STORIES


IN DIE SCHATTEN

Folge 6

von Thomas Kager



Was bisher geschah:

Sven wurde von unbekannten Hintermännern entführt und mußte Schaukämpfe austragen. Als er gemeinsam mit Wildfire und Moonshadow endlich frei kam, standen sie vor dem Nichts. Um an Geld zu gelangen beschlossen sie, einen Wagen zu stehlen.




"Was glaubst du wohl, was du da machst, Penner?"

Scheppernd öffnete sich ein Rolltor. Vorsichtig, um keinen Angriff zu provozieren, drehten sich Sven und Wildfire um. Hinter ihnen hatte sich eine Garage geöffnet.

In dem Tor stand breitbeinig ein Amerindianer. Hochgewachsen, athletisch, mit schulterlangem schwarzem Haar und bronzener Hautfarbe. In dem scharf geschnittenen Gesicht mit der ausgeprägten Hakennase saßen zwei dunkle Augen, die Sven und Wildfire mißbilligend musterten. Die muskulösen Arme hatte er vor der Brust verschränkt.

Neben und hinter ihm hatten sich mehrere Ganger aufgebaut. Ein paar Norms, mehrere Orks, zwei Elfen und im Hintergrund überragte ein Troll den gemischten Haufen. Die Männer und Frauen trugen, ebenso wie der Amerindianer, braune Kunstlederjacken, auf denen eine rotes T prangte.

"Das ist T-Bird Gebiet. Und in T-Bird Gebiet habe nur T-Birds das Recht, sich Autos auszuborgen."

Wildfire hob abwehren die Hände. "Wir sind nicht auf der Suche nach Streit ..."

"Aber vielleicht ist der Streit auf der Suche nach euch?" unterbrach sie der Amerindianer grob. Er deutete auf sie und Sven. "Boh, Rin. Schnappt sie euch!"

Begleitet vom begeisterten Gegröle ihrer Kameraden traten ein Ork und ein Elf vor. Der kahlrasierte Elf schwang lässig einen Baseballschläger hin und her und kam auf Sven zu. Der Ork, der einen Hang zur Magersucht aufwies, verließ sich ganz auf seine Hände. Mit einem breiten Grinsen stieß er Wildfire leichtfertig gegen den Wagen. Natürlich ganz zufällig kam er dabei an ihren Busen.

"Fehler", dachte sich Sven. "Ganz schwerer Fehler." Wildfire war nicht die Frau, die sich so etwas einfach gefallen ließ. Das mußte sogar ein Blinder sehen, doch dieser Ork schien einer von der ganz dummen Sorte zu sein.

Wildfires Bewegung war so schnell, daß sie mit bloßem Auge nur schemenhaft zu erkennen war. Ungläubig starrte der Ork auf seinen Unterarm, der plötzlich in einem sehr unnatürlichen Winkel zu Boden zeigte. Als sein Gehirn endlich die Schmerzimpulse registrierte, verschwand das anzügliche Grinsen aus seinem Gesicht und machte einem schmerzerfüllten Ausdruck Platz. Wimmernd fiel er vor Wildfire auf die Knie, krümmte sich zusammen und umklammerte seinen gebrochenen Arm. Schlagartig verstummte das Gegröle seiner Kameraden.

Auch der Elf hielt inne und blickte überrascht und ein wenig verunsichert auf den Ork. Aber er wußte immer noch die Gang in seinem Rücken. Vor denen wollte er keine Schwäche zeigen. Außerdem rechnete er mit ihrer Unterstützung. Er wollte Sven mit einem schnellen Schlag seines Baseballschlägers überraschen, doch dies war Angesichts der Trägheit eines Schwungangriffes und Svens trainierten Reflexen so gut wie unmöglich.

Sven duckte sich seitlich unter der Waffe durch und trat dem Elfen beide Beine unter dem Körper weg. Haltlos stürzte dieser auf den rissigen Asphalt und der Schläger schlitterte davon. Noch bevor der Elf auf die neue Situation reagieren konnte, packte Sven dessen Handgelenk, verdrehte den Arm auf den Rücken und fixierte seinen Gegner wehrlos am Boden.

Ein überraschtes Murren lief durch die übrigen Gangmitglieder. Sie wollten schon auf Sven und Wildfire losgehen, doch der Amerindianer hielt sie mit einer Handbewegung zurück.

"Wir sind nicht auf der Suche nach Streit", wiederholte Wildfire, diesmal entschiedener. "Aber falls er uns findet, gehen wir ihm sicher nicht aus dem Weg."

Der Amerindianer grinste. "Ihr seid nicht schlecht. Gar nicht mal schlecht. - Boh, Rin. Laßt die beiden in Ruhe und kommt zurück."

Mühsam kam der Ork auf die Beine. Mit der Linken hielt er weiterhin seinen gebrochenen Arm umklammert, während er zurück in die Garage schlich. Sven ließ seinen Gegner los, der sich ebenfalls wieder zu seinen Kumpanen gesellte. Er schielte zwar kurz in Richtung seines Baseballschlägers, ließ ihn dann jedoch liegen. Währenddessen kam Moonshadow näher und stellte sich neben Wildfire und Sven. Sie hatte das Ganze aus einige Entfernung aufmerksam beobachtete, bereit jederzeit helfend einzuschreiten.

"Ich bin Ghost, der Anführer der T-Birds", stellte sich der Amerindianer vor. Wildfire, welche die Rolle der Wortführerin übernommen hatte, nannte ihre Namen.

"Wenn ihr keinen Streit sucht, was tut ihr dann hier in unserem Gebiet?" wollte Ghost wissen.

"Wir wollten einer Begegnung mit der Polizei aus dem Weg gehen", entgegnete Wildfire ausweichend.

"Ziemlich schwierig zur Zeit. Bei den Cops geht es zu wie in einem aufgeschreckten Wespennest."

"Ja", nickte Wildfire. "Wissen wir."

"Was wißt ihr?"

"Was zahlt ihr?"

Ghost grinste wieder. "Ihr seht nicht so aus, als ob ihr viel bei euch hättet. Und seid scheinbar recht weit weg von Zuhause. Ihr könnt bei uns übernachten und euch den Bauch vollschlagen."

Wildfire wechselte mit Sven und Moonshadow schnelle Blicke. Ghost schien es einigermaßen ehrlich zu meinen. "Wir akzeptieren."

"Okay, dann steigt mal auf", meinte Ghost. Im Hintergrund der Garage hatten die Ganger ihre Motorräder abgestellt. Es wurde sehr laut, als die Maschinen in dem kahlen Raum gestartet wurden.

"Halt dich bloß gut fest, Schätzchen", meinte der Ganger, hinter dem Wildfire Platz nahm, mit einem anzüglichen Grinsen. Offenbar konnte er sie immer noch nicht richtig einschätzen. Wildfire setzte ihr süßestes Lächeln auf, lehnte sich an seinen Rücken und legte die Hände um ihn. Sven konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sah, wie sich ihre Muskeln anspannten und der Ganger plötzlich mühsam nach Luft schnappte.

"Okay, okay", keuchte er. "Hab's kapiert." Seine Kumpanen quittierten diese Abfuhr mit hämischem Gelächter und spöttischen Bemerkungen. Moonshadow entging elegant einer möglichen Anmache und glitt hinter einer muskulösen Orkfrau auf den Rücksitz ihrer Maschine. Sven setzte sich auf das Motorrad des kahlen Elfen. Dieser versteifte sich zwar, wagte aber nicht etwas einzuwenden.

Zwei Blocks weiter fuhren sie in die hohe Garage einer ehemaligen Feuerwache. Dort sahen die Gefährten, woher die T-Birds ihren Gangnamen hatten. Mitten in der Garage thronte ein Thunderbird, umgangssprachlich auch T-Bird genannt. Dieser Schwebepanzer war einer der ganz frühen Typen und auf den ersten Blick als nicht mehr funktionsfähig erkennbar. Sämtliche Schubdüsen waren verbogen und gerissen. Keiner der Scheinwerfer war noch heil. Die Mannschaftsluke war aufgebrochen, der Geschützlauf deutlich verzogen und an vielen Stellen zeigten sich unübersehbare Rostspuren.

Sven konnte einen kurzen Blick in das Innere des Panzers werfen. Dort sah es noch schlimmer aus. Sämtliche Armaturen waren herausgerissen worden und fast die gesamte Inneneinrichtungen fehlte. Nur noch eine leere Stahlhülle war von dem mächtigen Kampfkoloß geblieben.

Trotzdem konnte sich Sven nicht vorstellen, wie diese Straßenpunks an so ein Militärfahrzeug gekommen waren. Auch wenn es so alt und verrostet war, wie dieses Exemplar.

In der ehemaligen Feuerwache hielt sich weiteres Straßenvolk auf, welches die drei Neuankömmlinge teils neugierig, teils mißtrauisch beäugte. Aber nur die wenigsten trugen die braunen Kunstlederjacken, die sie als vollwertige Gangmitglieder kennzeichneten.

Die Ganger stellten ihre Motorräder entlang den Wände ab, wobei sämtliche Vorderräder Richtung Einfahrt zeigten, um keine Zeit bei einem plötzlichen Aufbruch zu verlieren. Ghost winkte Wildfire und den anderen ihm zu folgen und ging eine Treppe nach oben. Die meisten der anderen Ganger kamen ihnen hinterdrein, begierig Neuigkeiten zu erfahren. Und um vielleicht noch eine kleine Auseinandersetzung mitzubekommen.

Im Obergeschoß ließ sich Ghost in einen alten, aber immer noch bequem aussehenden Polstersessel fallen und machte eine einladende Handbewegung. Sven und Wildfire setzten sich auf eine verschlissene Couch. Moonshadow nahm in seinem weiteren Sessel Platz. Die Ganger pflanzten sich auf die restlichen Sitzplätze. Wer keinen mehr ergattern konnte, setzte sich einfach auf den Boden oder blieb stehen. Oder verdrängte einfach Rangniederere von ihrem Flecken.

"Nun", begann Ghost und blickte Wildfire auffordernd an. "Was ist los mit den Cops? Und was habt ihr mit der Sache zu tun?"

Wildfire erzählte in knappen Sätzen die Geschichte soweit sie diese eben kannte. Von den Schaukämpfen, die sie im Stadion austragen mußten, und von der Razzia von Lone Star Security. Dabei blieb sie aber immer bewußt vage und machte keinerlei näheren Angaben über sich und ihre beiden Gefährten. Ghost schien sich aber damit zufrieden zu geben.

"Ihr hängt also ziemlich in der Luft", folgerte der Amerindianer, nachdem er ein paar Minuten über das Gehörte nachgegrübelt hatte. "Leute, die was drauf haben, kann ich immer gebrauchen. Eine kleine Kostprobe von dem was ihr beide könnt, haben wir ja schon mitbekommen. Nicht wahr Boh?" Er grinste dabei in Richtung des dürren Orks, der gemeinsam mit Rin, etwas abseits stand. Sein Unterarm war provisorisch geschient, er hatte aber sichtlich immer noch Schmerzen. Er verzog mißmutige sein Gesicht, sagte jedoch nichts. Ghost wandte sich wieder Wildfire und Sven zu. "Was haltet ihr beide davon, bei den

T-Birds einzusteigen?" Das verursachte bei den anderen Gangmitgliedern Unruhe. Ein paar waren begeistert. Die meisten waren aber mißtrauisch. Aus der Gruppe rund um Boh und Rin waren sogar offene Feindseligkeiten zu hören.

"Aber natürlich nur nach

einem kleinen Sicherheitscheck", schränkte Ghost ein. "Um sicher zu gehen, daß eure kleine Geschichte wahr ist und ihr keine Spitzel seid."

"Wir denken darüber nach?" wich Wildfire einer direkten Antwort aus.

"Aber nicht zu lange", warnte Ghost. "Das Angebot gilt nicht ewig. - Und Du", meinte er mit einem geringschätzigen Blick auf die dunkle Elfe. "Du kannst ja anschaffen gehen."

Während sich Wildfire und Sven innerlich auf gewaltigen Ärger einstellten, löste Ghosts Bemerkung bei den Umstehenden allgemeine Heiterkeit aus. Besonders Boh grinste anzüglich von einem Ohr zum anderen und es war ihm anzusehen, wie er sich diverse Möglichkeiten ausmahlte.

Moonshadow hob über das Ganze nur mißbilligend eine Augenbraue und machte eine einfache Handbewegung.

Plötzlich verlor Bohs Hose ihren Halt und rutschte ihm bis auf die Knöchel hinunter. Sein ganzer männlicher Stolz baumelte für alle frei sichtbar in der Luft.

Einen kurzen Atemzug lang war es so still, daß man das Tropfen eines lecken Wasserhahns hören konnte, dann brach der Tumult los. Jemand schrie "Magier", Ganger hechteten in Deckung, Waffen wurden gezogen und entsichert. Wildfire und Sven fuhren kampfbereit in die Höhe und stellten sich Rücken an Rücken. Mehrere Lichtpunkte von Lasermarkierern tanzten auf dem Körper der dunkelhäutigen Elfe, die jedoch weiterhin ungerührt auf ihrem Platz saß. Eine gefährliche Anspannung lag in der Luft.

Nur Ghost grinste über das ganze Gesicht und amüsierte sich köstlich. "Dachte ich es mir doch", meinte er nickend. "Steckt die Waffen weg, Jungs. Ich glaube kaum, daß ihr damit etwas ausrichten werdet."

Unsicher tauschten die Ganger Blicke untereinander und es war ihnen offenbar ganz und gar nicht recht, doch Ghosts Wort hatte Gewicht. Langsam wurden die Waffen wieder verstaut. Wildfire und Sven entspannten sich und setzen sich.

"Ich mache dir das gleiche Angebot, wie deinen beiden Freunden, Magierin. Jemand der die Künste der Zauberei beherrscht, wäre sehr wertvoll für uns. Schutz und Sonderrechte wären dir gewiß."

"Ich werde ebenfalls darüber nachdenken", entgegnete Moonshadow. "Aber wenn, bekommst du uns nur im Dreierpack."

"Ist mir klar", nickte Ghost. "Aber genug gequatscht heute. Wir reden morgen weiter. Geht in die Küche. Dru hat sicherlich noch etwas für euch übrig. Ihr könnt euch dann hier im Obergeschoß aufs Ohr hauen. Geht aber nicht höher und versucht keine Dummheiten. Das Gastrecht wird von den T-Birds respektiert, aber sie erwarten das auch von ihren Gästen."

Somit war für Ghost die Sache fürs Erste einmal erledigt. Wildfire, Sven und Moonshadow machten sich auf den Weg, der ihnen gewiesen wurde. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, über welche Kampfkraft sie verfügten und daß Ghost ihnen für diese Nacht Gastrecht gewährt hatte. Somit gab es keinerlei Schwierigkeiten, obwohl sie aus manchen Richtungen mißtrauische, wenn nicht gar feindselige, Blicke ernteten.

In der ehemaligen Betriebsküche der Feuerwache, trafen sie auf eine recht ungewöhnliche junge Frau in einem sehr altmodisches weißes Rüschenkleid mit Spitzen. Ihre Haut war sehr hell, fast schon bleich im krassen Gegensatz zu dem langen glatten tiefschwarzen Haar.

"Ah, Neue", gurrte sie in einem entrückten Tonfall als die Gefährten durch die Tür traten und lächelte verträumt. Sven und Wildfire erstarrten, als zwischen den rot geschminkten Lippen spitze Eckzähne hervor blitzten. Seitdem die Magie wieder auf die Welt zurückgekehrt war, waren auch viele der alte Legenden wieder zu neuem Leben erwacht. Es war dabei oft sehr schwierig zwischen Phantastereien und Tatsachen zu unterscheiden. Nicht nur über Vampire kursierten die wildesten Gerüchte.

Die beiden entspannten sich aber wieder, als Moonshadow den Kopf schüttelte und eine beruhigende Geste machte. Die Magierin hielt Dru für harmlos.

"Ghost meinte, daß wir hier etwas zu essen bekommen", sagte Wildfire immer noch ein wenig mißtrauisch.

"Essen", säuselte Dru und drehte sich mit ausgebreiteten Armen langsam im Kreis. "Ja, ich mache das Essen. Gutes Essen." Sie tanzte gemächlich auf den alten Herd zu und hantierte mit den vielen Töpfen und Pfannen, die jedoch größtenteils leer waren. Mit vielen Bewegungen und noch mehr Gesumme füllte Dru drei Schalen mit so einer Art Eintopf und stellte sie auf einen der Tische. "Eßt nur, eßt. Laßt es euch schmecken", trällerte sie und widmete sich dann wieder hingebungsvoll ihren Töpfen.

Der Eintopf schmeckte weitaus besser als das, was sie in der Polizeistation vorgesetzt bekommen hatten, und wenn man nicht zu sehr auf diese merkwürdig grünliche Farbe achtete, war er sogar ganz gut. Erst jetzt kam Sven zu Bewußtsein, wie hungrig er war und löffelte genüßlich in sich hinein.

Ein paar Minuten später betrat auch Boh die Küche. Er warf den dreien einen giftigen Blick zu und setzte sich an einen anderen Tisch. Dru tänzelte durch den Raum und stellte ihm ebenfalls eine Schüssel hin, von der er mißmutig kostete.

"Was ist das für ein Kleister!" fauchte Boh wütend und wischte die Schüssel vom Tisch. Der Eintopf verteilte sich über Wand und Boden. In der letzten Stunde hatte er sich zweimal direkt vor den Augen seiner Kameraden bis auf die Knochen blamiert und sein rechter Arm schmerzte immer noch. Nun war er wütend und suchte sich etwas, woran er seinen Ärger abreagieren konnte. Dru schien ihm das perfekte Ziel. Und nebenbei konnte er vor den Neuen den großen Mann markieren.

"Willst du mich vergiften, Dru, oder bist du einfach nur unfähig? Paß doch auf, welche Pampe du in deiner Beschränktheit zusammen schüttest, du verrückte Schlampe."

Wie ein geprügelter Hund wandte sich Dru zur Seite, schlang ihre Arme schutzsuchend um sich und wimmerte verhalten. Sven machte Anstalten aufzustehen, doch Wildfire faßte ihn am Arm und zog ihn wieder auf den Sessel.

"Was ist hier los?" donnerte es in diesem Moment von der Tür her. Ein riesiger Troll stand dort. Er hätte fast der jüngere Bruder von Frank sein können. Die Größe und der Umfang seiner Gestalt stimmte fast überein. Nur strebten seine Hörner beiderseits des roten Irokesen spitz nach oben, was ihm ein diabolisches Aussehen verlieh. Aus den Schulterstücke seiner ärmellosen Kunstlederjacke ragten fingerlange spitze Metallspitzen und ein breiter, mit Nieten besetzter Gürtel war um seinen Bauch geschlungen.

Wie von der Tarantel gestochen fuhr Boh in die Höhe und wich mit einem panischen Gesichtsausdruck an die Wand zurück. "Spike! Ähm, Hallo", preßte er mit überschnappender Stimme hervor. "Ich wußte gar nicht, daß du schon wieder zurück bist."

"Sieht fast so aus", grollte der Troll und duckte sich unter dem Türrahmen hindurch. Spike streichelte über Drus Haar. "Was hat er dir getan, Drusilla?" fragte er mit überraschend sanfter Stimme.

"Er mag mein Essen nicht", schnupfte Dru weinerlich.

Mit einer spielerisch scheinenden Bewegung packte Spike Boh an dem Kragen seiner Jacke und hob ihn in die Höhe. Der Ork jammerte, als sein gebrochener Arm aus der Trageschlaufe glitt und in der Luft hin und her baumelte.

"Er hat es doch sicherlich nicht so gemeint. Nicht war, Boh?" säuselte Spike, doch seine Augen, die Boh finster anstarrten, sprachen eine ganz andere Sprache.

"Nein, nein, natürlich nicht", beeilte sich der dürre Ork zu versichern.

"Entschuldige dich bei Drusilla," knurrte Spike.

"Ich entschuldige mich! Ich entschuldige mich!" kreischte Boh. Der Schweiß, stand ihm auf der Stirn und seine Augen waren weit aufgerissen.

"Und jetzt verschwinde", keifte Spike und warf Boh beiläufig durch das offene Fenster nach draußen. Man hörte einen gellenden Schrei und seinen Aufschlag in irgendeinem Müllhaufen. Dann war Ruhe. Heute war eindeutig nicht Bohs Glückstag.

Zärtlich nahm Spike Dru in die Arme. "Er wird nie wieder über dein Essen schimpfen, Drusilla."

Drusilla, die in der Umarmung fast verschwand, lächelte glücklich und schmiegte sich an den Troll. Erst jetzt nahm Spike von den restlichen Anwesenden Notiz. "Ist was?" faucht er.

"Nein," erwiderte Wildfire gleichmütig und widmete sich wieder ihrer Schüssel.

"Ihr seid wohl die Typen, denen Ghost Gastrecht gewährt hat", stellte Spike fest.

Wildfire nickte.

"Ist mir auch recht. So lange ihr keinen Ärger macht oder auf Drusilla 'rum hackt. - Drusillas Essen schmeckt euch doch, oder?"

"Seit meinem letzten 5-Sterne Unterbringung habe ich nichts besseres gegessen", erklärte Sven. Und das war nicht einmal gelogen.

Spike, dem die leise Doppeldeutigkeit nicht entgangen war musterte Sven mißtrauisch, doch die Stimmung von Dru verbesserte sich schlagartig. Sie lächelte glücklich und tanzte wieder durch das Zimmer. Ihr Körper wiegte sich wie hohes Gras im Wind und sie folgte einer Melodie, die nur sie hören konnte. Spike beobachtete sie zärtlich, bis er bemerkte, daß Sven ihm dabei zusah. Er setzte wieder sein verbissenes Gesicht auf, schnaubte verächtlich und verließ die Küche.



***




Mehrere Zimmer im Obergeschoß der ehemaligen Feuerwache waren mit alten Matratzen und Decken ausgelegt worden und dienten als Schlafplätze für die rangniederen Gangmitglieder und angegliedertes Straßenvolk.

Schließlich fanden sie ein kleines Zimmer, das noch unbelegt war. Die Gefährten setzten sich in eine Ecke und Moonshadow wirkte wieder ihren Zauber der Gedankenverbindung, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Sie berieten sich kurz und beschlossen vorerst einmal hier zu bleiben, jedoch sollte während der Nacht immer einer von ihnen Wache halten. So weit vertrauten sie den T-Birds auch wieder nicht.



***




Wildfire war sofort hellwach, als Moonshadow sie leicht an der Schulter rüttelte.

"Ich denke, du solltest einmal auf das Dach gehen", flüsterte Moonshadow.

Wildfire runzelte verständnislos die Stirn. "Ghost hatte doch etwas dagegen, daß wir weiter nach oben gehen."

"Nimm die Feuerleiter", riet die Elfe und legte sich ohne einer weiteren Erklärung zurück.

Wildfire stand auf, reckte sich einmal ausgiebig und zupfte ihr Top zurecht. Es wurde langsam Zeit, daß sie sich andere Kleidung organisierten. So bequem dieses Kampfoutfit auch war, etwas zum Wechseln wäre nicht verkehrt.



Eine eigentümliche Ruhe herrschte in der Straße, als Wildfire die alte und rostige Feuerleiter nach oben stieg. Es war die kurze Zeit zwischen dem Ende der Nacht und dem Anbruch des Tages. Kein Mensch war zu sehen. Es schien, als ob die Welt inne hielt, um Luft für den nächsten Tag zu holen.

Auf dem Flachdach traf Wildfire auf Sven. Er saß auf der Begrenzungsmauer und ließ die Beine an der Außenseite nach unten baumeln. Sein Blick ging Richtung Osten, wo die allerersten Strahlen der Morgensonne hinter dem Horizont hervorblitzten. Wildfire näherte sich Sven und blieb einen Schritt hinter ihm stehen.

"Kannst du dir vorstellen, wie sehr ich diese Augenblicke vermißt habe?" fragte Sven nach einer Weile. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihm stand.

"Ich habe bisher dem Sonnenaufgang nicht besonders viel Bedeutung zugemessen", gab Wildfire zu.

"Ein neuer Tag beginnt", begann Sven zu philosophieren. "Eine neue Chance bietet sich an. Die Möglichkeit alles hinter sich zu lassen und ganz von vorne anzufangen. Einen vollkommen neuen Weg einzuschlagen."

"Hmm", machte Wildfire grüblerisch.

"Ich schätze, dieser Sonnenaufgang hat für uns beide eine ganz besondere Bedeutung."

"So habe ich das noch gar nicht gesehen", gestand Wildfire nachdenklich. Sie trat an Sven heran und legte die Arme behutsam um ihn. Er lehnte sich gegen sie, legte seinen Kopf an ihre Schulter und genoß ihre Umarmung. Sie drückte ihn und küßte zärtlich seinen Hals. Für eine kurze Zeit freuten sich an der Nähe des anderen und beobachtete wie sich die dunkelrote Sonne langsam über den Horizont schob.

"Früher habe ich diese Zeit für meine Kampf- und Konzentrationsübungen genutzt", murmelte Sven gedankenverloren. Wildfire begann zu grinsen. Dann packte sie ihn fester, hob ihn von der Mauer und stellte ihn neben sich. "Was hält dich auf?" fragte sie mit einem schelmischen Grinsen.

"Stimmt", pflichtete Sven ihr bei. "Was hält uns auf?"

Sven hatte Wildfire während ihrer Gefangenschaft mehrere Übungen und Bewegungsfolgen beigebracht und teilweise an ihren Kampfstil angepaßt. Seither hatten sie lange genug miteinander trainiert und gekämpft damit sie hervorragend aufeinander eingespielt waren. Und so verwunderte es nicht, daß sie sich bald in synchronen Bewegungen über das Dach bewegten. Mal langsam und weit ausholend, mal kurz, schnell und explosiv.

Die Morgensonne stand als feuerroter Ball knapp über dem Horizont, als sie schließlich zum Ende kamen. Für einen Moment blieben beide unbewegt stehen, um sich zu sammeln und ihren Herzschlag und Atmung zu beruhigen. Dann verbeugte sich Sven grüßend in Richtung der aufgehenden Sonne. Er lachte Wildfire entgegen. "Das hat wirklich gut getan." Wildfire nickte ihm ebenfalls lachend zu.



Dann merkten sie, daß sie nicht mehr alleine waren. Ghost stand mit verschränkten Armen neben der Dachtür und musterte sie beide mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck. Neben ihm lehnte Moonshadow an der Wand und studierte ihrerseits den Amerindianer.

"Ich muß mit euch reden", sagte Ghost schließlich übergangslos und trat auf Sven und Wildfire zu. Die Elfe gesellte sich zu ihren beiden Gefährten.

"Schieß los", forderte ihn Wildfire auf.

"Ich weiß, daß ihr nicht besonders heiß darauf seid, in meine Gang einzusteigen. Überlegt es euch aber trotzdem. Denn wenn ihr mir helft, werde ich auch euch helfen."

"Und wie würde deine Hilfe an uns aussehen?"

"Ich kenne ein paar Leute, die euch bei euren weiteren Plänen sicherlich nützlich sein könnten. Akzeptiert ihr und erfüllt die Aufgabe werdet ihr Teil der Gang. Dann steht ihr unter meinem Kommando und ich will eure Loyalität. Ich werde euch mit der Zeit den Leuten vorstellen, für die wir hin und wieder kleinere Aufgaben erledigen. Wenn ihr ihnen zusagt, geb' ich euch für weitere Aufgaben frei. Natürlich gegen Gewinnbeteiligung. Außerdem habt ihr jederzeit den Rückhalt der T-Birds. Es steht euch aber auch frei mein Angebot abzulehnen. Dann könnt ihr gehen wohin ihr wollt. Ihr habt dadurch keinerlei Nachteile.

Beredet es, denkt darüber nach und sagt mir Bescheid. Es ist ganz allein eure Entscheidung. Aber wenn ihr euch entschieden habt, bleibt es dabei. Dann gibt es kein zurück."

Ohne auf eine Anwort zu warten drehte sich Ghost um und verschwand durch die Tür nach unten.

"Hast du mit Ghost über uns gesprochen?" wollte Wildfire von Moonshadow wissen.

"Ich bin doch nicht blöd", antwortete die Elfe ein wenig ungehalten. "Ghost ist für einen Ganger überraschend intelligent und besitzt eine sehr gute Menschenkenntnis. Ich denke er weiß genau, was wir vorhaben."

"Und, gehen wir auf sein Angebot ein?" fragte Sven.

"Es hört sich nicht schlecht an. Er knüpft für uns die ersten Kontakte, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist. Und wenn wir es ein wenig geschickt anstellen, können wir auch später noch auf die Hilfe der T-Birds zurückgreifen."

Sie nickten einander zu. Damit war es beschlossen.

"Ihr beide sollte mal duschen", meine plötzlich die dunkle Elfe, rümpfte die Nase und verließ das Dach.

Sven und Wildfire rochen an sich. Ja, Moonshadow hatte nicht unrecht.

***




"Was wird von uns erwartet?" fragte Wildfire.

Ghost sah von dem Motorrad auf, an dem er gemeinsam mit einem anderen T-Bird arbeitete. "Ihr habt euch also entschieden", stellte er fest.

"Das haben wir", bestätigte Wildfire.

"Und auch richtig", fuhr Ghost fort und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. "Nun zu eurer kleinen Aufgabe. Ihr müßt für uns eine Information abholen. Es ist nicht weit, aber der Kontaktmann befindet sich auf dem Gebiet einer anderen Gang. Holt die Auskunft von ihm und kehrt wieder hierher zurück."

"Ist das alles", fragte Wildfire. "Hört sich nicht besonders schwer an."

"Ist es auch nicht", erwiderte Ghost mit einem hintergründigen Grinsen. "Ihr müßt allerdings auch noch mindestens vier Mal unsere Farben auf dem Gebiet der Avengers hinterlassen. Und wenn ich bitten darf, gut sichtbar." Damit überreichte er Wildfire eine kleine Sprühdose mit roter Farbe. Anschließend beschrieb er noch den Weg zu dem Informanten, der Smiley hieß und sie erwarten sollte. Unter den neugierigen Blicken der Anwesenden machten sich Wildfire, Sven und Moonshadow schließlich auf den Weg.

Sven wurde das Gefühl nicht los, daß wieder einmal auf und gegen sie Wetten abgeschlossen wurden.



Ihr Weg führte sie durch die Straßen von Puyallup und schließlich trafen sie auf einer Kreuzung auf das erste Anzeichen, daß sie das Gebiet der T-Birds verließen. Auf einer Hausmauer prangte ein orangenes A in einem grünen Kreis. Die Farben der Avengers. Nicht einmal einen Häuserblock weiter gab es auch schon das erste Aufeinandertreffen mit der gegnerischen Gang.

Drei Biker, gekleidet in orange und grün, näherten sich den dreien und begannen sie mit ihren Maschinen zu umkreisen.

"He Puppe, wie wär's denn mit uns beiden", johlte einer.

"Der Kleine hat aber auch einen strammen Arsch", fügte ein anderer hinzu. Der dritte grinste und leckte sich über die Lippen. "Glaubt ihr, daß das Blut einer Niggerin genauso schmeckt wie von einer weißen Nutte?"

Wildfire und Sven nahmen Moonshadow in die Mitte. Unter weiteren anzüglichen Angeboten und Schmähungen fuhren die Avengers immer näher an die drei heran. Als einer von ihnen eine Kette hervorzog und funkensprühend über die Straße schleifte, war der Zeitpunkt gekommen zu agieren.

"Siehst du irgendwo so etwas wie Rückendeckung für die Typen?" fragte Wildfire.

"Bis jetzt nicht", erwiderte Sven und auch Moonshadow verneinte.

"Okay, dann reicht es jetzt."

Wildfire schnellte vor und schlug dem gerade vorbeifahrenden Biker beide Fäuste mit aller Kraft gegen die Brust. Er wurde von seiner Maschine gerissen, die noch ein paar Meter herrenlos geradeaus weiter fuhr bis sie gegen eine Hausmauer krachte.

Gemeinsam mit Wildfire war Sven los und in die Höhe gesprungen und trat den zweiten Avenger aus dem Sitz.

Der dritte ließ seine Maschine aufheulen und hielt genau auf Wildfire zu. Sie schaffte es zwar auszuweichen, doch lief genau in den Schlagstock, den der Biker unvermutet hinter seinem Rücken hervorzog. Laut aufstöhnend ging Wildfire zu Boden während er davon brauste.

Sven schnappte sich den Schlagstock des Bikers, den er ausgeschaltet hatte und schleuderte ihn hinter dem Fliehenden nach. Aber er war bereits außer Reichweite. Sven fluchte.

Sicherlich würde er innerhalb kürzester Zeit mit dem Rest der Gang zurückkommen und sie hatten ein wirkliches Problem. Doch er hatte auf Moonshadow vergessen. Sie deutete einfach mit dem Finger auf den Fliehenden und sprach ein kurzes Wort der Magie. Da vordere Rad blockierte, die Maschine bockte wie wild und katapultierte den Biker förmlich aus dem Sitz. Reglos blieb er auf der Straße liegen.

Unangenehm ruhig war es nun in der Straße. Alle Anwohner hatten sich verkrochen. Sven suchte noch nach weiteren Avengers als Wildfire leise stöhnen hörte. Sie lag auf der Straße und versuchte vergeblich sich aufzusetzen. Sven eilte zu ihr und stütze sie besorgt.

"Verdammter Mist", schimpfte sie mit zusammengebissenen Zähnen. "Das gibt sicherlich einen häßlichen blauen Fleck." Und wirklich verdunkelte sich bereits eine größere Stelle auf ihrem Rücken. Sven bezweifelte allerdings, daß es wirklich nur ein blauer Fleck war, denn durch ihr Top sickerte Blut.

"Warte", sagte Moonshadow und kniete sich neben Wildfire. "Lieg einfach ganz ruhig."

Sie legte ihre Hand auf die Wunde, schloss die Augen und murmelte leise vor sich hin. Ein leichtes Glühen schien von ihrer Hand auszugehen und Wildfire stöhnte wieder leise. Dann entspannte sie sich.

Moonshadow atmete einmal tief, öffnet die Augen und grinste Sven und Wildfire breit an. "Es ist wirklich ein Vergnügen, wieder richtig zaubern zu können. Im Stadion war das wirklich eine Plage."

Wildfire setzte sich ein wenig zögerlich auf. "Wow", meinte sie. "Das war gut. Ich habe schon gedacht, mehrere Rippen wären gebrochen."

Die Elfe zuckte nur mit den Schultern und stand auf. "Irgendwie habe ich keine Lust mehr, zu Fuß zu gehen."

Das Motorrad, das gegen die Hauswand gekracht war, war nicht zu gebrauchen. Die Radgabel war vollkommen verbogen. Sven schnappte sich also die andere Maschine und Wildfire stellte das Motorrad auf, das sie zu Boden gestoßen hatte. Dessen Besitzer begann sich gerade wieder zu regen. "He, das ist meine Maschine!" kreischte er noch halb bewußtlos.

Wildfire stellte das Motorrad auf den Seitenständer und packte den Ganger am Kragen und zog ihn in die Höhe. "Paß bloß auf, du", fauchte sie ihn an. "Du und deinesgleichen sollten uns besser aus dem Weg gehen, wenn ihr nicht nochmal eine Abreibung einstecken wollt. Und das nächste Mal werden wir uns nicht zurückhalten."

"Okay, okay, ist gut", stieß er eingeschüchtert hervor. Wildfire lies ihn los und er sank zurück auf die Straße.

Wildfire wollte sich gerade auf das Motorrad steigen, als ihr etwas einfiel. Mit einem breiten Grinsen zog sie die rote Farbdose auf ihrer Hosentasche und sprühte dem Avenger ein großes rotes T auf den Körper. Der verzog zwar angewidert das Gesicht, wagte aber nicht, etwas einzuwenden.

"Damit ihr das auch ja nicht vergesst", meinte Wildfire und warf die Dose Sven zu. Der wiederholte die Prozedur bei den beiden anderen Ganger, die sicherheitshalber gar keine Anstalten machte irgendetwas anders zu tun, als einfach nur herumzuliegen.

Wildfire startete die Maschine während Moonshadow hinter ihr auf den Rücksitz glitt. Mit aufheulenden Motoren verließen die Gefährten den Ort der Auseinandersetzung.



Der Treffpunkt mit Smiley entpuppte sich als schäbige Kneipe. Sie stellten die Maschinen neben die andern, die vor dem Eingang geparkt waren und betraten das Lokal, das innen keinen besseren Eindruck machte als außen. Die Anwesenden beäugt sie zwar mißtrauisch, ließen sie aber in Ruhe. Sven gewöhnt sich langsam daran auf finstere Gesichter zu treffen und Wildfire schien sich noch nie daran gestört zu haben. Und für Moonshadow war es ganz normal.

"Was kann ich ihnen bringen?" frage die Barkeeper geschäftstüchtig, als sie sich an die speckige Theke stellten.

"Wir wollen zu Smiley", entgegnete Wildfire knapp.

"Smiley?" fragte der Barkeeper.

"Er erwartet uns", ergänzte Moonshadow und legte ein 10 Nuyen Geldnote auf die Bar. Der Barkeeper grinste breit und steckte das Geld ein. "Folgen sie mir."

Er führte sie nach hinten.

"Woher hast du das Geld?" raunte Sven.

"Von dem Avenger", erklärte Moonshadow ebenso leise.

In einem kleinen, sehr spärlich beleuchteten Hinterzimmer saß ein Elf in einem langen Mantel. Er dürfte früher einmal nähere Bekanntschaft mit einer Häckselmaschine gemacht haben, den jedes Stück Haut, das unter seiner Kleidung hervorragte, war mit unzähligen Narben von Schnittwunden überzogen. Diesen Narben verdankte er auch seinen Strassennamen, denn er machte den Eindruck, ständig breit zu grinsen.

Mit einer Handbewegung verscheuchte er das Freudenmädchen, das auf seiner Schoß saß, lehnte sich nach vor und musterte die Neuankömmlinge mit wachen Augen.

"Ghost schickt uns", begann Wildfire.

"Mhm", nickte Smiley.

"Er möchte die Information haben, die er angefordert hat."

Bedächtig griff Smiley in seine Jacke, legte dann die flache Hand auf den Tisch und schob sie in die Mitte. Als er sie wieder zurückzog, konnten sie ein kleines Chipetui erkennen, das üblicherweise für den Transport optischer Datenträger verwendet wurde.

"Sagen sie ihm, das ist alles, was ich finden konnte." Sven musste sich anstrengen, um die Worte verstehen zu können. Smiley sprach sehr leise und lispelte stark.

Wildfire nahm das Etui an sich und öffnete es. Wie zu erwarten, lag ein unbeschrifteter Chip darinnen. "War das alles?" fragte sie, während sie den Behälter einsteckte. Der Elf nickte.

"Sie sind in der Informationsbranche tätig?" fragte Moonshadow.

"Richtig", nickte Smiley nachdem er sie eingehend gemustert hatte.

"Was wissen sie über die Vorkommnisse im Sportstadion von Puyallup?"

Sven und Wildfire waren mehr als überrascht. Es war vollkommen untypisch für Moonshadow so mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber Smiley grinste nun wirklich. Und es war eine sehr beunruhigende Geste.

"Wieviel ist euch die Information wert?"

"Viel. Allerdings sind wir zur Zeit nicht gerade flüssig."

Smiley nickte. "Weil ihr Freunde von Ghost und neu in der Stadt seid, werde ich euch einen Sonderpreis machen. 500 Nuyen und erzähle ich euch das aktuellste Gerücht in dieser Sache."

Moonshadow zog den Kredstick aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. Nachdem Smiley ihn begutachtet und den aktuellen Kontostand abgerufen hatte lehnte er sich zurück.

"Es geht das Gerücht, daß ein führendes Mitglied der örtlichen Yakuza seine Hände im Spiel hat."

Überrascht wechselten Sven und Wildfire einen Blick. Der Verdacht, daß jemand Großes dahinter stand war zwar naheliegend gewesen, dies nun aber quasi bestätigt zu bekommen war doch ein ganz anderes Gefühl.

"Und jetzt noch einen kostenlosen Rat: Laßt die Finger davon. Das ist ein paar Nummern zu groß für euch."

"Wir werden ihren Rat nicht vergessen", entgegnete Moonshadow ungerührt.

"Er hat uns erkannt", teilte Moonshadow Wildfire und Sven beim Hinausgehen mit.

"Bist du dir sicher?" fragte Wildfire. "Woher?"

"Keine Ahnung. Aber ich vermute, er weiß mehr über diese Vorgänge im Sportstadion als er uns gesagt hat. Wir müssen unbedingt wiederkommen, wenn wir ihm mehr bezahlen können."

Während sie die Motorräder startete fiel Sven ein Ganger auf, der sie aus einiger Entfernung aufmerksam beobachtete. Er konnte seine Farben nicht erkennen, da er sofort losfuhr, als er bemerkte, daß Sven auf ihm aufmerksam geworden war, aber Sven war sich sicher, ihn auf ihrem Herweg auch schon einmal gesehen zu haben.

Sie hatte noch keine 100 Meter zurückgelegt, als lautes Motorengeräusch hinter ihnen ertönte. Eine ganze Horde von Avengers war hinter ihnen her.

Wildfire und Sven drehten auf und trieben ihre Maschinen durch die Straßen so schnell sie konnten, doch die Avengers beherrschten ihre Motorräder besser. Außerdem kannten sie ihr Gebiet und nutzten jeden kleinen Geländevorteil. Immer mehr holten sie auf.

Plötzlich richtete sich Moonshadow auf und drehte sich zu ihren Verfolgern. Nur mit einer Hand hielt sie sich noch an Wildfire fest während sie mit der anderen Hand eine horizontale Bewegung vollführte.

Die beiden vordersten Motorräder gerieten ins Schleudern und kamen zu Sturz. Drei Nachfolgende konnten nicht mehr rechtzeitig ausweichen und krachten in sie hinein. Aber mehr als einen kurze Pause hatte es ihnen nicht gebracht. Jetzt begannen einige der Verfolger sogar zu schießen.

Sven und Wildfire duckten sich tief über die Lenker und Moonshadow drückte sich eng an ihre Fahrerin. Gefährlich schlitternd jagten sie um die letzte Kurve. Jetzt war es nur mehr eine lange Gerade, dann waren sie wieder auf T-Bird Gebiet. Würden die Avengers ihnen auch dorthin folgen?

Sicher nicht, denn an der Grenze wartete bereits ein Großaufgebot der T-Bird auf sie. Sven konnte hinter sich das wütende Rufen der Verfolger hören, dann raste er und Wildfire durch die Lücke in den Reihen der T-Birds.



Enttäuscht und ein wenig unentschlossen zogen die Avengers Kreise auf der Straße, wagten sich aber nicht näher.

Wildfire und Sven lenkten ihre Motorräder zu Ghost, der mit verschränken Armen auf sie wartete. Der Typ, den Sven vor der Kneipe gesehen hatte flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

Wildfire übergab ihm das Etui mit dem Chip. Ghost steckte es ohne weiterer Beachtung in die Jackentasche.

"Ihr habt versagt", teilte er ihnen mit.

"Was? Aber hier ist doch der Chip."

"Und was ist mit unserem Zeichen? Vier Mal solltet ihr es hinterlassen."

Wildfire und Sven sahen sich betreten an. Nur drei der Avengers waren verziert worden. Moonshadow beugte sich zu Sven, fischte die Farbdose aus seiner Tasche und sprühte sich ein rotes T auf die Handfläche.

"Ist der Anführer der Avengers bei dem Haufen da hinten?" fragte sie.

"Sicher", erwiderte Ghost, "Der große Ork auf dem Trike. Warum?"

"Na, dann paß mal auf."

Moonshadow stellte sich auf die Fußraster, und spähte zu den Ganger, die immer noch unentschlossen herumlungerten, dann holte sie aus und machte eine Bewegung, als ob sie etwas werfen würde. Und tatsächlich wurde der Anführer der Avengers aus seinem Sattel gerissen. Grunzend kam er wieder in die Höhe. Auf seiner breiten Stirn prangte ein rotes T. Wütende stieß er Flüche und Beleidigungen gegen die T-Birds im Allgemeinen und die drei Gefährten im Besonderen aus. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er sie am liebsten in der Luft zerrissen hätte, doch die Präsenz der T-Birds war zu stark, darum zog er mitsamt seinen Leuten ab.

"Vier Mal, nicht war?" fragte Moonshadow Ghost, der verhalten lachte.

"Vier Mal", bestätigte er. "Big Al habt ihr euch jetzt aber zum Todfeind gemacht. Diese Schmach wird er euch nie verzeihen."



Am späten Abend wurden Wildfire, Sven und Moonshadow in die große Garage geführt, wo sich alle T-Birds versammelt hatten. Mache von ihnen trugen Fackeln, die den Raum mit einen eigentümlich flackernden Licht erfüllten. Ghost stand hoch aufgerichtet und mit bloßem Oberkörper auf dem Geschützturm des Thunderbird. Im Gesicht trug er schwarze und rote Kriegsbemalung. Er wirkte fast wie einer dieser Ahnengeister in den Legenden der Amerindianer.

"T-Birds", begann er. Seine Stimme hallte voll und mächtig durch die Halle. 2Wieder ist es an der Zeit neue Mitglieder in unserem Stamm willkommen zu heißen."

Ghost machte eine auffordernde Handbewegung zu Wildfire. Sie stieg auf den Panzer und bliebe vor Ghost stehen, der sie eindringlich musterte.

"Frau, die zu uns gekommen bist und dich als würdig erwiesen hast, wie willst du von den T-Birds genannt werden?"

"Wildfire", erwiderte sie mit fester Stimme.

"Wildfire", wiederholte Ghost und nickte. "Der Mensch, der du vorher warst, existiert nicht mehr. Sein Leben ist ausgelöscht. Niemand wird sich an ihn erinnern."

Er griff in einen Tiegel und zeichnete mit Zeige- und Mittelfinger einen roten und einen schwarzen Streifen auf ihre Wangen, anschließend ein rotes T auf ihre Stirn. Dann nahm er sie an den Schultern und drehte sie zu den anderen herum. Sven verschlug es den Atem. Durch das eigentümliche Licht der Fackeln und die Kriegsbemalung trat Wildfires indianisches Erbe deutlich hervor.

Ghost hängte ihr eine braune Kunstlederjacke über die Schultern.

"T-Birds! Dies ist Wildfire. Schwester aller T-Birds. Für immer T-Bird. Heißt sei willkommen!"

Ein lautes Brüllen erhob sich von den anderen Ganger. Nachdem es wieder verebbt war, schickte Ghost Wildfire nach unten und das gleiche Ritual wiederholte sich mit Sven. Schließlich wurde auch Moonshadow in den Kreis der T-Birds aufgenommen, obwohl sich die Begeisterung in Grenzen hielt. Viele vertrauten der Magie einfach nicht.

Das Aufnahmeritual endete und die T-Birds fanden, daß es wieder ein guter Zeitpunkt für eine Feier war. Schnell floß der Syntohol in Strömen

Während die anderen T-Birds ausgelassen feierten, lehnte sich Wildfire an Sven.

"Ich schätze, Ghost weiß gar nicht, wir recht er mit seinen Worten über unser früheres Leben gehabt hat."





Will jemand wissen, wie die Abenteuer von Sven und Wildfire und in der Welt von Shadowrun weiter gehen? Bei Interesse wird vielleicht fortgesetzt.

Für Anregungen, ehrliche Meinungen und konstruktive Kritik bin ich jederzeit aufgeschlossen.



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