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GOLDLARVE

von Fred H. Schütz



"Ich möchte ihr nicht begegnen," sagte Pete und kippte seinen dritten Whiskey. Pete und ich trafen uns regelmäßig in der Bar des Startcenters. Die Bar ist der einzige Ort in der Marskolonie, wo man seine Ellbogen aufstützen kann, ohne gleich dem Nachbarn ins Gehege zu geraten.

Pete schippert die Io-Kallisto-Route und ich bin für das Umladen der Fracht zuständig, die mit den Erzschiffen zur Erde geht. Pete ist also viel weiter rumgekommen, als ich; bei mir reicht's gerade mal für zehn Tage Erdurlaub so alle paar Jahre. Nicht, daß wir viel davon hätten; gesiebte Luft atmen wir hier wie dort.

Aber auf der Erde gibt's Frauen! Die paar Weiber, die sich hertrauen, halten, wenn sie Glück haben, ihr Vertragsjahr durch. Dann haben sie gerade genug für den Rückflug gespart und machen sie sich auf und davon, als ob der Leibhaftige hinter ihnen her wäre. Angesichts der vielen Gräber hier kann ich es ihnen auch nicht verdenken; jedes dritte Kreuz auf dem Friedhof ziert ein Frauenname.

Der Friedhof ist übrigens auf dem Minenabraum angelegt, weil man den verfluchten Marsboden nur mit Maschinen aufbrechen kann, und die dürfen laut Reglement nur in den Minen eingesetzt werden.

Wen wundert's daß die Rede automatisch auf Frauen kommt? Du kannst treffen, wen du willst, spätestens beim zweiten Bier schwenkt das Gespräch zu den Weibern.

Jeder ist ja schon mal auf der Erde gewesen und hat sich für einen Haufen Dollar etwas Liebe gekauft - ich meine, was will man anders machen? Der aufgestaute Frust muß doch irgendwie raus, und soviel Zeit, daß du ein Verhältnis aufbauen kannst hast du nicht. Innerhalb von zehn Tagen mußt du wieder auf deinem Platz sein, oder du giltst als Deserteur und dann brauchst du dir bestimmt nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wie du den Zaster für die Konventionalstrafe zusammenkratzt; verlaß dich drauf, die kennen da keine Gnade!

Für Dollar ist allerdings alles zu kriegen. Dollar sind das auf der Erde gültige Zahlungsmittel, und die kriegst du nur, wenn du deine Marschits vor dem Abflug in der Wechselbank eintauschst. Die wird von der Kompanie betrieben, und die nimmt dir soviel Wechselgebühr ab, daß du am Ende ärmer bist, als zuvor. So kommst du nie auf einen grünen Zweig.

Also verkneifst du dir die Erdreise solange, bis der Zaster stimmt, und nimmst in der Zwischenzeit mit Realos vorlieb. Die holst du für ein paar Chits in der Realthek, wo sie die allerdings erst mal einen Haufen Chits für das Pfand abknöpfen, und gehst mit deinem Schatz nach Hause, das heißt, in die winzige Kammer mit eingebauter Dusche, die dir die Kompanie für eine gesalzene Monatsmiete überläßt.

Essen kannst du nur in der kompaniebetriebenen Kantine, die allerdings rund um die Uhr geöffnet ist, genauso wie der Generalladen, wo du alles kaufst, was du zum Überleben auf dem Mars brauchst - die lassen keine Gelegenheit aus, dir deine schwer verdienten Kröten abzunehmen!

Also, du schiebst die teure Kassette in den Schlitz und toot sweet - das ist französisch, mußt du wissen, und heißt auf der Stelle, oder es ist doch alles Sch - na ja, ist ja wohl egal. Also, kaum hast du den Knopf gedrückt, steht sie vor dir, genau wie du sie haben willst: blond oder brünett, groß oder klein, üppig oder fein, und angetan mit den tollsten Lappen.

Sie entblättert sich, immer ein Stück nach dem anderen, und bewegt sich im Rhythmus irgendeiner schwülstigen Musik, und du kommst dir vor, als würdest du dich mit deiner Liebsten im Arm bei leiser Musik und Kerzenschein auf dem Tanzboden wiegen. Und wenn sie dann alles abgelegt und rein gar nichts mehr an hat, kommt sie auf dich zu mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, und du glaubst, jetzt setzt sie sich auf deinen Schoß - aber nein, sie geht durch dich hindurch und ist weg. Im nächsten Moment steht sie wieder vor dir, angezogen bis zum Scheitel und beginnt von Neuem ...

Am Ende fühlst du dich nur besch - Verzeihung, wenn man jahrelang nur mit Männern zu tun hat, wird die Sprache rauh. Wenn du zum Beispiel von der Erde zurückkommst, wirst du bekniet, und wenn du ein guter Kumpel bis, erzählst du alle Einzelheiten von deinen Begegnungen - manch einer hat da schon gehörig aufgeschnitten, aber, was soll's! Wir nehmen alles begierig auf, auch wenn's gelogen ist, denn es ist Nahrung für unsere Seelen!

Am schlimmsten haben es die Minenarbeiter auf Kallisto und Io. Die können sich bis zum Ende ihrer Vertragszeit keine Reise zur Erde leisten, und so, wie die Kompanie sie ausnimmt, verlängern sie jedes Mal aufs Neue, in der Hoffnung, daß es nächstes Mal reicht - aber das ist nie der Fall, und irgendwann gehen sie über den Jordan, sei es durch Unfall, durch Krankheit, oder weil Selbstmord der einzige Ausweg ist.

Dann bleibt nur ein rasch in die Minenhalde gescharrtes Grab mit einem Kreuz, das stumm in den lichtlosen Himmel ragt, und die kurzlebige Erinnerung an einen, der neben dir gearbeitet und geschlafen hat - auf den Monden ist alles noch beengter, da gibt es nur Gemeinschaftsschlafsäle - und der eigentlich ein guter Kumpel war.

So kommt es, daß einschlägige Geschichten die Runde machen, und je öfter sie erzählt werden, desto fantastischer sind sie. Am fantastischsten aber ist die von der goldenen Larve, die auf Io, dem Satelliten, zu dem die Reise am weitesten ist, ihren Anfang nahm. In der Io-Station ist sie zuerst aufgetaucht, die Nymphe mit der Goldlarve.

Stell's dir vor: plötzlich steht sie vor dir, ein junges Mädchen an der Schwelle zur Frau, nackt und so schön, wie nur ein gütiger Gott in bester Geberlaune sie schaffen konnte; der zarte, reine Körper goldüberhaucht, als hätte sie in Sonnenlicht gebadet, Haar wie fein gesponnenes Gold, ein bißchen windzerzaust, die steil aufragenden Nippel wie goldlackiert ...

Den Kopf hält sie abgewandt, als sei sie zu schüchtern, dir in die Augen zu sehen. Du wünschst nichts sehnlicher, als sie im Arm zu halten, sie zu besitzen und ihre Liebe zu atmen, und gleichzeitig fürchtest du, sie zu berühren, weil sie so zart und rein ist, und weil sie vielleicht nur ein Traum ist, der einer Seifenblase gleich zerplatzen könnte, wenn du nur einen Finger rührst - und dann würdest du erwachen, völlig verstört und einsamer als je zuvor ...

Aber dann wendet sie ihren Kopf, dich anzusehen und du siehst - eine gesichtslose Goldmaske, ohne Mund und nicht die Spur von Atemlöchern, und die orientalisch anmutenden Augen, pupillenlos und ohne Lider, wie aufgesetzte blaue Glaslinsen, die im fahlen Sternenschein schwarz wirken.

Und wenn das geschieht, dann ist es um dich geschehen. Früher oder später findet man deine Leiche, ausgesaugt und leicht wie die leere Hülle einer Insektenlarve.

Das war der Punkt, an dem Pete sagte, er möchte ihr nie begegnen ...

"Alles Humbug!" sagte ich und lachte, um die bedrückte Stimmung abzuschütteln. "Jeder hat von ihr gehört, aber keiner hat sie gesehen!"

"Weil keiner, der sie getroffen hat, überlebte," sagte Pete mit gepreßter Stimme.

"Dann müßten die Stationen mit Leichen geradezu übersät sein," gab ich zu Bedenken.

"Tun sie doch auch," erwiderte er und deutete mit dem Daumen in die Richtung, wo er den Friedhof vermutete.

Das machte die Stimmung vollends platt wie eine Kegelbahn, und wir bestellten jeder noch einen, und dann noch einen - denn, wenn du's genau wissen willst, kannst du dieses beschissene Leben nur ertragen, wenn du dich abends vollaufen läßt - und bei dem Fusel, der den Namen Whiskey ebenso wenig verdient, wie ich einen Heiligenschein, brauchst du dich nicht wundern, wenn du morgens aufwachst mit einem Dampfhammer im Schädel ...



Als ich gegen Morgen mit ziemlicher Mühe in meinen Schutzanzug kroch und in die eisige Marsnacht hinaustrat, stand Deimos hoch am Himmel. Deimos ist keinen Vergleich mit dem Erdmond wert und wirft auch so gut wie kein Licht. Immerhin kann man erkennen, wohin man tritt, denn auf dem Mars sind selbst kleinste Verletzungen fatal, und wenn dein Schutzanzug ein Leck abbekommt - na, du kannst dir's vielleicht ausmalen.

Ich folgte dabei mehr meiner Schlagseite, als mein Ziel geradewegs anzusteuern, und betrachtete belustigt meine Stiefelspitzen, wie sie kleine Sandfontänen aufspritzen ließen, die geradewegs wieder zu Boden stürzten, denn bei der dünnen Atmosphäre und der geringen Schwerkraft des Mars herrschen hier nahezu die gleichen Verhältnisse wie auf dem Mond.

Plötzlich stand sie vor mir, wie aus dem Boden gewachsen, milchig im schwachen Sternenschein und wunderschön. Ich blieb stehen, wie angewurzelt, stocknüchtern, wie mir schien, und unfähig mich zu rühren. Und als sie mir die gesichtslose, glänzende Maske mit den starren Augen zuwandte, blieb mir gerade noch Zeit für einen atemlosen Ausruf, "Heilige Sch ..."


ENDE



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