STORIES


IN DIE SCHATTEN

Folge 8

von Thomas Kager



Was bisher geschah:

Sven wurde von Unbekannten entführt und mußte Schaukämpfe austragen. Als er gemeinsam mit Wildfire und Moonshadow endlich frei kommt, stehen sie in Seattle ohne Ausrüstung, ohne Geld und ohne Identität praktisch vor dem Nichts. Sie treten in die Straßengang der T-Birds ein und versuchen nun, ihren Lebensunterhalt auf diese Weise zu bestreiten.




"Sind die gut?" fragte der Konzernmensch.

"Die Besten", entgegnete Ghost, um gleich darauf mit einem schmierigen Grinsen fortzufahren. "Zumindest die Besten, die sie für das Geld bekommen können."

Der Konzernmensch warf dem Anführer der T-Birds einen fragenden Blick zu, dann musterte er wieder Wildfire, Moonshadow und Sven, die in der vom Licht der Limousine spärlich erhellten Seitenstraße standen.

Sven war es von seiner früheren Arbeit als Leibwächter gewohnt, daß er so prüfend gemustert wurde und ließ es gleichmütig über sich ergehen. Moonshadow schien es auch nichts auszumachen, aber die Gefühle der dunklen Elfe waren sowieso schwer einzuschätzen. Nur Wildfire konnte diese Musterung gar nicht leiden. Die ehemalige Texas Rangerin gab sich zwar alle größte Mühe, sich professionell zu geben und ihre Abscheu zu unterdrücken, doch Sven kannte sie gut genug, um die kleinen Hinweise ihrer Körpersprache richtig zu deuten: Das leicht vorgeschobene Kinn, die Finger, die sich von Zeit zu Zeit zur Faust ballten, ihr etwas gepreßter Atem. Die leichte Spannung in ihrer Nackenmuskulatur.



"Nun gut", meinte der Konzernmensch schließlich und übergab Ghost eine kleine Karte. "Sie sollen sich im Laufe des morgigen Tages bei dieser Adresse melden. Dort werden sie in den Auftrag eingewiesen."

Er nickte ihnen noch einmal zu, dann stieg er in seine Limousine, die zurücksetzte und in die Hauptstraße abbog.

Ghost trat zu den dreien und überreichte ihnen die Karte.

"Das hier ist eure Eintrittskarte in die Welt der Shadowrunner. Viel Erfolg."

***

Die Adresse führte die drei in ein Industriegebiet an der Grenze zwischen Puyallup und Tacoma. Genau wie die beiden Stadtteile, hatte das Gebiet seine beste Zeit schon lange hinter sich. Viele Fabriken und Anlagen standen leer und waren dem Verfall preisgegeben.

Ähnlich wie der Komplex, vor dem sie ihre Motorräder anhielten.

"Was für eine Bruchbude", meinte Wildfire abfällig und musterte das Gebäude.

"Sind wir hier wirklich richtig?" zweifelte Sven und warf noch einmal ein Blick auf die Karte. Nur Moonshadow grinst leicht.

"Laßt euch von dem äußeren Anschein nicht täuschen", meinte sie und deutete auf zwei kleine Kameras, die gut versteckt in einiger Höhe angebracht waren und die komplette Forderfront der Halle überwachten. Sie machten einen funktionsfähigen Eindruck.

Wildfire grinste breit in die Aufnahmeoptik, dann näherte sie sich dem großen Tor.



"Hihi, das ist ja die Wildfire", tönte es plötzlich lallend aus einem Müllberg. "Und da ist ja auch ihr Liebling. He Sven, hast du sie schon gebumst? Hä. Hä."

Überrascht blickten sich die drei einen Moment lang an. Dann waren Wildfires Bewegungen plötzlich so schnell, daß sie mit dem normalen Auge nur mehr verwischt zu sehen waren. Sie stürmte auf dem Müllberg zu, griff mit beiden Händen hinein und zog einen verwahrlosten Penner aus dem Unrat. Ärgerlich stellte sie ihn auf die Beine und drückte ihn gegen einen der Abfallcontainer.

"Woher kennst du uns?" zischte sie. "Was weißt du von uns?"

Panisch quiekte der Penner auf und versuchte sich verzweifelt aus Wildfires unbarmherzigen Griff zu befreien. "Ich weiß nichts! Ich war es nicht! Ihr habt den Falschen."

Der Gestank nach Dreck und billigem Fusel schlug Sven entgegen, als er näher trat. "Sag ihr, was sie wissen will, dann passiert dir nichts."

Eingeschüchtert flog der glasige Blick des Penners zwischen den beiden hin und her. Wildfire verstärkte ihren Griff und schob ihn ein Stück am Container hinauf, so daß seine Beine in der Luft baumelten. "Ich werde die Fragen nicht noch einmal wiederholen", zischte sie drohend.

"Von den Chips, den Chips!" kreischte er angsterfüllt und kramte aus seiner verschlissenen Jacke hektisch ein kleines, verschrammtes Etui heraus. Moonshadow nahm es ihn ab und strich das verfilzte Haar an seiner Schläfe zur Seite. Darunter kam eine veraltete und angerostete Chipbuchse zum Vorschein.

"Ein BTL-Junkie", murmelte sie und öffnete das Etui. Zwei kleine unbeschriftete Chips lagen darin.

"Woher hast du die, Drekhead?" verlangte Wildfire zu wissen.

"Ich weiß es nicht", fiepte der Penner. Wütend schlug sie ihn gegen den Container.

"Das glaub ich dir nicht."

"Nein, er wird mich umbringen, wenn ich es euch sage", flehte der Penner mit weit aufgerissenen Augen, doch Wildfire schlug ihn abermals gegen das rostige Metall.

"Rate mal, was ich mit dir mache, wenn du nicht gleich dein Maul aufmachst."

Beruhigend legte Moonshadow eine Hand auf ihre Schultern. "Warte."

Die dunkle Elfe drückte ihre Handfläche gegen die Stirn des Penners, schloß die Augen und murmelte ein paar Worte. Unkontrolliert zitternd beobachtete dieser die Magierin und war wohl der Meinung, sein letztes Stündchen hätte geschlagen. Doch nach kurzer Zeit öffnete die Elfe wieder ihre Augen.

"Der Name des Dealers ist Ziron", teilte sie mit. "Weißer, Mitte dreißig, Treibt sich hin und wieder in der Gegend herum und dealt mit allem möglichen. Die Chips hat der da für einen kleinen Spitzelauftrag bekommen. Allerdings denke ich, daß diesem Ziron ein Fehler unterlaufen ist, denn die Chips sind von überraschend hoher Qualität.

Mal sehen, ob Ghost etwas mehr über ihn herausfindet."

Der Penner heulte panisch auf. "Ich hab nichts gesagt! Ich hab nichts gesagt! Das wißt ihr nicht von mir!"

"Ja, ja, schon gut", meinte Wildfire angewidert und beförderte ihn im hohen Bogen wieder in den Müllhaufen zurück, aus dem sie ihn herausgezogen hatte. Angeekelt wischte sie sich die Hände an ihren Shorts ab, während sich der Penner wimmernd in dem Unrat verkroch.

"Hoffentlich hat Ghost Erfolg dabei. Das ist unsere erste heiße Spur zu unseren Entführern."

Etwas beunruhigt musterte Sven das leichte Glitzern in ihren Augen. Aber er konnte sie sehr gut verstehen. Auch ihm brannte es unter den Fingernägeln, die Rechnung für die Monate der Gefangenschaft und der Schaukämpfe endlich zu begleichen.



Aber vorerst hatte das noch zu warten.

Sven mußte die Ruftaste neben dem großen Rolltor dreimal betätigen, bis endlich eine Stimme mit einem mürrischen "Was ist?" ertönte.

"Wir sollen uns heute hier melden", antwortete Sven.

"Davon weiß ich nichts", kam es zurück.

"Wir sind wegen dem Transportauftrag hier", erklärte Sven weiter, doch die Stimme von innen wollte davon nichts wissen. "Das hier ist doch keine Spedition. Die ist drei Straßen weiter."

Verwundert blickte Sven zu den anderen. Wildfire hatte den Kopf etwas schief gelegt und Moonshadow schmunzelte leicht. Schließlich hielt Sven die kleine Karte vor die Aufnahmeoptik.

"Hier, bei dieser Adresse sollten wir uns melden."

"Könnten sie das bitte vorlesen, ich bin ein Troll und kann nicht lesen."

Verdutzt blickte Sven in die Kamera.

"Hör auf mit den Spielchen, Frank und mach' endlich die Tür auf, du dämlicher Trog!" fauchte Wildfire.

Der kleine Lautsprecher konnte das dröhnende Lachen kaum übertragen. "War ja nur ein kleiner Spaß. Hehe. Bringt eure Räder rein, bevor sie noch geklaut werden. Ihr werdet schon erwartet."

Während das Rolltor überraschend leise nach oben fuhr, blickte Sven verdutzt zu Wildfire. "Frank? Das war Frank?"

"Zumindest klang er so", meinte sie mit einem Schulterzucken.

"Es ist Frank", bestätigte Moonshadow mit einem hintergründigen Lächeln. "Ich habe ihn vor ein paar Wochen in einem Spital aufgespürt. Er wird mit uns den Auftrag erledigen."

"Du Biest", meinte Wildfire mit gespieltem Ärger und in die Hüften gestemmten Armen zu der Elfe. "Und das hast du die ganze Zeit für dich behalten?"

"He, laßt mir doch die kleine Überraschung", wehrte sie mit einem Lächeln ab.



Sie rollten ihre Motorräder in die Einfahrt und während sich das Tor wieder schloß, trat der riesenhafte Troll aus einer Tür. Es war in der Tat Frank, der wieder vollkommen gesund und fit schien. Nichts erinnerte mehr an den halbtoten Haufen Fleisch in dem schmalen Gang des Sportstadions.

Er umarmte Wildfire mit seinen langen Armen, drückte sie und hob sie hoch wie ein kleines Kind. Sven meinte schon, ihre Rippen krachen zu hören. Trotzdem lachte sie und schüttelte ihn an seinen gewundenen Hörnern.

"Man, Frank. Tut das gut, dich wieder zu sehen. Hast uns ja einen gehörigen Schrecken eingejagt. Aber wie es aussieht, waren unsere Sorgen um dich vollkommen unbegründet."

"Nicht so ganz", meinte Frank und setzte sie wieder ab. "Es ging mir schon recht dreckig. Aber Dank der Hilfe von dem Spitzohr hier, habe ich mich recht schnell erholt." Dabei nickte er in Richtung Moonshadow.

Dann klopfte er Sven kräftig auf die Schulter. "Hehe, Sven, hast du vorhin dämlich geguckt. Mit dem Bild hätte ich sicherlich gutes Geld machen können."

Sven lachte verlegen, er mußte wirklich nicht besonders intelligent ausgesehen haben.

"Sagt mal, was habt ihr da draußen mit dem armen Kerl gemacht? Das sah ja schlimm aus."

"Ach, nichts besonders", meinte Wildfire mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Er hat uns nur ein paar Chips mit Aufnahmen von unseren Kämpfen geschenkt."

"WAAS?!" Der Troll fuhr erregt in die Höhe. "Den knöpf' ich mir vor."

Aufgebracht wollte er schon nach draußen stürmen, doch Moonshadow hielt ihn zurück. "Beruhige dich, Frank. Er hat uns schon alles gesagt, was er weiß. Den Rest wird ein Freund von uns erledigen."

Frank grummelte mißmutig. Es war ihm anzusehen, daß er die Informationen am liebsten aus dem Penner herausgeprügelt hätte. Doch dann zuckte er mit den Schultern.

"Na, von mir aus. Kommt mal, ich möchte euch den Boß vorstellen."



Frank führte sie in eine große Halle, die mit allen möglichen Sachen vollgestellt war. Kisten, Autowracks in den unterschiedlichsten Stadien der Ausschlachtung, Werkzeugbänke, verschiedene Maschinen. Es sah aus, wie in einer großen Autowerkstätte.

In der Mitte der Halle stand ein großer Lastwagenzug mit mehreren Anhängern. Auf einem dieser Anhänger kauerte eine Gestalt in Arbeitshose und Hemd. Ein großer Sichtschirm bedeckte den Kopf und schützte das Gesicht vor dem grellen Licht des prasselnden Schweißgerätes.



"He, Tinkerbell. Meine Freunde sind da", rief Frank hinauf und übertönte mit seinem lauten Organ den Lärm.

Die Gestalt sah von ihrer Arbeit auf und musterte sie ein paar Augenblicke durch den Sichtschirm.

Dann nahm sie den Schutz ab und ein hübsches, zierlich geschnittenes Elfengesicht mit langem blonden Haar kam zum Vorschein.

"Hallo. Schön, daß ihr da sein", begrüßte sie die Neuankömmlinge mit einer hellen und sehr melodisch klingenden Stimme. Sie legte das Schweißgerät beiseite, zog die großen Arbeitshandschuhe aus und kletterte eine Leiter herab.

Erst als sie vor ihnen stand, erkannte Sven, wie zierlich und klein sie wirklich war. Er überragte sie um mehr als eineinhalb Kopflängen und auf den ersten Blick hätte man sie für ein Mädchen halten können.

Sie wischte sich ihre feingliedrigen Hände an einem Lappen ab, den sie aus der Gesäßtasche ihrer Arbeitshose zog und schüttelte jedem lächelnd die Hand.

"Freut mich wirklich, euch persönlich kennen zu lernen. Frank hat mir schon eine Menge über euch erzählt." Dabei zwinkerte sie ihnen verschmitzt zu.

Als sie sich durch das Haar fuhr und die grüne Fankappe der Seattler Supersonics aufsetzte, blitzen kurz drei vergoldete Datenbuchsen hinter ihrem rechten Ohr auf.



Dann beschrieb sie den Auftrag näher.

"Es geht um einen Transport in eine kleine Produktionsstätte an der Westgrenze der UCAS, für den ihr als Begleitschutz angeheuert seit. Wir holen übermorgen um 23:00 die Ladung vom Hafen ab und bringen sie mit dem kleinen Baby hier durch das Salish-Shide Council und Sioux Nation bis in die Nähe von Bismarck."

"Quer durch die NAN? Warum wird das nicht per Flugzeug transportiert?" wollte Sven wissen. "Das geht doch viel schneller."

"Keine Ahnung", erwiderte Tinkerbell. "Aber mir kann's nur recht sein. So verdiene ich was daran.

Ich werde die ganze Zeit über im Führerhaus sein. Jedes zweite Frachtmodul ist mit einer kleinen Kabine ausgestattet, da werdet ihr untergebracht."

Tinkerbell öffnete die seitliche Tür zu einer spartanischen Kabine. Während Wildfire und Sven sich das Ganze von innen ansahen, erklärte sie die Einrichtung.

"Die beiden Pritschen an der Wand können auch als Sitzgelegenheit benutzt werden, wenn man die obere hochklappt. Über das Terminal könnt ihr jederzeit untereinander oder mit mir Kontakt aufnehmen. Es funktioniert auch als Trideo. Es sind sogar ein paar kostenpflichtige Kanäle freigeschaltet", meinte sie mit einem Augenzwinkern zu Frank, der sie breit angrinste.

"Außerdem kann ich euch über die kleine Kamera da oben sehen und mit euch sprechen. In die Halterungen da kommen noch je 4 Sturmgewehre mit ausreichend Munition. Daneben in dem Schrank sind Rumpfpanzer und Schutzhelme.

Dort hinten gibt es eine Mininasszelle, die gleichzeitig als Toilette dient. Auf der anderen Seite ist ein Kühlschrank mit Fertiggerichten, die in der kleinen Mikrowelle darüber zubereitet werden können.

Ja, außer zum Tanken werden wir kaum stoppen, sondern die 4 Tage durchfahren. - Wenn nichts dazwischen kommt."

"Erinnert mich irgendwie an meine Grundausbildung", meinte Wildfire, als sie wieder nach draußen kletterte.

Tinkerbell lachte hell, als sie bemerkte, wie Moonshadow den riesenhaften Troll musterte.

"Keine Sorge, Schwester. Du bekommst eine Kabine nur für dich allein. Frank hat sein Abteil im letzten Wagen. Die ist etwas größer und dort habe ich auch eine kleine Überraschung versteckt."

Die kleine Elfe kramte ein Fernsteuergerät aus ihrer Arbeitshose und betätigte einen Knopf. Eine Luke auf dem Dach des letzten Anhängers öffnete sich und ein doppelläufiges Geschütz fuhr in die Höhe. Überrascht musterten Wildfire und Sven die schwere Waffe.

"Ihr scheint euch ja auf Gröberes vorzubereiten."

Tinkerbell lachte wieder und winkte ab. "Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Aber besser vorgesorgt, als das Nachsehen haben."



"Was transportieren wir eigentlich?" fragte Wildfire und strich mit der Hand über die Bordwand.

"Kisten", erwiderte Tinkerbell mit einem Augenzwinkern, dann zuckte sie mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber bestimmt etwas Illegales. Sonst hätten sie nicht Leute wie uns dafür engagiert. Sollte es zu Problemen kommen, können sie sich dann auf uns ausreden."

Offenbar schien sie das nicht zum ersten mal zu machen und war mit den Gedankengängen der Konzerntypen vertraut.

***

"Das sind wirklich wir", meinte Sven. Wildfire nickte. "Wenn man es genau nimmt, bin das ich."

Gemeinsam mit Moonshadow und Ghost betrachteten sie den Inhalt eines der Chips, dem sie dem Penner abgenommen hatten. Dank eines modifizierten Abspielgerätes was es möglich, den Sichtbereich der BTL-Aufzeichnungen auf einem normalen Bildschirm zu sehen. Dadurch war das Erlebnis zwar sehr eingeschränkt, aber es schützte davor, abhängig zu werden.

Es zeigte einen ihrer gemeinsamen Kämpfe im Sportstadion. Und zwar aus der Sicht von Wildfire. Genau so, wie sie es erlebt hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Vor allem wohl für Wildfire selbst.

Erst jetzt fiel Sven auf, wie oft sie ihm damals einen Blick zugeworfen hatte. Wahrscheinlich ging es ihr ähnlich, denn sie wich seinem Blick aus. Er konnte sehen, wie es in ihrem Gesicht arbeitete. Beide waren ganz froh, daß die Gefühlsaufzeichnungen im Verborgenen blieben. Mit einer schnellen Bewegung schaltete Wildfire schließlich ab.

"Das ist sehr gute Qualität", meinte Moonshadow, die mehr der technische Teil der Aufzeichnung interessiert hatte. "Viel zu gut für den Straßenverkauf."

Sie entnahm den Chip dem Abspielgerät und reichte ihn Ghost, der ihn nachdenklich entgegen nahm.

"Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Ich kenne diesen Ziron nicht, aber einer meiner Kontakte sicherlich. Wenn ihr von eurem Auftrag zurück seit, sollte ich mehr wissen."

***

Sven kletterte nach oben in den Führerstand des Lastwagenzuges, der viel mehr dem Cockpit eines Hubschraubers glich. In erster Linie vermißte er ein Lenkrad. Nur ein kleiner Sidestick ließ so etwas wie eine Lenkung erkennen.

Tinkerbell stieg auf der anderen Seite ein und grinste über seinen verwunderten Gesichtsausdruck. "Keine Sorge, ich kann mit dem Ding schon umgehen."

"Davon bin ich überzeugt", versicherte er und lehnte sich in seinem Sitz zurück.



Tinkerbell machte es sich in dem ausladenden Fahrersitz bequem und schnallte sich sorgfältig an. Dann zog sie ein dünnes Fiberglaskabel aus der Lehne und verband es mit einer der Datenbuchsen hinter ihrem Ohr. Sie schloß kurz die Augen und seufzte leise. Sven konnte sehen, wie ein leichtes Schaudern durch ihren zierlichen Körper lief.

Ohne, daß sie auch nur einen Finger rührte, erwachte das Fahrzeug zum Leben. Anzeigen leuchteten auf. Systeme wurden hochgefahren. Mit einem tiefen und kraftvollem Brummen sprangen die Motoren der Kommandoeinheit und der Frachtmodule an.

Tinkerbell steuerte das riesige Gefährt nun rein gedanklich. Bis zu einem gewissen Grade verschmolz sie mit dem Fahrzeug.



Die Elfe öffnete wieder die Augen und grinste Sven breit an. "Schau nicht so erschreckt. Alles ganz normal."

Sven lächelte etwas unsicher zurück.

Was manche Menschen so als normal empfanden ...



Das riesige Gefährt setzte sich in Bewegung und durchquerte die Halle. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte Sven, daß die Frachtmodule ihnen spurgetreu folgten. Ein Ausscheren oder Abschneiden wie bei üblichen Lastzügen gab es hier nicht.

Erst dicht vor ihnen öffnete sich das große Rolltor. Unwillkürlich preßte sich Sven in seinem Sitz zurück, als Tinkerbell den Wagenzug durch die Ausfahrt steuerte ohne auch nur eine Spur langsamer zu werden. Zwischen der Torunterkante und dem Dach der Führerkabine konnte nur wenige Millimeter Luft sein. Unmittelbar hinter ihnen schloß sich das Tor wieder und verriegelte sich automatisch.

Tinkerbell schmunzelte leicht, als sie Svens Anspannung bemerkte. Verlegen entspannte er sich wieder. Die kleine Elfe war eine hochklassige Riggerin. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.



Sorgen machte er sich wegen der Grenze zu den Native American Nations, die aus den westlichen Staaten der ehemaligen USA und Kanada bestanden. Würden die gefälschten Ausweise der Überprüfung standhalten? Wildfire und Sven wurden möglicherweise schon wieder von der Seattler Polizei gesucht und die eine Nacht im Polizeigefängnis hatte ihm gereicht.



Aber zuerst ging es noch zum Hafen, wo Standardkisten ohne näherer Beschriftung von einem Frachtschiff auf den Lastzug verladen wurde. Mehrere bewaffnete Sicherheitsmänner bewachten den Ladevorgang. Gemeinsam mit Frank und Wildfire, die auf der Herfahrt die Waffen und Rüstungen gewissenhaft überprüft hatte, unterstützen sie sie, doch alles verlief reibungslos.

Nach nicht einmal einer halben Stunde setzte sich der Lastwagenzug wieder in Bewegung und rollte durch die nächtlichen Straßen auf die Grenze zu.

***

Der Grenzbeamte stand auf einer kleinen Plattform, und befand sich somit auf gleicher Höhe mit dem Seitenfenster des Führerhauses.

Tinkerbell grüßte freundlich und reichte ihm die Transportpapiere, die er mißmutig entgegennahm und flüchtig überflog. Da der Konzern, für den sie unterwegs waren, groß genug war, um den Status der Extraterritorialität zu besitzen, war die Kontrolle eine reine Formsache. Die Grenzbeamten konnten hauptsächlich nur überprüfen, ob die Ladetore vorschriftsmäßig plombiert waren. Schlecht gelaunt musterte der Beamte die kleine Elfe, die ihm ihr süßestes Lächeln schenkte. Dann fixierte er Sven. Obwohl ihm innerlich nicht wohl war, machte er ein freundliches Gesicht.

Nach einem bestätigenden Blick zu seinen Kollegen am Boden gab der Beamte der immer noch lächelnden Tinkerbell die Papiere mit einem unverständlichen Brummen zurück und winkte sie durch

Ganz unbewußt atmete Sven auf, als sich der Lastwagenzug wieder in Bewegung setzte.

"Siehst du, alles kein Problem", lächelte ihn Tinkerbell an, während sie die Papiere verstaute.

Vor ihnen lag der Highway.



Die nächsten beiden Stunden unterhielten sich Tinkerbell und Sven.

Die kleine Elfe war eine waschechte Riggerin mit wahrlich klassischem Ausbildungsweg. Schon seit Kindesbeinen an Fahrzeuge interessiert, wurde ihre Begabung in der Konzernschule schnell erkannt und gefördert. Schließlich bekam sie die Datenbuchsen mit einer hochmodernen Fahrzeugsteuerung in den Körper gesetzt. Erstklassige Ware, wie sie behauptete. Danach war sie ein paar Jahre lang eine der besten Fahrerinnen und Mechanikerinnen des Konzerns. Doch dann passierte etwas.

Sie verließ den Konzern und machte sich "selbständig", wie sie es nannte. Kurz gesagt, sie wurde eine Shadowrunnerin, die ihre Fähigkeiten an alle möglichen Leute vermietete. Selten legal und meist nicht ungefährlich.

Aber das störte die begeisterte Anhängerin der Seattler Basketballmannschaft nicht im geringsten. Ein großes Holoposter von Gram Knight, dem Spielmacher der Supersonics zierte die gesamte Rückwand der Fahrerkabine. Und sie kam regelrecht ins Schwärmen, wenn sie auf ihn und seine großen Hände zu sprechen kam.



Es machte Sven immer wieder etwas nervös, wenn sich Tinkerbell anscheinend gar nicht um das Fahrzeug, die Straße und den Verkehr kümmerte, sondern scheinbar sorglos mit ihm plauderte, ihn dabei ansah oder gar die Augen schloß, über die letzten Spiele der Supersonics fachsimpelte, in einem Fach etwas suchte oder eine Kleinigkeit zu sich nahm. Dabei hatte sie das riesige Fahrzeug sicherlich in jeder Sekunde besser unter Kontrolle, als Sven es selbst nach jahrelanger Ausbildung imstande wäre.

***

Sven war durch den engen Gang nach hinten in die Kabine gegangen, die er sich mit Wildfire teilte. Während der Lastwagenzug weiter über den nächtlichen Highway brauste, stellte er sich an das Terminal und surfte ziellos durch die Kanäle. Er fand jedoch nichts Interessantes. Diverse Shows, Sport, Politik, Nachrichten über irgendeinen Skandal oder eine Katastrophe und überall Werbung. Der übliche Schrott eben. Vielleicht sollte er sich einfach schlafen legen.



Plötzlich spürte er Wildfire hinter sich. Sie lehnte sich an seinen Rücken und legte ihre kräftigen Arme um ihn. Sanft küßte sie seinen Nacken.

"Weißt du eigentlich, daß wir das erste mal seit Wochen wieder ganz allein sind?" fragte sie leise.

Sven lächelte und drehte sich in ihren Armen zu ihr. Wildfires Gesicht befand sich direkt vor seinem und er versank wieder in diesen unendlich dunklen und warmen Augen. Er legte seine Hände auf ihre Hüften und zog sie an sich, bis sich ihre Körper eng aneinander schmiegten. Es war schön, sie zu spüren, ihre Wärme zu fühlen, ihren Atem.

Wildfire glitt mit einer Hand in seinen Nacken und zog sein Gesicht langsam zu ihrem. Sanft trafen sich ihre Lippen.

Lautlos änderte sich der Fokus der kleinen Kamera.



Will jemand wissen, wie die Abenteuer von Sven und Wildfire und in der Welt von Shadowrun weitergehen? Bei Interesse wird vielleicht fortgesetzt.

Anregungen, ehrlicher Meinung und konstruktiver Kritik gegenüber, bin ich jederzeit aufgeschlossen.



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