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ALIEN-KILLER


von Susanne Stahr



"Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass man dir nach dem Leben trachtet?" Claudes schlanke Finger wickelten einen Grashalm um seine nackten Zehen während er gespannt auf eine Antwort wartete.

"Unmöglich!", antwortete Lucky kurz.

"Aber, es könnte doch ..." wollte Claude einwenden.

"Ich bin Lucky!", unterbrach ihn der schlaksige Junge mit dem langen, sandblonden Haarschopf. "Mir kann nichts passieren."

"Bist du sicher?" Der ebenso schlaksige, aber etwas kleinere Junge wiegte den schwarzhaarigen Kopf. "Du bist ihnen auf der Spur. Sie werden irgendetwas inszenieren, das dich tötet und es wird wie ein Unfall aussehen."

"Du spinnst, Alter", lachte Lucky und sprang auf die Füße. "Schwimmen wir noch eine Runde?"

Kreischend rannten die beiden Jugendlichen durch die Lücke im Schilf auf das Wasser des kleinen Teiches zu und warfen sich hinein. Nur Claude bemerkte das Brummen der Hornisse, die hinter Lucky her flog. Als die Freunde untertauchten, zog die Hornisse steil nach oben, beschrieb einen Bogen und verschwand zwischen den Pappeln, die die schmale Straße neben dem Teich säumten. Sie landete auf einem Ast und gab sekundenlang ein rhythmisches Piepsen von sich. Dann stieg eine kleine Stichflamme aus dem Insekt auf und es war nicht mehr.

"Da war eine Hornisse hinter dir, die wollte dich stechen", sagte Claude als sie prustend wieder aufgetaucht waren.

"Ich war schneller", stellte Lucky nüchtern fest.

"Das war eine Alien-Hornisse mit einem Mini-Blaster", fuhr Claude fort. "Sie flog zu zielstrebig.

"Hm, vielleicht", grinste Lucky und tauchte unter.

Wassertretend wartete Claude auf den Freund. Gerade als er begann sich Sorgen zu machen, tauchte ein nasser Kopf vor ihm auf. Eine Hand hielt einen bizarren Gegenstand. "Da hab ich was für die X-Akten!", schnaufte er triumphierend und strebte mit kräftigen Stößen dem Ufer zu.

"Glaubst du wirklich, dass das FBI das kriegt?", stichelte der Schwarzhaarige.

Lucky antwortete nicht. Seine großen Füße patschten bereits durch das seichte Uferwasser. Bei ihren Sachen angelangt, begann er sofort, seinen Fund mit dem Handtuch seines Freundes abzuwischen.

"Heh! Das ist meins!", protestierte dieser sofort.

"Sieh doch mal!", ignorierte Lucky den Einwand. "Das stammt nicht von der Erde."

Stirnrunzelnd besah sich Claude das Ding. In einem Sechseck aus dünnen, rötlichen Metallstangen schwebten drei schillernde Kugeln von Kirschgröße. Die Stangen hatten an einigen Stellen kleine Beulen, doch es war nicht ersichtlich, wodurch die Kugeln an ihrem Platz gehalten wurden. Sie ließen sich auch nicht bewegen. Das ganze Gebilde war etwas größer als Luckys Handfläche.

"Was soll das sein?" Die Frage war rein rhetorisch, denn auch Lucky konnte sich den Verwendungszweck des Gebildes nicht vorstellen.

"Gib mal her." Claude nahm das Ding aus Luckys Hand und drehte es hin und her. "Das ist ein Teil von etwas. Da! Du hast es abgebrochen."

Tatsächlich zeigte das ansonsten glatte Metall an einer Stelle eine raue Bruchstelle.

"Bringen wir's dem Sheriff." Lucky fuhr eilig in seine Jeans. Fluchend zerrte er die Socken über die feuchten Füße, schlüpfte in Schuhe und T-Shirt. 'Alien-Killer' stand auf seiner Brust in zackigen Lettern. Darunter spießte ein Mann im Raumanzug ein haarloses, großäugiges, grauhäutiges Wesen mit einem gebogenen Schwert auf.

Auf Claudes Shirt war zu lesen: 'Strike First!' und ein Muskelmann mit überdimensionalen Fäusten zerquetschte eben ein vierarmiges Geschöpf mit Vampirzähnen.

Lucky hob sein Fahrrad auf und legte das Sechseck in den kleinen Korb an der Lenkstange. "Tod den Aliens!", brüllte er und trat in die Pedale.

Natürlich war Claude als Erster an der Brücke über den Bach, der den Teich speiste. Johlend hetzte er darüber, dicht gefolgt von Lucky. Dass knapp hinter ihnen die Brücke lautlos zu Staub zerfiel bemerkte keiner der Beiden.



Einige Kilometer entfernt, in der aufgelassenen Silbermine, sahen einander zwei kleine, grauhäutige, großäugige, haarlose Wesen betreten an.

"Er hat Sonde Acht zerstört", sagte eines in einer Sprache, die nirgends auf der Erde gesprochen wurde. Jetzt haben wir nur noch drei."

"Und er war schneller als das Killerinsekt. Auch auf der Brücke haben wir ihn nicht erwischt. Wenn das so weitergeht, wird der Chef das Projekt wegen Unrentabilität abblasen", entgegnete das andere Wesen. Ein tiefer Seufzer entfloh der kleinen Brust.

"Wir müssen ihn irgendwie umbringen!", fauchte das erste Alien. "Wie soll ich sonst jemals die Hypothek für mein Haus abzahlen, wenn ich arbeitslos werde!?"

"Die reden immer nur von dem guten Einkommen im Außendienst", nörgelte nun sein Gefährte. "Von der Bösartigkeit mancher Eingeborener sagen sie nichts."



"Sheriff, sehen Sie sich das an!", platzte Lucky in ein Gespräch, das der Gesetzeshüter der kleinen Stadt eben mit der Bürgermeisterin führte.

"Angus McLean und Claude Potter!", rügte der Sheriff. "Ich bin beschäftigt. Seht ihr das nicht?"

"Aber, Sheriff! Die nationale Sicherheit ist ernsthaft bedroht!", fuhr Lucky unbeirrt fort und hielt dem Mann das seltsame Gebilde hin.

"Was ist das?" Eine schmale Hand mit langen, rot lackierten Nägeln ergriff das Ding.

"Das hab ich im Teich gefunden. Sie müssen es dem FBI schicken. Für ..."

"Ja, ja, für die X-Akten", unterbrach ihn der Sheriff. "Steck deine Nase lieber in Schulbücher als in den Schund, den du immer liest. Es gibt keine X-Akten. Das ist nur eine Fernsehserie."

Ärgerlich nahm er das Sechseck, das die Bürgermeisterin auf den Tisch gelegt hatte und warf es in eine Lade. Dann wedelte er energisch mit der Hand. "Raus jetzt!"

Notgedrungen verließen die Freunde das Office.

"Ignorant", ärgerte sich Lucky. "wie viele Beweise soll ich ihm noch bringen? Das war jetzt der siebente!"

"Was werden Sie dem ... äh Gerät tun?", fragte die Bürgermeisterin den Sheriff.

"Den Agenten geben. Sie sollten in den nächsten Tagen eintreffen", antwortete dieser achselzuckend.



"Jetzt eine Cola!", rief Claude fröhlich. "Das spült den Frust weg. Schau, der Kasten ist endlich nachgefüllt worden."

Tatsächlich entfernte sich gerade ein kleiner Mann von dem Getränkeautomat und stieg in einen Wagen mit dem Logo der Getränkefirma. Der Apparat war an der Wand der Tankstelle befestigt, die an der Ausfallstraße der Stadt lag und Luckys Vater gehörte.

"Ich zuerst!" Lucky drängte den Freund ab und warf eine Münze in den Schlitz. Ein Druck und eine Dose rutschte in das Ausgabefach. Lucky fing sie geschickt vor dem Aufschlagen auf. "Wetten, dass kein Spritzer daneben geht?" Vorsichtig zog er an dem Ring. Es zischte nicht einmal. "Siehst du, ich hab gewonnen." Grinsend nahm er einen langen Zug.

"Wir haben gar nicht gewettet", protestierte Claude und schickte sich an, ebenfalls eine Münze zu opfern. Doch dann überlegte er es sich.

Lucky verzog angeekelt das Gesicht und starrte die Dose böse an. "Das schmeckt scheußlich, gar nicht wie Cola."

"Dann spuck's aus. Vielleicht haben es die Aliens vergiftet", riet Claude.

"Geht nicht. Hab's schon geschluckt."

"Ist dir schlecht?" Besorgt sah Claude seinen Freund an.

"Nein, aber das Zeug ist zum Schmeißen." In hohem Bogen flog die Dose auf das abgeerntete Feld hinter der Tankstelle. Als sie aufschlug, blitzte und krachte es ganz fürchterlich. Erdbrocken regneten auf die Straße und das Dach der Tankstelle.

Sekundenlang starrten die Jugendlichen auf den drei Meter tiefen Krater in dem Feld. Dann sagte Claude trocken: "Ich an deiner Stelle würde jetzt nicht hüpfen."

Luckys Gesicht verlor ein wenig Farbe. "Ich bin Lucky!", sagte er trotzig und hob den Fuß um aufzustampfen. Doch dann setzte er ihn doch sacht auf.



"Jetzt ist Sonde Zwei auch ausgefallen!", heulte einer der grauen Fremden.

"Hat sie noch etwas Interessantes gesendet?", stoppte ihn der andere.

"Ja, das ist .... das ist ..." Die Stimme versagte ihm.

"Er hat den Sprengstoff getrunken? Gibt es Erfahrungswerte, wie das Zeug auf den Organismus dieser Eingeborenen wirkt?"

Die großen Augen leuchteten auf. Seine Finger huschten über die Tastatur eines Computers. Dann erlosch das Leuchten und wich tiefer Niedergeschlagenheit. "In Verbindung mit Magensäure verliert es die Sprengkraft und verbessert die Wahrnehmung, stärkt die Muskulatur, erhöht die Reaktionsfähigkeit .... Das Zeug mach einen Superman aus ihm!"

"Mit Vereisungsblick?", fragte sein Kollege entsetzt.

"Äh!" Nach einem Kontrollblick schüttelte der Graue den Kopf.

"Da bin ich aber froh! Ich hab noch immer Frostbeulen von unserem Einsatz am Pluto."



Am nächsten Tag hielt ein dunkelblauer Wagen an der Tankstelle. Darin saß ein hagerer Mann mit einer dicken Unterlippe, die er in festgefrorener Misslaune vorgeschoben hatte. Neben ihm saß eine rothaarige Frau, die sich krampfhaft bemühte, kompetent auszusehen.

"Wir suchen Angus McLean", sagte der Mann zu Luckys Vater und klappte einen FBI-Ausweis auf.

"Lucky ist krank. Was wollen Sie von ihm?", gab Luckys Vater kurz angebunden zurück.

"Wir wollen mit Angus McLean sprechen", wiederholte der Agent.

"Ich sagte doch, dass mein Sohn krank ist." McLean wurde jetzt ärgerlich. "Benzin oder Diesel?"

"Ein UFO", murmelte der FBI-Mann und starrte in den Himmel.

"Ich hab nur Benzin oder Diesel für den Wagen. Sonst gibt's nur Cola und Erdnüsse und Popcorn .... McLean zählte alles auf, was er sonst noch verkaufte.

"Ein UFO," wiederholte der Hagere.

"Das ist nur ein Wetterballon", erklärte die Rothaarige kalt. "Es gibt keine wissenschaftliche ...."

"Haben Sie Sonnenblumenkerne?", raunzte der Agent.

Bedauernd schüttelte der Tankwart den Kopf.

"Wenn Sie keine Sonnenblumenkerne habe, geh ich wieder heim", blubberte der FBI-Mann beleidigt und wollte schon Gas geben.

Da hielt ihn seine Partnerin zurück. "Welche Krankheit hat denn Ihr Sohn?"

"Hm, er kann plötzlich im Kopf Kubikwurzeln ausrechnen, schießt mit seiner Pumpgun schneller als Wyatt Earp und stemmt einen Laster mit einer Hand."

"Kann ich ihn mir ansehen? Ich bin Ärztin", bat sie interessiert.

"Der ist doch noch nicht tot", wandte der Hagere ein. "Vivisektion ist doch verboten."

"Sie haben recht, reden wir zuerst mit dem Sheriff", gab sie zögernd nach.

Kopfschüttelnd sah der Tankwart dem Wagen nach.

Der Sheriff war in seinem Büro.

Hier gibt es einen Jungen, der Außerirdische beobachtet haben soll", begann der FBI-Mann.

"Ach, Lucky! Er hat mir schon wieder etwas gebracht." Der Sheriff nahm das Sechseck aus der Lade und reichte es dem Agenten.

"Endlich ein Beweis!", frohlockte dieser.

"Aber ich habe Ihnen doch schon sechsmal irgend solches Zeug geschickt", entgegnete der Gesetzeshüter.

"Das war unbrauchbar, von der Post platt gewalzt. Wir fanden nur noch graue Krümel aus einem undefinierbaren Material. Aber das!" Ein fanatischer Ausdruck verzerrte sein Gesicht.

"Das ist eine dieser neuen Haarspangen", holte ihn seine Partnerin wieder auf die Erde zurück. Flugs hatte sie ihm das Gebilde aus der Hand genommen und ihre Haare zwischen den Kugeln durch gefädelt. "Sehen Sie? Kann ich das behalten. Ich finde, es passt gut zu meiner Haarfarbe."

Nun zeichnete tiefe Melancholie die Züge ihres Partners. "Wieder kein Beweis. Ich komme immer zu spät."



Das UFO hatte zu diesem Zeitpunkt schon das Sonnensystem verlassen.

"Ist es nicht beschämend, mit eingezogenem Schwanz zu verschwinden?", fragte einer der Grauen den anderen.

"Nein, das ist ein taktischer Rückzug. Wenn der Hagere und die Rothaarige auftauchen, wird es brenzlig. Außerdem habe ich meinen Schwanz schon vor Jahren amputieren lassen. Würde ich dir auch empfehlen, er stört doch nur."

"Aber wir kommen doch wieder?"

"Natürlich. Der Junge muss neutralisiert werden. Es gibt da einen Kristall .... Kryp .... Kryp ...." Es wollte ihm einfach nicht einfallen, wie das Zeug hieß.


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