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FIEBER

Folge 2

von Susanne Stahr



Nach dem Frühstück bauten sie gemeinsam das Zelt ab. Ein undefinierbares Schuldgefühl drängte Loretta zum Helfen. Volusian packte alles in den Wagen und kontrollierte anschließend alle Türen.

"Bei meinen Freunden bekommen wir eine andere Unterkunft", erklärte er und deutete auf einen Pfad zwischen der Ulme und einem Haselstrauch. "Wir können jetzt gehen."

Er trug jetzt eine Art Tunika aus hellbraunem Stoff über dem T-Shirt. Ein geflochtener Ledergürtel hielt sie zusammen, an dem ein Dolch in einer perlenverzierten Scheide hing.

"Aber meine Sachen ....", wandte Loretta ein. "Wann kommen wir denn zurück?"

"Meine Freunde haben alles, was wir brauchen."

Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Mit großen Schritten ging er voraus. Wohl oder übel musste ihm Loretta folgen. Es würde sich eine andere Gelegenheit ergeben, ihm zu entwischen.

"Wie lange müssen wir denn gehen?", wollte sie wissen.

"Eine Weile," knurrte er kurz angebunden. Die gute Laune, die er beim Aufstehen gezeigt hatte, war nun gänzlich verflogen. Volusian marschierte mit gesenktem Kopf, die Lippen zusammen gepresst. Ab und zu erhaschte Loretta, die wegen der Enge des Weges hinter ihm gehen musste, einen Blick auf sein Gesicht. Der Mann wurde ihr immer rätselhafter. Wo war der fröhliche Papa, der immer so ausgefallene Geschenke mitgebracht hatte? Einmal war es ein geschnitztes Einhorn für Gideon, dann eine bestickte Bluse für Mama oder diese Stoffpuppe mit dem hübschen Kleid zu ihrem 8. Geburtstag.

Viel Zeit blieb ihr nicht mehr zum Überlegen, denn von ferne waren jetzt Stimmen zu hören, die ein fremdartiges Lied sangen.

Plötzlich traten die Bäume zurück. Vor ihnen lag eine Lichtung. Struppige Hunde liefen auf Volusian zu als er am Rand der Lichtung stehen blieb. Der Halt kam so plötzlich, dass Loretta in ihn hinein lief. Murmelnd entschuldigte sie sich und schaute über seine Schulter.

Zwischen runden Lehmhütten tummelte sich ein Dutzend Männer und Frauen. Die Männer waren alle wie Volusian gekleidet und die Frauen trugen bunte Kleider mit langen, weiten Röcken. Einige schnitzten, aber die meisten zupften Blätter von langen Ranken und packten sie in große Körbe. Auf einem freien Stück Wiese grasten vier kleine Pferde.

Erst durch den Spektakel der Hunde sahen die Menschen auf und erblickten Volusian. Sie legten ihre Arbeit weg und gingen auf ihn zu. In einem Halbkreis blieben sie vor ihm stehen. Die Gesichter der Männer waren zumeist ernst und respektvoll. Bei den Frauen sah es schon anders aus. Obwohl auch sie Respekt zeigten, schwang darin etwas Abweisendes.

"Das sind deine Freunde?", flüsterte Loretta zweifelnd. Eine energische Handbewegung Volusians brachte sie zum Schweigen.

Eine hochgewachsene Frau trat aus dem Kreis hervor und mit ihr zwei junge Männer, die wie jüngere Ebenbilder Volusians aussahen. Sie war die einzige, die ein einfarbig blaues Kleid trug. Um ihren Hals hing ein Kristall, der in allen Regenbogenfarben funkelte. Ihr Blick war ernst und streng. Doch in den Mienen der jungen Männer glaubte Loretta etwas wie Verletzung zu erkennen.

Loretta schätzte die Frau auf mindestens vierzig. Schmerz und Enttäuschung hatten tiefe Linien in ihr Gesicht gegraben, ohne ihre Schönheit zu zerstören. Wenn Mama so eine Figur hätte, wäre Papa bei uns geblieben, dachte das Mädchen. Die Frau warf ihr einen scharfen Blick zu und Loretta fühlte sich sekundenlang nackt.

Jetzt trat Volusian einen Schritt zur Seite, sodass Loretta von allen gesehen werden konnte. "Hey Elatha", sagte er und verbeugte sich. "Und dich grüße ich besonders, Amyntha. Das ist meine Tochter Loretta."

Kein freundliches Hallo, kein Lächeln, nur ein kühles Nicken. Lorettas Hals war wie zugeschnürt. Auch wenn sie es gewollt hätte, sie hätte jetzt keinen Ton über die Lippen gebracht.

Volusian wandte sich an seine Tochter. Er war ein wenig in sich hinein gesunken. "Das ist deine Stiefmutter Amyntha und deine Brüder Lyncester und Drioton."

Brüder?, dachte Loretta, die sind doch sicher über 20, zumindest der eine, Lyncester.

"Komm jetzt, Volusian", befahl die Frau. "Es wartet ein Haufen Arbeit auf dich. Und nimm deinen Bastard mit."

"Ich bin kein Bastard!", fuhr Loretta auf. "Meine Eltern waren rechtmäßig verhei...."

"Schweig!", stoppte sie ihr Vater. "Mach es nicht noch schlimmer als es schon ist."

Der Halbkreis brach als sich die Menschen zerstreuten und wieder ihrer Arbeit zuwandten. Einige Männer klopften Volusian leicht gegen den Arm und er erwiderte den Gruß mit einem schwachen Lächeln.

Amyntha führte sie zu einer der Lehmhütten. Loretta erwartete einen dampfenden Kessel über einem Feuer und Stroh am Boden. Was sie vorfand, entlockte ihr einen überraschten Ausruf. Sie stand in einem sechseckigen Vorraum, der von Kandelabern erleuchtet wurde.

"Du weißt, was du zu tun hast", sagte sie zu Volusian und er verschwand mit einer Verbeugung in einer der Türen.

Zielstrebig ging sie auf die Tür gegenüber dem Eingang zu und trat in ein kleines Gemach. Als Loretta nicht gleich folgte, winkte sie ungeduldig. An einem runden Tisch saß eine alte Frau. Auch sie trug einen Regenbogenkristall um den Hals und ihr Kleid war ebenfalls dunkelblau. Aus einem Kohlenbecken stieg Rauch auf. Loretta konnte den Geruch nicht einordnen, sie wusste nur sofort, dass sie ihn nicht mochte. Amyntha setzte sich zu der Frau.

"Volusians Bastard", sagte sie mit eisiger Verachtung in der Stimme. "Sie hat Elathablut und tyrannisiert damit ihre Umgebung. Volusian hat sich endlich bereit erklärt, sie zu uns zu bringen."

"Was?!" Loretta stützte wütend die Hände in die Hüften. "Mein Name ist Loretta und ich bin weder ein Bastard noch tyrannisiere ich irgendjemanden."

Im nächsten Moment flog sie gegen etwas Hartes und ein dickes Buch fiel auf ihren Kopf. Erst jetzt erkannte sie, dass alle Wände mit Bücherregalen verstellt waren. Sie wimmerte als sie sich mühsam wieder aufrichtete.

"Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst", knarrte die Alte. "Stell das Buch zurück ins Regal."

Eingeschüchtert schob Loretta den Band in die Lücke. Im Moment war es sicher klug, vorerst einmal nachzugeben. Wenn diese Weiber nicht mehr so auf sie achteten, würde sie schon einen Weg finden, der sie nach Cedar Rapids brachte. Nach dem, was sie bisher gesehen hatte, war der Wunsch nach Flucht dringender als je zuvor.

Zwei graugrüne Augenpaare starrten sie an. Trotzig wollte sie den Blick erwidern, doch sie konnte nicht standhalten. Plötzlich fühlte sie sich, als hätte man ihr die Haut abgezogen und verkehrt wieder übergestülpt. Jeder Knochen, jeder Muskel tat weh und in ihrem Kopf wütete eine Rockerbande auf Extasy.

Stöhnend sank sie zu Boden und rollte sich zusammen. Warum konnte sie nicht sterben oder wenigstens ohnmächtig werden? Es donnerte. Wo war nur Mama? Wieder donnerte es. Nein, das war eine Stimme. Dann ging eine Tür auf, jemand kam herein und hob sie hoch.

Wasser plätscherte und der Schmerz ließ ein wenig nach. Sie lag in einer Wanne voll herrlich warmem, duftendem Wasser.

"So eine Sauerei!", schimpfte eine weibliche Stimme. "Die Kleine muss sich wie eine Harpyie gewehrt haben."

Loretta öffnete ein Auge und sah eine Frau, die gerade ihre Jeans in einen Bottich mit Wasser steckte. "Hey! Was soll das? Wo sind meine Sachen?"

"Du hast dir in die Hosen gemacht und ich muss deinen Dreck wegmachen", erklärte die Frau unwirsch. "Komm jetzt heraus. Es reicht schon." Ungeduldig hielt sie ihr ein flauschiges Tuch hin.

"Was soll ich denn jetzt anziehen?", fragte Loretta als sie sich abgetrocknet hatte.

Stumm deutete die Frau auf ein abgetragenes, buntes Kleid und wandte sich zum Gehen.

"Halt! Wo ist mein Vater? Ich muss mit ihm sprechen!"

Die Frau zögerte. "Die erste Tür rechts", sagte sie dann. "Du tätest aber gut daran, ihn nicht von seiner Arbeit abzuhalten." Dann war sie auch schon verschwunden.

"Warum seid ihr alle so unfreundlich zu mir? Ich habe euch doch nichts getan!", fragte Loretta die geschlossene Tür.



Sie fand ihren Vater hinter einem Webstuhl, der fast die Hälfte des kleinen Zimmers einnahm. Eine schlichte Truhe und ein einfaches Lager vervollständigten die Einrichtung. Volusians große Hände handhabten das Schiffchen mit der Geschicklichkeit jahrelanger Übung. Er sah nur kurz auf als sie eintrat, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

"Hübsches Kleid", sagte er. "Steht dir gut."

"Meine Jeans wären mir lieber", brummte sie. "Was machst du da?"

"Einen Wandteppich für Amyntha. Er ist bald fertig."

Loretta stellte sich hinter ihn und betrachtete das noch unvollendete Werk. Es stellte eine Jagdszene dar. Berittene Männer verfolgten einen Hirsch.

"Das ist wunderschön", entfuhr es ihr.

Volusian antwortete nicht. Rastlos fuhr das Schiffchen hin und her.

"Papa, warum ...", begann sie.

"Ich bin Volusian", unterbrach er sie scharf. "Keine Elatha nennt ihren Vater Papa."

Loretta schluckte. "Ich bin Amerikanerin."

"Du bist eine Elatha, meine Tochter. Leider." Volusians Stimme war traurig. "Deshalb musste ich dich auch hier her bringen. Das wolltest du doch wissen, oder?"

"Ich bin zu Hause gut zurecht gekommen. Hier gefällt es mir nicht. Diese hässlichen Hexen hätten mich beinahe umgebracht." Rote Wut gegen ihren Vater und die blau gekleideten Frauen erfüllte sie.

Er sah kurz auf. "Die Bewahrerinnen wollten dich testen. Dazu musste ich dich holen und sie haben es getan. Es konnte nicht mehr so weitergehen."

"Es war doch alles bestens!", rief Loretta aus. "Ich will wieder nach Hause."

"Nein, es war nur für dich alles bestens, aber nicht für deine Umgebung", korrigierte sie ihr Vater. "Du hast dir mit deiner Magie ein gutes Zeugnis erschwindelt. Dein Bruder hatte auch sehr unter dir zu leiden. Magie darf nicht missbraucht werden."

Oje! Sie hatte es schon geahnt. Volusian wusste alles. Schnell das Thema wechseln. "Warum bist du nicht bei uns geblieben, wenn du hier so mies behandelt wirst?", fragte sie.

"Weil ich hierher gehöre. Ich bin ein Elatha und habe dem König einen Eid geschworen."

"Und was ist mit Mama und Gideon und mir? Mama sagte einmal, eine Hochzeit sei wie ein Eid."

Volusians Kopf beugte sich tiefer über die Arbeit. Er antwortete nicht.

"Liebst du diese Amyntha?", bohrte Loretta gnadenlos weiter. "Wie lange bist du denn schon mit ihr zusammen?"

"Amyntha ist seit 26 Jahren meine Frau, Ich liebe sie mehr als mein Leben."

Die Worte klangen so gequält, dass es ihr fast Leid tat, gefragt zu haben. Nein, kein Mitleid, entschied sie. Er hatte die Familie verlassen. Jahrelang war er nur ein seltener Gast gewesen und jetzt hatte er sie aus ihrem Zuhause weggeholt und den Bewahrerinnen überlassen. Das wollte sie ihm heimzahlen.

"Du warst doch mit Mama verheiratet. Bist du ein Bigamist oder ein Heiratsschwindler?"

"Ich liebe Helen in gleichem Maße. Das ist mein Fluch. Die Ehe mit ihr war ungültig ..." Seine Stimme war immer leiser geworden. Mit zitternden Fingern strich er die Wolle glatt. Dann erhob er sich. "Mittagessen."

Das Mädchen nahm die Liebe, die auch ihr galt, wahr, konnte sie aber nicht annehmen. Eine kleine Stimme mahnte, Er ist der Einzige, an den du dich hier wenden kannst. Sie erkannte die Wahrheit, wehrte sich aber dagegen. Von widerstreitenden Gefühlen zerrissen folgte sie ihm.



Volusian führte seine Tochter in einen Saal mit einem langen, reich gedeckten Tisch. Es gab große Platten mit Fleisch, Schüsseln mit Gemüse und Körbe voll Obst.

An einem Ende saß die alte Frau, die wie Amyntha einen Regenbogenkristall trug. Amyntha saß gleich rechts von ihr. Der Platz neben ihr war frei. Die weitere Sitzordnung zeigte kein erkennbares Muster, da noch einige Stühle leer waren. Volusian setzte sich ans andere Ende und befahl Loretta sich neben ihn zu setzen. Bald füllten sich die leeren Plätze.

Die Menschen plauderten miteinander und scherzten. Dennoch fühlte sich Loretta wie unter einem Glassturz. Niemand redete mit ihr. Nur ab und zu sprach einer der Männer ein paar Worte mit Volusian. Doch keiner setzte sich zu ihm. Seine Söhne standen eine Weile still neben seinem Stuhl, nahmen aber dann doch in der Nähe ihrer Mutter Platz.

Die alte Frau am Haupt der Tafel nahm sich ein wenig Gemüse und begann zu essen. Das war das Zeichen für die anderen sich ebenfalls zu bedienen. Loretta hob die Hand um es ihnen gleich zu tun.

Doch Volusian stoppte sie."Wir müssen noch warten", sagte er ruhig.

Erst als alle fertig waren, gab er Loretta von den Resten und nahm sich dann selbst. Noch eine Demütigung, dachte Loretta. Die Stimme der Liebe gewann ein wenig an Kraft, doch der Hass war immer noch stärker.

Die alte Frau und Amyntha waren längst gegangen und die anderen Elatha verließen auch nach und nach den Saal. Plötzlich saß Lyncester bei ihnen.

"Trainierst du heute noch mit mir?", fragte er.

Volusian schluckte schnell einen Bissen. "Ich muss den Teppich fertig machen. Vielleicht nachher."

Lyncester stieß ein enttäuschtes Knurren aus. "Wenn du dann noch kannst."



Den Nachmittag verbrachte Volusian wieder hinter dem Webstuhl. Schon aus Langeweile fragte ihn Loretta, ob sie etwas helfen könnte.

Lächelnd deutete er auf einen großen Korb, in dem verschieden farbige Wolle in dicken Strähnen kreuz und quer durcheinander lag. "Die kannst du aufwickeln, wenn du magst."

Loretta holte einen grünen Strähn und machte sich an die Arbeit. So verging die Zeit schneller. Ihr Vater war nicht sehr gesprächig. Und sie hatte auch keine Lust, ihn mit Fragen zu bombardieren.

Die Sonne fiel schon schräg durch das kleine Fenster als Volusian sich aufseufzend zurücklehnte. Dann löste er sein Werk von dem Gestell.

"Ich bringe Amyntha den Teppich", sagte er. Bevor er ging zog er die Tunika und das T-Shirt aus.

Automatisch folgte ihm Loretta. Sie wollte wissen, wie die Frau reagierte und warum sich Volusian ausgezogen hatte.

Doch ihr Vater hielt sie zurück. "Das ist allein meine Sache."

Loretta setzte sich wieder. Sobald er aber gegangen war, schickte sie ihm einen geistigen Fühler nach. Ah, die dritte Tür links. Auf Zehenspitzen folgte sie ihm. Vor der Tür blieb sie stehen und überlegte. Hm, wozu konnte sie durch Wände sehen? Ihr Geist durchdrang das Holz.

Das war die Bibliothek. Aber jetzt war außer ihrem Vater nur Amyntha da. Volusian übergab ihr gerade den Teppich.

Sie breitete ihn auf dem Tisch aus und lächelte. "Eine schöne Arbeit, Volusian", sagte sie und nahm eine Peitsche von einem Regal. "Knie nieder."

Zu Lorettas Überraschung tat er es ohne Widerspruch. Sein Kopf war gesenkt. Das Licht der Kandelaber warf seltsame Schatten auf seinen nackten Rücken, sodass es aussah als bewegten sich rote Würmer darauf.

"Liebst du Helen noch immer?", fragte Amyntha.

Und Volusian antwortete. "Ja, genauso sehr wie ich dich liebe. Verzeih mir, Amyntha."

Seine Schultern zuckten ein wenig als die Peitsche auf die ungeschützte Haut sauste, aber es kam kein Ton über seine Lippen. Winzige Blutstropfen bildeten sich, wo das Leder ihn getroffen hatte.

Der Schock über das Gesehene nahm Loretta den Atem. Nein, das hatte er nicht verdient. Die Liebe in ihr gewann endlich die Oberhand. "So eine Gemeinheit!" Loretta stürmte ins Zimmer und riss Amyntha die Peitsche aus der Hand. "Du Miststück! Das kannst du doch nicht machen!"

Sekunden später krachte sie wieder gegen ein Bücherregal. Diesmal fielen mehrere Bücher auf sie herunter. Amyntha stand wie eine flammende Göttin über ihr, die Peitsche in der erhobenen Hand.

"Nein! Bitte nicht, Amyntha!", keuchte Volusian. "Sie ist doch noch ein Kind und sie kennt unsere Gesetze nicht."

"Nie wurde eine Bewahrerin so beleidigt!", fauchte die Frau.

"Strafe mich, nicht sie. Es ist meine Schuld. Ich hätte ..."

Die Peitsche klatsche wieder auf Volusians Rücken. "Geh und unterrichte deinen Bastard", sagte sie kalt. "Das nächste Mal werde ich nicht so nachsichtig sein."

Loretta hatte sich inzwischen aufgerappelt. Ihr rechter Arm tat höllisch weh, schien aber nicht gebrochen zu sein. Erschrocken sah sie ihren Vater am Boden liegen, das Gesicht in den Händen vergraben und auf seinem Rücken war noch mehr Blut.

Am liebsten hätte sie Amyntha erwürgt. Sie schob eine Hand unter Volusians Arm um ihm auf zu helfen. Er war der einzige Mensch, den sie hier kannte, das einzige vertraute Gesicht.

Er schüttelte sie ab und kam allein auf die Füße. Mit gesenktem Kopf ging er in sein Arbeitszimmer, Loretta an der Hand mit sich ziehend. Dort ließ er sich auf das Lager fallen und vergrub das Gesicht in einem dünnen Kissen. Seine muskulösen Schultern zuckten und Loretta glaubte ein Schluchzen zu hören.

"Du brauchst einen Arzt!", rief das Mädchen hektisch. "Eine Salbe! Verbandzeug! Das muss doch behandelt werden."

"Keine Behandlung", lehnte ihr Vater ab. "Es sieht schlimmer aus als es ist. Ein wenig kaltes Wasser vielleicht....."

Loretta rannte ins Badezimmer. Das lange Kleid verfing sich zwischen ihren Beinen, dass sie fast gestürzt wäre. Sie fand eine flache Schüssel und füllte sie mit Wasser, schnappte sich noch ein weiches Tuch und kehrte zu Volusian zurück. Dort wusch sie zuerst das Blut von seinem Rücken. Es kam kein neues mehr nach, aber die Striemen waren angeschwollen. Volusian zuckte unter der Berührung zusammen, so vorsichtig sie auch war.

"Du musst mir jetzt genau zuhören", begann er leise.

"Wie kannst du diese Bestie lieben?!", regte sich Loretta auf.

"Sie erfüllt nur das Gesetz. Ich werde ..."

"Das ist ein blödes Gesetz", unterbrach sie ihn.

Doch er fuhr unbeirrt fort. "... dich über dein Volk unterrichten. Die Elatha sind Wanderer zwischen den Welten, Künstler und Krieger. Wir sind nur dem König verpflichtet. Unser oberstes Gesetz besagt, dass wir keine Verbindung mit Wesen aus anderen Welten eingehen dürfen. Dieses Gesetz habe ich gebrochen. Die Strafe dafür ist der Tod. Doch der König hat mich begnadigt, weil ich sein designierter Paladin war und er meine Kampfkraft nicht verlieren wollte. Statt dessen hat er mich Amynthas Willkür überantwortet. Ich habe ja auch die Ehe mit ihr gebrochen."

"Du musst einen lausigen Anwalt gehabt haben. Konntest du dich nicht raus reden?"

"Bei uns gibt es keine Anwälte. Die Bewahrer durchleuchten einen Fall und bringen ihn dem König zur Kenntnis, der dann das Urteil fällt", erklärte er geduldig.

"Aber das ist nicht fair", wandte sie ein.

"Fairer als die Prozesse in deiner Welt. Wir sind Telepathen. Die Bewahrer berücksichtigen jeden Aspekt." Er richtete sich auf und schlüpfte in seine Tunika. Als sich der Stoff auf die Haut legte, verzog er das Gesicht. "Lyncester wartet auf mich. Wenn du dich nützlich machen willst, kannst du noch mehr Wolle aufwickeln." Er holte ein Schwert aus der Truhe und wandte sich zum Gehen.

"Wie geht das?", rief sie schnell und deutete auf den Webstuhl.

Eine Flut von Bildern überschwemmte sie, dann war er zur Tür hinaus. Loretta lächelte und suchte die passenden Farben für ihr Vorhaben zusammen. Dann setzte sie sich an den Webstuhl.

Wie war das? Ihr erster Versuch scheiterte kläglich. Loretta zupfte die Fäden von dem Gestell und begann noch einmal. Die Wolle verhedderte sich. In dem Gewebe entstanden Lücken. Es sah furchtbar aus. Loretta fluchte wie ein New Yorker Taxifahrer. Sie rief die Bilder, die ihr Volusian übermittelt hatte, noch einmal zurück. Schritt für Schritt ging sie sie durch. Dann startete sie den dritten Versuch. Langsam wuchs ein Bild auf dem Webstuhl. Sie hatte ein kleines Format gewählt, weil sie schnell fertig werden wollte. Von Zeit zu Zeit tastete sie nach Volusians Geist. Sie fand nur eiserne Konzentration, die jedes Eindringen ausschloss.

Der Himmel färbte sich rot als sie ihren ersten Teppich vollendete. Er war klein, weniger als einen halben Meter im Quadrat und unregelmäßig gearbeitet. Aber das Bild war eindrucksvoll.

"Für dich, Amyntha"; flüsterte sie mit einem bösen Lächeln, löste die Arbeit vom Webstuhl und rollte sie zusammen. Sie steckte sie eben in eine der großen Taschen, die sie an dem Kleid entdeckt hatte, als sie Volusians Stimme in ihrem Kopf hörte: "Geh in den Speisesaal, Loretta. Zeit fürs Abendessen."

Fortsetzung folgt....


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