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DAS SCHACHBRETT

Folge 1

von Susanne Stahr



Die Amazone



"Du hast die Tür offen gelassen und deshalb haben die Wachen den Lichtschein gesehen!", keifte Shira und krallte die gefesselten Hände in die Mähne ihres Pferdes.

"Ich sagte dir doch, du sollst die Blende der Laterne nicht so weit offen lassen!", gab Aurix zurück und warf das lange, blonde Haar mit einer heftigen Kopfbewegung zurück.

"Du warst zu laut, du Sohn eines Kamels!"

"Du hast das Opfer vergessen, gottlose Hyäne!"

"Hab ich nicht!"

"Dann war es zu mickrig, sodass Zelto uns seinen Beistand verwehrte, geiziges Korinthenweib!" Aurix starrte seine kleine, dunkelhäutige Gefährtin böse an.

Seit ihrer Gefangennahme stritten sie sich, wer die Schuld am Fehlschlag ihres letzten Coups hatte. Es war alles so gut geplant gewesen. Der fette Steuereintreiber mit seinen ebenso fetten Geldsäcken war einfach unwiderstehlich für sie gewesen.

Als Trunkenbold und Weiberheld verschrieen, ließ er die Sache wie ein Kinderspiel aussehen. Gut, er hatte zwei kräftige junge Gardisten bei sich. Aber gegen Shiras Schlafzauber waren auch die nicht gefeit. So eine gute Gelegenheit hatte es seit Jahren nicht mehr in Am-Horeb, der kleinen Stadt am Rande des Bleichwaldes, gegeben. Wie konnte das nur schief gehen? Sie wollten sich eben mit den Geldsäcken davonmachen, da standen plötzlich, sechs Mann hoch, die Wachen vor ihnen.

Aurix hielt es zuerst für ein Trugbild, einen von Shiras skurrilen Scherzen, doch eine Schwertspitze an seiner Kehle hatte ihn eines besseren belehrt. Und von diesem Moment an stritten sie, zum Gaudium der Soldaten. Der hochgewachsene Meisterdieb hätte seiner Gefährtin am liebsten einen Tritt gegeben, aber die Fesseln ließen es nicht zu. Sie quittierte den Versuch mit einem höhnischen Feixen.

"Ich hätte mir nie so ein bleiches Scheusal als Partner nehmen sollen", begann sie die Tirade von neuem.

"Vielleicht bist du ja genauso bleich. Du solltest es mal mit Waschen versuchen", Aurix zeigte grienend seine großen Zähne.

"Vielleicht bist du ja genauso schwarz wie ich", konterte sie. "Deine Mutter hat nur vergessen das Fruchtwasser abzuwaschen. So wie du stinkst!"

"Dein Ugbali-Parfum ist auch nicht ohne!", gab er zurück, auf das Bärenfett anspielend, mit dem sie ihr schwarzes krauses Haar glättete.

"Hoffentlich dauert der Ritt noch lange und du kriegst Furunkeln am Hintern!", fauchte sie.

"Haltet mal die Klappe!" Der Hauptmann hatte angehalten und seine Leute bildeten einen Kreis um die Gefangenen. "Wir rasten hier eine Stunde."

"Oh, ich muss ganz dringend für kleine Mädchen", rief Shira bittend.

Der Hauptmann grinste und ihre Hoffnung sank. Nicht einmal zu diesem Zweck würden sie ihr die Hände losbinden.

Der Rastplatz war gut gewählt. Sie hatten den Bleichwald längst verlassen und das Grasland erreicht, das von der Alten Straße schnurgerade durchschnitten wurde. Rundherum gab es keinen einzigen Baum oder Felsen, der als Deckung dienen konnte, nur kniehohes Gras, das in sanften Wellen dem leichten Wind gehorchte.

Noch lag der Duft der weißen Krella-Blüten in der Luft, der sie durch den Wald begleitet hatte, doch nicht mehr lange. In der Ferne winkten bereits die Türme und Zinnen von Al-Mahot, der Kreisstadt, klein wie Spielzeug. Bis zum Abend würden sie dort sein und morgen ....Shira mochte nicht daran denken.

Grobe Pranken lösten ihre Fußfesseln und hoben die Gefangenen von den Pferden. "Der König wird von euch begeistert sein", grinste einer der Wächter schadenfroh.

"Ja, er erwartet euch schon sehnsüchtig wie die Braut den Bräutigam", sagte ein anderer während er die Gefangenen einen nach dem anderen mit Fleisch und Wasser fütterte. "Und wir bekommen eine saftige Belohnung, weil wir das Schachbrett gefangen haben."

'Schachbrett' war ihr Diebesname, weil sie so unzertrennlich wie die Felder des genannten Spieles waren.

Shira biss sich auf die Lippen und schielte zu Aurix hinüber. Der Meisterdieb war bleich geworden. Wenn der König in Al-Mahot weilte, nahm er sich aller Rechtsfälle selbst an. Und der Herrscher war alles andere als milde. Außerdem reiste er nie ohne seinen mächtigen Hofmagier. Verzweifelt bewegte sie die schlanken langen Finger in dem Versuch einen Zauber zu weben, vergeblich. Die Lederriemen saßen zu fest. Würde der König ihr beide Hände abhacken lassen oder nur eine? Gleichviel, zaubern konnte sie so oder so nicht mehr. Fieberhaft suchte sie nach einem Fluchtweg und fand keinen. Was ihr blieb, war nur die Wut auf ihren Partner.

"Du hast mich da hineingeritten, du Sohn einer Blindschleiche und eines Wassereimers!", zischte sie in ohnmächtiger Wut.

"Du hast es vermasselt, du verbrannte Nachgeburt einer Kellerassel!"

"Steht auf! Es geht weiter." Der Hauptmann ließ die beiden wieder auf die Pferde heben und festbinden. Al-Mahot rückte mit jedem Schritt näher und damit auch ihr Schicksal.

Plötzlich ertönte ein Ruf von hinten. Die Wächter drängten sich näher an ihre Gefangenen und Shira verdrehte sich den Hals um zu sehen, wer da gerufen hatte. Aber außer einer kleinen Staubwolke, die sich schnell näherte, war nichts zu erkennen. Ihre jäh aufgeflammte Hoffnung, Hilfe von der Diebesgilde zu bekommen, sank in sich zusammen und hinterließ nur Bitterkeit in ihr. Was sich da näherte, war nur ein einzelner Reiter.

Auch Aurix hatte sich umgedreht und seine Lippen formten nun lautlos ein Wort. Er musste es zweimal wiederholen, bis sie begriff: Amazone.

Hilflos zuckte sie mit den Schultern. Was konnte ihnen eine Amazone helfen? Diese wehrhaften Frauen lebten nach ihren eigenen Gesetzen und gefangene Diebe befreien gehörte nicht zu ihrem Geschäft.

Shira hörte den raschen Hufschlag eines Pferdes und erwartete, dass die Amazone sie unverzüglich überholen würde. Umso überraschter war sie als die Kriegerin die Gruppe zwar überholte aber vor ihnen ihr Pferd auf der Straße querstellte, sodass sie anhalten mussten. Graue Augen in einem wettergebräunten Gesicht mit tiefen Linien musterten sie scharf. Mit einer unwilligen Geste strich sie eine vorwitzige braune Locke hinters Ohr.

"Was liegt an, Schwertschwester?", fragte der Hauptmann irritiert. "Wenn du Nahrung brauchst, so hast du Pech bei uns. Wir wollen noch heute nach Al-Mahot. Da haben wir nur noch ein wenig Fleisch, Trockenfrüchte und einen Schlauch Wasser." Es war ein altes, nie gebrochenes Gesetz, dass Amazonen von jedem, dem sie begegneten, Verpflegung fordern konnten. Niemand würde ihnen etwas angesichts ihrer geballten Kampfkraft verwehren. Deshalb ließen sie die Geber auch nie ohne Bezahlung oder gar hungernd zurück.

"Ich brauche kein Essen", schnarrte die Kriegerin und deutete mit einem behandschuhten Finger auf Shira. "Diese Frau ist auserwählt eine der unseren zu werden."

Für Sekunden trat absolute Stille ein. Sogar die Pferde schienen die Luft anzuhalten. In Shiras Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie, eine Amazone? Nie hätte sie es für möglich gehalten, auserwählt zu werden.

"Diese Frau ist eine Diebin über die der König persönlich richten wird", protestierte der Hauptmann.

"Gib mir die Frau und bring dem König den Mann. Oder willst du mit mir um sie kämpfen?" Der letzte Satz hatte aufreizend höhnisch geklungen.

Die Brauen des Hauptmanns zogen sich finster zusammen, aber er wagte nicht zu widersprechen. Die Amazonen kämpften nicht nur mit ihrer Körperkraft, sie wurden auch noch von ihrer Magie unterstützt.

Was sollte sie tun? Das Angebot der Kriegerin lockte. Nur einmal kam der Ruf zu einer Auserwählten Amazone zu werden, lehnte sie ab, war es eine Entscheidung fürs Leben. Das war ihre Chance! Gut, sie war flink mit dem Messer. Und auch im waffenlosen Kampf war sie gut genug, um es mit jedem Mann aufnehmen zu können. Ein paar Zaubertricks beherrschte sie auch. Aber es gab sicher noch eine Menge Dinge, die sie dazulernen konnte. Scheu und zögernd nickte sie.

"Wir werden dich ausbilden, Schwester", klang die Stimme der Kriegerin in ihrem Kopf und erinnerte Shira daran, dass alle Amazonen telepathisch verbunden waren, ganz gleich, ob sie beisammen waren oder über das ganze Land verstreut.

Sie sah an ihrem mageren Körper in den abgewetzten, nun durch den Kampf mit den Wachen zerrissenen, Kleidern hinunter. Hier wurde ihr ein Leben in der Geborgenheit der Schwertschwesternschaft geboten. Frei, unabhängig, ohne Angst vor den Wachen, ohne Sorge um die nächste Mahlzeit und aufregend, abenteuerlich. Ein Leben voll Kampf und Reisen in ferne Länder. Vielleicht ein kurzes Leben, aber ganz sicher kein langweiliges. Nie wieder würde sie die Angst vor Verstümmelung und Kerker begleiten. Allerdings würde sie nie wieder mit einem Mann ihr Bett teilen dürfen, aber das ... naja, man konnte sich daran gewöhnen .... Diese und tausend andere Dinge schwirrten ihr durch den Kopf.

"So nimm sie denn mit dir, wenn du glaubst, dass sie eurer würdig ist", knurrte der Hauptmann. Seine Männer wichen zur Seite und die Amazone näherte sich Shira. In Sekundenschnelle fielen die Fesseln von ihr ab.

Ein Jubelschrei entwich aus Shiras Kehle als sie die Hände gegen den Himmel streckte und ihre Finger einen Zauber woben. Sofort wurden die Soldaten von einem heftigen Juckreiz befallen. Auch Aurix wand sich verzweifelt, konnte sich aber wegen der Fesseln nicht kratzen.

"Spiele nicht mit deiner Gabe!", wies sie die Amazone streng zurecht und hob den Zauber mit einer Handbewegung auf. "Komm jetzt!"

"Shira!" Die Diebin, schon im Begriff sich abzuwenden, drehte Aurix noch einmal das Gesicht zu. "Nun bezahlst du für deine Schlamperei, du Blendling eines Grottenolms und einer Latrine!", schmetterte sie ihm zum Abschied ins Gesicht, riss ihr Pferd herum und folgte der Kriegerin.

Gemeinsam ritten sie gemächlich die Straße zurück. Nach einer Weile fragte Shira: "Warum hast du mich ausgewählt?"

"Weil du begabt bist. Ich habe dich schon einige Zeit beobachtet."

"Nun, dann hast du ja Glück gehabt. Der König hätte mir mindestens eine Hand abhacken lassen. Schließlich hatten wir es auf seine Steuern abgesehen."

"Glück?" Die Kriegerin lachte, dass ihr schwerer Körper im Sattel auf und nieder hüpfte. "Was glaubst du, warum die Wachen so schnell zur Stelle waren? Kindchen, du musst noch viel lernen!"

"Waaas?" Shira riss die dunklen Augen so weit auf, dass das Weiße hell aus ihrem schwarzen Gesicht leuchtete. "Du hast uns an die Wachen verraten?" Die Amazone nickte herablassend. "Aber warum?"

"Du wärst mir doch nicht gefolgt, wenn du nicht in einer derart prekären Notlage gewesen wärst!"

"Und Aurix wird verstümmelt und eingekerkert!"

"Er ist doch bloß ein Mann!" Wieder lachte die Kriegerin. "Komm jetzt!"

Shira hatte unbewusst ihr Pferd gezügelt. Sie drehte sich um und sah die Staubwolke, die sich langsam Al-Mahot näherte. Aurix' Bild trat vor ihr inneres Auge. Die Verzweiflung in seinen blauen Augen als er ihren Namen rief. Andere Bilder folgten, von gelungen Diebstählen. Der Nervenkitzel des Einbruchs und die Entspannung, wenn sie unbehelligt entkommen waren. Die schönen Kleider, die Aurix ihr gekauft hatte und der juwelenbesetzte Dolch, den sie für ihn einem griesgrämigen Patrizier gestohlen hatte. Das alles lag noch in ihrer Unterkunft in Am-Horeb, vielleicht. Es sprach sich schnell herum, wenn ein Dieb gefasst wurde und die Aasgeier warteten nicht lange ....

"Träum nicht, Mädchen!", schnitt die Stimme der Amazone in ihre Gedanken.

Shira hob den Blick und sah die Schwertschwester an, deren Gesicht schon reichlich ungehalten war. Dort winkten ihr Ausbildung, ein warmes Quartier, regelmäßiges Essen und Kämpfe, Abenteuer. Amazonen kamen weit herum, als Söldner, als Begleitschutz für Karawanen, als Leibwächter .... Vielleicht würde sie eines Tages in eine Stadt kommen und am Straßenrand einen hochgewachsenen blonden Bettler sehen, der ihr flehend seine Armstümpfe entgegenreckte ...... Sie würde sich erinnern, wie zärtlich diese abgehackten Hände gewesen waren und dann ......

Entschlossen warf sie ihr Pferd herum. "Ich kann nicht mit dir gehen, Schwester", sagte sie bestimmt. "Du hast mich überlistet, es war keine freie Entscheidung."

Den Wutschrei der Amazone registrierte sie nur noch am Rande. Schon galoppierte sie hinter der Staubwolke her. Sobald sie in Reichweite war woben ihre Hände einen Schlafzauber. Er war gut berechnet, denn die Pferde blieben davon verschont. Kraftlos tastete die Hand des Hauptmanns nach einem Amulett, doch vergeblich. Bevor er es erreichen konnte, sank er wie seine Männer vom Pferd. Shira ließ grinsend ihren Blick über die schnarchende Gesellschaft gleiten. Da musste doch noch etwas zu holen sein. Zum Glück war Aurix nicht vom Pferd gefallen, er war ja gefesselt. Sie hätte seinen schweren Körper sicher nicht in den Sattel wuchten können. Leise vor sich hin summend ging sie von einem Wächter zum anderen und durchsuchte ihn systematisch. Ein erfreutes "Ah!" entschlüpfte ihr, als sie die vollen Börsen entdeckte. Auch Aurix Flammendolch entdeckte sie bei einem der Soldaten. Der Proviant war mager, aber sie packte ihn trotzdem ein.

"Es wird Zeit zu verschwinden", murmelte Shira und schwang sich auf ihr Pferd. Doch wohin? Nach Al-Mahot ganz sicher nicht. Also zurück in den Bleichwald. Als sie sich umwandte, suchten ihre Augen nach der Amazone. Doch die Schwertschwester war wie vom Erdboden verschluckt. Ein unangenehmes Kribbeln lief über Shiras Rückgrat. Die Amazone hatte einen sehr nachtragenden Eindruck auf sie gemacht.

Eine sanfte Brise ließ die blonde Mähne des Meisterdiebs flattern, das erste Zeichen für das Nahen der Abenddämmerung.

Entschlossen griff sich Shira die Zügel von Aurix' Pferd und hetzte auf den Wald zu. Im dichten Unterholz hoffte sie Schutz zu finden. Obwohl der Bleichwald beileibe nicht mit dem Urwald Ugbalis zu vergleichen war, fühlte sich Shira zwischen Bäumen immer sicherer als auf freiem Feld.

Die Schatten wurden schon länger als sie die ersten Bäume passierte. Ihre schwarzen Augen huschten unentwegt hin und her auf der Suche nach einer Abzweigung. Da! Diesen schmalen Wildwechsel hätte sie fast übersehen. Im schwindenden Licht der untergehenden Sonne lenkte sie die Pferde zwischen die Büsche. Tief sog sie die süß nach Krella-Blüten riechende Waldluft ein. Etwas Frisches, Klares mischte sich in den Duft, Wasser. Ein Blick auf ihren Gefährten zeigte ihr, dass er immer noch im Reich der Träume weilte.

Zeit, dass er munter wurde. Misstrauisch sah sie sich um. Eine Ahnung von Gefahr begleitete sie, seit sie in den Wald eingetaucht war.

Bald erreichte sie eine winzige Lichtung mit einer munter sprudelnden Quelle, deren Wasser sich zwischen bemoosten Steinen davon schlängelte. Mit einem kleinen Seufzer zerschnitt sie Aurix' Fesseln und der Meisterdieb fiel ins weiche Gras. Grunzend rollte er sich zusammen und schlief weiter. Das war aber nicht in Shiras Absicht. Nachdem sie die Pferde versorgt hatte, schöpfte sie mit den Händen Wasser aus der Quelle und spritzte es Aurix ins Gesicht. "Wach auf, Strohkopf!", rief sie leise und rüttelte an seiner Schulter.

Es dauerte noch eine geraume Weile und viele Hände voll Wasser bis der Meisterdieb wach war. Verdutzt streckte er sich und rieb sich die Augen. "Sind wir schon in Al-Mahot?", fragte er verschlafen und sah sich um. "Was ist denn ..? Oh, Shira!" Seine langen Arme umfassten die zierliche Ugbali. In den Büschen, die die Quelle locker umstanden, knackte es.

"Lass mich los. Dafür ist jetzt keine Zeit!", zischte sie und befreite sich aus seinem Griff. Wieder knackte es, gleichzeitig mit einem Rascheln. Die Pferde stampften unruhig und zogen an den Stricken, mit denen Shira sie an ein kräftiges Bäumchen gebunden hatte. "Stelle dich schlafend, aber halte dich bereit." Damit drückte sie ihm seinen Flammendolch in die Hand. Dann kuschelte sie sich zu ihm.

"Warum hast du das getan? Die Amazonen fragen jede Frau nur einmal. Es war die Chance deines Lebens!"

"Frag nicht so blöd", antwortete sie. "Wir sind umzingelt. Da sind mindestens fünf Gegner." Sprungbereit lauschte sie ins Dunkel der Nacht. Drei grobe Silhouetten konnte sie zwischen den Büschen ausmachen.

Plötzlich zerriss der Ruf: "Macht sie fertig!" wie ein Peitschenschlag die nächtliche Stille und drei behelmte Gestalten sprangen auf das Schachbrett zu. Blitzende Klingen bohrten sich in die weiche Erde wo Sekunden zuvor noch die Diebe gelegen hatten.

Lautlos wie Schatten waren die beiden zwischen den Büschen verschwunden. Ein tief hängender Ast bot sich als Leiter an. Sekunden später saßen sie in der dichten Krone eines Baumes und lauschten den wütenden Verwünschungen der Amazone. "Sie dürfen uns nicht entkommen! Wenn die Generalin ...."

"Zu spät, Verräterin!", ließ sich eine neue Stimme hören. "Die Generalin hat deine dunklen Machenschaften aufgedeckt. Ergib dich und empfange deine Strafe." Das Licht des aufgehenden Mondes glänzte auf sechs weiteren Amazonenhelmen.

Statt einer Antwort stürmte die Abtrünnige auf die Sprecherin zu. Schwerter klirrten gegeneinander. Die Luft war erfüllt vom Keuchen der Kämpferinnen, in das sich zunehmend Schmerzensschreie mischten.

"Verschwinden wir", raunte Shira ihrem Gefährten zu und glitt den Stamm hinunter.

Aurix' Zähne blitzten auf als er grinste. "Man sollte sich in anderer Leute Probleme nicht einmischen und die sind vollauf beschäftigt." Leise machte er die Pferde los und führte sie den schmalen Pfad zurück auf die Straße.

"Puh! Die sind wir los", meinte Shira erleichtert und schwang sich in den Sattel. Da ließ sie das Geräusch von vielen Hufen aufhorchen. Vermischt mit dem Rasseln von Rüstungen ergab das eine gefährliche Symphonie.

"Die Soldaten!", stieß Aurix hervor und drückte seinem Gaul die Fersen in die Weichen. Tief über die Hälse ihrer Pferde geduckt hetzten die Diebe die Straße entlang. Nach einer Meile lichtete sich der Wald und Am-Horeb erschien wie eine schwarze Riesenkröte vor ihnen. Auf Aurix' Wink schwenkten sie nach rechts. Dort gab es einen unterirdischen Gang, den die Diebesgilde als Fluchtweg angelegt hatte. Allerdings waren bis jetzt die Diebe immer in die andere Richtung geflohen. Eilig sprangen sie von den Pferden, jagten die Tiere davon und fanden in einem Gewirr von mannshohen Felsen hinter einem Busch den Eingang des Tunnels.

"Wohin?", fragte Shira knapp.

"In Snippys Kneipe können wir nicht. Bleibt nur das Gildenhaus."

Die schwarze Diebin rümpfte die Nase. "Wer weiß, was Hurro als Schutzgebühr fordert." Der Oberste Dieb hatte schon lange ein Auge auf die kleine Ugbali geworfen.

Eben hatten sie den Fluchttunnel verlassen und wandten sich, jeden Schatten ausnützend, dem Armenviertel zu. Dort befand sich das Hauptquartier der Diebesgilde. Da klirrte eine Schwertscheide gegen eine gepanzerte Seite. Gleichzeitig ertönte der Ruf: "Da sind sie!" Während sie sich durch den Geheimgang getastet hatten, waren die Soldaten durchs Haupttor herein gekommen.

Hakenschlagend rannte das Schachbrett in eine schmale Gasse, die mit Müll halb zugeschüttet war. Doch am anderen Ende warteten schon drei Soldaten mit gezückten Schwertern. Aurix' Flammendolch zeichnete ein tödliches Muster in die Luft. Trotz seiner geringeren Reichweite gelang es ihm, einen Gegner durch einen glücklichen Stich auszuschalten. Shira glitt unter dem Arm eines Bewaffneten durch und zog ihm dabei ihren Dolch über den Bauch. Stöhnend ging der Mann zu Boden. Der dritte Gegner brach mit einem Husten zusammen und schlug lang aufs Pflaster. Ein Pfeil ragte aus seinem Rücken.

"Da hinein, schnell!", zischte eine raue Stimme aus der halb vermoderten Tür eines verfallenen Hauses und Aurix erkannte die Stimme von Hurros Adjutanten, Kenos.

"Na, endlich! Einmal an so einem vertrackten Tag muss man doch Glück haben!", brummte er und zog seine Gefährtin hastig in den engen Durchgang.

Eine halbe Stunde später hatten sie ein Zimmer im Gildenhaus. "Du hast für mich eine Karriere als Amazone geopfert. Wie soll ich dir dafür ...?"

"Sie war eine Abtrünnige, hast du doch gehört", unterbrach sie ihn und warf ihm einen Beutel zu in dem es angenehm nach Gold klingelte. "Dein Anteil. Die Wächter haben gerade erst ihren Sold bekommen."

"Shira! Du bist phantastisch!", rief er aus und streichelte ihr schwarzes Haar.

"Ich bin müde", knurrte sie unwirsch. "Außerdem stünde dir im Grunde gar nichts zu. Schließlich habe ich die Knochenarbeit geleistet. Du hast die ganze Zeit geschlafen."

"Aber Shira! Das war doch dein Zauber!", verteidigte er sich.

"Laß mich doch schlafen, Strohkopf!", murmelte sie undeutlich und kroch in das breite Bett. Schulterzuckend folgte er ihr.



Quaaaak!



"Pass doch auf, Aurix!" Eine dunkelbraune Hand zog an seinen langen, blonden Locken und gleichzeitig zog ihr Gegenstück an seinem Hemd. "Auch Frösche sind Geschöpfe Zeltos!"

"Und Stechmücken!" Der hochgewachsene Dieb ließ seine kräftige Hand heftig auf seinen nackten Arm klatschen. "Wie kann es nur so viele Frösche geben!" Wieder schlug er nach einer Mücke.

"Was hast du von einem Sumpf erwartet?" Sie sprang leichtfüßig über zwei dicke, grüne Körper, die gemächlich über den schmalen Pfad krochen. Seit Stunden schon atmeten sie die modrige Luft dieses Sumpflandes. Ihre Pferde standen auf einer kleinen Wiese, umgeben von einem magischen Zaun, der sie vor Dieben schützen würde. "Denk an die Schätze, die wir aus Fratellos Turm herausholen werden. Was sind dagegen ein paar Mückenstiche!"

"Warum beißen sie nur mich!", begehrte der Meisterdieb auf. "Dich bemerken sie gar nicht!"

"Du schmeckst besser", erklärte seine schwarze Gefährtin grinsend. "Aber vielleicht ist es auch mein Ugbali-Parfum? - Aurix, du Trampeltier!"

Ein abgehacktes "Quak!" und schmatzendes Geräusch hatte sie alarmiert. Nun stand ihr Partner wie ein Storch auf einem Bein und besah sich die Bescherung. Einer der zahllosen Frösche war ihm so plötzlich vor die Füße gehüpft, dass er nicht mehr ausweichen konnte. Nun lag er da, mit zuckenden Gliedmaßen und aufgeplatztem Leib, aus dem Blut und Eingeweide quollen. "Das wollte ich nicht!", beteuerte er und wischte seinen Stiefel an einem Grasbüschel ab. "Ehrlich!"

"Du hast einfach nicht aufgepasst, wo du deine Quadratlatschen hinsetzt", tat sie seine Reue geringschätzig ab. "Wer weiß, was oder wen du da zertreten hast. Hier riecht es nach Hexerei, und zwar nach einer besonders fiesen!"

"Du glaubst ....?" Bestürzt starrte er auf den kleinen Leichnam. "Nein, Shira, so kriegst du mich nicht. Das kann doch nicht sein!"

Wortlos zeigte sie ihm ihr Amulett. Es schillerte in giftigen Grün- und Gelbtönen. "Glaubst du es jetzt?"

"Soll das heißen, es könnte ein verzauberter Mensch sein?", fragte er ungläubig. "Ich dachte, der Typ hätte übertrieben, um uns abzuschrecken."

"Es sieht nicht danach aus." Shira bückte sich und bettete die kleine Leiche vorsichtig auf ein saftiges Huflattichblatt. "Wir werden ihn bestatten, wenn wir den Schatz gehoben haben." Wieder lenkte sie ihre Schritte zu dem Turm, der nun schon ziemlich nahe gerückt war. Dort, so hatte ihnen ein Kollege aus der Diebesgilde erzählt, lagen unermessliche Schätze. Ein Zauberer hatte den Turm und seine Umgebung verhext, aber mit dem richtigen Amulett wäre das Ganze ein Kinderspiel. Shira besaß ein mächtiges Amulett, das sie vor allen möglichen Gefahren warnte, auch vor magischen. Und gerade das tat dieses Amulett jetzt.

Trotzdem schritt sie kräftig aus. Sie war nicht der Typ, der vor einer Gefahr zurückwich.

Aurix folgte ihr auf den Fuß. Auch er war mutig, obwohl er sich mehr auf seinen Verstand und seine Muskeln verließ als auf Magie. Seine blauen Augen waren fest auf den Pfad gerichtet. Er wollte nicht noch einmal auf einen dieser verdammten Frösche treten.

Endlich standen sie vor dem Turm. Eine sanfte Brise wehte die ungesunde, von Sumpfgas durchsetzte Luft weg.

"Lass mich voraus gehen", schlug Aurix vor und zog seinen Flammendolch. Seine Hand drückte gegen die windschiefe Tür und ließ sie quietschend aufschwingen. Sechsfaches Quaken ließ ihn zurückschrecken. Im Dunkel des Inneren saßen eine Gruppe Frösche und schienen das baufällige Gebäude zu bewachen.

Shiras Amulett begann heftig zu pulsieren, kein gutes Zeichen. "Das ist nichts für dich! Geh zur Seite!" Hastig griff sie nach seinem Hemd, aber Aurix hatte den Fuß bereits über die Schwelle gesetzt. "Aurix! Nein!" Ihr Warnruf kam zu spät. Der Meisterdieb war verschwunden. Das feingliedrige Ugbali-Mädchen stand fassungslos da, Aurix' Hemd in der Hand und starrte auf die ledernen Beinkleider und Stiefel ihres Freundes auf denen ein siebenter Frosch saß.

"Das hast du nun von deinem Macho-Gehabe!", schimpfte sie und hob das Tierchen auf.

Der Frosch sah sie beleidigt an und sagte: "Quak."

"Nun muss ich mich wohl nach einem Zauber umsehen, der dir deine menschliche Gestalt wieder gibt", seufzte sie und wandte sich der baufälligen, hölzernen Treppe zu.

Eifriges Quaken antwortete ihr. Auch die anderen sechs Frösche stimmten ein und folgten ihr.

Vorsichtig setzte sie einen Fuß nach dem anderen auf die gefährlich knarrenden Stufen. Im ersten Stockwerk fand sie nur eine von Spinnweben und Schimmelpilzen bewohnte Küche. Angeekelt stieg sie ein Stockwerk höher. Eine dicke Ratte steckte ihre spitze Nase unter einem verrottetem Bett hervor und bedachte Shira mit einem kritischen Blick. Verdächtiges Rascheln und Fiepen zwischen den verstaubten Kissen ließ die Diebin ahnen, dass ihre Familie nicht weit war.

Erst im dritten Stockwerk fand Shira, wonach sie suchte, die Werkstatt des Zauberers. Auch hier war alles seit vielen Jahren unberührt. Eine dicke Staubschicht überzog Möbel und Regale. Inmitten von zerbrochenen Reagenzgläsern und angesengten Schriftrollen lag das mit den Resten eines seidenen Schlafrocks bekleidete Skelett des Zauberers. Ein vertrockneter Fuß stak noch in einem durchlöcherten Pantoffel und eine Knochenhand hielt einen faustgroßen, azurblauen Kristall.

Der Stein allein ist ein Vermögen wert, dachte Shira, wenn er magische Kräfte hat, noch mehr. Aber zuerst musste sie sich um Aurix kümmern. Sie wischte unter seinem protestierendem Quaken mit dem Hemd über eine Ecke des wuchtigen Schreibtischs und setzte den Frosch ab.

"Willst du wieder ein Mensch werden oder nicht?", schnauzte sie ihn an und griff nach einer Schriftrolle. Das Material war so mürbe, dass es unter ihrer Hand zerbröselte. Überrascht sah sie auf. Es hatte sich nichts geändert. Wäre der Zauber mit der Schriftrolle gekoppelt gewesen, hätte er sich mit ihr verflüchtigt. "Na gut!", brummte sie. "So leicht geht es also nicht." Die nächste Schriftrolle enthielt ein Rezept für eine Hühneraugentinktur. Das könnte nützlich sein, entschied sie und steckte sie in ihren Rucksack.

"Quak!", ertönte es vom Schreibtisch. Der Aurix-Frosch war ein Stück weiter gehüpft und sprang nun auf einem schmalen schwarzen Buch auf und ab.

"Ach! Du hast etwas gefunden!" Neugierig schlug sie das Buch auf. Es war in einer altertümlichen Schrift geschrieben, aber sie konnte es doch lesen.

"Verwandlungszauber", las sie die Überschrift des ersten Kapitels. "Dann wollen wir doch mal." Klägliches Quaken lenkte sie ab. "Stimmt was nicht?" Wieder quakte ihr verzauberter Freund und wies mit einer grünen Hand zur Tür.

Shira drehte sich um. "Oh, du meinst die da!" Die sechs Frösche quälten sich nacheinander über die Schwelle.

"Sind sie gefährlich?"

Eifriges Quaken antwortete ihr.

"Nun, dann muss ich euch sicher verwahren", Sie sah sich um und fand einen Vogelbauer mit feinmaschigem Gitter. Sein früherer Bewohner, eine Elster, lag ebenfalls skelettiert am Boden. "Ihr könnt ihr Gesellschaft leisten", grinste sie und fing den ersten Frosch ein. Als die anderen sahen, was sie vorhatte, spritzten sie nach allen Seiten auseinander. Zwei von ihnen hüpften wieder über die Türschwelle und verschwanden über die Treppe.

Schulterzuckend begab sich Shira zum Tisch und begann das Buch zu lesen. "Die Verwandlung eines lebenden Wesens zu Stein, nein, das brauchen wir nicht. Verwandlungen von Tieren. Das klingt schon besser. Aha, der Spruch allein genügt."

Sie musterte ihren Partner und begann den Spruch zu rezitieren. Ein dumpfes Dröhnen füllte ihre Ohren und wirre Farbmuster wirbelten durch den Raum und nahmen ihr für Sekunden die Sicht. Als sie wieder klar sehen konnte, sah sie als erstes einen lila Frosch mit langen blonden Haaren am Kopf auf dem Tisch sitzen. Sonst hatte sich nichts geändert.

"Was sagst du jetzt!", strahlte sie. "Dein Haar hast du schon wieder. Jetzt muss ich nur noch den Rest herzaubern."

"Quak! Quak! Quak!", erscholl es ärgerlich.

"Sei nicht so undankbar!", schalt sie. "Hier ist noch ein Spruch."

"Quak! Quak!" Der lila Frosch hüpfte zum Rand des Tisches und äugte auf das Skelett des Zauberers hinunter.

"Du meinst, ich soll mir zuerst den Kristall holen?"

"Quak!" Der kleine lila Kopf wackelte auf und ab.

Eine Gänsehaut huschte über ihren Rücken, als sie den Stein den Knochenfingern entwand. Fast schien es als wollte der Zauberer ihn auch im Tod nicht hergeben. Zwei der vier verbliebenen Frösche sprangen immer wieder auf sie zu und versuchten, sie in die Hände zu beißen. Mit kurzen Schlägen wehrte sie die Quälgeister ab, achtete aber darauf, sie nicht zu verletzen. Befriedigt ließ sie das Kleinod in ihren Sack gleiten und vertiefte sich wieder in das magische Werk.

"Hier ist noch ein Spruch." Wieder hallten Worte der Macht durch das alte Gemäuer. Ein Windstoß zauste ihr Haar und warf sie fast um.

"Das ist ja großartig!", Aurix Stimme troff vor Sarkasmus. "Soll ich so den Rest meines Lebens verbringen?" Er war nun nicht mehr lila und auch seine Größe entsprach den früheren Ausmaßen, aber er war immer noch ein Frosch.

Dazu kam, dass das Zimmer nun mit vier weiteren überdimensionalen Fröschen bevölkert war. Der eine, den sie in den Bauer gesperrt hatte, hatte sein Gefängnis gesprengt und hüpfte drohend auf sie zu. "Was tust du da, Ugbali-Hexe?", brüllte er wutentbrannt. "Gib mir sofort meine menschliche Gestalt wieder oder ich verschlinge dich zum Nachtisch!"

"Tu es nicht, Shira!", rief der Aurix-Frosch. "Nimm den Stein und verschwinde. Ich komme schon zurecht."

Die Diebin blickte gehetzt von den Riesenfröschen zu ihrem Freund. Sollte sie die ganze Gesellschaft schlafen legen? Es war ihr Lieblingszauber und sie wusste, dass er wirken würde. Doch wie sollte sie Aurix wegbringen, wenn sie den Zauber endlich gebrochen hatte? Sie liebte seinen muskulösen Körper und seine langen Beine, aber alles zusammen war einfach zu schwer für sie.

"Du wirst uns sofort entzaubern!", befahl der dickste Frosch. "Dann gibst du uns den Stein und wir verschwinden. Vielleicht lassen wir euch beide auch leben, wenn wir guter Laune sind." Sein Tonfall und seine begehrlichen Blicke ließen keinen Zweifel darüber, was seine Laune heben würde.

"Der Zauberer hat noch andere Schätze. Jedenfalls habe ich das gehört", versuchte sie Zeit zu gewinnen. "Warum wollt ihr euch mit dem Kristall zufrieden geben, wenn es doch noch viel mehr gibt?"

"Du wirst sie suchen. Meine Freunde werden dein blondes Liebchen bewachen und ich gehe mit dir." Sein kahler Kopf wies auffordernd auf die Tür und Shira sah, dass er mit einem verschlungenen Schlangenmuster tätowiert war.

"Du bist Hurro, der verschollene Großmeister der Diebesgilde!", stellte sie fest. Es war keine angenehme Entdeckung. Hurro hatte schon immer ein Auge auf sie gehabt, aber Aurix war jedes Mal rechtzeitig zur Stelle gewesen.

"Das ist richtig, Mädchen", knurrte der fette Frosch und stieß sie auf die Treppe zu.

Während sie die morschen Stufen hinunter stieg, sann sie fieberhaft nach einem Ausweg. Könnte sie Hurro die Treppe hinunter stoßen? Nein, er war ja hinter ihr. Vom Turm weglocken? Würde auch nicht funktionieren. Es blieb ihr nur das Eine: Sie musste den Schatz finden. Flink glitten ihre Augen über die Schränke im Schlafzimmer des Zauberers.

"Sieh nach!", befahl der Gildenmeister unwirsch.

Gehorsam öffnete sie die Türen. Die Angeln der rechten Tür brachen und die wurmstichige Holzplatte fiel ihr entgegen. Geschickt sprang sie zur Seite. Hurro war nicht so schnell. Er bekam die Tür auf den tätowierten Schädel. Mit einer einzigen Bewegung befreite er sich und starrte in den Schrank. Die eine Hälfte präsentierte eine Reihe mottenzerfressener Anzüge, die sich gerade noch auf den Haken hielten. Der andere Teil des Schranks war in Fächer geteilt. Dort hatten die Ratten ihre Kinderstube errichtet. Aus Unterhosen, Socken und Taschentüchern waren kuschelige Nester geformt, in denen die Rattenbabies wie kleine, nackte Würmer lagen. Eine dicke Rattengouvernante schoss auf den überdimensionalen Frosch zu und biss ihn in die Nase. Hurro stieß ein lautes Quaken aus und sprang aus dem Zimmer.

In der Küche fanden sie nur vergammelte Lebensmittel. Überall krochen Maden und Fliegen herum, verfolgt von fetten, haarigen Spinnen. Auch hier war nichts, das nur andeutungsweise von Wert war.

Shira stieg hinunter ins Erdgeschoss. Ein Blick aus der halb offenen Tür belehrte sie, dass die beiden Frösche, die aus dem Arbeitszimmer geflohen waren, nun dem Rand des Sumpfes zustrebten. Von ihnen drohte keine Gefahr mehr. Vorsichtig ging sie über den staubigen Holzboden. Ein eiserner Ring an einer Bodenklappe erregte ihre Aufmerksamkeit.

"Was haben wir denn da?", ertönte Hurros Stimme hinter ihr. "Mach sofort auf!"

Ihre ersten Versuche waren erfolglos. Die Klappe war wie zugeschweißt. Erst ein Lösungszauber brachte den gewünschten Erfolg. Knarrend öffnete sich das Ding und offenbarte eine Leiter, die in undurchdringliches Dunkel führte.

"Mach Licht!", war Hurros nächster Befehl.

Ihre schlanken Finger woben eine strahlende Kugel und ließen sie in den Abgrund sinken, wo ihr Leuchten ganze Säcke voll Goldmünzen zum Glitzern brachte. Dazwischen sandten Edelsteine in den verschiedensten Farben ihr Feuer aus.

Hurro grunzte gierig und näherte sich der Leiter. "Hol das herauf. Alles!"

"Glaubst du wirklich, dass ich das kann?", fragte sie und stieg die Leiter hinunter. Versuchsweise zog sie an einem Goldsack. Sie konnte ihn keinen Millimeter bewegen. "Das Zeug ist viel zu schwer, aber ich kann dir die Münzen und Edelsteine einzeln hinauf reichen. Wenn es dir nicht zu lange dauert." Ohne dass Hurro es bemerkte verschwanden Goldstücke und Steine in den vielen Taschen ihrer Lederkleidung.

"Krof! Brak! Kommt sofort herunter!", brüllte Hurro und ließ sich in das Loch plumpsen. Seine Froschhände tauchten in das Gold und ließen Münzen über seinen Kopf regnen. Schweres Tapsen kündete das Kommen der beiden Helfer Hurros an. Shira schwang sich schnell aus dem Keller und drückte sich gegen die feuchte Wand.

"Wo ist er?", fragte ein Riesenfrosch mit brauner Stoppelglatze.

"Da unten!" Sie deutete auf die offenen Klappe.

Als die beiden das Glänzen und Gleißen sahen, stürzten sie sich gleich zu ihrem Herren hinunter. Es entstand ein Wirrwarr aus Froschleibern, Armen und Beinen, aus dem eine Reihe saftiger Flüche ertönte. Shira warf die Klappe zu und versiegelte sie mit einem kleinen Zauber. Dann rannte sie die Treppe hinauf. Der dritte Frosch aus Hurros Gefolge hockte missgelaunt neben dem Tisch und zerrupfte eine Schriftrolle nach der anderen.

"Bist du verrückt?!", schrie ihn Shira an. "Wer weiß, welche Zauber du da freisetzt! Hör sofort auf damit!" Ein Grollen in der Erde, das den Turm erzittern ließ, schien ihr recht zu geben. Erschrocken ließ der Frosch die Papierfetzen fallen. "Hurro wird dir die Haut abziehen, wenn er draufkommt, dass du eben den Schatz versenkt hast. Er lag im Keller", prophezeite sie ihm und wunderte sich sogleich, dass sogar ein Frosch ein dummes Gesicht machen konnte. "Ich würde mich schleunigst verdrücken", meinte sie so nebenbei.

"Aber er hat doch gesagt, ich soll auf Aurix aufpassen", wandte der verzauberte Dieb ein.

"Wie du meinst", antwortete sie leichthin. "Wenn dir deine Haut so wenig wert ist." Sie ging zum Fenster und sah über das Moor. Scharen von Riesenfröschen schwammen und hüpften dem Ufer zu. Wie viele Abenteurer hatten hier schon nach dem Schatz gesucht?, fragte sie sich. Als sie sich umdrehte, war sie allein mit Aurix im Zimmer.

"Jetzt mach endlich!", nörgelte er. "Wenn ich noch länger in dieser Gestalt bleibe, muss ich ins Wasser, sonst trockne ich aus!"

Wieder beugte sie sich über das Zauberbuch. "Du hast dein Haar und deine Stimme wieder", hielt sie ihm vor. "Der Rest ist ein Klacks." Von unten drangen wütende Stimmen und lautes Poltern.

"Beeil dich!", drängte ihr blonder Freund.

"Hurro ist im Keller eingesperrt. Mein Verschlusszauber wird noch Stunden halten", beruhigte sie ihn und begann einen Zauber zu weben. Ein hohles Kreischen erfüllte die Luft, dann platzte der gewaltige Froschleib auf und enthüllte den Meisterdieb in seiner Menschengestalt, nackt wie Zelto ihn geschaffen hatte. "Komm, mein Bester! Verschwinden wir!", rief Shira und lief vor ihm die Treppe hinunter.

"Wo sind meine Kleider? So kann ich doch nicht ....", rief er ihr nach während er in sein Hemd schlüpfte.

"Komm schon!", drängte sie. "Mir gefällst du sehr gut, so wie du bist." Sie kicherte schadenfroh. Doch dann fügte sie hinzu: "Deine Sachen sind unten, wo du verzaubert wurdest."

Fluchend rannte Aurix die Treppe hinunter und fuhr eilig in Hose und Stiefel. "Jetzt nichts wie weg!", brummte er und eilte den Pfad entlang, auf die fernen Bäume zu.

Shira hetzte hinter ihm her. Obwohl ihre Beine kürzer waren, hielt sie doch mit ihm Schritt. Ein Ugbali, der nicht schnell rennen konnte, war ein toter Ugbali. Nur am Rande bemerkte sie, dass sich die Froschpopulation drastisch verringert hatte. Wenigstens kamen sie nicht in die Gefahr, einen von ihnen zu zertreten. Dafür sahen sie ab und zu ein blankes Hinterteil zwischen den Büschen verschwinden.

Schnaufend erreichten sie ihre Pferde. Schnell löste sie die magische Fenz und Sekunden später galoppierten sie durch den Wald.

Gegen Abend suchten sie einen Rastplatz und Aurix kontrollierte ihren Proviant. "Das war vielleicht ein Reinfall!", grummelte er vor sich hin. "Jetzt können wir zusehen, dass uns Hurro nicht in die Finger kriegt."

"Wir können die Insel verlassen und nach Kar Mannon übersetzen", schlug Shira vor während sie an einem Stück getrockneten Fleisches kaute.

"Machst du Witze! Die Schiffer werfen jeden blinden Passagier den Haien vor."

"Zahlende Passagiere nicht", konterte sie und hielt ihm einen nussgroßen Aquamarin unter die Nase. "Fang auf, Strohkopf!", lachte sie und warf ihm noch einige Goldmünzen und andere Edelsteine zu. "Hast du gedacht, dass ich ohne Beute gehe?"

Aurix grinste und nahm sie in die Arme. "Es ist warm hier, meinst du nicht auch?", flüsterte er in ihr Ohr und zog an den Bändern ihrer Bluse. Dann senkte sich die Nacht über das ungleiche Paar.



Überfahrt nach Wellanka



"Geht es dir besser, Aurix?" Shira kraulte dem Meisterdieb den Nacken während dieser trüben Blicks ins Wasser starrte. Auch eine Schule munter spielender Delphine, die das Schiff schon seit Tagen begleitete, konnte ihn nicht aufheitern.

"Kann der Kapitän wirklich nichts machen, damit der Kahn nicht so wackelt?", nörgelte er.

"Ich hab was gefunden." Sie schob ihm verstohlen ein paar getrocknete, scharf riechende Blätter in den Mund. "Birg-Blätter. Die sind gut gegen Seekrankheit." Ein gewaltiges Niesen erschütterte Aurix' schlanken Körper. "Du musst sie gut kauen", riet seine Gefährtin und ordnete ihre Röcke. Hier an Bord traten sie als Lord und Lady Murico auf. Da musste sie ein Kleid tragen, wohl oder übel.

Aurix nieste wieder. "Woher hast du das?", fragte er zweifelnd und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

"Aus der Ladung. Ist dir noch übel?", erklärte sie stolz.

"Übel nicht mehr, aber dieses Jucken in der Nase! Hatschiii!"

"Du bist aber auch mit nichts zufrieden", maulte sie. "Gefällt dir das vielleicht besser?" Sie hielt ihm eine prall gefüllte Börse unter die Nase.

"Shira! Woher hast du die?" Aurix vergaß vor Überraschung sogar seine juckende Nase.

Seit vier Tagen waren sie auf See. Auf der Flucht vor Hurros Zorn hatten sie das erste Schiff genommen, das sie finden konnten. Und das war der Kauffahrer 'Seemöwe'. Sein Ziel war Wellanka, eine der größten und reichsten Inseln des Reiches. "Besser als Kar Mannon", hatte Shira gesagt und damit Aurix' Einwände vom Tisch gewischt. Ein paar Goldstücke aus dem Schatz des Zauberers sicherte ihnen eine kleine Kabine an Bord. Dass am zweiten Tag ein Sturm aufkam, der die 'Seemöwe' kräftig durchschüttelte und Aurix' Magen Purzelbäume schlagen ließ, war ausgesprochenes Pech.

"Na, von wem? Von Grimull, dem fetten Schwein!", grinste sie. "Der hat eine ganze Truhe voll von solchen Geldbeuteln. Einer weniger fällt ihm doch gar nicht auf."

"Wenn der Kapitän Wind davon kriegt, lässt er uns den Haien vorwerfen", unkte Aurix.

"Grimull wird ihm nichts sagen und wenn doch, dann sage ich, es war die Bezahlung für gewisse Dienste", kicherte sie.

"Shira! Du kannst doch nicht ... Hast du etwa wirklich ...?" Eifersucht blitzte in seinen Augen.

"Mach dir keine Sorgen, Strohkopf. Du brauchst nur seine Frau anzusehen, dann weißt du, dass er schweigen wird."



Aurix stieß einen bewundernden Pfiff aus. Grimulls Ehefrau war ein wahrer Drache in Menschengestalt. Der reiche Kaufmann tat in ihrer Gegenwart keinen Atemzug ohne ihre Erlaubnis. Doch in den wenigen Augenblicken, die sie ihn allein ließ, hatte er reges Interesse an Shira und den anderen weiblichen Passagieren gezeigt. Denn außer ihnen war noch ein junger Sultanssohn aus Sioul mit seinem sechsköpfigen Harem an Bord. Der schlitzäugige junge Mann war auf einer Vergnügungsreise. Auch seine Frauen waren vor Grimulls Glotzaugen nicht sicher, obwohl sie nur zu den Mahlzeiten auftauchten. An Deck kamen sie nie.

"Sei vorsichtig, Shira", bat Aurix. "Wenn sie dich ins Meer werfen, kann ich dir nicht helfen."

"Ich weiß, deine Schwimmkünste reichen gerade für dich." Sie ließ sich den Wind ins Gesicht blasen und fragte sich, welches Gefühl es sein mochte, so langes, glattes Haar wie Aurix zu haben. Blondes Haar, wie die Sonne, die gerade dabei war in einem farbenprächtigen Spektakel im Meer zu versinken. "Soll ich mich mal beim Sultan umsehen? Der ist jetzt sicher mit einer seiner Frauen beschäftigt."

"Shira! Kannst du nicht warten, bis wir auf Wellanka sind? Die Börse des Kaufmanns war schon zuviel."

"Was ist denn los mit dir? Du bist doch sonst nicht so ängstlich!", wunderte sie sich.

"Das Meer macht mich nervös", gestand er. "Außerdem verlasse ich Idias zum ersten Mal in meinem Leben."

"Die Delphine sind weg", stellte sie fest und ging zum Heck.

Der Wind hatte sich gelegt sobald die Sonne untergegangen war. Die See lag glatt wie ein Spiegel vor ihnen. Ein heller Ton zitterte in der Luft und der Mann an der Ruderpinne griff nach seinem am Hals hängenden Amulett. Shira schielte unbemerkt auf ihren eigenen Talisman, aber er zeigte keine Veränderung. Es war also keine Magie im Spiel.

"Was war das?", fragte sie unbefangen.

"Du solltest nach unten gehen, Lady Murico", riet der Matrose. "Es ist für dich nicht gut im Dunkeln an Deck zu sein."

"Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit", erklärte sie forsch.

"Geht unter Deck, Lady und Lord. Der Kapitän will es so." Wieder schwebte der seltsame Laut durch die Nacht.

Kapitän Gion war ans Ruder getreten und raunte seinem Steuermann etwas zu. Dieser nickte und verschwand unter Deck. "Nachts haben Passagiere nichts an Deck zu suchen", schnarrte er streng. Er war ein gewichtiger Mann, der natürliche Autorität ausstrahlte.

Doch Shira war dagegen immun. "Wegen diesem merkwürdigen Pfeifen?", fragte sie neugierig.

Die buschigen Brauen des Seemanns zogen sich unwillig zusammen. "Ich bin das Gesetz

an Bord!", wetterte er. Sein gepflegter, graubrauner Vollbart sträubte sich drohend.

"Komm, meine Liebe." Aurix nahm seine Freundin am Arm. "Der Kapitän hat recht. Ich habe keine Lust nach Wellanka zu schwimmen. Nur noch zwei oder drei Tage." Mit sanftem Druck schob er sie zur Luke. "Geh schon!", zischte er durch die zusammen gebissenen Zähne. Zögernd fügte sie sich.

"Wir gehen später noch einmal an Deck", flüsterte er ihr zu als sie in ihrer Kabine waren.

"Ich hab keine Lust, von Piraten an den Harem eines fetten Sioulaners verkauft zu werden", motzte sie.

"Das würde ich nie zulassen", versprach er. "Dieser Ton, kam der von einem Piratenschiff?"

"Manche haben Hörner, die so ähnlich klingen", meinte sie.

"Ich werde für dich kämpfen, bis zum letzten Blutstropfen", gelobte er und küsste sie in den Nacken.

"Aurix!", rief sie und entwand sich seinen Armen. "Da hat gerade ... hast du das gesehen?" Über ihnen polterten Schritte übers Deck und ein schriller Schrei war zu hören.

"Was soll ich ...? Bei den Göttern!" Vor ihrem Bullauge, das knapp an der Wasserlinie lag, brodelte das Meer und das Schiff schaukelte wild. "Kommt schon wieder ein Sturm?" Schon der Gedanke schien ihn erbleichen zu lassen. Ein paar Federn schwammen in dem sich langsam beruhigenden Wasser. "Was hast du gesehen, Shira?", forschte er.

"Ein Auge, ein riesiges rotes Auge", sagte sie zitternd.



Seit einer Stunde lag die 'Seemöwe' bewegungslos in den Fluten. Die beiden Diebe schlichen auf Zehenspitzen aus ihrer Kajüte und kletterten an Deck. Der Gestank nach Blut und Verwesung hing wie eine Glocke über dem Schiff. Am Heck stand der Kapitän und sprach ernst mit dem Steuermann. Eine kleine Laterne beleuchtete sein verwittertes Gesicht gerade soviel, dass man den sorgenvollen Ausdruck erkennen konnte.

Der Schiffsjunge kam ihnen mit einem Eimer und einem Mop entgegen. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen und sein Gesicht in einer Maske des Entsetzens erstarrt. Wortlos wollte er sich an den beiden vorbei drücken.

"Was haben sie dir denn getan?", fragte Aurix freundlich und hielt ihn am Arm fest. In den letzten Tagen, als er seekrank war, war der Junge ihm ein paar Mal beigestanden. Außerdem stammte er wie Aurix aus der Stadt Gora.

"Ich ....Lord, ich ... darf ich ...", stotterte der Kleine.

Aurix schätzte ihn auf etwa 10 Jahre, aber möglicherweise war er auch jünger. "Was ist passiert, Abbo?"

"Es hat Pirmins halben Arm gefressen", hauchte der Junge und sah ängstlich über seine Schulter. "Der Kapitän fürchtet jetzt, dass es mit dem Huhn nicht zufrieden sein wird."

"Welches 'es'?", bohrte Shira. "Hat es rote Augen?"

"Nur eins, ein riesiges, rotes Auge", bestätigte er.

"Abbo, verschwinde! Du sollst die Herrschaften nicht belästigen!" Die Stimme des Kapitäns knallte wie ein Peitschenhieb übers Deck. Ängstlich duckte sich das Kind und sprang in die Luke. "Noch gar nicht müde?", fragte Gion nun in leutseligem Ton.

"Nein, es ist so wunderbar sternklar. Sieh doch!", schwärmte Shira. Sie hatte an Gions Finger einen wunderschönen Ring mit einem grünem Stein entdeckt. Da konnte sie einfach nicht widerstehen. Während der Kapitän seinen Blick nach oben richtete, woben ihre Hände einen Zauber, der den Ring rutschig machte. Sie brauchte ihn nur noch auffangen, als er von Gions Finger glitt.

Aurix gähnte ausgiebig. "Bist du wirklich noch nicht müde, meine Liebe?", fragte er zärtlich und funkelte sie dabei wild an.

"Nicht sehr", gab sie zurück und fixierte die goldene Kette um Gions Hals. Doch dann senkte sie nachgiebig den Kopf. "Aber wenn du meinst ..." Wie ein Lamm ließ sie sich zur Luke führen.

"Welcher Dämon hat dir ins Gehirn gerülpst!?", fuhr er sie wütend an, als sie wieder in der Kabine saßen. "Da draußen treibt ein Monster sein Unwesen und du musst unbedingt diesen Ring stehlen! Was denkst du, wird der Kapitän tun, wenn er ihn vermisst?"

"Er wird denken, dass er ihn verloren hat", erklärte sie trotzig und hielt das Kleinod gegen die Lampe. "Er ist weniger wert als ich dachte. Sieh nur den Schatten im Stein!"

"Er wird uns über Bord werfen, als Opfer für das rotäugige Ding!", schimpfte er weiter.

"Nicht so laut!", warnte sie. "Sonst bis du schuld, wenn wir entlarvt werden." Aufreizend langsam begann sie ihr Mieder aufzuschnüren. Sie wusste, dass er dem nicht widerstehen konnte und sein starrer Blick, die hervorquellenden Augen, bestätigten ihre Ansicht.

"Shira, das ist nicht fair", protestierte er schwach. "Versprich mir, dass du auf diesem Schiff nichts mehr stehlen wirst."

Kokett ließ sie das Mieder samt Rock zu Boden gleiten. "Ich verspreche es, Strohkopf", flüsterte sie und biss ihn ins Ohr.



Wütende Schreie und Poltern weckte die Diebe früh am nächsten Morgen. Während sich Shira noch in ihrer Koje räkelte, schlüpfte Aurix in seine Kleider und schlich zur Luke. Der Kapitän hatte die ganze Mannschaft antreten lassen, auch die Freiwache. Schäumend vor Wut befahl er jedem freien Mann das Schiff bis auf den letzten Winkel nach seinem Ring zu durchsuchen. Geräuschlos zog sich der Meisterdieb zurück.

"Da hast du es!", schalt er. "Der Kapitän lässt den ganzen Kahn auf den Kopf stellen wegen seines Ringes."

"Er wird ihn nicht finden", antwortete sie sorglos.

"Glaubst du, er wird unsere Kabine nicht durchsuchen lassen?"

"Doch, kann er ruhig. Aber er wird ihn nicht finden." Sie lachte und warf ihm eine kleine Statue Zeltos zu.

Erstaunt fühlte er den Ring in seiner Hand, doch seine Augen sahen Zeltos kahlen Kopf und unförmigen Leib. Im Nabel der Figur glänzte ein Smaragd. "Ein Illusionszauber", konstatierte er.



Eine sanfte Brise gab der 'Seemöwe' ein wenig Fahrt. Gion ließ alle Segel setzen um jeden Hauch auszunützen. Trotzdem schien es als kämen sie nicht von der Stelle. Und am Nachmittag schlief der Wind wieder ein und die schmutziggrauen Segel hingen wie ein ausgebleichter Trauerflor in den Wanten. Als wieder der seltsame Laut aus dem Wasser aufstieg, hielten alle an Deck den Atem an. Auch Shira und Aurix, die an der Reling standen, zuckten zusammen.

Nur Grimulls Eheweib blieb davon unbeeindruckt. Wie eine Furie kam sie aufs Deck geschossen und baute sich drohend vor dem Kapitän auf. "Kapitän! Wir wurden bestohlen!", keifte sie mit ihrer schrillen Stimme. Ihre spitze Nase schien dabei auf Gion einhacken zu wollen.

"Aber, Lady!" Gion wich vor ihrem schweren Parfum einen Schritt zurück. "Dies ist ein anständiges Schiff. Ich bürge für jeden Mann meiner Besatzung."

"Bürgst du auch für die Passagiere? Es sind genug freche Gören da, die um meinen Mann herum scharwenzeln. Eine von ihnen muss ihm einen Beutel mit 50 Goldstücken gestohlen haben."

"50!", raunte Shira grinsend ihrem Gefährten zu. "Ich hab's noch gar nicht gezählt."

"Lady! Das ist eine schlimme Anschuldigung!", warnte Gion und presste die Lippen zusammen als wieder dieser entsetzliche Ton erklang. Er schien jetzt aus geringerer Entfernung zu kommen. "Ich werde mich morgen darum kümmern, wenn wir aus diesen gefährlichen Gewässern heraus sind", sagte er schnell. "Jetzt ersuche ich dich, schnell unter Deck zu gehen. Alle Passagiere gehen jetzt unter Deck!" Sein strenger Blick traf auch die Diebe.

"Zuerst lässt du die Mädchen durchsuchen. Mit der schwarzen Hexe kannst du gleich beginnen." Sie kam wie ein galenisches Katapult auf die beiden Diebe zu.

Gion musterte das Pärchen scharf. Er schien den Verlust seines Ringes immer noch nicht verwunden zu haben.

"Mein Lord, beschütze mich!", rief Shira flehentlich und klammerte sich an den Meisterdieb. "Sie hat den bösen Blick!" Ihre aufgerissenen Augen und ihr zitternder Mund ließen sie wie ein hilfloses Kind aussehen.

Aurix legte einen muskulösen Arm um ihre Schultern. In seiner freien Hand war plötzlich sein Flammendolch aufgetaucht. "Du wirst meine Gefährtin nicht anrühren!", grollte er böse.

Doch Grimulls Gattin schien das wenig zu beeindrucken. Mit einem wütenden Kreischen, die Hände mit den langen rot lackierten Nägeln ausgestreckt, stürmte sie auf die beiden zu. Das Paar trennte sich und tauchte rechts und links geschmeidig unter den Armen der wütenden Dame hinweg. Diese wurde vom Schwung gegen die Reling geschleudert und für Sekunden sah es so aus als stürze sie ins Wasser. Mühsam fing sie sich und fuhr herum, bereit den beiden nachzusetzen.

"Aber, sehr verehrte Dame!", rief Gion. "Ich werde mich um die Sache kümmern."

"Ich weiß, was dabei heraus kommt, wenn sich Männer um etwas kümmern!" Ungeachtet Aurix' Dolch schickte sie sich an, sich noch einmal auf die beiden zu stürzen. Sie kam nicht weit. Ein schleimiger blaugrüner Tentakel schlängelte sich aus den aufgewühlten Fluten um ihre Wespentaille. Mühelos hob er die kreischende Frau hoch. Aus ihrer Wut war panische Angst geworden. Nun reckte sich auch der Körper aus der See, eine gewaltige Woge Meerwasser über das Deck des Kauffahrers ergießend. Ein riesiges rotes Auge blickte kalt aus mehreren Metern Höhe auf die bebenden Menschen hinunter. Irgendwo in dem unförmigen, blaugrünen Leib öffnete sich ein mit langen spitzen Zähnen besetztes Maul und schob die schreiende Frau hinein. Eine schier unerträgliche Wolke von Fäulnis und Verwesung wehte über das Schiff. Unzählige weitere Tentakel peitschten das Wasser und das schreckliche Auge schien nach dem nächsten Opfer Ausschau zu halten.

Shira bleckte fauchend die Zähne, für Aurix ein deutliches Zeichen, dass sie Angst hatte. Dieses verdammte Kleid! Mit einem Ruck riss sie sich die Röcke vom Leib und stand in ihrer Lederkleidung da. "Aurix, pass auf!" Ihre Hände woben einen Zauber, der die Luft knistern ließ. Dann sprach sie ein Wort der Macht und ein silberglänzender Lichtpfeil schwirrte auf das Ungeheuer zu, bohrte sich in den schwammigen Körper und brannte ein faustgroßes Loch hinein. Das Wesen heulte auf und wand sich qualvoll. Grünliches Blut quoll aus der Wunde. Die scheußlichen Auswüchse krachten gegen die Planken der 'Seemöwe' und ließen sie ächzend hin und her schwanken.

Der Meisterdieb hieb mit dem Dolch auf einen Fangarm ein. Leider schien das das Ungeheuer nur noch wütender zu machen. Da leisteten die Macheten der Seeleute schon bessere Arbeit. Stück für Stück hieben sie ein Tentakel nach dem anderen ab.

"Shira, hinter dir!", warnte Aurix' Stimme und die Diebin wich geschickt aus.

"Shira? Aurix?" Der Kapitän starrte sie ungläubig an. Dann malte sich eine verhängnisvolle Erkenntnis in seinem Gesicht. "Das Schachbrett!"

Shira und Aurix sahen einander an. Er warf ihr seinen besten "Das hast du jetzt davon!"-Blick zu. 'Schachbrett' war ihr Diebesname, da sie so unzertrennlich wie die Felder des genannten Spieles waren. Doch jetzt war keine Zeit für eine Strafpredigt.

Wieder bohrte sich ein Silberpfeil in das Ungeheuer. Diesmal traf er das Maul und brannte einen Teil des schaurigen Kiefers weg. Bruchstücke der langen Zähne krachten aufs Deck und bohrten sich tief in die Planken. Das Heulen nahm an Lautstärke zu. Die schrillen Töne marterten die Ohren der Anwesenden. Shira schickte bereits den dritten Pfeil auf die Reise. Dieser bohrte sich zischend in das rote Auge. Konvulsivisch zuckend versank das Ding im Meer. Mit den Resten seiner Tentakel schlug es dabei wild um sich und es grenzte an ein Wunder, dass das Schiff die Schläge ohne größere Schäden überstand.

Noch minutenlang nachdem das Scheusal verschwunden war wagten die Menschen an Bord kaum zu atmen. Shira umschlang ihren Freund, drückte ihr Gesicht an seine Brust und begann bitterlich zu weinen. "Ich hatte solche Angst, Aurix", schluchzte sie ein ums andere Mal.

Und Aurix, der selbst noch mit seinem Entsetzen kämpfte, streichelte unbeholfen ihr krauses Haar. "So habe ich dich noch nie kämpfen gesehen", stotterte er. "Du bist viel mächtiger als ich dachte."

Grimulls bleiches Gesicht tauchte aus der Luke auf. "Ist es weg?", fragte er zaghaft, denn der Gestank des Wesens, vermischt mit dem verbrannten Fleisches, hing noch immer in der Luft.

"Es ist weg und ich glaube, wir werden sehr lange nichts mehr von ihm hören, vielleicht nie mehr." Gions helle Augen richteten sich streng auf die Diebe. "Ergreift sie!"

"Aber sie hat uns das Leben gerettet!", wandte Grimull ein. "Auch wenn meine arme Gemahlin ...." Sein Gesicht drückte eher Erleichterung als Bedauern aus.

"Ich dulde keine Diebe auf meinem Schiff", knurrte der Kapitän unerbittlich. Raue Seemannspranken packten die beiden und banden ihnen die Hände auf den Rücken.

"Da hast du uns ja in ein schönes Schlamassel hinein geritten, verlauste Sumpfziege!", schimpfte Aurix.

"Wenn du nicht seekrank gewesen wärst, hättest du viel mehr gestohlen als ich, scheinheiliger Ochsenkopf!", keifte sie zurück.

"Du schlangenzüngige Kanalratte! Jetzt müssen wir schwimmen!"

"Vielleicht beißt dir ein Fisch etwas ab!", kicherte sie boshaft.

"Das könnte auch für dich ein Verlust sein", gab er zu bedenken.

Der Kapitän beendete den Streit mit einer herrischen Geste. "Werft sie über Bord!"

"Du kannst sie doch nicht einfach ins Wasser werfen!" Grimull stellte sich schützend vor die beiden. "Ich ... äh, wir verdanken ihnen doch sehr viel!"

"Ich bin das Gesetz an Bord und ich sage, ins Wasser mit ihnen. Geh zur Seite, Kaufmann!"

"Kapitän Gion! Ist der Sturm vorbei?" Der Sioulaner tauchte aus der Luke auf und sah sich verwundert um. "Was ist denn hier los? Warum sind diese Herrschaften gefesselt?" Naives Staunen stand in sein Gesicht geschrieben.

"Diese Herrschaften sind das 'Schachbrett'. Macht endlich, Männer!"

"Sultan! Lady Murico hat das Ungeheuer bekämpft und vielleicht sogar getötet! Du kannst nicht zulassen, dass sie ertränkt wird", rief Grimull beschwörend.

"Ein Ungeheuer? Ich dachte, es war ein Sturm", wunderte sich der Sioulaner.

"Grimull! Die haben doch auch dich bestohlen!" Der Kapitän schüttelte irritiert den Kopf.

"Ach, was soll's! Mein Leben ist wichtiger als die paar Goldstücke, jetzt, wo meine Frau verblichen ist ..." Er zwinkerte dem Sultanssohn vertraulich zu. "Kommen wir ins Geschäft, Sultan? Die kleine Blonde hat es mir angetan."

"Sie haben meinen Clan-Ring gestohlen. Das ist ein unverzeihliches Verbrechen!", beharrte Gion.

"Kannst du nicht Gnade walten lassen, wenn sie den Ring zurückgeben?", versuchte es nun auch der Sultan.

"Wo ist mein Ring?", knurrte der Kapitän.

"Die Zelto-Statue", sagte Shira mit einiger Überwindung. "Wenn du mir die Hände losbindest, kann ich den Zauber auflösen."

Auf Gions Wink verschwand einer der Seeleute unter Deck um kurz darauf mit der Figur in der Hand wieder aufzutauchen. Er reichte sie dem Kapitän und löste Shiras Fesseln. Die Finger des Ugbali-Mädchens tanzten durch die Luft und Gion hielt seinen Ring in der Hand.

"Ihr werdet auf der nächsten Insel ausgesetzt", knurrte er. "Bis dahin seid ihr unter Arrest."

Shiras Hände wurden wieder gebunden. Dann steckte man die beiden in ein enges Gelass. Nach dem scharfen Uringestank zu urteilen, wurde es wohl öfters als Gefängnis verwendet.

"Wenn du nur einmal auf mich hören könntest! Aber das geht in deinen schwarzen Holzkopf nicht hinein", wetterte Aurix.

"Wir leben noch und du musst nicht schwimmen, du klappriger Krautwächter", gab sie giftig zurück. Es hatte sie hart getroffen, eine Beute wieder hergeben zu müssen. Sie hätte es bis zu der nächsten Insel vielleicht geschafft, aber Aurix?

"Dir macht es wohl nichts aus, dass es hier stinkt, elender Mistkäfer!", setzte er seine Tirade fort.

"Wir werden nicht lange hier bleiben. Ich habe die Umrisse einer Insel am Horizont gesehen", lenkte sie vom Thema ab.

Das entsprach der Wahrheit, denn schon eine Stunde später wurden sie aus dem Loch geholt und in ein Beiboot gesetzt. Der Kapitän begleitete sie mit zweien seiner Männer persönlich an Land. Dort warf er ihre Rucksäcke auf den steinigen Strand und löste Aurix Fesseln.

"Wenn ihr mir wieder über den Weg lauft, geht es für euch nicht so glimpflich aus", drohte er und sprang in das Boot. Sofort ruderten die Männer zurück zum Schiff. Aurix machte sich sofort über Shiras Fesseln her.

"Welche Insel ist das hier?", rief ihnen die schwarze Diebin nach und massierte ihre Handgelenke.

"Natick!", rief ihnen der Kapitän höhnisch zu und lachte.

"Natick?", wiederholten die beiden Diebe im Chor. "Was sollen wir hier stehlen?" Natick war eine der ärmsten und unterentwickeltsten Inseln des Reiches.

"Wir werden arbeiten müssen!", jammerte Shira. Sie hatte ihren Rucksack durchstöbert und festgestellt, dass alle Wertsachen fehlten.

"Keine Sorge, Shira", beruhigte sie ihr Gefährte. "Wir nehmen die erste Passage nach Wellanka." Er schüttelte Gions Geldkatze vor ihrer Nase, in der es angenehm klingelte. Dann legte er ihr noch die Halskette des Kapitäns um. "Zum Trost, kleine Hexe", flüsterte er und drückte sie fest an sich.



77 Kostbarkeiten



"Aurix, nun komm schon endlich!" Shira zog energisch am linken Bein des Meisterdiebs. "Was ist los mit dir? War dir der Wein zu stark?" Ungeduldig ließ sie das Bein auf den Boden fallen und lief zum Fenster. Die nächtlichen Straßen von Akushneta lagen still und verlassen da. Eben waren die letzten Laternen gelöscht worden. Nur ab und zu huschte eine fette Ratte ins Ufergebüsch des Akush-Flusses oder der lautlose Schatten einer Eule verdunkelte kurzzeitig ein paar Sterne.

Vor einer Woche war es dem Diebespärchen endlich gelungen von Natick nach Wellanka überzusetzen. Wohl oder übel hatten die beiden für die Passage arbeiten müssen. Aurix hatte schimpfend und fluchend Holz gehackt und die kleine dunkelhäutige Diebin musste Gemüse putzen und unzählige, schmutzige Teller waschen. Auch ihr Repertoire an Flüchen erweiterte sich erheblich. Aber es war tatsächlich ihre einzige Möglichkeit von dieser Insel, die so arm war, dass es aber auch rein gar nichts zu stehlen gab, weg zu kommen.

Die Bewohner Naticks waren außerdem so genügsam, dass auch Gold keine Wirkung auf sie hatte. Was für sie zählte, war nur Arbeit. Endlich, endlich durften sie das kleine Fischerboot besteigen, das sie, dank Shiras magischem Wind, alsbald an Wellankas weißen Sandstrand brachte. Wider Erwarten hatte Aurix die Fahrt ohne Übelkeit überstanden. Das beflügelte ihn so, dass er schon am nächsten Tag einem reichen Kaufmann den prallen Geldbeutel mopste.

In aller Ruhe suchten sie sich nun eine Bleibe und fanden sie in einem kleinen, verlassenen Haus nahe des Akush. Die Besitzer hatten die Hütte offenbar eiligst geräumt und nichts als leere Wände und Fußböden hinterlassen. Einzige Ausnahme war ein Bild im größten Zimmer, das den Marktplatz von Akushneta darstellte. Es war wohl zu groß und sperrig zum Mitnehmen gewesen.

Shira gefiel das äußerst naturgetreu gemalte Bild. Fast konnte man den Duft der angebotenen Gewürze und das Parfum der Damen vor den Ständen der Seidenhändler riechen. Vier Tage später hatten sie alles gestohlen, was sie zu ihrer Bequemlichkeit brauchten. Möbel, Teppiche, dicke Vorhänge für die kleinen Fenster, Lampen, Teller und noch viele andere nützliche Dinge. Den Braten und den Wein für die anschließende Feier hatten sie allerdings bezahlt. Es war ein guter Wein, der wie Öl die Kehle hinunter rann.

Hatte der hochgewachsene, blonde Meisterdieb ein wenig zuviel davon erwischt?

Benommen und mit wenig geistreicher Miene kam Shiras Gefährte endlich hoch. "Warum muss das unbedingt heute sein?", maulte er. "Die Schätze laufen uns nicht davon. Es ist doch nur ein alter Mann, der seit Jahren sein Haus nicht mehr verlassen hat."

"Eben darum. Hier gibt es noch andere Diebe, die vielleicht auch auf den Gedanken kommen, sich die Kostbarkeiten zu holen", drängte sie. "Heute ist Neumond, der beste Zeitpunkt für einen Einbruch."

"Warum hat sich bisher niemand den Schatz geholt?", stichelte er.

"Der Schatz ist sicher gut bewacht, vielleicht auch noch magisch gesichert", vermutete sie. "Wir müssen das auskundschaften. Komm endlich! Mitternacht ist schon vorüber."

"Warum hast du's denn so eilig?" Suchend tastete sein Fuß über den Teppich nach dem zweiten Stiefel.

"Dieser kleine Dieb, Virpo, sagte, eine der Kostbarkeiten wäre unsere Eintrittskarte in die hiesige Diebesgilde. Florix, ihr Anführer, wünscht sich eine. Ich habe einfach keine Lust als Freiberuflerin zu arbeiten", entgegnete sie. In Gedanken rekapitulierte sie, was Virpo ihnen von dem schrulligen Alten erzählt hatte. Wie ein Einsiedler lebte er in dem schmalen einstöckigen Haus am Rande des Marktplatzes. Niemand wusste, wie alt er wirklich war, denn er war seit Jahren nicht mehr gesehen worden. Nur, dass er seinem Schatz jedes Jahr ein neues Juwel hinzufügte, das wussten alle. 77 Kostbarkeiten bargen die alten, grauen Mauern.

"Der Alte hat sicher schon den Überblick verloren", sagte sie halb zu sich selbst. "Es wird ihm gar nicht auffallen, wenn etwas fehlt." Aurix hatte endlich seinen Stiefel gefunden und angezogen. Seine geschmeidigen Finger ergriffen die Weinflasche und hoben sie an die Lippen. "Nichts da!", schimpfte Shira. "Du hast genug getrunken." Ihre kleine schwarze Faust drückte seine Hand mit erstaunlicher Kraft nach unten.

"Ein kleiner Schluck schadet doch nicht. Ich bin durstig!"

"Ein kleiner Schluck von diesem Zeug könnte uns das Leben kosten", hielt sie ihm vor.

Seufzend stellte er die Flasche auf ein geschnitztes Mahagonitischchen. "Du hast ja recht, meine schwarze Königin", murmelte er.

Noch immer nicht ganz überzeugt folgte er dem Ugbali-Mädchen durch den verwilderten Garten auf die menschenleere Straße. Im Gehen band er sein langes, blondes Haar mit einem geflochtenen Lederband im Nacken zusammen und zog die Kapuze seiner dunklen Jacke tief ins Gesicht.

Shira mit ihrer nachtschwarzen Haut und dem ebensolchen Kraushaar hatte diese Vorsichtsmaßnahme nicht nötig. Lautlos glitten die beiden durch die leeren Straßen. Hier war es viel sauberer als in den Städten von Idias, in denen sie bisher gelebt hatten. Es war ein Zeichen für den Wohlstand, der auf Wellanka herrschte. Denn nur eine reiche Stadt konnte sich eine Müllabfuhr und Straßenreinigung leisten.

Erst als sie sich der Stadtmitte näherten trafen sie die ersten Zecher, die schwankend die nächste Kneipe suchten. Die breiten Geschäftsstraßen mieden sie sorgfältig. Die reichen Bürger Akushnetas schätzten es nicht, wenn nachts ihre Läden geplündert wurden. Deshalb konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Wachen auf diesen Bereich. Leichte Mädchen kamen aus dunklen Hausfluren, wenn sie Aurix' hochgewachsene Gestalt erblickten. Doch sobald Shira ihre weißen Zähne aufblitzen ließ, wichen sie murrend zurück.

Dann standen sie endlich unter einem geschwungenen Vordach und äugten zu dem Haus des geheimnisvollen Alten hinüber. Das schwache Licht der Sterne ließ die beiden Diebe die graue Außenmauer erkennen. Die kleinen, vergitterten Fenster wirkten darin wie schwarze Löcher. Und das oben abgerundete Haustor mit den beiden winzigen Schießscharten und den breiten Eisenbeschlägen war ein grinsendes Gesicht im Dunkel der Nacht. Ein hohles Singen ließ sie zusammen zucken. Aurix drehte suchend den Kopf, konnte aber die Quelle der Laute nicht finden.

"Wie willst du da hinein kommen?", flüsterte Shira. "Übers Dach?"

Aurix nickte und hielt ihr die Hände hin. Fremdartige Worte kamen von ihren Lippen und ließen die Luft knistern. Einige bunte Funken segelten aufs Pflaster und verglühten zischend. Geduldig wartete er auf ihr aufmunterndes Nicken. Dann glitt er lautlos auf das Haus neben dem Bau des Alten zu. Wie eine Fliege lief er auf Händen und Füßen die Wand senkrecht hinauf. Seine schwarze Gefährtin folgte ihm auf gleiche Weise. Schließlich saßen sie auf dem Dachfirst und lugten hinab in die Gärten, die sich hinter den Häusern erstreckten.

Der Alte hatte nur ein schmales Stück Grund, das von einem uralten Apfelbaum fast ganz ausgefüllt wurde. Die Äste quollen bereits über die hintere Mauer und fast bis zur Dachrinne des Hauses. Wie eine Katze kroch Shira auf der schmalen Mauer, die die beiden Grundstücke trennte zur hinteren Begrenzung. Von dort war es ein Kinderspiel auf den Baum zu gelangen.

Aurix folgte ihr zwar weniger elegant, aber dafür genauso geräuschlos. Ein dicker Ast bot beiden genug Platz zum Sitzen und außerdem noch einen guten Blick auf die Rückseite des Hauses. Hier waren die Fenster groß und nicht vergittert. Eines im Obergeschoss stand sogar offen und der laue Nachtwind spielte mit dem dünnen Vorhang.

"Soll ich es versuchen?", hauchte Shira ihrem Freund ins Ohr. Schweigend deutete er auf ihr Amulett, das in hellem Grün pulsierte. Dankbar nickte sie. "Magie", raunte sie und streckte ihre geistigen Fühler aus. Ja, da war es. In dem Raum mit dem offenen Fenster.

Nur wer sich sicher fühlte, konnte so sorglos sein. Allerdings hatte der Alte wohl nicht mit einer magisch begabten Diebin gerechnet. Wieder woben ihre Hände einen Zauber. Die Äste des alten Apfelbaums ächzten und schwankten und ein leises Grollen stieg von den Wurzeln hoch bis in die letzten Spitzen der Krone. "Wir sind jetzt unsichtbar", Fast lautlos formten ihre Lippen diese Worte. Aurix lächelte. Seine Gefährtin war heute in Hochform. Vorsichtig kletterte er den Ast entlang, bekam die Dachkante zu fassen und schwang sich auf die verwitterten Schindeln.

Shira, die nicht so lange Arme hatte wie er, musste sich von ihm helfen lassen. Doch bald saß auch sie am Dach und beugte sich neugierig über den Rand. Inzwischen befestigte Aurix bereits ein dünnes Seil am Dach und ließ sich langsam nach unten gleiten.

Auf Höhe des Fensters gab er seinem Körper ein wenig Schwung und glitt durch die dunkle Öffnung. Nun ergriff Shira das Seil und stand kurze Zeit später neben dem Meisterdieb. Ein einziges Wort nur hauchte sie in ihre Hände um einen kleinen Lichtball entstehen zu lassen. Doch schon schlossen beide geblendet die Augen. Das schwache, magische Licht wurde von unzähligen Kristallen, die auf Tischen und Regalen lagen, in den verschiedensten Farben zurückgeworfen und vervielfältigt.

Schnell dämpfte die Diebin den Schein. "Das müssen die 77 Kostbarkeiten sein", flüsterte sie und streckte die Hand nach einem der Juwelen aus. Es war ein schöner hellgelber Stein, der gut in der Hand lag. Im nächsten Augenblick keuchte sie erschreckt. Ein Hagel von Stockhieben prasselte auf ihre Schultern und ihren Rücken. Sie wollte ausweichen, doch der Stuhl unter ihr hielt sie fest. Auch konnte sie ihre Hände nicht von dem Buch nehmen, das vor ihr auf dem zerkratzten Pult lag.

"Ich werde dich lehren, deine Lektionen ordentlich zu machen!", keifte eine schrille Stimme und wieder sauste der Stock auf ihre Schulterblätter. Der heftige Schmerz ließ sie zusammen zucken. Plötzlich stand sie wieder in dem kleinen Gemach mit den Edelsteinen. Ihr Rücken schmerzte und aus der Dunkelheit hörte sie etwas wie ein leises Kichern.

Neben ihr stand Aurix, der sich gegen einen unsichtbaren Gegner verteidigte. Seine Hände wiesen lange Kratzer auf und entsetzt sah Shira, wie sich ein neuer Kratzer über seinen Handrücken zog. "Lass den Stein los", zischte sie. Doch ihr Gefährte schien sie nicht zu hören. Jedenfalls reagierte er nicht auf ihre Worte. Wieder riss der unsichtbare Gegner die Finger auf und der Stein entglitt ihm.

"Wo ist er?", fauchte der Meisterdieb und fuhr herum.

"Aurix, was meinst du? Was hast du gesehen?", raunte sie und legte beruhigend die Hand auf seinen Arm.

"Dieser scheußliche Dämon mit den ellenlangen Krallen..." Wütend sah er sich um.

"Auf den Steinen liegt ein Zauber. Ich wurde mit einem Stock vermöbelt. Wir sollten besser gehen. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben, in die Diebesgilde zu kommen."

Wieder ertönte das Kichern, diesmal lauter. Ein halbes Dutzend Kerzen entzündete sich wie von Geisterhand und erhellte den Raum gerade ausreichend um das dürre Männlein in einer der hinteren Ecken zu enthüllen. Vom Alter gerötete Augen musterten die beiden Diebe. Ein hämisches Grinsen verzog den welken, zahnlosen Mund als er zu sprechen begann.

"Gäste zu so später Stunde?" Wieder kicherte er. "Das muss gewürdigt werden. Die dunkle Lady kann sogar ein wenig zaubern. Leider reicht es nicht aus gegen meine Kunst. Na ja, vielleicht lernst du etwas." Sein magerer Zeigefinger mit dem langen, spitzen Fingernagel deutete auf einen blauen Stein. Entsetzt musste es Shira zulassen, dass ihre Hand nach dem Stein griff. Im nächsten Moment stand sie auf einem Schlachtfeld und ein riesiger blonder Krieger drang brüllend auf sie ein. Geschmeidig duckte sie sich unter seinem Schwerthieb weg und griff nach ihrem Dolch. Da kam schon die nächste Attacke. Shira unterlief sie und stieß ihren Dolch tief in den Leib des Kriegers. Ächzend taumelte er zurück und sie konnte gerade noch ihren Dolch herausreißen. Schon stand sie wieder im Gemach des Zauberers. Der Übergang kam so plötzlich, dass sie schwankend nach Halt suchte. Der Dolch in ihrer Hand war rot und feucht und der Gestank von Blut stieg ihr in die Nase.

"Das hast du gut gemacht, kleine Ugbali", lobte der Alte höhnisch.

In der jungen Frau stieg brennende Wut hoch, als sie auf ihren Gefährten blickte. Seine Kleidung war zerrissen und blutig. Verzweiflung und Angst stand in sein Gesicht geschrieben, während seine Hand einen grünlich schillernden Stein umklammerte. Mit einem Sprung war sie bei ihm und versuchte seinen Griff zu lösen. Dabei berührte auch sie den Stein. Im nächsten Moment fand sie sich in einem Tempel wieder.

Zahlreiche schwarz vermummte Gestalten tanzten um sie und Aurix herum und schwangen lange Peitschen, an deren Ende eiserne Stacheln befestigt waren. Jeder Treffer entlockte ihr ein Stöhnen. Eine Peitschenschnur traf ihre ohnehin schon schmerzende Schulter, zerriss ihre Bluse und schrammte über ihre Brust. Der Schmerz nahm ihr sekundenlang den Atem. Dadurch musste sie den Kontakt mit dem Stein verloren haben, denn sie fand sich wieder bei den 77 Kostbarkeiten. Neben ihr taumelte Aurix zwei Schritte rückwärts und ging in die Knie. Sein Atem ging stoßweise, als er sich wieder hoch quälte. "Lass uns gehen", bat Shira. "Wir sehen nun, dass es ein Fehler war, bei dir einzubrechen. Meinst du nicht, dass du uns genug bestraft hast?"

Das alte verschrumpelte Gesicht wurde ernst. "Mutig gesprochen, kleine Ugbali", krächzte er anerkennend. "Hast du endlich begriffen, dass niemand meine 77 Kostbarkeiten stehlen kann? Ihr müsst neu in Akushneta sein, sonst hättet ihr es nicht versucht." Eine umfassende Bewegung seiner mageren Hand schloss die glitzernden Kristalle ein. "Schon bald werden es 78 Kostbarkeiten sein. In ein paar Monaten habe ich Geburtstag."

Shira sah in seine wimpernlosen Augen und verstand. 77 Kostbarkeiten. Dieser Mann war 77 Jahre alt und durch seine Magie war es ihm gelungen, die Essenz jedes seiner Jahre in einen Kristall zu bannen. Was er ihnen gezeigt hatte, waren Jahre des Schmerzes und des Kämpfens, doch ein Blick in seine Augen sagte ihr, dass andere Steine gute Jahre bargen. "Ich verstehe jetzt", sagte sie leise. "Es ist dein Leben. Niemand kann dir diesen Schatz stehlen. Ganz gleich, was diese Kristalle bergen, jeder einzelne ist eine Kostbarkeit."

"Es ist gut, meine Gäste", sagte der Alte fröhlich. "Jetzt wird es Zeit, ein Schläfchen zu machen." Ein Wink seines Kinns ließ das Seil herabfallen. Wie eine Schlange hob es sich und wickelte sich so schnell um die beiden Diebe, dass sie es erst bemerkten, als es sich bereits verknüpft hatte. "Jetzt könnt ihr nach Hause gehen", feixte er.

Mühsam folgten sie dem Alten die Treppe hinunter zum Haustor. Dort schob dieser mit unerwarteter Kraft den schweren Riegel zurück und ließ sie hinaus auf die Straße. "Übrigens, Florix findet ihr in der Löwenzahnstraße, das Haus mit den drei Masken über dem Tor", rief er ihnen noch nach. Dann schlug das Tor zu und grinste das Schachbrett schadenfroh an.

"Kannst du den Knoten erreichen?", knirschte Aurix und wand sich in den Fesseln.

"Ich könnte das Seil mit einem Zauberspruch durchbrennen", antwortete sie. "Meine Hände sind frei."

"Untersteh dich! Mein gutes Seil!", rief der Meisterdieb. "Wenn du das wagst, ....."

"Scht!", zischte sie. "Willst du die ganze Stadt aufwecken, du hirnloser Ochse! Gehen wir nach Hause. Dort können wir uns in Ruhe um den Knoten kümmern."

"Du bist auch nicht klüger, du magische Null!", fauchte er leiser, doch nicht weniger zornig. Trotzdem ließ er sich von ihr durch die Straßen schieben. Insgeheim betete er zu allen Göttern, dass ihnen jetzt niemand begegnete.

"Was verstehst du schon von Magie! Du goranischer Bauerntrampel!"

"Halt die Klappe, verkommene Urwaldhexe!"

Schimpfend und fluchend erreichten sie ihre Bleibe. Dort endlich löste sich der Knoten wie von selbst. Shira vermutete, dass der Alte das Seil dahingehend verhext hatte.

"Das war ein Flop", sagte Aurix sachlich und nahm einen Schluck Wein. Versöhnlich reichte er Shira die Flasche. "Wie geht es dir, mein armer Liebling?", fragte er und tippte vorsichtig auf den Kratzer auf ihrer Brust.

"Viel besser als dir", antwortete sie. "Ich möchte trotzdem so bald als möglich zu Florix gehen."

"Und mit Virpo muss ich auch noch ein Wörtchen reden", nickte ihr Gefährte.



Das Wandbild



"Autsch! Kannst du nicht vorsichtiger sein?" Aurix' nackter Körper wand sich unter Shiras Händen. Er lag auf ihrem breiten Bett unter dem großen Gemälde im geräumigsten Zimmer ihres Hauses. Seine Gefährtin war emsig dabei, die Verletzungen auf seinem Rücken, die er sich bei ihrem Abenteuer mit dem alten Zauberer zugezogen hatte, zu behandeln. Im ersten Schock hatte er keinen Schmerz gefühlt, doch in der Nacht, als sich sein Körper entspannte, holte er alles nach. Auch Shira hatte einiges abbekommen, doch ihn hatte es schlimmer erwischt. Wo bei ihr nur blaue Flecken waren, hatte er offene Wunden.

Shira drehte den Kopf ein wenig zur Seite und versuchte nicht zu atmen. Das scharfe Aroma der Kräutersalbe, die ihr die alte Frau am Markt gegeben hatte, reizte sie zum Niesen. "Ich weiß, dass die Salbe brennt", sagte sie ruhig. "Aber sie wirkt. Mutter Abelina hat recht gehabt." Die kleine Diebin hatte einen Peitschenhieb über die Brust erhalten. Dank Mutter Abelinas Salbe war er fast verheilt. "Ich werde noch mehr Salbe brauchen", stellte sie fest.

Aurix setzte sich ächzend auf. Seine blauen Augen glänzten fiebrig als sie über das Gemälde glitten. Es war der einzige Einrichtungsgegenstand, den sie in diesem sonst verlassenen Haus vorgefunden hatten.

Ein begnadeter Meister musste es gemalt haben. Der Marktplatz von Akushneta war bis ins letzte Detail naturgetreu dargestellt. Sogar das schmale Haus des alten Zauberers konnte er im Hintergrund erkennen.

Und das verschrumpelte Gesicht an einem Fenster im oberen Stockwerk? Das musste der Alte selbst sein! Aurix beugte sich vor um besser sehen zu können und zuckte zurück. Hatte ihm der Alte wirklich zugezwinkert? Es musste eine Täuschung sein. Vermutlich wegen des Fiebers. Seine Augen glitten über die Stände mit den ausgelegten Waren.

Vom Stoffdach einer kleinen Bude hingen Büschel von getrockneten Kräutern. Dahinter sah er eine Reihe von Fläschchen auf einem langen Tisch stehen. Eine schmale Gestalt stand unter dem Dach und schien sich gerade mit der rundlichen alten Frau hinter dem Tisch zu unterhalten. "Ist das die Kräuterhexe?", fragte er und tippte mit dem Finger auf die bewusste Stelle im Bild.

Das Ugbali-Mädchen kniff die Augen zusammen und fixierte das Gemälde. "Ja, das ist sie. Der Maler hat sie gut getroffen. Das Bild kann noch nicht alt sein."

"Hm." Aurix legte einen Lendenschurz an und zog ein weiches Tuch über seine misshandelten Schultern. "Man könnte denken, du bist die Kunde, die bei ihrem Stand steht."

"Du spinnst ja", war Shiras einziger Kommentar. Trotzdem sah sie sich das Bild an. Da war Abelinas Bude und die schmale Gestalt, die mit dem Rücken zum Betrachter stand ..... "Das könnte jedes zweite Mädchen in der Stadt sein", meinte sie und beugte sich vor. Im Schatten zwischen den Ständen stand ein dünner Mann mit einer Hakennase. Seine Rechte lag auf seiner Brust und Shira erkannte deutlich, dass der kleine Finger fehlte. Das ist Virpo, dachte sie, dieser Ratte sind wir noch eine Abreibung schuldig. Der kleine Dieb hatte sie mit dem Hinweis auf die 77 Kostbarkeiten des alten Zauberers gehörig hereingelegt. "Ruh dich aus, Strohkopf", sagte sie und schlüpfte in einen langen dunklen Mantel. "Ich gehe auf den Markt, Salbe holen."

"Bring mir Obst mit, und Brot und Schinken!", rief er ihr nach.

Shira durchquerte bereits den verwilderten Garten und wandte sich Richtung Marktplatz.

Fröstelnd zog sie ihren Mantel enger um den Leib und zischte ärgerlich als der Stoff an ihrem geschundenen Rücken scheuerte. Auf ihrer schwarzen Haut waren die Blutergüsse kaum sichtbar, dafür fühlte sie sie umso mehr. Sie stemmte sich gegen den stärker werdenden Wind und rümpfte die Nase. Kälte war ihr verhasst. Auf Ugbal war es entweder heiß oder sehr heiß. Dunkle tiefhängende Wolken zogen über den Himmel und verdunkelten bereits früh den verwilderten Garten. Sie wandte sich Richtung Marktplatz.

"Dachte ich es mir doch", brummte die Alte mit ihrer singenden Stimme. "Ich habe auch einen guten Tee gegen das Fieber."

Leicht befremdet nickte Shira und begann zu handeln. Sie hatte Mutter Abelina nicht erzählt, wozu sie die Salbe brauchte. Woher wusste die alte Frau von Aurix' Fieber? Schließlich einigten sie sich auf drei Kupferstücke und die Diebin verließ den Stand. "Obst, Brot und Schinken", erinnerte sie sich an Aurix' Wunsch. Ein Fleischer hatte ein schönes Stück Fleisch an einer Schnur vor seinem Stand hängen. Er war so vertieft, einer alten Vettel seine Koteletts anzupreisen, das wäre doch eine gute Gelegenheit den Schinken zu stehlen. Vorsichtig schob sie sich näher. Ein kleines Messer glitt aus einer Armscheide wie von selbst in ihre Hand. Da sah sie einen Schatten zwischen den Ständen. Virpo! Mit einem Sprung war sie bei ihm und hielt ihm das Messer an die Kehle. "Virpo, du Stinkmorchel!", zischte sie ihn an. "Sag mir einen Grund, warum ich dir nicht den Hals durchschneiden soll!"

Der magere Dieb drückte die verstümmelte Rechte gegen die Brust, während er die Linke abwehrend von sich streckte. Sein Schreck war so groß, dass er keinen Laut herausbrachte. Der breite Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Shiras Dolch ritzte die Haut und ein kleiner Blutstropfen trat aus. "Ich kann nichts dafür, Lady Shira!", stieß er endlich hervor. "Das war ein Befehl von ... von ..." Er biss sich auf die Lippen.

"Spuck's schon aus, du miese Kanalratte!", knirschte die Diebin, verstärkte den Druck der Dolchspitze und ein dünner Blutfaden floss an Virpos ungewaschenem Hals hinunter.

"Er wird mir die Kehle durchschneiden!", flehte er mit klappernden Zähnen.

"Was glaubst du, dass ich jetzt tun werde?" Ihr makelloses Gebiss blitzte weiß und mordlüstern aus dem schwarzen Gesicht. "War es Florix, dein Boss?"

"Er wird mich umbringen!", jammerte Virpo kläglich.

Shira stieß ihn so heftig von sich, dass er der Länge nach in einem Haufen Abfall landete und fuhr herum. Sie hatte die beobachtenden Blicke von der anderen Seite der Marktgasse gefühlt. Doch sie sah nur noch den Zipfel eines blauen Umhangs hinter einem Gemüsestand verschwinden. Augenblicklich hetzte sie hinterher. Doch der Beobachter war nirgends zu sehen. Wer konnte das gewesen sein? Einer von Florix' Leuten?

Zwei baumlange Wachen waren stehen geblieben und starrten sie prüfend an. "Du bist neu in Akushneta", sagte der eine Krieger. Ein silberner Stern auf seinem Helm wies ihn als den Ranghöheren aus. "Wir haben selten Besucher von Ugbal."

"Das ist richtig, Herr", sagte sie ruhig. "Ich bin noch nicht lange in dieser schönen Stadt."

"Willst du dich hier niederlassen?", fragte der Krieger weiter. Seine scharfen blauen Augen schienen sie zu durchbohren.

"Wenn die Geschäfte gut gehen", meinte sie mit einem Schulterzucken.

"Ehrliche Geschäftsleute sind immer willkommen." Das bärtige Gesicht lächelte, doch in seinem Ton schwang eine deutliche Warnung mit.

"Ich muss noch einige Einkäufe tätigen, bevor das Unwetter losbricht." Die beiden machten sie nervös. Mit einem Neigen des Kopfes wandte sie sich ab. Aber sie fühlte die Augen der Wachen auf sich ruhen, bis sie alles eingekauft hatte und den Markt verließ. Nicht einen einzigen Apfel hatte sie stehlen können. Als sie nach Hause eilte, fielen die ersten schweren Tropfen. Der Wind hatte sich gelegt und die dunkelgrauen Wolken schienen immer tiefer zu sinken. Türen und Fensterläden wurden sorgfältig geschlossen und Akushneta duckte sich unter dem hereinbrechenden Wetter.



Aurix' Gesicht verfinsterte sich als er von Shiras Begegnung mit den Wachen hörte. "Na ja, früher oder später hätten sie uns ohnehin bemerkt. Jetzt war es ebene früher."

"Dafür habe ich's Virpo, dem Schlammkriecher, gegeben", grinste sie. Ihr Blick glitt über das Gemälde. Plötzlich sprang sie aufs Bett und starrte die Malerei an. "Aurix, schau dir das an!", bat sie unsicher.

"Was soll da sein?" Der blonde Meisterdieb hatte endlich eine Stellung gefunden, in der ihm nichts wehtat und wollte diese nicht aufgeben.

"Hier! Da ist doch Mutter Abelinas Stand. Jetzt ist er geschlossen. Und Virpo ist auch nicht mehr da. Der stand doch hier neben dem Gemüsehändler."

Grummelnd quälte sich Aurix hoch. "Das gibt's doch nicht", murrte er. Doch dann stutzte auch er. "Der Zauberer ist weg", murmelte er.

"Was? Welcher Zauberer?" Shira war hellhörig geworden.

"Siehst du das Haus des Alten?" Sein Finger tippte gegen das Bild. "Da sah ich den Zauberer am Fenster. Hier oben."

Shira folgte dem Finger. Ja, das war das Haus, in das sie eingestiegen waren. Das Tor glich einem feindlichen Gesicht und die Fenster darüber waren geschlossen und mit dicken Gardinen verhängt. Bedächtig holte sie ihr magisches Amulett aus dem Ausschnitt und hielt es an das Bild. Das strahlend grüne Leuchten sagte ihr alles.

"Ein verhextes Bild", stellte Aurix fest. "Vielleicht können wir es nutzen."

"Es zeigt uns die Zukunft." Sie kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Draußen war die Dämmerung hereingebrochen und der Regen klatschte schwer gegen die Fenster. Shira entzündete eine kleine Öllampe und hielt sie vor das Bild. "Wir sollten vorsichtig sein. Es gehört uns nicht."

"Seit wann machst du dir Gedanken über Besitzverhältnisse?", wunderte sich ihr Gefährte.

"Bei magischen Gegenständen ist das angebracht. Die früheren Bewohner dieses Hauses haben es zurückgelassen. Was immer das bedeuten mag."

"Was kann uns ein Bild anhaben?", wandte der Meisterdieb ein. "Ich möchte es zuerst genau beobachten", erklärte Shira und Aurix fügte sich murrend.



Drei Tage später, Aurix' Verletzungen waren weitgehend verheilt und ihre Barschaft bedrohlich geschmolzen, griff er das Thema wieder auf. Shira kam gerade von einem Streifzug durch die Stadt zurück. Seufzend warf sie drei Geldbeutel auf den Tisch.

"Wir müssen uns mit Florix arrangieren. Seine Leute haben meine halbe Beute als Steuer kassiert."

"Du lässt dir Beute abnehmen?!", rief Aurix aus. Das war neu!

"Was hättest du getan, wenn plötzlich sechs Kerle auf dir hocken und noch vier andere herumstehen und mit ihren Messern spielen?", verteidigte sie sich. "Ich hätte ihnen sogar meine Unterhose gegeben, wenn sie sie verlangt hätten."

Aurix inspizierte inzwischen den Inhalt der Beutel. "Reicht für eine Woche, wenn wir sparsam sind."

"Sie haben nicht alles gefunden", grinste die Ugbali und holte zwei goldene Armbänder und einen Ring mit einem großen Rubin aus ihren versteckten Taschen.

Aurix' Miene erhellte sich erheblich. "Am besten wird sein, wir erledigen das gleich. Und danach können wir über den Marktplatz bummeln. Was wird denn los sein?" Übermütig sprang er aufs Bett und fixierte das Gemälde. "Was hältst du von diesem Patrizier? Wie selbstgefällig er seinen Spitzbart streicht! Oder diese vertrocknete Pflaume im Brokatkleid? Sie hat doch nur Augen für diese bellende Ratte in ihrem Arm."

Shira nickte zustimmend "Sieht vielversprechend aus." Frohgemut zogen sie los. Ein altes Mütterchen wies ihnen den Weg in die Löwenzahnstraße. Und dann standen sie vor dem Haus mit den drei Masken über dem Tor.

"Wie es der Zauberer beschrieben hat", sagte Aurix und betätigte den Türklopfer.

Ein tiefer Gong ertönte und dann näherten sich schlurfende Schritte. Eine kleine runde Klappe öffnete sich und ein wässrigblaues Auge blinzelte sie an. "Haut ab!", knarrte eine Stimme wie eine rostige Angel. "Verdammtes Bettelvolk." Die Klappe schloss sich, doch die Schritte entfernten sich nicht. Die beiden Diebe registrierten es mit Befriedigung. Diesmal knallte Aurix den Türklopfer heftiger gegen das eisenbeschlagene Holz. "Ihr sollt euch davonmachen!", keifte die Stimme und die Klappe öffnete sich einen Spalt.

"Wir wollen Florix unsere Aufwartung machen", rief der Meisterdieb schnell.

Wieder erschien das Auge. "Und was sollte ihn bewegen, für zwei Landstreicher seine kostbare Zeit zu opfern?"

"Sag ihm, das Schachbrett möchte ihn sprechen."

"Wir haben auch etwas mitgebracht", Shira hielt ihre Hand vor die Klappe und ließ für einen Sekundenbruchteil ein goldenes Armband aufblitzen.

Zuerst hörten sie nur ein unverständliches Murmeln. Dann wurde ein Riegel zurückgeschoben. Das Tor öffnete sich und die Diebe sahen, was zu dem wässrigen Auge gehörte. Ein ausgemergeltes Männlein mit einer riesigen gebogenen Nase und wirren grauen Haaren. Seine ausgefranste Kleidung verstärkte noch den Eindruck einer Vogelscheuche. Auf eine einladende Geste des Torhüters traten sie ein und fanden sich sofort von vier stiernackigen Muskelmännern umringt.

"Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme", erklärte der Alte und ging den beiden voraus. Er führte sie durch einen kahlen Hof in ein kleines Zimmer, in dem sich außer ein paar Kissen an den Wänden nichts befand. Ein kleines vergittertes Fenster und eine schmale Tür gegenüber dem Eingang war die einzige Abwechslung im Grau der grob verputzten Wände. "Florix wird euch in Kürze beehren", säuselte der Torhüter und entfernte sich. Eine der Wachen postierte sich an der Eingangstür.

Shira legte das goldene Armband über ihr schmales Handgelenk. Es bestand aus kunstvoll gearbeiteten Gliedern, die auf seltsam gewundene Art ineinander griffen. "Meinst du nicht, dass es mir gut passen würde?", fragte sie.

"Denk nicht daran", gab er kurz angebunden zurück, während er ruhelos in dem kleinen Zimmer auf und ab ging.

"Es passt viel besser in meine Schatztruhe", kam eine tiefe Stimme von der schmalen Tür her. Die beiden Diebe fuhren herum und sahen sich einem hochgewachsenen blonden Mann mit hellem Vollbart und Bauchansatz gegenüber. Shira schätzte ihn ein wenig älter als Aurix ein.

"Floren ...", rief Aurix aus und wurde von dem Mann sofort unterbrochen.

"Ja, ich bin Florix." Ein herrischer Blick traf die Wache. "Sag Grimel, sie soll uns Wein bringen. - Was führt dich denn hierher, Brüderchen?", grinste er.

Aurix starrte ihn mit offenem Mund an und Shira wurde langsam ungeduldig. Offenbar kannten sich die beiden.

"Das ist mein Bruder Florentinian", brachte Aurix endlich heraus. "Wir dachten alle, du seist tot." Lachend schlug er ihm auf die Schulter und wurde mit einer ebensolchen Geste belohnt.

"Für einen Toten fühle ich mich noch sehr lebendig", meinte er. "Aber nenn mich nie wieder Florentinian. Das würde meinem Ansehen schaden." Er angelte mit dem Fuß nach einem Kissen und ließ sich darauf nieder. "Eine hübsche Braut hast du da mitgebracht." Wohlwollend glitten seine Augen über ihre schlanke Gestalt.

"Ich bin Shira von Ugbal", zischte das Mädchen. "Wir sind das Schachbrett." Widerwillig nahm sie neben Aurix Platz. Sie fand Florix überheblich und ärgerte sich, dass sie ihm das Armband geben sollte. Nervös spielten ihre Finger damit, ließen es aber nicht los. Immer wieder suchte sie Aurix' Blick. Eine farblose Frau in den Vierzigern huschte herein und brachte Wein und drei irdene Becher. So lautlos, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder.

"Du suchst also den Schutz der Gilde?", kam Florix schnell zur Sache.

"Wir", korrigierte Aurix und nickte.

"Kein Problem", sagte Florix und streckte die Hand nach dem Armband aus. Shira überließ es ihm widerstrebend. "Ihr braucht nur zwei Regeln befolgen. Ich bekomme den zehnten Teil eurer Beute und ihr leistet einen Tag im Monat ehrliche Arbeit."

"Was? Ich soll arbeiten?" Shira war wütend aufgesprungen und stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt vor Florix. Die Schinderei auf Natick war ihr noch zu gut in Erinnerung. Ein Seitenblick zeigte ihr, dass auch Aurix' Gesicht lang geworden war.

"Ihr könnt euch die Arbeit selbst aussuchen, gewissermaßen. Es muss ja nicht gerade bei der Straßenreinigung sein. Einige meiner Leute singen oder erzählen Geschichten, andere dienen als Leibwächter oder Boten."

"Wie bist du auf diese bescheuerte Idee gekommen?!", rief Aurix aus.

Da huschte ein listiges Lächeln über Florix Züge. "Das ist mein Vertrag mit der Stadtwache. Wenn meine Leute auch ab und zu etwas Nützliches tun, lassen sie uns unbehelligt."

Gar nicht so dumm, dachte Shira und setzte sich wieder. Mit Handschlag besiegelten sie den Bund und wandten sich dann anderen Themen zu. Das dunkelhäutige Mädchen erfuhr jetzt, dass Florix vor vielen Jahren Idias auf einem Kauffahrer verlassen hatte. Als auch nach langer Zeit keine Kunde von ihm oder dem Schiff kam, nahm man an, das Meer hätte ihn verschlungen. Und nun trafen sich die Brüder wieder! Florix' Schiff war in einen Sturm gekommen und an einem Riff zerborsten. Nur wenige Matrosen konnten sich an den Strand Wellankas retten, darunter auch Aurix' Bruder. Seither war er hier und hatte ein erfolgreiches Unternehmen gegründet.

Endlich wurden auch sie nach ihren Abenteuern gefragt. Aurix erzählte von einigen gelungenen Coups und sagte dann: "Hier gefällt es mir. Die Stadt ist sauber, die Leute sind reich. Was kann sich ein Dieb noch mehr wünschen? Nur, was sollte die Sache mit dem Zauberer?"

"Das ist ein Test, den wir mit jedem Anwärter machen", gab Florix ungerührt zu. "Ihr habt euch wacker geschlagen." Shira knurrte wütend, doch Aurix legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. "Wenn ihr ein Quartier sucht, bei mir ist Platz genug", bot Florix an.

Doch Aurix winkte ab. "Wir haben schon ein hübsches Haus. Es hat einen Garten, liegt in einer unauffälligen Gegend und der Vorbesitzer hat uns sogar ein großes schönes Gemälde hinterlassen." Shira hatte sich im Lauf des Gesprächs entspannt und begann Florix langsam akzeptabel zu finden.

Die hellen Brauen des Gildenführers zogen sich zusammen. "Stellt es den Marktplatz der Stadt dar?", fragte er. Die beiden nickten. "Ihr solltet nicht dort wohnen. Dieses Bild ist ... unter Umständen gefährlich", warnte er.

"Ich weiß, dass es magisch ist. Es zeigt die Zukunft", erklärte Shira.

"Eine Zukunft", verbesserte Florix.

"Ich kann damit umgehen", konterte sie forsch und Florix schwieg.



Ein wolkenverhangener grauer Nachmittag empfing sie als sie endlich das Gildenhaus verließen. Gemütlich schlendernd erreichten sie den Marktplatz. Von einem kleinen Jungen kauften sie zwei große süß duftende Schmalzkrapfen und gingen kauend von Stand zu Stand. Dabei hatten sie das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden. Shira machte vor allem die Präsenz der Wachen nervös. "Diese Soldaten passen verdammt gut auf", raunte sie ihrem Partner zu.

"Mhm", gab er zurück und leckte sich die Finger ab. "Sieh mal, wer da kommt." Sein Kinn gab die Richtung an.

Tatsächlich, da war sie. Eine ältliche Frau im grünen Brokatkleid, die ein winziges Hündchen an ihre eingefallene Brust drückte. Zwei Diener flankierten sie. Shiras flinke Augen erfassten mit einem Blick die gelangweilten Gesichter der Diener, die Standorte der nächsten Wachen und die Aufmerksamkeit der Leute ihrer nächsten Umgebung.

Die Bedingungen waren nahezu ideal. Eben blieb die Dame vor dem Stand eines Schmuckhändlers stehen. Ihre magere Hand mit den grellrot lackierten Nägeln griff nach einer protzigen Brosche. Mit einem Blick verständigte sich das Schachbrett. Aurix stellte sich mit dem Rücken zu der Dame vor den Stand eines Waffenhändlers. Blitzschnell ließ er einen juwelenbesetzten Krummdolch durch die Luft wirbeln und fing ihn geschickt wieder auf. "Was meinst du, meine Liebe?", wandte er sich an das Ugbali-Mädchen.

"Mir gefällt dieses Schwert besser", sagte sie und hob eine lange Klinge hoch. Pfeifend sauste das Schwert herab und hieb eine Ecke des Verkaufstisches ab.

"Das ist keine Waffe für dich, Lady", sagte der Händler schnell und wollte ihr das Schwert abnehmen.

"Ich muss nur ein wenig üben", widersprach Shira und holte erneut aus. Dabei stolperte sie zwei Schritte rückwärts und stieß gegen die Dame im Brokatkleid. Sofort begann der kleine Köter schrill zu bellen und versuchte sich aus dem Griff seiner Herrin zu befreien. Die schwarze Diebin ließ das Schwert fallen und taumelte gegen Aurix. "Es dürfte doch zu schwer für mich sein", sagte sie.

"Mylady sieht mich tief bestürzt." Aurix verbeugte sich elegant vor der alten Jungfer. "Wie kann ich deine Verzeihung erlangen?" Mit der Rechten hatte er Shira im Genick gepackt und drückte sie zu Boden.

Die Dame hatte ihren Hund gebändigt und blickte auf den blonden Kavalier, dessen blaue Augen sie offen und bewundernd ansahen. Eine sanfte Röte stieg in ihre blassen Wangen. Sie hielt ihm huldvoll eine dicht beringte Hand zum Kuss hin. "Gib deiner Sklavin die Peitsche", flötete sie hochmütig.

"Dein Wunsch ist mir Befehl. Ich werde dieses schwarze Gezücht streng bestrafen", murmelte Aurix und ließ seine Lippen über ihre welken Finger streichen.

Die Dame errötete noch mehr und kicherte exaltiert, während sich das Schachbrett gemessenen Schrittes entfernte. In einer dunklen Ecke spuckte Aurix einen Ring mit einem großen Diamanten aus und steckte ihn in den Geldbeutel der Dame. "Das war ein Kinderspiel", meinte er grinsend. "Du warst großartig. Jetzt kommt deine Strafe." Damit küsste er sie herzhaft.

"Du nicht minder", gab sie das Kompliment zurück als sie wieder zu Atem kam und ließ kurz ein Armband aufblitzen. "Den Dolch habe ich auch mitgenommen."

Vergnügt mischten sie sich wieder unters Volk. Die Wolken zogen sich immer mehr zusammen, bis endlich große Tropfen auf Akushneta fielen. Die Händler packten ihre Waren zusammen und auch die Schaulustigen zerstreuten sich. Eilig machte sich auch das Schachbrett auf den Heimweg.

"Das reicht für eine Weile", meinte Aurix und warf neben den Geldbeutel der Dame noch eine prall gefüllte Geldkatze auf den Tisch. "Die ist von dem Typ mit dem Spitzbart." Er deutete auf das Gemälde, wo ein reich gekleideter Mann wütend seinen Bart raufte.



Die folgenden Tage ließen es sich die Diebe gut gehen. Nachdem sie Florix' Anteil abgeliefert hatten, speisten sie in einem noblen Restaurant, kauften neue Kleider und verbrachten die Zeit mit Faulenzen und Würfelspiel. Am vierten Tag trafen sie einen Boten des Gildenmeisters in der Stadt. Shira hielt ihn zuerst für eine Wache, weil der stämmige Mann einen ähnlichen Helm und Brustpanzer trug und mit den zackigen Bewegungen eines Soldaten auf sie zukam. Auf den zweiten Blick sahen sie, dass der verschlagene Blick nicht so gut zu einer Wache passte. "Meister Florix hat Arbeit für euch", sagte er mit tiefer Stimme.

"Arbeit?", fragten die beiden im Chor.

"Ja, ehrliche Arbeit", nickte der Mann ernst. "Du, Shira, sollst im Kopflosen Leguan tanzen und du, Aurix, wirst Lady Boletta auf einem Einkaufsbummel begleiten. Sie wohnt in dem großen gelben Haus in der Kümmelzeile. Nehmt ihr an?"

Die beiden sahen einander an und nickten einhellig. "Das ist erträglich", meinte Shira als sich der Bote entfernt hatte. "Ich brauche ein Kostüm."



Am nächsten Morgen zog Aurix einen einfachen Leinenkittel an, bändigte seine blonde Mähne mit einem Stück Bindfaden und drehte sich vor Shira einmal um seine Achse. "Was meinst du? Sehe ich wie ein ehrbarer Diener aus?"

Sie nickte lächelnd. "Die Lady wird zu tun haben, dich nicht zu verlieren, so unauffällig siehst du aus." Dann fiel ihr Blick auf das Gemälde und das Lächeln schwand wie weggewischt. "Aurix!", zischte sie. "Wenn du deine Männlichkeit behalten willst, tu es nicht!"

"Was?" Erstaunt folgten seine Augen einem schwarzen Zeigefinger. Vor dem Stand eines Seidenhändlers stand eine wunderschöne Dame und neben ihr kämpfte Aurix mit einer Unzahl von Päckchen und Tüten. "Was meinst du denn?", fragte er verwundert.

"Du hast diese bleiche Göre in den Nacken geküsst!", giftete sie.

"Aber Shira! Ich war doch noch gar nicht ...", protestierte er.

"Aber du wirst! Lass es sein, du farbloses Scheusal!"

Aurix starrte abwechselnd auf seine schäumende Gefährtin und das Bild. Sein Mund öffnete und schloss sich. Vergeblich suchte er nach Worten. Plötzlich zogen sich seine Brauen wütend zusammen. "Nimm nicht den Mund so voll, verräterische Urwaldpflanze!", knirschte er. Seine Hand wies anklagend auf das Bild.

Shira runzelte die Stirn. Ja, da stand sie, in der Tür einer Kneipe und neben ihr ein verrunzelter Ugbali-Krieger. "Was hast du denn? Der Alte könnte mein Urgroßvater sein."

"Aber nicht der andere. Da war noch einer und der hat deinen Busen betatscht."

"Ich bringe dir jede Hand, die das versucht", versprach sie kalt. "Ohne ihren Besitzer." Etwas von der Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, löste sich.

"Niemals werde ich einen Nacken küssen, der heller ist als deiner", beteuerte er nun auch er. Sanft ließ er seine Lippen ihren Hals entlang gleiten. "Ich muss gehen. Wir machen am Abend weiter", flüsterte er ihr zu. Das leise Zischen überhörte er. Nur den feinen Brandgeruch nahm er wahr, beachtete ihn aber nicht weiter.



Noch immer beschwingt von den heißen Ugbali-Rhythmen durchquerte Shira den verwilderten Garten und betrat das Haus. Sie hatte den ganzen Nachmittag und dann noch bis spät in die Nacht hinein getanzt. Der Kopflose Leguan hatte einen phantastischen Trommler. Auch die anderen Musikanten waren nicht übel. Die wilde Musik hatte sie sofort mitgerissen und der Stachel des Heimwehs brannte heiß in ihrer Seele. Ob Aurix schon auf sie wartete? Sie sehnte sich nach seiner Umarmung.

Im nächsten Moment blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein aufdringlich süßliches Parfüm war in ihre Nase gestiegen. Lautlos schlich sie in das große Zimmer. Der halbe Mond warf gerade genug Licht auf das Bett, um sie einen nackten schlafenden Aurix erkennen zu lassen. Mit gebleckten Zähnen schlich sie näher Ja, dieser ekelhafte Gestank kam aus seinem Haar. Ein geschmeidiger Satz und sie saß auf seiner Brust, das Messer gegen seine Kehle drückend.

Der Meisterdieb riss die Augen auf und erstarrte. Schreck und Verwirrung malten sich in seiner Miene als er seine Angreiferin erkannte. "Shira, was ist los?", brachte er mühsam hervor.

"Du hast es mit der feinen Gurke getrieben!", zischte sie wütend. "Ihr stinkendes Parfüm hängt noch immer in deinen Haaren." Der Druck des Dolchs verstärkte sich.

"Shira, hör mir doch zu ...", versuchte er sie zu beruhigen. Seine Hände legten sich sanft auf ihre Hüften. Doch sie schüttelte sie mit einer zornigen Bewegung ab.

"Das Bild hat es mir gezeigt. Ich habe dich gewarnt, du verrotteter Grottenolm!"

"Lady Boletta ist 73!" rief Aurix schnell, denn Shira hatte ein Knie gegen seinen Hals gedrückt, während der Dolch eine rote Spur an seinem Brustbein entlang zog. "Sie hat die Gicht und eine Nase wie eine Pfefferschote."

"Du willst dich doch nur herausreden", knurrte sie. Doch der Dolch verharrte über seinem Magen. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck hatte sie schwankend gemacht.

"Sie hat eine Flasche Parfüm über mich geschüttet, weil ihre gichtigen Finger sie nicht halten konnten. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich erlebt habe! Den Kittel habe ich verbrannt und mein Haar gewaschen, aber es stinkt noch immer!" Der klägliche Ton in seiner Stimme erweichte Shiras Herz. Sie steckte den Dolch weg und nahm das Knie von seinem Hals. Als erstes atmete Aurix tief durch. "Wie konntest du nur diesem verdammten Bild mehr glauben als mir!", fauchte er sie an. "Wir sind jetzt seit drei Jahren zusammen. Kennst du mich noch immer nicht, du eifersüchtige Baumkrabbe?"

"Ich sah doch, wie du sie geküsst hast", verteidigte sie sich schwach.

"Du hast ein Bild gesehen, ein Gemälde", fuhr er fort. "Sieh es dir an. Was zeigt es jetzt?"

Shira stieg von seiner Brust und beide erhoben sich. Schnell war die Lampe angezündet und die Diebe starrten auf das verhexte Bild. Der Marktplatz von Akushneta breitete sich in lärmender Geschäftigkeit vor ihnen aus. "Wir sind nicht drauf", sagte Shira und wollte sich schon abwenden. Da sah sie zwischen zwei Ständen zwei verkrümmte Gestalten in einem Haufen verfaultem Obst liegen. "Aurix", flüsterte sie. "Siehst du, was ich sehe?"

Der Meisterdieb nickte ernst. "Wir haben uns gegenseitig erstochen."

Ihre Hand tastete nach seiner nackten Hüfte und er schlang die Arme um sie. "Das ist nur das Bild. Es will uns verderben." Sie schmiegte sich näher an ihn.

"Ich werde das nicht zulassen", erklärte er bestimmt. "Morgen früh verbrenne ich es."

"Das ist gut, mein Geliebter." Demonstrativ küsste sie ihn, wie um dem Bild zu zeigen, dass es keine Macht mehr über sie hatte.

Ein leises Seufzen irrte durch den Raum. Die beiden waren so sehr mit einander beschäftigt, dass sie gar nicht darauf achteten. Erst als beißender Brandgeruch aus dem Bild kam, sahen sie auf. Die Leinwand wand und bog sich, bekam dunkle Flecken. Rauchschwaden krochen aus den Ecken des Rahmens. Starr vor Entsetzen beobachteten die beiden die Veränderungen. Doch als die ersten Flammen aus dem Bild schlugen, wurden sie schnell lebendig und sprangen vom Bett.

Ein irres Heulen begleitete diesen Vorgang, das immer mehr anschwoll, je höher die Flammen züngelten. Aurix ergriff schließlich die Weinflasche und leerte sie über die Reste des Bildes. Es zischte, brannte aber weiter. Erst als nur noch verkohlte Fetzen aus dem Rahmen hingen, erlosch das Feuer. Mit zitternden Knien kletterte Shira aufs Bett und hielt ihr Amulett an das zerstörte Kunstwerk. Es blieb dunkel. Die Magie hatte sich in dem Brand aufgezehrt.

"Es wollte uns gegeneinander aufhetzen", sagte sie leise.

"Wem sollte das schon gelingen?", gab er zurück. Er versuchte ein Grinsen, doch es gelang noch nicht so richtig. "Mit dem engen Ding kannst du doch gar nicht atmen", meinte er und zog an den Bändern ihres Mieders.

"Wie kannst du nur!", schimpfte sie. "Wir sind eben dem Tod entronnen!"

"Ist doch ein Grund zum Feiern", raunte er in ihr Ohr.



Der Marimba



"Ich finde es gar nicht so übel, ab und zu zu tanzen", sagte Shira und strich mit den Fingerspitzen über die winzigen silbernen Glöckchen an ihrem Kostüm.

"Ist das alles, was du dabei anhast?", fragte Aurix mit schiefem Blick auf das knappe Oberteil und die durchscheinenden Pluderhosen.

"Ich muss mich doch bewegen können", konterte sie.

"Das kannst du auch in deinem Lederdress. Die Männer ziehen dich mit den Augen aus ..."

"Aber nur du darfst handgreiflich werden." Mit zierlichen Schritten tänzelte sie näher. Doch als er nach ihr greifen wollte, wich sie lachend aus. "Ich muss gleich gehen. Willst du nicht mitkommen? Dann kannst du auf mich aufpassen."

"Diesmal nicht", bedauerte er. "Chasim, der reiche Teppichhändler, hat einfach zuviel Geld im Haus. Ich muss ihn davon befreien. Vielleicht das nächste Mal." Flüchtig drückte er sie an sich und zog dann seine dunkle Kapuze über den Kopf. Aurix begleitete seine Gefährtin ein gutes Stück. Als sich ihre Wege trennten, strich er sanft über ihr schwarzes Kraushaar. "Streng dich nicht zu sehr an", riet er ihr. In letzter Zeit machte er sich Sorgen um ihre Gesundheit. Jedes Mal, wenn sie vom Tanzen heimkehrte, schien sie ihm erschöpfter und auf seltsame Art geistesabwesend. "Zelto schütze dich", murmelte er hinter ihr her und wandte sich seinen eigenen Geschäften zu.

Der Mond war eben im Untergehen als sich Aurix geräuschlos nach Hause schlich. Vorsichtig stellte er einen prall gefüllten Sack neben dem Bett ab und beugte sich über das schlafende Mädchen. Zärtlich streichelte er ihre nackte Schulter und setzte eben zu einem Kuss an als eine kleine, aber harte, schwarze Faust seine Nase traf. Mit einem erschrockenen Schmerzensschrei stolperte er rückwärts, fiel über den Sack und krachte zu Boden.

"Wachen!", schrie Shira durchdringend. "Dieser freche Lümmel wollte sich an mir vergreifen!" Blitzschnell war sie aus dem Bett und stürzte sich auf den Meisterdieb.

"Shira!", rief dieser in Panik. "Ich bin's doch, Aurix!"

Der Dolch war nur noch einen Zoll von Aurix' Brust entfernt, als sie innehielt und ein fragender Ausdruck in ihre Züge trat. "Aurix? Sollte ich dich kennen?" Sekundenlang schienen zwei Seelen in ihr zu kämpfen. Dann warf sie den Dolch weg. "Verzeih, Strohkopf! Du hast mich erschreckt."

Erleichtert ließ der blonde Meisterdieb die Luft aus den Lungen entweichen, die er die ganze Zeit angehalten hatte. Dann pflügten seine Finger durch ihr krauses Haar. "Du hast wohl schlecht geträumt", vermutete er und ließ seine Hände über ihren Körper gleiten. "Erinnerst du dich jetzt wieder an mich? Warum hast du nach den Wachen gerufen?"

"Hab ich nicht!", stritt sie energisch ab. Ihre kleine Hände waren an den Verschlüssen seiner Hose. "Mal sehen, ob ich dich kenne", flüsterte sie und biss ihn ins Ohr.

"Was war eigentlich gestern mit dir los?", fragte Aurix am nächsten Morgen. "Du wolltest mich umbringen."

"Wie kannst du nur so etwas Dummes von mir denken, Strohkopf", murmelte die kleine Diebin schläfrig. "Wenn ich dich mit einer anderen Frau im Bett finde ... dann vielleicht."

"Du hast nach den Wachen gerufen."

"Nein, du musst dich irren. Das wäre doch verrückt", wehrte sie ab.

"Was hast du geträumt?", bohrte er weiter.

"Gar nichts. Vielleicht hast du alles nur geträumt. Ich kann mich nur an ein lautes Poltern erinnern. Das war wirklich ungeschickt von dir."

"Du hast mich mit deinem Dolch bedroht." Leiser Vorwurf lag in seiner Stimme.

"Das würde ich doch nie tun, mein Liebster." Sie zog seinen Kopf an seinen langen blonden Locken näher und küsste ihn. Verwundert sah sie die rotbraunen Krusten in seinen Nasenlöchern. "Hast du dir die Nase gestoßen?", fragte sie mitfühlend.

"Ja, an deiner Faust", gab er beleidigt zurück.

"Erzähl nicht solche Schauermärchen." Ihre Nägel kratzten in einer Weise über seinen Rücken, dass alles andere für ihn unwichtig wurde, außer Shiras geschmeidiger Körper.



Als Shira das nächste Mal in den Kopflosen Leguan ging um zu tanzen, begleitete sie ihr Gefährte. Sie hatten kaum die höhlenartige Kneipe betreten, da wurden sie von drei Ugbali-Männern umringt. "Ist das dein Freund?", fragte der Älteste, dessen krauses Haar fast weiß war. Sein magerer Körper war runzlig, doch die Hände, die eine große Buschtrommel hielten, waren sehnig und in seinen dunklen Augen brannte ein magisches Feuer.

"Ja, das ist mein Gefährte Aurix", bestätigte Shira.

Der Alte musterte den Meisterdieb kalt. "Soso", sagte er. "Shiras Gefährte." Es klang wie ein Todesurteil. Dieser verschrumpelte Trommler war Aurix auf Anhieb unsympathisch. Ohne ein weiteres Wort setzte sich der Meisterdieb an einen kleinen Tisch nahe der Bühne und bestellte einen Humpen dunkles Bier. Nach dem zweiten Krug hatte sich das Lokal gefüllt und die Ugbali versammelten sich auf der Bühne.

Der Alte klemmte sich die Trommel zwischen die knochigen Knie und die beiden anderen stellten sich hinter ihm auf. Einer mit einer Flöte, der andere mit einem bauchigen Ding, das mit einer einzigen Saite bespannt war.

Ein kurzer Trommelwirbel ließ die Gespräche der Gäste verstummen. Alle Gesichter wandten sich der Bühne zu. Dann setzte die Flöte ein, gefolgt von dem Saiteninstrument. Plötzlich schien die Luft nach Urwald zu riechen. Die Musik verdrängte den Bierdunst und den Rauch der spärlichen Fackeln. Flötenklänge amten Vogelzwitschern nach, die Trommel das Stampfen der Elefanten. Dazwischen fauchten Raubtiere aus dem Bauch des dritten Instruments.

Wie eine Feder schwebte Shira auf die Bühne. Ihr Körper bog und wand sich mit dem Zischen der Schlange, flatterte auf und nieder zu dem Gesang des Kutzalvogels und glitt geschmeidig dahin zum Fauchen des Leoparden. Als der Tanz zu Ende war, brandete begeisterter Applaus auf. Shira sprang leichtfüßig von der Bühne und setzte sich zu ihrem Gefährten. "Du warst wundervoll!", lobte er inbrünstig.

"Das war erst der Anfang", gab sie zurück und trank von seinem Bier. "Mir ist noch gar nicht richtig warm geworden."

Erstaunt stellte Aurix fest, dass ihr Atem kaum schneller ging als sonst. Nach einer kurzen Pause hauchte sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die glattrasierte Wange und kehrte auf die Bühne zurück. Der alte Trommler, der sie die ganze Zeit mit zusammengezogenen Brauen beobachtet hatte, gab ein barsches Kommando. Dann begann der nächste Tanz. Shira tanzte das Leben auf Ugbal, die Geschichten und Legenden ihres Volkes. Ein Tanz folgte dem anderen. Kurz vor Mitternacht erhob sich der Trommler. Eine herrische Geste mit der Hand brachte ihm die Aufmerksamkeit des Publikums.

"Wir kommen nun zum Höhepunkt des Abends", verkündete er mit seiner rauen Stimme. "Der letzte Tanz dieses Abends heißt 'Der Ruf des Marimba'. Ich wünsche gute Unterhaltung." Ein kaltes Lächeln entblößte seine gelben Zähne, dann fielen seine Hände auf das Fell der Trommel, die Flöte seufzte, die Saite jammerte und Ugbal war gegenwärtig. Aurix blaue Augen hingen wie gebannt an der schmalen, schwarzen Gestalt, die scheinbar nur noch nach dem Rhythmus der Trommel lebte. Jede Bewegung ihres geschmeidigen Körpers verfolgte sein Blick. Ja, dachte er, Shira braucht diese Tanzabende. Ugbal lag viele Seemeilen entfernt im Süden. Wie lange war es her, dass sie ihre Heimat verlassen hatte? Hier konnte sie sich für wenige Stunden zu Hause fühlen. Gleichzeitig leistete sie ihren Beitrag für die Diebesgilde.

Das dunkelhäutige Mädchen auf der Bühne ahnte nichts von den Gedanken ihres Gefährten. Ihre Welt hatte sich auf die Trommel reduziert. Ihr Blut pulsierte im selben Rhythmus und gaben diesen an ihre Beine weiter. Die Trommel beherrschte all ihr Denken und Fühlen, ließ sie nicht den Schweiß auf der Haut fühlen oder die Zähne, die sich vor Anstrengung in ihre Unterlippe grub. Shira war wieder auf Ugbal und der Marimba rief sie. Es blieb ihr gar nichts Anderes übrig als seinem Ruf zu folgen.

mmer schneller schlugen die faltigen Hände auf das Fell, jagten die Diebin über die Bühne, spornten sie zu noch größerer Leistung an, bis die Musik am Höhepunkt abbrach. Shira sank kraftlos auf die Bretter, wie eine Marionette, der man die Fäden durchschnitten hatte. Den Applaus des Publikums nahm sie nur als weit entferntes Rauschen wahr. Die Welt war ein dunkler Abgrund, der sie immer tiefer und tiefer zog. Endlich landete sie auf einer weichen Wolke. Mühsam hob sie die Lider. Ein besorgtes Gesicht schwebte über ihr, ein weißes Gesicht, umrahmt von flachsblonden Locken. Eine Woge der Panik schwemmte über sie hinweg. Wo war sie? Und wer war der fremde Mann mit der hellen Haut? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Schreien, aufspringen, weglaufen, der Urwald bot immer ein Versteck, war ihr erster Gedanke. Doch sie war so schwach. Sie hatte kaum Kraft, seine Hand von ihrer Schulter zu schieben.

"Shira, was ist los mit dir?" Die blauen Augen des Fremden kamen näher.

"Rühr mich nicht an, farbloser Abschaum!", zischte sie und biss die Zähne zusammen. "Meine Brüder werden dich mit deinem madigen Gedärm erwürgen!"

"Shira!" Der Fremde wich vor ihr zurück. In seinen Zügen spiegelte sich Schreck und verwirrte Gekränktheit. "Kennst du mich nicht mehr? Ich bin's doch, Aurix! Bist du krank?" Seine Hand legte sich sanft auf ihre Stirn.

"Ich kenne dich nicht, elende Kalkratte!", knurrte sie und schaffte es, sich auf dem Ellbogen aufzustützen. "Wo hast du mich hingebracht? Das wird dir noch leid tun. Mein Clan verzeiht keine Entführungen!"

"Shira! Was ist nur los mit dir?!", rief der Blonde verzweifelt. "Kannst du dich nicht erinnern, wie wir uns kennen gelernt haben? In Am-Horeb. Wir sind beide in das Kontor dieses reichen Kaufmanns eingedrungen." Shira ließ sich zurücksinken. Tausend Teufel schlugen mit Vorschlaghämmern auf ihren Kopf ein. Schemenhaft tauchten Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder von ihr in einem dunklen Raum mit diesem blonden Mann. "Und als uns die Wachen schnappten, um uns nach Al-Mahot zu bringen", fuhr Aurix eifrig fort. "Du hast darauf verzichtet, eine Amazone zu werden."

Wieder rasten Bilder durch ihren Geist, die sie auf ein Pferd gefesselt zeigten, aber auch in den Armen dieses Mannes. Verwirrt musterte sie ihn und eine vage Erinnerung stieg auf. Konnte es sein, dass er ihr Freund war? Ihr Geliebter? Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären. Allmählich fühlte sie ihre Kräfte zurückkehren, und damit auch ihre Wut. Niemals würde sie sich mit einem flachshaarigen Weißen einlassen! Zornsprühend sprang sie auf und hieb mit dem Dolch nach dem Fremden. Dieser wich behende aus und der Stoß ging ins Leere.

"Du wirst mich hier nicht festhalten, vermaledeiter Dreckfresser!", kreischte sie. Doch der schlanke Mann war verschwunden. Knurrend und geifernd suchte Shira den Ausgang. Wo war er?

Ihr Blutdurst war unersättlich. Wenn sie ihn nicht töten konnte, dann musste ein anderes Opfer her. Witternd stand sie im kniehohen Unkraut des Gartens und sog die frische Nachtluft ein. Da! Ein Dutzend Schritte vor ihr roch sie warmes lebendiges Fleisch. Zielstrebig verließ sie den Garten und schlich eine gepflasterte Straße entlang.

Steinerne Häuser, manche turmhoch mit bis zu drei Stockwerken, sahen auf sie nieder. Wo war der Urwald? Später, jetzt musste zuerst Blut fließen.

Da! Eine magere, in Lumpen gehüllte Gestalt kam torkelnd auf sie zu. Ohne zu denken stieß Shira dem Bettler den Dolch in die Brust. Der arme Mann konnte gerade noch ein ersticktes Ächzen ausstoßen, dann sank er leblos in sich zusammen. Shira rümpfte die Nase. Welch ein mickriges Opfer! Der Kerl war alt und krank und er stank nach Dreck und billigem Wein. Der Marimba lechzte nach jungem Blut, nach kräftigen, vor Gesundheit strotzenden Körpern, in die er seine Krallen schlagen konnte. Rastlos eilte die junge Ugbali durch die nächtlichen Gassen. Noch zweimal stieß ihr Dolch zu, als sie zwei Betrunkenen begegnete, dann krachte der Himmel auf ihren Kopf und sie brach halb bewusstlos zusammen.

"Es tut mir Leid, Shira", hörte sie wie aus weiter Ferne die Stimme des blonden Mannes, der sich Aurix nannte. "Aber es ist nur zu deinem Besten." Feste Lederriemen legten sich um ihre Arme und Beine, bis sie so verschnürt war, dass sie keinen Muskel mehr bewegen konnte. "Schlaf gut, mein Liebes", flüsterte der Meisterdieb und drückte ein Tuch mit Kleontinktur auf ihr Gesicht, das ihr das restliche Bewusstsein raubte.



Leises Murmeln und der Duft von Kräutern schlich sich in Shiras vernebelten Kopf und holte sie aus einem wirren Traum. Eben flüchtete sie noch vor dem namenlosen Grauen durch den Urwald von Ugbal, im nächsten Moment öffnete sie die Lider und blickte in ein rundes zeitloses Gesicht mit uralten Augen. "Mutter Abelina!", stieß sie hervor. "Wo ist Aurix?"

Ein tiefer Seufzer ertönte, dann lag sie an seiner Brust. "Shira!" Er herzte und drückte sie, dass sie kaum Luft bekam.

"Es ist noch nicht vorbei", ließ sich die Kräuterhexe hören. "Den letzten Schritt musst du aus eigener Kraft machen."

"Was ist passiert? Aurix, ich habe doch ..." Verwirrt brach sie ab.

"Du warst nicht du selbst", erklärte Aurix leise. "Ich verstehe es nicht, aber so fremd warst du mir noch nie. Du hast drei Menschen getötet, bis ich dich endlich überwältigen konnte."

"Zelto stehe mir bei!", stieß sie erschrocken hervor. "Wir müssen fliehen!"

"Ich glaube nicht, dass dich außer mir noch jemand gesehen hat. Außerdem hatte ich mein Tuch mit der Kleontinktur bei mir. Du bist sofort eingeschlafen."

"Ein fremder Geist hat von dir Besitz ergriffen", dozierte Abelina. "Ich habe ihn verbannt. Aber er wird immer wieder kommen, wenn du ihn nicht besiegst."

"Der Marimba", flüsterte Shira mit weit aufgerissenen Augen.

"Was?" Zwei fragende Gesichter starrten das Ugbali-Mädchen an.

"Der alte Ugbali-Trommler! Er muss ihn nach Wellanka gebracht haben."

"Das dachte ich mir auch schon", stimmte Mutter Abelina zu. "Der Alte ist seit deinem letzten Tanz verschwunden. Erzähl mir mehr von dem Marimba."

"Der Marimba schleicht durch den Urwald. Wen er ruft, der muss ihm folgen. Und dann ..." Shiras Stimme war kaum noch hörbar. "Dann schlüpft er in den Körper des Gerufenen und beginnt sein Zerstörungswerk. Er tötet alle, die sich ihm in den Weg stellen und zuletzt auf den Körper des Besessenen selbst. Ich bin vor seinem Ruf geflohen und jetzt hat er mich eingeholt." Zitternd klammerte sie sich an den Meisterdieb. "Halt mich fest, Aurix. Ich bin verloren!"

"Du kannst ihn besiegen, mit deiner Magie, wenn du dich ihm stellst. Schlag ihn mit seinen eigenen Waffen." Abelinas rundliche Gestalt schien zu wachsen. Immer weniger ähnelte sie dem gutmütigen Kräuterweib. "Ich werde dir beistehen." Sie legte ihre kräftige Hand auf die schmale schwarze Schulter und nun schien auch Shira zu wachsen.

"Ich werde noch einmal tanzen", sagte Shira fest.

"Aber nicht im Kopflosen Leguan", ergänzte die Kräuterhexe.



Der Tag war mit den verschiedensten Vorbereitungen vergangen. Abelina hatte Shira in einem Kräutersud gebadet und ihr dann Gesicht und Hände mit wohlriechenden Essenzen eingerieben. Ihr Tanzkostüm hatte sie mit einer geheimnisvollen Brühe besprengt, bevor das Mädchen es anziehen durfte. Schließlich führte sie das Schachbrett aus der Stadt hinaus, in einen Wald aus Tirnabäumen. Der Volksmund sprach diesen Gewächsen, die eigentlich riesige Schachtelhalme waren, magische Kräfte zu. Doch Shiras Amulett zeigte keine Veränderung. Abelina murrte über Aurix' Begleitung, jedoch der Meisterdieb hätte sich um keinen Preis davon abhalten lassen. Um die Hexe zu besänftigen, trug er ihre voluminöse Tasche.

Die Dunkelheit brach gerade herein, als sie eine kleine Lichtung erreichten. Dort förderte das Kräuterweib eine Trommel zutage und stellte sie vor sich hin. Als Nächstes holte sie ein Säckchen mit Mehl heraus und streute es, geheimnisvolle Beschwörungen intonierend, kreisförmig auf das kurze weiche Gras. Ihr dicker Zeigefinger deutete auf eine Stelle innerhalb des Kreises. "Setz dich dort hin, Meisterdieb", sagte die befehlend. "Und rühr dich nicht vom Fleck. Wenn du den Kreis beschädigst, sind wir alle drei tot."

Aurix fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen und gehorchte wortlos. Ächzend ließ sich die Alte nun im Gras nieder und klemmte die Trommel zwischen ihre Knie. Ihr Zeigefinger verwies Shira in die Mitte des Kreises. Dann begann sie zu trommeln. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete die Szene mit seinem gespenstischen Licht. Kein Lufthauch regte sich. Selbst die Bäume schienen den Atem anzuhalten. Shira wiegte sich zum Schlag der Trommel. Die ersten Tanzschritte fielen zaghaft aus, dann wurde sie sicherer und mutiger. Eine unsichtbare Wand wuchs aus dem Mehlkreis und bildete eine Kuppel über dem ungleichen Trio.

Shira tanzte. Und plötzlich fühlte sie das Nahen einer schrecklichen Wesenheit. Der Marimba! In äußerster Konzentration spannte sich ihr Körper. Ihre Hände hoben sich und woben einen Zauber, ohne den Tanz zu unterbrechen. Ein unwilliges Knurren ertönte, das von allen Seiten zu kommen schien. Du kriegst mich nicht, dachte die Ugbali und ließ ihre Finger durch die Luft tanzen, während mächtige Silben von ihren Lippen strömten und ihre Füße dem Rhythmus der Trommel folgten.

Schemenhaft begann sich eine zottige Gestalt vor dem magischen Kreis abzuzeichnen. Je dichter sie wurde, umso mehr Einzelheiten konnte man erkennen. Lange, scharfe Krallen, ein riesiges Maul, aus dem der Geifer tropfte, die Muskelstränge unter dem strähnigen Fell. Glühende Augen suchten den Blickkontakt mit der Diebin. Doch Shira wusste genau, dass sie das nicht zulassen durfte. Wieder strömten Worte der Macht von ihren Lippen und ließen den Marimba zornig aufheulen. Seine Umrisse waberten, dann stand ein junger Ugbali-Krieger vor dem Kreis.

"Zerstöre den Kreis, Shira!", rief er bittend. "Ich liebe dich! Du sollst meine Königin sein."

Shiras Blick wanderte zu ihm und glitt anerkennend über den wohlgeformten Körper. Der Krieger lächelte und entblößte dabei schreckliche Fangzähne. Entsetzt fuhr das dunkelhäutige Mädchen zurück. "Nein!", schrie sie wild. "Niemals!" Damit wandte sie sich ab und tanzte unentwegt weiter. Der Körper des Kriegers alterte in Sekundenschnelle und dann stand der Trommler aus dem Kopflosen Leguan heulend vor dem Kreis. Shira beachtete ihn nicht. Als der Teil des Tanzes kam, in dem der Marimba von seinem Opfer Besitz ergriff, änderte sie die Schritte. Die Bewegungen waren nicht mehr hingebend, sondern deutlich abweisend. Rastlos wanderte der böse Geist um den Bannkreis, immer wieder seine Gestalt ändernd. Einmal war er ein Mensch, dann ein wildes Tier und schließlich ein grauenhaftes Ungeheuer mit drei Köpfen und einem stacheligen Schwanz. Doch Shira ließ sich nicht beirren. Sie tanzte ihren Sieg über den Marimba. Mit dem letzten Schlag der Trommel richtete sie sich stolz auf, obwohl die Anstrengung sie schwer atmen ließ und ihr Körper in Schweiß gebadet war.

Die Bestie brüllt noch einmal ihre hilflose Wut hinaus und zerstob unter ohrenbetäubendem Krachen zu einer übelriechenden Wolke, die der aufkommende Wind schnell verwehte.

Aurix sprang auf und legte seinen Umhang um die Schultern seiner Gefährtin. "Damit du dich nicht erkältest", sagte er unbeholfen, denn die kleine Diebin strahlte eine ungewohnte Würde und Majestät aus. "Meine schwarze Königin", fügte er hinzu und nahm die Hand, die sie ihm reichte.

"Geht nach Hause, Kinder", ertönte die Stimme Mutter Abelinas. Das schien den Bann zu brechen. Plötzlich war Shira wieder das fröhliche Ugbali-Mädchen, wie Aurix es kannte und liebte.

"Ich bin furchtbar verschwitzt", sagte sie und rümpfte angeekelt die Nase. "Was meinst du? Hat das Badehaus noch offen?"



Fortsetzung folgt


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