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FIEBER

Folge 4

von Susanne Stahr



Cleochares weckte sie sehr früh. "Du gehst mit Volusian auf Kundschaft", eröffnete er ihr. "Endlich gibt es einen Hinweis, wo das Loch ist, durch das die Nynx kommen."

Ihr erster Gedanke war: Endlich raus aus dem Trott. Doch dann überlegte sie, warum ihr plötzlich so eine Aufgabe zugeteilt wurde. Ihre Kenntnisse im Schwertkampf waren im Vergleich zu Statiras bescheiden.

"Vielleicht wollen sie dich los werden", mutmaßte die Kriegerin während sie sich wie selbstverständlich rüstete.

"Du kommst auch mit?", freute sich Loretta.

"Natürlich. Ab jetzt werden wir alles teilen, nicht nur das Bett."

Loretta senkte den Kopf als ihr das Blut in den Kopf stieg. Die Erinnerung an die letzte Nacht löste Verlegenheit in ihr aus. Wenn das Mama wüsste!, dachte sie.

Volusian kam mit langen Schritten über den Hof "Komm mit, Loretta", rief er durch die offene Tür des kleinen Hauses.

Er führte seine Tochter in einen weitgehend kahlen Raum. Auf geschnitzten Stühlen saßen vier Männer und zwei Frauen. Vier trugen das Blau der Bewahrer und den Regenbogenkristall. Loretta erkannte Amyntha und die alte Frau unter ihnen.

Die eine Ausnahme war ein älterer Mann in einer langen, dunkelgrünen Robe von einfacher Schlichtheit. Loretta hätte ihn für einen Buchhalter gehalten. Der runde Kopf war von einem weißen Haarkranz umgeben und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck als hätte er ein Kontoblatt verlegt und suche nun jemanden, dem er die Schuld dafür geben konnte. Ein Blick in seine Augen ließ den Buchhalter vergessen. Eine Aura von Macht umgab ihn.

Und dann war da noch Raduald, der Hofmagier. Er verschwand fast in seinem schwarzen Umhang. In seinen Augen lag die Abgeklärtheit des Alters, obwohl ihn Loretta auf Vierzig schätzte. Das war doch der Kerl, mit dem ihr Vater dieses aufgeregte Gespräch hatte! Später hatte er sie beim Training beobachtet. Dieses bleiche Gesicht würde sie so schnell nicht vergessen.

Volusian verbeugte sich tief. Mit hartem Griff zwang er Loretta, es ihm gleich zu tun. "Majestät, das ist meine Tochter Loretta."

Der König mit dem Gesicht eines Buchhalters nickte ernst. "Du hast großen Schaden angerichtet mit deinem Feuer", warf er ihr vor. "Beantworte nun alle Fragen, die der Lord-Bewahrer dir stellen wird."

Ein uraltes, vertrocknetes Männchen ergriff das Wort. "Dein magisches Feuer hat 46 Obstbäume und einen Werkzeugschuppen vernichtet bevor wir es unter Kontrolle bekamen. Es wird Jahre dauern, bis dort wieder etwas wächst. Wer hat dich dazu angestiftet?"

Lorettas Kinnlade fiel herunter. 46 Bäume! "Niemand hat mich angestiftet", erklärte sie trotzig. "Ich wollte nach Hause und da waren plötzlich diese Nynx ... Na ja, ich hatte Angst. Sie wollten mich umbringen ..." Sie brach ab.

"Hast du Nynx gesehen, Lord Paladin?", fragte der König dazwischen.

"Ja", nickte Volusian bedächtig. "Drei brennende Nynx."

"Jemand muss dich gelehrt haben, Feuer zu machen", behauptete nun der greise Bewahrer. "Als du getestet wurdest, konntest du es noch nicht."

"Nein", widersprach sie. "Niemand hat es mir gezeigt. Es passierte, weil ich es wollte. So ist es immer gewesen, wenn etwas Neues hinzukam. Auf einmal kann ich es. Ich muss nur ein wenig üben ..."

"Das lässt du lieber sein", befahl der König. "Sonst fackelst du noch ganz Arrian ab."

"Was ist immer so gewesen?", fuhr der Greis in seiner Befragung sanft fort.

"Nun, ich bekam Fieber, einfach so. Und irgendwann danach konnte ich irgendwas Neues. Manchmal. Einmal konnte ich meine Puppe laufen lassen, dann konnte ich durch Wände sehen, Gedanken lesen .... aber Feuer konnte ich noch nie machen. An diese Möglichkeit hab ich nie gedacht."

"Manchmal", wiederholte Amyntha. Loretta fand, dass ihr Gesicht etwas von ihrer Härte verloren hatte. Trotzdem fand das Mädchen noch genug Selbstgerechtigkeit um die stolze Frau zu verabscheuen.

"Da kann ja noch einiges auf uns zu kommen", kommentierte der König trocken. "Wenn du Zündeln üben willst, geh besser in die Wüste."

Die Bewahrer hatten die Köpfe zusammen gesteckt und diskutierten heftig.

Noch einmal wandte sich der Greis an sie. "Wenn du zurück kommst, wirst du noch einmal getestet und ..."

"Nein, bitte nicht!", rief Loretta aus. Einmal hatte ihr vollkommen gereicht.

".... und gegebenenfalls bekommst du dann Unterricht. Wir können nicht zulassen, dass du mit deiner Magie noch mehr Schaden anrichtest."

Dann wurden sie entlassen. Loretta bekam von Cleochares ein neues Schwert, da ihres bei dem Brand vernichtet worden war.



Volusian nickte als er Statira zum Abmarsch gerüstet vorfand. "Einen Spürer wollte ich ohnehin mitnehmen", war sein lakonischer Kommentar.

Zu dritt marschierten sie los. Jeder trug einen Rucksack mit seiner Ausrüstung und etwas Proviant. Dazu gehörte auch ein warmer Umhang, der in kühlen Nächten auch als Decke dienen konnte.

Sie hatten die Stadt noch nicht verlassen als Loretta kalte Asche roch. Der Gestank verstärkte sich als sie die Stadtmauer hinter sich ließen. Dann lag ein riesiges Areal schwarz verbrannte Erde vor ihnen. Die verkohlten Reste der Bäume und die Trümmer einer Hütte ragten daraus hervor. Loretta musste husten als der Wind die hauchfeine Asche aufwirbelte und ihr etwas davon in die Nase kam.

"Das habe ich getan?", fragte sie ungläubig.

"Ja. Vielleicht erkennst du jetzt, dass Magie kein Spielzeug ist. Die Bewahrer konnten nur mit Mühe verhindern, dass der Brand auf das Gehöft übergriff. Dort wohnen 18 Menschen."

"Das tut mir Leid", sagte sie betroffen.

Volusian warf ihr nur einen bösen Blick zu. "Beeilt euch. Hier stinkt es mir zuviel."

Loretta war es nur recht, diesen Ort hinter sich zu lassen. Da hatte sie sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Lange wagte sie Volusian nicht anzusprechen. Auch mit Statira wechselte sie nur wenige, geflüsterte Worte. Dafür aber umso mehr zärtliche Blicke.

Als sie auf einer Waldlichtung Mittagsrast machten, fasste sie sich Herz. "Wo gehen wir eigentlich hin?"

"Zu den Nynx", antwortete Volusian kurz.

"Was? Sie werden uns umbringen!", fuhr Loretta auf.

"Nicht in ihrer Welt", widersprach Volusian. "Dort sind sie friedlich, aber neugierig wie Kinder. Es liegt an der Zusammensetzung der Luft. Bei uns mutierten sie zu reißenden Bestien. Wir dagegen werden in ihrer Welt apathisch. Wir treiben seit langem Handel mit ihnen. Unsere Loqui-Früchte gegen ihre Pilze. Sie sind ganz scharf auf diese Früchte. Leider ist es ein sehr seltener Baum." Er schnalzte mit der Zunge.

"Einer unserer Händler brachte vor Jahren einen Nynx mit. Er hat sechs Menschen getötet, bevor wir ihn überwältigen konnten. Seither ist es verboten, sie in unsere Welt zu holen. König Gobares und alle seine Berater sind sich einig, dass sie missbraucht werden. Destabilisierung durch Terror. Wir sollen herausbringen, wer das Loch gemacht hat, durch das sie kommen."

"Und wem könnte das was bringen?" Jetzt war Lorettas Interesse geweckt. Eine Intrige! 'Dallas' war eine ihrer Lieblingsserien im Fernsehen gewesen.

"Da gibt es mehrere Möglichkeiten." Er hob eine Hand und streckte zu jedem Punkt einen Finger aus. "Einfluss auf die Thronfolge, Diffamierung, eventuell sogar Ausschaltung der Elatha, ein machtlüsterner Nachbarstaat wie zum Beispiel Itherian, ein Komplott der Arrianischen Magier, vielleicht sogar alles zusammen."

"Moment mal." Nur am Rande bemerkte sie, dass Statira sich erhob und von ihrem Rastplatz entfernte. "Wird nicht immer der älteste Prinz König? Wieviele Prinzen gibt es denn?"

"Es gibt drei. Asander, Imbrus und Fulrad. Asander, der Älteste, kann wegen einer angeborenen Behinderung nicht König werden. Imbrus steht den Elatha sehr skeptisch gegenüber während Fulrad unser Freund ist."

Jetzt erinnerte sie sich, wie Fulrad mit Volusian gescherzt hatte. Fulrad ein Prinz? Warum war sie nicht selbst darauf gekommen? Er sah ja aus wie der Inbegriff aller Märchenprinzen! "Vielleicht hat ein Elatha ...", begann sie.

"Nein!" Volusians Stimme war sehr scharf. "Wir wissen, dass es keiner von uns war. Das haben die Bewahrer geprüft. Jetzt gilt es, dies zu beweisen."

"Was hat denn Imbrus gegen die Elatha?"

"Er meint, wer seine Frau betrügt, betrügt auch seinen König." Volusians Kopf auf sank die Brust. "Er hätte mich sicher nicht begnadigt, auch wenn der Hof dadurch den Paladin verloren hätte."

Loretta musste unwillkürlich an die Narben auf seinem Rücken denken. "Hätte er nicht einen anderen ernennen können?"

"Nein." Nun klang etwas wie Stolz aus seiner Stimme. "Paladin kann nur ein Wechsler werden und ich bin derzeit der Einzige." Auf ihren fragenden Blick fuhr er fort: "Du weißt, dass wir Gestaltwandler sind. Jeder Elatha kann sich jederzeit in ein Tier verwandeln, Wolf, Panther, Löwe, Adler. Es offenbart sich in der Pubertät, welches Tier es ist. Ein Wechsler kann wählen, was er sein will. Unter den Elatha gab es nie mehr als drei Wechsler gleichzeitig."

"Hm." Loretta hielt sekundenlang die Luft an. Volusian konnte nicht nur eine Fledermaus werden, sondern jedes Tier, das er wollte? Verstohlen musterte sie ihn. Das war doch noch besser als ein Drache! Ja, auf so einen Vater konnte sie leicht stolz sein.

Dann besann sie sich und versuchte, die Fakten zu sortieren. "Also, was diese Intrige betrifft. Kann es nicht auch einer sein, der das ganz allein macht, nur um berühmt zu werden." Sie ärgerte sich über ihre unbeholfene Ausdrucksweise und suchte nach Worten. " Wie ein Verrückter, der ein Haus anzündet um zu beweisen, dass er der beste Feuerwehrmann ist. Äh..." Vor ihrem inneren Auge zeichnete sich die schwarze Aschenwüste aus.

Volusian musterte sie streng, äußerste sich aber nicht zu dem verunglückten Vergleich. "Der Gedanke hat etwas für sich. Da müsste man unter den Leuten suchen, die König Gobares ihre Hilfe anbieten. Das wäre die ...."

Statiras Warnschrei unterbrach ihr Gespräch. Im Nu waren sie auf den Beinen. Loretta zog ihr Schwert. Sie fand ihre Schwertschwester hinter einem Gebüsch im Kampf mit zwei Nynx. Sechs weitere brachen durchs Unterholz. Ein gut gezielter Hieb fällte eine der Echsen. Dann standen sie Rücken an Rücken und kämpften um ihr Leben. Im Zeitraffer liefen vor Lorettas innerem Auge alle Ratschläge Fulrad ab. Finte, Angriff, Ducken, Hieb, Stich. Die Nähe der Grünhaarigen gab ihr Kraft und Zuversicht. Doch erst als ihr Schwert einen Nynx fällte, begriff sie erst so richtig, dass dies keine Übung war.

Plötzlich brach ein blonder Bär unter die Nynx. Ein Tatzenhieb riss einem den Kopf ab. Ein zweiter wurde aufgeschlitzt, dass die Eingeweide hervorquollen. Dann waren mehrere Nynx über ihm. Loretta konnte nicht erkennen, wie viele, denn es waren noch mehr erschienen.

Verzweifelt wehrte sie eine Echse ab, die zischend und mit ausgestreckten Krallen auf sie zu sprang. Da hörte sie ein bösartiges Fauchen hinter sich. Statira hatte sich verwandelt. Ihre Tatzen rissen dem Nynx den Bauch auf. Einem anderen, der sich an den Bär anschleichen wollte, sprang sie auf den Rücken und zermalmte sein Genick. Im nächsten Moment hatte sie wieder Menschengestalt angenommen um Loretta den Rücken zu decken.

Der Bär verschwand und die Krallen eines Nynx fuhren seinem Artgenossen in den Hals. Drei andere schrieen schrill auf und wanden sich am Boden. Eine Klapperschlange hatte blitzschnell zugestoßen. Im nächsten Moment brüllte ein Löwe und zerfetzte weitere Gegner. Dann schwang sich ein Adler in die Luft und stieß auf den letzten Echsenkrieger herab. Loretta und Statira hatten ihre Gegner auch erledigt.

Ein großer, semmelbrauner Hund blähte witternd die Nüstern. Er trottete einmal um den Kampfplatz. Dann verwandelte er sich wieder in seine Menschengestalt. Murmelnd zählte er die Leichen. "14 Nynx. So viele auf einmal trifft man nur selten. Jemand verletzt?"

Loretta betastete prüfend ihren Körper. Ihr Schwertarm war müde, die Muskeln schmerzten, aber sie fand keine Wunde. Auch Statira war unverletzt.

"Und du?", fragte Loretta. Sie hob die Hand zu seiner Wange, von der es rot tropfte.

"Ach, das ist nichts." Er holte ein Taschentuch aus seiner Tunika und drückte es gegen die Wunde. "Spare deine Kräfte für einen Kampf, Statira", sagte er als diese auf ihn zu trat. Nun musste sie das Ergebnis ihres Kampfes sehen und vor allem riechen.

Statira führte sie zurück zu ihrem Lagerplatz. Dort streckte sie sich im Gras aus. "Das Loch kann nicht weit sein."

Mit unbewegtem Gesicht begann er die Leichen an einem freien Platz auf einen Haufen zu türmen. Statira half ihm dabei.

Loretta sank zu Boden als sie die auffordernden Blicke der Beiden sah. "Das kann ich nicht", stieß sie hervor. Der Anblick der zerfetzten Leichen und der Blutgeruch bereiteten ihr Übelkeit. Am ganzen Körper zitternd zog sie die Knie eng an die Brust und umschlang sie mit den Armen.

"Jetzt kannst du Feuer machen", meinte ihr Vater. "Sie haben eine ehrenvolle Bestattung verdient. Wir sind Krieger, keine Schlächter."

Ja, das war wohl das Beste, überlegte Loretta. Sie sollen brennen, dass nichts mehr übrig bleibt. Im nächsten Moment waren die zerstörten Körper in eine heulende Lohe eingehüllt. Volusian beobachtete die Flammen. Sie waren weit genug weg von den nächsten Bäumen.



Nach einer kurzen Rast ließen sie den Kampfplatz mit dem rauchenden Scheiterhaufen hinter sich. Loretta nahm ihr unterbrochenes Gespräch wieder auf, teils um auf andere Gedanken zu kommen, teil aus echtem Interesse.

"Die Arrian sind auch alle magisch?"

"Nicht alle", schränkte Volusian ein. "Es gibt eine Magierschule, die die wenigen Begabten ausbildet. Doch ihre Fähigkeiten sind beschränkt. Sie wandern nicht zwischen den Welten und können auch keine andere Gestalt annehmen. Der König hat immer einen von ihnen als Berater, wie er auch Arrian-Soldaten hat. Du hast doch den Mann im schwarzen Umhang gesehen. Das war der Hofmagier Raduald. Gobares holt allerdings öfter bei unseren Bewahrern Rat ein als bei ihnen."

"Ah!", rief Loretta begeistert. "Die Magier sind eifersüchtig auf die Elatha, bohrten das Loch und wollen jetzt den Elatha die Schuld zuschieben. Dann jagt der König die Konkurrenz aus dem Land und sie bekommen den ganzen Kuchen." Das war eine Intrige nach ihrem Geschmack.

"So einfach ist es leider nicht", lachte Volusian. "Es gibt noch eine dritte Gruppe Magie Wirkender."

"Wer denn noch?", wunderte sich das Mädchen.

"Die Mischlinge", meldete sich da Statira zu Wort.

"Oh!" Daran hatte Loretta gar nicht gedacht. Sie hatte sich in Gedanken immer zu den Elatha gezählt, trotz oder vielleicht gerade wegen der Isolierung. Statiras Worte brachten sie schmerzhaft in die Wirklichkeit.

"Einige Mischlinge sind Teleporter. Sie werden oft für Botendienste verwendet. Einer könnte leicht auf so einer Reise das Loch installiert haben. Andere sind Spürer wie Statira. Das sind ideale Reisebegleiter." Er warf der Kriegerin ein kleines Lächeln zu. "Sie hat die Nynx gewittert."

Die Grünhaarige nickte ernst, äußerte sich aber nicht dazu.

"Glaubst du, dass es ein Mischling war?" Lorettas Augen flehten um ein Nein.

Sein Blick war traurig als er sagte: "Ich kann nur für die Elatha die Hand ins Feuer legen."

"Und ich?", fragte sie heiser vor unterdrücktem Schmerz.

"Du kannst es nicht gewesen sein", antwortete er schnell. "Nynxüberfälle gibt es schon länger als du in Arrian bist."

Still gingen sie weiter und Loretta überlegte, ob Statira dazu fähig wäre. Ihr Herz brüllte ein dröhnendes Nein, das den winzigen Zweifel in ihrem Kopf trotz allem nicht zum Schweigen bringen konnte.

Frag dein Herz, flüsterte Statira in ihrem Kopf.

Du hast gelauscht!, gab sie ebenso zurück.

Wenn du an mich denkst, kann ich gar nicht anders. Wir sind ein Paar.

Wieder eine neue Information. Darüber musste sie nachdenken.



Sie schlugen ihr Nachtlager neben einer kleinen Quelle auf.

Nach dem Essen fragte Volusian: "Wir müssen Wachen einteilen. Möchte eine von euch die erste übernehmen?"

Statira erhob sich und zog ihr Schwert.

"Gut", nickte er. "Ich übernehme die dritte." Er rollte sich in seinen Umhang und schloss die Augen. "Du kannst jetzt drei Stunden schlafen, Loretta."

Sie legte sich gehorsam hin, fand aber keinen Schlaf. Der Kampf mit den Nynx ging ihr nicht aus dem Sinn. Wieviele hatte sie getötet? Drei oder waren es vier? Nein, nicht mehr daran denken. Es gab noch genug andere Dinge, die sie beschäftigten. Zum Beispiel, die Beziehung zwischen Volusian und Amyntha. Nach einer Weile setzte sich Volusian auf.

"Nun frag schon. Du liegst sonst noch die ganze Nacht wach. Wer weiß, was uns morgen erwartet, da musst du fit sein." Sie sah seine Zähne im Mondlicht blitzen als er grinste. "Du denkst die ganze Zeit an mich."

"Hast du gelauscht?", fragte sie unsicher.

"Nein. Ich fühle es wie ein Klopfen, weil du von meinem Blut bist. Nun?"

Loretta setzte sich ebenfalls auf und holte tief Luft. "Warum hast du dich nicht von Amyntha scheiden lassen. Dann könnte sie dich doch nicht mehr schlagen, oder?"

"Weil ich sie liebe. Elatha trennen sich nur wenn ihre Liebe gestorben ist."

"Wie hat sie denn von Mama erfahren? In Amerika gehen fast alle Männer fremd und viele fliegen nie auf."

Volusian zuckte wie unter Amynthas Peitsche. "Ich habe mich in Helen verliebt, weil ich dachte, die Liebe zwischen Amyntha und mir sei tot. Das war ein verhängnisvoller Irrtum. Ein winziger Funke brannte noch in jedem von uns. Als ich das erkannte, musste ich zu ihr zurück kehren. Ein Fremdgehen wie in Amerika gibt es bei uns nicht."

"Wieso gehen Elatha nicht fremd? Das sind doch auch Männer. Und wie hat sie es denn gemerkt? Hast du ihr gebeichtet? Das war aber dann ziemlich dumm von dir", sprudelte es aus ihr heraus.

"Hast du vergessen, dass wir Telepathen sind? Solange wir lieben, sind wir eng verbunden. Was einer weiß, weiß auch der andere in dem Augenblick, in dem wir uns vereinigen."

Loretta dachte eine Weile nach. Ihre Zehen spielten mit dem Gras. "Das ist praktisch. Wenn die Amerikaner auch so wären, müssten die meisten Anwälte Taxifahrer werden. Worum hast du dich mit Amyntha gestritten, dass ihr so böse aufeinander wart?"

Nun stieß Volusian einen tiefen Seufzer aus. Dann berichtete er mit einer Stimme, aus der er jedes Gefühl verbannt hatte.

"Es ging um das Leben unseres ältesten Sohnes. Amyntha hatte erst vor kurzem ihre Ausbildung zur Bewahrerin begonnen und ich wurde auf meine Pflichten als nächster Paladin vorbereitet. Damals hatten wir drei Söhne, Onesion, Lyncester und Drioton. Eines Tages sollte ich die Kinder hüten. Ich weiß bis heute nicht, wie Onesion an meinen Dolch kam. Als ich ihn fand, war er schon tot, verblutet. Er muss mit dem Dolch in der Hand die Treppe hinunter gefallen sein. Ein schrecklicher Unfall. Er war erst fünf Jahre alt und die Bewahrer sagten ihm voraus, dass er ein Wechsler sein würde."

Volusian zog den Umhang enger um sich als friere er. "Amyntha gab mir die Schuld an seinem Tod. Ich warf ihr vor, ihren Ehrgeiz über ihre Mutterpflichten gestellt zu haben. Wir hörten nicht auf, uns gegenseitig zu beschuldigen bis unsere Liebe dahin schmolz. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und begann zu wandern. Lange Zeit ging ich von einer Welt in die andere. Dann traf ich Helen. Sie war so jung und frisch und auf den ersten Blick in mich verliebt. Das hat auch in mir eine neue Liebe geweckt. Natürlich zog mich mein Blut von Zeit zu Zeit fort. Elatha müssen wandern oder zugrunde gehen. Wenn ich dann allein durch die Welten strich, musste ich immer öfter an Amyntha denken. Nach drei Jahren rief mich der König zu sich. Der alte Paladin war gestorben und ich musste sein Amt übernehmen. Amyntha bekam ich nur selten zu Gesicht. Wir gingen uns einfach aus dem Weg. Natürlich ließ es sich nicht vermeiden, dass wir uns trotzdem trafen. Und jedes Mal wuchs die Sehnsucht nach ihr mehr in mir. Ich erkannte, dass unsere Liebe nicht tot war und kehrte nach sechs Jahren zu ihr zurück. Ihr erging es ebenso, doch in der ersten Nacht, in der ich wieder das Bett mit ihr teilte, erfuhr sie von Helen."

"Hm, warum fragt sie dich dann, ob du Mama immer noch liebst?"

Volusian antwortete nicht. Statt dessen stieß er ein Grunzen aus und legte sich wieder hin. Das Blut schoss Loretta siedendheiß in den Kopf als sie den Grund erkannte. "Ein Glück, dass es finster ist, dachte sie. Aber eins musste sie noch fragen.

"Hat sie dich wieder geschlagen?"

"Nein", kam es leise von Volusian. "Nicht mehr seit damals in der Ornis-Pflanzung."

Das war also der Name für die Blätter, die die Elatha damals gesammelt hatten, dachte Loretta. Dann kam ihr noch ein Gedanke. Sie könnte doch während ihrer Wache einfach verschwinden. Da schob sich Statiras Gesicht vor ihr inneres Auge. Sie hatte nie eine Freundin gehabt. Die Kinder in der Schule hatten sie gefürchtet und gemieden. Statira war anders, eine starke Frau, eine gewandte Schwertkämpferin und doch so weich und liebevoll, die erste echte Freundin in ihrem Leben. Nein, das wollte sie nicht aufgeben. Mit diesen Gedanken schlief sie ein.



Die nächsten beiden Tage verliefen ereignislos. Am dritten verwandelte sich Volusian von Zeit zu Zeit in einen Adler und flog weite Kreise über dem Wald.

"Nach unseren Informationen könnte das Loch in dieser Gegend sein", erklärte er. "Hier wurden von einem unserer Schutztrupps öfters Nynx angetroffen."

Ein grässlicher Gestank kam aus einem Gebüsch. Volusian bog die Zweige auseinander und enthüllte zwei tote Nynx, übersät von ekligen, weißlichen Würmern.

"Gibt's hier keine Geier?", fragte Loretta undeutlich, da sie ihren Ärmel gegen die Nase gepresst hatte.

"Nur in der Savanne", erklärte ihr Vater und sah sich die zerhackten Körper genau an. "Sie sind durch Schwerter und Äxte gestorben", stellte er fest.

Statira stieß einen leisen Pfiff aus und eine Gruppe Krieger kam um die nächste Wegbiegung. In ihrer Mitte gingen Männer mit Schaufeln, offenbar Bauern.

"Hey, Volusian", grüßte ein grauhaariger Krieger. Die Mädchen beachtete er gar nicht.

"Hey Elatha!", antwortete der Angesprochene. "Ein Überfall?" Er deutete auf die Leichen.

"Wir haben sie hier abgefangen bevor sie Schaden anrichten konnten. Das Loch kann nicht weit sein. Hattest du Probleme?"

"Ja, wir wurden zwei Tagereisen von hier von einer Gruppe Nynx überfallen, es waren vierzehn."

Die Krieger machten respektvolle Gesten. Die Bauern glotzten nur. Sie hatten bereits begonnen, ein Loch auszuheben.

"Du hast vierzehn Nynx erledigt?", fragte der Grauhaarige bewundernd.

"Ich hatte Hilfe", erklärte Volusian schlicht.

"Hm, manchmal sind die Bastarde ganz brauchbar", meinte er. Dann flog sein Blick zwischen Volusian und Loretta hin und her und er räusperte sich verlegen.

Du siehst deinem Vater ähnlich und er hat es bemerkt", telepathierte Statira und hustete künstlich.

Loretta ballte die Fäuste. Ich könnte ihn ..."

Loretta, du sendest auf ganzer Bandbreite!, signalisierte die Kriegerin und unterbrach dadurch den Gedankenstrom ihrer Schwertschwester.

Die Blicke der beiden Männer verschränkten sich. Auch hier lief ein Gespräch, erkannte Loretta.

Schließlich senkte der Krieger den Kopf. "Es ist nicht leicht zu vergessen, was geschah, Paladin", sagte er. "Verzeih mir."

"Es ist gut, Hammon, du hast mich ja damals gewarnt und ich wollte nicht hören. Gute Wanderschaft", verabschiedete sich Volusian. Wachsamen Auges gingen sie weiter.

Nach einer Weile hielt es Loretta nicht mehr aus. "Wer war denn das?", fragte sie neugierig. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Statira taktvoll ein wenig zurück blieb.

"Hammon ist der jüngere Bruder meines Vaters. Er war immer der Meinung, dass die Liebe zwischen Amyntha und mir nicht gestorben war, aber ich wollte ihm nicht glauben. Jetzt bereue ich es, vielleicht zu spät."

"Ich dachte, es ist jetzt besser zwischen euch", wandte sie ein.

"Besser, ja", gab Volusian zu. "Aber es steht immer noch eine Wand zwischen uns." Sein Gesicht verschloss sich, zum Zeichen, dass er dieses Thema nicht weiter verfolgen wollte.



Für die weitere Reise überließ Volusian ab jetzt Statira die Führung. Mit leicht geneigtem Kopf ging sie voran. Der Vormittag war erst halb vorüber als sie stehenblieb.

"Nynx", sagte sie und zog ihr Schwert. "Und fremde Magie."

Auch Loretta und ihr Vater nahmen ihre Waffen zur Hand. Volusians Linke zeichnete ein kompliziertes Muster in die Luft, das sekundenlang wie feiner Rauch sichtbar blieb. Ein Rauschen ging durch den Wald und ein unsichtbarer Vorhang schien sich zu heben. Obwohl sich an der Landschaft nichts änderte, gab es doch einen Unterschied. Vorsichtig gingen sie weiter. Plötzlich verhielt Statira ihren Schritt.

"Es riecht nach ...?"

"Loqui", ergänzte Volusian. "Jetzt wird mir einiges klar." Er steckte sein Schwert in die Scheide.

Die Mädchen folgten dem Beispiel. Ein herbsüßer Geruch lag in der Luft und wurde immer stärker, je weiter sie gingen. Loretta suchte nach der Quelle des Dufts und fand einen Baum mit herzförmigen Blättern. In kleinen Büscheln hingen gelbliche Früchte an den Zweigen. Sie erinnerten sie an Schrauben.

"Ist es das?", fragte sie.

Volusian nickte. Der Duft wurde immer intensiver. Da war noch ein Loqui-Baum und dort und dort. Es war ein ganzer Hain.

"Wieso wachsen hier so viele Loqui-Bäume?", murmelte Volusian. "Sehr ungewöhnlich."

Nun war ein Glucksen und Schnauben zu hören.

Sie fanden zwei Nynx unter einem Loqui-Baum, die diese Geräusche von sich gaben. Volusian stieß einen Seufzer aus. "Sturzbetrunken!"

Zwischen ihnen stand ein kleiner Korb, halbvoll mit den Früchten. Ab und zu nahm einer eine Loqui heraus und aß sie. Volusian sprang hin und schnappte sich den Korb. Die Klaue des Nynx tastete ins Leere.

"Heh!", protestierte die Echse. "Gib mir auch was!"

"Ihr habt genug!", donnerte der Paladin.

Ruckartig setzten sich der Nynx auf und starrten ihn an. "Großer Loqui-Meister?", zischelte der eine.

Überrascht stutzte Volusian, fing sich aber schnell. "Statira! Wo ist der Durchgang?" Seiner Stimme war hart und scharf.

"Rechts .... zwanzig Schritte." Die Grünhaarige ging in der angegebenen Richtung.

"Auf, ihr beiden!", kommandierte Volusian.

Die Nynx kamen grummelnd auf die Beine. Einer fiel gleich wieder um, der andere schwankte wie ein Hundeschwanz bei der Begrüßung. Endlich kam auch der Gefallene wieder hoch. Einer hielt sich am anderen fest, doch sie drohten jeden Moment zu stürzen.

"Du musst sie stützen", sagte er zu Loretta. "Los geht's!"

Loretta trat zögernd zu den Betrunkenen. Sogleich schlang jeder einen Arm um ihre Schulter. Ein moschusartiger Geruch ging von ihnen aus, vermischt mit Loqui. Sie fühlte sich nicht wohl so nahe an den gefährlich spitzen Krallen als sie hinter ihrem Vater her ging. Unter anderen Loqui-Bäumen sah sie immer wieder Nynx liegen, allein oder zu mehrt.

"Wenn sie erwachen, haben sie genug von unserer Luft eingeatmet um zu Berserkern zu werden", erklärte Volusian.

Das Loch erwies sich als ein milchiges Oval, das einen riesigen Loqui-Baum in der Mitte durchschnitt. Statira stand in Kampfpose davor, die Schwertspitze auf das helle Wallen gerichtet.

"Ich habe schon sechs Nynx zurück gejagt", berichtete sie stolz.

Volusian nickte. "Gut, wir gehen hinüber." Er gab den Mädchen je ein weißes Kügelchen. "Steckt euch das in die Nase. Es neutralisiert die betäubende Substanz in der Nynx-Welt für vier Stunden."

Loretta verzog das Gesicht. "In die Nase? Kann ich nicht die Luft anhalten?"

"Wie viele Stunden schaffst du das?", fragte ihr Vater ungeduldig. "Wer weiß, wie lange wir dort festgehalten werden."

Wohl oder übel gehorchte sie. Es war dann doch nicht so schlimm. Kaum in der Nase, fühlte sie es nicht mehr.

"Bleibt dicht hinter mir", befahl er und trat in das Oval.

Ein überraschter Pfiff erklang als er gegen einen Nynx stieß, der gerade von der anderen Seite durch das Loch wollte. Volusian knurrte tief in der Kehle.

Loretta fühlte ein kühles Streicheln auf der Haut als sie den Durchgang passierte. Und schon stand sie in einer Sumpflandschaft mit purpurnen Moospolstern. Mannshohes Schilf wuchs in Büscheln dazwischen. In der Luft lag ein säuerlicher Geruch.

Als Erstes machte sich Loretta von den betrunkenen Nynx frei.Sie fielen platschend in einen Tümpel und krabbelten auf allen Vieren darin umher.

"Oh, großer Loqui-Meister, Engel der Glückseligkeit! Wir grüßen dich!", erklang ein schriller Gesang.

Loretta sah sich um. Vor Volusian knieten ein gutes Dutzend Nynx. Als sie sein Gesicht sah, musste sie grinsen. Vor Staunen war seine Kinnlade herunter gefallen. Er fing sich aber schnell und machte ein strenges Gesicht. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, erhob sich ein verhutzelter Nynx.

"Wie schön, dass du das Paradies verlassen hast um deine unwürdigen Anbeter zu besuchen", sagte er. "Warum hast du dich geteilt in zwei? Und warum hast du den Teufel mitgebracht, der uns den Weg ins Paradies verwehrt?" Beim letzten Satz deutete seine Klaue auf Statira.

"Was?" Die Kriegerin starrte die Echse böse an.

"Oh, verschone uns, mächtiger Teufel!", rief der Nynx. "Wir werden die schönsten Pilze für dich jagen. Und wenn du dann noch Hunger hast, friss mich, nicht die Jungen."

Volusian räusperte sich. "Bringt mich in euer Dorf", befahl er. "Und sage deinen Leuten, dass niemand da ..." Er deutete auf das Oval. "... durchgehen darf solange ich da bin."

Ein vielstimmiges Jammern erscholl. "Niemand darf ins Paradies?", fragte der Verhutzelte traurig. "Womit haben wir dich erzürnt? So viele unserer Männer und Frauen sind schon ins Paradies gegangen. Außer diesen zwei haben wir keinen von ihnen wieder gesehen ..." Seine Klaue wies auf die Betrunkenen, die endlich aus dem Tümpel gekrochen waren.

Volusian schenkte ihm nur einen harten Blick. Umringt von den Nynx gingen sie durch den Sumpf. Die Betrunkenen torkelten auch mit, gestützt von ihren Artgenossen. Manch einer warf einen begehrlichen Blick in den Korb, den Volusian immer noch trug, doch die Ehrfurcht gebot ihnen, Abstand zu halten.

Die nächste Überraschung erwartete sie im Dorf der Nynx. Die Behausungen der Echsen glichen runden Erdhügeln. Loretta musste an Iglus denken, nur eben aus Erde. Und inmitten dieser graubraunen Halbkugeln ragte eine übermannshohe Figur empor. Sie war offenbar aus Schilf geformt und stellte einen Menschen dar. In den ausgestreckten Händen lagen vertrocknete Loqui-Früchte. Was die drei aber beeindruckte, war die Bekleidung, ein langes, blaues Gewand. Und um den Hals hing ein Regenbogenkristall. Das Gesicht der Figur war nur ein weißes Oval.

Volusian blieb mit finsterem Gesicht vor der Statue stehen. Davor stand eine Art Thron. Offenbar wurde von ihm erwartet, sich zu setzen, denn ein Nynx fummelte mit einem Lappen über den Sitz. Seufzend ließ er sich nieder und stellte den Korb vor sich auf den Boden. Die beiden Mädchen bauten sich zu seinen Seiten auf.

"Sollen wir Stühle bringen für deinen zweiten Körper und den Teufel?", fragte der Alte beflissen.

"Die bleiben stehen", entschied Volusian.

"Sollen wir dein Standbild ändern?", ging es nun weiter. "Die Bekleidung .... und dein Gesicht ...."

"Nein", antwortete Volusian kurz. "Ich habe eine Botschaft für euch."

"Wir hören dich, oh Engel der Glückseligkeit!", riefen die Nynx. Es schien sich das ganze Dorf versammelt zu haben.

"Die Nynx haben sich des Paradieses nicht würdig erwiesen."

Ein enttäuschtes "Ohhhh!" erklang.

"Die durch das weiße Tor gegangen sind, sind selbstsüchtig, weil sie nicht zu den ihren Brüdern und Schwestern zurück kehren und sie an ihrem Glück teilhaben lassen. Deshalb werde ich sie zurück schicken. Ich brauche zehn starke Männer, die mit mir ins ... Paradies gehen und die Säumigen holen." Er fasste den Alten scharf ins Auge. "Du wirst diese Männer auswählen."

Es dauerte nur wenige Minuten, dann standen zehn kräftige Nynx vor Volusian und sahen ihn erwartungsvoll an.

"Ihr kommt mit mir", entschied er sich erhebend und stellte den Korb auf den Thron. Zu Loretta sagte er leise: "Mach etwas, dass sie nicht an die Früchte gehen."

Unsicher sah sie ihren Vater an. Da gab es tatsächlich etwas, das er nicht konnte! Sehr beruhigend. Was konnte sie nur tun? Ach ja, sie erinnerte sich an einen Zauber, mit dem sie Gideons Computer umgeben hatte. Er musste sein ganzes Taschengeld herausrücken, bevor sie ihn wieder aufhob. Grinsend deutete sie auf den Korb und eine glitzernde Glocke legte sich darüber. Enttäuschtes Jammern erhob sich als die Gruppe unter Volusians Führung verschwand.



Volusian führte die Nynx durch das Loch. Als sie die vielen Loqui-Bäume sahen und sicher auch rochen, riefen sie begeistert: "Das Paradies!" und rannten auf den nächsten Baum zu,

"Zurück!", donnerte Volusian und die Echsen erstarrten mitten in der Bewegung. "Ihr streift in Paaren durch den Hain und sammelt eure schlafenden Kameraden ein."

Mit hängenden Köpfen machten sich die Nynx daran, den Befehl zu befolgen. Sie trugen die Betrunkenen durch das Loch, legten sie auf der anderen Seite ab und kehrten wieder zurück. Natürlich konnte nicht verhindert werden, dass sie immer wieder von den Loqui naschten. Nach zwei Stunden hatten sie alle berauschten Nynx eingesammelt und die Sammler waren selbst ziemlich wackelig auf den Beinen. Volusian drängte die Gruppe durch das Loch und eilte zum Dorf. Wieder versammelten sich die Bewohner. Loretta löste den Zauber und nahm den Korb vom Thron, damit sich Volusian setzen konnte.

"Meine Freunde!", begann er. "Kümmert euch um eure Angehörigen. "Es kann sein, dass sie verwirrt sind, wenn sie erwachen und euch nicht erkennen, ja sogar für Feinde halten. Also seid vorsichtig. Ich kehre zurück ins Paradies. Bis ich wieder komme, darf niemand das Paradies betreten. Ein Teufel wird darüber wachen." Er sprang vom Thron und nahm den Kristall von der Figur. "Teilt die Loqui-Früchte ehrlich unter euch auf!", mahnte er. "Jetzt aber schnell", raunte er den Mädchen zu und schritt kräftig aus.



Loretta ließ sich ins Gras fallen sobald sie den Durchgang passiert hatten. "Ich könnte tagelang schlafen", stöhnte sie.

Auch Statira und Volusian wirkten müde. "Das ist die Luft der Nynx-Welt", brummte Volusian. "Wir werden ruhen und essen. Morgen machen wir uns auf den Weg."

Die Sonne hatte den Zenit schon überschritten. Eine sanfte Brise bewegte die herzförmigen Blätter der Loqui-Bäume. Kleine Vögel schwebten vor den Fruchtbüscheln und pickten danach. Wie Kolibris, dachte Loretta.

"Und was ist mit dem Loch?", wollte Loretta wissen.

Ihr Vater antwortete nicht. Sein Blick wirkte in sich gekehrt.

"Er sendet", flüsterte Statira in ihrem Kopf.

"Wir müssen sofort zurück nach Arrian. Der König ist in Gefahr." sagte er plötzlich.

Besonders fit fühlte sich Loretta nicht. Sie hatten kaum eine Stunde gerastet. Volusian sendete noch eine telepathische Botschaft und kurze Zeit danach kam ein Wolf durch den Hain auf sie zu getrottet. Vor ihrem Lagerplatz verwandelte er sich in einen jungen Mann.

"Wie ist das möglich?!", wunderte er sich. "So viele Loqui-Bäume auf einem Fleck und wir haben sie nie gefunden, obwohl wir so nahe waren!"

"Sie waren hinter einen Blendzauber verborgen", sagte Volusian. "Sehr geschickt gemacht. Wenn wir nicht danach gesucht hätten, hätten wir auch nichts entdeckt." Dann erklärte ihm Volusian seine Aufgabe.

"Können wir hier nicht übernachten?", maulte Loretta. "Ich bin noch immer müde." Auf der Festung Arrian wartete ein unangenehmer Test auf sie, dem sie so lange als möglich entgehen wollte.

Wortlos packte ihr Vater seinen Rucksack. Auch Statira sammelte ihre Siebensachen ein. Seufzend schloss sich das Mädchen an.

"Aber wir werden ohnehin nicht weit kommen", versuchte sie es noch einmal.

"Nicht auf zwei Beinen, auf vier können wir in drei Tagen zurück sein anstatt in vier." Volusians Stimme klang ruhig und bestimmt.

"Ich kann mich nicht verwandeln. Willst du mich zurück lassen?" Sie glaubte schon, gewonnen zu haben, doch ihr Vater schüttelte den Kopf.

"Nein, du reitest auf mir." Damit verwandelte er sich in einen riesigen Adler. Er breitete die Schwingen aus und flog probeweise eine kleine Runde. Dann landete er, wurde wieder ein Mensch und schüttelte den Kopf.

"Die Luft in der Nynx-Welt hat mich geschwächt. Wir müssen es anders machen."

Und schon stand da ein kräftiger Falbe mit blonder Mähne und Schweif. Die breite Brust, die kräftigen Beine mit dem dichten Kötenbehang, der edle Kopf, in Schwarz wäre es ein Friese gewesen.

Loretta hatte von Fulrad auch Reitlektionen erhalten. Ihre Kenntnisse waren nicht überragend, aber ausreichend um im Sattel zu bleiben. Wohl oder übel kletterte sie auf Volusians Rücken.

Zurücklehnen und fest rein setzen, kam die telepathische Anweisung.

"Wo soll ich mich rein setzen? Du hast ja keinen Sattel", nörgelte sie.

Die Sattellage, seufzte er und machte ein paar Schritte. So fand sie sich leichter zurecht. Was sollte sie nur mit den Händen machen?

Halte dich an meiner Mähne fest. Ich werde jetzt angaloppieren.

In ruhigen Sprüngen galoppierte er durch den Wald und Statira, die sich in einen grünen Geparden verwandelt hatte, hielt mühelos Schritt.

Locker, Loretta! Du fällst mir mit jedem Sprung ins Kreuz. Außerdem, nimm mehr Haare in jede Hand. Es ziept. Und Fersen tief!

Loretta bemühte sich, alle Anweisungen zu befolgen. Doch als ungeübte Reiterin gelang ihr das nur mangelhaft. Es tat ihr Leid, dass ihr Vater darunter leiden musste. Nach einiger Zeit bekam sie Seitenstechen und musste absteigen. Volusian und Statira verwandelten sich wieder in Menschen. So wechselten sie zwischen Reiten und Laufen.

Unterwegs versuchte Volusian Amyntha noch einmal zu erreichen. Bei ihrem Kontakt im Loqui-Hain hatte sie nur kurz geantwortet und ihn auf später vertröstet. Es war in einer ihrer kurzen Pausen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, die Hände zu Fäusten geballt. Nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf. "Ich kann sie nicht erreichen." Tiefe Sorgenfalten furchten seine Stirn.

"Vielleicht schläft sie", vermutete Loretta. "Oder sie blockt ab. Das hast du doch auch bei mir gemacht." Der letzte Satz klang ein wenig vorwurfsvoll.

"Nein, das würde ich wissen", widersprach er. "Es ist als wäre sie ..."

"Tot?", fragte Loretta.

"Loretta!!" Das war Statira. Sie sah ihre Schwertschwester tadelnd an.

"Oder krank?", versuchte das Mädchen abzuschwächen, aber der Erfolg war bescheiden.

Aus Sorge um Amyntha hielt Volusian die Nachtruhe kurz. Schon am nächsten Tag fühlte er sich kräftig genug zum Fliegen. Ab da saß Loretta auf seinem Rücken und klammerte sich krampfhaft in seinem Gefieder fest, immer in der Gefahr, herab zu fallen. Die Augen hielt sie fest geschlossen, da ihr von einem Blick in die Tiefe schwindlig wurde. Unter ihnen hetzte der grüne Gepard dahin.



Fortsetzung folgt....


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