit der griechischen Männer zu sehen waren: Denn wie sonst ist es zu erklären, daß sie zwar jedem Barbarenvolk überlegen waren, aber immer dann versagten, wenn griechische Helden ins Spiel kamen? Wenn in den Arestöchtern immer dann die "typisch weibliche" Schwäche erwachte, wenn sie einen der großen Heroen vor sich sahen, auch wenn der Verstand ihnen riet, diese gleich zu meiden, oder ohne viel Federlesens niederzumachen?

Dennoch steckt hinter den vielen Sagen, die sich um die Amazonen ranken, letztendlich doch ein wahrer Kern: Es hat kriegerische Frauen gegeben, die sich durchaus zu behaupten wußten, und in ihrer eigenen Kultur voll anerkannt waren. Außenseiterinnen wären wohl kaum so sorgfältig zur letzten Ruhe gebettet worden!

Und die Funde haben noch kein Ende: Erst vor wenigen Wochen hat man in Rußland wieder einmal Gräber entdeckt, in denen Frauen mit ihren Waffen und allen Ehren bestattet worden waren.



Quellen:
Sarah B. Pomeroy Frauenleben im klassischen Altertum
Evangeline Walton: Die letzte Amazone, Klett-Cotta
Manfred Hammes: Die Amazonen, Fischer, 1981


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