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JANDUN

Folge 5: ENTSCHEIDUNG AM DZIL NCHAA SI AN

von Susanne Stahr



Keegan sah hinaus auf die dicke Wolkendecke, auf der das Flugzeug zu schwimmen schien. Neben ihm saß Velten, dessen tiefe, regelmäßige Atemzüge anzeigten, dass er schlief. Der Dritte in der Sitzreihe war Sparks, hellwach und aufmerksam. Der FBI-Agent hatte wieder seinen eleganten Anzug gegen Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt getauscht. Keegan fand ihn in diesem Aufzug lockerer, umgänglicher. Ein Teil seiner Unnahbarkeit war mit dem Anzug in Washington geblieben. Noch einmal ließ Keegan die Ereignisse der letzten Tage revue passieren. Dass Velten eine Familie in Jahanda hatte, war für ihn leicht nachvollziehbar. Aber Sparks? Auf ihn hatte der FBI-Agent immer so asketisch gewirkt. Ein blitzsauberes Junggesellenappartement,

in dem vorbildliche Ordnung herrschte. Das hatte er ihm im Geist zugeschrieben. Aber Kinder? Nun ja, es waren außergewöhnlich disziplinierte Kinder, kein Wunder bei so einem Vater.

"Ich hatte auch einen Sohn", ließ sich Daschir hören.

"Du hattest? Ist er tot?"

"Nein, er ist Träger uralter Jandunweisheit. Das hat ihn so verändert, dass er jetzt ein Anderer ist. Sosto war mein Sohn."

"Oh!" Das war alles, was Keegan dazu einfiel. Nun machte es auch Sinn, dass sich Daschir dem obersten Jandun nicht so bedingungslos unterwarf wie die Anderen.

"Ich bin der Einzige, der keine Kinder hat", ging es ihm durch den Kopf. Sein Alkoholexzess im Hotel kam ihm wieder in den Sinn, hässliche Szenen. Es war reiner Trotz, dass er wieder getrunken hatte, wider alle Vernunft. Heiße Scham trieb ihm das Blut ins Gesicht. Er drehte den Kopf zum Fenster und hoffte, dass Sparks nicht in seine Richtung sah.

"Wir sind alle nur Menschen", meinte Daschir tröstend.

"Du nicht."

"In unserer Fehlbarkeit sind wir auch nicht anders." Es klang ein wenig müde. Keegan sandte einen dankbaren Impuls und lehnte sich entspannt zurück. Die Morgensonne ließ die Tragflächen der Maschine glitzern. Noch mehr als eine Stunde bis Tucson. Vielleicht konnte er noch ein wenig schlafen.



In Tucson stand schon ein vollgetankter, graugrüner Jeep für sie bereit. Ein junger Jandun übergab ihnen die Schlüssel und verschwand im Gewühl der Reisenden bevor Daschir noch etwas sagen konnte.

"Wollen Sie fahren?", fragte Sparks. "Dann könnte ich Sie lotsen. Ich war schon einmal in der Gegend."

Lächelnd nickte Keegan und setzte sich auf den Fahrersitz. "Was ist eigentlich aus meinem Wagen geworden?", fragte er Daschir lautlos.

"Steht in einer Garage. Mit dem Jeep sind wir besser dran. Ich wollte meine Magie nicht für Reparaturen verschwenden", gab dieser bereitwillig Auskunft

"Sie müssen zuerst den Highway 10 nehmen", brach der FBI-Mann in das lautlose Gespräch, worauf sich Keegan in den Verkehr einordnete.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle. Je höher die Sonne stieg, umso heißer wurde es. Hinter den Rücksitzen des Jeeps befand sich ein winziger Kühlschrank mit einer Batterie Wasserflaschen. Gegen Mittag war die Hälfte davon leer. Trotzdem hatte Keegan ein ausgedörrtes Gefühl im Mund. Ihre Fahrt ging durch wüstenartiges Flachland, in dem nur ab und zu ein Saguaro-Kaktus aufragte. Zwischen den Steinen wuchsen flechtenartige Gewächse, die nun vertrocknet und zerknüllt am Boden klebten. Erst einer der seltenen Regengüsse würde ihnen Leben einhauchen. Dann richteten sie sich auf und verwandelten die Wüste in ein Blütenmeer. Keegan sehnte sich nach einem Regenguss, doch die Sonne brannte unbarmherzig aus einem azurblauen Himmel.

Als sie in Swift Trail, einer kleinen Ortschaft nahe dem Mt. Graham Rast machten, kam ein junger Mann in einer frisch gebügelten Polizeiuniform auf sie zu.

"Sie kommen von Tucson? Wohin wollen Sie?"

"Nach Norden", antwortete Sparks als er sah, dass sich Keegan und Velten eingehend mit den Resten auf ihren Tellern beschäftigten.

"Wir hatten ein Erdbeben. Die Straße nach Thatcher ist unterbrochen. Sie werden zurückfahren müssen und eine andere Route nehmen."

"Wir haben einen Geländewagen." Sparks wies auf den Jeep vor dem Lokal.

"Das wird Ihnen nichts nutzen. Es hat einen Erdrutsch gegeben. Kehren Sie um", ließ der Cop nicht locker.

"Ein Erdrutsch im Flachland!" Ein Lächeln Marke 'Antarktis' traf den jungen Mann. "Das müssen wir uns unbedingt ansehen."

Kleine Schweißtropfen erschienen auf der Stirn des Polizisten, obwohl der Laden klimatisiert war. "Ich muss Sie bitten, Sir ..." begann er.

Plötzlich lag Sparks' Ausweis aufgeklappt auf dem Tisch. "Halten Sie andere Leute auf, Deputy. Wir haben einen Auftrag."

Das junge Gesicht verlor ein wenig an Farbe. "Ja, Sir", sagte er unsicher und verließ das Lokal.



Es machte Keegan nicht glücklich, sich wieder auf den aufgeheizten Sitz zu setzen. Velten hatte große Schweißflecke unter den Achseln und roch auch dementsprechend. Auch Keegan schwitzte mehr als sonst. Nur Sparks behielt trotz der Hitze sein adrettes Äußeres. Wie machte er das nur?

Je näher sie dem heiligen Berg kamen, umso mehr fühlte Keegan Unruhe und Verunsicherung in Daschir wachsen. "Was ist los?", wollte er wissen. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug auf der Straße. Der Mt. Graham ragte in stummer Majestät vor ihnen auf.

"Ich fühle die Anwesenheit meiner Brüder und Schwestern. Aber sie antworten nicht." Sorge schwang in diesen Worten.

"Irritiert Sie etwas, Mosley?", fragte Sparks. "Was sagt Daschir?" Wieder bewies der FBI-Mann seine Einfühlsamkeit und Kombinationsgabe.

"Dass andere Jandun schon da sind, aber sie antworten nicht auf seinen Ruf", klärte ihn Keegan auf.

"Was kann das bedeuten?"

"Alles Mögliche. Vielleicht sind sie abgelenkt durch Gespräche. Vielleicht gibt es Probleme. Vielleicht schlafen sie. Ich weiß es nicht." Er hob die Hand vom Lenkrad. "Sehen Sie! Was kann der von uns wollen?"

Ein kleiner Mann in Jeans und weißem T-Shirt hatte sich vom Straßenrand erhoben. Als er auf die Fahrbahn trat, sahen die Drei eine Flinte in seiner Rechten. Mit ausgebreiteten Armen gebot er Keegan zu halten. Beim Näherkommen erkannte dieser an den hohen Backenknochen, den schwarzen Augen, den typischen Gesichtszügen einen Indianer. Es war kein junger Mann, wie die vielen Silberfäden in seinem langen Haar bewiesen. Keegan bremste ab und stieg aus.

"Das ist kein Jandun", flüsterte Daschir.

"Dachte ich mir schon", gab Keegan schnell zurück.

Das Gewehr lag locker in der Hand des Alten, eher eine Warnung als eine Drohung. "Hi!", grüßte er. "Wohin wollen Sie?"

Keegan hob grüßend die Hand. "Zum Mt. Graham. Wir treffen uns da mit Freunden. Gibt's ein Problem?"

"Der Mt. Graham ist bis Ende nächster Woche gesperrt." Er hob die Hand und der Lauf der Flinte drehte sich ein wenig auf den Jeep zu.

"Aber meine Freunde sind schon da", argumentierte Keegan.

"Wir haben Ihre weißen Freunde weggeschickt. Sie werden sie vielleicht in Swift Trail treffen", war die abweisende Antwort. "Kehren Sie bitte um. Bis Ende nächster Woche gehört der Mt. Graham den Indianern. Wir haben das Gesetz diesmal auf unserer Seite."

"Meine Freunde sind keine Weißen", erklärte Daschir scharf, der mit sanftem Druck die Kontrolle übernommen hatte.

Der Indianer hielt ihn sekundenlang mit den Augen fest. Dann holte er ein Handy vom Gürtel. "Wie ist Ihr Name?"

"Keegan Mosley", sagte Daschir, einer Eingebung folgend.

"Keegan Mosley", wiederholte der Alte. Dann sprach er in der singenden Sprache der Navaho in sein Telefon. "Nehmen Sie die Abzweigung links, zwei Meilen von hier. Sie werden dann in ein Camp kommen." Damit wandte er sich ab und setzte sich wieder an den Straßenrand. Ruhig nahm er einen Schluck aus einer Plastikflasche. Sein Blick ging in die Ferne. Den Jeep schien er vergessen zu haben.

"Wieder einer, der uns aufhalten will?", fragte Velten vom Rücksitz.

"Ja." Keegan schwang sich wieder hinter das Lenkrad. "Aber diesmal hat ein besonderes Zauberwort gewirkt." Zwei Paar helle Augen musterten ihn eindringlich. "Mein Name ... äh, ich meine, Keegan Mosley."

"Da bin ich aber gespannt", brummte der FBI-Mann trocken.

"Und ich erst", stimmte ihm Velten zu.



Zwanzig Minuten später löste sich das Rätsel auf. Die Abzweigung erwies sich als raue Piste, die den Reisenden zu der Hitze und dem harten Rütteln des Jeeps auch noch jede Menge Staub einbrachte. Hinter einer scharfen Kurve standen einige Wohnmobile im Schatten riesiger Saguaro-Kakteen. Einige Kinder, die auf der Piste gespielt hatten, liefen zu den Wagen. Kurz darauf erschienen drei Männer. Zwei von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet.

Keegan hielt den Jeep drei Wagenlängen von ihnen an und sprang heraus. "Tyndall! Was machst du denn hier?!", rief er dem Unbewaffneten zu.

"Du bist es wirklich, Starcatcher! Du siehst gut aus", lächelte der alte Sioux-Medizinmann. "Wer sind deine Freunde?"

"Das ist eine längere Geschichte. Wo können wir reden?"

Tyndall musterte zuerst Velten, dann Sparks. "Hier!" Seine Hand wies auf einen der Wagen. Das Innere war abgenutzt, aber gut gepflegt. Aus einem kleinen Kühlschrank holte er vier Limonadendosen und setzte sich an einen quadratischen Tisch. "Sag , was du zu sagen hast und dann geh wieder. In wenigen Tagen werden Schamanen aus ganz Nordamerika das Fest des Vollen Mondes feiern. Da wollen wir unter uns bleiben."

"Es geht um die Jandun", begann Keegan. "Das Verborgene Volk." Mit einer gehörigen Portion Ungeduld schob Daschir sich in den Vordergrund. "Kannst du dich an mich erinnern, Schamane? Ich bin Daschir, Oberster Magier der Jandun."

"Ich sehe dich", bestätigte Tyndall ruhig. "Wie geht es Keegan?"

"Besser als beim letzten Treffen." Er nahm einen Schluck Limonade. "Mein Volk wird zum nächsten Vollmond das Tor zu unserer Welt öffnen. Viele von uns sind schon da und es werden noch mehr kommen. Es wäre besser, uns nicht in die Quere zu kommen." Solch hochmütige Töne hatte Daschir schon lange nicht mehr von sich gegeben. Prompt kam von Keegan ein unwilliger Impuls.

Als äußere Reaktion richtete sich Tyndall ein wenig auf. Seine Züge verschlossen sich. "Dieser Vollmond gehört uns. Ich weiß nicht, wo deine Leute sind. Sag ihnen, sie sollen den nächsten Vollmond abwarten. Wir wollen auch keine Weißen hier haben, wenn wir unser Ritual feiern."

"Unsere Sache duldet keinen Aufschub", erklärte Daschir hart. "Wir haben 1000 Jahre auf eine Rückkehr in unsere Heimat gewartet. So kurz vor dem Ziel geben wir nicht auf."

"Spinnst du!", fuhr Keegan auf. "So kannst du nicht mit Tyndall reden! Er ist mein Freund!" Wütend schlug er nach dem Bewusstsein des Magiers und drängte ihn in den Hintergrund. "Ich bin Keegan", erklärte er dem Medizinmann die veränderte Lage. Dann gab er einen gerafften Bericht seiner Erlebnisse seit er Tyndall verlassen hatte. Obwohl es nur einige Wochen waren, kam es ihm wie Jahre vor. Je länger er sprach, umso mehr entspannte sich der Schamane. "Verstehst du jetzt, warum die Jandun so auf diesen Termin dringen?", schloss er.

"Ich verstehe das Problem der Jandun. Doch dieser Vollmond gehört uns. Es wird Jahre dauern, bis die Energie wieder so stark sein wird wie sie jetzt ist. Vielleicht ist es unsere letzte Chance. Die Regierung will ein Observatorium auf den Dzil nchaa si an bauen. Dann wird das Gelände abgesperrt. Die Apachen kämpfen gegen das Projekt. Aber du weißt ja, wie die Weißen mit unseren Rechten umgehen."

"Genau diese Energie wollen wir nutzen", flüsterte Daschir in Keegans Kopf.

"Warum können nicht beide Gruppen ihre Veranstaltungen abhalten?", mischte sich Sparks ins Gespräch. "Der Mt. Graham ist doch groß genug für alle."

Mitleidige Blicke aus drei Augenpaaren trafen ihn. "In diesem Falle nicht", widersprach Tyndall sanft. "Sprich mit dem Verborgenen Volk. Wir werden unsere Rechte mit allen Mitteln verteidigen." Unbewegten Gesichts stand er auf und öffnete die Tür des Campers. Wortlos erhoben sich die Drei ebenfalls.



"Wo sind deine Leute?", forschte Keegan lautlos während er den Jeep zurück zur Straße steuerte. Ein Impuls, vergleichbar mit einem 'Schscht!" ließ ihn schweigen. Gleich unsichtbaren Fühlern schickte Daschir seinen telepathischen Ruf aus. Deutlich war das Energiefeld des Berges zu spüren. Das Camp der Indianer präsentierte sich als gleißendes Leuchtfeuer und nur wenige Meilen entfernt pulsierte die samtig weiche Energie der Jandun. Automatisch übernahm Daschir die Kontrolle.

"Sie haben Ihre Freunde gefunden", stellte Sparks trocken fest und klammerte sich an den Haltegriff während er die Füße fest gegen die Bodenplatte stemmte.

Daschir hatte den Wagen scharf nach rechts gerissen und fuhr jetzt in einem Höllentempo querfeldein. Der Otkon knurrte unwillig. Grinsend drehte sich der FBI-Mann zu ihm um. "Halten Sie Ihr Mittagessen fest", wollte er scherzen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, sein Grinsen gefror. Velten hatte die Hände in die Lehnen der Vordersitze gekrallt und fletschte die Zähne, mächtige Zähne. So ein Gebiss mit den doppelten Fangzähnen hatte Sparks das erste Mal in St. Paul gesehen als er den Überfall auf das JandunMädchen Himna abgewehrt hatte. Mirson und seine beiden Begleiter, die er erschossen hatte, waren damit ausgestattet gewesen. Bei Velten hatte er solche Hauer noch nie gesehen. Seine Verblüffung dauerte nur Sekundenbruchteile, dann war er wieder der coole Agent. "Solche Beißerchen hab ich noch nie an Ihnen bemerkt", sagte er und das Grinsen kehrte ein wenig schief zurück. "Wie machen Sie das?"

"Ein Zeichen für die primitive Herkunft der Otkon", erklärte Daschir. "In Extremsituationen können sie diese Fänge ausfahren. Hab ich dich erschreckt, Velten?"

Fauchend zog der Gardeoffizier die Lippen über seine Zahnreihen. Zu Sparks größtem Erstaunen schrumpften auch die Eckzähne zu normaler Größe.

"Coole Sache", kommentierte Sparks und registrierte eine sanfte Röte in Veltens sommersprossigem Gesicht. Wie beiläufig wandte er sich wieder um.

"Du bist heute bemerkenswert einfühlsam", flüsterte Keegan bissig aus seiner Ecke. "Wenn du jetzt noch Sparks beleidigst, hast du alle durch."

Überraschung, Unsicherheit, Nachdenklichkeit und schließlich mildes Schuldbewusstsein. Diese Skala von Gefühlen erkannte Keegan an dem Jandun. Behutsam drang er in das Bewusstsein seines Symbionten ein. Eine wohlgeordnete, aber trotzdem bunte Welt öffnete sich ihm. Umfassendes Wissen, in der Hauptsache magischer Natur, nahm einen großen Teil ein.

Daneben gab es einen abgegrenzten Raum, in dem sich nur zwei große Bilder befanden. Eins zeigte Sosto, einen jüngeren Sosto mit weichen Zügen und verträumtem Blick. Vom anderen blickte ihn eine Frau an, ein wenig traurig, jedoch voll Liebe. Keegan fühlte einen schmerzhaften Stich. Amy hatte ihn auch so angesehen, damals als sie noch sein Kind trug. Später, nach der Fehlgeburt, nicht mehr. Schnell wandte er sich einem anderen Abschnitt von Daschirs Seele zu. Auf einer Wiese tummelten sich viele Jandun. Ein Teil der Menge war auf eigentümliche Art durchsichtig. Als er Mitglieder der Parker-Familie und Schorku, der am Harney Peak gestorben war, ausmachte, erkannte er, dass dies die Verstorbenen waren. Farel, Biru und Apria waren wesentlich körperhafter. Gerade als er einen Jandun ansprechen wollte, fühlte er sich von einer mächtigen Faust gepackt..

Eine Donnerstimme herrschte ihn an: "Verschwinde, du Wurm! Hier hast du nichts zu suchen!" Im nächsten Moment fand er sich in einem Winkel seines Seins wieder. Eine stählerne Klammer schien ihm die Luft abzuschnüren, obwohl sein Körper weiterhin den Jeep über Geröll und ausgedörrte Büsche steuerte.

"Wenn du mich umbringst, gehst du auch drauf", brachte er mühsam heraus.

Sofort ließ der Druck nach. "Mach das nie wieder!", stand in feurigen Lettern vor seinem geistigen Auge.

"Das ist wieder mal typisch! Du hast mich bis in die letzte Ecke durchleuchtet, aber wenn ich es mal mache, regst du dich auf!", gab er patzig zurück.

"Keegan!"

Er rührte sich nicht, kapselte sich ab. Wieder und wieder erklang der Ruf. Aber Keegan war nicht gewillt zu antworten.

"Keegan!" Nun schwang Bedauern, Unsicherheit und, für Keegan höchst überraschend, Angst in Daschirs Gedankenstimme. "Mein Volk steht vor einem Wendepunkt und ich weiß nicht, was aus mir wird, wenn alle nach Jahanda zurück kehren."

"Können wir nicht mitgehen?"

Ein freudloses Lachen klang auf. "Hast du nicht gesehen, was aus Sparks geworden ist? Und der ist ein sehr kräftiger, widerstandsfähiger Mensch. Vielleicht könnte es gelingen, ihn mit einem Blauen Ring nach Jahanda zu bringen, ohne dass er Schaden leidet. Aber das auch nur, weil er keinen Jandun in sich trägt. Dein Körper würde es nicht ertragen."

"Ich könnte doch auch einen Blauen Ring verwenden", schlug Keegan vor.

"Wenn's nur um Telepathie geht, kein Problem, aber bei einem derart starken Zauber wie einem Dimensionswechsel würde der Blaue Ring mich töten. Hast du schon vergessen, dass wir ohne den anderen nicht überleben können?" Daschir machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "Vor langer Zeit hat ein Mensch einen Jandun in sich aufgenommen und versucht, nach Jahanda zu wechseln. Was von ihm übrig blieb, passte locker auf einen Teelöffel."

Keegan fand keine Veranlassung darauf zu antworten. Wortlos übernahm er wieder die Kontrolle und ließ sich von Daschir zu dem Lager der Jandun lotsen.



Für Keegan war das Lager der Jandun eine Überraschung. Er hatte es sich versteckt in einer Höhle oder zumindest zwischen hohen Felsen vorgestellt. Nichts dergleichen bot sich ihnen. Einige Wohnwagen erinnerten an das Camp der Indianer. Kinder spielten zwischen den Fahrzeugen. Erwachsene saßen unter Sonnendächern und plauderten. Einige dösten. Kaum jemand schien von den Ankömmlingen Notiz zu nehmen. Erst als sie ausstiegen, versammelten sich einige vor dem Jeep. Keegan erkannte Farel, Horrid, Apria, Sosto, Biru und den Jungen, der Schorkus Wissen aufgenommen hatte.

"Du siehst gut aus, Daschir!", begrüßte Farel seinen Bruder. "Das hätte ich diesem jämmerlichen Körper gar nicht zugetraut."

Erstaunt fühlte Keegan, dass Daschir unangenehm berührt war. "Keegan hat hart gearbeitet. Ich allein hätte es nicht geschafft." Eine energische Handbewegung signalisierte, dass dieses Thema für ihn erledigt war. "Wir müssen beraten."

"Hier!" Eine einladende Geste Aprias lenkte sie unter ein großes Sonnendach. Dort herrschte angenehme Kühle. Velten und Sparks wollten ganz automatisch folgen. Doch eine Kette von jungen Jandun stellte sich ihnen in den Weg.

"Das geht nur Jandun an", sagte ein Mädchen, das wie sechzehn wirkte, tatsächlich aber erst vier Jahre alt war.

Keegan kämpfte Daschir so plötzlich nieder, dass dieser vor Überraschung ohne Gegenwehr wich. "Das sind meine Kampfgefährten!", rief er aus. "Wenn hier nur Jandun zugelassen werden, darf ich auch nicht dabei sein."

Eisige Stille breitete sich aus. Die Ratsmitglieder wechselten schnelle Blicke. Keegan ahnte, dass sie telepathisch kommunizierten ohne dass andere mithören konnten. Schließlich nickte Sosto und ließ die beiden an dem runden Campingtisch Platz nehmen. Ein wenig neidisch nahm Keegan die Würde wahr, die von diesen ungleichen Männern ausging. Würde er sich je so bewegen können? "Ich denke schon", flüsterte Daschir und schickte ein telepathisches Lächeln. "Jetzt bin ich wieder dran."

In knappen Worten berichtete nun Daschir von ihrer Unterredung mit Tyndall. "Die Indianer werden den Berg nicht kampflos räumen", schloss er.

"Gegen unsere Magie kommen sie nicht an", meinte Sosto kalt. "Wir können sie für eine Woche in Schlaf versetzen. Wenn sie wieder aufwachen, ist alles vorbei und wir sind in Jahanda."

"Wenn es Jahanda dann noch gibt", warf Velten trocken ein. Fast augenblicklich schnappte er nach Luft.

"Du hast hier keine Stimme!", grollte der Oberste Jandun und entließ ihn aus seinem magischen Griff.

"Er sagt, unsere Versuche lösen auf Jahanda Naturkatastrophen aus", gab Daschir zu bedenken. "Wir sollten diese Möglichkeit auch in Betracht ziehen."

"Das hieße, wir müssten unsere Forschungen von neuem aufrollen!", rief Horrid entsetzt.

"Wenn es uns dafür sicher nach Jahanda bringt, wäre es gerechtfertigt. Denkt an unsere Kinder!" Apria war aufgesprungen und stützte die Hände auf den Tisch.

"Setz dich, Apria!", gebot Sosto kühl.

Ein Bild blitzte in Keegans Geist auf. Sosto als kleiner Junge, wie er mit anderen Jandun-Kindern spielte, fröhlich, sanftmütig. Keegan verstand nun den Schmerz Daschirs. Sein Sohn musste sich gewaltig verändert haben.

"Vielleicht geben die Otkon uns die Schuld an den Fehlern, die sie selbst machen. Nur um unsere Rückkehr zu verhindern", vermutete Chandru.

"Eine Intrige der Otkon?" Farel schüttelte den Kopf.

"Tatsache ist, dass die Morde an unseren Brüdern und Schwestern erst begannen, nachdem wir ein Tor zu öffnen versuchten", erinnerte Daschir.

"Vielleicht ist ja doch etwas dran, dann habt ihr die ganze Zeit Mist gebaut." Keegan konnte es sich nicht verkneifen, auch seinen Senf dazu zu geben, wenn auch telepathisch. Ein überraschtes Murmeln war die Reaktion der Ratsmitglieder. Dann kam die Empörung der Jandun-Räte wie ein Sturm über ihn.

"Was erlaubt sich dein Wirt?", fasste Farel die Gefühle des Rats zusammen. Sekunden später machten alle betretene Gesichter. "Er hat ihn nicht unter Kontrolle!", erkannte Daschirs Bruder. Dann redeten alle durcheinander.

Der Duft von gebratenem Fleisch machte Keegans Mund wässrig. Einige Jandun hatten Feuer entzündet und kochten. Ein paar Wolken waren im Westen aufgezogen, die jetzt von der untergehenden Sonne rot gefärbt wurden.

"Ich habe Hunger", erklärte Keegan. Lass die doch streiten. Sehen wir mal, was es zu essen gibt." Unbekümmert stand er auf.

In diesem Moment krachte ein Donnerschlag über das Lager. Alle Jandun sprangen alarmiert auf. Die Kinder verschwanden blitzschnell. Keegan konnte nicht ausmachen, wohin. Ein gleißender Kreis entstand und daraus purzelte eine hagere Gestalt in einem langen schwarzen Gewand. Augenblicklich war der Ankömmling von Jandun umringt. Gurgelnde Laute kamen aus dem Kreis. Ungeduldig drängte sich Daschir zwischen den eng stehenden Leuten durch. Ein alter Mann lag am Boden und zappelte mit seinen dürren Armen und Beinen. Neben seinem Kopf mit dem langen, weißen Haar lagen einige dicht bekritzelte Seiten Papier. Das runzlige Gesicht war blau angelaufen. Schon traten die wasserblauen Augen aus den Höhlen als er qualvoll nach Luft rang.

"Stirb, Otkon!", kam der telepathische Befehl von den Jandun.

"Seid ihr verrückt!?", gellte Veltens Stimme. "Das ist doch Galba, der Ringwächter von Jahanda!" Rücksichtslos schlug er auf die Jandun ein. Mit dem Erfolg, dass er von einer unsichtbaren Kraft weg geschleudert wurde. Ächzend krachte er gegen einen der Wohnwagen. "Seht ihr nicht, dass er unbewaffnet ist?", quetschte er noch heraus.

"Ist Lynchen die übliche Praxis der Jandun?", erklang nun Sparks' Stimme, nicht besonders laut, aber dafür eiskalt und schneidend.

"Lasst ihn los!", befahl Daschir. "Ich will hören, was er zu sagen hat."

Zögernd lösten die Jandun den Bann. Velten drängte sich zwischen ihnen durch und half dem alten Mann auf die Beine.

"Meine Berechnungen", krächzte Galba und bückte sich nach den Papieren. "Ihr macht es uns wirklich nicht leicht", meinte er kopfschüttelnd. Mit der freien Hand griff er nach seinem Hals und zog an einer silbernen Kette. Ein schlichtes Amulett mit einem blauen Stein in der Mitte rutschte über seine Schulter. Dann ließ er es zu, dass ihn Velten zu einem Stuhl unter dem Sonnendach führte.

"Ein Glas Wasser für Meister Galba!", befahl der Gardeoffizier scharf. Als er die abweisenden Blicke der Jandun sah, fügte er sanfter hinzu: "Bitte!" Daraufhin entsprach eine junge Jandun seiner Bitte.

Galba nahm den Trunk dankend an und rieb sich die Gurgel. "Musstet ihr mich als Begrüßung gleich halb erwürgen? Der Übergang ist schon schlimm genug." Brummend begann er seine Papiere auf dem Tisch auszubreiten. Sein Zeigefinger fuhr über Symbole, Gleichungen und Diagramme. "Wo war denn das nur? Ich hab's doch hier gehabt .... also, das ist doch ...! Ah! Hier! Da ist es!" Der Finger stach in eine Reihe Gleichungen. "Beim Übergang in einer aktiven Phase der Energiekonzentration erhöht sich die Potenz der Expansion am Kulminationspunkt um das ...."

"Halt!", rief Sosto. "Zuerst will ich wissen, was dich zu uns führt."

"Das sage ich doch!" Er kniff die Augen zusammen und musterte den jungen Jandun mit dem alten Wissen. "So alt und so ungeduldig!", rügte er milde.

"Vielleicht beginnst du mal am Anfang", warf Daschir ein. "Was hast du da berechnet?"

"Die Kriterien für einen Übergang nach Jahanda. Ihr habt in den letzten 178 Jahren dreihunderteinundvierzig Male ein Tor nach Jahanda geöffnet und damit ..."

Die Jandun hatten sich um den Tisch geschart und riefen nun erregt durcheinander. "Was?" "Das war doch nicht Jahanda!" "Wir fanden nur Chaos!" "Dunkelheit war dort und Zerstörung!" "Mörderische Stürme und Feuersbrünste!"

Ein dröhnender Knall ließ die Menge verstummen. Alle wandten sich dem FBI-Mann zu, der seine rauchende Pistole gelassen in der Hand hielt. "Dieser Mann scheint eine wichtige Botschaft für euch zu haben. Warum lasst ihr ihn nicht sprechen?"

Der Ringwächter blinzelte Sparks an. "Bist du auch ein Gardeoffizier? Dich habe ich doch erst kürzlich am Hof der Königin gesehen! Du musst auf den nördlichen Inseln stationiert sein. Stimmt's?"

"Ich war einmal kurz in Ihrer Welt, Sir", antwortete der Agent ruhig. "Meine Heimat ist Amerika."

"Oh? Nun ja!" Auffordernd blickte Galba in der Runde. "Können wir jetzt zur Sache kommen?" Er strich eine der Seiten glatt.

"Vielleicht sollte zuerst der Hintergrund geklärt werden", schlug Velten vor. Als kein Widerspruch erfolgte, gab er das Wort an Galba .

"Unsere Forschungen haben ergeben," fuhr nun Galba fort. "dass sich in dieser Welt zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten eine bestimmte Art von Energie zusammenballt, die mit dem Mond in Verbindung steht."

"Das haben wir auch herausgefunden", bemerkte Daschir trocken.

"Warum habt ihr dann die Tore zu Zeiten destruktiver Ballungen geöffnet?" Galbas Augen suchten Sostos Blick und wanderten dann weiter zu Daschir.

"Destruktive Ballungen? Was soll denn das sein? Die Kraft des Vollen Mondes ist doch neutral!", wunderte sich der Jandun-Magier.

"Vielleicht stimmt das für diese Welt, aber nicht für Jahanda", dozierte Galba. "Die Macht

pendelt zwischen Vollmond und Neumond."


Keegan war dem Diskurs aufmerksam gefolgt. Ein wenig Schadenfreude regte sich, dass den eingebildeten Jandun-Magiern so ein schwerwiegender Denkfehler unterlaufen war. Doch dann dachte er an die vielen Opfer dieses Irrtums. Wie viele Otkon hatten deshalb ihr Leben lassen müssen? Bestürzung und Entsetzen malte sich auf den Gesichtern der Jandun. Auch Daschir vermittelte seinem Wirt diese Gefühle. Überdeckt wurden sie aber von tiefer Scham und dem Gefühl des Versagthabens.

"Wir haben nur den Vollmond beachtet. Wie konnte ich nur so blind sein!", flüsterte es in Keegans Kopf.

"Du hast eben nicht an das gedacht, was man nicht sieht", gab Keegan zurück.

"Ich hätte es wissen müssen", widersprach Daschir. "Sechshundert Jahre Forschung ist in mir vereint." Ein rastloses Suchen begann. Für Keegan schien Daschir wie ein Besessener durch ein Haus mit tausend Räumen zu rasen, auf der Suche nach einem Kragenknopf.

"Dieser Kragenknopf hat Tausende Otkon getötet!", knirschte Daschir. "Wie soll es je Frieden zwischen unseren Völkern geben, wenn wir solch unermessliche Schuld auf uns geladen haben?!"

"Es ist einer königlichen Gesinnung nicht würdig, auf Rache zu sinnen", bekräftigte Galba. "Für Krieg sind die Generäle zuständig. Doch erst wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sieht, stimmt die Königin einer Militäraktion zu."

Sparks' Gesicht war eine interessante Studie. Keegan amüsierte sich köstlich über die erstaunt aufgerissenen Augen des sonst so beherrschten Beamten. Als hätte er Keegans Gedanken gespürt, straffte sich der Agent und hob hüstelnd eine Hand vor den Mund.

"So waren die Königinnen vor dem Großen Krieg." Sostos Stimme zitterte bei diesen Worten. "Unter den gegebenen Umständen kann ich mir vorstellen, dass sie Mirsons Überfällen zugestimmt hat. Aber warum will sie jetzt verhandeln?"

"Die radikalen Fackelträger hielten ihre Pläne vor der Königin geheim. Die Königin hat nichts mit den Morden an Jandun zu tun." Galba hatte sich erhoben und gestikulierte heftig. "Einer von ihnen prahlte als er einiges über den Durst getrunken hatte, wie viele Jandun er schon getötet hätte. Das kam der Königin zu Ohren.

Also schickte sie Hauptmann Velten um die Wahrheit heraus zu finden. Durch Veltons Bericht wurde Mirson geächtet. Leider konnte er noch nicht dingfest gemacht werden. Die Königin hat mich geschickt um den Jandun meine Berechnungen nahe zu bringen und sie zu warnen. Mirson hat geschworen, die Jandun bei ihrem nächsten Ritual zu vernichten. Zu diesem Zweck hat er alle seine Getreuen mobilisiert. Er rechnet damit, dass ihr wieder zu Vollmond ein Tor öffnen wollt. Das würde diesmal ein Erdbeben hervorrufen, das unsere Hauptstadt verschlingen würde und damit auch die Königin. Mirson plant nach geschlagener Schlacht nach Jahanda zurück zu kehren und sich als König ausrufen zu lassen."


"Mirson wird ins Leere laufen", grinste Sosto was sein Gesicht ein wenig weicher erscheinen ließ, nur die Augen blieben kalt. "Wir wissen ja jetzt, wann wir ein Tor gefahrlos öffnen können."

"Wir werden den Mörder gebührend erwarten!", schrie Horrid drohend.

"Der Große Bann ..." Ungebändigte Rachsucht leuchtete aus Sostos Augen.

Keegan war dem Gespräch mit wachsender Unruhe gefolgt. Jetzt sammelte er alle Kraft und kickte Daschir in den Hintergrund. "Sie werden die Indianer abschlachten!", rief er erregt aus. "In South Dakota haben sie zwei meiner Freunde ermordet, weil sie sie mit Jandun verwechselt haben!"

"Wer ist denn das?" Galbas lange Nase schob sich wie ein Kanonenrohr in Keegans Richtung.

Für einen Sekundenbruchteil lauschte er in sich hinein, konnte aber kein Zeichen von Daschir entdecken. "Ich bin Keegan Mosley", antwortete er. "Daschirs Wirt."

"Ein Eingeborener mit dem Bewusstsein des Obersten Magiers?", wunderte sich Galba.

"Es war ein Unfall", erklärte Keegan schnell. "Ihr müsst die Indianer warnen!" Am liebsten wäre Keegan aufgesprungen und zum Jeep gerannt um Tyndall alles zu erzählen.

"Alles mit der Ruhe!", meldete sich eine schwache Stimme in Keegans Geist. "Das Ritual findet erst in drei Tagen statt."

"Was ist denn los mit dir?", fragte Keegan erstaunt. "Du klingst so leise."

"Ist ja auch kein Wunder, so wie du mich in die Ecke geknallt hast", grummelte Daschir, doch Keegan konnte auch Respekt aus seinen Worten heraus hören.

"Du hättest mich nicht soviel trainieren lassen sollen", gab er zurück und schaffte sogar ein telepathisches Grinsen. Langsam entspannte er sich wieder, nur ein heimliches Nagen blieb zurück.

Galba hatte sich inzwischen von seiner Überraschung erholt. Mit akribischer Genauigkeit sortierte er seine Papiere. "Mirson ist auf Jahanda vogelfrei. Deshalb hat er sich mit seinen Getreuen in diese Dimension abgesetzt. Die Königin will eine Lagebesprechung abhalten, an der Velten und auch Jandun teilnehmen." Er ließ seinen Blick in der Runde schweifen.

Wie auf ein Kommando richteten sich die Jandun kerzengerade auf. "Das ist eine Falle!", stieß Sosto hervor.

"Unsere Herrin hat damit gerechnet, dass ihr Vorbehalte habt", seufzte Galba. "Sie bietet ihre Töchter als Geisel an."

Überraschte Blicke flogen zwischen den Jandun hin und her. "Ihre Töchter?", riefen einige aufgeregt.

"Sie könnte es ehrlich meinen", sagte Daschir in die darauf folgende Stille. Alle Blicke richteten sich auf Sosto.

"Wie viele Töchter hat denn die Königin?", fragte dieser.

"Drei." Galba trat von dem Tisch zurück. "Morgen früh kehre ich mit ihnen hierher zurück. Dann sollten drei von euch bereit sein." Sein Arm beschrieb einen Kreis und wieder entstand ein Tor. Grüßend hob er die Hand und trat hindurch. Sein Abgang vollzog sich wesentlich würdevoller als seine Ankunft, dachte Keegan.



Das Scheppern von Töpfen holte Keegan aus einem unruhigen Schlaf. Daschirs Aufregung hatte ihn immer wieder aufschrecken lassen. Ihm selbst kamen auch schon gelegentlich Gedanken, wie es wohl mit ihm weiter gehen sollte, wenn die Jandun in ihre Heimat zurück gekehrt waren. Dass er den Magier nicht mehr los werden würde, hatte er im Stillen schon akzeptiert.

Wir werden schon etwas finden." Daschirs Gedankenstimme klang zuversichtlich. "Mach dir keine Sorgen."

Die Jandun hatten ihm und seinen beiden Begleitern Schlafplätze in einem der Wohnwagen eingeräumt. Velten schälte sich gerade gähnend aus seinem Schlafsack. Von Sparks war nichts zu sehen. Sein Schlafsack lag ordentlich gefaltet auf dem Lager.

Velten schnupperte. Von draußen kam der Duft von frischem Kaffee. "Den werde ich vermissen", sagte er bedauernd. Er streckte sich ausgiebig und Keegan sah neidisch die Bewegung der Muskelpakete.

So würde er nie aussehen, obwohl sich sein Bizeps durch das regelmäßige Training wesentlich vergrößert, sein Körper im Ganzen gestrafft hatte. "Was soll's!", dachte er und sprang über die wenigen Stufen auf den Sandboden.

Die meisten Jandun waren bereits beim Frühstück und er gesellte sich mit Velten zu ihnen. An einem der Tische entdeckten sie Sparks, der eben ein weiches Ei löffelte.

Kaum waren die Tische abgeräumt, da entstand zischend ein Tor und Galba trat hindurch. Unverzüglich ging er auf Sosto zu, der mit einem blütenweißen Anzug glänzte. Apria und Farel hatten sich rechts und links von ihm aufgebaut.

"Seid ihr bereit?", fragte Galba.

"Und die Geiseln?", konterte Sosto.

Wortlos streckte der Ringwächter eine Hand durch den gleißenden Ring. Drei junge Frauen in langen dunklen Gewändern erschienen. Ihre starke Familienähnlichkeit ließ ahnen, dass sie Schwestern waren. Keegan schätzte ihr Alter zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Sie alle strahlten etwas aus, das in Keegan Respekt und Ehrerbietung hervorrief. Die Älteste schien von einer Aura der Macht umgeben, die diese Ausstrahlung noch verstärkte. Ein silbernes Medaillon hing an einer ebensolchen Kette auf ihrer Brust. Selbst Keegan konnte die Magie fühlen, die von dem Ding ausging. Blaugraue Augen musterten die Jandun und blieben auf Keegan hängen. Das Ebenmaß ihrer Züge wurde durch das ausgeprägte Kinn ein wenig gestört. Straff nach hinten gekämmtes, goldblondes Haar, das im Nacken zu einem dicken Knoten gebunden war, vermittelte kühle Strenge.

"Du bist der Oberste Magier der Jandun", sprach sie ihn an und Keegan fand, dass diese Altstimme genau zu der Majestät ihrer Erscheinung passte. "Warum schickst du deinen Bruder? Hast du Angst?"

Die Übergab der Kontrolle an Daschir erfolgte fließend. "Dieser Körper kann nicht nach Jahanda wechseln. Er ist ein Mensch aus dieser Welt", antwortete der Magier ruhig. Seine Haltung war die eines Gleichberechtigten.

"Du könntest einen Blauen Ring benutzen", schlug sie vor.

"Der Blaue Ring ist mit Jandun-Magie nicht vereinbar", erklärte Daschir. "Ich werde für immer in dieser Welt bleiben müssen."

Velten trat zu Galba. Er hatte den Bikerdress mit einer dunkelblauen Tunika vertauscht, auf der in Brusthöhe das Wappen der Königin prangte, die weiße Orchidee im Halbmond. Darunter trug er enge Stoffhosen in hellem Beige und kniehohe Stiefel. Keegan stellte sich als Ergänzung noch einen Helm mit Federbusch und eine Hellebarde in der Rechten vor. Er schickte Daschir ein lautloses Grinsen, das dieser mit einem milden Tadel beantwortete, der die Belustigung des Magiers aber nur unzureichend überdeckte.

Galba warf ihm einen flüchtigen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf Sosto. "Ich gehe voraus", sagte er und machte einen Schritt durch das wirbelnde Energiegebilde.

Nach kurzem Zögern folgte Sosto mit seinen beiden Begleitern. Velten bildete den Schluss. Knisternd erlosch der Kreis. Die Jandun wandten sich wieder alltäglichen Tätigkeiten zu.

Unschlüssig stand Keegan da. In zwei Tagen war Vollmond. Die Indianer! Er musste noch einmal mit Tyndall sprechen. "Du wirst sie von ihrem Vorhaben nicht abbringen können", meldete sich Daschir.

"Dann müsst ihr ihnen helfen. Könnt ihr nicht irgendetwas Magisches machen, dass die Fackelträger ihnen nichts tun können?"

"Du hast zuviel Science Fiction gelesen!" Daschir lachte spöttisch. "Eine Staffel X-Wings..."

Ärgerlich schickte Keegan einen hemmenden Impuls. "Wir sind jetzt schon so lange zusammen und du hast mir noch immer nicht gesagt, was deine Magie vermag", beschwerte er sich verdrossen.

"Ich habe es dir demonstriert", widersprach Daschir. "Wir nutzen die Magie, wo wir sie brauchen, aber es ist nicht unsere Art, damit zu prahlen."

"Deine Bescheidenheit in Ehren, aber wie stellst du dir vor, die Indianer vor einem Massaker durch Otkon zu bewahren?" Irgendetwas mussten die Jandun tun. Keegan war entschlossen, in diesem Punkt nicht locker zu lassen.

"Können Sie mich nach Swift Trail bringen, Mosley?" Sparks stand plötzlich neben ihm. "Mein Handy funktioniert hier nicht. Ich muss meine Dienststelle in Phoenix verständigen."

"Ich hab's blockiert!", kicherte Daschir mit einem Anflug von Bosheit. "Das FBI hätte uns noch gefehlt. Versuche ihn zu überzeugen, sonst muss ich ihn für ein paar Tage einschläfern."

"Warum tust du das nicht?" Keegan ärgerte sich, dass er jetzt mit dem FBI-Mann sprechen musste.

"Du kannst das genauso gut wie ich", wehrte der Jandun ab und Keegan erkannte hinter der Fassade von Ruhe und Gleichgültigkeit tiefe Unsicherheit. Der Jandun hatte Angst vor einer Zukunft, getrennt von seinem Volk, gestrandet in einer Welt, die nicht die seine war.

"Ich bin auch allein, obwohl Amerika meine Heimat ist", versuchte er seinen Symbionten zu trösten.

"Mosley?" Sparks musterte ihn scharf. "Sprechen Sie mit Daschir?"

Bedächtig nickte Keegan. "Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel, Agent Sparks", bat er.

"Wollen Sie ein Blutbad zulassen?", ereiferte sich der Beamte. "Ich dachte, Sie sind ein Freund der Indianer!"

"Natürlich nicht!", bekräftigte Keegan. "Aber nicht mit Polizeigewalt. Daschir hat ihr Telefon lahmgelegt. Er wird es nicht zulassen, dass Sie mit Ihren Leuten Kontakt aufnehmen."

Ein eisiger Blick traf ihn. Mit zusammen gepressten Lippen stand der Beamte abwartend da.

"Wir werden unsere Magie gegen die Magie der Fackelträger einsetzen", erklärte Daschir plötzlich. "Ein Teil von uns wird die Indianer unterstützen, der andere Teil wird kämpfen."

"Die Jandun werden das regeln", gab Keegan die Botschaft weiter.

"Die Jandun." Leicht verbittert nickte Sparks. Er schien nicht glücklich mit dieser Mitteilung. Schweigend folgte er Keegan zum Jeep. "Was haben Sie jetzt vor?"

"Mit den Indianern sprechen", meinte Keegan mit einem schwachen Lächeln. "Hüpfen Sie rein."

Während der Fahrt wurde kein Wort gesprochen. Keegan ließ sich von Daschir leiten. Er selbst hätte den Weg zum Camp der Indianer nicht mehr gefunden. Diesmal befanden sich wesentlich mehr Indianer in dem Camp. Keegan sah nur Männer und einige Frauen unter einem gelben Sonnendach an einem Tisch sitzen. Keine spielenden Kinder, sogar die Hunde waren verschwunden. Hatten die Indianer bei ihrer ersten Begegnung noch wie eine Gruppe beim Wochenendausflug gewirkt, so lag jetzt ein fühlbarer Ernst über dem ganzen Ort. Diese eigentümliche Aura bewog Keegan, den Jeep etwas abseits von den Wohnwagen zu parken. Auch Sparks schien das Unnennbare zu fühlen. Als Keegan auf die Indianer zu ging, hielt sich der FBI-Mann einen halben Schritt hinter ihm.

Tyndall erhob sich und ging den beiden entgegen. "War ich nicht deutlich genug?", fragte er nach einer kühlen Begrüßung. "Wir werden morgen Nacht tanzen. Niemand wird und daran hindern."

"Das ist nicht der Grund unseres Kommens", beschwichtigte ihn Keegan. Dann schilderte er in kurzen Worten die Gefahr, in der die Indianer schwebten.

Unsicherheit keimte in Tyndalls Gesicht. "Wir werden für unsere Rechte kämpfen!", war seine trotzige Antwort.

"Daschir hat dir dazu einiges zu sagen", lächelte Keegan. Er sah, dass er gewonnen hatte. Eine Stunde später machten sich die beiden auf den Rückweg. Keegans Stimmung war wesentlich besser und auch Sparks' Gesicht blickte nicht mehr so finster.

Wieder im Camp musste Keegan feststellen, dass Sosto bereits zurück gekehrt war. Mit leisem Bedauern dachte er daran, dass die Prinzessinnen wohl wieder in Jahanda waren. Die Jandun-Räte saßen unter dem Sonnendach. Auch Velten befand sich in der Runde. Keegan und Sparks setzten sich einfach dazu.

"Nun?" Der junge Älteste Jandun sah ihn forschend an.

"Ich weiß, wo die Indianer ihren Tanz abhalten werden", begann Keegan.

Da schaltete sich Sosto mit plötzlicher, schmerzhafter Härte in seine Gedanken. Er wurde brutal in eine Ecke gedrängt. Sekundenlang fühlte er, dass sich Daschir dem gewaltsamen Eindringen widersetzte. Dann legte sich ein samtener Mantel um Keegans Bewusstsein, der ihn von jeder Empfindung abschnitt.



Wie ein Tiefseetaucher kämpfte sich Keegans Bewusstsein an die Oberfläche. Daschirs Magie half ihm wie eine sanfte Hand dabei.

"Tut mir leid, mein Freund", flüsterte der Magier und Keegan fühlte in ihm den Schmerz über die Veränderung seines Sohnes. "Mach du weiter."

Eine rhythmische Bewegung brachte ihn vollends zu sich. In seiner Nähe fühlte er die Anwesenheit vieler Jandun.

"Wir sind auf dem Weg zum Tanzplatz", informierte ihn Daschir.

Keegans Augen fielen auf den Trampelpfad, den er sich Schritt für Schritt hoch arbeitete. Die Sonne war fast untergegangen. Die stumm dahin schreitenden Jandun warfen lange Schatten auf die zerklüftete Landschaft des Mt. Graham. Kein Lüftchen regte sich. Der Geruch der trockenen Pflanzen hing starr in der Luft, sodass Keegan ihn sogar auf seinem Gesicht zu fühlen glaubte.

Plötzlich schienen mehrere dunkle Gestalten aus dem Boden zu wachsen. Im diffusen Licht der Dämmerung waren die Gewehre in ihren Händen deutlich sichtbar. Wie erwartet handelte es sich um Indianer, die sich alle einen Streifen rotes Tuch um die Stirn gebunden hatten. Keegan erinnerte sich, dass Apachen diese Sitte pflegten. Schnell trat er vor. "Ich bin Keegan Mosley", sagte er. Einer der Indianer nickte wortlos und ging voraus.



Sie hörten den Gesang und das Schlagen der Trommeln schon von weitem. In einer flachen Senke hatten die Indianer einen kreisrunden Platz von Steinen befreit und abgesteckt. Am südlichen Rand saßen die Trommler, denen einige in den Boden gesteckte Fackeln ein wenig Licht spendeten. Noch hatte der Tanz nicht begonnen. Einige Jandun, die sich in indianische Kleider gehüllt hatten, verteilten sich zwischen den Musikern um die Senke. Trommeln, Rasseln und Flöten erschienen in ihren Händen. Nahtlos fügte sich das Spiel der Jandun in den Rhythmus der Indianer. Würdevoll schritten nun die Tänzer auf die freie Fläche. Anführer war ein Mann mit einem Bärenfell, dessen Schädel er über dem Kopf trug. Die Anderen stellten verschiedene Tiere dar, Kojote, Luchs, Berglöwe und einige mehr.

Keegan hatte in seiner Kindheit einigen Tänzen der Sioux beigewohnt. Deshalb war er in kurzer Zeit von der Würde und Anmut des Tanzes gefangen. "Niemand darf sie stören!", dachte er mit Inbrunst.

"Dafür werden wir sorgen," riss ihn Daschirs Gedankenstimme von dem Anblick los.

Keegan sah sich um. Vor ihm war ein großer Felsblock, hinter dem sich Sparks gekauert hatte. Schnell hockte er sich neben den Beamten. Ein prüfender Blick traf ihn. Keegan winkte ab.

Die Dunkelheit war nun endlich herein gebrochen. Nur im Westen zeigte ein dunkelroter Streifen, dass die Sonne noch nicht völlig untergegangen war. Einige Sterne leuchtete auf dem Dunkelblau des Himmels. Reste der Tageshitze waren noch vorhanden, aber es wurde bereits merklich kühler. Die dürren Gewächse stachen wie festgefroren zwischen den Steinen hervor. Am Horizont erhob sich ein riesiger orangeroter Mond.

Keegan konnte Velten hinter einem Felsen in der Nähe sehen. Er lächelte ihm zu und der Otkon hob grüßend die Hand. "Schön, dass du wieder da bist, Keegan," klang seine Gedankenstimme in Keegans Kopf.

"Du hast noch nicht alles gesehen", flüsterte Daschir. Dann schob sich ein zweites Bild vor Keegans Augen. Er konnte noch immer die tanzenden Indianer sehen. Doch in den Felsen um den Tanzplatz sah er zahlreiche in sanftem Blau leuchtende Auren. Instinktiv erfasste er, dass ihn Daschir an seiner magischen Sicht teilhaben ließ, die ihm die Verstecke der Jandun offenbarte. Weiter oben, in den Bergen, glühten dicht an dicht gelbe Flämmchen. "Das sind die Otkon. Velten hat die Garde mitgebracht."

"Da hab ich wohl eine Menge verpasst", beschwerte sich Keegan. "Was ist eigentlich passiert? Plötzlich ging das Licht aus."

"Sosto hat meinen ... äh unseren Gedankeninhalt gescannt. Das war für dich ein geistiges KO." Bitterkeit schwang in diesen Worten. "Er hat mit der Königin einen Vertrag abgeschlossen. Sie hilft uns im Kampf gegen die Fackelträger und wir werden dafür wieder die Natur Jahandas bändigen. Sie will uns sogar unsere wichtigsten Burgen wieder geben. Im Grunde ist es ein gutes Geschäft für die Königin, denn sie benutzt unsere Macht, um sich von einem Feind zu befreien."

"Ihr werdet zurück kehren. Das war doch euer größter Wunsch", meinte Keegan. "Was kann es Besseres geben als einen gemeinsamen Feind zu besiegen?"

"Du hast recht", stimmte ihm Daschir zu. "Es ist wohl das Beste, die Sache pragmatisch zu sehen. Mein Volk kehrt zurück ...." Wie ein Damoklesschwert blieben die unausgesprochenen Worte über Keegan hängen.

Es war nun stockdunkel. Aus der Schwärze des Himmels strahlten immer mehr Sterne. Der Mond war höher gestiegen und schien nun kleiner, aber sein Licht strahlte heller. Keegan schloss fröstelnd die Knöpfe seiner Jeansjacke.

Der Rhythmus der Trommeln beschleunigte sich. Doch die Erregung, die sich unter den versteckten Zuschauern ausbreitete, kam nicht von den dumpfen Schlägen. Täuschte er sich oder strahlten die Auren der Jandun wirklich intensiver?

"Meine Brüder errichten einen magischen Schutzschild, den kein Otkon durchdringen kann", flüsterte Daschir.

Ein fragender Blick von Sparks traf ihn. Der FBI-Beamte hatte seinen Anzug gegen Jeans und ein dunkles T-Shirt getauscht. Jetzt schlüpfte er in eine Jeansjacke. Keegan berichtete ihm flüsternd von den Maßnahmen der Jandun und Otkon. Sparks nickte und kontrollierte seine Pistole.

Der Mond hing nun als weiß glänzende Scheibe über ihnen. Immer schneller stampften die Indianer um das Feuer. Keegans durch Daschir geschärfte Sinne nahmen auch dort eine Zusammenballung von Energien wahr. "Jetzt!", flüsterte Daschir.

In diesem Moment öffneten sich rund um die Tanzfläche die schillernden Kreise der Dimensionstore. Mit gespenstischer Lautlosigkeit sprangen bewaffnete Männer daraus hervor. Ihre Äxte und Schwerter blitzten im Mondlicht. Keegan erkannte in nächster Nähe Mirson. Der Anführer der Fackelträger ließ sein Schwert einmal über dem Kopf kreisen. Das war das Zeichen zum Angriff, denn die Fanatiker stürmten geschlossen auf die tanzenden Indianer zu. Einen Meter vor dem Rund der Tanzfläche blieben sie abrupt stehen als wären sie gegen eine unsichtbare Wand gerannt. Die meisten taumelten nur, doch einige stürzten zu Boden.

Nun stürmten die Otkon Veltens von der Höhe herab. Heftige Kämpfe Mann gegen Mann flammten auf. Kein einziger Jandun verließ seinen Platz am Rande der Tanzfläche. Nur die Auren schienen in noch tieferem Blau zu strahlen. Die Tanzfläche schien in einer anderen Welt zu liegen. Kein einziger Otkon übertrat die unsichtbare Grenze. Und die Indianer setzten ihr Ritual fort ohne von dem Kampfgeschehen Notiz zu nehmen. Feuerbälle von Jandun, die nicht an dem Ritual teilnahmen, rasten auf die Fackelträger zu und warfen viele zu Boden. Dann peitschten Schüsse durch die Nacht. Da und Dort brachen Fackelträger getroffen zusammen. Wilde Krieger mit roten Tüchern um den Kopf stürzten sich heulend ins Kampfgewühl. Die Apachen hatte es sich nicht nehmen lassen, ihren Tanz tatkräftig zu schützen.

Sparks richtete sich ein wenig auf. Er nahm das Erscheinen der Fackelträger nun schon fast als Selbstverständlichkeit hin.

"Bleiben Sie unten!", zischte Keegan. "Die Otkon ...."

Doch es war schon zu spät. Nur knapp entging der FBI-Mann einem Schwerthieb. Mirson hatte ihn erblickt und war mit einem Wutschrei auf ihn los gegangen. Jetzt war keine Zeit mehr, die Pistole zu ziehen. Geschmeidig wich der Beamte dem um vieles größeren und breiteren Gegner aus. Mirsons Schwerthiebe kamen jedoch so schnell, dass er sich vorerst nur auf Verteidigung beschränken konnte. Der Fackelträger bewies dabei, dass er auch mit Köpfchen kämpfte. Seine Attacken trieben den Agenten immer näher an das dichteste Kampfgetümmel. Sparks machte es ihm nicht leicht, doch schon Mirsons größere Reichweite verschaffte ihm einen Vorteil. Auf Dauer musste er unterliegen.

Keegan dachte an die Kinder und sprang auf. Im selben Moment fühlte er, wie sich Daschir abkapselte. "Pass auf dich auf, Keegan", hauchte der Magier aus weiter Ferne. "Ich muss meine Brüder unterstützen."

Mit dem Mut der Verzweiflung sprang Keegan Mirson von hinten an. Seine Schuhspitze traf die Kniekehle und ließ den mächtigen Mann taumeln. Das Schwert zischte knapp an Keegans Kopf vorbei und ließ eine Haarsträhne zu Boden flattern. Blitzschnell war Mirson herum gefahren. Keegan musste an einen Goliath denken, der gegen zwei Davids kämpfte. Dieses Ablenkungsmanöver hatte Sparks ein wenig Luft verschafft. Ein Stein sauste durch die Luft und traf Mirsons Schwerthand. Brüllend vor Schmerz ließ dieser die Waffe aus den blutenden Fingern gleiten. Doch er war noch lange nicht geschlagen. Seine verletzte Hand an die Brust drückend griff er mit der Linken an, in der plötzlich ein langer Dolch schimmerte. Keegan warf nun auch mit Steinen. Einige prallten von dem ledernen Brustpanzer ab. Einer aber traf Mirson am Hals. Mit einem röchelnden Laut ging er in die Knie. Ermutigt durch diesen Erfolg sprang Keegan vor. Ein Tritt gegen den Solarplexus warf den Hünen auf den Rücken. Sofort knallten Sparks' Absätze in seine Seite. Ächzend entwich die Luft aus den Lungen.

"Ergeben Sie sich, Mirson!", schrie der Beamte, der endlich seine Pistole aus dem Halfter gebracht hatte.

Ein irres Lachen war die Antwort. Dann flog der Dolch. Sparks drückte in dem Augenblick ab als die Klinge sich in seine Brust bohrte. Ein erstaunter Ausdruck erschien auf dem breitflächigen Gesicht des Otkon, das plötzlich ein kleines, rundes Loch mitten in der Stirn hatte.

"Sparks!" Keegan stürzte zu dem Gefallenen, der mit schwachen Händen den Dolch aus der Wunde zu ziehen versuchte. "Nein, Sparks! Lassen Sie ihn stecken. Sie verbluten sonst." Sanft löste er die Finger von dem Heft.

Die grauen Augen suchten ruhig Keegans Blick. Trotz seiner schweren Verwundung war er immer noch der coole Agent. "Mosley! Sagen Sie es meiner Frau." Eine Hand krallte sich in Keegans Ärmel. "Sie soll es von Ihnen erfahren."

"Aber nein", widersprach Keegan. "Sie werden wieder gesund. Die Jandun ..."

Ein gequältes Husten brachte Blut auf Sparks Lippen. Sein Atem ging zunehmend mühsamer und rasselnd. "Reden Sie keinen Quatsch. Sagen Sie ihr, ich habe nun doch den Gral gefunden. Versprechen Sie es mir, bitte!"

Es war so ein verzweifeltes Drängen in Sparks Stimme, dass Keegan schließlich nickte. "Ich verspreche es."

Mit einem Lächeln schloss der Agent die Augen. War er tot? Keegan konnte keine Atmung mehr sehen. "Daschir!", schrie er telepathisch. "Du musst etwas zaubern! Daschir! Wo bist du! Rette ihn! Mach schon!"

"Brüll nicht so", kam ein milder Tadel. Dann schob sich der Jandun in den Vordergrund. Sein Zeigefinger legte sich kurz auf die Stirn des Verletzten. Ein Seufzer kam von Sparks. Schwach, aber unübersehbar, hob sich die schmale Brust. "Das reicht fürs Erste. Wir werden ihn ins Camp bringen." Die Stimme des Magiers war so beruhigend, dass sich Keegan ein Aufatmen gestattete.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Kampflärm verstummt war. Ein Rundblick zeigte ihm überall Gardisten, die Fackelträger gefesselt zu den Toren brachten und verschwanden. Verletzte wurden erstversorgt. Nahe dem Tanzplatz sammelten sich die Indianer. Aufatmend erkannte Keegan, dass es unter ihnen nur wenige Verletzte gab. Menschenleben hatten sie nicht zu beklagen. Einige Jandun kümmerten sich um die Wunden.

Der Tanz ging zu Ende. Mit dem letzten Schlag der Trommel sanken die Tänzer erschöpft zu Boden. Waren sie so tief in Trance gewesen, dass sie von der Schlacht gar nichts wahrnehmen konnten?

Eine Büffelmaske wurde abgenommen und enthüllte Tyndalls schweißnasses Gesicht. Mit schleppenden Schritten kam der alte Schamane auf Keegan zu und reichte ihm wortlos die Hand.

"Möge eure Magie wirken", flüsterte Keegan.

Verwunderung malte sich auf dem runzligen Gesicht als Tyndall die Spuren des Gefechts bemerkte. "Wie konnte so ein Kampf stattfinden ohne dass wir etwas bemerken?", wunderte er sich.

"Unsere magische Glocke hat alle Umwelteinflüsse abgehalten, natürlich auch Geräusche", erklärte Daschir. Es klang ein wenig belustigt. "Ihre Magie hat uns kräftig unterstützt."

Keegan wiederholte die Worte für den Sioux. "Aber ... Menschen können doch gar nicht zaubern", wandte er dann ein.

"Hast du eine Ahnung. Denk an Sparks und den Blauen Ring."

Schon nach einer kurzen Ruhepause sammelten sich die Indianer. Das Feuer war herunter gebrannt. Sorgfältig wurden alle Spuren beseitigt. Bald deutete nichts mehr darauf hin, dass hier ein Tanz stattgefunden hatte. Mit tiefer Scham im Herzen dachte Keegan, wie es nach Festen aussah, die von Weißen veranstaltet wurden.

Der Gardehauptmann kam mit müden Schritten auf sie zu. Das Schwert an seiner Seite passte nicht so recht zu seinem Bikerdress. Sein linker Arm hing in einer Schlinge. Er tat einen Schritt zur Seite um zwei Soldaten Platz zu machen, die Mirsons Leiche weg brachten. Kopfschüttelnd seufzte er: "Dass es so enden musste!" Er kniete neben Keegan auf den Boden und nahm eine von Sparks' schlaffen Händen. "Ich hoffe, dass du es schaffst, großer Krieger."

"Die Jandun werden sich seiner annehmen", bestätigte Keegan. "Gehst du jetzt zurück in deine Welt?" Sein Herz krampfte sich zusammen bei diesen Worten.

Velten nickte. "Die Königin erwartet meinen Bericht."

Mit einer Mischung aus Glück und Bitterkeit erkannte er, dass er in Velten einen Freund gewonnen hatte, den er jetzt wieder zu verlieren schien. Die ganze Situation kam ihm so unwirklich vor.

"Die Jandun sind viel stärker als in den alten Schriften beschrieben", meldete sich nun Velten auf Gedankenebene. "Jahanda wird unter ihren Händen erblühen."

Keegan senkte den Kopf. Ärgerlich biss er sich auf die Lippen. Dass gerade jetzt seine Augen feucht wurden! Betont forsch erhob er sich. Doch als er den Blick hob, fiel seine stolze Maske in sich zusammen. Auch in Veltens blauen Augen schimmerte es verdächtig nass.

Der große Mann drückte ihn mit dem unverletzten Arm an seine breite Brust. "In ein paar Tagen, wenn in Jahanda alles für die Rückkehr der Jandun vorbereitet ist, kehre ich zurück." Damit stapfte er auf das letzt offene Tor zu. Gerade verschwanden die letzten Gardisten. Velten hob noch einmal die Hand. Dann war auch er gegangen. Zischend erlosch das Tor.



Für Keegan folgten nun Tage des Hoffens und Bangens. Außer Daschir bemühten sich noch Farel und Apria um Sparks. Immer schmaler und schwächer schien der Beamte zu werden, dessen Seele nur von der Magie der Jandun im Körper gehalten wurde. Nur zögernd schloss sich die tiefe Wunde. Nach zehn Tagen schlug Sparks zum ersten Mal die Augen auf und ihr Blick war klar. Eine Weichheit lag darin, die Keegan nur ein einziges Mal wahrgenommen hatte, als er seine Kinder umarmte.

Sacht hob er einen Arm, dessen Muskelstränge sich scharf unter der bleichen Haut abzeichneten. "Wie lange war ich weg?" Er versuchte, sich aufzurichten.

"Zehn Tage." Keegan drückte den schlanken Mann sanft auf sein Lager zurück. "bleiben Sie liegen, Agent Sparks. Sie sind gerade erst von den Toten auferstanden."

Ein schiefes Lächeln huschte über das eingefallene Gesicht. "Sind die Jandun schon gegangen?"

Keegan schüttelte den Kopf. "Noch drei Tage."

Diese Nachricht schien den FBI-Mann aufzumöbeln. Sein Zustand besserte sich von Tag zu Tag. Als die Sichel des Mondes geschwunden war, ging er bereits im Lager umher. Immer war ein Jandun-Heiler an seiner Seite, falls er einen Schwächeanfall erleiden sollte. Doch diese drahtige Person war sehr zäh. Inzwischen zeugte nur noch eine kleine Narbe von der lebensbedrohenden Verletzung. Auf sein Bitten hatte man ihm den Dolch ausgehändigt. Jetzt trug er ihn immer bei sich.

In den letzten Tagen waren immer mehr Jandun eingetroffen. Wenn er auf das Gewusel von schwarzen Köpfen schaute, fühlte Keegan Daschirs Freude, dass diese Jandun eine normale Lebensspanne haben würden. Die Jandun-Räte inspizierten einen freien Platz in der Nähe, der von jungen Männern für den Dimensionszauber vorbereitet wurde. Ein hoher Scheiterhaufen war errichtet worden.

Am Morgen des letzten Tages war Velten aufgetaucht. Zu dritt wanderten sie am Nachmittag durch das Lager, wo die Jandun eifrig mit Packen beschäftigt waren.

"Ich kann es noch gar nicht richtig glauben. Unsere Welt wird sich ändern, ich hoffe, zum Guten", sinnierte Velten. Daschir, der gerade die Kontrolle über den Körper hatte, nickte nur.

Schon senkte sich die Sonne dem Horizont zu. Da und dort erschien ein Stern am Himmel. Die Jandun entzündeten das Feuer. Als der ganze Haufen in hellen Flammen stand, glitzerten zahllose Sterne vom mondlosen Himmel. Erwartungsvoll scharten sich die Jandun um den geheiligten Platz. Velten und Sparks hielten sich ein wenig abseits. Eine Flöte begann ihr Spiel. Nach und nach fielen weitere Flöten ein und dann auch eine Trommel. Gemeinsam woben sie ein unsichtbares Gespinst.

Keegan zog sich weit zurück und beobachtete nur noch. Wie Perlen flossen die magischen Worte über Daschirs Lippen. Immer dichter wurde das magische Netz. Sogar Keegan konnte fühlen, dass es diesmal eine andere Qualität hatte. Ein melodisches Singen entstand etwa einen Meter über dem Boden. Vor dem lichterloh brennenden Scheiterhaufen erschien ein runder, in allen Farben schillernder Punkt, der langsam größer wurde. Als der Durchmesser etwa Mannshöhe erreicht hatte, verstummte Daschir. Apria schritt mutig durch das Tor und kam kurze Zeit darauf mit Galba wieder zurück.

Der alte Mann verbeugte sich respektvoll vor Sosto. "Die Königin und das Volk der Otkon erwarten den Hohen Jandun und sein Volk auf Jahanda", sagte er würdevoll.

Auch Sosto beugte ein wenig seinen Kopf. Dann strömten die Jandun durch das Tor. Es dauerte eine ganze Weile, dann standen nur noch Daschir, Sosto, Velten und Sparks auf dem Plateau des Dzil nchaa si an.

So ganz allein, ohne die moralische Stütze der Jandun-Räte, wirkte Sosto kleiner, weicher, verletzlicher. "Wir werden deine Weisheit vermissen, Daschir", sagte er mit unbewegtem Gesicht.

"Du hast die besten Berater, die du dir wünschen kannst", hielt sein Vater dagegen.

"Außerdem kann Keegan jederzeit durch den Blauen Ring angepeilt werden", mischte sich Velten in das Gespräch. Mit einem Blick auf Daschir fügte er hinzu: "Funktioniert wie ein Telefon." Sostos Brauen zogen sich unwillig zusammen.

"Du wirst lernen müssen, mit den Otkon-Magiern zusammen zu arbeiten", sagte Daschir ernst. Keegan fühlte, dass sein Symbiont gern "mein Sohn" angefügt hätte. Doch er hielt diese Worte zurück.

"Ja", nickte der Älteste Jandun. "Das werde ich müssen." Er berührte flüchtig Daschirs Arm und ging durch das Tor.

"Wir sehen uns wieder!", versprach Velten und folgte ihm.

Daschir zog sich zurück. Keegan spürte, dass der Jandun jetzt nicht gestört werden wollte. Die Flammen des verlöschenden Feuers warfen tanzende Schatten auf die verlassenen Wohnwagen. Das Sonnendach mit dem Campingtisch und den Stühlen stand auch noch. Einige halbvolle Gläser erweckten den Eindruck als müssten ihre Besitzer jedem Moment kommen und sich setzen. Nur die Magie, die die Hitze abgehalten hatte, war erloschen.

"Wissen Sie schon, was Sie jetzt tun werden, Mosley?", fragte Sparks.

Keegan zuckte mit den Schultern. "Daschir meinte, es wird sich etwas finden. Vielleicht mache ich eine Ausbildung." Er grinste schief. "Wir haben ja noch die Kreditkarte der Jandun. Außerdem hab ich das dumpfe Gefühl, dass ich einige nachzuholen habe." Obwohl seine Zukunft ungewiss war, dachte er keine Sekunde an einen Gin.

"Hm," nickte Sparks. "Vielleicht könnten Sie bei Ihren Überlegungen die FBI-Akademie in Erwägung ziehen."

"Könnte ich", stimmte Keegan zu. "Was halten Sie von einer Cola? Die Jandun haben ihre Kühlschränke zurückgelassen. Da muss doch noch einiges drin sein." Ohne auf eine Antwort zu warten, stapfte er auf den nächsten Wohnwagen zu.



ENDE



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