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VORNAME MISTER

Folge 13

von Fred H. Schütz



"Befördert, wer?" Sie empfand einen unbestimmten Widerwillen gegen die Bemerkung, wußte aber nicht, wie sie sie einordnen sollte. Sie rekelte sich wohlig. Irgendwie war sie wohl wieder in Schrpktkwks Bett gelandet ...

"Mister Terellinger," sagte Bast. Sie saß auf der Bettkante, leicht wie eine kleine schwarze Katze, die Hände im Schoß gefaltet. Ihr Blick, begleitet von einem geheimnisvollen Lächeln, ruhte auf Mollys Gesicht. "Der Zeitsprung hat Sie ganz schön mitgenommen. Aber -"

"Mister Terellinger!" Molly fuhr hoch und die Bettdecke - ein leichtes Laken - rutschte herunter. "Was hat denn der -"

"Nichts was Sie jetzt noch interessieren könnte." Basts Hand raffte die Decke, hielt sie hoch. "Bedecken Sie sich. Wir wollen dem Mädchen einen Schreck ersparen." Sie warf einen belustigten Blick in die Fensterecke; Conchita lag mehr als sie saß in einem bequemen Stuhl, den Kopf auf die Brust geneigt, und atmete tief. Sie schlief fest. Bast sah wieder Molly an, immer noch das leichte Lächeln auf den Lippen. Der Geruch nach - nach, Raubtier? - hing in der Luft. "Er wurde befördert ..."

"Befördert!" Die Decke rutschte wieder herunter, aber Molly achtete nicht darauf. "Mister Terellinger? Dieser - dieser ... Man hätte -"

Conchita fuhr mit einem Schreckenslaut auf und stürzte sogleich herbei. "Senorita ..!" Sie zog die Decke hoch und legte sie fest um Mollys Schultern. "Senorita, Sie sind nicht bekleidet!" Molly sah an sich herunter, stellte fest, daß dies der Wahrheit entsprach, und wunderte sich, daß es ihr egal war. Die Decke rutschte wieder herunter. "Wer hat mich denn diesmal ausgezogen?"

Bast lächelte immer noch und Molly erschauerte vor dem Blick aus den Raubtieraugen. "Man hat," sagte Bast. Das Mädchen griff wieder nach der Decke. "La Dona Anita," sagte es verlegen. "Sie befahl mir, ihr dabei zu helfen, als Sie ohnmächtig wurden ..."

"Ohnmächtig? Wieso?" Sie wehrte die Hände des Mädchens ab. "Laß gut sein, Conchita. Ich ziehe mich gleich an." Dann blickte sie fest in Bast's grüne Augen und knurrte, "Wieso?"

"Es geschieht nur beim ersten Mal," sagte Bast in leichtem Plauderton, "dann gewöhnt sich der Ka an die Zeitsprünge ..."

"Ka? Was ist das?"

"Die Körperseele." Bast bewegte die Schultern und ihre Augen wurden dunkel. "Ein alter ägyptischer Begriff. Sie würden wahrscheinlich physische Aura dazu sagen ..."

"Körperseele - Aura ..." Molly schüttelte den Kopf. "Das sagt mir nichts." Dann begriff sie, daß Bast offensichtlich litt; die Göttin hatte ihr Reich verloren, war zur Waise geworden - und mit diesem Begriff war Molly sehr wohl vertraut. Impulsiv legte sie ihre Hand in die der Anderen, spürte wie sich bebende Finger um die ihren schlossen. "Es schmerzt Sie, darüber zu reden," sagte sie leise, "wollen wir ..."

"Tausende von ägyptischen Katzenstatuen in aller Welt, unzählige Katzenmumien, aber keiner ..." Bast schloß die Augen und senkte den Kopf. Molly fühlte ihre Hand erzittern, spürte wie sie schrumpfte und dann war es eine Katzenpfote, die in ihrer Hand lag. "Der Unglaube ist eine schreckliche Waffe," sagte die schwarze Katze und ihre Stimme klang gequält. "Wenn er nicht wäre ..."

Molly wußte, wen sie meinte. Sie hob die freie Hand unter Basts Kinn, zwang sie, sie anzusehen. "Ich glaube auch an Sie," sagte sie ernst.

"Dann sind Sie bereits zwei," sagte die Göttin mit rauher Stimme. "Das gibt mir eine gewisse Schonfrist ..." Der Hauch eines Lächeln huschte über ihre Züge. Die Traurigkeit schien von ihr abzufallen, oder sie verdrängte sie, aber sie behielt Mollys Hand in der ihren. "Sie haben recht. Wir wollen von etwas anderem reden. Zum Beispiel -"

"Mister Terellinger? Sie wollten mir von ihm erzählen."

"Mister Terellinger, ja." Bast lachte verhalten. "Er kann Ihnen nichts mehr anhaben. Selbst wenn Sie in Ihre Zeit zurückkehrten -"

"Selbst wenn -" Molly runzelte die Brauen. "Wie meinen Sie das?"

"Ich meine, daß ein gewisser junger Mann Sie nicht fortlassen wird. Und er lebt nunmal in dieser Zeit."

"Ach, Pedro!" Molly nickte. "Aber was hat das mit Mister Terellinger zu tun?"

"Nun, er wurde - oder, besser gesagt, wird in ein paar hundert Jahren - vom Holo-Konsortium auf den Ganymed versetzt. Und Sie wissen, was das für seine Gesundheit bedeutet!"

Molly lachte erleichtert auf. "Die Ganymed-Grippe!" Für Mister Terellinger empfand sie kein Mitleid.

Doch dann gab sie einen Schreckenslaut von sich, als Licht aufflammte und schloß geblendete Augen. "Ist es zu hell, Senorita?" fragte das Dienstmädchen besorgt. Es nestelte an einer Lampe, die an der Wand hing und augenblicklich ließ die Helligkeit nach. Vor dem Fenster stand Nacht.

Bast deutete ihren erschreckten Ausdruck. "In diesen Breiten wird es rasch dunkel."

"Ach ja," sagte Molly, von der Neuigkeit überrascht. Auf dem Mars lebte man in Kunstlicht und daher hatte sie der Helligkeit des vergangenen Tages keine Bedeutung beigemessen; nun stellte sie fest, daß es in Mexiko anders war. "Was für ein Licht ist es denn," fragte sie, und zu Conchita gewandt, "etwas heller, bitte."

"Gas," sagte Bast. Das Mädchen schraubte die Flamme höher. "Ist es so recht, Senorita?" Als Molly nickte, sagte das Mädchen stolz, "Ja, hier in der Stadt sind wir modern. Nur auf dem Land gibt es keine Gasleitungen; dort benutzen wir noch Petroleumlampen."

Ihre Ausdrucksweise ließ keinen Zweifel aufkommen, daß mit "wir" ihre Herrschaft gemeint war, sie zählte sich einfach mit in die große Familie von Herrschaft und Dienstboten. Die Treue des Mädchens erinnerte Molly schmerzlich an Pater Boris - niemand sonst auf dem Mars hätte sich so für andere eingesetzt wie er, und Conchita schien ihm darin nicht nachzustehen.

Molly sollte noch feststellen, daß das gesamte Personal so fühlte und sich so aufführte, wie Conchita. "Wir sind die Familie Almirante" stand in stolzen unsichtbaren Lettern auf ihre Gesichter geschrieben. Selbst der kopfoltiner Kutscher, dem augenscheinlich niemand ansah, daß er kein Mexikaner war, machte darin keine Ausnahme.

Zu Überlegungen blieb allerdings keine Zeit. Bast entlockte Conchita einen erschreckten Ausruf, als sie Molly die Decke wegzog und verkündete, "Zeit zum Anziehen!"

Eine knappe Viertelstunde später huschte eine reichlich verstörte Conchita ins Zimmer der Prinzessin, die bereits ungeduldig auf sie wartete. "Ich sage Ihnen, Dona Anita, diese Gräfin, sie - sie ist eine Bruja!" Sie bekreuzigte sich, als sie das unheilige Wort aussprach.

"Eine Zauberin?" lachte Annette, ohne Conchita zu schelten, weil sie schon wieder ihren Namen falsch aussprach. "Wieso denn das?"

"Nun, ich hatte weiter nichts zu tun, als die Kleider für die Senorita herauszulegen. Die Gräfin half ihr beim Anziehen - und das ging so fix, wie ich es noch nie gesehen habe - und dann hat sie ihr die Haare aufgesteckt, und - und - Dona Anita, das müssen Sie gesehen haben, um es zu glauben!"

"Na und, sieht sie denn gut aus?"

"Wer? Die Senorita?"

"Wer sonst, du Schaf!"

"Herrlich sieht sie aus, Dona Anita, so wunderschön, so - so -"

"Na, dann ist doch alles in Ordnung! Jetzt hilf mir beim Ankleiden und versuche, ebenso fix zu sein, wie die Gräfin! Wir wollen unsere Gäste nicht warten lassen ..."

Indessen schritten die beiden Grazien die große Freitreppe hinab, die eine in schwarzen Samt gekleidet, die zweite umwogt von einer Wolke aus weißer Seide. Molly, nervös und angespannt, weil sie einer Menge von Leuten entgegen ging, die sie nicht kannte und die sie neugierig anstarren würden wie ein exotisches Tier im Zoo, und ängstlich, weil sie nicht wußte, wie sie sich verhalten sollte, atmete gepreßt und dennoch - "Bast, ich weiß, daß ich ein Korsett anhabe, das mir eigentlich die Luft abschnüren sollte, und dennoch fühle ich mich so frei ... Sagen Sie mir, bitte, wie Sie das gemacht haben ..."

"Ach, da machen Sie sich keine Sorgen," raunte die "Gräfin" zurück, "ich kenne da so ein paar Tricks ..."

Die Halle - festlich erleuchtet mit Gaslichtern in Kandelabern, die von der hohen Decke hingen - war allerdings voller Menschen. Molly wunderte sich über die große Zahl von Bediensteten, die eilfertig hin und her huschten und den Gästen Appetithäppchen und Getränke servierten und dabei ihre Tabletts geschickt durch das Gedränge von Körper balancierten; Schrpktkwk hätte seine helle Freude an ihrer Kunstfertigkeit gehabt - und tatsächlich erkannte Molly den einen oder anderen Kopfolt unter ihnen. Von den Gästen waren die meisten der Damen in voluminöse weiße oder schwarze Roben gehüllt - Farbigkeit schien hier verpönt zu sein und Molly begriff, daß Bast ihr einen großen Dienst erwiesen hatte, als sie ihr das grüne Kleid aus den Händen nahm und das weiße Seidengewand herauslegte, das sie jetzt trug - während nur wenige der männlichen Gäste zivile Kleidung trugen; alle anderen trugen stattliche Uniformen zur Schau (mit viel Lametta dran, wie Kevin gesagt hätte) waren also wohl ranghohe Offiziere.

Zwischen ihnen stand einer, angetan mit einer viel schlichteren Uniform; er trug nur eine Epaulette auf der linken Schulter. Das einzelne Auge in seinem zerklüfteten Gesicht glühte ihr entgegen und ihr Herz machte einen Hopser, als sie ihn erkannte. Pedro stand neben seinem Vater, der sich wie nach Hilfe heischend umblickte. "... verstehe nicht, wo sie bleibt," murmelte er gerade.

Ein stattlicher Mann in Generalsuniform - eine breite goldene Schärpe wand sich von einer Schulter zur anderen Hüfte - und graumeliertem Bart lächelte auf den kleineren Mann herab. "Ich kenne die Prinzessin," sagte er und sein Akzent verriet seine Herkunft, "gleich wird sie erscheinen und vermelden, daß angerichtet ist!"

Worte, die sein Gegenüber aufrichten sollten, erreichten das Gegenteil. Der Oberst seufzte. "Sie ist imstande, alles aufzuhalten, um ein kleines Detail zu korrigieren, das niemand auffällt, außer ihr. Und natürlich wird sie sagen, daß unserem hohen Gast zu Ehren alles aufs peinlichste ..." Er unterbrach sich, als im selben Augenblick seine Augen wahrnahmen, wer da die Treppe herunter kam. "Majestät, darf ich Ihnen vorstellen ..."

Bast sank in einen tiefen Hofknicks und Molly, die nicht verstand, warum sie das tat, aber dennoch erriet, daß man es von ihr erwartete, tat ihr bestes, sie nachzuahmen. "... die Gräfin Barajas und Moli de Caoba," intonierte ihr Schwiegervater in spe und Molly würde später sehr stolz auf sich sein, wenn sie sich an den Moment zurück erinnerte, daß sie keine Miene verzog. Der gute Oberst hatte sich in der Aufregung total verheddert und aus ihrem Namen Mahagoniesauce gemacht, während er Basts Incognito in den ähnlich klingenden Namen eines zu jener Zeit unbedeutenden Dorfes in der Nähe der spanischen Hauptstadt verwandelte.

Dem Kaiser entging die Verballhornung. Mit einer knappen Verbeugung ergriff er nacheinander ihre Hände und hauchte einen Handkuß darauf. "Charmant, meine Damen, charmant." Er trug weiße Baumwollhandschuhe.

Indessen war Pedro Senior wegen seines Faux pas sehr ärgerlich auf sich selbst, konnte sich aber keinen Reim darauf machen, wieso dieses entzückende Wesen unbedingt Mahagonie heißen sollte - oder hatte ihn ihr flammendes Haar darauf gebracht? - und blieb in seinem Erklärungsversuch hoffnungslos stecken. Allerdings blieb seine Verlegenheit unbemerkt, weil seine Majestät, stets im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, welches der beiden graziösen Wesen die Hübschere war. So wandelte sich die Szene in ein lebendes Tableau à la Watteau, in dem sich keiner bewegte.

Den beiden Galanen blieb weiteres imaginäres Haareraufen erspart, denn just in diesem Augenblick öffnete sich eine Flügeltür im Hintergrund des Saals und ein livrierter Diener trat hervor. Ein Ziviler mit Lametta, dachte Molly belustigt. Später würde sie erfahren, daß diese also herausgeputzte Person die wichtigste im ganzen Haushalt, nämlich der Mayordomo war; wie in England der Butler, war er hier für die Regulation des gesamten umfangreichen Haushaltes zuständig und Molly würde begreifen, daß von seiner Einsatzbereitschaft und Fachkenntnis der ganze Betrieb abhing. Sein Name war Juan del Rocío.

Derselbe war es, der nun einen mannshohen schweren Stecken mit Goldknauf mehrmals auf den Fußboden aufstieß, so daß es weithin schallte - was zur Folge hatte, daß alles Gemurmel abbrach und augenblicklich Stille eintrat - und mit sonorer Stimme verkündete: "La duena, princesa Annette de Austerlitz!"

Die Hausherrin. Sie betrat den Saal wie eine Königin, angetan mit blauer Robe und weißer Schärpe und ihr kunstvoll aufgestecktes blondes Haar war mit einem Schleier aus weißem Tüll bedeckt. Vor dem Kaiser angekommen, versank sie in einen tiefen Hofknicks. "Majestät."

Der Bann war gebrochen. Seine Majestät verbeugte sich, ergriff die ihm entgegen gestreckte Hand - "Prinzessin -" und zog sie unter seinen Arm als die Dame des Hauses sich erhob und nun neben ihm stand. "Ihre Gegenwart verschönert den Abend, meine Liebe," sagte er huldvoll.

Die Verschönerung des Abends bedankte sich mit einem Lächeln - "Schmeichler!" - und nickte dem Mayordomo zu. Derselbe stieß seinen Stecken nochmals mit Getöse auf den Boden. "Die Herrschaften bitte zu Tisch!"

Auf dieses Stichwort formierte sich ein Zug, der sich paarweise hinter dem Kaiser und der Prinzessin anschloß und gesetzten Schrittes den Speisesaal betrat. Molly, die nicht wußte, ob sie über die gezierte Art der Gesellschaft lachen, oder die Zielstrebigkeit der Leute bewundern sollte, wußte letzten Endes nicht, wie sie sich in die Gruppe einordnen sollte und wäre am liebsten weggelaufen - aber das ging wohl nicht. Also blieb sie stehen, um zu warten bis alle vorüber waren. Sie würde als Letzte hineingehen und sich bescheiden einen Platz suchen. Da fühlte sie ihren Arm ergriffen und als sie sich erschrocken umblickte, war es Pedro, der sie führte. Ach, Pedro! An seiner Seite fühlte sie sich sicher.

Im nächsten Moment durchfuhr sie ein neuer Schreck, als sie sah, worauf Pedro hinsteuerte. An den Längsseiten des Saales standen zwei lange, mit erlesenem Geschirr belegte Tische, an denen die Gäste mehr oder weniger umständlich Platz nahmen - und zwar schien es davon abzuhängen, wie schnell sie ihre Platzkarten fanden. Als Molly sah, wo sich Bast und Cesar hinsetzten, versuchte sie, ihre Schritte dorthin zu lenken, weil sie instinktiv die Nähe derer suchte, die sie kannte, aber ihre Hand lag in Pedros Arm und der zog sie weiter.

Entlang der Stirnseite des Saals stand ein kleinerer Tisch - immerhin so groß wie der in Pater Boris' Refektorium, und der bot mehr als einem Dutzend Kindern Platz. Maximilian und die Prinzessin hatten dort schon Platz genommen und soeben ließen sich der Oberst und Mister Trecee an Annettes Seite nieder. Zwei Plätze waren noch frei und auf die steuerte Pedro zu! Galant hielt er ihr den Stuhl und Molly, die nicht wußte, wie ihr geschah, ließ sich mit zitternden Knien darauf nieder.

Sie saß neben dem Kaiser. Der wandte sich auch gleich an sie, "Sie sind also die junge Dame, wegen der mein bester Mann mich in Stich läßt ..." Sein Akzent ließ nicht erkennen, ob er eine Frage stellte, oder sich beklagte. Mit pochendem Herzen - gut, daß kein Spiegel da ist, Molly, sonst würdest du sehen, wie dir das Blut ins Gesicht steigt - stotterte sie, "Ich - ah - ich ..."

Die Prinzessin rettete sie aus der Not. Sie beugte sich vor, um sie an dem Kaiser vorbei ansehen zu können und lächelte ihr zu. "Majestät werden zugeben, daß ein so wichtiges Familienereignis Vorrang hat?" Sie sprach wienerisch und Molly merkte vor lauter Verlegenheit nicht, daß sie sie verstand.

Maximilian wiegte den Kopf. "Schon, schon, meine Liebe. Ich wünschte mir auch nichts sehnlicher, als mit der Braut den ersten Tanz zu wagen - Sie wissen," sagte er zu Molly, "daß der Kaiser das Recht auf den ersten Tanz hat?" Molly, die zwar die Worte verstand, aber nicht wußte, von was die Rede war, nickte verlegen. "Aber," sagte er wieder zu Annette, "wer begleitet mich nun nach Europa?"

Die Prinzessin blickte einen Moment ernst zurück, wandte sich dann an ihren Mann. "Gute Frage, Babba. Wie lösen wir das Dilemma?"

Der Oberst zögerte. Dann holte er Luft, aber ehe er sprechen konnte, erhob sich Cesar. "Mit Erlaubnis Ihrer Majestät," sagte er mit trotz des näselnden Tones fester Stimme, "erbitte ich die Ehre, anstelle meines Herrn Vaters die kaiserliche Leibwache führen zu dürfen!" Er stand steif aufgerichtet und seine Augen loderten. "Vater ..?"

Bast, die an seiner Seite saß, richtete einen erschrockenen Blick aus weit aufgerissenen Augen auf Mister Trecee, aber weil der jenseits des Obersten an der Tafel saß, konnte Molly nicht sehen, ob er darauf reagierte. "Pedro, was bedeutet das," flüsterte sie so leise, daß er den Kopf neigen mußte, um sie zu verstehen, "was hat er vor?"

Pedro hatte seinen Bruder scharf angesehen, als der zu sprechen begann. Nun wandte er den Kopf und sah sie an. "Keine Ahnung," flüsterte er zurück. "Voriges Mal hat er sich anders benommen." Da begriff Molly, daß sie an einer Wiederholung der Geschichte teilhaftig war, aber was Mister Trecee damit bezweckte und welche Rolle ihr dabei zufiel, blieb ihr schleierhaft. Nur ihre Angst war ihr gegenwärtig.

Die teilte wohl auch die Prinzessin. "Babba ..?"

"Junger Mann," sagte der Kaiser mit ungewohnt scharfer Stimme, "worauf gründen Sie Ihr dreistes Ansinnen?"

Cesar richtete seinen Blick auf den Souverän, stand womöglich noch eine Spur gerader, und schnarrte, "Cesar Almirante y Austerlitz, Leutnant in der Leibstandarte von Mexiko und Offizier der kaiserlichen Garde, zu Ihren Diensten, Majestät!"

"Aha," sagte seine Majestät und richtete den Blick auf seinen Nachbar. "Oberst ..?"

Der schien nur auf das Stichwort gewartet zu haben. Er rückte seinen Stuhl zurück und stand so gerade, wie es seine Statur erlaubte. "Adjutant!" sagte er in dem scharfen Befehlston, den jeder kennt, der schon mit Militär in Berührung gekommen ist. Ein junger Mann in Offiziersuniform sprang von seinem Platz am Ende der linken Tischreihe auf und eilte, Mappe in der Hand, in den Raum zwischen den Tischen. "Leutnant Almirante, vortreten!" sagte der Oberst im selben Ton. Cesar machte eine halbe Wendung und stakte, steif wie eine Marionette, um den Tisch herum bis er vor seinem Vater stand.

Er führte die Hand an die Schläfe und der Oberst erwiderte den Salut. Dann sagte er, "Adjutant, die Epaulette!" Der Mann händigte ihm zuerst die Mappe aus und machte sich dann an Cesars Schulter zu schaffen. In einem Moment war das Rangabzeichen gelöst und verschwand in der Tasche des Offiziers. Währenddessen öffnete der Oberst die Mappe, in der zwei neue Rangabzeichen erschienen. "Anbringen!" sagte der Oberst kurz und der Mann gehorchte.

Als die Epauletten auf Cesars Schultern prangten, sagte der Oberst, "Leutnant Almirante, Sie sind hiermit zum Hauptmann befördert." Er salutierte und sein Sohn erwiderte den Gruß. "Gracias, mi coronel." Dann fuhr der Oberst fort, "Capitan Almirante, Sie bleiben heute Abend vom Dienst befreit und nehmen weiterhin an diesem Fest teil. Morgen in der Frühe übernehmen Sie das Kommando der Ehrengarde für seine Majestät. Wegtreten!"

Beide machten eine erneute Ehrenbezeugung und Cesar sagte, "Danke, Herr Oberst." Dann machte er eine knappe Wendung und salutierte den Kaiser. "Su majestad." Der Adjutant salutierte ebenfalls und beide machten eine knappe Kehrtwendung. Dabei stieß Cesar gegen Bast, die hinter ihm aufgetaucht war.

Die beiden Offiziere verbeugten sich höflich mit einer gemurmelten Entschuldigung, und während sie ihren Plätzen zustrebten, wandte sie sich an den Kaiser. "Majestät, wie Sie sehen, ist Cesar - ich meine Capitán Almirante - er ist - er bedarf noch der Pflege und darum bitte ich Sie, an der Reise teilnehmen zu dürfen."

"Ah, Gräfin!" Über Maximilians Gesicht huschte ein freudiges Lächeln. "Sie - wie war doch Ihr Name?"

Das war der Moment, vor dem Bast dich gefürchtet hatte. Tapfer sagte sie, "Barbara von Bacharach." Verdammt, mein göttlicher Freund, dachte sie, warum hast du mir diesen unmöglichen Namen angedichtet! Sie bemerkte wohl, wie die Prinzessin die Stirn runzelte. Molly, die Basts Verlegenheit spürte, raunte Pedro zu, "Was hat es mit dem Namen auf sich, daß Bast - eh, Barbara - sich so ziert?" Das militärische Gehabe der Beförderungszeremonie war ihr lächerlich erschienen, aber als sie Basts Verlegenheit bemerkte, begann sie zu zweifeln; hier wurde ein Plan in die Tat umgesetzt, von dem die wenigsten wußten.

Pedro zuckte die Schulter. "Weiß nicht. Ich werde Mamá fragen."

"Warum?"

"Sie kennt alle Fürstenhäuser; auch die deutschen."

Der Kaiser hatte sich erhoben. Jetzt beugte er sich über Basts Hand. "Ich bin entzückt, meine Gnädigste. Ich hoffe, Sie werden mir die Ehre erweisen, in meiner Karosse mitzureisen?"

Bast nickte stumm. Annette streckte ihr beide Hände entgegen. Ihr Gesicht strahlte. "Liebste Gräfin, ich bin Ihnen so dankbar. Welch ein Glück, daß Sie weiterhin meinen Sohn zu pflegen bereit sind!" Das ist es, dachte Molly, in ihrer Sorge um den verletzten Sohn weist sie alle Zweifel an der Identität der "Gräfin" von sich!

In diesem Augenblick kam Personal in den Saal hereingeströmt. Ob es angewiesen war, die Beförderungszeremonie abzuwarten, oder ob der Chefkoch der Philosophie anhing, daß eher die Gäste auf das Essen warten sollen, als umgekehrt, blieb Molly unerfindlich, aber sie vergaß die Frage, ehe sie sie zu Ende gedacht hatte. Nun verstand sie auch, warum die Tische im Karree aufgestellt waren: in der Mitte blieb ein Freiraum, in den das Personal die beladenen Servierwagen schob und im Nu fand jeder der Gäste seinen Teller gefüllt. Weitere Bedienstete bewegten sich hinter den Gästen und schenkten ein. Es schien hier Sitte zu sein, daß sie sich im Raum hinter den Gästen aufhielten und nachschenkten, sobald sich ein Glas leerte.

Molly hatte erwartet, sich wieder mit einem Blut weinenden Sonnenauge konfrontiert zu sehen, das ihr beim ersten Bissen den Gaumen verbrennen würde, aber sie sah sich getäuscht. Was ihr serviert wurde, sah nicht nur appetitlich aus, und von den folgenden Gängen wollte ihr jeder besser als der Vorhergehende schmecken. Eifrig kauend nickte sie nur als Pedro bemerkte, "Schau, wie Mamá sich freut, daß es allen schmeckt. Sie ist stolz auf ihre wiener Küche!"

In das Geklirre von Gläsern und Klappern der Bestecke mischten sich musikalische Klänge. Ein Sextett von Männern in eng anliegender Kleidung und Hüten, deren Krempen so groß waren wie Wagenräder, hatten sich in einer Ecke des Raumes aufgestellt und spielten auf. Zuerst ein Stück, das Molly gefiel - "Kaiserwalzer," sagte Pedro, "zu Ehren unseres Monarchen -" und dann eine sonderbare Weise, so sanft, daß sich Mollys Augen mit Tränen füllten. "La golondrina," sagte Pedro, "das Lied von der heimatlosen Schwalbe."

Das paßt auf mich, dachte Molly und ließ ihr Besteck in den Teller gleiten. Sie senkte den Kopf, damit man ihre nassen Augen nicht sehen sollte.

Und dann hatte der Kerl zu ihrer Rechten einen Einfall. Ganz plötzlich platzte er damit heraus, "Sind Sie nicht Irin, Miss Molly? Singen Sie doch ein Lied aus Ihrer Heimat!"

"Aber, ich - ich kann doch nicht ..." stotterte sie überrascht.

"Doch, doch. Ich bin sicher, Sie singen hervorragend. Hört zu, liebe Freunde," rief der Kaiser laut, "Miss Molly wird uns ein irisches Lied singen!"

Die Ankündigung wurde mit Beifall begrüßt. Die Leute klatschten, riefen "Bravo!" und "Adelante!" und einige erhoben sich von ihren Sitzen, als ob sie so besser hören könnten. Die Künstler ließen ihre Instrumente sinken.

Molly ergab sich. Pater Boris hatte sie ein Lied gelehrt, von dem er meinte, daß es besonders auf sie paßte; und das, dachte sie, würde sie jetzt singen. Sie räusperte sich und begann mit klarer Stimme: "In Dublin's fair city, where girls are so pretty, I first set my eyes on sweet Molly Malone ..."

Und weil sie sich so elend fühlte, und weil das Lied so traurig war, und überhaupt ... begann sie haltlos zu schluchzen.



Fortsetzung folgt, wenn Ihr wollt


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