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VORNAME MISTER

Folge 15

von Fred H. Schütz



"Erwache, mein Liebes," erklangen Männerstimmen wie vom Wind um die Ecke gewehte Wortfetzen. Molly machte eine ärgerliche Bewegung, um sie wegzuwischen. Unverschämtheit! Wenn wenigstens Pedro ... aber der war ja dabei! Ganz deutlich vernahm sie seine Stimme, "...schau, es ist bereits heller Tag ..." Oh Himmel, laß es Nacht sein ... Schlaf ... vielleicht ist ist es ja nur ein Traum. Nein, die Kerle singen tatsächlich! "... und die Vöglein singen ..." Wutentbrannt schlug sie die Decke zurück, stand neben dem Bett, noch ehe sie die Augenlider auseinanderbrachte. Denen werde ich was geigen!

Schummriges Dämmerlicht, von der leichten Gardine gefiltert, drang durch die Schlitze der Jalousie, ließ sie sehen, wo sie sich befand ... Die kühle Luft ließ sie zittern, machte ihr bewußt, daß sie nackt war - na ja, es war sehr heiß gewesen, als sie zu Bett ging - aber jetzt ... Sie sah sich nach einem passenden Kleidungsstück um, sah das Morgenkleid am Fußende des Bettes - oh Himmel, wieder so ein Monstrum mit vielen Rüschen und meterweise Stoff - darin würde sie ertrinken! Aber was sollte sie machen ... Seufzend griff sie danach, legte es an, fühlte sich von weicher Seide umschmeichelt - Molly, denk daran, in dem Kleid kannst du nur kurze Schritte machen - schlüpfte mit den Füßen in die seidenweichen Hausschuhe, und nestelte noch an ihrem Gürtelband, als sie bereits die Tür aufstieß -

Gleisendes Sonnenlicht schlug ihr in die Augen, blendete sie, so daß sie die Hand schützend vor ihr Gesicht hielt. Sie blieb stehen, suchte instinktiv nach einem Halt ... Mit einem Panthersatz stand Pedro neben ihr und schlang seinen Arm um sie. Den anderen Arm warf er in die Höhe. "Mirad, camaradas," rief er, "schaut Kameraden - meine Braut!"

Tränen waren ihr aus den gequälten Augen geschossen, bildeten einen Schleier, der sie undeutlich eine kleine Schar Männer, sechs oder sieben mochten es sein, die vor ihr standen - einer hielt noch die Gitarre, auf der er gespielt hatte. Ihr Lied war bei ihrem Anblick abgebrochen, sie standen stumm vor ihr, aber als Pedro stolz verkündete, dieses wunderschöne Fräulein sei niemand anders als "la Senorita Molly," rissen sie ihre Arme in die Höhe und ließen ihre unmöglichen Hüte mit den wagenradgroßen Krempen fliegen und schrien aus voller Kehle "Viva - sie soll leben!"

Sodann drängten sie heran, schlugen Pedro auf die Schulter und überhäuften ihn mit wohlgemeinten Neckereien, wie sie wohl im Kreis solch rauher Gesellen üblich sind - und Pedro ertrug alles mit frohem Lachen. Vor Molly aber sanken sie in die Knie, küßten ihre Hand und gelobten Treue bis in den Tod.

"Warum tun die das?" fragte Molly, aber das war viel später, als sie mit Pedro allein war. "Sie sind doch keine Sklaven, oder?"

"Ganz gewiß nicht," erwiderte er ihr mit ernster Miene. "Sie betrachten sich aber als zur Familie gehörig - mit Recht, wenn man bedenkt, daß ihre Familien schon seit Generationen hier leben und arbeiten. Den Almirantes widmen sie ihr Leben, wie sie es dir bezeugten, und -" setzte er hinzu und legte einen besonderen Tonfall in seine Stimme - "sie erwarten das Gleiche von uns!"

"Ach," sagte sie und fragte sich im gleichen Augenblick, warum sie davon überrascht war. "Habt Ihr?"

"Haben wir was?"

"Euch für die Leute eingesetzt?"

"Selbstverständlich!" Nun war er an der Reihe, überrascht zu sein. "Das haben wir dutzendfach bewiesen! Nur so kann das Verhältnis überhaupt funktionieren."

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne, nagte daran, bis sie merkte, daß sie sich wehtat. "Ist es denn überall so üblich?"

"Leider nein," entgegnete er, "die Herren im Lande beuten das Volk aus und das -"

"Führte zu den Bauernaufständen?"

Er nickte grimmig. "Und zu Benito Juarez!"

Sie würde noch schmerzhaft an diese Bemerkung erinnert werden, aber im Augenblick wußte sie davon noch nichts. Sie ließ die Huldigung der rauhen Männer über sich ergehen, lächelte tapfer und bedankte sich artig. Dabei kämpfte sie mit Tränen, weil sie unablässig daran denken mußte, wie wenig sie der Ehre würdig war, die man ihr erwies. Wenn diese Männer wüßten, wie es um sie stand, wie schnell würde sich ihre Verehrung in schnöde Verachtung umkehren! Und lange konnte es gewiß nicht mehr dauern; dann wurde ihr Zustand offensichtlich und dann ... Das Allerschlimmste aber war Pedros Liebe zu verlieren.

"Liebling, ist dir kalt?" fragte Pedro besorgt, als er ihr Zittern wahrnahm, und als sie stumm nickte weil ihr die Bewegung die Kehle zuschnürte, rief er energisch, "Schnell, sagt Pilar Bescheid, sie soll der Senorita etwas Warmes zum Anziehen bringen!" Dabei legte er seinen Arm um sie, um sie in ihr Zimmer zurück zu führen, aber da ertönte ein Laut, der jedem der auf dem Lande lebt vertraut ist, und der sie mit einem Schlag alle Sorgen vergessen ließ: ein Pferd schnaubte.

"Ist sie nicht wunderschön?" flüsterte Pedro ergriffen, und lauter und mit jener Zärtlichkeit in der Stimme, wie sie nur einem verliebten Manne eigen ist, setzte er hinzu, "Für dich!" Dabei drängte er sie vorwärts. Das Pferd schnaubte erneut und seine samtweichen Lippen berührten Mollys Wange wie ein Kuß. "Schau, sie mag dich," sagte Pedro, "du muß ihr einen Namen geben!"

Molly legte ihre Arme um den Hals der Stute. "Goldfeuer!"

"Hurra!" riefen die Männer wie aus einem Munde, und Pedro rief, "Ideal!" Und so war es auch: Das Geschöpf glänzte in der Morgensonne wie flüssiges Gold.

"Senorita!" erklang eine Stimme in drängendem Ton. Eine junge Frau mit der stämmigen Statur einer Indianerin stand auf der Veranda, Mollys Kleid im Arm. "Das ist Pilar, deine Dienerin," sagte Pedro, "geh mit ihr, sie soll dir beim Ankleiden behilflich sein."

"Aber nein!" jubelte sie, so glücklich wie damals, als Pater Boris ihre erste Puppe mitbrachte, eine "Raggedy Ann," mit ungeschickter Hand aus Stoffetzen zusammengenäht. Die Welt hatte sich verändert, als Mister Terellinger sie für einen angeblich harmlosen Auftrag engagierte; Ereignisse waren über sie hereingestürzt, denen sie nichts entgegen zu setzen hatte, die mit ihr spielten wie mit einem Ball und die sie nahezu aufrieben. Mit dem Pferd tat sich etwas für sie auf, das sie nie zuvor gekannt hatte: die Freiheit über sich selbst zu bestimmen.

"Männerkleidung!" schrie sie vergnügt, "ich brauche Männerkleidung!"

"Die sollst du haben!" rief Pedro, glücklich darüber, daß sie glücklich war und gab der Indianerin einen Wink. Pilar, zu verblüfft, um sich zu wundern wozu eine Dame Männerkleidung haben wollte, rannte los. Einige Minuten später kehrte sie zurück, mit ein paar zeternden Frauen im Gefolge - die Pedro mit einigen netten Worten und ebenso vielen Goldmünzen zur Raison brachte - aber mit männlichen Kleidungsstücken über dem Arm. Es war Burschenkleidung, wie sich herausstellte, als Molly sie mit Pilars kompetenter Hilfe im Halbdunkel ihres Zimmers anprobierte. Sogar ein Paar geschmeidiger Stiefel war dabei. Als sie mit dem breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, den sie während der Reise getragen hatte, ins Freie trat, klatschte Pedro in die Hände. "Mirad, el senorito Molly!"

Daraus ergab sich ein Spitzname, der alsbald den Charakter eines richtigen Namens annahm und sie landauf, landab im weiten Umkreis bekannt machte; Molly war zu klug, um nicht zu erkennen, daß man ihr damit huldigte: Mole ist jene berühmt-berüchtigte Pfeffersauce, von Ausländern als lebensbedrohlich gefürchtet, ohne die in Mexiko keine Mahlzeit denkbar ist.

Sie nahm ihr Frühstück - weil ein junger Körper nun mal Nahrung braucht - im Freien stehend ein, ohne wirklich zu schmecken was sie aß, und sah zu wie sie Goldfeuer das Geschirr auflegten.

Sie hatte von vornherein einen Damensattel abgelehnt, aber als sie die spiegelglatte, von lauter Goldbeschlägen nur so funkelnde Montur sah, die die Männer herbeibrachten, riß sie die Augen auf. "Woher kommt den dieses prächtige Exemplar?" wollte sie wissen und Pedro schmunzelte. "Ein Erbstück," sagte er nur. Sie hielt der Stute ein Stück Brot vor; das Pferd tat langsam die zwei Schritte, die sie voneinander trennten und beschnupperte den Bissen. Dann nahm sie ihn mit weichen Lippen von Mollys Hand. "Das ist Freundschaft auf den ersten Bissen!" lachte Pedro und die Vaqueros lachten mit ihm. Molly aber blieb ernst.

Dann half er ihr beim Aufsitzen. "Bringt mir ein Pferd, aber nicht den Potro!" Er wußte nur zu gut, wie schnell sein Hengst die ungeübte Reiterin aus dem Sattel katapultieren würde, wenn er die Stute bedrängte.

Er hätte sich nicht sorgen müssen. Ob es an dem lammfrommen Charakter der Stute lag, oder ob Molly wie für den Pferderücken geboren schien, mag dahingestellt bleiben. Ihr Talent war nicht zu übersehen und schon innerhalb weniger Tage beherrschte sie die Kunst des Reitens, als ob sie nie etwas anderes getan hätte. Roß und Reiterin schienen geradezu füreinander geschaffen. "Das liegt daran, daß du keine Angst

vor Stürzen hast," bemerkte Pedro mit offensichtlicher Genugtuung. Stürze waren in dem rauhen Gelände unvermeidlich und eines der ersten Kunststücke, die Molly beherrschen lernte, war sich geschmeidig abzurollen, wenn sie wieder einmal aus dem Sattel flog. Was tat es zur Sache, wenn sie sich gelegentlich eine kleine Blessur einfing ...

Der Potro, Pedros stürmischer Hengst, war längst keine Gefahr mehr wenn sie gemeinsam ausritten; von ihm war sie nicht aus dem Sattel zu bringen. Dagegen blieb das Privileg, ihr in den Sattel zu helfen, allein Pedro vorbehalten. War er einmal nicht zugegen - was selten genug vorkam - sprang sie mit einem Satz in den Sattel "Wie ein Puma!" sagte Antonio, der alte Vorreiter, und die Männer lachten anerkennend. Antonio war des Mannes christlicher Name; in seinem Stamm, einer kleinen, dahinschmelzenden Sippe von Berg-Yaquis, war er als K'tatzené bekannt, "Der Mann, der Wasser findet."

Goldfeuer war der Anfang ihrer Liebe zu Pferden, und diese führte zu einem Ereignis, das den Grundstein für ihren späteren Ruhm legen sollte. Sie hatte beobachtet, wie die Männer die morgens fröhlich losritten, zur Mittagszeit müde und auf erschöpften Rössern zurückkehrten um, nachdem sie sich selber erfrischt hatten, mit frischen Remonten wieder hinauszureiten. Das weckte ihre Neugier und eines Morgens folgte sie ihnen. Die Männer waren anfangs keineswegs begeistert, aber als sie merkten, wie geschickt sie sich anstellte, nie im Wege war und im Gegensatz manche Mühe auf sich nahm, ihnen die Arbeit zu erleichtern, war sie aufgenommen und begann eine Lehre, die, so hart so war, ihr dennoch große Freude und viel Genugtuung bereitete. Gleich am ersten Tag wurde ihr vorgeführt, wie unklug es war, sich einem Stier zu Fuß zu nähern, und diese Lektion verfehlte ihre Wirkung nicht. Im Hinblick auf Viehzucht unterschied eine Hacienda sich kaum von einer nordamerikanischen Ranch, es sei denn, daß hier die Weiden weiter, das Vieh sehniger, magerer und wohl auch langhörniger, und die Stiere aggressiver waren als dort. Sie lernte, daß man das Vieh häufig auf neue Weiden verlegen muß, um dem Futterpflanzen Gelegenheit zu geben, wieder nachzuwachsen - das tat man in der Regel durch mühevollen und gefährlichen Viehtrieb von einer Stelle zur nächsten - daß man schon von weitem die saftigere Weide am Farbton unterscheiden kann und daß man, wenn man nach Wasser Ausschau hält, besser bergauf blickt.

Da sich Menschen, die von Hause aus spanisch sprechen, mit manchen Lautverbindungen etwas schwer tun, und das Wort ihrem Namen tatsächlich sehr ähnlich klang, gewann die Bezeichnung "Mole" (Pfeffersauce) eine neue Bedeutung.

Indessen geriet Pedro vor Angst und Sorge um Molly nahezu außer sich. Er rannte durch alle Gebäude der Hacienda, von Raum zu Raum, und scheuchte das gesamte Personal durcheinander - bis er schließlich an den Ställen ankam und Goldfeuers Fehlen bemerkte. Dies konnte nur bedeuten, daß Molly ausgeritten war - aber wohin? Das Gebiet der Hacienda war nahezu so groß wie ein europäischer Kleinstaat, und zudem war das Gelände rauh und für den Neuling gefährlich. Er stellte Pilar zur Rede und die erklärte seelenruhig, sie habe Molly in der Frühe mit den Vaqueros wegreiten gesehen; einen Zusammenhang zwischen Mollys Verschwinden und dem daraus resultierenden Tumult sah sie nicht.

Aber es war ein Anhaltspunkt. Pedro hatte selber die Leute zur Nordostweide am Fuße der Sierra geschickt, um die dort stehende Herde zu bewegen. In aller Eile ließ er seinen Potro satteln, der als schnellstes Pferd weit und breit galt, und preschte los.

Er fand seine Leute wo er sie vermutete: Über die Nordostweide verstreut und friedlich ihren Pflichten nachgehend. Als sie ihn bemerkten, wie er daher stürmte als seien sämtliche Höllenhunde hinter ihm her, grinsten sie und deuteten nach Osten. Er folgte dem Fingerzeig und erkannte schließlich die goldene Stute - aber ohne Reiter!

Sie stand neben einem braunen Wallach, den er kannte. Beide Pferden hielten die Köpfe gesenkt als beschnupperten die Leichen ihrer Reiter. Pedro gab seinem Hengst die Sporen und das brave Roß nahm alle Kraft zusammen, dahinfliegend wie die sprichwörtliche Windsbraut. Erst als er näher kam, erkannte er Molly, die neben Antonio auf der Erde kauerte und aufmerksam lauschte, wie der Mann ihr die Bedeutung irgendeiner Pflanze erklärte. Die Zügel der Stute hatte sie lose über den Arm gehängt und die beiden Pferde grasten ruhig. Als sie die donnernden Huftritte des Hengstes vernahm, blickte sie hoch, erkannte Pedro und sprang freudig auf.

Der nahm sich nicht erst die Mühe, den Hengst anzuhalten. All seine Ängste um Mollys Leben hatten sich augenblicklich in eine wahre Mordswut verwandelt; er warf sich mitten im Galopp aus dem Sattel und kam über sie,

wie ein von Zeus gesandtes Donnerwetter.

Es folgte eine lautstarke Auseinandersetzung, der das gesamte Publikum so weit das Auge reichte, taktvoll fernblieb, und aus der sie, schluchzend und hoch und heilig versprechend, ihm nie wieder Sorgen zu bereiten, als Siegerin hervorging. Natürlich durfte sie tun und lassen und gehen, wohin sie wollte, aber "... niemals, hörst du, niemals! sollst du mich allein lassen und schon gar nicht, ohne mir zu sagen, wohin du gehst!" Ein Versprechen, das sie ihm gerne gab.

Als sie nach Hause ritten, die kleine Stute neben dem großen Hengst einhertrappelnd, der wohl zu müde war, mit ihr anzubändeln, sah Molly zu Pedro auf - und als sie den zerknirschten Ausruck auf seinem Gesicht sah, wurde ihr so warm ums Herz - sie konnte nicht anders, kletterte zu ihm hinauf und ließ sich von seinen starken Armen wiegen ...

Aber wir eilen der Geschichte voraus. Als sie am zweiten Tag nach ihrer Ankunft nach ihrem ersten größeren Ausritt Händchen haltend der Hacienda zustrebten, gewahrten sie schon von weitem den Menschenauflauf; das Personal hatte sich um zwei Gestalten in blutverschmierten, abgewetzten Uniformen versammelt, die sich mit letzter Kraft aufrecht hielten - die beiden letzten Reiter der von Cesar befehligten Leibwache des Kaisers ...

So steil aufgerichtet, wie es seine kleine Statur erlaubte, und mit steinerner Miene nahm der Oberst die Meldung entgegen. Die Prinzessin aber, die immer noch jugendlich schöne und vor Lebenslust sprühende Frau, die einst Familie und das höfische Leben in Wien aufgegeben hatte, um diesem kleinen großen Mann in die Fremde zu folgen und ihm zwei herrliche "Bub'n" zu schenken, brach zusammen.

Fortsetzung folgt, wenn Ihr wollt


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