STORIES


JANDUN

Folge 4: DIE WASHINGTON ROCHADE

von Susanne Stahr



Es wurde draußen schon grau und einige Vögel begannen ihr Morgenlied. Keegan blinzelte nach einem traumlosen Schlaf in das Halbdunkel des Motelzimmers. Ein feiner Geruch hatte sich zu den Mottenkugeln gemischt. War das nicht Sparks' Aftershave? Sparks! Schlagartig fiel ihm alles wieder ein. Wo mochte der FBI-Mann jetzt sein, wenn er überhaupt noch lebte? In Daschirs Welt?

Schnaufend streckte er seinen Körper und drehte sich dabei auf die Seite. Wirres sandblondes Haar kam in sein Sichtfeld. Erschrocken setzte er sich auf. Zu den hellen Haaren gehörte ein sehniger Rücken mit einigen Narben, die verdammt nach ehemaligen Schussverletzungen aussahen. Auf einem durchtrainierten Oberarm spuckte ein kleiner Drache Feuer, der ein Buch in einer Klaue hielt. Keegan starrte noch verdutzt auf den reglosen Mann in dem Bett neben ihm, da erhob sich Veltens bleiches Gesicht über der Bettkante. Er hatte sein T-Shirt abgelegt und präsentierte einen Körper wie ein Bodybuilder. Nur der linke Arm hing schlaff herunter. Ein blutdurchtränkter Verband über dem Ellenbogen erklärte warum.

"Guten Morgen, Daschir!", grunzte er verschlafen. "Die Familie ist wieder zusammen."

"Ich bin Keegan", korrigierte dieser säuerlich.

"Du bist mir ohnehin sympathischer", quittierte Velten diese Bemerkung.

"Was soll denn das heißen?", empörte sich der Magier und erinnerte Keegan, dass der Jandun immer mithörte.

"Ich bin eben ein Mensch", gab er zurück und in den lautlosen Signalen schwang Stolz und Selbstbewusstsein. Er legte eine Hand auf die knochige Schulter und drehte den Mann um. Seltsam berührt starrte er in Sparks entspanntes Gesicht, das im Schlaf, oder war es Bewusstlosigkeit?, die Härte verloren hatte. "Was ist mit ihm?", fragte er laut.

"Er hat das Bewusstsein verloren als wir durch das Tor gingen", erklärte Velten.

"Ist er tot?" Erschreckt legte Keegan zwei Finger gegen Sparks' Halsschlagader und atmete tief auf als er ein schwaches Pulsieren fühlte. "Er muss ins Krankenhaus."

"Und was willst du denen erzählen?", flüsterte Daschir.

"Die werden unangenehme Fragen stellen." Velten war auf den gleichen Gedanken gekommen. "Die Jandun sollen ihm helfen. In unseren historischen Berichten werden sie als exzellente Heiler beschrieben."

"Lass mich ran." Daschir schob Keegan energisch in den Hintergrund und legte eine Hand auf die haarlose Brust des Agenten. Die Haut war trocken und kühl. Fieber hatte er demnach nicht. Eine gezackte Narbe zog sich über die Magengegend. Dieser Mann hat schon einiges überlebt, dachte Keegan. Ein magisches Wort formte sich scheinbar direkt auf Sparks' Brust und sank blassblau leuchtend in die Haut ein. Nun legte der Magier die andere Hand auf die Stirn des Beamten. Wieder sprach Daschir ein magisches Wort, das in hellgelbem Schimmer auf dem stillen Gesicht zerfloss. Ein tiefer Atemzug hob die Brust des Agenten und seine Hände krampften sich in die Decke. Die Lider flatterten und hoben sich endlich.

"Agent Sparks!", rief Daschir. "Hören Sie mich?"

"Ich ... Wo? .... Was?" Er versuchte sich aufzurichten, aber Daschir drückte ihn in die Kissen.

"Bleiben Sie liegen, Agent Sparks. Sie haben einen Schlag auf den Kopf erhalten und könnten eine Gehirnerschütterung davongetragen haben", zeigte sich der Jandun besorgt.

Erstaunlich schnell wurde der Blick der grauen Augen klar. "Erzählen Sie mir keine Märchen, Mosley." Ein heftiger Schlag fegte Daschirs Hand von seiner Brust. Dann zog er die Decke bis ans unrasierte Kinn. "Sie haben mir eine Menge zu erklären, aber vorher knöpfe ich mir Mr. Harris vor. Wo sind meine Kleider?"

Stumm deutete Velten auf einen Kleiderhaken mit Sparks' grauem Anzug, unter dem ein unordentlicher Haufen aus Jeans, Socken und einem Pullover auf einer eleganten Reisetasche lag. Wieder einmal bewunderte Keegan die Würde, mit der der FBI-Mann sich das Laken um die Hüften wickelte und mit seinen Kleidern im Badezimmer verschwand.

Zwanzig Minuten später war er wieder der unerschütterliche FBI-Agent. Daschir hatte inzwischen ein Frühstück geordert, das sie nun schweigend zu sich nahmen. Endlich lehnte sich Sparks zurück und fixierte Velten.

"Wie erklären Sie die Vorkommnisse der letzten Nacht? Zuerst war niemand auf der Insel. Dann erscheint ein ominöses Licht und diese sechs Typen sitzen da. Als Nächstes brennt einer so ein Feuerrad ab, durch das zwei der Typen verschwinden. Zu guter Letzt schubsen Sie mich auch noch durch diesen Ring. Und jetzt kommt der Hammer! Plötzlich bin ich in einer mittelalterlichen Burg und es ist heller Tag!" Der Beamte beendete seine Rede mit einem wölfischen Grinsen.

Velten und Daschir sahen einander an. "Sie haben halluziniert", meinte Daschir trocken.

"Sparen Sie sich das. Ich war zu lange bei der Polizei um mich mit Lügen abspeisen zu lassen." Sparks blähte die Nasenflügel und schnaubte verächtlich.

Die beiden ungleichen Männer sahen einander an. "Was haben Sie gesehen?", forschte Daschir.

"Haben Sie nicht zugehört? Was war das? Eine Zeitreise?"

"Sie erstaunen mich, Agent Sparks." Daschir gestattete sich ein spöttisches Grinsen. "Ich habe Sie für realistischer gehalten."

Der Beamte winkte müde ab. "Offenbar halten Sie mich für blöd. Hören Sie doch auf, Mosley oder wie Sie sich sonst nennen mögen. Ab jetzt will ich nur noch Klartext hören. Ist das ein geheimes Projekt der Regierung?"

"Nein, ganz gewiss nicht!", entschlüpfte es Velten, der sich dadurch einen bösen Blick Daschirs einheimste.

"Nun, Mr. Harris? Sie scheinen mir gesprächiger zu sein. Mir ist es egal, woher die Informationen kommen, solange sie der Wahrheit entsprechen", wandte sich Sparks dem Otkon zu.

"Du hältst die Klappe, Mann!", fauchte Daschir.

"Tausend Jahre und jetzt fliegt eure Tarnung auf!" Velten begann schallend zu lachen. Sparks Zähnefletschen wurde langsam bösartig.

"Warum versuchst du's nicht mal?", flüsterte Keegan. "Wenn er dir glaubt, hilft er dir, wenn nicht, ist nichts verloren."

Daschir seufzte tief auf. Sollte er ein tausendjähriges Gesetz verletzen? Was würde der Hohe Rat der Jandun dazu sagen? Alles in ihm sträubte sich dagegen.

"Was kannst du verlieren? Er glaubt dir vielleicht, aber ihm wird niemand glauben", bearbeitete Keegan den Magier.

Sekundenlang brachte Daschir keinen Ton heraus. Sollte er es wagen? In der Vergangenheit hatten sich immer wieder einzelne Jandun den Menschen offenbart. Sparks sah nicht so aus als würde er kampflos aufgeben. Etwas musste er ihm geben, eine frisierte Wahrheit, entschied er.

"Setzen Sie sich, Agent Sparks", begann er. "Ich erzähle Ihnen nun eine Geschichte von einem alten Volk ....." Zwanzig Minuten später schwieg er und sah Sparks forschend an.

Die schlanken Finger des FBI-Agenten spielten mit einem Kaffeelöffel während das Gesicht unbewegt blieb. "Hm, hm", machte er dann. "Lassen Sie mich rekapitulieren. Ihr Volk, Daschir, die Jandun, floh vor Ihrem Volk, Velten, den Otkon, aus einer anderen Dimension in unsere Welt, nach Amerika. Und das geschah vor etwa tausend Jahren. Da sich aber durch die Ankunft der Weißen die Lage der Indianer und damit auch die der Jandun zusehends verschlechterte, suchten diese einen Weg zurück in ihre Heimat, ohne zu wissen was sie dort erwarten würde. Die Machthaber von Jahanda wollen nun mit den Jandun verhandeln während eine Gruppe von Fanatikern, die sich 'Fackel der Freiheit' nennen, sie auszurotten versuchen. Es gibt also Opfer, die Jandun, und dann noch gute und böse Otkon. Hab ich Sie richtig verstanden?"

Daschir nickte. "Exakt. Soll das bedeuten, dass Sie mir glauben?"

Ein langer Blick aus den grauen Augen schien Daschir zu durchbohren. "Nun, sagen wir, das ist eine Operationsbasis. Ihr Leben als Keegan Mosley war offenbar eine perfekte Tarnung. Sollten Sie mir ein Märchen aufgetischt haben, dann gnade Ihnen Gott!"

"Sie überraschen mich schon wieder, Agent Sparks", nickte der Jandun und Keegan flüsterte: "Nomen est omen".

Ein Schatten huschte über das schmale Gesicht des Agenten. "Es hat einen Grund, warum gerade ich diesen Fall übertragen bekam, meine geistige Flexibilität", entgegnete Sparks kurz. "Da wären aber noch ein paar Fragen. Sie sagten, die Otkon benutzen den Blauen Ring um zwischen den Dimensionen hin und her zu hüpfen. Haben die Jandun den Übergang noch nicht geschafft, weil sie solche Ringe nicht besitzen?"

"Hihi!", freute sich Keegan. "Jetzt musst du ihm noch einen Brocken geben."

Doch der Jandun ignorierte den Einwurf. "Wir waren nie auf Verstärker angewiesen", prahlte der Magier. "Wir nutzen die Energie starker Plätze."

"Und warum sind Sie noch da?", fragte Sparks unerbittlich weiter.

Keegan fühlte den Schmerz, den diese Frage bei Daschir auslöste. Doch der Jandun ließ sich nach außen hin nichts anmerken. Er versuchte durch Überheblichkeit seine Unsicherheit auszugleichen. "Haben Sie eine Ahnung wie viele Dimensionen es gibt? Der Blaue Ring wird einen Otkon immer wieder nach Jahanda bringen, ganz gleich in welcher Dimension er gelandet ist. Wir haben so einen Bezugspunkt nicht. Und bisher ist es uns noch nicht gelungen, einen gangbaren Weg in unsere Heimat zu finden. Doch wir sind kurz davor."

"Soso." Sparks nickte nur zu dieser Erklärung. "Und jetzt erzählen Sie mir mal, was geschah während meiner Stippvisite auf Jahanda? Dorthin haben Sie mich doch entführt, Velten? Oder irre ich mich? Wie haben Sie es denn ohne einen Blauen Ring geschafft?"

"Es war ein Unfall!", grollte der Otkon mürrisch. "Ich hätte Sie niemals ohne den Blauen Ring durch das Tor geführt." Seine Hand tastete nach seinem rechten Ohr, an dem es wieder bläulich schimmerte. "Der Ring des Toten. Ich konnte ihn an mich nehmen und die Königin gab mir später einen neuen."

"Nun gut, Sie waren ja auch in Jahanda. Daschir!", beharrte er. "Wie ging es hier auf der Insel weiter? Sind die restlichen drei Otkon geflohen?"

"Sie werden nie wieder töten", bequemte sich der Magier unwillig zu einer Antwort.

"Haben Sie sie getötet?" Keegan erschrak. Er sah sich in Gedanken schon in Handschellen vor einem Richter. Wieder einmal verfluchte er den fremden Geist in seinem Kopf.

"Nein." Daschir schüttelte energisch den Kopf. "Sie haben einen erschossen. Die drei anderen werden in dieser Welt ihr Leben beschließen. Wir haben ihren Geist gereinigt, so dass sie kein Unheil mehr anrichten können." Damit lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Keegan konnte den selbstgerechten Ausdruck auf seinem Gesicht geradezu fühlen und hasste ihn dafür.

Velten war bleich geworden. "Der Große Bann", flüsterte er.

"Wo sind die drei jetzt?", forschte Sparks unerbittlich weiter.

"Bei der Heilsarmee. Vergessen Sie sie. Kümmern Sie sich lieber um die, die immer noch unser Volk morden." Ärgerlich sprang er auf und lief in dem kleinen Zimmer hin und her.

"Schmeckt dir deine Rolle nicht?", spottete Keegan aus seinem geistigen Gefängnis.

"Halt die Klappe! Sosto ruft mich", schnauzte Daschir unwirsch.

Wie eine schlechte Telefonverbindung war die Stimme des Oberhaupts der Jandun zu vernehmen. "Mirson ist geflohen. Nimm dich in Acht, Daschir. Er hat dir Rache geschworen!"

"Ist er noch in Amerika?", fragte der Magier schnell.

"Im Moment nicht. Er ist wieder nach Jahanda gewechselt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann er wieder zurück kehrt. Geh nach Arizona. Der Mt. Graham ist unsere nächste Chance."

"Und was ist mir Mirson?", wandte Daschir ein. "Eine Flucht war nur mit einem Helfer möglich. Wenn ich Klarheit habe, komme ich nach Arizona." Damit ließ er einen geistigen Rollladen herunter und unterbrach so die telepathische Verbindung.

Velten und Sparks hatten ihn aufmerksam beobachtet. Nun hob der Otkon resignierend die Schultern. "Ich hab's mir fast gedacht", sagte er und signalisierte damit, dass er dank des Blauen Rings wieder mithören konnte.

Sparks' Gesicht überzog sich sekundenlang mit einer sanften Röte während seine grauen Augen wütend aufblitzten. Keegan vermutete, dass er sich ausgeschlossen fühlte. Er jedenfalls hätte sich in solch einer Situation so gefühlt. "Was bedeutet das? Der Große Bann?", knüpfte der FBI-Mann das Gespräch wieder an.

"Vergessen Sie's", tat Velten die Sache ab. "Mirson ist geflohen. Und das hat er gewiss nicht allein geschafft."

"Was? Woher wissen Sie das?", fuhr Sparks auf, noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht.

"Seth Miller hat es eben gesendet und da ich wieder so ein nettes Schmuckstück habe", er tippte gegen den Ohrring, "kann ich wieder mithören."

"Sie lenken nur vom Thema ab", erwiderte der Agent. "Der Gefangene kam in Sicherheitsverwahrung."

"Fragen Sie doch nach", grinste Daschir. Keegan fühlte, dass die alte Überheblichkeit wieder da war. "Unser Nachrichtendienst funktioniert ausgezeichnet."

Sparks' Lippen wurden noch ein wenig schmaler als er sein Handy aus der Brusttasche holte und wählte. Das Gespräch dauerte nicht lange. Dann lag ein grimmiger Zug um seinen Mund. Schweigend musterte er die beiden Männer. "Sie hatten Recht", gab er zu. "Der Gefangene ist entflohen." Mit spitzen Fingern fischte er zwei Visitenkarten aus seiner Brieftasche. "Ich fliege noch heute nach Washington. Kontaktieren Sie mich, wenn Sie etwas Zweckdienliches erfahren."

"Ich gehe mit Ihnen, Sparks", erklärte Velten bestimmt. "Wenn Mirson in Washington einen Helfer hatte, kann ich ihn am besten identifizieren."

Eine steile Falte bildete sich zwischen Sparks' Brauen. "Überschätzen Sie nicht meine geistige Flexibilität."

"Solange der Maulwurf im Besitz eines Blauen Ringes ist, können Sie ihn nicht festhalten. Und folgen können Sie ihm noch weniger."

"Zumindest weiß ich, worauf ich achten muss", bemerkte der Beamte trocken. Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: "Ihre Fachkenntnisse können sicher hilfreich sein."

"Wir haben in Washington einen Kontaktmann", meldete sich Daschir zu Wort. "Buchen Sie drei Plätze."

"Heh! Mein Wagen!", begehrte Keegan auf. "Er ist jetzt fast wie neu!"

"Sosto wird ihn in Verwahrung nehmen und nach Arizona überführen. Dort kann er uns sicher von Nutzen sein."

"Danke, dass du mich gefragt hast", grummelte Keegan. "Wann lässt du mich denn wieder mal ran?" Der Wunsch, sich frei zu bewegen, wurde in ihm immer stärker.

"Wenn ich sicher bin, dass du nichts verrätst", kanzelte ihn Daschir ab. Doch dann lenkte er ein: "Du kannst im Flugzeug übernehmen."

Als die Drei im Flugzeug ihre Plätze einnahmen, es waren drei Sitze in einer Reihe, erbat sich Keegan den Fensterplatz. Für ihn war es der erste Flug seines Lebens. Bisher war er ja noch nie aus den Black Hills heraus gekommen. Erst mit Daschir hatte sich sein Leben auf den Kopf gestellt.

"Reiß dich zusammen, Keegan!", nörgelte der Jandun. "Du benimmst dich wie ein Grundschüler, der das erste Mal im Zirkus ist."

"Es ist das erste Mal!", gab Keegan verärgert zurück.

"Pass nur auf, dass du dich nicht verrätst", fuhr Daschir fort.

"Du meinst wohl, dass ich dich nicht verrate", konterte Keegan.

"Der gibt's dir aber!", mischte sich Veltens Gedankenstimme schadenfroh in das Geplänkel.

Brummend zog sich der Magier zurück. Für Keegan fühlte es sich an wie ein dumpfer Knoten in seinem Kopf. Gedankenverloren spielte er mit dem Blauen Ring in seiner Hosentasche. Seit er ihn Velten abgenommen hatte, trug er ihn immer bei sich. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, wenn er sich überlegte, dass er jetzt in eine andere Zeitzone flog. Eine Stunde rückwärts. Es war Nachmittag als sie am Washington National Airport landeten und Keegan empfand keinen Unterschied zu Wisconsin.

Beim Verlassen der Maschine war plötzlich Sparks neben ihm. "Jetzt haben Sie mich überrascht, Daschir. Gerade noch waren Sie der coole Taktiker und von einer Sekunde zur anderen verwandeln Sie sich in einen Schuljungen, der zum ersten Mal ein Flugzeug betritt. Wie machen Sie das?"

"Es war tatsächlich mein erster Flug. Ist es da verwunderlich, dass ich ein wenig aufgeregt war?", gab Keegan zurück. "Sie kennen doch meinen Lebenslauf. Ich bin nie aus den Black Hills raus gekommen."

"Auch das finde ich erstaunlich. 29 Jahre lang führen Sie ein mehr oder weniger unauffälliges Leben. Das Leben eines Taugenichts, der immer mehr dem Suff verfällt. Dann plötzlich, am tiefsten Punkt Ihrer Karriere angelangt, kommt die wunderbare Wandlung. Sie wenden sich vom Alkohol, Ihrem besten Freund, ab, treiben regelmäßig Sport und beginnen zu reisen. Finden Sie das nicht selbst auch eigenartig? Was sagten denn ihre Jandun-Freunde zu ihren Saufgelagen?"

Sie waren am Terminal angelangt und warteten auf ihr Gepäck. Ein dicker Junge drängte sich zwischen den Männern durch und überschüttete sie mit dem penetrant süßlichen Geruch seines Kaugummis. Keegan kickte mit der glänzenden Spitze seines Cowboystiefels einen Zigarettenstummel weg, den jemand fallen gelassen hatte. Er fühlte den Blick der grauen Augen mit schmerzhafter Schärfe auf sich ruhen.

"Wenn man ganz unten ist, kann es nur noch aufwärts gehen", sagte er leise. "Ich habe alles verloren, meine Frau, meinen Job, meine Freiheit ...."

"Keegan!", brüllte es in seinem Kopf. "Achte auf deine Worte!"

"Keine Angst", winkte dieser ab.

"Sparks ist ein guter Beobachter! Er muss nicht noch mehr erfahren."

"Hast du Angst, großer Magier?", höhnte Keegan "Du kannst ihn doch verzaubern."

"Lass uns doch das Kriegsbeil begraben", lenkte der Jandun auf eine andere Schiene. "Was möchtest du jetzt am liebsten? Du hast einen Wunsch frei."

"Einen Gin!"

Eine Hand legte sich schwer auf Keegans Schulter. "Daschir? Diese Phasen geistiger Abwesenheit. Kommunizieren Sie mir Ihrem Kontaktmann?"

"Nein", antwortete Keegan kurz. "Mein Name ist Keegan Mosley."

Sparks legte den Kopf schief, was ihm Ähnlichkeit mit einem Raben gab. "Wissen Sie, warum ich zum FBI gegangen bin? Ich liebe Geheimnisse!"

"Oh nein!", widersprach Keegan. "Sie sind der strahlende Ritter, der den Drachen tötet und die jungfräuliche Prinzessin befreit. Nur bei mir werden Sie Pech haben. Wenn Sie den Drachen töten, geht die Prinzessin ebenfalls drauf. Und die ist schon lange keine Jungfrau mehr." Eben brachte das Band seine Tasche und er ergriff den Henkel.

"Jetzt werden Sie mich nie mehr los." Ein kaltes Grinsen lag auf Sparks' Gesicht.

Keegan spürte wie Daschir zu einer geharnischten Rede ansetzte und sich wieder zurücknahm. "Du wirst uns alle noch ans Messer liefern", seufzte der Jandun resignierend.

"Oder retten. - Kriege ich jetzt meinen Gin?"

Jetzt zog sich der Magier so weit zurück, dass ihn Keegan nicht mehr wahrnehmen konnte. Inzwischen hatte Sparks ein Taxi gefunden.

Velten stieg als Erster ein. "Welches Hotel können Sie uns empfehlen?", fragte er. "Es sollte möglichst unauffällig sein, aber in der Nähe unseres Zielgebiets liegen."

"Keine Sorge." Der Agent ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und gab eine Adresse an.

Vor einem schmalen, hellblauen Haus hielt das Taxi an. Ein weiß emailliertes Schild, das schon bessere Tage gesehen hatte, wies auf die Bestimmung des Gebäudes hin. Sparks ging vor den beiden in das kleine Foyer des Hotels.

"Hallo, Mr. Sparks!", wurde er von einem weißhaarigen Mann mit einer gewaltigen Hakennase begrüßt. Offenbar hatte der FBI-Mann seine Profession vor dem Hotelier verborgen. "Was kann ich für Sie tun?" Ein breites Lächeln enthüllte einen zahnlosen Mund über den sich die Nase wie ein Riegel schob.

"Ich brauche zwei Zimmer für die Herren." Erstaunt registrierte Keegan den warmen Ton in Sparks Stimme.

Der alte Mann glitt zu einem Schlüsselbrett und nahm zwei Schlüssel herunter. "Im ersten Stock links die erste und die zweite Tür." Die Hand, die Schlüssel auf die Theke legte, hatte nur drei Finger.

Als Keegan einen davon an sich nahm, sah er dass der Mann in einem Rollstuhl saß. Eine kleine Decke lag über seinem Schoß und darunter gab es keine Beine. "Wie können wir Sie erreichen?", wandte er sich an den Agenten.

Blitzschnell erschien eine Karte zwischen den sehnigen Fingern. "Hier, aber nur im Notfall. Ich muss zuerst meinem Vorgesetzten berichten. Auch werde ich nachforschen, warum der Gefangene entfliehen konnte. Dann melde ich mich wieder."



Mit grimmigem Elan trat der FBI-Mann hinaus auf die Straße. Das Taxi hatte wie angeordnet auf ihn gewartet und brachte ihn jetzt zum Edgar Hoover-Building. Die untergehende Sonne färbte die Wolken an den Rändern rosa, doch der schlanke Mann achtete nicht darauf. Während er sich vom Lift in den dritten Stock bringen ließ, überlegte er, was er seinem Chef sagen sollte. Er kannte Direktor Garson seit er vor elf Jahren seinen Dienst hier angetreten hatte. Schon immer hatte er den streng rational ausgerichteten Verstand dieses Mannes bewundert, der trotzdem immer noch ein offenes Ohr für gewagte Theorien hatte. Doch was würde er zu Besuchern aus einer anderen Dimension sagen, die noch dazu mit Magie arbeiteten?

Unauffällig suchten seine Augen die Ohren der ihm begegnenden Beamten nach einem Blauen Ring ab, konnten aber keinen entdecken. Erst als er vor dem Schreibtisch von Mrs. Jones, der Sekretärin des Direktors, stand, legte sich ein harter Zug um seinen Mund. Unter den kurzen, blonden Locken leuchtete es blau. Bei genauerem Hinsehen erkannte er silberne Ohrringe mit großen, blauen Steinen. Diese Schmuckstücke hatte keine Ähnlichkeit mit dem Blauen Ring, den er Mirson abgenommen hatte. Der Zauberring war durchgehend blau gewesen. Ob es ein Stein oder Metall war, hatte er damals nicht feststellen können.

Sie wirkte ein wenig verunsichert, fand er. Aber bevor er sie darauf ansprechen konnte, sagte sie: "Sie können gleich hinein gehen, Agent Sparks!" und beugte sich schnell über ein Schriftstück.

Nach kurzem Zögern öffnete er die Tür und betrat das Büro. Wie angewurzelt blieb er nach dem ersten Schritt stehen und starrte auf das Namensschild am vorderen Rand des Schreibtischs. 'Assistant Director Baker'. Er hob den Blick und sah in die dunkelblauen Augen eines hünenhaften, blonden Mannes mittleren Alters.

"Direktor Garson hat eine Herzattacke erlitten und liegt im Krankenhaus. Ich werde ihn vertreten bis er wieder gesund ist." Ohne Pause fuhr der Mann fort: "Ich bin über Ihren Fall vorzüglich informiert. Nehmen Sie Platz, Agent Sparks, und berichten Sie."

Verschlossenen Gesichts ließ sich Sparks auf den Besucherstuhl sinken. Dabei versuchte er nicht auf den Blauen Ring zu starren, der an Bakers linkem Ohr hing. "Ich bin ... äh, überrascht", versuchte er Zeit zu gewinnen. "Direktor Garson schien so unverwüstlich gesund zu sein. Meines Wissens war er aktiver Sportler. Jogging, Tennis, Karate ..." Er schüttelte bedauernd den Kopf. "In welchem Krankenhaus liegt er denn?"

"Könnten wir uns vielleicht auf die Arbeit konzentrieren?", fuhr ihn der Otkon scharf an. "Wo haben Sie das Mädchen hingebracht?"

"Ich? Nirgends! Ich weiß nicht, wo sie ist", antwortete Sparks wahrheitsgemäß. "Sie wurde von ihren Verwandten abgeholt während ich einen Indianer vernahm."

"Sie war eine wichtige Zeugin. Warum haben Sie sie nicht nach Washington geschickt. Wir hätten sie sicher besser schützen können. Oder stehen Sie bereits unter dem Einfluss dieses Alkoholikers?"

Der scharfe Ton des Fremden ärgerte Sparks. Aber er ließ sich nichts anmerken. "Keegan Mosley trinkt nicht mehr. Er hat sich als sehr hilfreich erwiesen." Jetzt hielt er die Zeit für eine Gegenattacke für gekommen. "Was ist aus meinem Gefangenen geworden? Den konnten Sie offenbar nicht festhalten."

"Geflohen", erklärte Baker kurz. "Berichten Sie. Was ist in Eau Claire passiert? Das war ja nicht gerade ein Ruhmesblatt in Ihrer Karriere. Sie waren wohl zu gutgläubig bei den Rothäuten."

"Es war eine Fehlinformation, die ..."

"... die dem Steuerzahler ein Menge Geld gekostet hat." Der Hüne fletschte große, weiße Zähne. An einem Vorderzahn war eine Ecke abgesplittert. "Ich hätte gute Lust, Ihnen den Fall zu entziehen und einen fähigeren Agenten einzusetzen. Haben Sie schon an die Möglichkeit gedacht, dass es sich um eine Stammesfehde unter den Indianern handeln könnte? Es müssen nicht immer die bösen Weißen gewesen sein."

Kalte Wut stieg in dem FBI-Mann auf. Was war hier geschehen? Direktor Garson hätte ganz anders reagiert. "Ich arbeite seit mehr als einem Jahr an diesem Fall. Die Verhaftung des Anführers der 'Fackel der Freiheit' war mein größter Erfolg. Wie konnte er fliehen?"

"Erzählen Sie mir keine alten Kamellen!" wehrte Baker ab. "Was haben Sie die ganze Zeit in Wisconsin gemacht? Die schöne Gegend bewundert? Oder haben Sie mit Mr. Mosley Parties gefeiert?"

Sparks Gesicht lief dunkelrot an. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. "Ich werde Ihnen einen detaillierten Bericht zukommen lassen", quetschte er hervor. "Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen." Steif richtete er sich auf und wollte hinaus gehen.

"Sie bekommen einen neuen Partner", hielt ihn Baker an der Tür zurück.

"Ich hatte nie einen Partner. Hat Ihnen Direktor Garson nicht gesagt, dass ich einen Sondervertrag habe? Ich arbeite immer allein." Schnell verließ er den Raum und sah sich einem untersetzten, rothaarigen Typ gegenüber, dessen quadratisches Gesicht vor lauter Sommersprossen fast braun wirkte. Auch an seinem Ohr hing ein Blauer Ring.

"Hallo, Partner!", redete ihn der Mann leutselig an und streckte ihm eine fleischige Pranke hin. "Ich bin Tom Benson."

"Schön für Sie, aber ich habe schon Assistant Director Baker gesagt, dass ich immer allein arbeite und daran wird sich nichts ändern." Seine Stimme klang wie klirrendes Eis. Zackig wandte er sich ab und erhaschte noch ein hilfloses Schulterzucken von Miss Jones. Tief in Gedanken strebte er seinem Büro zu. Dort erwartete ihn die nächste Überraschung. Eine kräftig gebaute Blondine wühlte eifrig in seinem Aktenschrank.

"Was machen Sie da?", fuhr er sie scharf an. "Wer hat Ihnen erlaubt, meine Akten einzusehen?"

Erschrocken richtete sie sich auf und drehte sich blitzschnell um. Mit einem einzigen Blick erfasste Sparks den Blauen Ring in ihrem Ohr und die Beule unter dem linken Ärmel ihrer Kostümjacke. "Ich bin Shelly Dobson, Ihre neue Sekretärin, Sir." Ihr Lächeln wurde von einem Augenaufschlag Ihrer langen, künstlichen Wimpern begleitet. "Ich wollte mich nur informieren, damit ich Ihnen optimal dienen kann."

"Wo ist Miss Keller?", knirschte Sparks. Wie weit war das FBI noch von Otkon unterwandert?

"Miss Keller wurde zum Drogendezernat versetzt." Sie setzte sich zur Schreibmaschine und sah ihn erwartungsvoll an. "Ich bin bereit. Sie können mir Ihren Bericht diktieren." Eine Wolke teuren Parfums wehte zu ihm herüber.

"Berichte schreibe ich immer selbst. Hat Ihnen das Miss Keller nicht gesagt? Außerdem ist es bereits fünf Uhr vorbei. Dienstschluss!"

"Äh ... nein. Ich habe mit ihr nicht gesprochen", stotterte das Mädchen jetzt leicht irritiert.

"Das hätten Sie besser tun sollen, wenn Sie mir optimal dienen wollen." Mit großen Schritten stürmte er aus dem Zimmer. Er fand seine frühere Sekretärin in einem Großraumbüro zwei Stockwerke höher.

Ein kleines Lächeln glitt über ihr Mausgesicht als sie ihn erblickte. "Wie geht es Ihnen, Agent Sparks?" Das war ihre Begrüßung seit mehr als acht Jahren gewesen. Sparks fühlte sich plötzlich zu Hause.

"Danke, Miss Keller. Warum wurden Sie versetzt?" Obwohl er sie mit drei anderen Agenten teilen musste, hatte sich doch im Lauf der Jahre eine freundschaftliche Beziehung entwickelt.

Ihre kleinen, dunklen Augen huschten aufmerksam durch den Raum. Dann beugte sie sich vor. "Hier sollen drei Angestellte mit Drogen aus der Asservatenkammer gedealt haben", flüsterte sie ihm zu. "Aber ich glaub's nicht. Millie und Ralph sind schon zu lange hier um ihre Pension aufs Spiel zu setzen. Und Sarah ist einfach zu dumm dazu. Da steckt etwas Anderes dahinter. Ich verstehe auch nicht, warum die Vertretung für Direktor Garson aus South Dakota geholt wurde. Haben Sie eine Ahnung?"

Ein blonder Schopf hob sich über einen Monitor und dunkelblaue Augen starrten zu den Beiden. Sparks wunderte sich schon gar nicht mehr über den Blauen Ring am Ohr der Beamtin.

"Miss Keller, Sie haben eine Pause verdient", sagte er laut. "Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?"

Lächelnd stand sie auf und langte nach ihrer Krücke. "Gern, Agent Sparks."

Nebeneinander ging das ungleiche Paar in Richtung Kantine. Der schmächtige Agent und die kleine, grauhaarige Frau mit dem verkürzten Bein. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er diese tüchtige Kraft mochte.

Fast kam er sich wie ein Verschwörer vor als er ihr an dem abgeschabten, grauen Tisch gegenüber saß. "Sie können mir helfen. Ich glaube auch, dass hier einiges nicht stimmt."

Ihre Mausaugen leuchteten auf. "Ja?"

"Als erstes möchte ich wissen, in welchem Krankenhaus Direktor Sparks liegt."

Wieder nickte sie. "Direktor Garson liegt im Hadley Memorial Hospital. Weiter."

"Und dann möchte ich die Personalakte von allen Angestellten, die kürzer als drei Monate hier arbeiten. Ja, und vielleicht können Sie auch eruieren, wer sie angefordert hat."

"Wissen Sie auch, was Sie da von mir verlangen?", wandte sie ein.

"Ich weiß es", bestätigte er ernst. "Am wichtigsten wären mir die Akten von Baker und dieser Shelly Dobson, die meine neue Sekretärin sein will. Sie hat in meinen Akten geschnüffelt."

Miss Keller rümpfte angewidert die kleine, spitze Nase. "Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielen Dank für den Kaffee."

"Ich gehe nach Hause und Sie sollten das auch tun, Miss Keller", riet er mit einem schiefen Lächeln. Eben war eine Küchenkraft an ihm vorbeigegangen und auch sie trug einen Blauen Ring im Ohr.

"Ach, Agent Sparks, ich habe noch einige Briefe zu schreiben. Agent Hillman wird sehr ungehalten sein, wenn sie morgen nicht auf seinem Schreibtisch liegen." Sie kniff ein Auge zu und machte sich auf den Weg.

Sparks nahm den Fahrstuhl nach unten. Die Dämmerung war hereingebrochen als er das Haus verließ. Mit einem tiefen Atemzug versuchte er all die merkwürdigen Erlebnisse in den Hintergrund zu drängen. Eine sanfte Brise zauste sein sandblondes Haar. Der Abendverkehr verstopfte die Straßen Washingtons, aber der Agent roch nur den Duft von Jasmin aus einer nahen Parkanlage.



Inzwischen hatten sich Velten und Keegan in ihren Hotelzimmern einigermaßen eingerichtet. Daschir hatte eine Verbindungstür zwischen den Räumen magisch entriegelt. Dann hatte er wieder Keegan die Kontrolle überlassen.

"Was machen wir jetzt?", fragte Velten und prüfte die Federung seines Bettes.

"Daschir ruft nach seinem Kontaktmann. Wir könnten mal kurz in die Bar gehen." Vorsichtig lauschte er in sich hinein. Schon erwartete er einen scharfen Protest, aber der Jandun war anderweitig beschäftigt.

Mit einer Mischung aus Triumph und Schuldbewusstsein bestellte er sich einen doppelten Gin. Gewohnheitsmäßig stürzte er das erste Glas in einem Zug hinunter und bestellte gleich ein zweites. Nur am Rande registrierte er, dass vor Velten ein Glas mit Orangensaft stand. Er setzte den zweiten Drink an und der Gin floss in seinen Magen. Doch anstatt angenehme Wärme und Wohlbehagen auszulösen entfachte er ein höllisches Feuer. Keuchend schnappte er nach Luft während Tränen in seine Augen schossen. Von Daschir kam ein wütender Impuls in dem eine gehörige Portion Schadenfreude schwang. Jetzt wurde Keegan auch noch übel. Harte Hände schoben ihn durch rote Schleier. Gerade als sich sein Magen umstülpte, wurde sein Kopf nach vorne gedrückt. Dann brach das Chaos mit allen apokalyptischen Reitern über ihn herein. Nach einer für ihn endlosen Zeit kauerte er erschöpft neben einer Toilette. In seinem Kopf schien sich eine Wolfsmeute um sein Gehirn zu streiten.

"Geht's wieder?", fragte Velten, der neben ihm an der Wand lehnte, und schob einen Arm unter Keegans Achsel.

Nachdem er vergeblich nach einem Zeichen von Verachtung in dem Gesicht des Otkon gesucht hatte, versuchte er zu antworten. Doch außer einem Ächzen brachte er nichts heraus. So ließ er sich einfach hochziehen und in den Waschraum schleifen. Kaltes Wasser spritzte in sein Gesicht und brachte ihn wieder zu sich. Keegan war nicht sehr erbaut darüber. Sein Kopf schien sich zu mehrfacher Größe aufzublähen und das Wolfsrudel bekam Junge. Nun verknotete sich auch sein Magen. Auf Gummibeinen stand er vor dem Waschbecken und stierte in das bleiche Gesicht mit den rot geränderten Augen im Spiegel. Sein langes, braunes Haar hing wild um seinen Kopf und verschlimmerte sein Aussehen noch.

"Du legst dich besser hin", entschied der Otkon und trug ihn mehr als er ihn führte die Treppe hinauf.



Am nächsten Morgen hatte sich das Wolfsrudel in einen tollwütigen Rehpinscher verwandelt. Keegan fühlte sich schwach wie ein Greis. Fürs erste war es ihm unbegreiflich, dass der Gin so eine verheerende Wirkung auf ihn hatte.

"Hast du deine Pillen vergessen?", kam Daschirs höhnische Erinnerung. "Was glaubst du, warum du die nehmen sollst? Jetzt weißt du wenigstens, wie sie wirken."

"Warum hast du mich nicht gewarnt?!", stöhnte Keegan vorwurfsvoll.

"Hättest du auf mich gehört?"

Nein, Daschir hatte recht. Er war so versessen auf einen Gin, da hätte ihn nichts zurückhalten können. Warum hatte er das nur getan? Er wollte doch nie wieder trinken!

"Du wolltest Daschir eins auswischen", meinte Velten und stellte eine dampfende Teetasse und einen Teller mit einigen Scheiben Zwieback auf Keegans Nachttischchen.

Kamillentee, sagte Keegans Nase. Das Gebäck ignorierte er, denn nach essen war ihm sicher nicht zumute. Aber den Tee trank er in kleinen Schlucken. Danach war ihm ein wenig besser. Sein Groll auf den Jandun war um die Hälfte geschwunden. "Hast du deinen Kontaktmann gefunden?", fragte er Daschir.

"Ja und nein. Niari und seine Frau hatten hier einen kleinen Tabakladen. Sie wurden vor einer Woche ermordet. Es sah wie ein gewöhnlicher Raubüberfall aus. Apria hat sich als Schwester Niaris und einzige Erbin ausgegeben und wird ihn jetzt weiter führen." Keegan konnte den Schmerz in der Gedankenstimme fühlen und wieder löste sich ein wenig seiner Abneigung auf. "Ich hab die Adresse nicht mitgekriegt, weil der Alkohol meine Kräfte neutralisierte. Wenn es dir besser geht, werde ich es erneut versuchen."

Wo blieben die Vorwürfe, die Strafpredigt? Er hätte sich besser gefühlt, wenn der Jandun ihn beschimpft hätte. Dieses Schweigen tat ihm viel mehr weh als alle Schelte es könnten. Nie wieder, schwor er sich, wirklich nie wieder. Er brauchte keine Pillen mehr, denn er würde es auch ohne sie schaffen.

In diese Gedanken klopfte es an seiner Tür. Velten öffnete und ließ den FBI-Agenten herein.

"Was ist denn mit Ihnen passiert, Mosley?", fragte dieser erschrocken. "Hat man sie zusammengeschlagen?"

"Das habe ich selbst gemacht", gab er grimmiger Selbstironie zu. "Zwei doppelte Gin und das ist das Ergebnis. Jetzt weiß ich, wie meine Pillen wirken." Er versuchte ein Lächeln, doch es wurde nur eine jämmerliche Grimasse. Vergeblich suchte er nach Zeichen von Verachtung in den Zügen des Beamten

"Ich habe eine nette Geschichte für Sie", versprach Sparks mit sanfter Stimme und stahlhartem Blick. "Vielleicht fühlen Sie sich danach besser." Dann erzählte er, was er am Tag zuvor im Hauptquartier des FBI erlebt hatte. "Das HQ ist in allen Abteilungen von Otkon unterwandert. Nun, was meinen Sie, Velten? Sind das Ihre Leute oder die Bösen?" Es war keine Antwort nötig.

"Was wollen Sie jetzt tun?", fragte der Otkon statt dessen.

"Ich werde meinen Chef im Krankenhaus besuchen. Mr. Mosleys Anwesenheit wäre mir dabei sehr wichtig gewesen. Doch das scheint mir im Moment wohl nicht möglich."

"Ich gehe mit", erklärte Keegan und setzte sich auf. Das Zimmer drehte sich ein wenig, kam aber bald wieder zum Stillstand. Wieder lauschte er auf einen Vorwurf Daschirs, doch der Jandun blieb still. Er zwang sich zu seinem täglichen Gymnastikprogramm und wartete auf ein Lob. Auch das blieb aus. Zuerst war er verärgert und verletzt. Doch während er unter der Dusche stand, kam ihm die Erkenntnis. So lange er von Lob oder Tadel abhängig war, war er wie ein unselbständiges Kind.

"Willkommen in der Welt der Erwachsenen", meldete sich jetzt der Magier.



Das Hadley Memorial empfing sie mit der professionell flüsternden Stille, die Krankenhäuser eigen war. Eine Schwester, deren Gesicht und helles Haar so vollkommen mit der Schwesterntracht verschmolz, dass Keegan sie sofort wieder vergaß, wies ihnen den Weg zu Direktor Garsons Zimmer. Sparks' Lippen pressten sich zusammen als er das Schild 'Intensivstation' las.

"Mr. Garson ist nicht ansprechbar. Dr. Hydeman konnte keine organischen Schäden feststellen. Wenn er durch einen Schock ins Koma gefallen ist, ...." Den Rest ließ der blonde Pfleger in der Luft hängen. Dabei spielte er mit einem der Ringe, die sein linkes Ohr zierten. Kein einziger davon war blau.

Die Drei atmeten unisono verhalten auf. Nach Sparks' Erzählung hatte Keegan schon befürchtet, auch hier den Fackelträgern zu begegnen.

Während Sparks und Keegan den Anblick der Geräte, an die der Patient angeschlossen war, mit gemessener Sorge hinnahmen, löste er bei Velten blankes Entsetzen aus.

"Was macht ihr bloß mit euren Kranken?!", rief er aus. "Wie soll dieser Mann je wieder gesund werden, wenn all diese Drähte und Schläuche in ihm stecken?"

Mit katzenhafter Geschmeidigkeit fuhr Sparks herum. Doch der Pfleger hatte das Zimmer schon verlassen. "Diese Geräte halten ihn am Leben", erklärte er ruhig und beugte sich über seinen Chef.

Der Bewusstlose hätte Sparks' Vater sein können. Der Gesichtsschnitt, das von Grau durchsetzte, sandfarbene Haar, auch die gerade Nase und der schmale Mund ähnelten dem FBI-Mann.

"Und Baker hat etwas von Herzattacke gesagt!", murmelte dieser.

"Lass mich mal ran, Keegan!" Sanft schob sich der Jandun in den Vordergrund. "Hier riecht's nach Magie!"

"Ich dachte, du kannst nicht zaubern, wenn ich etwas getrunken habe", wandte Keegan ein.

"Es stimmt, dass mich der Alkohol schwächt. Aber du bist nicht mehr so schwach wie am Anfang. Da erhole ich mich schneller. Ich will es auf jeden Fall versuchen."

Bereitwillig zog sich Keegan zurück. "Dieser Mann liegt unter einem Bann", erklärte Daschir dem Agenten.

Sparks' Brauen zogen sich ein wenig zusammen. "Jetzt muss ich Sie wohl wieder Daschir nennen, hab ich Recht?"

"Wie Sie meinen", brummte der Jandun unwirsch. "Wollen Sie mich analysieren oder etwas für Ihren Chef tun?"

Er wartete kaum auf das frostige Nicken des Agenten. Sanft legte er die Rechte auf die Brust des Patienten und flüsterte ein Wort der Macht. Sogleich sprühten helle Blitze aus seinen Fingerspitzen und rollten als strahlende Kügelchen über den reglosen Körper. Ein tiefer Atemzug hob die Brust des Mannes. Mit einem Sprung war der FBI-Mann beim Beatmungsgerät und schaltete es aus. Dann rannte er auf den Gang hinaus und rief nach einem Arzt. Keegan hielt inzwischen die Hände Garsons fest, der nach der Nadel in seiner Vene tasten wollte.

Mit fliegendem Arbeitsmantel kam ein grauhaariger, rundlicher Arzt zur Tür herein. "Was ist passiert?" Die Frage war rein rhetorisch, denn er stürzte sich förmlich auf seinen Patienten. Als Erstes entfernte er die Nadel.

"Würden Sie bitte draußen warten", bat ein Krankenschwester, die ihm gefolgt war. "Mr. Garson muss gründlich untersucht werden."

Widerstrebend verfügte sich das Trio aus den Gang.

"Er kommt zu sich", begann Sparks. "Was haben Sie gemacht, .... äh, oder besser, was hat Daschir gemacht, Mosley?" Ein schiefes Lächeln begleitete diese Worte. "War das Magie?"

"Sie sagen es", bestätigte Keegan.

"Können Sie mit Daschir kommunizieren?", kam die nächste Frage.

"Du hast dich verraten", flüsterte Daschir. "Wie willst du dich da heraus winden?"

"Mit der Wahrheit", entgegnete dieser und wandte sich an Sparks. "Halten Sie mich für schizophren?"

"Haben Sie einen besseren Vorschlag?" Der FBI-Mann hob die schmalen Schultern. "Mich wundert bald gar nichts mehr."

"Die Jandun haben die Gabe, ihre Persönlichkeit im Augenblick des Todes auf eine andere Person zu übertragen. Ich habe Daschir sterbend gefunden, nachdem ihn Mirson mit seinem Truck platt gewalzt hat." Ein resignierender Seufzer kam von dem Magier, sonst kein Ton.

Der Blick der kühlen, grauen Augen bohrte sich in Keegans braune. "Heißt das, Sie teilen Ihren Körper mit dem Jandun?" Nachdenklich sein Kinn reibend ging er auf und ab. "Das würde einiges erklären. Ihre plötzliche Abstinenz, Ihre Reisetätigkeit .... Machen das alle Jandun?"

"Ja, so bleibt das Wissen erhalten. Seth Miller ist der älteste Jandun, auch wenn sein Körper jung ist."

Mit einer Mischung aus Mitleid, Interesse und einem Schuss Anerkennung musterte der FBI-Mann sein Gegenüber. "Und der Jandun ist immer der Stärkere, stimmt's? Er kann die Persönlichkeit des Wirts unter Kontrolle halten."

Darauf gab Keegan keine Antwort, doch seine Miene erzählte einen ganzen Roman.

"Warum suchen sich die Jandun gerade Indianer als Wirte? Sie könnten doch unter der weißen Bevölkerung untertauchen", fuhr Sparks fort.

"Das sind keine Indianer. Sie sehen nur so ähnlich aus. Normalerweise geht der Wechsel von Jandun zu Jandun. Ich war eine Notlösung."

"Ich würde mich zu gerne mal mit Ihnen beiden gleichzeitig unterhalten", sinnierte Sparks grinsend.

Keegan bleckte die Zähne. "Glauben Sie mir, keiner von uns ist glücklich über dieses Arrangement. Daschir ist im Moment k.o. Der Alkohol schwächt seine Magie und mit diesem Heilzauber hat er sich vollends verausgabt."

Sparks setzte zu einer weiteren Frage an. In diesem Moment ging die Tür auf und der Arzt kam heraus. "Ist er wach?", schoss ihn Sparks gleich an.

"Ja .. ja." Stirnrunzelnd schüttelte Dr. Hydeman den Kopf. "Seit einer Woche haben wir alles versucht .. Ich verstehe das nicht." In sich hinein murmelnd ging er den Gang hinunter.

Ohne ein weiteres Wort stürmte der FBI-Agent in das Zimmer. Garson saß aufrecht in seinem Bett und ließ sich widerstrebend von einer Krankenschwester ein frisches Nachthemd überziehen. Jetzt roch es nach Desinfektionsmitteln. "Ah, Agent Sparks!", rief er. Keegan erkannte, dass die Ähnlichkeit mit seinem Untergebenen nur oberflächlich war. Lebhafte, blaue Augen und auch die Mimik gaben dem Gesicht einen ganz anderen Charakter. Genervt schob er die Hand der Schwester von sich. "Bringen Sie mir lieber meine Kleider. Ich fühle mich pudelwohl."

"Dr. Hydeman möchte noch ein paar Tests mit Ihnen machen, Mr. Garson. Sie wollen doch nicht, dass Sie wieder ...."

"Ich will nur raus!", nörgelte Garson. "Es wartet eine Menge Arbeit auf mich. - Agent Sparks! Befreien Sie mich von dieser Person! Wer sind diese beiden Herren? Schicken Sie sie hinaus. Ich muss mit Ihnen etwas Wichtiges besprechen. Da gibt es eine sehr heiße und mysteriöse Sache, auf die ich erst kürzlich, wann war denn das nur?, na kurz bevor ich ins Koma fiel, gestoßen bin."

"Diese Herren haben etwas mit der Sache zu tun", erklärte Sparks sanft. Dann erzählte er die ganze Geschichte. Direktor Garson hörte aufmerksam bis zum Ende zu.

"Na, da bin ich aber gespannt, was der dazu sagt", meldete sich Velten telepathisch, der die ganze Zeit wortlos an der Wand gelehnt hatte.

"Wir werden ja sehen", meinte Keegan ebenso. Automatisch wartete er auf einen Kommentar von Daschir. Doch der Jandun ließ nichts verlauten. Keegan lauschte in sich hinein. Bestürzt erkannte er die Schwäche und den Schmerz des Magiers. "Warum hast du nie gesagt, dass dir der Alkohol Schmerzen bereitet?"

"Ich habe eben auch meinen Stolz", klang es schwach in seinem Kopf. "Außerdem, hätte dich das zurück gehalten?"

Inzwischen hatte Sparks seinen Bericht beendet. Minutenlang herrschte Stille. Von Garsons Gesicht konnte man nicht ablesen, was er dachte. Schließlich schürzte er die Lippen. "Das ist die wildeste Geschichte, die Sie mir je aufgetischt haben. Auch wenn ich keine große Hoffnungen habe, muss ich Ihnen die Gretchenfrage stellen. Haben Sie Beweise?"

Eine hilflose Geste war die Antwort. "Mr. Mosley und Mr. Harris können meine Worte bestätigen, Sir."

Die säuerliche Miene Garsons war Antwort genug. Da sprang Velten in die Bresche. "Vielleicht glauben Sie mir", sagte er. "Können Sie mal die Tür sichern, Agent Sparks? Daschir ist noch ziemlich groggy von der Heilung. Er hat Sie aus dem Koma geholt, Sir."

Ein Hoffnungsschimmer glomm in Sparks Augen als er sich vor die Tür stellte. Zugleich fixierte er Velten neugierig. Der Otkon zeichnete einen Kreis in die Luft. Zischend entstand ein magisches Tor.

"Was ist das?", stieß Garson hervor.

"Ein Tor nach Jahanda. Ich bin gleich wieder da." Lächelnd trat er in das gleißende Flimmern und war verschwunden.

"Diesen Trick haben Sie mir noch nie präsentiert", meinte Garson trocken. "Wo ist er hin?" Suchend sah er sich um.

Es dauerte etwa fünf Minuten, dann trat Velten wieder aus dem Tor. In seiner Begleitung war ein verschwitzter Jugendlicher, der starke Ähnlichkeit mit ihm hatte. In der Hand hielt der Junge ein hölzernes Schwert. Bekleidet war er mit einer zerrissenen Tunika und Halbstiefeln. Auch an seinem Ohr hing ein Blauer Ring. Stöhnend rieb er sich die rechte Schulter. "Ich hätte ihn abwehren können, wenn du nicht dazwischen gekommen wärst!", rief er vorwurfsvoll.

"Deine Deckung war durchlässig, Fabin. Aber es sah schon viel besser aus - Meine Herren," wandte er sich an die Anwesenden. "Das ist mein ältester Sohn Fabin. Ich habe ihn von seinem Fechttraining weggeholt um Ihnen die Wahrheit von Agent Sparks' Worten zu beweisen."

"Wenn die Jandun hier alle in so hässlichen Räumen wohnen müssen, wundert es mich nicht, dass sie zurück kehren wollen", warf Fabin ein, der sich neugierig umgesehen hatte.

"Wie haben Sie das gemacht?", forschte Garson.

Velten tippte gegen sein Ohr. "Geh wieder zu deinem Training." Ein kräftiger Schubs beförderte seinen Sohn durch das Tor. Flackernd erlosch die Erscheinung. "Glauben Sie es jetzt?"

"Hm. Jahanda scheint eine rückständige Welt zu sein", überlegte der Direktor.

"Das würde ich nicht sagen. Wir sind nur einen anderen Weg gegangen."

Die Tür schlug gegen Sparks' Rücken. Knurrend trat er zur Seite und ein Krankenpfleger schob einen kleinen Wagen mit verschiedenen medizinischen Utensilien herein. Eine auffordernde Kopfbewegung veranlasste die Drei wieder das Zimmer zu verlassen. Sie hörten nur noch wie der junge Mann sagte: "Ich brauche nur ein wenig Blut und eine Harnprobe, Mr. Garson."

"Sie haben einen bemerkenswerten Chef", sagte Keegan bewundernd.

"Das können Sie laut sagen, Mosley", gab Sparks zu. "Jeder andere hätte mich längst gefeuert."

"Und er glaubt Ihnen alles, was Sie ihm erzählen?" Keegan konnte es nicht fassen.

"So einfach ist es nicht. So lange ich Ergebnisse erziele, lässt er mich arbeiten. Und ohne Beweise läuft gar nichts. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Velten. Diese Vorstellung wird Direktor Garson eine Weile beschäftigen."

Sie mussten nicht lange warten, da kam die Schwester wieder heraus. Sparks drängte sich so ungestüm an ihr vorbei, dass er fast ihren Wagen umgestoßen hätte. Garson stand neben dem Bett und schloss eben seinen Gürtel. Er überragte seinen Untergebenen um gute 10 cm.

"Wo können wir unser weiteres Vorgehen besprechen?" Er schlüpfte in sein Jackett und marschierte aus dem Zimmer. "Das HQ ist nicht sauber und meine Wohnung ist auch denkbar ungeeignet."

"Mein Hotelzimmer", bot Velten an.



Garson wartete bis der Kellner die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit spitzen Fingern nahm er sich ein Sandwich von der reich bestückten Platte. Er hatte sich ebenfalls ein Zimmer gemietet und nach zwei Stunden heftiger Diskussionen waren alle erschöpft. Daschir hatte sich die ganze Zeit nicht gemeldet und Keegans Kopf dröhnte wieder. Draußen war längst die Nacht hereingebrochen. Jedes mal wenn vor dem Fenster die Lichtreklame eines Kinos aufleuchtete, schien sich ein Messer durch seine Schädeldecke zu bohren.

Velten hatte die Übergabe der Verbrecher gefordert sobald sie festgesetzt wären. Doch die FBI-Beamten hatten dieses Ansinnen vehement zurückgewiesen.

"Fangt sie doch selber!", hatte Velten erbost geknurrt. "Mit dem Blauen Ring können sie nicht nur jederzeit entwischen. Sie ..."

"Was ist denn das jetzt wieder?", fuhr ihm Sparks dazwischen. "Langsam bin ich es leid, dass Sie mir immer nur ein Häppchen vorwerfen!"

Wortlos nahm Keegan den Blauen Ring aus der Hosentasche und hielt ihn gegen Sparks' Ohr. "Hören Sie endlich auf zu streiten. Ich will ins Bett!", dachte er so intensiv er konnte.

Sparks' Reaktion war bühnenreif. Wie von einer Feder geschnellt sprang er auf und starrte Keegan mit schreckgeweiteten Augen an. "Haben Sie das gesagt, Mosley?"

"Das macht der Blaue Ring." Damit reicht er ihm das magische Werkzeug.

Die Hand des Agenten zitterte leicht als er den Ring gegen sein Ohr drückte. "Ist das Telepathie?", hörte Keegan eine neue Gedankenstimme.

Von Velten kam ein telepathisches Lachen in dem eine gute Portion Verwunderung schwang. "Ich hätte nie gedacht, dass der Blaue Ring auch den Menschen gehorcht."

"Einige Menschen haben eine natürliche Begabung für Magie und Agent Sparks ist offenbar einer davon", meldete sich nun Daschir.

"Sehen Sie, Agent Sparks!", rief Keegan dazwischen. "Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung. Jetzt haben Sie uns beide am Rohr!"

Da geschah etwas, das weder Keegan noch Velten dem FBI-Mann je zugetraut hätte. Ein breites Grinsen ließ Sparks' Gesicht plötzlich zehn Jahre jünger aussehen. "Dass ich das erleben darf!", dachte er und erschrak sofort. "Oje, die hören ja alles mit!"

Velten und Keegan brachen gleichzeitig in lautes Lachen aus. Die beiden FBIs ähnelten einander wieder. Beide hatte den gleichen verwirrten Ausdruck im Gesicht.

Garson runzelte verärgert die Stirn. "Was ist denn los?", verlangte er zu wissen.

Sparks verwandelte sich in Sekundenbruchteilen wieder in den coolen Agenten. "Diese Ringe ermöglichen eine telepathische Unterhaltung. Versuchen Sie es doch, Sir!"

Der Direktor sah zweifelnd auf das kleine Ding. Nur zögernd hielt es ans Ohr. Nacheinander sendeten Velten, Keegan und Daschir einfache Sätze. Doch Garson war nicht fähig etwas zu empfangen. Ab und zu glaubte er ein Murmeln zu hören, doch das war auch schon alles. Keegan nahm den Ring wieder an sich. Es war Sparks anzusehen, dass er damit nicht einverstanden war. Seine Miene sagte: "Aufschoben ist nicht aufgehoben!"

Schließlich löste sich die Gesellschaft auf. Als Keegan zu Bett ging, sah er die Schachtel mit seinen Pillen am Nachttisch liegen. Sie war noch mehr als halb voll. In gut drei Wochen würde sie leer sein. Dann wollte er es ohne Pillen versuchen.



Vier Augenpaare starrten auf die Papiere, die den kleinen Tisch in Garsons Zimmer bedeckten. Sparks hatte die drei frühmorgens mit ungebremstem Elan geweckt. Miss Keller war im Morgengrauen zu ihm gekommen um ihm die gewünschten Ausdrucke zu bringen. Ungeduldig war er im kleinen Foyer des Hotels auf und ab gerannt bis alle gesellschaftsfähig waren. Erfreulicherweise fühlte Garson keine üblen Nachwirkungen des Komas. Langsam begann er zu glauben, dass unerklärliche Kräfte an seinem Zustand schuld waren.

"William Baker ist vor drei Wochen aus dem Nichts entstanden. Das Gleiche gilt für Agent Tom Benson. Shelly Dobson wurde vor sechs Jahren im Einsatz erschossen. Ja und da haben wir noch Lisa Green im Drogendezernat, Jane Porter in der Kantine und Bill Tucker als Bürodiener", resümierte Sparks. "Diese sechs Personen wurden in den letzten drei Wochen neu eingestellt. Benson, Dobson und Green wurden von Baker angefordert. Porter und Tucker kamen über das Personalbüro und Baker .... keine Ahnung, wo der herkam."

Velten beugte sich über die Dokumente. Jede Personalakte war mit einem Foto versehen. Nacheinander tippte er auf die Bilder von Baker, Benson, Dobson, Green und Porter. "Datis, Banos, Cinna, Kallia und Repa. Den sechsten kenne ich nicht. Sie sollten sich geehrt fühlen, Agent Sparks. Ihre neue Sekretärin ist Mirsons Schwester und seine rechte Hand", sagte er mit süffisantem Grinsen.

Sparks zog eine Grimasse. Die Demonstration mit dem Blauen Ring schien etwas in ihm gelockert zu haben. Jedenfalls kam er Keegan nicht mehr so steif und kalt vor. "Hab ich gesagt, dass ich sie mochte?", brummte er und schob die Akten zusammen.

"Ich gehe mit Ihnen", erklärte Velten und streckte seinen mächtigen Körper.

"Das ist keine gute Idee", wandte der Agent ein. "Die Fackelträger kennen Sie doch."

"Es wird wohl am besten sein, wenn wir alle zusammen gehen", warf Daschir ein. Auf ein sanftes Zeichen hatte ihm Keegan die Kontrolle übergeben. "Ich kann ihn so tarnen, dass ihn nicht einmal seine Mutter mehr erkennen würde." Ein paar gemurmelte Worte und wo eben noch Velten gestanden hatte, lag eine Krawatte, graublau gemustert, genau wie die, die Sparks bereits trug.

"Nun machen sie schon", drängte die Krawatte mit Veltens Stimme säuerlich. "Ich erwürge Sie schon nicht."

Zögernd griff der FBI-Mann nach dem Binder während sein Vorgesetzter nur sprachlos starren konnte. Mit spitzen Fingern untersuchte er das Kleidungsstück. Am Etikett an der Rückseite hing der Blaue Ring. "Ihr Ohr ist von Boss", bemerkte er mit grimmigem Humor. Die Krawatte brummte nur ärgerlich.



Eine halbe Stunde später traten die Drei im dritten Stock des Hoover-Buildings aus dem Lift. Hier trennten sich ihre Wege. Garson strebte seinem Büro zu während Sparks und Keegan die andere Richtung nahmen.

Eine Tür öffnete sich und ein kleiner, grauhaariger Mann kam heraus, einen Stoß Akten unter dem Arm. Er war noch nicht weit gekommen, da tönte es: "Warten Sie, Tucker! Nehmen Sie das auch noch mit!" Ein hagerer Mann stand an der Tür und winkte mit einer dünnen Mappe. "Hallo, Sparks!", rief er als der Agent an ihm vorüberging. "Noch immer am Ball?"

"Hi, Mitchell!" antwortete Sparks. "Ich bin hart dran!" Die kurze Unterhaltung hatte etwas rituelles an sich. Die neugierigen Blicke, die der Kollege auf Keegan warf, ignorierte er.

Die Krawatte flüsterte: "Sie können Tucker vergessen. Der ist kein Otkon."

Sparks räusperte sich heftig, doch Mitchell schien nichts gehört zu haben. Schnell trat er mit Keegan in seinen Arbeitsraum und drückte die Tür ins Schloss. Zwei erschreckte Gesichter wandten sich den beiden Männern zu. Miss Dobson, oder besser Cinna, und Agent Benson, der eigentlich Banos hieß, standen vor Sparks' Aktenschrank und rund um sie war der Fußboden mit verstreuten Schriftstücken bedeckt.

"Wenn Sie das unter tatkräftiger Unterstützung verstehen, haben Sie ganze Arbeit geleistet", sagte der Agent trocken.

Keegan bewunderte wieder einmal die Beherrschung des schmächtigen Mannes. Ganz ruhig stand er da, mit unbewegtem Gesicht.

Die beiden Otkon wechselten verlegene Blicke. Dann hob die Frau hochmütig das Kinn. "Direktor Baker wollte über den Stand Ihrer Ermittlungen unterrichtet werden. Agent Benson bot mir seine Hilfe an. Aber hier ist nichts zu finden."

"Ja, das Alphabet ist für manche Menschen eine unüberwindliche Hürde", pflichtete ihr Sparks bei. "Bringen Sie bitte Kaffee für Mr. Mosley und mich, aus der Kantine."

Die Fackelträgerin sah ihn entgeistert an.

"Ist das ein Problem für Sie?", fragte Sparks scharf.

"Nein .... äh, Sir", stotterte sie und verließ zögernd den Raum.

Mit einem humorlosen Lächeln wandte er sich an Benson. "Und Sie können schon mal Ihren Teamgeist beweisen. Heben Sie das auf!"

"Wir wollten sowieso alles wieder in Ordnung bringen", versicherte der Otkon und ließ sich auf ein Knie nieder.

Darauf hatte Sparks nur gewartet. Mit einem schnellen Ruck riss er dem Rothaarigen den Blauen Ring aus dem Ohr und trat ihm gleichzeitig gegen die Hüfte. Trotz der Überraschung rollte sich Benson geschickt ab, hakte einen Fuß um Sparks' Knöchel und brachte den Agenten so zu Fall. Schon rollten die beiden ringend über den Boden.

Keegan beobachtete den Kampf aufmerksam und wartete auf seine Chance zum Eingreifen. Ein sanfter Druck machte ihn auf Daschir aufmerksam. "Lass mich mal, Keegan." Bereitwillig übergab dieser ihm die Kontrolle. Weiße Blitze fuhren aus Keegans Fingerspitzen und trafen Bensons Kopf und Nacken. Der Fackelträger zuckte heftig und blieb dann verkrümmt liegen.

Als wäre das eine Selbstverständlichkeit erhob sich Sparks und strich seinen Anzug glatt. "Binden Sie mich ab!", rief die Krawatte. "Ich bringe ihn gleich weg."

Nach kurzem Zögern leistete der Agent der Aufforderung Folge. Die Seide fiel zu Boden und schon stand Velten von ihnen. Seine Rechte beschrieb einen Kreis während er sich Benson über die Schulter warf. Mit einem fauchenden Geräusch entstand ein Tor. "Ich bin gleich wieder da", versprach Velten und trat durch den schillernden Kreis.

"Was hat Sie zum Umdenken bewogen?", wollte Daschir wissen. "Sie wollten doch die Verbrecher Ihrer Gerichtsbarkeit zuführen."

Die Andeutung eines Lächelns spielte um die schmalen Lippen des Agenten. "Ich habe mich dafür entschieden, die Fackelträger abzuschieben. Schließlich bin ich kein Idiot."

Ein Klopfen an der Tür ließ die Drei aufsehen. Die beiden Männer spannten sich. Sparks war in Kampfstellung gegangen und fixierte die Tür mit gefletschten Zähnen. Daschir hatte sich wieder zurückgezogen. In geduckter Haltung huschte Keegan hinter die sich öffnende Tür. Da entspannte sich der Agent.

"Lassen Sie's gut sein, Mosley", sagte er. "Direktor Garson ist auf unserer Seite."

Bei diesen Worten trat der Direktor ein. Sein Blick fiel auf Sparks offenen Kragen. Schnell holte der Agent seine eigene Krawatte hervor. "Baker ist geflohen!", sagte er mit verkniffener Miene. "Ich sah nur noch ein Schillern ... ja, genau so wie das! Dann war er weg." Seine ausgestreckte Hand deutete auf das Tor, das sich eben gebildet hatte.

Velten trat durch und ließ es durch eine Handbewegung wieder verschwinden. "Banos sitzt im Kerker", meldete er zufrieden. "Er nannte sich hier Benson."

"Baker ist geflohen", informierte ihn Sparks. "Das bedeutet wohl, dass die anderen feindlichen Agenten zumindest alarmiert sind. Es war wohl ein Fehler, Miss Dobson in die Kantine zu schicken." Ärgerlich biss er sich auf die Lippen.

Als wäre dies das Stichwort, ging die Tür auf und eine Bedienung aus der Kantine kam mit einem Tablett herein. Der Duft von frischem Kaffee breitete sich im Zimmer aus. Verwirrt sah sie von einem zum anderen. "Soll ich noch zwei Tassen bringen, Sir?", fragte sie schüchtern.

"Halt mal die Hand über die Tassen", befahl Daschir seinem Wirt. Keegan tat es widerspruchslos. Ein seltsames Vibrieren entstand in ein seinem Kopf, ein Zeichen, dass Daschir seine Magie aktivierte. "Wer ins Koma fallen will, soll den Kaffee ruhig trinken", kam alsbald die Meldung des Jandun.

"Wer hat den Kaffee gemacht?", fragte Keegan das Mädchen.

"Oh, das war Jane. Was ist damit?" Vor Verwunderung wurden ihre blauen Augen groß.

"Vielleicht könnte Jane noch zwei Tassen zubereiten?"

Äh ... Jane ist vorhin weggegangen. Sie hat einen Anruf bekommen und dann rannte sie los. Ich kann Ihnen auch Kaffee kochen, wenn Sie wollen." Verunsichert stieg sie von einem Fuß auf den anderen.

"Nein, danke. Wir haben's auch eilig", antwortete Sparks statt Keegan und schob das Mädchen zur Tür hinaus. Während Keegan mit ihr beschäftigt war, hatte er telefoniert. "Die Otkon haben zwei Kinder entführt", sagte er mit tonloser Stimme. "Sie wollen sie gegen Velten und Daschir austauschen."

Alle Augen richteten sich auf den Agenten. "Das FBI dealt nicht mit Verbrechern." Das war Garson und aus seiner Stimme klang unbeugsame Härte.

"Ich weiß", gab Sparks ruhig zu und hob eine Tasse. Keegan schlug sie ihm aus der Hand. Die Tasse fiel zurück auf das Tablett und der Kaffee spritzte über den Schreibtisch. Die vorbildliche Ordnung des Agenten hatte plötzlich große, braune Flecken.

"Was soll denn das?!", wurde Keegan angefahren.

"Wenn Sie ins Koma fallen wollen, können Sie sich ja bedienen", klärte ihn dieser auf.

Sparks' Wangenmuskeln arbeiteten. "Ich verstehe. Wem habe ich zu danken?"

Keegan grinste schief. "Uns beiden. Daschir hat die Kontaminierung festgestellt und ich hab Ihnen auf die Finger geklopft."

Ein kurzes Stirnrunzeln, dann wandte sich der FBI-Mann zum Gehen. "Ich muss weg."

"Wir begleiten Sie", erinnerte ihn Velten.

"Der Kaffee muss im Labor untersucht werden", meinte Garson und griff nach dem Tablett.

"Vergessen Sie's. Magie ist chemisch nicht nachweisbar", belehrte ihn Keegan und folgte den beiden Männern.



"Ist es nicht unlogisch, Sie einschläfern zu wollen und gleichzeitig ein Treffen zu vereinbaren?", fragte Keegan während der Lift sie ins Erdgeschoss brachte.

"Parallel laufende Pläne", erklärte Velten. "Sie greifen uns an und testen zugleich unsere Stärke."

"Ich hätte es nicht treffender sagen können", bemerkte Sparks knapp. Nun ging eine Veränderung mit ihm vor. Keegan fühlte, wie sich der Mann noch mehr als sonst verschloss. Die Art, wie er seine Waffe prüfte bevor er losfuhr, schien ihn in eine Aura von Kälte und Unnahbarkeit zu hüllen. Eherne Entschlossenheit sprach aus dem starren Blick der grauen Augen und den zusammen gepressten Lippen.

Die Fahrt verlief schweigend. Sparks lenkte den Wagen ruhig durch den Mittagsverkehr Washingtons, über die Pennsylvania Avenue Richtung Georgetown. Dort hielt er vor einem verwahrlosten, dreistöckigen Gebäude an. An der schief in den Angeln hängenden Tür lehnte die Beamte aus dem Drogendezernat.

"Kallia!", sagte Velten nur. Dabei lag eine gehörige Portion Abscheu in seiner Stimme.

"Wo sind die Kinder?", fragte Sparks kalt.

"Kommen Sie", forderte sie die Männer spöttisch auf. "Es war klug von Ihnen, auf unsere Forderung einzugehen. Geben Sie mir Ihre Waffe, vorsichtshalber. Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen." Sie streckte die Hand aus und Sparks legte widerstrebend seine Pistole hinein. Mit schwingenden Hüften ging sie voraus. Die Waffe steckte sie in den Bund ihres kurzen, engen Rockes. In einem großen Raum, der wohl früher als Speisesaal eines Restaurants gedient hatte, fanden sie den Rest der Bande. Die Theke und einige Tische und Stühle waren noch vorhanden, wenn auch morsch und verstaubt. Und inmitten seiner Getreuen stand - Mirson.

"Nun kämpfst du schon gegen Kinder, Mirson!", rief Velten. "Die Königin wird dich dafür hängen lassen!"

Sparks Brauen hoben sich einen Millimeter. Dann erfasste sein Blick die Kinder. Hand in Hand standen sie in einer Ecke, bewacht von Repa alias Jane Porter und dem falschen Direktor. Es waren ein zehnjähriges Mädchen und ein achtjähriger Junge. Beide hatten sandblondes Haar und graue Augen. Die Züge des Mädchens waren weicher und ihr langes Haar tat sein Übriges, doch der Junge war einfach eine kleinere Ausgabe von Sparks. Keegan hörte die Zähne des FBI-Agenten knirschen. Die Halssehnen traten wie straff gespannte Seile hervor als er das Kinn vorschob. Aus seinen Augen blitzte der blanke Hass. Einen Schritt hinter der Tür blieb er stehen, flankiert von Velten und Keegan.

"Schicken Sie die Kinder zu mir. Dann können wir verhandeln", forderte er gefährlich ruhig.

"Zuerst wollen wir Daschir und Velten", konterte Mirson.

"Die Kinder!", knurrte Sparks stur.

"Nun." Der Führer der Fackelträger legte den Kopf schief. "Eigentlich sind wir nur an Daschir interessiert. Ihren zu groß geratenen Schoßhund brauchen wir gar nicht." Er gab Repa ein Zeichen. Daraufhin tippte die Otkon dem Mädchen mit einem Finger gegen die Stirn und das Kind sank lautlos zu Boden. "Du hast nichts zu fordern, Mensch!", spuckte Mirson verächtlich aus.

"Gwyneth!" Der Schrei kam von Sparks und dem Jungen gleichzeitig.

Dann ging alles blitzschnell. Sparks brüllte: "Hinlegen, Lance!", bückte sich und zog eine kleine Pistole aus einem Knöchelhalfter. Augenblicklich begann er zu schießen. Der Angriff erfolgte so plötzlich, dass Repa und Baker getroffen stürzten bevor die anderen Otkon reagieren konnten. Der Junge lag flach am Boden und schützte seinen Kopf mit den Armen. Dabei schrie er aus Leibeskräften.

Keegan registrierte in dieser prekären Situation, dass Cinna, die falsche Sekretärin, ihr Make-up entfernt hatte. Nun sah ihr Gesicht grob und gewöhnlich aus. "Verrückt!", murmelte er und ging in Kampfstellung. "Das ist mein Kampf!", zischte Daschir und Keegan zog sich schnell zurück.

Inzwischen schoss Sparks unermüdlich weiter. Zwei Magazine hatte er schon leer geschossen. Er benutzte Tische als Deckung und versuchte so den Jungen zu erreichen. Doch jetzt prallten seine Kugeln wirkungslos von einer flimmernden Barriere ab. Daschir hob die Arme und stieß einen hohen Schrei aus. Die Barriere fiel in sich zusammen. Ein Wort der Macht folgte und die Otkon rangen gegen gummiartige Seile, die sich um ihre Körper wanden. Nicht lange, denn eine Geste Mirsons ließ sie zu Staub zerfallen.

Die kurze Zeit hatte dem Agenten aber genügt um seine Kinder zu erreichen. Jetzt rannte er mit dem Mädchen über der Schulter und dem Jungen an der Hand zur Tür. Ein gleißender Pfeil aus Cinnas Hand traf seine rechte Schulter, wirbelte ihn herum. In einem Knäuel aus Armen und Beinen kamen alle drei Flüchtenden zu Fall. Im nächsten Moment steckte ein Dolch in Cinnas Kehle. Die junge Frau rang krampfhaft nach Luft und brach in die Knie. Ein Strom von Blut stürzte über ihre Lippen als sie aufs Gesicht fiel.

Mirson erbleichte. "Cinna! Nein, du darfst nicht sterben!", schrie er verzweifelt. Eine kreisförmige Bewegung öffnete ein Tor. Kallia sprang als Erste durch. Mirson folgte, mit seiner toten Schwester auf den Armen. "Wir sehen uns am Dzil nchaa si an!", rief er noch, dann war auch er verschwunden. Zurück blieben nur die beiden Leichen.

Velten und Daschir sahen sich nach dem FBI-Mann um. Er lag still neben seiner Tochter am Boden, das Gesicht in ihrem langen Haar. Lance saß neben ihm am Boden und hielt seine Hand fest umklammert. Ein schwarzes Loch klaffte in der Schulter des Beamten. Es roch nach verbranntem Fleisch.

"Sie sind nicht tot, nicht wahr?", fragte Lance leise. Seine Lippen zitterten und langsam füllten sich seine Augen mit Tränen.

Daschir beugte sich über das Mädchen. Sie lag in einem magischen Schlaf und war unverletzt. Ein Wort der Macht brachte sie wieder zu sich.

Inzwischen schälte Velten verbrannte Stofffetzen von Sparks Schulter. "Es ist keine sehr schlimme Verletzung", versuchte er die Kinder zu beruhigen. Dabei warf er einen fragenden Blick auf Daschir.

Dieser legte eine Hand auf die unversehrte Schulter und murmelte etwas. Schon kurz danach richtete sich der FBI-Mann stöhnend auf. Die Kinder drückten sich an ihn und brachen nun in heftiges Weinen aus. Etwas verlegen streckte er den gesunden Arm aus. "Helfen Sie mir hoch. Die Kinder müssen nach Hause", sagte er ruhig.

"Ihre Wunde muss versorgt werden", erinnerte ihn Keegan.

"Das hat Zeit, zuerst kommen die Kinder", entschied Sparks kurz. Aus abgerissenen Stoffstreifen seines Hemdes ließ er sich einen provisorischen Verband machen. Velten setzte sich ans Steuer des Wagens und ließ sich von Sparks zu ihrem Hotel lotsen.

Im Foyer saß wie immer der alte Mann in seinem Rollstuhl. Seine Stirn legte sich in besorgte Falten als er Sparks' bleiches Gesicht sah. "Soll ich einen Arzt rufen, Mr. Sparks?", bot er an.

"Nein, es ist nur ein Kratzer. Ein wenig Verbandzeug vielleicht. Rufen Sie bitte meine Frau an. Sie soll die Kinder abholen und einen frischen Anzug mitbringen." Und zu seinen Kindern gewandt sagte er: "Ihr bleibt jetzt bei Mr. Eiseman."

Die beiden hatten sich wieder beruhigt und gehorchten sofort. Velten nahm von dem alten Mann einen Erste-Hilfe-Kasten in Empfang. "Nehmen Sie nur, was Sie brauchen, Mr. Harris", sagte dieser dazu.

Auf Keegans Zimmer wurde Sparks sofort wieder der beherrschte FBI-Mann. "Was ist passiert nachdem ich getroffen wurde?", wollte er wissen während Keegan ihm den Verband abnahm. Die Wunde blutete nicht. Es war einfach ein verbranntes Loch im Fleisch. An den Rändern klebten verschmorte Stoffreste. Mit einer Pinzette aus dem Verbandskasten zupfte Keegan sie ab. Ein gelegentliches Keuchen zeigte ihm, dass die Prozedur nicht schmerzfrei war. Endlich war die Wunde sauber. Wie selbstverständlich übernahm Daschir die Kontrolle. Seine Finger woben ein Netz von goldenen Linien über der Verletzung. Langsam begann das Loch zuzuwachsen.

Velten gab inzwischen einen kurzen Lagebericht. "Mirson werden wir am Dzil nchaa si an wiedersehen. Er weiß offenbar, wo es die Jandun das nächste Mal versuchen werden", schloss er.

"Wo?", fragte Sparks.

"Am Mt. Graham in Arizona, dem heiligen Berg der Apachen", erklärte Daschir.


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