STORIES


FIEBER

Folge 1

von Susanne Stahr



"Oh, Loretta! Ich bin ja so glücklich!" Helen Kowalski drückte ihre Tochter an ihren beträchtlichen Busen. "Alle dachten, du schaffst es nicht. Nur ich habe an dich geglaubt. Nur noch zwei Jahre, dann gehst du auf die Universität ..."

"Ja, Mama, ich freu' mich auch", keuchte das blonde Mädchen und befreite sich aus der Umarmung.

"Papa kommt heute auch", sprudelte ihre Mutter weiter. "Er hat auch eine Überraschung für dich."

"Oh, wie schön!", zwang sich Loretta zu rufen. Noch nagte ein schlechtes Gewissen an ihr. Eigentlich hätte sie bei allen Prüfungen durchfallen müssen. Die Schule ödete sie an. Am liebsten würde sie nach Cedar Rapids gehen und dort im Großstadtdschungel untertauchen. Sie würde gut zurecht kommen, obwohl sie gerade mal 16 Jahre alt war.

Mit einem verkrampften Lächeln folge sie Helen in die Küche. Der Tisch war bereits gedeckt, mit dem Sonntagsgeschirr. Mutter hatte sogar den silbernen Kerzenhalter hervor geholt und eine altrosa Kerze angezündet. Loretta fand beides scheußlich. Doch sie widerstand dem Drang, das hässliche Ding einfach verschwinden zu lassen.

"Setz dich, mein Kind. Das Essen ist schon fertig." Geschäftig lief die füllige Frau in der Küche auf und ab.

Loretta ließ ihren knochigen Körper auf einen Stuhl sinken und beobachtete sie still. Werde ich auch mal so fett, überlegte sie sorgenvoll? Ein entsetzlicher Gedanke."Wo ist denn Gideon?", fragte sie um irgend etwas zu sagen. Sie hatte ihren kleinen Bruder längst in seinem Zimmer geortet. Er spielte verbissen Demonmaster, ein blutrünstiges Computerspiel.

"Gideon!", brüllte Helen. "Das Essen wird kalt!"

Zwei Räume weiter grunzte ein schlaksiger 15jähriger etwas Unverständliches. Nur die Mission beenden. Jetzt kam das grüne Monster. Unter Gideons Salve zerplatzte es. Ein Sprung über den Abgrund. Dann die Tür. Ein gezielter Schuss zerschmettere das Schloss. Ein Hechtsprung und er war draußen. Mission geschafft. Klick. Plötzlich tanzten blaue Zwerge fröhlich singend über den Bildschirm. Das Bild des Labyrinths zerfloss zu einer grellbunten Landschaft mit überdimensionalen Schmetterlingen. Dann stürzte der Computer ab. In hilfloser Wut ballte Gideon die Fäuste. "Loretta!", knirschte er. Warum musste sie immer so gemein sein?! Loretta, das Monster .....

"Gi-de-oooon! Komm jetzt endlich!", ertönte wieder die Stimme seiner Mutter.

Seufzend schraubte er sich in die Höhe und ging in die Küche. Seine Schwester würde ihn boshaft anfeixen und er konnte nichts dagegen tun.

"Schau, Gideon! Deine Schwester hat ein wunderbares Zeugnis", säuselte Helen und hielt ihm den hellgelben Bogen unter die Nase. Es gab nur ein Befriedigend, sonst lauter Gut und Sehr Gut. "Warum sehen deine Zeugnisse nicht so aus?"

Weil ich für meine Noten lernen muss, dachte Gideon und zwang sich zu einem Lächeln. "Wie fleißig du warst, Schwesterherz", sagte er und sah ihr in die Augen.

Ein Wort und du kannst was erleben, schnitt ihre Gedankenstimme schmerzhaft durch sein Gehirn.

Gideon unterdrückte ein Stöhnen. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich auf seinen Platz.

"Hast du dir die Hände gewaschen, Gideon?", kam die unvermeidliche Frage.

"Hm, ich möchte die Suppe heute mit Computerviren würzen."

"Oh, das haben wir nicht zu Hause. Schreib's mir auf für den nächsten Einkauf. Du kannst ja Knoblauchsalz nehmen." Helen teilte bereits die Suppe aus. Rindsuppe mit eklig dicken Fettaugen als es an der Tür klingelte. "Das wird Papa sein!", quietschte Helen fröhlich. und lief zur Tür. "Ich komme!", trällerte sie.

Loretta ließ das Fett von ihrer Suppe durch ein Fingerschnipsen verschwinden. Gideon seufzte neidisch. Da schnipste sie noch einmal und in Gideons Suppe halbierten sich die Fettaugen. Sollte er sich darüber freuen? Was würde sie dafür verlangen?

"Nichts, Brüderchen", flüsterte sie. "Das ist nur eine kleine Entschädigung für die Schlümpfe."

Dann kam Helen schon mit ihrem Ex-Mann zurück. Volusian Kowalski hatte seine bullige Gestalt in einen blaugrauen Anzug gezwängt und seine blonde Mähne mit einer silbernen Spange im Nacken zusammen gefasst. Manche Leute hielten ihn für fett. Doch Loretta wusste, dass eiserne Muskeln seine schweren Knochen bedeckten. Sie und auch Gideon hatten diesen Knochenbau von ihm geerbt wie auch die Haarfarbe und den scharfen Gesichtsschnitt. Früher hatte sie ihn dafür gehasst. Doch wenn sie ihre Mutter ansah, war das immer noch das kleinere Übel.

"Hallo, Kinder!", rief er lächelnd und wandte sich dann Loretta zu. "Wie geht es dir? Hattest du wieder einen Fieberanfall?"

Das Mädchen biss sich auf die Lippen. "Nur einmal, im Winter." Die Augen ihres Vaters hielten ihren Blick fest. "Vielleicht ...äh, eine Erkältung?", stotterte sie. Sie fühlte sich wie in einem Schraubstock. Fast hätte sie die Wahrheit gestanden, da ließ der Druck plötzlich nach und ihr Vater lachte.

"Das freut mich. Hat Doc Swenson schon raus gekriegt, was es sein könnte?" Er fragte das immer, wenn er sie sah. Was sollte sie darauf sagen?

"Nein, das wird wohl ewig ein Geheimnis sein", kam ihr ihre Mutter unbewusst zu Hilfe.

Loretta atmete auf. Wenigstens zu etwas war dieser wabbelnde Fettberg gut. Wenn ihre Eltern wüssten, was sie diesen Fieberanfällen verdankte! Sie kamen

in unregelmäßigen Abständen, manchmal zweimal im Jahr, dann wieder drei Jahre lang nicht.

An den ersten konnte sie sich noch genau erinnern. Sie war gerade fünf Jahre alt. Als das Fieber abgeklungen war, stellte sie fest, dass ihre Puppe laufen konnte, wenn sie es wollte. Nach dem zweiten Fieber konnte sie durch Wände sehen. Und so ging es weiter.

Fast jeder Fieberanfall brachte ihr eine neue, phantastische Fähigkeit. Nie hatte sie ihr Geheimnis mit jemandem geteilt, zuerst aus Angst, dann aus Klugheit und Berechnung. Das Leben wurde für sie viel leichter. Und so sollte es auch bleiben.

Nun setzte sich Volusian an den Tisch und Helen goss auch in seinen Teller einen Schöpflöffel voller Suppe. Als Letztes nahm sie sich selbst und setzte sich.

"Guten Appetit!" Und schon löffelte sie los.

Papas Suppe hat kaum Fettaugen, dachte Loretta. Sie hat wohl alle an uns verteilt.



"Nein, so ein gutes Zeugnis!", rief Volusian aus und strahlte seine Tochter an.

Ihre vorbereitete Antwort blieb ihr im Hals stecken. Es war etwas am Tonfall ihres Vaters, das sie heftig verunsicherte. Konnte es sein, dass er etwas ahnte? Nein, auch als ihr Vater noch mit Mama verheiratet war, musste er oft monatelang geschäftlich verreisen. Vor elf Jahren hatte er die Familie endgültig verlassen und Mama war immer dicker geworden. Zwei Jahre hatte er sich gar nicht blicken lassen und dann nur sporadisch. Er konnte nichts wissen. Sie zwang sich zu einem bescheidenen Lächeln und senkte den Blick.

"Das muss belohnt werden", fuhr Volusian fort. "Wir werden einen schönen Urlaub machen. Sechs Wochen, nur du und ich." Begütigend legte er eine Hand auf Gideons Arm. "Sei nicht traurig, du kommst auch dran, ein andermal, versprochen."

Der Junge frohlockte innerlich. Sechs Wochen ohne das Monster! Da konnte er endlich Demonmaster knacken. Er stieß ein unechtes Seufzen aus. "Loretta hast du ja immer schon bevorzugt", brummte er.

"Sowas darfst du nicht sagen, Gideon!", fuhr Helen sofort auf.

"Er meint es doch gar nicht so", verteidigte Volusian seinen Sohn.

"Herrlich!", rief Loretta dazwischen. "Das habe ich mir immer schon gewünscht! Wo fahren wir hin? Cedar Rapids oder gar Des Moines?" Sie freute sich wirklich. Eine große Stadt wäre das ultimative Übungsfeld für sie.

"Nein, mein Herz! Viel besser!", widersprach ihr Vater. "Wir werden am Wapsipinicon bei Anamosa campen. Sechs Wochen nur Natur. Da kannst du dich so richtig ausruhen von dem vielen Lernen."

"Na großartig!", hörte sie sich ausrufen. Ganz gegen ihren Willen klang es begeistert. In Wirklichkeit hätte sie am liebsten los geheult.



Schon die Autofahrt war ein Albtraum für Loretta. Volusian hatte jetzt den Anzug gegen enge, lederne Hosen und ein schwarzes T-Shirt getauscht. Stumm saß sie neben ihm und starrte auf die Straße. Links und rechts dehnten sich endlose Weizenfelder. Von Springville, ihrem Heimatort, waren es 15 Meilen nach Anamosa. Cedar Rapids wäre näher gewesen. Wenn ihr Plan klappte, dann war sie bald dort. Und einmal in der Stadt würde sie niemand finden, wenn sie es nicht wollte.

Volusian hatte noch lange mit Mama gesprochen während sie mit ihrem Bruder in Gideons Zimmer warten mussten. Natürlich hatte sie versucht zu lauschen. Doch da war eine Barriere, die sie nicht überwinden konnte. Nach dem Mittagessen waren sie dann aufgebrochen. Helen war ganz entgegen ihrer Art sehr still gewesen. Waren da Tränen in ihren Augen? Oder hatte sie sich geirrt?

Volusian bog eine Meile vor Anamosa von der Hauptstraße ab. Eins der wenigen Waldgebiete Iowas lagen vor ihnen.

"Ich weiß ein schönes Plätzchen für unser Zelt", sagte ihr Vater unvermittelt. "Es wird dir gefallen."

"Auf der Karte ist aber gar kein Zeichen für Camping", gab sie mürrisch zurück.

"Es ist ein besonderer Platz, ganz geheim." Er blinzelte ihr verschwörerisch zu während er in einen Waldweg einbog..

Nein, sie würde es ihm nicht leicht machen, wenn er jetzt auf einmal den lieben Vater spielen wollte. Was war das für ein Vater, der nur zu den Geburtstagen und zu Weihnachten auftauchte? "Du musst wissen, was du tust", brummte sie. "Ich bin ja noch minderjährig."

"Sei versichert, meine Tochter, ich weiß es sehr gut."

Das klang ja fast wie eine Drohung! Sie sah ihn von der Seite an. Doch sein Blick war auf die Fahrbahn gerichtet. Seine kräftigen Finger trommelten auf das Lenkrad. Dazu summte er ein eigenartiges Lied. Sie war sicher, dass sie es noch nie gehört hatte. Dennoch kam es ihr vertraut vor.

Jetzt hörte sie das Rauschen des Wapsipinicon durch das offene Wagenfenster. Hier gab es hohe Ulmen zwischen denen Sträucher mit kleinen roten Beeren wuchsen. Die Luft roch nach satter, feuchter Erde. Vermutlich hatte es erst vor kurzem geregnet. Na, wunderbar! Und da wollte ihr Vater mit ihr campen. Sollte sie sich hier einen Rheumatismus holen?

Wieder bog ihr Vater ab. Diesmal fuhr er querfeldein. Lorettas Hände klammerten sich um den Sicherheitsgurt. Vor dem Wagen sah sie nur Baumstämme und dichtes Unterholz. Wie schaffte es Volusian nur, hier durch zu kommen? Endlich hielt er an. Eine mächtige Ulme mit weit ausladenden Ästen spendete Schatten für einen kleinen Fleck saftigen Grases. Rundherum standen hohe Sträucher und im Westen glitzerte das Wasser des Wapsipinicon zwischen den Zweigen.

Loretta kniff die Augen zusammen. Ein Eichhörnchen saß auf einem Ast und beobachtete sie. Ich bekomme einen Koller, wenn ich noch lange in dieser Einöde bin, dachte sie beim Aussteigen.

"Hilfst du mir mit dem Zelt?", rief ihr Vater fröhlich und warf etwas Großes aus festem, blauem Tuch ins Gras.

"Ich kann das nicht", wehrte sie ab. "Aber ich sehe dir genau zu", fügte sie schnell hinzu als sie seinen prüfenden Blick sah. An den Stamm der Ulme gelehnt starrte sie auf den blauen Packen.

"Nun gut." Überraschend schnell hatte er das Zelt aufgestellt. "Morgen wirst du meine Freunde kennen lernen", informierte er sie als er fertig war.

"Das wird sicher interessant", antwortete sie, dachte aber bei sich, morgen bin ich schon in Cedar Rapids, oder zumindest in Anamosa.

"Ich hole Holz für ein Feuer. Möchtest du mitgehen?" Volusian sah seine Tochter auffordernd an.

Loretta unterdrückte einen Seufzer und stieß sich von der Ulme ab. Es war eine gute Gelegenheit, den besten Fluchtweg aus zu kundschaften. "Wo liegt Anamosa?", fragte sie möglichst beiläufig.

"Immer den Fluss hinauf", gab Volusian ebenso zurück.

In der Nähe ihres Lagerplatzes wuchsen Bäume und Sträucher bis zur Wasserlinie. Es würde nicht so einfach sein, durch dieses Dickicht zu kommen, denn sie wollte sich nicht zu weit vom Fluss entfernen. Zu groß war ihre Angst, die Orientierung zu verlieren. Aber einmal in der Stadt war alles nur ein Kinderspiel.

Eine halbe Stunde liefen sie durch den Wald. Dann hatte Volusian einen Armvoll trockener Zweige. Lorettas Füße brannten in ihren engen Sandalen. Sie hoffte inständig, keine Blasen zu bekommen. Heilungskräfte hatten ihr ihre Fieberanfälle bisher nicht gebracht.

Die untergehende Sonne färbte das Wasser des Wapsipinocon rötlich. Ab und zu platschte es, wenn ein Fisch nach einer Libelle sprang. Gedankenverloren starrte Loretta in die glosenden Reste des Feuers. Zum ersten Mal an diesem Tag nahm sie den frischen Geruch des Waldes wahr. Im Unterholz knackte es. Ihr Kopf fuhr herum. Mit ihren besonderen Sinnen tastete die Umgebung ab. Eine Maus. Wieder knackte und krachte es. Das war ihr Vater. Er kam vom Fluss zurück, wo er die Teller abgewaschen hatte.

"Du solltest Turnschuhe anziehen, solange wir hier sind", sagte er. "Mit diesen Dingern holst du dir nur Blasen."

"Ich hab sie nicht mitgenommen." Loretta zuckte mit den Schultern. War ja auch egal.

"Ich hab sie mitgenommen. Sie liegen im Kofferraum." Volusian räumte das Geschirr weg und holte eine Tüte Chips aus dem Wagen. Loretta war ihm gefolgt und schnappte sich ihre Schuhe.

"Damit ich sie gleich morgen habe", lächelte sie.

Ihr Vater nickte nur. In der zunehmenden Dunkelheit konnte sie seine Miene nicht genau ausmachen, aber sie nahm an, dass er nichts von ihren Fluchtplänen ahnte.

Eine Weile saßen sie noch vor dem Zelt und starrten stumm in die Asche des Feuers. Keiner hatte dem anderen etwas zu sagen. Obwohl Vater und Tochter waren sie doch einander fremd. Beide fühlten das, Loretta unbehaglich, Volusian schmerzlich. aus diesem Grunde zogen sie sich auch bald in ihre Schlafsäcke zurück.

Lorettas Augen folgten den Schatten auf der Leinwand des Zelts. Ein sanfter Wind bewegte die Zweige der Ulme und ließ

die Blätter rauschen. Solche Geräusche waren ihr, die sie fast ihr ganzes Leben in Springville verbracht hatte, fremd. Schon bald würde sie dem entfliehen. Ungeduldig wartete sie in der Dunkelheit. Dann glitt sie vorsichtig aus dem Schlafsack. Angestrengt lauschte sie den regelmäßigen Atemzügen ihres Vaters. Er schien tief und fest zu schlafen. Erfreut sah sie, dass die Zeltklappe halb offen stand. Zentimeter für Zentimeter schob sie sich die enge Lücke.

Draußen lagen ihre Turnschuhe. Schnell schlüpfte sie hinein und lief hinunter zum Fluss. Sie musste also flussaufwärts gehen. Das Unterholz stand sehr dicht hier, aber sie kämpfte sich durch. einige dickere Bäume musste sie umgehen.

Endlich wurde die Vegetation dünner. Aufatmend zwängte sie sich zwischen zwei Sträuchern durch und - stand vor dem Zelt. Erschrocken lauschte sie? In der Meinung, sich weit genug vom Zelt entfernt zu haben, hatte sie nicht mehr darauf geachtet leise zu sein. Doch nichts rührte sich. Das schadenfrohe Grinsen auf Volusians Gesicht konnte sie ja nicht sehen.

Das war doch nicht möglich! Sie musste, ohne es zu bemerken, im Kreis gegangen sein. Irgendwie konnte man sich nach den Sternen orientieren, das hatte sie mal gelesen. Aber wie, das wusste sie nicht. Mit zusammen gekniffenen Augen starrten sie hinauf zum Himmel. Zwischen einigen zerfetzten Wolken glitzerten sie einige Sterne höhnisch an. Wenn sie einem bestimmten Stern folgte? Es war einen Versuch wert.

Diesmal suchte sie ihren Weg in größerem Abstand vom Wasser, ohne es aus den Augen zu verlieren. Einen besonders hellen Stern hatte sie zum Führer erkoren. Ab und zu verdeckte ihn eine Wolke, doch er kam immer wieder hervor. Sie kam recht gut voran. Wenn sie nur bald aus diesem blöden Wald heraus käme! Der Wind erstarb und es wurde kalt. Die Farbe des Himmels wechselte unmerklich von schwarz zu tiefblau, das erste Zeichen des kommenden Morgens.

Vor ihr erhob sich ein dicker Baum. Sie umrundete den Stamm und - stand vor dem Zelt. Wut und Enttäuschung brannten heiß in ihrer Brust. Die Sterne verblassten bereits. Sie hörte ihren Vater im Zelt gähnen und wollte sich neben dem Zelt ins Gras setzen, sprang aber sofort wieder auf. Hier war alles nass vom Tau. So lehnte sie sich gegen den Stamm der Ulme. Die durchwanderte Nacht machte sich nun bemerkbar, aber sie war zu stolz um ins Zelt zurück zu kehren und noch Schlaf zu suchen. Als eine Träne über ihre Wange lief, wischte sie sie mit einer zornigen Geste weg. Nein! Er sollte sie nicht weinen sehen.

Da kam Volusian aus dem Zelt, barfuß und nur in Shorts. "Oh! Du bist schon wach? Guten Morgen, Loretta!", sagte er und streckte sich. Das Spiel seiner mächtigen Muskeln nötigte ihr widerwilligen Respekt ab.

"Ich konnte nicht schlafen und da bin ein bisschen spazieren gegangen", antwortete sie mürrisch. "Ich bin das nicht gewöhnt."

"Aha, spazieren." Sein Blick blieb auf ihren Füßen haften.

Als sie mit den Augen folgte, sah sie, dass ihre Turnschuhe über und über voll Erde waren. Es war ihr gar nicht aufgefallen, wie weich der Waldboden war.

Volusian holte eine Toilettetasche aus dem Zelt und ging zum Fluss. "Ich mache mich ein bisschen frisch", sagte er munter.

Das sollte ich auch tun", dachte Loretta und sah ihm nach. Plötzlich wurden ihre Augen rund. Wie ein rotes Geflecht zogen sich Narben über Volusians breiten Rücken.

...wird fortgesetzt


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