REZENSION


TRAUMWELTEN

von Hermann Urbanek



TRAUMWELTEN
von Ernst Vlcek und H.W. Mommers

Blitz-Verlag, Windeck 2002, 345 Seiten, EUR 14,90
Cover: Franz H. Miklis

Once upon a time, in a galaxy far, far away...

Zu Beginn der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts befand sich die noch junge Literaturgattung Science Fiction im deutschen Sprachraum im Aufbruch und faszinierte vor allem eine aufgeschlossene, junge Lesergeneration.

Der Science Fiction Club Deutschland, von Walter Ernsting 1955 mit internationaler Unterstützung aus der Taufe gehoben, war erst wenige Jahre alt, und überall in deutschen Landen entstanden Städtegruppen, die Treffen unter den Fans organisierten, Fanzines herausgaben und Brennpunkt für literarische Aktivitäten wurden, wie beispielsweise in Berlin, Hannover und München.

Wien war da nicht anders, und um den damaligen Clubleiter Axel Melhardt scharte sich eine Gruppe begeisterter SF-Fans, die ihre Lieblingsliteratur nicht nur in deutschen Übersetzungen und im Original konsumierten, sondern mit dem Magazin PIONEER ein Stück deutscher Fandoms-Geschichte schrieben. PIO, wie es liebevoll genannt wurde, brachte nicht nur Artikel und Rezensionen, sondern auch herausragende Kurzgeschichten, viele in Übersetzungen, etliche aber auch von neuen Talenten der Szene, die hier ihre ersten Erfahrungen sammelten und den nötigen Feedback für ihre schriftstellerische Weiterentwicklung erhielten.

Zu den Fans, die hier ihre ersten Geschichten veröffentlichten und in der Folge das Schreiben zu ihrem Beruf machten, gehörten neben Gerd Maximovic, Hubert Straßl und Kurt Luif auch Ernst Vlcek und Helmuth W. Mommers. Die beiden lernten sich bei den Treffen der Wiener Gruppe kennen, und beschlossen, nachdem sie zuvor schon solo bzw. unter Mitarbeit anderer Fans einige Storys auch in anderen Fanzines wie SOL publiziert hatten, es künftig im Team zu versuchen.

Sie gingen in der Schweiz in mehrwöchige Klausur und schrieben nach einem vorher erarbeiteten Themenkatalog an die zwanzig Geschichten neu oder überarbeiteten bereits zuvor in Fanzines publizierte Erzählungen gründlich, um das Ergebnis dann Günter M. Schelwokat, dem zu dieser Zeit wohl einflußreichsten SF-Lektor, anzubieten. Und Schelwokat, der das Potential der beiden Newcomer glasklar erkannte, griff zu und veröffentlichte die meisten davon in zwei Storybänden, die im Genre wie eine Bombe einschlugen und ihre Autoren mit einem Schlag zu den Größen der deutschen SF katapultierten.

Ein neues Dream-Team war geboren. Doch danach erschien von den beiden Neo-Stars nur mehr die Tetralogie "Das Galaktikum", danach löste sich das Gespann auf: Helmuth W. Mommers ergriff einen sogenannten bürgerlichen Beruf und hatte für die nächsten vier Jahrzehnte keinerlei literarische Ambitionen mehr, vom Lesen seiner Lieblingsliteratur abgesehen, und Ernst Vlcek machte alleine seinen Weg, von TERRA über ATLAN bis PERRY RHODAN.

Ein erstes Wiedersehen nach fast vierzig Jahren anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Vlcek führte nicht nur dazu, dass Mommers wieder mit dem Schreiben begann - das sensationelle Ergebnis ist neben bisher schon verstreut publizierten Geschichten wie in PHANTASTISCH! und diversen Anthologien demnächst in der Collection "Sex, Love, Cyberspace", ebenfalls bei Blitz nachzulesen -, sondern auch, daß alle Geschichten, die die beiden jemals gemeinsam geschrieben haben, in einem einzigen umfangreichen Wälzer gesammelt wurden. "Traumwelten", der alle diese Storys einer neuen Lesergeneration vorstellt, enthält also nicht nur die Beiträge aus dem TERRA SONDERBAND 81 und dem TERRA-Heft 361 sowie die ebenfalls professionell erschienene Geschichte "Wenn trügerisch Besuch kommt" aus der HEYNE-ANTHOLOGIE 11, sondern auch drei Beiträge, die bislang nur in PIONEER und SOL erschienen sind, sowie als besonderes Gustostück eine humorvolle Vampirgeschichte aus dem Jahr 1964, die fast vier Jahrzehnte lang verschollen war und jetzt ihre Erstveröffentlichung erlebte.

Die Bandbreite des SF-Cocktails, den die beiden zu Beginn ihrer Karriere verfaßt haben, ist enorm. Allen Geschichten gemeinsam ist die Liebe zum Detail und die Pointe, die auch heute noch überrascht, zumindest in den meisten Fällen. Denn alle Geschichten gemeinsam ist, daß sie, obwohl sie schon rund vierzig Jahre auf dem Buckel haben, nichts an Frische und Esprit verloren haben, sie begeistern heute genau so wie zur Zeit ihrer ersten Veröffentlichung. Sie sind zeitlos, denn sie behandeln Thematiken, die allgemeine Gültigkeit haben, sie handeln von Träumen, vom Verhalten gegenüber Andersartigen, oder davon, wie Menschen auf das Ungewöhnliche, das Unerwartete, das Fremde reagieren. Und da hat sich seit den frühen Sechzigern kaum was geändert.

"Traumwelten" ist nicht nur ein SF-Klassiker par excellence, es ist ein Stück deutscher SF-Geschichte, das auch den Lesern des 21. Jahrhunderts etwas zu sagen hat. Was kann man als Autor eigentlich mehr erwarten?


zurück